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Christian kannte seine Billa. Er hatte in den langen guten Jahren seines Ehestandes des öftern Gelegenheit gehabt, sie immer genauer kennenzulernen; man sollte meinen, wenn alles seine Grenze habe, so müsse das auch hier der Fall sein; allein dem war nicht so: Krischan Winckler wunderte sich immer noch von neuem über sein Weib. Die Gelegenheiten dazu rissen nicht ab.
Augenblicklich saß er, vorgebeugt mit dem Oberleibe, die Füße unter den Stuhl gezogen und die Hände auf den Knieen, und sah auf sein Weib, lächelnd, aber mit einer Runzel mehr auf der ehrlichen, heitern Stirn, bewundernd mit der Neigung behaftet, sein Käppchen noch einmal von einem Ohr auf das andere zu schieben.
Und als sich die Tür hinter seinem guten Freunde und Ortsvorsteher Neddermeier geschlossen hatte, sprach er:
»Hm – ich muß es wieder sagen, Billa, du verstehst es.«
»Das ist meine Ansicht auch, und ich tue mir auch etwas darauf zugute, aber das ist jetzt nicht die Hauptsache«, erwiderte die treue Gattin. »Jetzt komm du mal her, Lotte! Gesichterschneiden verbitte ich mir; also steh auf, zeige dem Herrn Pastor das Gesicht, das dir der liebe Gott hat anwachsen lassen, und sage uns kurz, was du zu sagen hast, nämlich ausführlich, wie es sich deinen christlichen Wohltätern gegenüber gehört. Hältst du mir hinter dem Berge, so kennst du mich und weißt, daß ich weiß, wie man einen dahinter vorlockt.«
»Gott, o Gott!« schluchzte die Angeredete, das Gesicht womöglich noch tiefer in das Stuhlkissen des Pastors von Gansewinckel drückend.
An ihrer Statt aber stand Krischan Winckler auf, legte beschwichtigend die Hand auf den Arm seiner Frau und sagte ganz leise:
»Liebe, ich glaube, dieses verstehe ich am besten.«
Es ist ein ekler Anblick, wenn man eine Spinne die andere fressen sieht, sagt der am Schluß des vorigen Kapitels beregte Gotthold Ephraim in einem seiner Briefe antiquarischen Inhalts. Keine Spinne muß müssen, sagt er hier nicht. Ach, die Welt ist eben ohne jegliche Rücksicht auf das Sittengesetz und die Ästhetik ganz antiquarisch, d. h. vom Anfang an darauf gegründet, daß eine Spinne die andere frißt!
Und dann ist da das kleine, so leicht gesprochene, so schnell geschriebene, so flüchtig ins Ohr klingende, gedruckt kaum ins Auge fallende Wörtchen: man!
Wer ist man? Man sieht nicht gern eine Spinne die andere verspeisen; – man ißt gern Austern; – man gründet ein Geschäft, durch welches man gern jedermann Konkurrenz macht bis zum Äußersten. Man hat gegründete Aussicht, demnächst im Amt vorzurücken, da man sagt, daß der Mann, dessen Platz man gern einnehmen möchte, schwerkrank am Nervenfieber liegt und sicher demnächst mit Hinterlassung einer großen Familie dran glauben wird. Man möchte unbeschreiblich gern das beste Bild in der Kunstausstellung aufhängen; man möchte im Wettkampf um die Herstellung des Monumentes des jüngst gestorbenen großen Menschen der Nation alle Mitbewerber schlagen; man möchte dies; man möchte das, und – man ist dazu berechtigt; denn wozu, fragt man, ist man sonst da in der Welt?
Und man ist da – seltsamerweise! – Und dann und wann heißt man Cord Horacker oder Lotte Achterhang, und selbst wenn man tagtäglich im Dorfe zu hören bekommt, daß es besser sei, wenn man nicht da wäre, so glaubt man dieses noch lange nicht; dafür aber hat man einen grimmigen Hunger, und alles, was man außerhalb seiner Haut um sich her sieht, gehört einem andern.
