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Eveline hatte, unter der Einwirkung einer Gemüthsbewegung, die ihre ganze Fassung umzustürzen drohte, das Zimmer verlassen und sah bald darauf von ihrem Fenster aus den Rittmeister die Landstraße hinabsprengen.
Sie tadelte sich selbst, daß sie die erste Veranlassung zu einer nothwendigen Erklärung nicht besser benutzt und ein Ereigniß, welches sie mit Burkhard vor drei Jahren zusammengeführt, nicht gleichmüthig zur Sprache gebracht hatte. Gab ihr nicht die ehrenhafte Denkungsart des jungen Mannes eine Garantie, daß er die Umstände, die ihre Wangen noch stets mit schämigem Erröthen färbten, gewiß unberührt gelassen haben würde? Ja, o ja, aber nach ihrer Meinung hieß es eine heilige Erinnerung profaniren, wenn fremde Ohren bei dieser Reminiscenz gegenwärtig waren. Es bildete sich für ihr romantisches Gemüth ein magisches Band aus ihrem Begegnen in jenen Felsen von Adersbach und sie glaubte sicher zu sein, daß auch sein Charakter phantastisch genug wäre, um in diesem Zusammentreffen einen Anknüpfungspunkt für ihr jetziges Verhältniß zu finden.
Wenn es eine wesentliche Erleichterung für sie gewesen war, daß er sich ihrer nicht mehr erinnerte, daß ihr Bild von den Ereignissen seines fernern Lebens gänzlich verwischt worden war, so wurde es jedoch wieder ein Anlaß zu überwältigender Freude, als sie gewahrte, daß es nur der Nennung des Ortes bedurfte, der sie schon zusammengesehen hatte, um ihr Bild wieder ihm zurückzuführen! Sie hörte noch, daß Burkhard fragte, ob ihre Mutter eine von der Horst gewesen sei und schloß mit Recht daraus, daß er damals von den Leuten nicht den Namen ihres Vaters, sondern ihres Großvaters erfahren hatte.
Ihr Geist verirrte sich in die Begebenheit jenes Tages. Sie sah sich, neben ihrer schönen, geliebten Mutter, zu Pferde nach Adersbach wallfahrten. Ihre Mutter liebte die melancholische Großartigkeit dieser Felsengruppen und sie versäumte niemals, dorthin zu reiten, wenn sie ihren alten Papa besuchte. Auch dies Mal drängte es sie mit unwiderstehlicher Macht dorthin, obwohl regenvolle, schwüle Tage sich aneinander reiheten und den Besuch der engen Felsengänge nicht allein beschwerlich, sondern auch gefährlich machten.
Eveline erinnerte sich lebhaft, wie heiter und wolkenlos der Morgen gewesen war, an welchem sie mit ihrer Mutter, zuerst durch breite, fruchtbare Landstrecken und dann durch eine Thalschlucht ritt, an deren linker Seite ein Gebirgsbach rauschend seine Wellen über Geröll und Felsenblöcke hinweg walzte. Warme, schmeichelnde Luftschwingen hatten die Wege schon getrocknet, aber das angeschwollene Wasser bewies noch eine Ueberfüllung der Bergquellen. Ihre Mutter hatte heitern Muthes darauf hingedeutet, daß der Wasserfall in der Hohle gewiß prachtvoll stürze. Das graue Gestein der Felsenkegel war ihnen »wie gewaschen« erschienen und die zahllosen funkelnden Regentropfen in den Schlinggewächsen, die hier und da, eine reizende Garnirung bildend, vom zerbröckelnden Steinwerke hinabhingen, galten ihnen als Diamanten, verlockend von Berggeistern dorthin gestreuet. Unter solchen Scherzen hatten sie den Weg zurück gelegt und waren vor der kleinen Schenke abgestiegen, um in die Felsenalleen hineinzuwandern.
Die Leute in der Schenke kannten ihre Mutter von Jugend auf. Sie begrüßten die Dame mit treuherziger Freude in der Gemüthlichkeit ihrer Mundart und ließen sie ohne Sorge dahin wandern, wo sie, wie sie wußten, zu Hause war. Nur den guten Rath riefen sie ihr noch nach, sich mehr rechts zu halten, da die Gewässer stark gewühlt und den Weg zerrissen hätten, wie eben ein Herr, der dort gewesen sei, ihnen mitgetheilt habe.
