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Wiederaufbau des Landes

Aber eine neue, nicht minder schwere Arbeit stand dann vor ihm: er mußte die Landschaften, die er behauptet hatte, in ihrem alten Wohlstand wiederherstellen und sie zu einem Ganzen vereinigen, das für ein andermal widerstandsfähig wäre. Denn an die Dauer des Friedens glaubte man eigentlich nicht. Von den Provinzen waren einige vom Feinde besetzt gewesen, andere hatten zum Kriegstheater gedient, alle waren ruiniert. Friedrich II. wurde an den Zustand derselben, wie er nach dem Dreißigjährigen Krieg gewesen war, erinnert, wo es denn fast ein Jahrhundert gedauert hatte, ehe eine Herstellung vollbracht worden war. Dahin aber sollte es diesmal nicht kommen; der Unterschied gegen früher lag darin, daß damals der Fürst und die Völker zugrunde gerichtet waren: jetzt aber ging Friedrich aus dem Kriege mit den Mitteln, die zu einem neuen Feldzug erforderlich gewesen wären, hervor und zögerte nicht, dieselben zur Herstellung des Landes zu verwenden. Die Pferde, mit denen er die Artillerie hatte bespannen wollen, wurden dazu verwandt, um den Pflug zu ziehen; aus den Magazinen, welche für die Soldaten bestimmt gewesen waren, wurde nun das Volk genährt. Von den Provinzen hatten sich einige nicht ganz zu seiner Zufriedenheit verhalten, namentlich nicht der Adel in Ostpreußen; anderen, z. B. den Bauern im Mindenschen, schlug er es sehr hoch an, daß sie sich selbst zum Kriegsdienst gestellt hatten; allein darauf hat er keine weitere Rücksicht genommen, namentlich den Ostpreußen alles vergessen; er sah alle Landschaften eben als Teile des Ganzen an, das nun zu einem haltbaren Zustand gebracht werden sollte. Von allen Seiten umgaben ihn bei weitem mächtigere und doch zugleich eifersüchtige Potenzen, denen er Widerstand zu leisten fähig sein mußte. Eine große Schwierigkeit machte ihm selbst die Notwendigkeit, die Armee in gutem Stande zu erhalten. Es wäre ganz unverhältnismäßig gewesen, ein stehendes Heer von 160000 Mann, wie er es bedurfte, aus den Einwohnern auszuheben. Alles, was möglich war, bestand darin, daß er 70000 Mann aus den Eingeborenen unter die Waffen stellte. Er blieb bei dem Kantonsystem, das sein Vater eingerichtet hatte, dessen Nutzen, selbst im Kriege, er sehr hoch anschlug. Daran also, eine eigentlich nationale Armee aufzustellen, konnte er nicht denken, doch hat er bereits den Entwurf gehabt, in dringenden Fällen zur allgemeinen Dienstpflicht heranzuziehen. In Ostpreußen dachte er in einem solchem Falle 20000 Mann aus den Kantons aufzubringen und sie mit den regulären Truppen zu vereinigen.

Schwere Besorgnisse erregte ihm allezeit die geographische Lage der Provinzen, die, voneinander getrennt, nur zu leicht in die Hände der Feinde geraten konnten. Er sah voraus, daß er das nicht würde verhindern können; jene Landesbewaffnung in Ostpreußen sollte nicht sowohl dazu dienen, das Land selbst zu verteidigen, als die Weichselübergänge zu besetzen und so die Verteidigung der Hauptprovinzen im Notfalle möglich zu machen. Zunächst erforderten die Marken die größte Sorgfalt, namentlich die von dem letzten Kriege besonders betroffenen neumärkischen Gebiete, von denen man berechnete, daß sie 57000 Menschen weniger zählten, als vor dem Kriege. Er ruhte nicht, bis er es etwa nach zwölf Jahren dahin gebracht hatte, daß dieser Mangel nicht allein ersetzt war, sondern noch 30000 Einwohner mehr gezählt wurden; denn vor allem davon hatte er sich in seinen Studien überzeugt, daß die Macht eines Staates auf der Menge