Im Pfarrhaus sagt man wohl: »Billa, du mußt dich einmal wieder um das Kind der Achterhang bekümmern, und ich habe mir auf heute nachmittag wieder einmal den Racker, den Cord Horacker, herbestellt. Schicke der Witwe doch meine abgelegte Winterhose – der Junge läuft mal wieder wie ein untätowierter Indianer herum, das geht so nicht! Das geht so nicht! Man kann es nicht mehr ansehen.«
Aber im Dorfe sagt man um dieselbige Stunde: »Diese Nacht sind sie mir wieder im Kohl und unter den Kartoffeln gewesen. Lebendig schinden möchte man die Schwefelbande. Selbstschüsse darf man nicht legen, und in der Schlinge, wie die Hasen, fängt man sie nicht.« O über das schreckliche, das wundervolle, erhabene kleine Wort:
man!
Es ist der fliegende lichtbeschienene Schaum der Oberfläche; es ist die unbewegte schwarze Tiefe. Fahren wir fort, die wir schaudernd und schämig, den Königen dieser Erde gleich, es nicht wagen, das Wort »Ich!« zu schreiben. – – – Man rechnet einem oft als greuliche Unverschämtheit an, was nur die zarteste Scheu vor Überhebung ist.
Als an dem letzten Überbleibsel der ärmsten Häuslerfamilie des Dorfes hatte das Pfarrhaus vor Jahren ein gutes Werk an dem Lottchen getan. Aus argem Schmutz und völliger geistiger und körperlicher Verkommenheit hatten die zwei braven Leute, Christian Winckler und sein Weib Billa, das Kind in ihr Haus genommen und es erst im Feld und Garten, sodann aber in der Küche angestellt und das, was die Frau Pastorin »einen Menschen« nannte, aus ihm gemacht. Nur unter einer Zucht und in einer Lehre wie die der Frau Billa Winckler konnte das Erziehungsexperiment gelingen, und es gelang wider alles Erwarten von Gansewinckel.
»Gedacht haben wir's nicht, aber fertig hat sie's gebracht – ein ganz nett Ding ist aus dem Vieh geworden!« sprach das Dorf.
Ja, wenn Cord Horacker nicht gewesen wäre! Nachher hätte alles glatt ab- und weiterlaufen können.
Aber Cord Horacker existierte und hatte bereits anderthalb Jahr existiert, ehe Lottchen Achterhang das Licht der Welt erblickte, und war von seinem Anfang an – wie ihre Eltern längst – ein Skandal für die ganze Gemeinde gewesen. Die Witwe Horacker hatte sich eines Tages allein mit ihrem Jungen in der Welt gefunden; und – Gesellschaft muß der Mensch haben, und wenn es auch die allerschlechteste wäre. – Die Witwe Horacker und die Familie Achterhang hielten sich zueinander, da sich sonst niemand weiter zu ihnen halten wollte.
Man sucht sich nicht selber die Weise und Gelegenheit aus, unter welcher man die Nase in die Welt steckt. Daß Cord Horacker heute, im neunzehnten oder zwanzigsten Lebensjahre, aber überhaupt noch eine Nase aufzuweisen hatte, war schon an und für sich ein Mirakel. Seine Dorfgenossen, alt wie jung, hatten ihm oft, sehr oft darauf geschlagen, und dieses dann und wann bei recht mangelhafter Berechtigung dazu. Eine vaterlose Waise – klingt ganz hübsch, zumal wenn die Mama eine wohl oder auch nur annähernd behaglich gestellte Witwe ist; allein die nichtsnutzige Krabbe der Witwe Horacker durfte in Hunger, Frost und Krankheit weniger Anspruch darauf machen, rührend in ihrer Hülflosigkeit gefunden zu werden.
So war es denn zuweilen nur die bittere Notwendigkeit, die den Jungen zwang, sich selber zu helfen, auch wohl der Süßigkeit der Rache wegen (andere Süßigkeiten kamen nicht viel an den armen Gesellen) eine kleine Tücke in den Handel zu geben.
