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Friedrich, erster König von Preußen, sieht im Tode von seinem ›Castrum doloris‹ aus noch einmal jene prunkvolle Welt, in der er gelebt: jeder Minister (denn die neue Majestät weiß den Gedanken an die Hoftrauer mit dem an die Textilindustrie zu verbinden) … jeder Minister also muß mindestens zwei seiner Zimmer mit schwarzem Tuch ausschlagen lassen, keiner darf anders denn in schwarz überzogener Kutsche mit schwarz umflortem Wappen ausfahren, jeder Hofbeamte, vom Marschall abwärts bis zu den Mundköchen, Campagneköchen, Ritterköchen, Topfknechten, Hühnermästern und bis zu den Castraten des königlichen Singchores, hat sich nun schwarz zu tragen, und ›es soll, bis Se. Majestät begraben ist, auch Niemand sich unterstehn, sich zu entfernen‹. Der Leichnam aber (die eingesunkenen Augen durch große Diamanten aus dem Kronschatz markiert) ruht im purpursamtenen und juwelenbesetzten Krönungsrock nebst Reichsapfel, Reichsschwert, Reichshelm, Krone und Schwarzadlerkette volle neun Tage in violettsamten ausgeschlagener Paradekammer, wird dann in einem Gewande von drap d'or noch bis zum 9. Mai in der Schloßkapelle ausgestellt, am genannten Tage aber mit einem Kondukt von beinahe zwölftausend Mann bis zum Dom getragen. Zum letzten Male trägt Friedrich Wilhelm an diesem Tage die große und so kostspielige Perücke der alten Hoftracht, Sophie Dorothee zum letzten Male jenes schwarzsamtene Renaissancegewand, das an die Tage Philipp II. gemahnt und auch ihre Ahnin Maria in Fotheringhay aufs Schafott begleitet hat. Der fünfundzwanzigjährige nunmehrige König aber sprengt nach erfolgter Beisetzung zum Schloß, zieht sich den höfischen Staat aus, legt Uniform an und kommandiert den auf dem Schloßplatz aufmarschierten zehn Regimentern eine dreimalige Trauersalve und ist nach diesem Donnerkrach endgültig fertig mit der alten Zeit. –
Ginge es nun aber nach der bekannten preußischen Legende, ginge es gar nach den Memoiren der Markgräfin, so hätte fortan am Berliner Hof jene Zeit angehoben, wo man von der königlichen Tafel hungrig aufstand, wo das gepökelte Fleisch die französische Küche, die Fagottkonzerte des Regimentskapellmeisters Pepusch die italienische Oper Friedrichs, der Hofnarr Faßmann den Philosophen Leibniz ersetzte und das geistige Niveau bei Hofe durch säuerliche Pastoren des hallischen Pietismus bestimmt wurde. Da zumal die Markgräfin sich nicht genug tun kann in diesen Schilderungen, da nach diesen Schilderungen die Gäste von Wusterhausen ›bei schlechtem Wetter bis zu den Waden im Wasser sitzen mußten‹, da der Geiz des Königs nachgerade zum preußischen Dogma geworden ist und da dies alles ja tief in Sophie Dorotheens Leben eingreifen mußte, so mag es wohl angezeigt sein, diesen Dingen auf den Grund zu gehen. Um so mehr, als man versucht sein mag, die Konflikte zwischen den Gatten in ihren Wurzeln dort zu suchen, wo der legendäre Geiz des Königs mit den Ansprüchen einer verwöhnten ›Westlerin‹ hart zusammenprallen mußte.
Es ist zunächst richtig, daß Friedrich I. Hofhaltung mit 314 000 Talern ›regulären Etats‹ (ohne Geschenke, Feste und Sonderausgaben) genau ein Fünftel der Kameraleinnahmen verschlang, daß daneben aber noch solche im ›regulären Etat‹ nicht enthaltenen Kleinigkeiten wie eine Austernrechnung von 40 000-60 000 Talern im Jahr zu bestreiten waren, daß diese Wirtschaft sich nun einmal nicht fortsetzen ließ, daß bis auf weiteres über 100 000 Taler Schuldzinsen im Jahr aufzubringen waren, daß also zunächst grausam gespart werden mußte. Wie das denn auch die alte Sophie in ihren allerletzten Briefen an Sophie Dorothee immer wieder begütigend in Erinnerung gebracht hat.
