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Kronprinz – Kronprinzessin

Auf dem hier schon einmal erwähnten, den Hof Friedrichs I. darstellenden Bilde von Leygebe sieht man, ehe unter dem Rokoko erste acherontische Erdstöße diese bunte Welt erzittern lassen, das absolutistische Regime in seiner ganzen Pracht. König und Königin (denn von einer dritten Gemahlin Friedrichs wird hier sehr bald die Rede sein müssen) … sie sitzen vom Betrachter so weit entfernt, wie sie menschlich auch von ihren Zeitgenossen durch schier unüberbrückbare Räume getrennt waren: der graue Gegenwartsmensch, der heute dieses Bild betrachtet, darf das hohe Paar (eine pompöse Königin und einen schon etwas gebeugten und gleichsam leicht zerbrechlichen König!) nur aus weitem Abstand betrachten, durch einen schmalen Schlitz betrachten, den im Vordergrunde alle diese rauchenden und plaudernden Prinzen und Kavaliere, die servierenden Leibmohren und Kammertürken frei lassen. Der Raum mit seinen brennenden Kronleuchtern und seinen Atlastapeten ist hermetisch abgeschlossen gegen die Außenwelt, und hier, hinter den von Gardeschweizern und Leibhartschieren bewachten Pforten, hier ist sanftes Kerzenlicht und Heimlichkeit und Wärme, draußen aber ist der barbarische Winter 1709 und die Pest, die gegenwärtig Preußen und Litauen entvölkert. Draußen verarmt ein Volk, draußen warten mit unbezahlten Rechnungen die Lieferanten, draußen wartet mit fälligen Wechseln der Hofjude Liebmann. Da aber die Figuren dieses Buches doch nur im Zusammenhang mit ihrer Zeit zu verstehen sind, so sei hier festgestellt, daß unter dem Absolutismus die Erde eigentlich schon damals zu beben anhub, als Ludwigs XIV. Stern verblaßte und für Karl XII. die Serie der neun Unglücksjahre begann. Ganz gewiß läßt sich feststellen, daß die Gassenhauer und, wenigstens im 18. und im 19. Jahrhundert auch die Revolutionslieder von Westen nach Osten wandern und daß man sie bis zum Sturz der Mittelmächte 1918 in Paris immer ein paar Jahrzehnte früher als in Berlin und Wien singt …

Ich glaube aber doch, daß auch in Deutschland diese ganze bunte Welt der Rokokohöfe, die mit ihren allzu hohen finanziellen Ansprüchen die Staatsschiffe toplastig So nennt man ja wohl Schiffe, die unten zu wenig und oben zu schwer belastet sind und aus diesem Grunde zum Kentern neigen. machten, weit früher umgeblasen worden wäre, hätte der Absolutismus in der Aufeinanderfolge von Friedrich Wilhelm und Friedrich nicht noch einmal seine Blüte getrieben und sein Anrecht auf den ihm gebührenden geschichtlichen Platz erwiesen. Zwei Blüten, die allezeit Zweifel am westlerischen Dogma der alleinseligmachenden Demokratien hinterlassen werden. –

Ich glaube nun keineswegs, daß Friedrich I. liederlicher wirtschaftete als rundum seine Zeitgenossen. Sein glanzvoller Hof hat zudem das gar nicht genug zu schätzende Verdienst, daß er jene Legende Lügen straft, nach der mit dem Begriffe ›Preußen‹ in allen Zeiten das Rauhbeinige und Kommissige wäre verbunden gewesen. Während es doch damals ebenso wie später unter Friedrich und seinem Nachfolger und bis in das 19. Jahrhundert hinein seine Eleganz, seine Geistigkeit, seine weltmännische Geste und seine eigene Formenkultur gehabt hat.