der Bevölkerung beruhe. Es machte ihm Eindruck, daß das kleine Holland im sechzehnten Jahrhundert den Krieg gegen den damals mächtigsten König der Welt glücklich bestanden hatte. In der Menge der Einwohner sah er den Vorzug Englands vor Schweden, Deutschlands vor Polen. Daher schrieb sich sein Eifer für Urbarmachungen und Kolonisationen überhaupt, zu denen er schon früher den Anfang gemacht und die er mit wachsendem, vielleicht übertriebenem Eifer fortsetzte. Ein anderes Motiv der Macht erblickte er in dem Betriebe der Manufaktur, wozu er dann besonders die Wollarbeiten zu organisieren Bedacht nahm, die für Städte und Land gleich wichtig seien. Er hielt es für notwendig, jeder Einfuhr durch hohe Zölle entgegenzutreten. Er fühlte wohl selbst, daß seine Zölle das gewöhnliche Maß überschritten, und von dem Merkantilsystem war er nicht so durchdrungen, daß er für die Vorteile eines freien Handels schlechterdings kein Ohr gehabt hätte. Allein er glaubte mit gutem Gewissen dazu schreiten zu können, da es für die Erhaltung des Staates unbedingt notwendig sei. Dabei aber faßte er noch einen moralischen Gesichtspunkt ins Auge. Er sagt: der Landadel sei in der Regel arm und doch zur Verschwendung sehr geneigt, alle Luxusartikel müsse man daher aus dem Lande entfernt halten; der Adel würde sonst sich in seinen Hilfsquellen ruinieren und zugleich verweichlichen; in Preußen müsse man streben, die alten germanischen Tugenden aufrecht zu halten, zu dem Kriege sei Ehrgefühl, Ruhmbegierde, Vaterlandsliebe erforderlich; diese Tugenden aber werde man durch Verweichlichung untergraben, und doch beruhe sein ganzer Staat darauf; denn aus dem Adel, wie bereits bemerkt, nahm er seine Offiziere. Hat man es nicht vor kurzem in Frankreich selbst beklagenswert gefunden, daß die Pflanzschule von Offizieren, die in einem wenig begüterten Adel liege, daselbst nicht mehr vorhanden sei? Friedrich II. betrachtete es als eine seiner Hauptaufgaben, den Adel, dem er alle mögliche Rücksicht erwies, aufrecht zu halten. Aus diesem Grunde hielt er über die Prärogative desselben, die Rittergüter allein zu besitzen. Er war nicht ohne Empfänglichkeit dafür, daß der Zustand der Untertänigkeit der Bauern unter die Gutsherren aufgehoben werden sollte. Der Leibeigenschaft gedenkt er mit Abscheu, aber die Fronden abzuschaffen erschien ihm doch als ein so schädlicher Eingriff in den Besitzstand der Edelleute, daß er davon abstand. Nur einem Mißbrauche setzte er sich mit Nachdruck entgegen, nämlich dem Ankaufe bäuerlicher Grundstücke durch die Gutsherren, denn dadurch werde die Population vermindert, wie das in vielen andern Ländern geschehe. Dem aber zuvorzukommen, dazu wurde er auch durch das Prinzip seines Staates überhaupt bewogen; denn vor allem bedurfte er der Bauern in dem angegebenen Maße für die Armee, zugleich aber auch durch eine besondere kriegsmännische Betrachtung. In dem Zusammenstehen der Verwandten aus einem einzigen Kanton sah er ein Moment zur Kriegführung; denn einer fechte für den andern und dabei sei doch ein Wetteifer unter ihnen bemerkbar. Die drei Stände, Adel, Bauern und Bürger, standen als große Korporationen vor seinen Augen. Den Bürgern war Handel und Verkehr überlassen. Er wollte nicht, daß der dritte Stand sein Geld anders als zum Zwecke des Verkehrs verwende, durchaus nicht zu dem Ankaufe von Rittergütern, die in den Händen des Adels bleiben müßten, der dagegen auch am Handelsverkehr nicht teilnehme; es sei seine einzige Ressource. Man sieht wohl, er ließ noch etwas zu tun für das Jahr 1807.