Was aber bleibt eigentlich, betrachtet man die Dinge in der Nähe, von der roh gedeckten und ›nur mit zwei bürgerlichen Gerichten‹ in ungenügender Menge besetzten Tafel? Was die von Wusterhausen angeht, so hat der im Jahre 1728 für sieben Tage bei Hofe als Gast weilende Hallesche Professor Freylinghausen sie ›unter grünen Bäumen in einem lustigen und bunten Seidenzelt‹ nicht gar so trostlos geschildert. Faßmann berichtet, daß sie allezeit mit Tafelsilber und reichem Blumenschmuck versehen gewesen sei und gibt als gewöhnliche Speisenfolge an: eine Suppe von Kalbfleisch, Huhn oder Kapaun, dann ein Chateauxbriand von Rindfleisch, Schinken, geräucherte Gans mit Kohl und Würsten, dann eine Schüssel Lachs, Karpfen oder Hecht, dann eine Pastete, dann ein Ragout mit Spargeln oder sonstigem Gemüse, dann Salate, Butter und Käse und Früchte. Als häufige Beigabe: Rebhühner, Austern, Krammetsvögel, Wildenten. Dazu stets ein erlesener Rheinwein (der Kellermeister reist jedes Jahr ins Reich, um die allerbesten Ernten zu kaufen). Dazu für Liebhaber ein leichter Südwein oder Ungar, wohl auch eines der schweren niederdeutschen Biere. Man hat eigentlich ja wohl den Eindruck, daß es zum Sattessen nachgerade langte und daß es an Hunger nur dann denken läßt, wenn man von den Ansprüchen jenes Heinrich VIII. von England ausgeht, der zu seiner Sättigung (der König allein, zum Abendessen) außer Brühen, Pasteten, Ragouts einen halben Kalbsrücken, einen Hammelrücken, eine komplette Hirschlende, einen sechspfündigen Fisch, etliche Hühner und Kapaunen, sechs Pfund Brot und ›zur Stärkung Se. Majestät‹ (!) eine Kanne Dickbier benötigte. Was den Ton bei Tische angeht, so gibt Freylinghausen an, der König habe allseitig gescherzt, gegen Ende der Tafel ›dem anderen Prinzen‹ (es dürfte sich um August Wilhelm gehandelt haben) gedroht, er werde ihm, dem fünfjährigen Kinde, mit dem großen Brotmesser die Finger abschneiden, das Kind habe seine Arme um den König geschlungen und bei dieser Gelegenheit den Vater gebeten, ›er möge doch den letzthin gefangenen Deserteur nicht hängen lassen‹. Was der Prinz, wie sich später herausgestellt hat, auf Geheiß seiner Mutter vom Könige erbittet und was dieser nach einigem Zögern denn auch gewährt.
So verhält es sich mit den ›dürftig bestellten‹ Tafeln eines notorischen Wüterichs, und ich benütze diese Gelegenheit, um noch weitere Legenden zu zerstören. Es kann nämlich auch keine Rede davon sein, daß Friedrich Wilhelm im engeren Sinne amusisch oder geizig gewesen wäre. Augenzeugen berichten, daß er sich – freilich von seinen Regimentsmusikern – stundenlang Händelsche Musik vorspielen ließ, daß er dann mit geschlossen Augen, die Opern ›Sinoe‹ und ›Alessandro‹ bevorzugend, zuhörte; wir wissen ferner, daß er auf den Einspruch Hallescher Theologieprofessoren gegen das Auftreten einer italienischen Komödientruppe den sarkastischen Bescheid erteilt hat, ›die Leute seien vordem in Utrecht und Leyden aufgetreten, ohne daß die genannten Universitäten deswegen aufgehört hätten, die ersten der Welt zu sein‹. Was aber den legendären Geiz des Königs anbetrifft, so ist festzustellen, daß der Aufwand bei den Hochzeiten der königlichen Töchter, die zahllosen massiv goldenen Geräte in den Zimmern der Königin, die