Immerhin, es steht unter Friedrich zeitweilig verzweifelt um die preußische Wirtschaft, und wenn schon dieser gebefreudige Mann dankbar für die achttausend Taler ist, die nun, sicherlich nicht zu Sophie Dorotheens Freude, der Kronprinz an seiner eigenen Hofhaltung einspart und dem Vater zurückerstattet: ›so muß es gegen das Ende von Friedrichs Regierung wohl schlimm ausgesehn haben. In Berlin regiert, nicht immer zum Nachteil der eigenen Hosentaschen, das ›Ministerium der drei großen W.s‹ (Wartenberg, Wartenfels, Wittgenstein) … ›Spitzbuben und Hochstapeler‹, sagt Leopold, und der Kronprinz gibt ihm, was ihm einmal die Ungnade des Vaters eintragen wird, nicht unrecht. Sophie Dorothee, Maria Stuarts Ururenkelin, denkt nicht an Sparen. An ihren Tischen spielt man gern und hoch und hat zur Vorsicht neben den blitzenden Dukatentürmchen immer Kaffeebohnen liegen für den Fall, daß Friedrich Wilhelm unerwartet auf diesen Spielabenden erscheint. Ist das der Fall, so verschwinden die Dukaten, und man hat natürlich nur auf Kaffeebohnen gespielt, und es festigt den ehelichen Frieden keineswegs, daß der König Sophie Dorothee gelegentlich Schulden bezahlt, wie er sie ja vorher schon einer anderen Stuartenkelin, seiner verstorbenen Gattin Sophie Charlotte, gezahlt hat. Was den Kronprinzen anbetrifft, so will er immer nach dem niederländischen Kriegsschauplatz reisen, bestellt sich gelegentlich so barbarische Speisen wie Erbsbrei mit Pökelkamm, verschlingt zum Frühstück bisweilen hundert Austern, hat viel Zahnschmerzen, trinkt trotz Großmutter Sophiens Strafpredigten zuviel Kaffee, nennt in Leopolds ›Jargon‹ die bei Hofe aus- und eingehenden Wissenschaftler und Literaten brevi manu ›Blackscheißer‹, stellt dem gelehrten Leibniz die Aufgabe, er möge wenigstens die Geheimsprache der Trapistenklöster enträtseln, ärgert sich über die Theaterinteressen seiner jungen Gattin und darf dann im Herbst 1707 den kleinen ›Prinzen von Oranien‹ taufen …

Und zwar so nachhaltig und mit solchem Prunk, daß eben dieser Aufwand dem kleinen Manne in der Wiege nicht gut bekommt. Man hat ihn nämlich im Mantel des Schwarzen Adlerordens, mit Ordensschärpe und Goldkrone auf dem noch weichen Köpfchen zum Taufstein getragen, und als die königliche Artillerie zur Freudensalve ihre Stücke löst, erschrickt das Prinzlein so heftig, daß es Krämpfe bekommt und von diesen Krämpfen sich nicht mehr erholen kann und im Mai 1708 stirbt. Sophie Dorothee sieht den Todeskampf des ersten Kindes nicht – sie ist zur Stunde mit ihrem Gatten in Hannover, wo der Kronprinz sich Großmutters englisch-rohe Beefsteaks gut schmecken läßt. Der ›alte Mann‹, der König von Preußen ist und den nun wieder die Sorge um das Absterben seines Hauses peinigt, schreibt nach Hannover gereizte Briefe und beklagt sich, daß man dort dem Tode des Kindes zu geringe Anteilnahme schenke. Friedrich Wilhelm, der wieder einmal auf den Kriegsschauplatz reisen will, wird die väterliche Genehmigung verweigert.

Der Tod des kleinen Mannes, der sich so bald davongemacht hat aus seinem prinzlichen Leben, hat für die Mutter unabsehbare Folgen. Sie ist nach der Geburt dieses ersten Kindes außerordentlich mager geworden, die Gräfin Wittgenstein und die nach Sachsen-Zeitz verheiratete Schwester des Königs setzen das Gerücht in Umlauf, sie werde nie mehr wieder Kinder gebären. Sie ist zwar bereits, was sie eben nur noch nicht weiß, wieder schwanger, das Gerücht aber von ihrer Unfähigkeit, weitere Kinder zu gebären, wird von Vater und Sohn begierig aufgegriffen, und der König denkt nun an Wiedervermählung, der Kronprinz aber ernstlich an Scheidung. ›Sie sprechen‹, schreibt im Spätherbst 1708 die unglückliche junge Frau an ihren Gatten, ›von Trennung. Wann werden Sie endlich aufhören, mich zu quälen? Weswegen zeigen Sie mir Ihren ganzen Haß … tun mir ein Unrecht an, das vor Gott und der Welt gen Himmel schreit?‹ Es ist zu bemerken, daß dieser schlimme Hader zwischen den jungen Eheleuten ausgebrochen war, nachdem Leopold von Dessau sich vierzehn Tage in Berlin aufgehalten hatte. Es ist weiterhin zu bemerken, daß der Kronprinz nach Empfang eben dieses Briefes auf Reisen ging, ohne von Sophie Dorothee sich verabschiedet zu haben …