Unser Manuskript beweist es, daß wir nichts Übles von dem guten Pastorenhause zu Gansewinckel reden wollen; aber gegen ihre Neigungen vermögen wenige Menschen viel auszurichten. Und das Pastorenhaus hatte eben seine Neigung dem Lottchen zugewendet. Der Pastor Krischan Winckler machte sich nachher wenigstens Vorwürfe genug darüber, und kein anderes Glied seiner Herde erschien ihm so häufig als Cord in seinen Träumen, wenn er im Winter vom warmen Ofen bis zu dem verhangenen Fenster auf und ab wandelte, oder in der erquicklicheren Jahreszeit beim Spargelstechen. Jedesmal hielt er dann inne im Wandel oder Gartengeschäft:
»Heute will ich doch auch wieder mal von wegen des Schlingels, des Cord, an Freund Trolle schreiben.«
Die betreffende Staatsbehörde hatte nämlich zuletzt ihrerseits sich des verwahrlosten Knaben und der Gansewinckler Gemeinde angenommen. Sie hatte den alten Jungen genommen, ihn gewaschen, gekämmt, ihn in ein reinlich grau Kostüm gesteckt und behielt ihn zum Frommen der Weltentwicklung in der nächstgelegenen Besserungsanstalt unter scharfer Aufsicht bei genügender Arbeit und nur angemessener Kost. Man mußte es der hohen Behörde lassen; auch in geistiger Hinsicht vernachlässigte sie ihren schmalen Kostgänger nicht. Wenn der Gansewinckler Pfarrherr wirklich sein Vornehmen ausführte und an den Anstaltskollegen »von wegen Horackern« schrieb, so kam immer eine Antwort zurück, und die letzte lautete zum Schluß, nachdem der ehrwürdige Korrespondent im Anfang natürlich von allen möglichen andern Dingen gehandelt hatte:
»Deinen Horacker anbelangend, kann ich Dir gottlob nur Gutes mitteilen. Das Subjekt macht und hält sich immer noch löblich. Auch die gewöhnliche Institutsmelancholie (in meiner persönlichen Abwesenheit notabene unter sich sind die Burschen heiter zur Genüge) hat sich bedeutend gelegt, und ich bin psychologisch und physiologisch mit dem Blicke seiner Augen ganz zufrieden, wenn ich ihm sage: Jetzt sieh mir grade ins Gesicht, Horacker! Verhoffe also, Dir seinerzeit ein durch Deinen unwürdigen alten Hallenser Stubenbursch, vulgo Hausknochen, der Menschheit zurückgewonnenes Individuum zuschicken zu können. Bitte dagegen vorher noch um eine neue Abschrift Deiner Rheumatismussalbe; die meinige habe ich auf der letzten Pastorenkonferenz weitergegeben und kann mich nicht entsinnen, wem.
Mich der Kollega bestens empfehlend
in alter Freund- und Blutsbruderschaft
Dein Trollius.
P. scr. Hast Du lange nichts von dem Dritten in unserm Bunde, unserm guten Nöleke, hinter Berlin, vernommen?
Ob er wohl auch so grauköpfig als wir beide geworden ist? Glaube und verhoffe es nicht; dahingegen manifestierte er bereits in Halle Anlage zu einer Glatze, und die wird er wohl jetzo recht ordentlich aufzuweisen haben. NB., erinnerst Du Dich wohl noch, wie er schmelzend die Flöte in den Mondschein hinein zu blasen pflegte und für den Heiligenschein S. Filippi di Neri schwärmte? Hat sich wohl beides gegeben.«
Ei ja, Nöleke! Der Name ging vorhin schon durch unsern Bericht, und sein Träger ist von nicht geringer Wichtigkeit in dem letztern. – – –
»Das hilft nun alles nichts, siehst du wohl, Christian. Daß du einiges am besten verstehst, bezweifle ich nicht; aber hier hilft fürs erste nichts, als daß wir es sich ausbrüllen lassen.«
Also sprach die Frau Pastorin zu ihrem Gatten, nachdem er eine Viertelstunde zu der heimgekehrten Heimatlosen geredet hatte.
»Alles Menschenmögliche soll ich freilich in der Welt erleben«, fuhr die gute Frau fort. »Was es gibt an Verdruß und Angst und Plage, das fällt mir hier in Gansewinckel auf den Kopf, und nachher kommt dann noch einer, wie neulich der Herr Oberlehrer Neubauer, den Eckerbusch mitbrachte, und will mir einreden, mein und dein Dasein, Winckler, sei eine Idylle – die reine Pfarrhausidylle! O ja, eine nette Idylle, Winckler!«
»Der Oberlehrer Neubauer sah uns eben subjektiv an, Billa«, brummte der Pastor. »Er hat auch das Englische auf dem Gymnasio in der Stadt und liest wahrscheinlich gegenwärtig mit seinen Jungen den Vicar of Wakefield.«
»Objektiv, substantiv oder perspektiv, das ist mir ganz einerlei. Ich sehe aber ohne Brille, dich, mich und Gansewinckel, und das dumme Ding hier mit dem Kopfe in deinem Lehnstuhl, Alter, gleichfalls. Du hast nun lange genug Vernunft gesprochen, ohne daß es was genutzt hat, Alterchen; und jetzo halte ich es nicht länger aus und werde mit der Unvernunft reden. Du hast mir deinen Gellert oft genug als Muster hingestellt. Hörst du, Lotte Achterhang, jetzt bitt ich's mir ernstlich aus, daß du endlich aufstehst, die Hände vom Gesicht nimmst und dich da auf den Stuhl am Ofen setzest und mir nach Möglichkeit fest in die Augen siehst. Durch albernes Geheule wird nie was in der Welt gebessert, und ein anständig Aussehen, einen gekämmten Kopf und einen heilen Rock wirst du dir auch nicht anheulen.«
»Billa!« murmelte der geistliche Herr, den Kopf schüttelnd; doch die Gattin hatte in der Tat wieder das Wort fest gefaßt.