vorhandenen Abrechnungen über die Weihnachtsgeschenke, die massiv silbernen, elf Zentner schweren Tische im Berliner Schloß, die massiv silbernen, vom Könige geschenkten Spiegel im Bayreuther und Ansbacher Schloß weit eher von der allzu massiven Gebefreudigkeit eines Barbaren zeugen, der derlei sich leisten konnte. Im übrigen muß Sophie Dorothee, mindestens seit etwa 1720, über reiche Mittel verfügt haben, da Monbijou unter ihren Händen ein Schmuckkasten wird, da sie glanzvolle Empfänge und Kammermusikabende gibt, da sie eigentlich, wie aus ihren späteren Briefen hervorgeht, ihre besondere Hofhaltung hat, da alle die berühmten Lautenspieler und Violinvirtuosen und Flötisten, die der galante August von Sachsen ihr zum Aufbau ihrer Kapelle schickt, schließlich bezahlt werden mußten. Es ist nicht wahr, daß Friedrich Wilhelm scheel auf diese Dinge sah und daß sie sozusagen vor ihm versteckt werden mußten: eher hatte er für die Geistigkeit seiner eleganten Frau den Stolz aller primitiven Menschen, und sicher ist, daß der bekannte Jargon der Tabaksabende die Schwelle der Königin nie hat überschreiten dürfen. Die Kollisionen ergaben sich aus ganz anderen Dingen, sie ergaben sich aus den beiderseitigen Lebenszielen, sie ergaben sich daraus, daß in den Eltern Friedrichs das ›Westlertum‹ der Mutter zusammenprallte mit dem, was bei Friedrich Wilhelm aus den menschenarmen und dämonenreichen Ebenen des Ostens gekommen war. Hören wir also die Zeitgenossen …
›Der König wollte (die Szene spielt vier Wochen nach der bekannten Flucht Friedrichs und nach dem endgültigen Scheitern der englischen Heiratsprojekte) … der König wollte bei der Tafel die Königin obligieren, auf den Untergang Englands zu trinken‹ (aus einem Geheimbericht des österreichischen Gesandten Seckendorf an den Prinzen Eugen. Wobei zu beachten ist, daß damit die Königin ›obligiert‹ werden sollte, auf den Untergang ihres eigenen Hauses zu trinken!).
›Wo die Königin von Politik zu sprechen begann, ist dieselbe von Se. Majestät zu dero Nähzeug verwiesen worden.‹ (Bericht Seckendorfs an den Wiener Hof.)
›Wegen seines häufigen Aufstehens von der Tafel hielt man überall, wo der König speiste, in dem neben dem Speisesaal liegenden Zimmer einen Dreifuß, der auf einem Sandhaufen stand. Im Sommer mußte für diese Gelegenheit im Freien gesorgt sein. In dem Zipfel des daneben liegenden Handtuches fand die Dienerschaft, wenn der König auswärts zu Gast war, immer einen Dukaten eingewickelt.‹ (Aus einem Berichte Faßmanns.)
›Um den Schäden, den die Herren Russen überall, wo sie gehaust, angerichtet hatten, vorzubeugen, ließ die Königin alle Möbel sowie alle zerbrechlichen Dinge fortschaffen. Der Zar, seine Gemahlin und ihr ganzer Hof kamen einige Tage später auf dem Wasserwege in Monbijou an, der König und die Königin empfingen sie am Ufer. Der König reichte der Zarin die Hand, um sie an Land zu führen … der Zar, der eine Art Matrosenanzug trug, näherte sich der Königin und wollte sie umarmen, aber sie stieß ihn zurück … Dann stellte die Zarin … vierhundert sogenannte ›Damen‹ ihres Gefolges vor. Es waren zumeist deutsche Mägde, die den Dienst von Kammerjungfern, Köchinnen und Wäscherinnen vertraten. Fast eine jede dieser Kreaturen trug ein kostbar