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Neuntes Capitel.

Die Fortschritte, welche Charles Vanpotter in der Gunst seines Großvaters machte, zeigten deutlich das stammverwandte Element in Beider Charakter. Zwischen ihnen entwickelte sich ein Vertrauen und eine gegenseitige Hingebung, wie sie sich selten bei Männern findet, wo der eine im Anfange, der andere am Ende seines Lebens steht. Ihre Seelenharmonie trat bei jedem Anlasse hervor und die Gleichheit ihrer Lebensanschauungen konnte einen stillen Beobachter bis zur Verwunderung hinreißen.

Adele hatte täglich, nein stündlich Gelegenheit zu dergleichen Beobachtungen. Daß sich ihr Interesse für Charles und die Ueberzeugung von der Echtheit seiner Ansprüche darnach steigerte, ist zu natürlich, um es versichern zu müssen. Sie befand sich wie in einem Traume, aus welchem man nicht geweckt zu werden wünscht. Ohne in die Einzelheiten eines Familienverkehrs einzugehen, wollen wir nur andeuten, daß keine Minute verging, wo nicht Adele Beweise der zartsinnigsten Aufmerksamkeit von beiden Männern empfing, wo nicht ihr Herz von der Ueberzeugung geschwellt wurde, daß sie Beiden, dem Großvater wie dem Enkel, zum Glücke ihres Lebens nothwendig war. Oft dachte sie mit Lächeln an die kühle Herzensatmosphäre zurück, in der sie bis zu Charles' Ankunft geathmet hatte. Oftmals legte sie sich mit leichtem Herzklopfen die Frage vor, ob sie eben so rasch und gern diesen Charles Vanpotter der hübschen, lachenden Rosa als Gatten überlassen würde, wie den Baron Bruno v. Ekartswalde.

Sie athmete mit sichtlicher Beruhigung tief auf, wenn sie in ihren Phantasiebildern auf die feste Wahrnehmung stieß, daß Charles für nichts in der weiten Welt Augen hatte, wie für sie.

Die Tage schlichen in dem Wohlgefühle einer vollkommen befriedigenden Gegenwart hin. Jeder einzelne Tag brachte sein Glück und seine Freude für jeden einzelnen Bewohner des Vanpotter'schen Hauses. Am Morgen des Tages, wo sich der philosophische Kohnert im weichen Postcoupé wieder seinem heimathlichen Dache näherte, war endlich ein Antwortschreiben der ehemaligen Adele d'Agremont eingelaufen. Es enthielt außer einigen fremdländischen Exaltationswörtern einen so treuen Abdruck ihres deutsch gewordenen Mutterherzens, daß dem alten Vanpotter einige Thränen der Rührung entfielen. Eine heiße Sehnsucht ergriff ihn. Er wünschte nichts weiter, als diese Frau noch vor seinem Tode zu sehen, damit er zufrieden die Augen schließen könne, wenn seine Zeit da sei. Frau Vanpotter hatte den Zeitpunkt ihrer Reise nach des Gatten Heimath bis zum Frühlinge hinausgeschoben, weil sie sich in echt weiblicher Umständlichkeit einen veränderten Aufenthalt im Winter höchst ungemüthlich dachte. Daß gerade im Gegentheil ein Winterleben ganz dazu geeignet war, die Familienbande enger zu knüpfen und der gegenseitigen Liebenswürdigkeit Geltung zu verschaffen, daran schien die kleine, kluge Dame nicht gedacht zu haben.

Adele blickte sinnend in diesen Brief hinein, den ihr Charles in seiner fröhlichen Manier überlassen hatte. Das also war die Frau, welche sie bis zu der Katastrophe, die sie vogelfrei werden ließ, als die Urheberin ihres Daseins zu verehren gewohnt gewesen war. Veränderte denn die eingetretene Aufklärung etwas in ihren Gefühlen? Nein, nur in ihren Ansprüchen, und die gab sie willig auf gegen die Antwartschaft auf die Liebe dieser Frau. Es erging dem jungen Mädchen in diesem Momente, wie dem Greise Vanpotter. Es erfaßte sie eine zärtliche Sehnsucht nach dem Anblicke dieser Frau, die sie dem Namen nach so lange und so innig geehrt hatte.