»Ei was, Winckler! Siehst du, da steht sie und da sitzt sie! So Mädchen – die Hand von den Augen! Warte nur nicht noch länger ab, daß ich mich auch für dich auf einen Gesangbuchsvers besinne wie vorhin für den Vorsteher, den Gemeinderat und die andern aus dem Dorfe.«
»Guter Gott, guter Gott«, winselte das arme Kind, jetzt mit beiden gefalteten Händen zwischen den Knieen und wirklich auf dem Stuhl am Ofen. »Ich will ja alles sagen wie ein Schriftgelehrter, wenn ich mich nur selber erst wieder besonnen hätte. Da steht dem Herrn Pastor sein Tabakskasten, und da hängt die Kreuzigung an der Wand, und da ist das Sofa, und unten im Haus ist mir durch meine Tränen Wackerlos begegnet und hat mich gewiß noch gekannt! Alles, alles im Haus ist noch so wie an dem Tage, als Sie mich in die Fremde taten, und nun komme ich so zurück durch Hitze und dunkle Nächte und die weite Welt – hinter Berlin her. Wie soll ich mich besinnen? Ich hätt's ja zu gern getan; jedes gute Wort vom Herrn Pastor ist mir wie eine glühende Kohle vom Herd auf dem Herzen gewesen, aber ich muß ja ersticken in meiner Schande, daß ich so, so wieder da bin! O du liebster Herrgott, ich bin ja nicht bei mir selber gewesen, seit dem Morgen, da ich mit dem Kaffeebrett hereinkam, als der Herr Pastor Nöleke alles aus der Zeitung vorlas. Ich habe den Präsentierteller noch auf den Tisch gesetzt, aber da ist mir der Boden unter den Füßen und die Decke über dem Kopfe weggekommen; – ach, wenn er mich, mich allein doch totgeschlagen hätte! Überleben tu ich's ja doch nicht, wenn sie ihn köpfen. Wenn ich hundert Jahre alt würde, so könnte ich den Morgen nicht überleben, als der Herr Pastor vorlas, daß hierzulande der Räuber Cord Horacker gesucht werde von der Polizei und den Gendarmen und Soldaten und von dem Aufgebot in den Dörfern. O lieber, lieber Herr Pastor und Frau Pastorin, ich will's keinem andern Menschen und gewiß keinem Mädchen und keiner Frau wünschen, daß sie auch erleben, was ich erlebt habe auf dem Wege hieher nach Gansewinckel! Nur ein einziges Mal habe ich mich unterwegs in einem Wasser besehen, aber dann nicht wieder; ich habe mich zu arg erschrocken.«
»Na, ich werde dir nachher doch noch einmal den Spiegel vorhalten«, murrte die gute Hirtin, jedoch wahrscheinlich nur, um ihr steigend Mitgefühl hinter dem Brummwort zu verstecken. Christian Winckler versteckte dagegen sein Gefühl ganz und gar nicht.