gekleidetes Kind im Arm, und als man sie fragte, ob es ihre eigenen wären, antworteten sie, der Zar sei der Vater derselben, er hätte ihnen diese Ehre erwiesen. Die Königin wollte diese Kreaturen nicht grüßen. Man ging endlich zu Tisch, wo der Zar neben der Königin Platz nahm … Bei Tisch kam er, mit dem Messer gestikulierend, der Königin sehr nahe, so daß diese erschrak und sich immer wieder erheben wollte. Der Zar beruhigte sie und bat sie, keinerlei Angst zu haben, weil er ihr nichts antun würde. Zugleich faßte er ihre Hand, die er so heftig drückte, daß die Königin aufschreien mußte, darüber aber lachte er nur und sagte ihr, sie habe doch zartere Knochen als seine Katharina … Tags darauf zeigte man ihm die Sehenswürdigkeiten von Berlin und u. a. die Sammlung antiker Statuen. Unter diesen befand sich eine, die eine antike Göttin in sehr indezenter Haltung darstellte. Der Zar bewunderte gerade diese Statue und befahl der Zarin, sie zu küssen. Diese wollte sich sträuben, er wurde aufgebracht und sagte in schlechtem Deutsch ›Kop ab‹, was soviel heißen sollte als: Ich werde Sie enthaupten lassen, wenn Sie mir nicht gehorchen.‹ Die Zarin erschrak so, daß sie sofort gehorchte … Dieser barbarische Hofstaat zog zwei Tage später endlich fort. Die Königin begab sich sofort nach Monbijou. Dort herrschte die Zerstörung von Jerusalem. Ich habe etwas Aehnliches nie gesehen. Alles war derart ruiniert, daß die Königin fast das ganze Haus neu herrichten lassen mußte.‹ (Zarenbesuch 1718, die Wiederherstellung des durch vier Tage bewohnten Monbijou kostete die Königin fast sechstausend Taler.)
›Grumbkow hatte diese Schwäche des Königs (seine Eifersucht) wahrgenommen und erweckte in ihm durch geschickte und undeutliche Anspielungen schimpflichen Verdacht. Der König kehrte Aus dem hannoverschen Jagdschloß Göhrde, wo er mit George I. zusammengekommen war. nach 14 Tagen wie ein Wütender nach Berlin zurück. Uns begrüßte er sehr freundlich, doch die Königin wollte er nicht sehn. Er ging durch ihr Schlafzimmer, um sich zum Souper zu begeben, ohne ein Wort an sie zu richten. Die Königin und wir waren über dieses Benehmen von banger Besorgnis erfüllt. Endlich sprach sie zu ihm und drückte in zärtlichen Worten ihm ihren Kummer über sein Verhalten aus. Als Antwort beschimpfte er sie nur, indem er ihr ihre vermeintliche Untreue vorwarf, und wenn nicht Frau v. Kameke ihn entfernt hätte, so würde ihn seine Heftigkeit zu sehr bedauerlichen Ausschreitungen fortgerissen haben. Am nächsten Tage berief er die Aerzte, den General Holtzendorff und Frau v. Kameke, um den Wandel der Königin zu untersuchen. Alles nahm Partei für dieselbe. Ihre Oberhofmeisterin fand sogar sehr harte Worte für den König und bewies ihm die Ungerechtigkeit seines Mißtrauens. Die Tugend der Königin stand hoch über jedem Verdacht, und selbst die bösesten Zungen konnten nichts gegen sie zu sagen finden. Der König ging in sich, bat dann unter vielen Tränen, die für die Güte seines Herzens zeugten, die Königin um Verzeihung, und es herrschte wieder Frieden.‹ (Ueber eine der zahlreichen Eifersuchtsexplosionen des Königs seine Tochter Wilhelmine, der überall dort, wo nicht sie als die zu Unrecht Leidende erscheint, einigermaßen Vertrauen geschenkt werden kann.)
