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Urmutter

Der Morgen des achten Februar 1587 ist nebelig und kalt, in der gotischen Halle von Fotheringhay brennen die Kaminfeuer, ohne daß sie daraus und aus den Gliedern der hier zahlreich Versammelten die Kälte vertreiben könnten.

Die Halle ist angefüllt mit Damen und Herren im Festkleide, auf allen diesen aber lastet jener Druck, der auch den Zeugen einer Grabesöffnung beschleichen mag, und das schwarz beschlagene und fast bis zur Balkendecke ragende Gerüst mit dem vermummten Henker beweist, daß hier noch etwas anderes, Schrecklicheres bevorsteht.

Die Frau, die man in diese Halle führt, kommt aus einem Gefängnis, das unsauber war und nach Kloake roch, sie ist blaß und ist auch nicht mehr so schlank wie einst in den fernen Tagen von Lithlingow, und einer der ihr nicht freundlich gesonnenen Puritaner, die den Schaffottod der katholischen Königin beobachten, berichtet hämisch, sie sei eigentlich nichts weiter ›denn eine korpulente Person mit flachem Gesichte gewesen‹. Geschmückt aber hat sie sich für den Tod wie für das Hochzeitsbett, unter den braunen Locken zeigen sich noch immer die Spuren der weltberühmten Schönheit, frei und stolz und anmutig bis zum Schluß ist ihre Haltung und durchaus die der großen Dame.

Ringsum schluchzt man. Sie trägt den ganzen Sündensack ihres Geschlechtes zum Richtblock, sie hat nach menschlichem Ermessen durch ihren Geliebten ihren Gatten morden lassen, sie hat diesen nämlichen Geliebten geheiratet, sie hat oft genug den Königsmantel durch den Kot geschleift, und es heften sich an sie die dunklen Gerüchte von Blutschande und Kindesmord. Diese Frau ist also eine ›große Sünderin‹ im Sinne von Kirche und Recht, sie hat ihr Leben verwirkt, und seltsam ist eben nur das eine, dem auch nicht ein einziger der Anwesenden sich verschließen kann: die hier – das weiß von den Zuschauern jeder – verwirkt wohl das irdische, keineswegs aber das jenseitige Leben, ihr wird, weil sie auch im tiefsten Verbrechen aus einem Stücke war, Gott so gnädig sein, wie er der Ehebrecherin des Evangeliums gnädig war.

Die Frau, die die Schafottstufen hinansteigt, hat von ihren letzten Stunden eine beträchtliche Zeit verwandt auf die Verteilung ihrer armseligen Hinterlassenschaft, sie hat kleine Juwelen, Riechfläschchen, Ringe und alle die verbuhlten Niedlichkeiten einer schönen Frau an die letzten Getreuen verschenkt, sie hat in diesem Augenblick nichts mehr als ihre feste Zuversicht auf Gottes Gnade und ihren unabänderlichen königlichen Stolz. Könige aber beweisen, ob sie wirkliche Könige sind, nirgends so wie in dem Augenblick, wo neben ihnen der Henker steht. –

Die Frau also betet den siebzigsten Psalm. ›Da müssen wiederum zu Schanden werden, die da über mich schreien: Da, da! Ich aber bin arm und elend, Gott, eile du zu mir, denn du bist mein Helfer und mein Erretter.‹ Sie betet auch alle jene uralten Gebete, die im Scheine der Sterbekerze und in der Prüfung des Todes schon Millionen und aber Millionen gebetet haben, und in diesem Augenblicke, wo ihr kleiner Hund ängstlich in ihren Rockfalten sich birgt, geschieht es wohl, daß unter den Versammelten der eine oder der andere in heftiges Weinen ausbricht und den Raum verläßt.

Das übrige aber, das hier nun einmal geschehen muß, vollzieht sich in der Feierlichkeit einer schauerlichen Staatszeremonie. Es ist wohl so, daß sie, über dem Blocke kniend, ein wenig zittert, es geschieht auch das Grauenvolle, daß der Henker zweimal einen Fehlhieb tut und daß erst der dritte Streich das Haupt vom Rumpfe trennt …

Das aber geschah wohl nur, weil an dem großen Sündenkonto noch ein Posten offen geblieben sein mochte und weil es einer letzten Qual bedurfte, um auch dies zu bereinigen. Auch vollzieht sich, sowie das Haupt abgetrennt ist, ein letztes schauriges Gericht, und der Kopf poltert die Stufen hinab und verliert unterwegs alle die Perücken und falschen Locken und Bänder und liegt dann da als der arme kahlgeschorene Schädel eines grauhaarigen alten Weibes.