Dies alles ist nicht das einzige Ungemach, das heranzieht. Sie geht damals schwanger mit jener Tochter, die einmal als Wilhelmine von Bayreuth ziemlich viel von sich wird reden machen – sie weiß aber damals um ihren Zustand nicht, und so geht das Schicksal seinen Lauf: Friedrich, erster König von Preußen, heiratet aus Furcht vor der Unfruchtbarkeit der kronprinzlichen Ehe zum dritten Male.

Die Mecklenburgerin Sophie Louise, damals dreiundzwanzig Jahre alt, ist Preußens unbekannteste und unseligste Königin, sie hat die Krone nur fünf Jahre getragen und ist die einzige preußische Herrscherin, die nicht in Berlin ruht: einst mit Paukenkrach und dem Geschmetter silberner Heroldstrompeten begrüßt, ist sie nach des Königs Tode beinahe unbemerkt davongezogen, und als sie zwanzig Jahre nach diesem Aufbruch in Schwerin stirbt, da nimmt Berlin von ihrem Tode überhaupt keine Notiz und ordnet nicht einmal jene Hoftrauer an, die doch der Herzogin von Ahlden nicht versagt blieb …

Schicksal zieht auf über dem gestern noch so fröhlichen Hof, und jeder ahnt, daß es nicht gut ausgehen kann mit dieser Ehe: diese Braut, gleichsam stigmatisiert von streitbarem Luthertum, kommt an den reformierten und von Sophie Charlottens Zeiten her auch noch etwas freigeistelnden Hof mit festen Bekehrungsabsichten, sie führt in ihrem Gepäck außer dem ältlichen und frommen, früher aber keineswegs frommen Fräulein von Grävenitz noch den ebenso bigotten Pastor Porst mit sich … sie selbst ist unbedeutend und provinziell und fällt, als Friedrich sie in Oranienburg erwartet, unter dem Kichern des Hofstaates vor ihm auf die Knie und setzt sofort nach der im Spätherbst 1708 gefeierten Hochzeit das Berliner Schloß sozusagen unter eine Stauflut von Bibelsprüchen, quält den an das geistvolle Geplauder seiner zweiten Gattin gewöhnten König mit theologischen Disputationen und Bekehrungsversuchen, verärgert auch die Berliner durch die von ihr erwirkte königliche Ordonnanz über Sonntagsentheiligung: fortan also werden an Sonntagen die Stadttore von acht Uhr früh bis nachmittags um fünf Uhr geschlossen gehalten, verboten ist jeder sonntägliche Spaziergang und jede Spazierfahrt; Fluchen und leichtfertige Redensarten werden mit Gefängnis bestraft.

Es ist nun selbstverständlich, daß mit dieser unglückseligen Eheschließung des Königs zunächst Sophie Dorotheens Rolle als bisherige erste Frau des Hofes ausgespielt war und daß sie den Wechsel der Dinge schmerzlich zu spüren bekam. Wenige Stunden vor der Trauung soll sie ihrem Gatten, dieser aber seinem königlichen Vater Mitteilung von ihrer neuen Schwangerschaft gemacht haben … Friedrich, der zu wissen schien, wes Geistes Kind die Schweriner Braut war, soll getobt und schließlich eingesehen haben, daß er jetzt seine dritte Heirat wirklich nicht mehr rückgängig machen konnte …