So also, darüber müssen wir uns klar sein, war der Hof, waren seine Gäste, waren seine Gepflogenheiten. Wenn Wilhelmine von ihrer Mutter erzählt, sie habe ›allen Stolz und allen Hochmut des hannoverschen Hauses gehabt, sei von maßlosem Ehrgeiz und außerstande gewesen, empfangene Beleidigungen zu verzeihen‹, wenn Faßmann (der es wissen mußte!) von ihr berichtet, sie sei ›ein abgesagter Feind aller groben Scherze und Spaße gewesen, und es habe Niemand in ihrer Nähe gewagt, etwas Ungebührliches unterlaufen zu lassen‹, dann haben wir nicht nur ein komplettes Bild einer Frau aus demjenigen Geschlecht, von dem in vier Jahrhunderten nur drei oder vier Männer friedlich in ihrem Bette gestorben sind …
Wir wissen dann wohl auch, woher die schweren Konflikte kamen und weswegen die Königin in ihren Heiratsprojekten ihren Kindern ein kultivierteres Leben sichern wollte, als ihr selbst beschieden gewesen war. Was diese Ehe fast ebenso unterminierte wie der eben berührte Gegensatz, das ist der entsetzliche Dachsbau von Intrigen und, wenn man will, auch von Korruption, der diesen als Muster der Biederkeit allenthalben figurierenden Hof unterwühlt hatte. Viele Akten sind beiseite geschafft, wichtige Briefe der Königin sind durch Moder zerstört, viele innere Probleme sind im Halbdunkeln geblieben. Immerhin wollen wir nicht vergessen, daß der Graf Seckendorf unter dem 5. Juli 1726 von dem alten Leopold von Dessau an den Prinzen Eugen berichten kann, ›er sei noch in Preußen, dahero er, Seckendorf, sich seiner dermalen nicht bedienen könne‹ und daß dieser fatale, in einer Zeit diplomatischer Hochspannung von einem auswärtigen Geschäftsträger geschriebene Satz ein noch fataleres Ende hat. ›Sollte‹, schreibt Seckendorf, ›in den Tractaten fortgefahren werden, und sie kämen zum Schluß, so müßte man wohl die hiesigen Minister und in specie den v. Ilgen bedenken, denn Hannover hat sich schon reichlich und mit 2000 Pfund Sterling eingestellt.‹ Und weiter, unter dem 1. August 1726: ›In meinem Auftrage ist auch enthalten, ob ich auch den königlichen Ministern, im Falle die Sache zum gewünschten Stande kommen, eine reelle allerhöchste kaiserliche Gnade versprechen kann … Der Ew. Excellenz wohlbekannte Generalleutnant Grumbkow ist zwar nicht im Staatsministerio, hat aber das meiste Gehör beim Könige und wird sicherlich auch in Zukunft zur Erhaltung guter Verständnis und Entdeckung, was derorten passiert, am meisten contribuieren können, deswegen auch auf ihn unmaßgeblich Reflexion zu machen.‹
Die Berichte aber stammen aus der Zeit vor dem Wusterhausener Vertrag, der die preußische Politik auf die Wiener verpflichtete, sie beweisen, daß die führenden Persönlichkeiten des Berliner Hofes Geschenke oder gar laufende Gelder einer auswärtigen Macht annahmen. Die Liste der Empfänger ist damit keineswegs abgeschlossen, wir wissen, daß Seckendorfs Goldfüchse ihren Weg noch zu ganz anderen Persönlichkeiten gefunden haben …
Sichtet man nun die Figuren des Berliner Hofes nach ihren verschiedenen Interessen, so lassen sich unschwer drei Gruppen unterscheiden. Erstens die Leopolds, Grumbkows, Ilgens, die, oft genug gegeneinander arbeitend, einig in allen gegen die Königin gerichteten Intrigen schon deswegen waren, weil die Königin eben den Einbruch der Westwelt in den preußischen Kommiß zu bedeuten schien. Die zweite Gruppe bestand aus den auswärtigen Diplomaten, von denen Seckendorf als kaiserlicher Gesandter in Sophie Dorothee und ihren englischen Heiratsprojekten den Exponenten der antikaiserlichen Politik bekämpfte, der englische Gesandte Dubourgay je nach Londoner Weisung diese Heiratspläne förderte oder verwässerte, der sächsische Gesandte aber, um seinem Herrn Nachrichten über die inneren Angelegenheiten des Hofes übermitteln können, sich darauf beschränkte, mit den Damen der Königin zu schlafen und diese, das Angenehme