Mittags kam Rosa mit ihren Eltern. Sie brachten die Nachricht, daß der Baron Bruno bald nachfolgen werde. Aber eine andere wichtigere Begebenheit schien dem Fabrikherrn beständig in den Gedanken zu liegen. Er war zerstreut und er wiederholte merkwürdig oft die Frage, ob Adelens Bruder denn von der Ankunft des richtigen Vanpotters noch gar nichts erfahren habe.

Die Antwort, daß es ihm von seiner Schwester längst gemeldet wäre, vermehrte seine nachdenkliche und unruhige Stimmung.

Gemüthlich um den Kaffeetisch gereiht, der nach patriarchalischer Sitte im Vanpotter'schen Hausstande um vier Uhr arrangirt wurde, schreckte die Gesellschaft der wüthende Galop eines Pferdes aus der geselligen Stimmung auf.

Der Reiter kam von der Seite der Mühleallee hergesprengt und man konnte ihn vom Wohnzimmer aus nicht sehen.

»Mein Gott, Bruno?« fragte Rosa mit verrätherischem Farbenwechsel. »Ihm wird doch kein Unglück passiren?«

Charles sprang diensteifrig vom Stuhle auf.

»Ich werde nachsehen, Rosa,« sprach er, eiligst zur Thür schreitend.

Die Thür wurde aber in demselben Augenblicke aufgestoßen, wo er sie zu öffnen Miene machte, und er fand sich Aug' in Auge mit einem schwarzhaarigen, bleichen jungen Manne, der ihn mit tückischer Gelassenheit starr anblickte.

Ihn sehen und mit einem leichten Schrei zur Thür fliegen, war bei Adelen eins. Sie hatte jedoch mit aller ihrer Eile nicht verhindern können, daß der Ankommende, der sich Charles sofort als der verdrängte Karl Vanpotter erwies, mit brüskem Tone gesagt hatte:

»Da habe ich wohl gleich die Ehre, den Taschenspieler vor mir zu sehen, der aus anerkannten Erben und Enkeln des Königs vom Thale Bettelkinder zu machen gedenkt.«

»Zu dienen!« war Charles' Antwort, die er mit spöttisch ehrerbietiger Kürze gab.

»Karl, lieber Karl,« bat Adele, indem sie sich an seinen Arm klammerte. »Sei ruhig, Großvater Vanpotter bleibt ewig unser Freund und Wohlthäter, sei ruhig!«

»Also Ihr glaubt dem Puppenspiele?« fragte der bleiche Mann hämisch lachend. »Wohl bekomm Euch die Portion Dummheit, die Ihr dabei zeigt. Ich bin lediglich dazu hergekommen, um die Maskerade zu enden!«

»Wenn eine Maskerade stattfindet, so kann sie nur von der Seite derjenigen Menschen aufgeführt sein, die sich im Irrthume oder im Betruge wohlgefielen,« sprach der alte Herr Vanpotter, mit ernster Würde dem Ankömmling entgegenschreitend. »Ich heiße Dich willkommen, Karl, bitte aber von vorn herein um Frieden. Was zwischen uns noch abzumachen ist, das bleibt bis auf morgen, hörst Du?«

»Ich höre, verstehe, aber gehorche Dir nicht, mein guter Großpapa!« entgegnete der junge Mann höchst ungezogen. »Ich bin gottlob alt genug, um Märchen lächerlich zu finden, und werde mir daher das Vergnügen machen, diesen gottvollen Jüngling mit einigen juristischen Querfragen von aller Feenglorie zu befreien.«

»Karl!« rief Adele empört. »Ich schwöre Dir, daß dieser Herr in seinem Rechte ist!«

»Lassen Sie doch, Adele,« beschwichtigte Charles. »Sein unschädlicher Zorn wird schon verrauchen.«

»Was meinten Sie?« fragte der junge Mann, frech zu ihm aufsehend.

Charles lachte gutmüthig.

»Ich meine, es ist unsere Schuldigkeit, Frieden zu halten und Freundschaft zu schließen, da wir Alle mit einander unschuldig an dem fait accompli sind, das wir zu erleben vom Schicksal ausersehen wurden. Hören, verstehen und gehorchen Sie dem Greise, den Sie zu ehren volle Ursache haben. Kommen Sie, lassen Sie uns friedlich eine Cigarre tauschen und versuchen wir, mit einer Tasse Kaffee den kleinen Aerger, den Wir uns gegenseitig gemacht haben, hinunterzuspülen!«

»Das nenne ich vernünftig gesprochen,« ließ sich der Fabrikherr jetzt vernehmen.