Inzwischen kommt es mit dieser Ehe so, wie es wohl hat kommen müssen. Die fromme (und früher keineswegs fromme!) Grävenitz geht dem König dermaßen auf die Nerven, daß sie freundlichst um sofortige Rückkehr nach Schwerin gebeten wird, es gibt, als der König feststellt, daß sie nicht abreist, sondern in Berlin bleibt und durch eine Hinterpforte nach wie vor das Schloß betritt, heftige Szenen zwischen den königlichen Eheleuten. Die Königin will ihren Gatten durchaus zum Luthertum bekehren, sie kündigt ihm, als er halsstarrig bleibt, die ewige Verdammnis an und schließt sich grollend in ihre Zimmer ein, der preußische Hof mag, zumal bei der zunehmenden Verwirrung seiner Finanzen, keine Idylle gewesen sein in jenen Monaten. Zwischen Vater und Sohn entsteht Mißstimmung, weil der Sohn gegen die üble Wirtschaft der ›drei großen W.s‹ zu protestieren beginnt, der König kränkelt, Karlsbad will nicht helfen, der Sohn, mißtrauisch und verbittert über die entgleitende Gunst des Vaters, setzt endlich eine neue Reise zum Kriegsschauplatz durch und läßt seine Frau in ihrer schweren Stunde allein: im Hochsommer 1709 wird Wilhelmine, die spätere Markgräfin, geboren, nach eigenem Eingeständnis (weil man doch einen Sohn erwartete!) ›höchst ungnädig empfangen‹ und gleichwohl mit einem schier unfaßlichen Aufwand getauft: ein hessischer Hofpoet entblödet sich nicht, ihr Erscheinen in einem Taufcarmen mit der Geburt des Heilands zu vergleichen. Die Kronprinzessin dankt ihrem abwesenden Manne in einem etwas kläglich anmutenden Briefe, ›daß er auf die Enttäuschung so gnädig reagiert habe …‹ Sieben Monate später ist sie, nach seiner Rückkehr, zum dritten Male schwanger, und ein Spanier, der sie gesehen hat und dann bei Großmutter Sophie gewesen ist, prophezeit einen Sohn, Friedrich hört es und schreibt nach Hannover einen weinerlichen Brief, in dem er solche Prophezeiungen sich verbittet, da nur Gott diese Dinge wissen könne. Inzwischen drängen die Gläubiger, der Graf Wartenberg besteuert, ohne dem ständigen Geldmangel doch abhelfen zu können, die Perücken, die Hosen, die Strümpfe, die Schnallenschuhe, die Roquelors und sogar Ohrhänger und Trauringe, seine Frau trägt mit ihrer unbeschreiblichen Arroganz nicht dazu bei, ihren Gatten, seine Steuern und sein ganzes Ministerium populärer zu machen und den Frieden am Berliner Hofe zu festigen …

Diese nunmehrige ›Mätresse en titre‹, der für eine Mätressenwirtschaft nicht mehr sehr in Betracht kommenden Majestät von Preußen, ist die Tochter eines Weinwirtes aus Cleve, hat in erster Ehe den Kammerdiener Bidekap geheiratet, hat sich schon als dessen Frau der Gunst des Grafen Wartenberg erfreut und ist nach dem Tode des ersten Mannes des Grafen Frau geworden …

Gleichsam ›bemutternd‹ hat sie sich nach Sophie Charlottens Tode des verwaisten Königs angenommen und maßt sich, nun der Hof eine neue Königin und eine junge Kronprinzessin hat, eine Stellung an, in der sie unmittelbar hinter der Kronprinzessin bei Hofe rangiert. Solche Rangstreitigkeiten gab es nun tagtäglich, sie machten vor der regierenden Königin, deren Lächerlichkeit und Wehrlosigkeit die Wartenberg natürlich sofort durchschaute, keineswegs halt, und bei der Taufe Wilhelmines kommt es zwischen ihr und einer Hofdame gar zu einem Streit, der in Tätlichkeiten auszuarten droht, und den Gipfel der Unverschämtheit erreicht sie, als sie den ihr bei der Königin servierten Kaffee als zu schlecht befindet und sich eigenen nachkommen läßt, und als sie endlich einer Herzogin von Holstein-Beck (denn auch solch einen Staat hat es damals gegeben) ihren Vortritt bei Hofe für bare zehntausend Taler abkauft …

Es sind dunkle Jahre für die junge Ehe, und erschütternde Briefe der Kronprinzessin geben Zeugnis von den Gewittern, die sich ständig über ihr zusammenballten, um die ständige schlechte Laune ihres Gatten und seine höllische Eifersucht …

›Sie verharren also bei Ihrer Ansicht, daß ich nicht gern mit Ihnen lebe, und was habe ich denn eigentlich getan, um Ihnen Anlaß zu solchem Glauben zu geben? Ich liebe Sie doch und tue mein Möglichstes, Ihnen das fühlbar zu machen – eine Liebe, die Ihre bösartigen Hirngespinste überdauern wird. Ich gebe Ihnen doch wahrhaftig keinen Anlaß zu solchen Marotten, und ich danke Gott, daß ich mir nichts vorzuwerfen habe … es sei denn, daß ich Sie allzu sehr liebe …‹