mit dem Nützlichen verbindend, als Nachrichtenquellen zu benützen Der von der Markgräfin so ausführlich und mit der üblichen Phantasie behandelte Sturz der Frau v. Blaspiel, Oberhofmeisterin der Königin, ist lediglich darauf zurückzuführen, daß ihre zarte Korrespondenz mit dem sächsischen Gesandten v. Manteuffel aufgefangen wurde.. Die dritte Gruppe bestand im wesentlichen nur aus der Königin, einigen ihrer Damen, späterhin auch aus ihren Kindern Wilhelmine und Friedrich: der König in seiner schnaubenden Ehrlichkeit und seinem allzu leicht zu weckenden Mißtrauen war allen drei Gruppen Kampfmittel und Kampfziel zu gleicher Zeit. Dazwischen gab es natürlich eine ganze Komparserie von Kammerdienern, Gardeoffizieren, Lieferanten, Kastellanen, die, vom Stamme der Eversmann, Leti, Katte und Clement, die Absichten der einen oder anderen Partei errieten, um sich für einen mehr oder minder großen Dank erkenntlich zu zeigen. In dieser vergifteten Atmosphäre aber gediehen natürlich jedweder Klatsch, jedwede Intrige und jedweder Anschlag, dem sogar als ›Weiße Frau‹ in Laken gehüllte Grenadiere nutzbar gemacht wurden. Ein Abenteurer namens Clement bringt es fertig, in einer bislang nicht völlig geklärten Intrige den König von der Unaufrichtigkeit seiner nächsten Freunde, Leopold und Grumbkow, zu überzeugen. Wenigstens für eine geraume Zeit, in der Friedrich Wilhelm, dessen Mißtrauen zu hellen Flammen geschürt war, sozusagen mit geistesabwesenden Augen herumlief und seine Umgebung noch mehr als gewöhnlich quälte. Völlig geklärt sind die damaligen Vorgänge nicht; in keinem Falle kann der Berliner Hof damals etwas anderes denn eine Hölle gewesen sein. Der König sieht sich ständig an Leib und Leben bedroht und schläft nur mit geladenen Pistolen am Bett, die Posten auf den Gängen des Schlosses werden verstärkt, Siebengescheite wollen wissen, daß irgendein ganz gefährlicher Intrigant sich der zahlreichen, in Berlin gefangen gesetzten schwedischen Offiziere zu einem Mordanschlag auf den König bedienen wolle, die Markgräfin erzählt in ihren Memoiren eine ganz phantastische Geschichte, bei der Grumbkow den König und den Kronprinzen bei einem ad hoc veranstalteten Schaubudenbrand ums Leben bringen wollte, ›um die Macht im Staate an sich zu reißen‹. Die Geschichte in der Darstellung der Markgräfin berührt eigentümlich genug. Vater und Sohn wollten gemeinsam eine Schaustellung besuchen, das Leinwandzelt sollte nach Grumbkows angeblichem Plan in Brand gesteckt und in der allgemeinen Verwirrung sollte dann der König nebst seinem damals fünfjährigen Söhnchen erwürgt werden. Seltsam berührt, daß eine Königstochter einem alten Diener ihres Vaters einen so ungeheuerlichen Plan zutraut, seltsam berührt auf der anderen Seite die unerschütterliche Sicherheit, mit der sie gerade diese Geschichte – selbst die Wochentage werden für die einzelnen Begebenheiten vermerkt – wie etwas erzählt, was in der königlichen Familie allgemein bekannt war. Soviel Vorsicht der ›Lieblingsschwester Friedrichs‹ gegenüber am Platze ist, so ungeheuerlich dieser angebliche Mordplan Grumbkows anmutet, so seltsam berührt es, in den schon einmal zitierten Seckendorfschen Geheimberichten den Satz zu lesen, daß ›der Grumbkow immer (gemeint ist seine geheime Spionagetätigkeit im österreichischen Sold) sehr viel wage‹ und daß er deswegen reichlich geschmiert werden müsse …