Blitzschnell wendete sich der junge bleiche Herr zu dem Fabrikherrn herum, maß ihn verächtlich vom Kopfe bis zum Fuß und rief:

»Sie scheinen mit diesem schlauen Patrone unter einer Decke zu spielen! Jetzt geht mir ein Licht über Ihre plötzlichen Gewissensbisse auf. Darum also war es Ihnen nicht länger möglich, meinen Banquier zu machen?«

Dem Fabrikherrn schwoll der Kamm leichter, als Charles Vanpotter. Er verlor seine Geistesgegenwart, vergaß, daß er sich selbst blosstellte und rief zornig.

»Du elender Wicht, willst Du hier achtbare Männer beleidigen? Was? Habe ich nicht Alles aufgeboten, um Dir den Abgrund zu zeigen, woran Du wandeltest? Ehe ich eine Ahnung davon hatte, was hier geschehen war, ist meine Antwort auf Dein unsinniges Verlangen abgegangen, frage Deine Schwester, wann sie mir's mitgetheilt hat.«

»So?« warf Adelens Bruder ein, »und die Warnung an den Juden Rubinstein? Wer hatte Dich denn autorisirt, diesem die Lügengeschichte von dem richtigen Erben zu insinuiren? Heißt das nicht des Mannes Credit teuflisch vernichten, wenn man sich dergleichen erlaubt?«

»Ach so, Du dachtest, ich sollte auf mein Conto creditiren lassen?« höhnte der Fabrikherr. »So wetten wir aber nicht, Herr von Habenichts! Wer in einem Jahre 3000 Thaler auf Wechsel bezieht, sich aber noch eine Nebeneinnahme von 60 000, sage 60 000 Thaler zu verschaffen suchen will, der gehört ins Irrenhaus und der, welcher sie ihm auf den möglich bald erfolgenden Tod eines kerngesunden alten Mannes leiht, der ist auch für ein Narrenhaus reif.«

»Was heißt das?« fragte der alte Vanpotter mit starker, tönender Stimme, während Adele vor Schrecken beide Hände vor's Gesicht schlug, Charles kampfbegierig und mit blitzenden Augen näher an den falschen Karl Vanpotter heranrückte, Rosa unter allen Zeichen großer, halb kindischer Verwunderung von ihrem Sessel aufstand, und ihre Mutter in peinlicher Scham die Augen auf's Strickzeug heftete. Sie wußte am besten, wie weit ihr Mann betheiligt war.

Karl Vanpotter richtete sich auf wie ein Held, der des Sieges gewiß ist, und sah dem alten Herrn dummdreist in die Augen.

»Die Speculation war vortrefflich angelegt, Großpapa, aber –«

»Ich verbitte mir diese Benennung aus Ihrem Munde,« fiel Charles kräftig betonend ein.

»Sie haben sich hier nichts zu verbitten!« sprach Karl hochauffahrend und eben so kräftig betonend.

»Ja!« rief Adele, aufspringend und sich, wie eine Göttin der Vergeltung, mit zornsprühenden Augen vor ihrem Bruder aufstellend. »Er hat das Recht uns hinauszuweisen, und der alte Mann dort hat die Macht in Händen, Dich durch sein Gesinde von der Schwelle des Hauses jagen zu lassen, das Du durch Dein niederträchtiges Betragen entheiligt, dessen Schutz Du verwirkt hast. Pfui über Dich, Du Undankbarer! Erkenne und bereue Dein fürchterliches Leben, demüthige Dich vor diesem gütigen Manne, der uns geliebt hat wie seine Kinder.«

»Dein Sermon ist langweilig und laborirt an Schauspielerlügen, süße Schwester,« spottete der junge Mann. »Was dem Vater meines Vaters gehört, das gehört auch mir!«

»So suche Dir den, welcher der Vater Deines Vaters ist!« sprach Adele mit schmerzlich bewegter Stimme.

»Wozu? Ich bin zufrieden mit dem Exemplar, das ich da vor mir habe!« meinte Karl, hohnlächelnd auf den alten Herrn deutend.

