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Siebentes Capitel.

Es war später geworden, als Adele dachte. Die Unterredung mit dem Baron hatte aufgehalten, trotzdem sie so kurz gewesen war. Nur noch der letzte Gluthschimmer der Sonne verbreitete ein unsicheres Licht, als die Dame langsam in der Allee entlang ritt, die bis zum Thorwege des Vanpotter'schen Wohnhauses lief.

Charles hatte mit banger Erwartung am Fenster gestanden und ihrem Erscheinen entgegengesehen. Er vermuthete, daß der Baron von Ekartswalde sie zurückbegleiten würde, wenn sie seinen Absichten, die ihm vom alten Herrn verrathen worden waren, günstig wäre, wenn sie seiner Werbung Gehör gegeben hätte.

Als er sie allein aus dem Waldesdickicht auftauchen sah, erfaßte ihn eine stürmische Freude, die er nur so lange zügelte, bis Adele in den Hof einritt.

Mit neu erstandener Hoffnung eilte er dann hinaus und ihr entgegen. Was er wollte, was er hoffte, davon gab er sich keine Rechenschaft, sondern er trat nur dicht, ganz dicht zu ihr heran und fragte sie leise und eindringlich:

»Sind Sie dem Baron von Ekartswalde begegnet?«

Die glühende Unruhe seines Blickes verwirrte Adele einigermaßen, doch behielt sie so viel Fassung, um zu erwiedern:

»Ja wohl!«

»Sind Sie seine Braut?« fragte er ebenso.

»Noch nicht!« war ihre Antwort.

Bei diesen Worten umfaßte Charles die junge Dame mit stürmischer Gewalt, hob sie vom Pferde und trug sie bis zum Hausflur hinein. Adele zitterte und bebte.

Charles ließ sich gar nicht irre mache». Er führte sie ins Wohnzimmer. Er führte sie hindurch. Er führte sie in ihr Boudoir, nahm ihr den Hut vom Kopfe, zog ihr die Handschuhe von den Händen, warf sich dann vor ihr nieder, preßte erst ihre weichen Hände vor sein glühendes Gesicht und hob dann dies leidenschaftlich bewegt zu ihr empor.

»O, Adele, Adele ich habe Todesqualen ausgestanden!«

Im selben Momente hatte er sich aber schon wieder erhoben und war verschwunden. Adele, betäubt, verwirrt und fassungslos blieb mitten in ihrem Zimmer stehen und sah ihm nach. Ein namenloses Glück breitete seinen entzückenden Glanz vor ihr aus und umkleidete Alles, was sie an diesem schicksalsschweren Tage erlebt hatte, mit einem Glorienscheine!

Die Hände fest auf ihr heftig pochendes Herz gepreßt, saß sie lange noch da, als der junge, stürmische Mann längst das Zimmer verlassen hatte. Ein neues Leben eröffnete sich vor ihr. Sie erkannte die tiefe Bedeutung des Eindruckes, den Charles beim ersten Blick auf sie gemacht hatte und mit dieser Erkenntniß weihete sie ihm ihr unberührt gebliebenes Herz. Gott selbst schien ihr durch diese gegenwärtige Liebe eine Offenbarung seines Willens gesendet zu haben.

Als Adele zum Abendessen hinüberging in das Zimmer ihres Großvaters, da lag ein göttlicher Friede und eine süße Hingebung auf ihrem blassen Gesichte. Charles hatte den Sturm in sich beschworen und empfing sie mit zarter Aufmerksamkeit. Kein Blick störte die heitere Ruhe der allgemeinen Unterhaltung. Man gab sich dem Zauber der Gegenwart, der alle Bitterkeiten der Seele verscheuchte, willenlos hin und überließ sich der unmerklich, aber sicher wirkenden Macht der Liebe.

Der alte Herr beobachtete mit Entzücken, was sich in den Herzen dieser beiden jungen Menschen vorbereitete. Das Project einer Heirath mit dem Baron begrub er mit Glockenklängen der Freude, seitdem er gesehen, wie stürmisch seines Sohnes richtiger Sohn zu fühlen vermochte. Er gab es der Zeit anheim, die Saat der Zukunft zu reifen. Seines Segens war diese Liebe gewiß.

Man besprach gelassen und gemüthlich die sonderbare Verkettung von Zufällen, die gerade jetzt den jungen Vanpotter in sein Vaterhaus geführt hatte. Charles verfiel dabei natürlich in seinen gewöhnlichen Humor und erzählte wortgetreu die Scene, wo er gegen seine liebenswürdige Maman die Rechte seiner Mündigkeit geltend gemacht hatte.