In dieser traurigen Atmosphäre lebt man diese ersten zehn oder zwölf Jahre des eigenen Königinnentums, in dieser Atmosphäre der ständigen Unterdrückung, in diesen täglichen Katarakten von ehelichen Explosionen und Gewalttaten gebiert man seine vielen Kinder, und inmitten all dieser Beleidigungen und heruntergeschluckten Demütigungen reift wohl auch der Plan, den Kindern, zunächst den beiden ältesten, durch glanzvolle Heiraten eine fröhlichere Zukunft zu sichern. Man kann nicht eben sagen, daß diese Ehe unglücklich war – für sie ist Friedrich Wilhelm ›Mon cher Wilke‹, und wenn die Ehegatten getrennt sind, ist sie ›malgré tout le chagrin, que Vous me donnez, toute ma vie entièrement à vous‹, und als guter Engel waltet über dieser Ehe ihr brennender Ehrgeiz, ihr Königinnentum vor dem tiefen Falle der Mutter zu bewahren und ihren Teil beizutragen zum wachsenden Glanz des Hauses Preußen. In ihren Briefen, die sie damals dem Könige schreibt, finden wir eigentlich die einzigen näheren Daten über die erste Jugend ihres großen Sohnes und ihrer allzu precieusen Tochter. ›Wilhelmine ist sehr altklug, elle a eu le fouet, parce que'elle a écratignée son frère a la foue‹. Sie ist dafür ›schwer gezüchtigt worden!‹ Fritz kränkelt fortwährend, ist schüchtern und feige und schußscheu, die Mutter muß ›pour l'accoutumer‹ täglich eine kleine, ihm geschenkte Kanone abfeuern, sie ›hat nun das Mittel gefunden, um ihn zu ändern‹ und hofft, daß der König ihn nicht mehr so ›poltron‹ finden werde. Der König muß aber bei dem Wiedersehen sehr wenig zufrieden mit dem kleinen sechsjährigen Mann gewesen sein, denn die Königin schreibt: ›Fritz est fort triste du compliment, que vous lui a-vez fait hier‹, und außerdem ist Fritz ›Timide et a un air décontenancé et a envie de pleurer‹, was auf den ersten Blick bei dem gleichen Manne, der später am Vorabend vor Leuthen seine berühmte Ansprache an die Generäle hielt, auf den ersten Blick überrascht und vielleicht darauf zurückzuführen ist, daß der Herr Vater keine Rücksicht auf seinen zarten und schwächlichen Knaben nimmt, der mit fünf Jahren schon auf Hasen-, Hühner- und Fuchsjagd gehen muß, ewig Zahnschmerzen und entzündete Augen hat. Der große Krater, der da Friedrich Wilhelm heißt, verbrennt rings um sich alles, verbraucht in kurzer Zeit seine Generäle, Beamten und die auswärtigen Diplomaten, und nicht umsonst schreibt der Graf Seckendorf, ›er (Seckendorf) habe doch mehrere schwere Feldzüge mitgemacht, wollte aber lieber mit seinen zweiundfünfzig Jahren sofort noch einmal in den Krieg ziehen, als es noch länger in der Umgebung des Königs von Preußen aushalten‹. So verhält es sich mit der Majestät von Preußen. Sie aber, Sophie Dorothee, ist dauerhafter als ihre Umgebung, gebiert Kind um Kind, ist, wenn Friedrich Wilhelm in den entlegenen Provinzen seines zerstückelten Reiches weilt, Reichsverweserin, soll nach des Königs Wunsch, ›so etwas nicht um Ordnung ist, um ihren Rat gefragt werden‹, berichtet, daß Creutz, der Generalstaatskassenkontrolleur, schon wieder 40 000 Taler ins Depot des Berliner Schlosses getan habe, daß ihr der Fürst von Anhalt ›toujours chagrin mache‹, lernt es ganz allmählich, auch gegen ihren vulkanischen Gatten aufzubegehren. So, als er in den pommerschen Krieg gegen Karl XII. gezogen ist und seine Königin sich nach Stettin hat nachkommen lassen, wo sie nun im Hause des Generals v. Borcke sitzt und sich langweilt und ihrem Gatten folgenden Brief schreibt …
›Ich weiß wirklich nicht, weswegen ich hier sitze! Ich hatte doch darauf gehofft, Sie zu sehn, aber hier sitze ich nun seit zwei Tagen und warte mit Ungeduld vergeblich auf Sie und werde vermutlich so noch vierzehn sitzen, wofern Sie sich nicht der Tatsache erinnern sollten, daß ich hier bin und daß alle die hier weilenden Damen ihre Männer sehn dürfen! Sie sind nachgerade der einzige, der sich um die Seine nicht kümmert. Ich hatte denn doch gehofft, Sie wenigstens einmal am Tage begrüßen zu dürfen, aber statt Sie zu sehn, erhalte ich allenfalls einen Gruß von Ihnen! Ich fürchte, jener Lord Strafford hatte Recht, als er an Bolinbrok schrieb, ›daß Ihre Soldaten Ihre Mätressen seien‹, denn seit Sie Ihre Revue abgehalten haben, denken Sie überhaupt nicht mehr an mich! Ich glaube doch, meine dreißigtausend Rivalen könnten Sie mir doch wenigstens für einen Tag abtreten …
Fique.