Eveline verweilte mit wahrer Lust bei dem Gedanken an den neckischen Muthwillen, womit sie sowohl, als ihre Mutter, die schmalen Rinnen übersprungen hatten, wie sie neben strudelnden Wasserpfützen vorübergeschlichen waren, immer besorgt, daß der Wellen Gekräusel tückisch über ihre Füße fahren werde.
Es war eine Jugendlust gewesen, die hart gebüßt werden konnte, denn schon standen die Wetterwolken oben am Himmel wieder bereit, ihre Ströme von Regen über die vollgefüllten Bachufer auszuschütten, und was das zwischen den engen himmelhohen Felsenkegeln zu sagen hatte, konnte sich selbst ein Unerfahrener denken.
Eveline erinnerte sich auch sehr wohl, daß plötzlich ihre Mutter in heftigem Schrecken aus der Ruhe aufgefahren war, womit sie ein mitgebrachtes Frühstück, tief im Labyrinthe, nahe der ewig strömenden Quelle aus dem Gestein, verzehrt hatten, als ein dumpfes Donnerrollen ihre Aufmerksamkeit auf den wolkenbedeckten Himmel gelenkt hatte. Sie fand einen eiligen Rückweg nöthig – aber zu spät! Schon fielen einzelne Tropfen und Blitze fuhren im Zickzack an den Felsenmauern herab. Rathlos stand die Mutter, ihre Tochter fest umschließend. Es war mehr, als eine Stunde nöthig, um dem Ausgange, der sehr wasserreich war, nahe zu kommen. Kein Mensch in der Nähe! Kein Obdach! Nichts, was ihnen Schutz gewähren, was das Eindringen des Regens in ihre leichte Kleidung verhindern konnte. Leichtsinnig dem Himmel, der so wolkenlos blau gewesen, vertrauend, hatte Evelinens Mutter jede Vorsicht vergessen. Die Wolken zogen sich furchtbar rasch über ihnen zusammen – es wurde fast dunkel in dem engen Kessel, wo sie gelagert hatten. Da erschien, wie ein Gott, im schmalen Eingange eine Gestalt. Rasch bewegte sie sich ihnen zu und unter dem rollenden Donner brach ein heftiger Regenschauer herab.
Diese Gestalt, die gleich einem Wunder vor ihnen erschienen, war der Baron Burkhard gewesen, der ihre Wanderung durch die Leute in der Schenke erfahren und ihre Gefahr geahnt hatte. Unter seinem tröstlichen Schutze ließen sie die erste Wolke an sich vorüberrauschen und als ein Stillstand des Unwetters danach eingetreten war, machten sie sich eiligst auf, um den Rückweg zu versuchen.
Eveline barg hocherröthend ihr Gesicht in beiden Händen bei diesem Gedanken. Sie, das zarte, kaum vierzehnjährige Mädchen, war der Anstrengung dieser Wanderung nicht gewachsen gewesen und von Burkhard's starken Armen emporgehoben, an seine Brust gebettet, tröstend von seinen dunkeln Augen angestrahlt, hatte sie die Tour durch die angeschwollene Fluth machen müssen, während ihre Mutter heroisch dem Manne folgte und nur durch seine Hülfe die stürzenden Regenbäche glücklich passirte.
Und dann? Ja, dann, als sie endlich glücklich bei den Alleen, wie das Volk die einzelnen Steinkegel nannte, angelangt, als Eveline nun im Stande war, ihren Weg zu gehen, da hatte sie in überschwänglicher Dankbarkeit ihre Lippen auf des jungen Mannes Mund gelegt, um ihm, unschuldig ihres Vaters Liebkosungen gedenkend, damit zu danken! O, sie war hart gestraft worden für diese kindliche Zutraulichkeit! Ueberrascht hatte Burkhard in ihr lächelndes Antlitz geblickt, hatte sein feuriges Auge einen Moment in ihr blaues Augenpaar gesenkt und hatte dann, verlockt von der Lieblichkeit ihres unschuldigen Lächelns, den Kuß mit ungleich größerer Wärme erwiedert. Mit diesem Kusse erschloß sich die Jungfräulichkeit ihres Herzens. Sie fühlte dunkel, daß in der Berührung dieser männlichen Lippen etwas Anderes lag, als das väterliche Wohlwollen, das sie gewohnt war.
