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Friedrich II. hat in seiner Jugend sehnlich gewünscht, sich mit einer englischen Prinzessin zu vermählen, andere dachten ihm die Erbtochter von Österreich, noch andere die Thronfolgerin von Rußland zu. Aber Friedrichs Bestimmung war es, in der Mitte dieser Potenzen, im Kampfe besonders mit den beiden Kaiserinnen von Rußland und von Österreich eine selbständige Macht zu gründen.
Die Mittel dazu lieferte ihm sein strenger Vater, Friedrich Wilhelm I., der die preußische Armee zwar nicht von Grund aus geschaffen, aber doch in der ihr dann gebliebenen Form eingerichtet und durch den Staatshaushalt, den er einführte, aufrechtzuerhalten verstanden hat. In den Aufzeichnungen »Zur eigenen Lebensgeschichte« vom Nov. 1885 berichtet Ranke: »Mich belebte noch ein andrer Gesichtspunkt, der schon angedeutete, die Erhebung des Kurfürstentums Brandenburg zu einer europäischen Macht begreifen zu lernen. Dazu war aber erst der Mann zu schildern, der die militärischen Kräfte gesammelt und den Staat geordnet hatte. Ich wandte mich zu dem Studium der Geschichte Friedrich Wilhelms I. Der erste Band meiner Neun Bücher Preußischer Geschichte ist diesem administrativen Schöpfer und Ordner des Staates gewidmet. Er war übel berufen in der preußischen Geschichte; es machte große« Aufsehen, daß ich ihn von einer würdigen und bewundernswerten Seite zeigte.« (Sämtliche Werke Bd. 53/54 S. 73f.)
Friedrich Wilhelm I. sagt in seinem, schon 18 Jahre vor seinem Tode abgefaßten politischen Testamente, sein Großvater habe das Haus Brandenburg in Aufnahme gebracht, sein Vater demselben die königliche Würde verschafft, er selbst Armee und Land instand gesetzt, an seinem Sohne sei es nun, zu behaupten, was seine Vorfahren erworben, und dasjenige herbeizuschaffen, was ihm von Gott und Rechtswegen gehöre. Für diesen Beruf dachte er den Sohn zu erziehen; er hielt ihn vor allen Dingen von Kindheit auf zu militärischen Übungen an, denn einen Offizier wollte er aus ihm bilden, wie seine besten Offiziere waren, und einen solchen, der einmal die Armee ins Feld führen könne. So sollte er auch in geistigen und geistlichen Dingen sich als Nachkomme und Fortsetzer erweisen: bibelgläubig zwar nach der kalvinistischen Auffassung, aber doch in einem der wichtigsten Dogmen nach lutherischer Form; so sollte er sich auch an den kaiserlichen Hof halten, von dem das nächste Anrecht des Hauses, der Erbanspruch an Berg, soeben garantiert worden war. Indes der Sohn, in vielem folgsam und gelehrig, entwickelte doch in der Tiefe eine andere Gesinnung; er war mit vollem Eifer Soldat, aber er hielt es nicht für seine ausschließliche Bestimmung, das zu sein; er suchte sich selbst zu unterrichten und auszubilden, hauptsächlich durch Lektüre französischer Bücher, poetischer namentlich, in deren Nachahmung er sich bereits versuchte. Die Phantasien der Jugend zogen ihn mehr nach St. James, als nach der Hofburg in Wien, zwei politischen Mittelpunkten, die eben in den heftigsten Gegensatz gerieten. Während der König zu Österreich, dem Kaiser hielt, war sein Sohn, wie der Hof überhaupt, mehr eingenommen für England, wie denn seine Mutter Sophia Dorothea eine hannoverisch-englische Prinzessin war. Diese Differenz aber zwischen dem aufbrausenden, unnachsichtigen Vater, der seine Familie und sein Land ganz nach seinem Sinne zu lenken wünschte, und dem Prinzen, der seinem eigenen Genius folgte und abweichende Gesichtspunkte ins Auge faßte, brachte eine Krisis hervor, welche einen funesten Ausgang zu nehmen drohte. Ungeduldig über den Druck, der ihm auferlegt wurde, und zugleich in seinem Ehrgefühl beleidigt, faßte der Sohn den Entschluß, den Vater zu verlassen. Es war auf einer Reise, welche König Friedrich Wilhelm I., eigentlich im Interesse des Kaisers, nach Oberdeutschland unternahm, im Juli 1730, daß der Prinz sich Pferde verschaffte, um aus dem Nachtlager, das in dem Dorfe Steinfurt bei Mannheim genommen wurde, davonzureiten, noch ehe der Vater aufbrach. Allein er war viel zu gut überwacht, als daß er das hätte ausführen können; das Vorhaben aber wurde ruchbar, weil der Page, der die Pferde herbeigeführt, Reue fühlte und dem Könige kurz darauf alles entdeckte. Friedrich Wilhelm I., der darin eine Handlung politischer Widersetzlichkeit und zugleich ein Verbrechen gegen die militärische Disziplin erblickte, geriet in die heftigste Aufwallung und ließ seinen eigenen Sohn vor ein Kriegsgericht stellen. Soweit ist es nicht gekommen, was man oft gesagt hat: der König habe seinen Sohn hinrichten lassen wollen und sei nur durch die Dazwischenkunft des Kaisers und anderer befreundeter Fürsten davon abgehalten worden.