Friedrich Wilhelm reagiert auf solche Schreiben so, wie er immer reagiert, wenn ihm Frauen in den Arm fallen wollen – er geht wieder auf Reisen, ohne sich zu verabschieden, und bekommt es einmal sogar fertig, einen durch einen Kurier überbrachten Brief der Königin, den er in schlechter Laune empfängt, ungelesen und uneröffnet zurückzuschicken. Es ist das Grandiose an dieser stolzen und doch so elastischen Frau, daß sie dies alles übersteht, ohne zu zerbrechen, daß sie, äußerlich immer wieder gedemütigt, im Geheimen zäh ihre Ziele verfolgt, daß sie, an ihrem eigenen Hofe über so wenig verläßliche Freunde verfügend, durch ihre geschickten Intrigen ihre Feinde in Schach hielt und aus dieser Ehe schließlich in voller Vitalität, gerade und stolz und durchaus als Mutter eines jungen und kühn gewordenen Adlers hervorging.
Es war übrigens einsam geworden um sie, seit in Hannover Großmutter Sophie, fast als Neunzigerin, gestorben war, und einen letzten Gruß sendet eine noch fernere Vergangenheit, als nach dem Tode der d'Olbreuse 1726 die im Poitou verbliebene Familie ›aus schlechtem Adel‹ sich an sie und Friedrich Wilhelm mit der Frage wendet, ob das Königspaar wohl Erbansprüche zu machen gedenke …
Die Majestäten von Preußen verzichten, Schloß Olbreuse ist bis in unsere turbulenten Tage der Familie verblieben, die erst heute im Erlöschen ist, nachdem sie auch ihr Blut einem der seltsamsten Herrscher der Weltgeschichte gegeben hat …
Daß aber Sophie Dorothee 1726 die nach dem Tode der französischen Mutter reich gewordene Gefangene von Ahlden beerbt, ist eine jener Fügungen, die den Menschen ihres ›Löwinnen-Typs‹ immer reiche Mittel in die Hände spielen, damit sie ungebrochen und glanzvoll bleiben und behütet von jenem Wurm, der da Sorge heißt.
Sie hatte um 1730, als Mutter so vieler Kinder, nicht mehr ›die schönste Taille Europas‹, sie war nun bei der schweren Kost der königlichen Tafel ein wenig stark geworden – sie war gleichwohl noch als Erscheinung so großartig und majestätisch, wie sie es immer blieb. Das sanfte Geschöpf, das König Friedrich einst mit so großer Sehnsucht in Berlin erwartet hatte, war sie nicht mehr, erwacht war gegen den Gatten jene Opposition, die in jeder Ehe starker Persönlichkeiten nach den Jahren der Mutterschaft beim weiblichen Partner sich einstellt. Der Hofmarschall von Borcke berichtet von ihr aus jenen Jahren, ›sie sei in Gegenwart des Königs nicht immer bei gutem Humeur‹ gewesen, aus dem Munde der Sonsfeld und der Markgräfin wissen wir, ›daß sich niemand in ihrer Gegenwart unterstehen durfte, zu klagen‹, und daß sie eiskalt und zynisch dort werden konnte, wo sie auf Mangel an Haltung, auf Sentiment oder auf ›Menschen mit doppeltem Boden‹ stieß. Wie sie ihre einmal erkannten Widersacher behandelte, geht aus einem Geheimbericht des österreichischen Gesandten hervor, der sieht, wie sie 1727 ›dem von Grumbkow bei seiner am Courtage der Königin gemachten Visite den Rücken dreht‹, und Prinz Eugen gibt von Wien aus dem Grafen Seckendorf zu, ›daß es, die Königin anbelangend, schwer sei, mit einer Frau in den angemerkten Umständen auszukommen‹.
Die Jahre des still getragenen Martyriums einer schweren Ehe lagen hinter ihr, die Löwin begann um ihre Brut zu kämpfen mit den Männern.
Die große Krise ihres Lebens lag unmittelbar vor ihr.