»Entferne Dich, Du frecher Gesell!« befahl nun endlich, an der Grenze seiner Geduld anlangend, der alte Herr. »Ich hatte es gut mit Dir im Sinne, denn ich habe Geld und Gut genug für drei Kinder–«

»Sieh da! Das ist ein guter Einfall, Großpapa,« unterbrach ihn der junge Mann, mit dem ganzen Uebermuthe einer verwilderten Natur laut auflachend. »Also der Jüngling dort soll Pflichttheil mit uns genießen? Bon! Ich bin's zufrieden, muß mir aber doch vorher ein kleines Verhör aus dem Stegreife mit ihm erlauben, ehe ich ihn als Miterben acceptire.«

Mit Behendigkeit und einer Eile, die jeden Einwand überflüssig machte, näherte sich der junge Herr dem Kaffeetische, warf der errötheten Rosa einen Kußfinger zu, ergriff die silberne Kaffeekanne, schenkte sich ein, warf große Stücke Zucker in die Tasse und wendete sich, dieselbe mit freiem Anstande in der Hand tragend, sarkastisch-höflich speciell an Charles, der ruhig, mit untergeschlagenen Armen dastand.

»Ja, ja! Die Ueberraschung ist der wohllöblichen Gesellschaft hier, die hinter meinem Rücken conspirirte, zu plötzlich gekommen. Sie sind, wie ich wahrnehme, allzusammen alterirt. Es thut nichts. Den großen Geist erkennt man am besten –«

»An der Frechheit!« schloß der Fabrikherr sehr eilig.

Karl ließ einen kühlen, nicht achtenden Blick über ihn hinstreifen, ignorirte jedoch seinen Ausfall gänzlich und fuhr fort:

»Wo sind Sie denn geboren, mein hoher Herr?«

Adele rang ihre Hände und rief flehend:

»Karl! Karl! Besinne Dich! Schweige und höre mich erst! Komm' in mein Zimmer, Karl!«

»Bei Gelegenheit, süße Schwester. Jetzt nicht!« war die höhnende Antwort des tollen Gastes.

Charles legte seine Rechte fest auf die in einander gerungenen Hände des jungen Mädchens und sagte mit strahlendem Lächeln:

»Lassen Sie ihn doch, Adele! Es soll ihm nicht gelingen, mich mit dem thörichten Launenausbruche in Zorn zu bringen. Vertrauen Sie mir. Ihr Bruder und ich werden die besten Freunde werden, wenn er sein juristisches Verhör zu seiner vollständigen Befriedigung erledigt sieht. Setzen wir uns. Es läßt sich besser eine gemüthliche Scene sitzend aufführen, als stehend.«

Er setzte sich wirklich nieder und lud durch den artigsten Wink seinen Inquirenten ein, ihm darin nachzuahmen. Dieser leistete dem Winke nicht Folge und verlor durch diesen geringfügigen Umstand viel von dem Ansehen, das er sich als Sohn des Hauses zu geben bemüht gewesen war.

Während Charles in neckender Gemüthlichkeit es sich bequem machte, agirte sein Gegner bei der folgenden Entwicklungsscene stehend und mit theatralischem Anstande.

»Sie fragten, wo ich geboren sei?« nahm Charles das Wort und knüpfte mit dieser Frage den Faden des Gespräches wieder da an, wo Adelens Besorgniß ihn abgerissen hatte.

»Und ich habe bis jetzt vergeblich auf Antwort gehofft!« erklärte Karl affectirt höflich, indem er einen Schluck Kaffee trank und seinen Theelöffel langsam in der Tasse umherdrehte.

»Ganz natürlich! Der Mensch weiß es ja nicht, wo er sich bei seiner Geburt befunden hat!« referirte Charles heiter. »Was sollte ich Ihnen also antworten?«

»Nach dieser Erklärung würde meine Frage nach Ihrer Religion auch überflüssig sein; denn von seiner Taufe weiß der Mensch gottlob auch nichts! Vielleicht können Sie mir aber die dritte der gewöhnlichen Generalfragen im Criminalverhör besser beantworten: ›Sind Sie schon in Untersuchung gewesen?‹« fügte er hämisch hinzu.