»Es war, als wenn Gott meine Gedanken leitete,« schloß er mit einem verständlichen Seitenblicke auf Adele, die innerlich, von demselben Gedanken ergriffen, hold lächelte. »Wie wunderbar es mir erscheinen mußte, das erste weibliche Wesen, das mir Interesse einflößte, mit dem Namen meiner Mutter rufen zu hören, das werden Sie erst später einsehen,« fügte er neckisch hinzu, »aber der Name entschied über mein Schicksal.«

»Wir nannten Sie Samiel,« neckte ihn Adele dagegen, »wer weiß, ob dieser Name nicht auch das Schicksal von uns entschied.«

»Samiel ist ein guter Junge,« rief Charles heiter. »Haben Sie der hübschen Rosa nicht mitgetheilt, daß ihr das Glück bevorstehe, einen vortrefflichen Vetter in mir zu gewinnen?«

»Allerdings,« entgegnete Adele mit einem leichten Seufzer. »Sie ist entzückt von Ihnen!«

»Darauf bilde Dir nichts ein, mein guter Junge,« fiel der alte Herr treuherzig lachend ein, »denn Rosa ist auf eine kurze Zeit von jedem jungen Manne entzückt.«

»Das ist die hassenswertheste Eigenschaft eines weiblichen Wesens!« rief Charles flammenden Blickes. »Geruhen Sie auch diesem Principe zu folgen, Fräulein Adele?«

Adelens Blick stahl sich schüchtern zu seinem Blicke hinauf. Die Antwort blieb sie ihm schuldig.

»Baron Bruno von Ekartswalde ist ein Günstling von Ihnen?« inquirirte Charles grausam weiter.

»Er liebt Rosa,« antwortete Adele ausweichend, aber sehr entschieden, denn ihr Glück stand auf dem Spiele, das fühlte sie.

»Und hat sich um Ihre Hand beworben?« fuhr der junge Mann auf.

»Sein Verstand dictirte ihm eine Verbindung mit mir als ein Medicament gegen Rosa's flatterhaftes Liebesspiel.«

»Und Sie? Adele, Sie?« drängte Charles, alle Zurückhaltung vergessend.

»Ich würde gezögert haben, eine Verstandesheirath zu schließen, aber ich hätte sie beinahe in der Aufregung meines Gemüths geschlossen, um – einen Namen zu haben.«

»Haben Sie nicht den Namen ›Adele Vanpotter?‹«

»Ich trage ihn mit Unrecht! Der Schmerz macht uns ja häufig zum Spielball unsinniger Träume und lenkt unsere Entschlüsse, warum sollte ich nicht ein ernstes, stilles Glück von der Hand eines wirklich guten Mannes annehmen? Tadeln Sie mich nicht, Charles,« bat sie demüthig.

»Ja, ja, ich tadele Sie! Sehen Sie diesen alten Mann, hat er nicht Ihr Vertrauen gewinnen können, daß Sie sich trotzig eher einem Fremden als Gattin an die Brust werfen wollten, als ihn um fernere Liebe bitten? Ich tadele Sie, und zwar nicht sanft und nicht gelinde. Wer sich zum Sclaven seiner Leidenschaften macht, sei es Eigensinn, sei es Stolz, sei es Trotz oder Haß, der verliert die Macht zum Guten. Sie haßten den Namen, den Sie nicht zu tragen berechtigt waren, nicht wahr?«

Adele blieb wiederum die Antwort schuldig. Es trat ein Stillschweigen ein, das der alte Herr mit gutmüthigem Lächeln zu einer Liebkosung seines Lieblings verwendete.

»Es wäre thöricht von mir, wollte ich Heuchelei treiben mit der ersten Empörung meines Innern bei dem unvorbereiteten Schicksalsschlage,« sprach dann das junge Mädchen. »Die plötzliche Abhängigkeit von dem Manne, der mich als sein Kind erzogen hatte, verwundete meinen Stolz. Allein die thörichten Ausbrüche von Zorn hielten nicht an. Sie hätten mich eher zu allem Andern bringen können, als zu einem Abfalle von diesem Herzen, mit dem mich jeder Gedanke verband. Glauben Sie mir, es wendet sich nichts leichter im Frauengemüthe, als der Zorn!«

»Und die Liebe,« fügte Charles sehr eilfertig hinzu.