Baron Burkhard hatte sich damals eiligst ihren weitern Dankbezeugungen entzogen und war spurlos verschwunden. Erst später erfuhren sie, daß es ein Baron Mallzow gewesen sei. Gewiß wußten sie es erst seit dem vorigen Herbste, wo der Zufall es fügte, daß Lieferungsgeschäfte den Herrn von Saint Potern nach Posen führten, wohin er sich von seiner Familie begleiten ließ. Bald darauf starb Evelinen's Mutter. Seitdem knüpfte Saint Potern die lockere gesellschaftliche Verbindung enger und suchte, einem ausgesprochenen Wunsche seiner verstorbenen Gattin zufolge, die Freundschaft des Ministers zu erwerben.
Daß er besser daran thue, die schöne Lotta, des Ministers zweite Gemahlin, zur Vertreterin seiner Wünsche zu machen, leuchtete Saint Potern jedoch sehr bald ein und unter ihrer Leitung entwickelten sich die Vorbereitungen zu einer Verbindung, die Evelinens Mutter mit schwärmerischer Inbrunst gewünscht hatte, sehr schnell.
Von dem Vorgange in Adersbach wußte Herr v. Saint Potern sehr wenig. Früherhin hatte er sich nicht dafür interessirt, und als er zur Zeit nachträglich darnach forschte, da fand er Evelinens Herz beängstigt und verschlossen. Sie fürchtete eine Täuschung; sie fürchtete eine Demüthigung! Das stille, halb wehmüthige, halb sehnsüchtig schüchterne Gefühl, das sie dem Helfer in der Roth bewahrt hatte, war keineswegs Liebe zu nennen, aber es bewies sich, der ersten Zusammenkunft nach zu urtheilen, als vertrauensvoll genug, um eben so zuversichtlich ihren Weg durch's Leben am Arme Burkhard's zu beginnen, wie sie es damals auf seinem Arme gewagt hatte.
Ihr Vater war offen zu Werke gegangen, hatte ihr offenbart, daß es ein still gehegter Plan ihrer Mutter gewesen sei, sie als Gattin dieses edelsinnigen Mannes zu sehen und hatte ihr die Entscheidung darüber anheimgegeben. Sie wollte diese Entscheidung von dem Auftreten des jungen Mannes gegen sie, als reiche Erbin, abhängig machen. Wir haben gesehen, daß Burkhard's Benehmen ihren Anforderungen entsprach.
Evelinen lag es nun ob, ihrem Vater die Resultate der ersten Zusammenkunft zu melden. Sie setzte sich ohne Zögern an den Schreibtisch, um dies Werk zu beginnen, als sich die Thür ganz leise hinter ihr öffnete und der Herr von Saint Potern, durch die Estafette der Baronin Lotta veranlaßt, behutsam eintrat.
Eveline blickte sich um. Freudig bewegt sprang sie auf, küßte ihren Papa und flüsterte:
»Gut, gut, daß Du kommst, eben wollte ich Bericht erstatten, Papa!«
Saint Potern hob den etwas gesenkten Kopf seines Kindes leicht lächelnd empor und drückte sein ganzes Vatergefühl und seine Vatersorge in dem einzigen Wörtchen aus:
»Nun?«
»O, er ist wirklich der brave, edle Mann, wofür ihn meine selige Mama erkannt hat,« entgegnete Eveline beeilt. »Er will prüfen und geprüft sein! Wenn er mich wählt, so liebt, achtet und ehrt er mich!«
»Aber mich, den Parvenü nicht,« sprach Saint Potern gelassen, indem er sein kohlschwarzes dichtes Haar, das er bisweilen schon ohne Puder trug, kerzensteif in die Höhe strich. »Baronin Lotta hat mich hergehetzt, meine geliebte Kleine –«
»Papa –« unterbrach ihn das Mädchen sehr ernst, fast feierlich, »brich jede Verbindung mit der Baronin Lotta ab – sie entehrt uns! Heute früh bin ich dem Lord Charlestone begegnet. Er drückte zwar die Nebelkappe tief ins Gesicht und wendete schnell seinen Araber, allein ich erkannte sowohl ihn, als sein Pferd. Meide jede Gemeinschaft mit einer Frau, die uns in Mißcredit bringen kann. Ich weiß, Ihr habt einen Vertrag gemacht, in Form einer Wette, wie hängt dies zusammen?«
Saint Potern strich etwas unbehaglich das aufgetürmte Haar wieder nieder.