Dann aber ist's bezahlt, und alles ist erduldet, und alles ist gesühnt, und unter den Anwesenden ist keiner, der nicht fühlte, daß hier eine himmlische Hand weit den Schrein der Gnade geöffnet hat. Ja, man fürchtet sich wohl vor der geheimnisvollen Macht, die die Tote noch über die Gemüter gewinnen könnte, und sorgfältig verbrennt man alles, was noch die Spuren ihrer Fleischlichkeit und ihres Blutes trägt, und man verbrennt den Richtblock und die blutüberspritzten Teppiche. Und sogar ihr Hündchen, das sich schon mit dem Blute der Herrin besudelt hat, wird hinterher stundenlang gewaschen.

Diese Frau, die man sechs Monate später mit jedwedem einer Königin gebührenden Pomp in Westminster beisetzt, ist Maria Stuart, und in der Reihe der Mütter ist sie Friedrich, da ihre Urenkelin ihn ja noch in der Wiege gesehen hat, nicht gar so weit entfernt, wie man wohl glauben mag. –

Die Stuarts aber, die seit dreizehnhundertundeinundsiebzig die Krone tragen, sind ein wildes und ungebärdiges Geschlecht … ja, man darf wohl sagen, daß jeder von ihnen als ein gewaltiges Gewitter sich über seinem Bezirke austoben mußte und daß sie in ihrer Gesamtheit eine furchtbare und von den Zeitgenossen ach so heiß geliebte Tantalusbrut darstellen. Gewiß ist es mit ihnen so, daß Brudermord, Blutschande und noch schlimmere Dinge bei ihnen alltäglich sind, und ob sie von ihrer eigenen Sippe vergiftet oder erdolcht oder von springenden Kanonen zerrissen werden: fast ausnahmslos sind die Männer dieses ungebärdigen Geschlechtes eines unnatürlichen Todes gestorben. Gewiß folgen ihnen Flüche, solange sie leben, gewiß schleppen sie, wenn sie sterben, allesamt die schwere Sündenlast ihres ganzen Geschlechtes auf ihre letzte Statt …

Das aber ist an ihnen allen das Seltsame: daß sie nie den Herzogmantel fallen lassen, daß sie in der allertiefsten Erniedrigung noch Könige bleiben, daß man sie, die man im Leben verfluchte, im Tode als Heilige beweint, und daß ihr Sterben sich immer auswirkt auf viele Generationen hinaus. So, wie ich schon zeigte, bei Maria. So bei ihrem Enkel Carl, der zweiundsechzig Jahre nach ihr das Schafott bestieg und königlich und glanzvoll starb und mit seinem Tode eigentlich die Krone Englands rettete vor der Gleichmacherei der aufsteigenden Plutokratie. Denn es mögen alle die behenden und konjunkturfreudigen Romanschreiber, die heute, in der Sterbestunde des Liberalismus, Cromwell besingen – sie mögen nicht vergessen, daß Cromwell, vielleicht gegen seinen Willen, selbst der Urvater des Liberalismus, der Urvater des dritten Standes, der Beweger von 1789 war. Als Carl Stuart starb, bewahrte er England davor, eine Advokatenrepublik zu werden. –

Die Stuarts habe ich als prachtvolle Gewitter bezeichnet und will bei diesem Urteil bleiben. Ausgestattet mit einer geradezu penetranten Lebenskraft, vererben sie die Spuren ihres Blutes weit in ferne Geschlechter hinein und in Zeiten, in denen sie selbst längst Sage geworden sind. Sie pochen noch in den später zu erwähnenden Skandalen des hannoverschen Hofes, sie wüten fort in Friedrich Wilhelms I. monomanem Leben und in den Ränken seiner Gattin. Sie reißen die Abgründe auf in Friedrichs Seele und geistern noch blaß durch das Leben seiner seltsamen Brüder und könnten, führte ich dieses Buch über Friedrich hinaus, noch aufgespürt werden in jenem Louis Ferdinand, dessen genialisches Leben bei Saalfeld in jenem Augenblicke erlosch, wo auch für Preußen die Stunde des großen Aufbruches aus den Schlössern und den blitzenden Rokokosälen schlug.