Und Se. Kgl. Hoheit ist, in furchtbarer Laune, wieder einmal abgereist, ohne sich nach einer erregten Szene von seiner Gattin verabschiedet zu haben …

›Daß Sie sich auf den Weg machen würden, ohne mich gesehen zu haben, hatte ich wohl nicht erwartet, und gestehe nun, daß es mich tief kränkt und daß ich nicht weiß, weswegen Sie mir zürnen. Ist es denn wirklich so, daß Sie immer etwas gegen mich haben müssen und daß ich nie auf Ihre Liebe zählen darf? Vergegenwärtigen Sie sich doch einmal den Zustand, in dem Sie mich zurückgelassen haben … ich selbst rede davon nicht, da Sie ja an meinen Lebensumständen doch nicht Teil nehmen. In keinem Falle ahnen Sie, was Sie mir antaten, als Sie so abreisten … ach, könnten wir doch zusammen leben und Sie endlich Ihr Schmollen lassen …‹

.

König Friedrich I. und seine dritte Gattin
(Ausschnitt aus dem Leygebeschen Bild)

Und weiter …

›Ja, Ihren Brief habe ich erhalten. Und sehe, daß Sie mich, da Sie ja ständig von Scheidung reden, nicht mehr lieben – Sie sollen trotzdem wissen, daß ich Sie niemals verlassen werde. Ich liebe Sie trotz Ihrer Gepflogenheiten … ich liebe Sie viel zu sehr, ich bin überzeugt, daß Sie Ihr Benehmen einmal bitter bereuen werden. Werden Sie denn mir gegenüber niemals Ihre Pflicht kennen? Wohin sind Ihre Versprechungen, nie anders gegen mich zu sein? Ach, und ich muß glauben, Sie haben nun eine ausgesprochene Antipathie gegen mich, und ich wünsche nur, daß wir wieder wie einst zusammen leben …‹

Manches klingt nachgerade so, als beklage die Prinzessin sich über einen Seitensprung ihres Gatten, und wer den Memoiren der Wilhelmine von Bayreuth mehr Glauben schenkt, als sie stellenweise Ich will hier nicht untersuchen, wieweit heute noch die bekannte Plakette ›Lieblingsschwester Friedrichs des Großen‹ widerspruchslos hingenommen werden kann. Ich gestehe aber, daß in diesen Memoiren schon die schier endlose Folge von Szenen eines unschuldig erlittenen Martyriums, von Ohnmachtsanfällen und ›beinahe‹ tödlich verlaufenen Unfällen und Erkrankungen nachdenklich stimmen sollte. ›Ich hatte so entsetzliche Kopfschmerzen, daß mich durch mehrere Tage (!) sechs Männer (!) halten mußten, um zu verhindern, daß ich mich tötete.‹ Oder: ›Der Hof hungerte damals so, daß ich völlig von Kräften kam und daß mich Personen, die mich durch längere Zeit nicht mehr gesehen hatten, nicht mehr erkannten.‹ Oder: ›Den Kopf über die Schultern der Sonsfeld geneigt, überhäufte mich der König mit Beschimpfungen, indem er mich an der Coiffure zu ergreifen suchte. Ich kauerte in der Nähe des Kamines und brannte beinahe an … Die Szene hätte beinahe ein tragisches Ende genommen, denn meine Kleider fingen bereits Feuer.‹ Der mit den Symptomen der Hysterie Vertraute wird hier nur selten Szenen aufspüren, in denen das ›Tragische‹ nicht ›beinahe‹ gestreift wurde … Szenen, die nicht beinahe mit dem Tode oder dem bleibenden Siechtum der Verfasserin geendet wären.
Die Memoiren sind fraglos eine wichtige Quelle, zumal über die Katastrophe von 1730, wir wollen aber doch an einem Beispiel erweisen, wieviel Vorsicht bei ihrer Lektüre am Platze ist. Gleich in den ersten Kapiteln spricht nämlich die Verfasserin von einer schweren Erkrankung (Nierenkolik) des Königs, die er in Brandenburg im Jahre 1717 überstanden hätte. Der König habe zu sterben vermeint, die Königin herbeigerufen und ein Testament gemacht, um dessen Unterschrift sich nun am Krankenbette zwischen dem anwesenden Leopold von Dessau und der Königin eine tolle Szene entspinnt. Ich stelle fest: der König ist im Jahre 1717 überhaupt nicht krank gewesen, die Verfasserin verwechselt dieses Jahr mit dem Jahre 1718, in dessen Mai der König in Brandenburg allerdings einige Tage unpässlich war und – die Windpocken zu absolvieren hatte. Ein Testament aber, wie es von Wilhelmine beschrieben wird, existierte mit all den hier in Betracht kommenden Bestimmungen bereits seit 1715, und es ist nicht recht einzusehen, weswegen es durchaus noch ein zweites Mal gemacht werden mußte. Leopold von Dessau aber …
Der ist bei der Erkrankung des Königs überhaupt nicht zugegen gewesen, sondern hat, wie wir heute genau wissen, in der fraglichen Zeit friedlich in Dessau gesessen und als Reichsfürst Urkunden über das Feuerlöschwesen und über Zuchtstiere unterzeichnet …
Dies zur flüchtigen Kritik der besonders durch Frauenmund so laut gerühmten Memoiren. Als persönliches Dokument behalten sie ihren absoluten, als Quelle ihren bedingten Wert. Man wird eben nur dort aufmerksam und vorsichtig werden müssen, wo mit der Verfasserin ihre Vorliebe für allzu dramatische Schilderungen und besonders für Szenen durchgeht, in denen sie selbst die Leidende und unschuldig Verfolgte war …
verdienen, mag Aehnliches annehmen. Der Kronprinz aber korrespondiert zur gleichen Zeit seelenruhig mit Leopold von Anhalt über die Belagerung von Aire, über das Dragonerregiment Wittgenstein, über den heuer schlechten, aus Preußen und Pommern kommenden Rekrutenersatz, und macht jedenfalls nicht den Eindruck des auf Abwegen wandelnden Suitiers, und dürfte nur wieder einmal von seiner Eifersucht und der für ihn so typischen Vorstellung, es liebe ihn niemand, überrannt worden sein. Wie das übrigens auch aus dem folgenden Briefe hervorgeht, den die Kronprinzessin schreibt, sowie bei Friedrich Wilhelm der erste Paroxysmus abgeklungen und offensichtlich so etwas wie Beschämung über ihn gekommen ist …