»Ja wohl, geliebte Kleine, ja wohl! Die schlaue Dame versteht es, zahlungsfähige Schuldner zu gewinnen – sie trieb mich scherzend in die Enge, bis ich auf die Wette einging, 1000 preußische Goldstücke zu zahlen, wenn Baron Burkhard freiwillig seinen Antrag mache.«
Evelinens Blicke drückten maßloses Erstaunen aus.
»1000 Goldstücke!« wiederholte sie gedehnt.
»Ja wohl, geliebte Kleine. Sie fordert das erste Viertel dieses Preises, weil sie meint, Baron Burkhard werde noch heute den Antrag machen.«
»Zahle ihr den ganzen Betrag und kaufe Dich dadurch los, Papa! Ich will mein Glück oder Unglück dieser Dame nicht verdanken!«
»Sehr wohl, meine Kleine, aber die Gräfin Hoym meinte eben, Du müßtest vielleicht ins Jagdschloß übersiedeln, da sie in einigen Tagen abzureisen gedenke!«
Eveline schaute frappirt auf. Sie ließ das Benehmen der Gräfin, das sich seit diesem Tage merkwürdig verändert hatte, prüfend an ihrem Geiste vorüberziehen. So jung sie war, so blieb ihr doch nicht verborgen, daß das Interesse, welches die Gräfin bisher für sie gezeigt, entweder geschwächt worden war, oder daß es niemals in Wirklichkeit bestanden hatte. Von ihrer Mutter, die das unhaltbare, schwankende Wesen ihres Gatten berücksichtigte, zu einer besonnenen Selbstprüfung ihrer Verhältnisse angeleitet, faßte sie kurzweg einen Entschluß, der allen Intriguen ein Ende machte.
»Papa – meine Stellung ist derjenigen nicht würdig, die meiner als Gattin eines ehrenwerthen Cavaliers wartet. Es liegt so viel Abenteuerliches in unserem Auftreten, daß das Mißtrauen der edlern Menschen natürlich ist. Willst Du mir eine Liebe erweisen, so richte schleunig Dein Hauswesen in Breslau zu meinem Empfange ein, entsage für eine kurze Zeit Deinen garçon-mäßigen Gewohnheiten und biete Deiner Tochter den Schutz, den Du als Vater zu verleihen im Stande bist.«
»Ganz gut, meine angebetete Kleine,« erwiederte Herr v. Saint Potern mit zärtlichem Lächeln, »aber ich pflichte, nach meiner Kenntniß des Mallzow'schen Ahnenstolzes, der Baronin Lotta bei, daß ohne die Hülfe der Gräfin Hoym nichts zu machen ist.«
»Mag dann ein Project scheitern, das im Geiste meiner Mutter begonnen ist,« sprach Eveline fest und sehr entschieden. »Burkhard bedingt eine Prüfung – gut, es soll eine Prüfung seiner Empfindungen sein, ob er den Muth hat, um Deine Tochter zu werben, wenn sie der Protection hochgestellter Damen entzogen wird. Ich will der Preis eines Kampfes sein, und nicht durch Intriguen aller Arten zu dem Manne emporgehoben werden, der meine ganze Theilnahme in Anspruch nimmt. Warten wir ab, was dieser Schritt für Folgen hat. Thue mir die Liebe und nimm mich unter Deine Obhut, ordne unsern Haushalt und sende mir in einigen Tagen unsere Equipage nebst einer standesmäßigen Duenna, um mich abzuholen. Willst Du, mein lieber Vater?« fragte sie, sein noch immer hübsches, männliches Gesicht streichelnd.
Unmittelbar nach dieser Unterredung entfernte sich Saint Potern, ohne die Gräfin wiedergesehen zu haben. Sie war hinübergefahren zu einer Busenfreundin, um die Ereignisse des Morgens in deren Herzen niederzulegen.
Nachdenklich ritt Saint Potern seines Weges. Er war ein guter Mann, quecksilbern in seinem Wesen, wie ein echter Südländer und gefallsüchtig wie ein junges Mädchen. Er hielt es für seine Schuldigkeit, jeder hübschen Dame den Hof zu machen und ihr nebenbei so viel Leidenschaft für sich einzuflößen, wie ihm bequem war. Dabei blieb er selbst aber so kaltsinnig, wie die herzloseste Kokette und gestattete nur seinen schönen, schwarzen Augen, einen ganzen Himmel voll Liebe und Zärtlichkeit zu verrathen. Weiter erstreckten sich seine Sünden, hinsichts der Untreue gegen seine Gattin, nie. Trotzdem galt er für einen gefährlichen Verehrer des weiblichen Geschlechts und das war es, was er erzielen wollte.