Dem König Friedrich II. verbot das Gefühl von seiner Lage, über den Kreis, den er um sich gezogen, hinauszugehen. Die Einheit des Ganzen aber sah er allein in seiner eigenen Person, in der Person des Fürsten. Er hat wohl einmal von einem Urvertrag Siehe die Anm. auf S. 91. geredet, aber auf die populären Anwendungen dieser Doktrin ging er nicht ein; denn die Pflicht der Verteidigung sei dabei auf den Fürsten übergegangen; diese aber lag eben in seinem Prinzip der Staatsverwaltung, wie er es faßte. Es gebe keinen Unterschied, sagte er, zwischen dem Wohl des Fürsten und dem Wohl des Staates; der Untertan müsse allerdings mehr leisten, als gerade der Augenblick erheische, aber dafür habe der Fürst die Verpflichtung zur Sparsamkeit, namentlich zur Ansammlung eines Schatzes, um immer imstande zu sein, die Verteidigung zu führen, vor allem müsse er eine stattliche Kriegsmacht erhalten; denn unter dem Schutze der Krieger pflüge der Bauer sein Feld, entscheiden die Tribunale die Rechtsfragen, bleibe jede Tätigkeit in ihrem Gange und werde der Handel erhalten. Die Dienste des Volkes und des Fürsten schlägt er gleich hoch an, »eine Hand«, sagt er, »wäscht die andere«. Es entgeht ihm nicht, daß seine Anordnungen zuweilen hart erscheinen, man sage wohl, er setze dem Volke das Messer an die Kehle, aber man solle sich erinnern, daß er nie etwas anderes als dessen Wohlfahrt im Auge gehabt habe; er verlasse sich auf die Geradheit seiner Absichten, sein gutes Gewissen und die bessere Einsicht, die er sich erworben habe. Es würde verwerflich sein, wenn er etwa die Hälfte des Einkommens für den Staat fordern wolle. Jeder müsse imstande sein, sein Eigentum im großen und ganzen zu genießen, aber einen Teil desselben müsse er abgeben. Es genügt nicht, daß die Regierung reich sei, das Volk muß glücklich sein.

Von der Notwendigkeit der Monarchie ist Friedrich II. besonders für den preußischen Staat durchdrungen; in ihrer Handhabung sieht er selbst eine Pflicht. Der fleißigste, in seinem Berufe eifrigste, standhafteste Fürst habe einen Vorteil vor den andern, die sich im Nichtstun gefallen. Der Fürst muß an der Spitze aller Departements stehen; denn jeder Minister versieht nur sein eignes. Der Fürst muß der Zentralpunkt für alle sein. Vermag ein Fürst nicht selbst zu regieren, so muß er sich allerdings einen ersten Minister wählen. Friedrich II. geht die Reihe der ersten Minister durch, die er aus der Geschichte kennt. Er ist mit keinem ganz zufrieden, selbst nicht mit Richelieu, den er sonst am höchsten stellt, noch auch mit Mazarin. Den Glanz der früheren Epoche Ludwigs XIV. leitet er daher ab, daß er selbst sein erster Minister gewesen sei. Sein eignes Verhalten identifiziert Friedrich so ganz mit der Natur des Staates, den er regiert, daß er eine andre Art und Weise, denselben zu regieren, als die seine, verwirft. Er erkennt an, daß seine Regierung eine militärische sei, aber eben dies ist sein Prinzip. Wenn der Krieg allerdings mißbraucht werden könne, so gebe es doch auch einen guten Gebrauch desselben; zuweilen sei er unentbehrlich. Er verzeichnet die Fälle, in welchen der Krieg nicht vermieden werden dürfe; notwendig sei er vor allem zur Erhaltung des Ansehens und der Sicherheit des Staates, Unterstützung der Freunde und zum Widerstande gegen die, welche neue Unternehmungen, die dem Staate schädlich sein können, im Schilde führen. In diesem Falle hat er sich eben selbst bei dem Ausbruche des letzten Krieges befunden. Auf die strategische Führung und die Einsicht des Feldherrn legt er dabei den größten Wert. Gar nicht auszulernen, sagt er, sei die Kunst des Krieges; jede Kampagne habe ihm neue Erfahrungen geboten und neue Grundsätze an die Hand gegeben; er zweifle nicht, daß es noch viele Erfahrungen gebe, die er nicht gemacht habe, und die eine Erweiterung der Kunst nötig machen. Die Regeln, wie sie jetzt gefaßt werden müssen, habe er in den Anordnungen an seine Generale bekanntgemacht. Dabei aber sei doch das größte Unglück für das Bestehen des Staates zu erwarten, wenn der Fürst nicht mehr an der Spitze seiner Truppen stehen könne. Gegen alle diese Sätze kann man zum Teil aus der Theorie, die sich an der Hand der Tatsachen immer weiter entwickelt, zum Teil aus den späteren Ereignissen mancherlei Einwendungen machen. Sie enthalten Abstraktionen von dem damaligen Zustande, der damaligen Praxis. Aber von diesem Standpunkte aus angesehen hat alles einen großartigen Zusammenhang und eine innere Notwendigkeit, die eben aus dem Moment der Zeit hervorgeht.