Allen Anwesenden stockte der Athem in der Brust bei dieser Beleidigung, nur Charles lachte hell auf.

»Jawohl! Jawohl! In drohender Untersuchung! Mein Großvater Vanpotter hat eine schwere Untersuchung über mich verhängt, bevor er meine Rechte anerkannte.«

»Sie waren aber gewaffnet und gerüstet genug, um ihm Sand in die Augen zu streuen?« fragte der junge Herr mit boshafter Höflichkeit. »Sie ließen gefundene Briefe und gestohlene Documente für Ihre Rechte sprechen?«

»Allerdings! Ich hatte wahrhaftig Mühe und List nöthig, um meiner Mama die Briefe zu entwenden, die mich in den Besitz des mir lange vorenthaltenen Geheimnisses meiner Abstammung setzten. Der Ahnenstolz meiner Mutter war schwer zu bekämpfen –«

»Ihre Mutter? Pah – die Schwiegertochter des Großvaters ist todt –«

»Behüte! Ihre Mutter mag todt sein. Die meinige lebt und wird sehr bald im Thale erscheinen, um hier Aller Herzen zu bezaubern!«

»So lange ich lebe, wird sie hier nichts bezaubern!« schrie der junge Mann, aus der Rolle fallend. »Ich bin des Comödienspielens satt!«

»Und ich bin Deines Betragens satt und müde.« sprach der alte Vanpotter ernst und ruhig.

»Du weißt aus alter Zeit, daß ich mich darum nicht kümmere!« entgegnete Karl mit knabenhafter Ungezogenheit.

»Gottlob, daß ich erlebt habe, dem tiefen Gefühle meiner Abneigung gegen Dich Worte geben zu dürfen,« sprach Vanpotter eben so ruhig fort, während sich eine sichtliche Spannung in Aller Mienen zu zeigen begann. Man fühlte, daß sich eine Katastrophe vorbereite. »Du hast mir stets nur Kummer bereitet, Du bist von Jugend auf störrisch, leichtsinnig und verschwenderisch bis zum Uebermaße gewesen. Die Universitätsjahre haben das Maß Deiner Untugenden voll gemacht und Du stehst jetzt auf dem Gipfel aller Laster, die dem cultivirten Menschen möglich sind.«

»Wohin soll diese Strafepistel führen?« warf Karl mit empörender Nichtachtung ein.

»Zu der Erklärung, daß ich nur den Bericht des alten Kohnert abwarten werde, um die letzten Schritte für Dich zu thun. Vielleicht zwingt die Noth Deine Verwilderung.«

Karl unterbrach ihn mit erzwungenem Lachen.

»Gegen die Noth giebt es erlaubte Mittel! Ich will schon mit der Noth fertig werden. Bis dahin sind wir aber noch nicht!« Er setzte seine Tasse, die er noch immer in der Hand gehalten, hart nieder. »Thu', was Du willst, die Folgen werden auf Dein Haupt fallen. Ich verlange Beweise, daß ich nicht bin, wozu ich erzogen wurde. Ich verlange mein Recht, ich verlange mein Erbtheil ungeschmälert. Ueberlege Dir die Sache, Großvater, alle Folgen auf Dein Haupt, das, mit einem Fluche beladen, in die Grube stürzen soll!«

So weit hatte er sehr rasch, sehr heftig und sehr laut gesprochen. Dann aber war er plötzlich verstummt, denn die schwere, gewichtige Hand des starkgebauten Fabrikherrn brannte auf seinen verwegenen Lippen und dieselbe Hand schob in sonderbarer Eile den ganzen, sich wüthend sträubenden Menschen zur Thür hinaus.

»Fahre hin, Du verlorener, elender Wicht, fahre hin in die Grube, die Du Dir selbst gegraben!« sprach er dabei. »Dich werden wohl die Raben fressen, denn das Verderben Deiner Seele ist gewiß!«

Die Thür war geschlossen, ehe der junge Herr sich dessen versah und er hielt es unter diesen Umständen für gerathen, sich schnell vom Hausflur die Treppe hinauf zu begeben, wo er zu wohnen pflegte, wenn er gelegentlich auf Besuch kam.