»Das weiß ich nicht, denn ich habe noch nie geliebt!« sagte Adele aufrichtig.

Charles blickte sie durchdringend an. Sie hielt mit Erröthen zwar, aber sonst standhaft diese Forschung aus.

»Lügnerin!« sagte während deß der alte Herr lachend. »Hast Du mir nicht erst heute Morgen eine Liebeserklärung und einen Heirathsantrag gemacht?«

Ein heiteres Gelächter erfolgte auf seine Worte. Adele benutzte den Stillstand des Gespräches, um ihrem Großvater mitzutheilen, daß Kohnert, unangenehm von dem aufsteigenden Verdachte berührt, sich unverzüglich auf den Weg gemacht habe, um in dem Hause, aus welchem er die Kinder abgeholt, Nachforschungen über ihre Abkunft anzustellen. Auch habe er beschlossen, den ehemaligen Fähnrich Schmittler aufzusuchen. Es ließe sich also erwarten, daß sich eine sonderbar dunkle Begebenheit in ganz kurzer Frist aufklären werde. Ob zu ihrer Zufriedenheit, das blieb freilich sehr fraglich. Dabei erwähnte sie auch der Pflicht, ihrem Bruder eine Meldung der eingetretenen Katastrophe zukommen zu lassen. Ein Schatten des Mißmuthes und der Besorgniß zugleich deckte bei dieser Erwähnung ihre Stirn.

Charles erinnerte sich dabei der schmerzlichen Aufregung, die den schmähenden Worten seines Großvaters gefolgt war. Sein Charakter erlaubte es aber einmal nicht, Kämpfen mit Widerwärtigkeiten aus dem Wege zu gehen, deshalb faßte er kurzweg seinen Entschluß und sagte mit gutmüthigem Spotte:

»Wenn Fräulein Adele mir versprechen wollte, nicht wieder in Ohnmacht zu fallen, so möchte ich wohl um etwas Belehrung über meinen Namensbruder bitten, der mir ein mauvais sujet zu sein scheint. Was ist es mit Ihrem Bruder? Er ist Jurist, sagte mir ein alter Hausirer.«

»Er ist gar nichts!« rief Adele mit ausbrechender Bitterkeit. »Mein Bruder hat einen unglücklichen Hang zum Nichtsthun, zum Spielen und zum Verschwenden. Die Güte Ihres Großvaters hat mir Alles vorenthalten, was mich betrüben konnte, bis ich auf andern Wegen Kenntniß davon erhielt. Die Summen, die er seit seinen Universitätsjahren verschwendet hat, müssen enorm sein, was jetzt daraus werden soll, mag Gott wissen!«

»Glauben Sie, Adele, daß mein Großvater ihn verlassen wird?« fragte Charles.

»Denken Sie, daß wir noch ferner die Güte Ihres Großvaters in der Ausdehnung walten lassen können, wie bisher?« fragte Adele dagegen.

»Streiten wir uns nicht!« lachte Charles. »Es giebt einen Ausweg. Großpapa setzt ihn auf Diäten! Das ist die beste Medicin für verschwenderische Seelen.«

»Ich fürchte, sein Uebel ist unheilbar!« seufzte der alte Herr. »Aber beruhige Dich, mein Mädel. Ich bin zu allen Opfern bereit, um ihm eine sichere Existenz zu gründen. Er hat mir viel Sorgen, viel Kummer bereitet. Sein Charakter ist durch und durch vom Egoismus verdorben. Oftmals habe ich mich gefragt, von wem er sein Temperament geerbt haben möge und ich schrieb es heimlich den Ahnen seiner französischen Mutter zu.«

»Ha, das sollst Du meiner Maman abbitten,« rief Charles. »Ihr glaubt nicht, was für eine liebreizende Mutter ich habe! Adele ist für mich der süßeste Name gewesen seit meiner frühesten Jugend, begreifen Sie, mein Fräulein?«

»Warten wir Kohnert's Rückkehr ab,« sagte Adele seufzend. »Wer weiß, welchen Namen der für mich mitbringt!«

»Würden Sie sich denn gar nicht entschließen können, den Namen zu behalten, den Sie jetzt führen?« fragte Charles mit treuherziger List.

Daß er abermals keine Antwort erhielt, gereichte ihm zur besonderen Freude. Er nahm sich die Freiheit, die Hände Adelens lebhaft an seine Lippen zu führen. Sie erröthete und ließ es willig geschehen.

So schloß der erste Tag, den Charles bei seinem Großvater Vanpotter verlebte.

*


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