›Mit Freuden habe ich Ihren Brief erhalten … mit Freuden, da Sie ja endlich ein wenig abgekommen sind von Ihren Einbildungen. Ich hoffe nun, Sie kehren zurück und erkennen das Unrecht an, das Sie mir seit dem ersten Tage unserer Ehe antun … Immer sagen Sie, es gäbe Menschen, die Sie bei mir angeschwärzt haben. Kennen Sie aber solche Menschen, so benennen Sie sie mir endlich und lassen Sie sie in meiner Gegenwart die Wahrheit ihrer Behauptungen beschwören …‹

Und am folgenden Tage: ›Ich bin entzückt, daß Sie mit den gegen mich gehegten Gefühlen aufgeräumt haben. Ich weiß, Sie bereuen den Kummer, den Sie mir in einer Zeit Die Kronprinzessin war erneut in gesegneten Umständen. angetan haben, wo Sie mich mit derlei wohl hätten verschonen müssen. Von den Kindern schreibe ich Ihnen nichts – es scheint ja sowieso, daß sie Ihnen nicht weiter am Herzen liegen …‹

Das ist immer der gleiche Dämon, der ihn heimsucht und immer die gleiche Bestätigung für das oben über Friedrich Wilhelm Gesagte: irgendeine harmlose Kleinigkeit beschwört bei ihm alle die Geister der Schwermut und des Kleinheitswahns, er fühlt sich hintergangen, verraten, verachtet und ungeliebt, er kränkt und verwundet im ›Anfall‹ seine ganze Umgebung, um nach Abklingen des Paroxysmus in Reue und weichmütiger Einsicht zu versinken. Wir werden dieser Fieberkurve noch des öfteren begegnen und müssen hier als Entschuldigung anführen, daß die Umstände des verfallenden Berliner Hofes den Thronerben wirklich gallensüchtig machen konnten. Aeußerlich scheint alles noch im gewohnten Gleis zu verlaufen, und die Briefe, die Sophie Dorothee ihrem Gatten auf den Kriegsschauplatz geschrieben hat, verraten nichts von den Auflösungserscheinungen: Sie ›speist also bei der Königin, wo es entsetzlich langweilig ist‹, als hinterher der König kommt, spricht man über religiöse Fragen, die Königin äußert, Sophie Dorothee habe überhaupt keine Religion. Als der galante König seine Schwiegertochter verteidigt, bricht die Königin in Tränen aus …