Dorthin folgte ihm nach wenigen Minuten seine Schwester, um eine Erklärung und Beschwichtigung zu versuchen. Charles verließ ebenfalls das Zimmer. Seine mühsam bekämpfte Aufregung brach hervor und um seine Fassung behaupten zu können, mußte er einen Gang ins Freie unternehmen. Rosa blieb in Erwartung ihres feurigen Anbeters, des Barons Bruno, am Fenster sitzen, und ihre Mutter behauptete, nachdenklich strickend, ihren Platz im Sopha.

Aber der alte Herr hielt es für nothwendig, eine ganz offene und ehrliche Darlegung der angeregten Geldverhältnisse vom Fabrikherrn zu fordern. Er trat mit ihm in das Nebenzimmer, und dort enthüllte sich ihm endlich die tiefe Verdorbenheit des Mannes, den er als seinen Enkel betrachtet hatte, auf das Ueberraschendste. Obwohl er Karl stets für einen Verschwender gehalten und erklärt hatte, so überstieg doch der Plan, den sich dieser entworfen, um früher in den Besitz von großen Summen zu kommen, als es dem Naturlaufe gemäß war, alle Befürchtungen, die er je gehegt hatte.

Der Fabrikherr, halb und halb von der Nothwendigkeit gezwungen, verhehlte ihm auch keineswegs, daß er im Anfange dem Vorhaben des damals anerkannten Enkels vom alten Herrn geneigt gewesen, und zwar lediglich, um die Besitzung in keine andere wie Vanpotter'sche Hände fallen zu lassen, aber gestand nicht zu, daß er sich erst von diesem Vorhaben abgewendet, als er die unerwartete Nachricht der eingetretenen Veränderung empfangen.

Während sich die beiden Herren Vanpotter in ihr Capitel vertieften, während Frau Minna, den Inhalt ihres Gesprächs ahnend, sich höchst discret in ihrem Sophawinkel verhielt, während dieser Zeit kämpfte Adele oben im Zimmer ihres unseligen Bruders einen harten Kampf mit seinen Leidenschaften und lasterhaften Angewohnheiten. Sie blieb für den Augenblick in so fern Siegerin, als er ihr nach langen Vorhaltungen, nach beredten Schilderungen von der liebenswürdigen Güte des rechten Erben, Ruhe zu halten versprach, bis Kohnert von seiner Entdeckungsreise zurück sei.

»Bringt Kohnert böse Nachrichten, Adele« – so lautete des wilden Menschen letztes Wort, als Adele todtmatt und bleich wieder in das Wohnzimmer hinabsteigen wollte, »bringt Kohnert böse Nachrichten, so geschieht ein Unglück! Verlaß Dich darauf!«

Unterdessen diese Unterredung stattgefunden, war Charles tiefsinnig einen schmalen Pfad, der sich vom Garten aus zwischen den Gebüschen bis zur breiten Fahrstraße hinzog, entlang gewandelt. Seine Phantasie war überfüllt von dem, was er eben erlebt hatte. Sein Herz war empört über die Scenen, die er traumhaft an seiner Seele vorüberschweben sah. Was hatte alle Erziehung bei diesem Menschen gefruchtet? Gar nichts! Weder Güte, noch Strenge war im Stande gewesen, sein wildes Naturell zu beugen. Er zeigte sich als einen Mann, der frühreif, von Erfahrungen im Bösen gewitzigt war, der kein Elend und keine Noth fürchtete, der weder vor dem Alter, noch vor der Tugend des Alters Respect hatte, der, mit dem Uebermuthe der Verzweiflung gerüstet, aller Pietät spottete, der kein Herz, kein Gemüth, keinen Charakter und kein Ehrgefühl besaß. Was sollte, was konnte aus diesem Manne werden, wenn sich das Geschick bitter gegen ihn bewies?

Charles gelobte sich in diesem stillen Selbstgespräch, ihn brüderlich zu ermahnen, ihn vom Pfade des Verderbens zurückzuziehen, um Adelens willen. Wie herrlich erschien ihm gegen diese dunkle, dämonische Nachtgestalt das schöne Mädchen, die Schwester des moralisch schon untergegangenen Mannes!

Sein Lächeln kehrte wieder bei dem Gedanken an sie, und seine Zuversicht auf Glück wuchs, indem er sich ihr Bild vergegenwärtigte, wie es aus den verworrenen Auftritten der letzten Stunde hervorstrahlte.

*


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