Ich aber will den Dingen nicht vorgreifen und nur feststellen, daß der Einbruch des Stuart-Blutes wohl vereinzelte herrliche Blüten trieb, daß mit ihm aber, wie immer mit dem Ungewöhnlichen, diesen großen Häusern das Schicksal kommt. Ich glaube zu wissen, daß auch innerhalb der gleichen Rasse der blutmäßige Zusammenprall von zwei allzu verschiedenen Gefühls- und Lebenswelten schon schwanger geht mit dem Tantaliden, ich glaube sagen zu dürfen, daß dann im Sohn und im Enkel beide Elemente sich nicht immer mischen wollen und später aufeinander einstechen mit blutigen Dolchen. Und es steht in der Mitte die bejammernswerte Kreatur und muß sie auffangen, die von beiden Seiten kommenden Dolchstiche. –

Sieht man die deutschen Fürstenporträts, wie sie zwischen fünfzehnhundert und fünfzehnhundertundsechzig entstanden, so weiß man, daß diese behäbigen, lymphatischen, bierseligen Menschen von den Stuarts durch eine Welt getrennt waren. Die Stuarts passen mit ihren Gesichtern weit eher unter die Borgias und Mediceer, wo die Brandenburger, die Zähringer und vor allem die Wettiner schon physiognomisch ihre Bestimmung verraten, fern von Gift und Dolch, als brave Hausväter am Schlagfluß, jedenfalls aber in ihren Betten zu sterben.

Dieser Zusammenprall erfolgt erstmalig sechzehnhundertunddreizehn, als der Wittelsbacher Friedrich von der Pfalz Maria Stuarts Enkelin Elisabeth, Karl I. Schwester, heiratet und dieses Menschenpaar sich zusammenfindet zu des Großen Friedrich Ururgroßelternschaft. Wer in Gesichtern lesen kann, ahnt das Unheil – das ja gleichzeitig den Dreißigjährigen Krieg entfachte – schon in den beiderseitigen Porträts. Friedrich – das ist einer der schnell erblühten und vorzeitig sich verbrauchenden Kavaliere des deutschen Barocks, nicht unschön, aber wenig dauerhaft, nicht ohne die Merkmale des großen Hauses, aber eben ein wenig unmännlich, ein wenig weich, ein wenig ›ewiges Männchen‹ …

Elisabeth aber ähnelt der unglücklichen Stuart-Großmutter schon auf dem heute in der Weinbergschen Sammlung hängenden Bildnis, und diese Aehnlichkeit taucht beinahe gespenstisch wieder auf in jenem Porträt der Fünfzigerin, das Houthorst malte und das in der Londoner Nationalgalerie hängt. Elisabeth in ihrem Mädchenbildnis nimmt (unbeschadet jener Aehnlichkeit) beinahe den Typ des modernen Flappers voraus – was uns da anschaut, ist eiskalt, gemütlos, begehrlich und zynisch … ja, es ist im Keime schon der Typ, der heute im amerikanischen Frauenideal vergottet wird: jener Typ, vor dem die Männchen hörig werden und dem die wirklichen Männer mit jener Brutalität begegnen, nach dem dieser Frauentyp im Grunde verlangt. ›Meine Mutter‹, notiert fünfzig Jahre später in ihren Memoiren ihre Tochter Sophie, ›interessierte sich für ihre Hunde und Affen immer weit mehr als für ihre Kinder‹. So und nicht anders. Die Stuarts mit ihren von den Guise und Anjous übernommenen Blutwellen zeitigten wohl große Frauen, sie zeitigten nur keine Mütter, und eben sie waren mit dieser Ehe erstmalig eingebrochen in die hausbackenen deutschen Fürstengeschlechter. Es konnte kaum gut ausgehen damit. –

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Elisabeth Stuart
Die Winterkönigin

Die Ehe wurde in Deutschland von den Zeitgenossen beinahe als exotische Blutmischung aufgefaßt – heiratete heute der Herzog von Norfolk oder der Prinz von Wales eine Maharadschatochter, es würde nicht geringeres Aufsehen geben. Es beginnt mit einer Hochzeit, die den königlichen Schwiegervater in Whitehall 140 000 Pfund kostet, es beginnt mit einer üppigen Hochzeitsreise in buntem Prachtschiff auf dem Rhein und mit allen Huldigungen der kleinen, weinfrohen Städte und mit einem pompösen Maskenfest, das Heidelberg zum Empfange des Paares rüstet …