Im übrigen hat sie endlich von ihren Pastoren die Erlaubnis erwirkt, dem Könige bei seinem Tabakskolleg (denn auch Friedrich hatte eines!) die (nach orthodoxpietistischen Begriffen sündhafte!) Pfeife zu stopfen, schließlich beginnt sie selbst zu rauchen. Die Spannungen zwischen dem Königspaar wachsen tagtäglich: als die Grävenitz trotz der Verbannung insgeheim in Berlin geblieben ist, fällt aus Friedrichs Munde das böse Wort, man werde die Königin selbst nach Schwerin zurückschicken, wenn sie ungehorsam sei. Die ›froideur‹ zwischen den Majestäten wächst seither, der Hof spricht von Scheidung. Der kleine Knabe, den Sophie Dorothee am 16. August geboren hat, macht sich ebenso rasch davon, wie sein verstorbenes Brüderchen … auch auf diesem Köpfchen zeitigt die schwere Taufkrone eine blaue Beule, und daß daraufhin die Ordre ergeht, es sei bei künftigen Taufen die Krone fortzulassen, hilft nicht mehr: in knapp einem Jahr erlischt auch dieses allzu zarte Leben, wiederum droht der Berliner Zollernstamm abzusterben …

Im Dezember 1710 stürzt – die Unterschlagungen Wittgensteins bringen die Lawine endlich ins Rollen – das Ministerium der ›drei großen W.s‹. Wittgenstein, der als Verwalter der königlichen Feuerkasse die für die niedergebrannte Stadt Crossen bestimmten Gelder veruntreut hat, wird bei seiner Verhaftung vom Berliner Pöbel mit gefrorenen Roßäpfeln beworfen, Wartenberg mit seiner Gastwirtstochter (die hinterher in Paris in allertiefster Verkommenheit endet) wird nach seinem Gute Woltersdorf verbannt. Des Königs Vorliebe für die Wartenbergs erlischt mit diesem Ereignis keineswegs. Er fühlt wohl, daß mit dem Verschwinden dieses Mannes endgültig die Erinnerung an die fröhlichen und leichtsinnigen Zeiten seines Hofes begraben sind, er bricht bei Wartenbergs Abschiedsaudienz schluchzend zusammen – seinem Sohne Friedrich Wilhelm, der durch die Aufdeckung von Wittgensteins Unterschlagungen den Stein ins Rollen gebracht hat, vergibt er diesen Eingriff niemals. In Woltersdorf renommiert die Wartenberg mit den Briefen, die der König unentwegt ihrem Gatten schreibt, den König selbst sieht man häufig schluchzen und in seinem Lehnstuhl apathisch vor sich hinstarren …

Der Hof, wie gesagt, zerbröckelt. Bei der Königin zeigen sich die Vorboten des lange erwarteten Wahnsinnes: die Kammerfrauen sehen sie nachts über die Galerien des Schlosses laufen, ihre Damen müssen jäh hervorbrechende Tobsuchtsanfälle mit Körpergewalt brechen, Europa beginnt zu tuscheln, und in Hannover schreibt Sophie diesen Brief …

›Der Kurfürst weiß da ein Heilmittel. Man muß einem Hengst, den man vorher warmgeritten hat, am linken Ohr Blut abzapfen, Tuchstückchen in das Pferdeblut tunken und diese Tuchstückchen dem Gemütskranken in das Getränke tun, der nichts anderes trinken darf, als was auf diesem blutgetränkten Tuchstückchen bleibt. Dieses Mittel soll mehreren Personen geholfen haben, die durch Zufälle verrückt geworden sind. Aber dem Hörensagen nach hat der Pietismus schon immer ein wenig das Hirn verwirrt, und unter allen Wundern Christi ist keines, daß er einen Narren weise gemacht hätte …‹

Also Sophie. Allzuviel scheint das probate Mittel nicht geholfen zu haben. Ende Januar 1713 – ein Jahr vorher ist Friedrich geboren und trotz aller üblen Erfahrungen mit dem gleichen Pomp und unter der gleichen Krone wie seine toten Brüder getauft worden – Ende Januar 1713 also begibt es sich, daß in einem ihrer Anfälle die Königin im Nachthemd gegen eine Glastür anrennt, jammervoll sich die nackten Arme zerschneidet und so, mit zerzaustem Haar und in blutbefleckten Hüllen, vor dem König erscheint, der in seinem Sessel am Kaminfeuer ein wenig eingenickt ist …