Seine eigentlichen Leidenschaften beruhten in ganz andern Dingen. Er hatte zum Beispiel die Passion, in jedem Feldkiesel einen Diamanten zu vermuthen, und ließ sich die Mühe nicht verdrießen, Tage lang mit der größten Vorsicht Quarzstücke abzusplittern, um den edlen Gehalt derselben zu untersuchen. Diese Manie harmonirte mit seiner Vorliebe für Evelinen. Er sah in ihr einen Edelstein, eine Perle ihres Geschlechts und begegnete ihr stets mit der größten Nachgiebigkeit und Zartsinnigkeit. Ihre Wünsche waren ihm Befehle, und was er jemals an Zärtlichkeit in seinem leichtfertigen Herzen für seine verstorbene Gattin gehegt haben mochte, das übertrug er doppelt und dreifach auf sein einziges Kind.
Der Bruch mit der Baronin Lotta lag eigentlich gar nicht in seinem Plane, denn ihn amusirte der Verkehr mit dieser Dame, die ihm nicht allein in der Koketterie ebenbürtig war, sondern ihn überflügelte. Sie kostete ihm viel Geld, das stand fest. Da er jedoch, ohne banquerott zu werden, über viel gebieten konnte, so ergötzte ihn die schlaue Habsucht, womit sie ihn zu allerlei Wetten verführte. Erst das Erstaunen seiner Tochter hatte ihn aufmerksam darauf gemacht, daß die Dame die Sache wohl zu weit treiben möchte.
Durch das Verlangen Evelinens, in ihres Vaters Häuslichkeit eine Heimath zu gründen, lockerte sich die Verbindung zwischen ihm und der Baronin. Sie hatte dadurch ihre Wette, mithin den Anspruch an die 1000 Goldstücke verloren und alle die Kunstmittel, die sie in Bewegung gesetzt hatte, wurden gänzlich unnütz, wenn Baron Burkhard unaufgefordert sein Haus besuchte und Evelinens Hand von ihm forderte.
Das fühlte Herr v. Saint Potern aber nur dunkel, da er keineswegs in Kenntniß von dem gesetzt war, was man aufgeboten hatte, um den Baron Burkhard zu der Heirath mit seiner Tochter zu bewegen. Wäre er davon unterrichtet worden, daß der Sohn aus kindlicher Pietät einen Schritt unternahm, der seinem Charakter widerstand, so würde er die Freundschaft der Baronin bei Weitem geringer geachtet haben. Für ihn gab es kein heiligeres Band, kein wohlthuenderes Verhältniß, als das zwischen Eltern und Kindern. So gleichgültig er in Bezug auf Menschenwerth war, ein gutes liebendes Kinderherz krönte er mit dem höchsten Lobe.
Aber er wußte nichts von dem, was Burkhard gesagt, was er bekämpft hatte, bevor er seine Einwilligung gegeben. Die Baronin war schlau genug gewesen, ihm das Resultat ihrer Bemühung, aber nicht die scharfsinnigen Mittel dazu, mitzutheilen; eben so wenig, wie sie geneigt gewesen war, dem jungen Manne selbst ihre stille Mitwirkung zu verrathen.
Nachdenklich, wie er von seiner Tochter geschieden war, langte er bei der gastlich geöffneten Einfahrt des Jagdschlosses, wo er vorbeipassiren mußte, an. Sein Blick fiel zuerst gleichgültig auf das Haus, in welchem die Dame wohnte, die ihn so angenehm zu beschäftigen wußte und er würde ruhig seine Straße verfolgt haben, wenn sich nicht plötzlich ein Fenster im Erdgeschosse geöffnet und eine helle, fröhliche Stimme seinen Namen gerufen hätte.
Saint Potern hielt an, überlegte eine einzige Sekunde und wendete dann sein Roß gutmüthig lächelnd der Einfahrt zu.
Einige Minuten später saß er in demselben Zimmer, wo der Minister Tags zuvor seinen Sohn empfangen hatte, auf dem schwellenden Divan neben der Baronin Lotta, die in der liebenswürdigsten Laune gegen sein Herz zu Felde zog.
»Sie Verräther – Sie Wortbrüchiger – Sie Meineidiger,« schalt sie, mit warmen Blicken seine Hand fassend.