»Man weiß nicht, was man sagen soll; man sieht nur immer tiefer in die Natur und den Menschen hinein«, murmelte er. »Es ist ein Schrecken und ein Segen in dem Blick!«
»Und je näher ich an Gansewinckel herangekommen bin, desto elender ist mir zumute geworden. Ich bin doch hier in meiner schlechten Jugend im Walde aufgewachsen sozusagen; aber gewußt habe ich nicht, wie dunkel er von seiner Natur aus ist, bis der erste Buchenbaum diesmal seinen Schatten auf mich hingeworfen hat. Da bin ich selbst wie ein Mörder und Dieb gewesen, und doch habe ich rufen müssen; – keiner kann wie ich wissen, wie es ist, wenn man so im Holze hat rufen müssen. Aber kein Cord Horacker hat Antwort gegeben; ich bin mit meiner Stimme ganz allein geblieben und dachte doch, alles wimmele von Gendarmen und Dragonern und – von ihm!«
»Diese Geschichte wird noch mal gedruckt auf dem Jahrmarkt verkauft!« ächzte Frau Billa. »Ich kaufe sie mir selbst zum ewigen Angedenken, das steht fest.«
»Der Wind, der Igel im Busch, der Rehbock, der mir über den Weg gegangen ist, sind fast mein Tod gewesen, denn es konnte doch Cord sein oder was Schlimmeres. Nun bin ich hier. Ich wollte mich erst in der Nacht ins Dorf schleichen; aber Haneburgs Hannchen ist meiner doch vorher ansichtig geworden, und da haben die Jungens geschrieen; und dann haben mich die Bauern bei hellem Tage gebracht, und das ganze Dorf ist hinter mir drein gewesen und hat sein Pläsier und seinen Hohn über mich und Cord Horacker gehabt. Und nun bin ich wieder hier um Gottes Barmherzigkeit willen, und ob Sie mir glauben werden, daß ich immer noch ein ehrlich Mädchen bin, und dieses auch an den Herrn Pastor Nöleke schreiben werden, kann ich nicht wissen und nicht bitten. Wenn ich von Cord Bescheid wüßte, so wollte ich gern sterben und vorher auch ohne Lohn beim Herrn Pastor Nöleke meine Schande abdienen; aber in mein Grab gehen kann ich nun nicht eher, als bis ich weiß, ob sie ihn schon haben und ob sie ihm seinen Kopf schon abgeschlagen haben. Nachher kann ich ruhig sein, glaube ich.«
»Aber vorher wirst du doch wohl erst eine Tasse Kaffee trinken, du alberne Trine!« rief die Pfarrfrau von Gansewinckel mit merkwürdig belegter Stimme. »Winckler, ich bitte dich!«
»Hat er seinen Kopf noch? Um Jesu Christi willen sagen Sie es mir doch erst!« schrie Lotte Achterhang, von neuem in die Kniee sinkend und mit wilder Energie die Hände gegen den Pfarrherrn und seine beßre Hälfte emporringend.
»Du Närrchen, freilich hat er ihn noch!« schrie der Pastor mit gleichem Nachdruck. »Seinen nichtsnutzigen, dummen Tölpelkopf hat er freilich noch! Du hast es ja selbst gehört, durch dich erst hoffen sie den Schlingel bei dem Kamisol zu nehmen. Daß er dir nicht antwortete, als du nach ihm im Walde riefest, muß einen andern Grund haben als seine gewöhnliche Kopflosigkeit. Vielleicht war er zu weit weg. Er dreht ihnen – uns noch immer aus dem Holze eine Nase. – Billa, Billa, der Herr redet heute noch auf den Straßen der Welt! Er setzt sich immer noch zu den Sündern und Geistesarmen; – und wir, wir studieren auf den Universitäten und machen unsere Examina und kriegen unsere Anstellung, wenn wir nicht durchfallen, und ärgern uns an den Adiaphoris und streiten uns um die Parochialgebühren, weil wir nur mit der Kreiskasse zu tun haben möchten wegen unseres Gehaltes. Was wollen wir tun in diesem Jahrhundert, um uns wieder zurechtzufinden diesen Kindern gegenüber?«
»Ich weiß es auch nicht; aber – aber ich halte es immer noch gar nicht für eine Geschichte aus diesem Jahrhundert«, sagte die gute geistliche Frau und schneuzte sich. Es war ihr krabbelnd vom Herzen in die Nase gestiegen.
»Doch!... Ja!... Ja, wahrhaftig!... Gottlob ja, es ist doch eine aus ihm!« sprach Krischan, und dann stand er auf von seinem Stuhl und half seinem Lottchen Achterhang beim Aufstehen. Es hatte während der letzten Worte zwischen Mann und Frau das Vaterunser gesprochen und war eben bei der letzten Bitte angekommen. Der Pastor aber hatte recht mit seinem Ausruf.
Man kann auch heute noch mancherlei Beruhigendes erfahren und erleben, man warte nur immer möglichst ruhig die nächste Stunde ab!