Aber es endet in tiefem Fall und in Reichsacht, es endet für Friedrich mit dem einsamen Tode in einem elenden Beisel und mit der versuchten Schändung seines Leichnams und mit einem unbekannten Grabe in der Fremde – es endet, wie wir sehen werden, für die verwöhnte Stuart-Tochter in Bettelarmut und im Bette eines Tuchhändlers. Die Katastrophe des Winterkönigtums am Weißen Berg ist ebenso bekannt wie die Kette jener ehrgeizigen Stuart-Intrigen, die den weichmütigen Friedrich ad majorem Stuartorum gloriam in dieses böhmische Abenteuer und in den ungleichen Kampf mit den Habsburgern getrieben hatte – weniger bekannt sind in ihren Einzelheiten alle die schaurigen Schicksalsschläge, die dieses Tantalidenpaar verfolgen. Als Tilly, der letzte Gotiker des Schlachtfeldes, am Weißen Berg die böhmischen Regimenter zerhaut, sitzt die Stuart-Tochter auf dem Hradschin beim Prunkmahl; als die fernen Kanonen das Tafelkristall klirren machen, hält man es für Trinkspruchsalut; als endlich das Gespenst der Katastrophe in den Festsaal gestampft kommt und Friedrich fliehen will, da faßt ein Graf Bubna den Gesalbten des Herrn am Kragen und schreit ihn, der nach einer tausendjährigen Krone greifen wollte, an: ›Hier bleibst du, König von Böhmen.‹

Denn wie gesagt, erst mit dem Schafott oder nach verlorener Schlacht zeigen Könige, ob sie auf Gedeih und Verderb Väter ihrer Völker und wirkliche Könige oder eben nur Kronenträger sind, und was diesen hier betraf – was war er anderes denn eine hübsche Marionette in der Hand einer ehrgeizigen Stuart-Prinzessin? Der Rest ist Reichsacht, Flucht und Unterschlupf bei nicht immer freundlichen Gastgebern, der Rest ist für Friedrich das Fortvegetieren eines frühe geknickten Baumes, in dessen kümmerlichen Stamm nun Blitz auf Blitz fährt. In Heidelberg, der Hauptstadt des Reichsächters, brennen und morden und notzüchtigen die Spanier; die berühmte, in vielen Generationen gesammelte Bibliothek wandert in vierhundert Kisten als kaiserliches Geschenk nach dem Vatikan – nie wird Friedrich Heidelberg und seines Geschlechtes festes Haus wiedersehen! Hinter der Flucht der beiden hohnlachen grimmige Karikaturen und Flugblätter, auf denen Friedrich bettelt und die stolze Stuart-Tochter als zerlumpte Landstreicherin den Kinderwagen schiebt, in Schlesien sind sie durch herbsttriefende Wälder geirrt, in Küstrin hausen sie in verfallenen Zimmern, auf deren verfaulten Dielen die Ratten Hochzeit halten, die ›Hofhaltung‹, die das Haus Oranien später im Haag den Flüchtlingen einräumt, ist ein wunderliches Gemisch von Zeremoniell und unbezahlten Metzgerrechnungen. ›Wir mußten uns‹, berichtet später die spitzzüngige Tochter Sophie, die Friedrichs Urgroßmutter werden sollte, ›wir mußten uns unzählige Male vor all den Hofdamen und unseren Lehrern verbeugen und setzten uns dann vor ziemlich leere Teller.‹

Die Liebe stirbt in der Dürftigkeit, die Erinnerungen an die verbuhlte Hochzeitsreise auf dem Rhein sind verblaßt – wie sollte es denn auch anders kommen mit einer kalten und ehrsüchtigen Frau, die von ihrem Manne den Erfolg und eine Kaiserkrone, nicht aber die Flucht und die Lächerlichkeit erwartet hatte? Wie alle Männer seines Schlages, begeht Friedrich den Narrenstreich, daß er selbst ahnungslos den späteren Seladon seiner Gattin gegen deren ursprüngliche Warnung und trotz dessen nicht gerade guten Rufes ins Haus zieht – Christian von Halberstadt, der ja nicht die erste Ehe stört, sieht auf dem Bilde von Delf nicht gerade so aus, als habe er, die Gunst der schönen Winterkönigin gewinnend, sich mit Halbheiten begnügt …