Auffallend ist es, daß man anderweit dem König Friedrich die weitaussehendsten Absichten auf neue Erwerbungen zuschrieb, während doch die Schriftstücke, die er für seinen Nachfolger niederschrieb, obwohl sie einige flüchtige Andeutungen dieser Art enthalten, doch im großen und ganzen nur auf die Erhaltung und Entwicklung des bestehenden Zustandes gerichtet sind. Man hat damals in Wien Anstoß daran genommen, daß der König sich Frankreich nähere. Er hat in der Tat einen Handelsvertrag mit Frankreich abgeschlossen, allein seine eigne wahrheitsgetreue Versicherung ist, daß dieser einzig für Handelszwecke bestimmt war, namentlich Absatz für Manufakturwaren und Herbeiziehung baren Geldes; weiter erstreckte sich seine Absicht dabei nicht. War aber, so dürfte man fragen, nicht seine Allianz mit Rußland auf einen solchen Zweck berechnet? Man kann mit völliger Gewißheit sagen, daß sie es nicht war. Der König setzt genau auseinander, was ihn zu derselben bewogen habe. Es war ganz allein die aus den Erfahrungen des letzten Krieges hervorgegangene Notwendigkeit, unter den großen Potenzen von Europa einen Verbündeten zu haben, von dem man keinen Bruch des Friedens zu erwarten brauchte. Rußland, welches sich zuerst von allen von dem großen antipreußischen Bündnis zurückgezogen hatte, erschien allein geeignet dazu: denn das Verfahren, das die englische Regierung unter Georg IIl. gegen ihn beobachtete, erfüllte ihn mit Indignation und an Abscheu grenzendem Widerwillen. Auch gegen das Bündnis mit Rußland ließ sich manches einwenden, namentlich war die Verpflichtung zur Bezahlung von Subsidien im Falle eines Krieges sehr anstößig. Darüber war aber nicht hinwegzukommen. Daß der König mit der Politik Rußlands in bezug auf Polen einverstanden gewesen sei, darf man nicht glauben. Er mißbilligte die Mittel und Wege, die zur Wahl Poniatowskis (es ist König Stanislaus) Nach dem Tode Augusts III. wird Stanislaus Poniatowski auf Betreiben Katharinas II. König von Polen (1764–1795). führten, sowie die Veränderungen in der Form der Regierung, welche Kaiserin Katharina vornahm. Die Prätentionen in bezug auf die Dissidenten, welche sich erhoben, waren ihm unangenehm, aber auch dem mußte er sich fügen, um den Hauptzweck zu erreichen. Wie so ganz verkannte der österreichische Staatskanzler, Fürst Kaunitz, die Lage des Königs, wenn er einmal den Gedanken faßte, Schlesien durch eine große Kombination, zu welcher die Türken mitwirken sollten, dem König wieder zu entwinden; man wollte ihn durch größere Gebiete in Polen schadlos halten; die Pforte sollte Österreich unterstützen, um Schlesien wieder einnehmen zu können, selbst mit Einwilligung des Königs. Mit Recht machte Kaiser Joseph darauf aufmerksam, daß dazu eine Auflösung des Bündnisses zwischen Rußland und Preußen gehören würde, woran der König nicht denken werde. Ganz ohne alle weitere Absicht war aber das Bündnis Friedrichs mit Rußland nicht. In den von ihm hinterlassenen Aufzeichnungen, welche unsern Mitteilungen an dieser Stelle zugrundeliegen, werden mancherlei Absichten kundgegeben, deren Durchführung für das Wohl des Staates wünschenswert sei. Die meisten jedoch sind sehr eventueller Natur; die Voraussehung ist dabei allemal, daß große allgemeine Veränderungen eintreten. Eine Absicht tritt dabei aber hervor, welche sehr ernstlich gemeint war und mit der er sich fortwährend trug; sie bezog sich auf den Heimfall der alten Besitzungen des brandenburgischen Hauses, Ansbach und Bayreuth, welcher nahe bevorzustehen schien und welcher eine Umwandlung in den deutschen Angelegenheiten in sich schloß. Der König wünschte im Jahre 1768 sein Bündnis mit Rußland noch auf zehn weitere Jahre verlängert zu sehen, um diesen Heimfall, welchem sich Österreich entgegensetzen würde, wirklich realisieren zu können.


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