Das Kriegsgericht fand in der Handlung nicht einmal eine Desertion, da das Vorhaben nicht zur Ausführung gekommen war; in die Streitigkeiten zwischen Vater und Sohn sich einzulassen, vermied es, weil das den Mitgliedern als Untertanen nicht zukommen würde; es findet sich nicht, daß der König etwas dagegen eingewendet hätte, und Friedrich war viel zu besonnen, als daß er ein Wort sich hätte entschlüpfen lassen, was auf die politischen Verhältnisse Bezug gehabt hätte. Ganz anders aber sah der König das Verhalten eines früheren Vertrauten des Kronprinzen, Katte, an, welcher um das Vorhaben wußte und für das Gelingen desselben außerordentliche Vorbereitungen getroffen hatte; er gab ihm das Verbrechen der beleidigten Majestät schuld und ließ sich nicht abhalten, ihn dafür zum Tode zu verurteilen. Welch eine Strafe für den Prinzen, daß er gezwungen wurde, aus dem Fenster seines Gefängnisses in Küstrin die Vorbereitungen zur Hinrichtung seines Freundes anzusehen; er fiel in Ohnmacht, ehe sie vollzogen wurde. Aber er selbst fürchtete seinen Tod.
Er sah sich wegen einer geringen Schuld mit dem schwersten Verluste heimgesucht, mit der äußersten Gefahr bedroht; wenn etwas hätte erdacht werden sollen, um einem jungen Menschen den Ernst des Lebens zum Bewußtsein zu bringen, so hätte sich nichts Geeigneteres auffinden lassen. Die Disziplin des Schreckens stählte die Seele Friedrichs, die dadurch doch nicht unterjocht wurde. Er war genötigt, dem Willen des Vaters in jeder Beziehung nachzuleben und sich die Aussöhnung mit demselben zu verdienen. Er nahm eine Gemahlin nicht nach seiner Wahl, sondern der des Vaters. Zusammenleben konnten Vater und Sohn seitdem nicht weiter. Der Prinz kommandierte fortan sein Regiment in Ruppin; den militärischen Pflichten kam er mit pünktlichem Gehorsam nach; er machte im Jahre 1734 den kurzen Feldzug der Kaiserlichen unter dem Prinzen Eugen, an dem die Preußen teilnahmen, mit; er gab bei kleinen zufälligen Ereignissen viel persönliche Unerschrockenheit kund. Die Hauptsache war, daß er den berühmten Kriegführer kennenlernte. Dann aber zog er sich auf seinen Landsitz Rheinsberg zurück, um sich mit seiner Musik und seinen Büchern zu beschäftigen; mit den Studien der früheren Jahre machte er nun ernst; sie erhoben ihn über den geistigen Horizont seines Vaters. Er bewegte sich nicht mehr in den erwähnten konfessionellen Streitfragen, sondern in den noch umfassenderen, zwischen Deismus und dem positiven Christentum; die aufkommenden philosophischen Doktrinen ergriff er mit empfänglichem Verständnis; nachdem er sich eine Zeitlang mit dem Wolffschen System befreundet hatte, ging er zum Ideenkreis Lockes über.
Indem aber löste sich das gute Verhältnis zwischen dem kaiserlichen Hofe und Friedrich Wilhelm I. auf; es beruhte einzig darauf, daß dem König auf die Sukzession von Berg sichere Zusagen gegeben worden waren; in den späteren politischen Verwicklungen aber fand es der kaiserliche Hof untunlich, dieselben zu erfüllen. Friedrich Wilhelm I. geriet, als er sich enttäuscht sah, in Entrüstung, so daß er nun in der wenngleich eigenartigen Ausbildung des Sohnes selbst eine Art von Trost erblickte; er hat wohl gesagt: der würde ihn rächen.
Noch unmittelbar vor seinem Tode hat der Vater den Sohn in das Geheimnis der politischen Lage eingeweiht; er gab ihm dabei, wenn er dessen noch bedurfte, die Anweisung, »vollkommen auf eigenen Füßen zu stehen«.