Die Liebe jedenfalls ist tot, sie ist unwiderruflich tot, als in einer Sturmnacht auf dem Meere mit dem verzweifelten Schrei ›Oh, sauvez moi donc, mon père‹ der älteste, noch im Heidelberger Glück empfangene Lieblingssohn Heinrich (genannt Hal) ertrinkt … im stillen scheint Elisabeth es dem Gatten nie vergeben zu haben, daß er es war, der aus jener schaurigen Nacht lebend heimkehrte. Die letzte Hoffnung Friedrichs aber verweht mit Gustav Adolfs Tode, er erkrankt in einer elenden Mainzer Herberge tödlich an der Ruhr. ›Seine Majestät‹, berichtet der Arzt Spina, ›drehte, als die Nachricht von der Lützener Schlacht eintraf, das Gesicht zur Wand und sagte jammernd, daß ihm nun die letzte Hoffnung genommen sei.‹ Delirien folgen, im Fieber ruft er nach dem ertrunkenen Hal; als es vorbei ist, berichtet der Arzt: ›Seine Majestät habe aus mangelndem Lebensmut den Geist aufzugeben geruht.‹

Gewiß, aus mangelndem Lebensmut, und dieser Mangel wird sich im entscheidenden Moment noch heute allenthalben einstellen, wo allzu schwache Hände nach den Hebeln der großen Geschichtsmaschinerie greifen. Das Verhängnis aber, das für Friedrich mit seiner Stuart-Heirat begann, hetzt auch den Toten noch weiter: nach der pfalzgräflichen Gruft in Heidelberg kann man den Leichnam nicht bringen, da in Heidelberg die Spanier ihn aus dem Sarge zerren würden, und so schafft man ihn zunächst nach der halbzerstörten Burg Frankenthal. Aber siehe, allzu schwer haben die Pfälzer am eigenen Leibe das böhmische Abenteuer ihres Herrn büßen müssen, sie bewerfen unter Gejohl den Sarg mit Roßäpfeln und mit Steinen, und man muß wohl befürchten, daß der Tote auch hier vor grausiger Schändung nicht sicher ist, und schafft ihn wieder fort. Aber auch jetzt begleitet johlender Mob den Sarg, eilends verfrachtet man ihn auf einen mit Schindmähren bespannten Bauernwagen. Gräßlich rumpeln auf gefrorenen Wegen die Räder, auf einsamer Straße fällt der Sarg in den Kot, hinterher berichtet der Fuhrmann, ›der allezeit im Leben zappelige Herr habe nicht stille liegen können in seiner Totenkiste‹.

Der zappelige Herr samt seiner Totenkiste wechselt bei den mannigfachen Bedrohungen durch die Kriegsfurie bis zum Friedensschluß seinen Standort noch mehrfach, die protestantischen Heerführer träumen zwar davon, diesen Sarg nach dem endgültigen Triumph ihren Regimentern vorantragen zu lassen beim siegreichen Einzug in die Wiener Hofburg, sie müssen ihn aber, als die Niederlage von Nördlingen diesen erträumten Einzug in eine etwas nebulose Ferne gerückt hat, an einen ganz anderen Ort retten …

In Feindesland. Nach Sedan, wo Friedrich einst Jugendtage erlebt hat. Dort aber verliert sich die Spur dieses ruhelosen Toten. Es ist nämlich zu bemerken, daß in Sedan heute keine kirchliche oder weltliche Behörde Auskunft zu geben weiß, wohin man seinerzeit den Leichnam geschafft hat: den ehemaligen Reichsfürsten, der auf Geheiß seines ehrgeizigen Weibes nach einer Königskrone gelangt und nach der tausendjährigen der deutschen Kaiser geschielt hatte.