Der König fährt auf, hält im Halbdunkel diese weißbehemdete und blutige Gestalt für die ›Weiße Frau‹, verfällt trotz aller Beruhigungsversuche in ein heftiges Fieber, das wohl nichts anderes als eine bösartige Lungenentzündung gewesen sein mag und zu seinem Tode führte. Dies aber wird naturgemäß für Sophie Louise das Ende ihrer Berliner Tage. Man schickt sie bald nach Friedrichs Tode an den ärmlichen Schweriner Hof zurück, und die einzige Spur, die sie noch hinterläßt, ist in den Grabower Gerichtsakten eine Notiz, ›daß Ihre Majestät nach wie vor außer Stande sei, ihre Angelegenheiten selbst zu besorgen‹. Sie stirbt 1735 nahezu unbemerkt. Kein Mensch nimmt in Berlin Notiz von ihrem Hinscheiden.

Für Sophie Dorothee ist der Sturz des Kabinettes Wartenberg, der ja alle diese Dinge gewissermaßen eingeleitet hat, nur insofern eine Erleichterung, als nun vom Hofe die gefährlichste Intrigantin verschwunden ist und ihr außerdem nun bald das einst für Sophie Charlotte erbaute, lange aber von der Wartenberg bewohnte Schloß Monbijou zufallen wird. Auf der anderen Seite hat auf beiden Ehegatten seit dem Sturze Wartenbergs fühlbar die schlechte Laune und gar die Ungnade des vergrämten Königs gelastet. Friedrich Wilhelms weiches und im allertiefsten Grunde auch zärtliches Gemüt hat schwer unter diesen mißlichen Umständen gelitten. ›Es mag‹, hat er seinerzeit an Leopold von Dessau geschrieben, ›gehn, wie es will, wenn nur nicht hier werre und müßte alle chelmereien nur nicht mit ansehn, so werre zufrieden. Sie müssen wiesen, daß ich baldt nichts mehr werde zu sagen haben … es ist zum melankolisch werden.‹

So hat in seiner etwas individuellen Rechtschreibung der Kronprinz geschrieben und hatte doch mit seinem Eingriff in Friedrichs Staatsführung so recht wie möglich gehabt: noch nach Monaten fing man in Westfalen Geldtransporte ab, die Wittgensteins gestohlene Vermögenswerte verschleppten, bei Sophie meldeten sich noch durch viele Wochen preußische Beamte, die neuen Unterschleifen auf die Spur gekommen waren und sich scheuten, dem kranken Könige zu berichten.

Ueber Berlin geht mit Friedrichs Tode früher als über anderen Höfen Europas jene Sonne unter, die alle die Farbenspiele und die Anmut und die Sünden und die verbuhlten Niedlichkeiten des ausgehenden Barock beschienen hat – deutlich hebt sich schon in Friedrichs letzten Regierungsjahren eine andere, eine graue und weniger freudvolle Welt ab. In Monbijou, das heute im grauen Schwall der Mietkasernen und in den schweißigen Schwaden des Berliner Nordens ertrinkt, wird es noch die Empfänge und die Kammermusikabende einer schönen Frau geben, August von Sachsen wird nach wie vor ihr seine Violinvirtuosen und Flötisten schicken, Monbijou wird alle sammeln, die sich gegen Friedrich Wilhelms barbarische Größe auflehnen, und es wird siebzehn Jahre später mitten in einem seiner Feste das blutige Gespenst der Staatskatastrophe auftauchen sehen …

Die Illusionen der Brauttage aber, die Träume in den ›Märchenschlössern‹ sind mit Friedrichs Tode für Sophie Dorothee unwiderruflich zu Ende. Und was da begann, war zunächst Fronde der Gedemütigten, Auflehnung der Unterdrückten, verwegenes Spiel einer stolzen Frau um ihre Kinder.

Der, der zur Zeit noch in der Wiege lag und noch den Segen des sterbenden Großvaters empfangen hat, sollte ja so werden, daß um seiner Größe willen schon vorher die Menschenherzen haderten und bluteten.


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