Dies war der Fluch der Stuarts, und man muß nicht glauben, daß er vorübergegangen wäre an Elisabeth selbst und ihrer jungen Brut. Was die zwölf Kinder dieses Paares anbetrifft, so wird von ihrem Tantalidenlos bald die Rede sein. Was Elisabeth anbetrifft, so mag alles, was heute den Sinn für Form und Haltung verloren hat, sie ›menschlich‹ entschuldigen – wir wollen immerhin nicht vergessen, daß sie nicht nur Mensch, sondern sozusagen auch deutsche Reichsfürstin war und daß sie dieser Tatsache allerlei schuldete. Daß im ›königlichen Palast‹ an der ›Grote Vorhout‹ im Haag die Teppiche und Möbelüberzüge schäbig wurden und daß in den Vorzimmern die Lieferanten mit unbezahlten Rechnungen umkehren mußten, ist nicht ihre Schuld – peinlicher wirkt das Verhalten den Kindern gegenüber. ›Kaum war ich nach meiner Geburt so weit, daß ich fortgeschafft werden konnte, als die Königin, meine Mutter, mich nach Leyden schickte, wo Ihre Majestät alle ihre Kinder fern von sich erziehen ließ‹, berichtet die medisante Tochter Sophie und fügt dann die schon erwähnte Bemerkung über die Vorliebe ihrer Mutter für ihre Affen und Hunde hinzu. Es scheint aber, daß noch andere Passionen Ihrer Majestät bei diesem Abschaffen der Kinder eine Rolle spielten, und daß das alte Erbteil der Stuarts – ein tolles Amüsierbedürfnis und eine noch tollere Sinnlichkeit – durchbrachen. Die das Zweideutige zumindest streifende Episode mit Christian von Braunschweig habe ich schon erwähnt – im weiteren Verlaufe des großen Krieges beklagen sich nicht ganz wenige deutsche Fürstinnen darüber, daß ihre Söhne von der schönen Winterkönigin gleichsam verhext seien und ihr zuliebe sich als ihre rächenden Troubadoure mit dem Kaiser verfeindeten. Mit der Zeit sind es aber nicht immer Prinzen, sondern dunkle Kavaliere und anrüchige Abenteurer, die am ›Hofe‹ Ihrer Majestät auftauchen, und was bei ihrer Großmutter Maria Stuart große Sünde gewesen und schließlich gebüßt worden war durch das Ende, wirkt bei Elisabeth nur peinlich und haltlos. Peinlich, wie die Matronenbrunst bei Hamlets Mutter, und eine Hamlet-Episode gibt's denn auch an diesem Hofe, wenn sie auch nur eine einzige Leiche statt deren fünf niederstreckt. Der Franzose d'Epinay nämlich hat in Frankreich wegen unliebsamer Liebesgeschichten eine kurze Gastrolle in der Bastille absolviert, er ist dann nach Holland geflohen und Stallmeister am kuriosen Hof der Majestät von Böhmen geworden. Es mag von seiten der nun bald fünfzigjährigen Elisabeth nicht mehr als eine reichlich verspätete Koketterie, von seiten des Franzosen nur der snobistische Wunsch gewesen sein, in sein Journal d'amour auch eine Königin eintragen zu dürfen: in der Stadt aber tuschelt man, und den Kindern der alternden Mutter gehen seine allzu häufigen Besuche bei Elisabeth auf die Nerven. Und eines Tages sticht ihm Prinz Philipp, der vier Jahre später bei Réthel fallen wird, auf der Straße den Degen in die Brust.

Das ist ja nun ein Skandal, wie er in der Umgebung einer Stuart-Frau des öfteren vorgekommen war und wie er zu diesem Geschlecht nun einmal gehört. Peinlicher aber, für deutsche Augen wenigstens, ist Elisabeths Ende. 1660 ist sie – ein nach all den langen Irrfahrten naheliegender Schritt – nach England an den Hof des Neffen zurückgekehrt, der nun als Karl II. englischer König ist und die Leiche des vor zwei Jahren verstorbenen Cromwell hat ausgraben und an den Galgen hängen lassen. Und hier geschieht es, daß sie, die Sechzigjährige, noch einmal heiratet. William Carven, den an sich ehrenwerten und untadeligen Sohn eines reichen Tuchhändlers. Gott bewahre mich davor, in der Kritik dieser Ehe das Bürgertum oder einen Mann zu schmähen, der Elisabeth und den Stuarts allezeit treu und untadelig gedient hatte. Es handelt sich aber nicht darum, hier die eine Kaste gegen die andere auszuspielen, es handelt sich darum, auf etwas aufmerksam zu machen, was, gar bei einer alten Frau und gar innerhalb der strengen Barockwelt, eben eine Formlosigkeit war. Eine Landedelfrau durfte diese Ehe schließen, eine deutsche Reichsfürstin, die mit ihren Intrigen den Dreißigjährigen Krieg entfesselt hatte, durfte es nicht. Die Aufklärung und alles, was hinter ihr drein marschierte, hätte natürlich nicht gezögert, diese Heirat ›menschlich‹ zu verstehen, wo wir heute nur das ›Aus-dem-Leim-gehn‹ einer Matrone zu sehen vermögen. 1789 liegt hinter uns. Und das ›Menschsein‹ ist den Königen in der Zwischenzeit nicht eben gut bekommen. –

Es paßt durchaus zu der Frau, deren blutmäßiger Einbruch in eine erlauchte deutsche Dynastie viel Blut, viel Schicksal und den grauenhaftesten Krieg über Deutschland brachte. Es war eben das Erbe der Stuarts, das in der Gealterten sich noch einmal gemeldet hatte.


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