»Den ganzen Tag habe ich hier auf der Lauer gelegen, um Sie zu erwarten und nun wollten Sie vorüberziehen ohne Sang und Klang? Habe ich nicht ein Recht auf Ihren Besuch? Konnte ich ihn nicht erwarten, nachdem meine Wette glänzend gewonnen ist, da Burkhard heute Morgen in aller Form seinen Antrag gemacht hat?«
»Noch nicht, Gnädigste!« erwiederte Herr v. Saint Potern, mit schmachtender Sehnsucht seine beredten dunkeln Augen auf die schöne Frau heftend, die eben nicht sparsam in der Erwiederung dieser Zärtlichkeitsströmungen war. »Der Antrag ist vertagt! Baron Burkhard will meine Eveline erst kennen lernen und sie soll ihn prüfen. Eveline ist zufrieden mit diesem ersten Schritte und ich bin es auch.«
»Sie scheinen mir die Stipulationen der Wette ins Breite ziehen zu wollen!« rief die Baronin lachend. »Das dulde ich nicht! Ich muß, wie ich Ihnen schon schrieb, darauf bestehen, daß mir eine Anzahlung gemacht wird!«
»Eveline meint, ich solle die Wette gleich ganz bezahlen und damit jede fernere Einmischung der Damen beseitigen,« sprach der Mann in leichtfertiger Sorglosigkeit.
Die Baronin stutzte und richtete ihren Blick erst nachdenklich in die Ferne, bevor sie ihn wieder verlockend in Saint Potern's Augen versenkte.
»Wie verstehe ich das, theurer Freund,« entgegnete sie weich und freundlich. »Ist Ihrer Tochter unsere Freundschaft lästig?«
Als er nur die Achseln zuckte und nichts antwortete, legte sie den Arm um seine Schulter und neigte sich dicht zu ihm.
»Sie haben zu viel gesagt – Sie müssen nun Alles beichten, geliebter Freund.«
»Gott, da ist wenig zu beichten!« rief Saint Potern. »Eveline findet es passender, in mein Haus zurückzukehren, als vagabondirend umherzuleben – natürlich! Ich soll eine Duenna schaffen –«
Wie ein Blitz durchfuhr ein Gedanke der Baronin Brust. »Eveline hat Recht,« sprach sie ihn rasch unterbrechend. »Ich kann Ihnen eine Dame von Stande vorschlagen, die diesem Ehrenamte vorstehen wird.«
Saint Potern lächelte und sah sie mißtrauisch an.
»Die nimmt Eveline nicht an, Gnädige!«
»Haßt Eveline mich etwa?« fragte die Baronin lebhaft. »O, sie hat keine Ursache dazu, denn ich opfere ihrer Ruhe, ihrem Glücke meine glühendsten Gefühle – ich reiße mein Herz blutend vom dem los, welcher –« sie unterbrach sich, um das Gift der Neugier in das Innere Saint Potern's zu träufeln, da sie wußte, daß er in seiner geschwätzigen Thorheit seiner Tochter das berichten würde, was sie sprach.
Er verstand den Ausbruch ihrer Empfindung aber gänzlich falsch und hielt ihn für eine versteckte Erklärung ihrer Liebe für ihn. So weit ließ er es nie gern kommen. Während die schöne Frau neben ihm eine schmerzliche Erschütterung affectirte, wandelte ihn eine leichte Reue an, sich diesem tête-à-tête ausgesetzt zu haben.
Saint Potern sah sich rathlos nach einem Auskunftsmittel um, welches ihn einer Situation entziehen könnte, die ihm peinlich wurde. Für ihn existirte nichts Unbehaglicheres, als Liebeserklärungen und ein Schauder überlief seine Seele bei dem Gedanken, daß diese schöne Frau, von seinen strafbaren zärtlichen Blicken verlockt, ihn mit Erklärungen dieser Art behelligen könnte. –
»Sie liebt mich!« dachte er verzweiflungsvoll. »Großer Gott, wie lästig sind doch die Frauen, welche unsern Augen Vertrauen schenken! Es ist klar, sie liebt mich! Ich muß sie loszuwerden suchen! Großer Gott, die Qualen, mit einer leidenschaftlichen Dame fertig werden zu sollen, die grenzen an Höllenqualen!«
Er versuchte unter diesen Gedanken sich aus der Umarmung der Baronin loszumachen. Es gelang ihm nicht, sie stützte ihre Stirn nur noch fester gegen seine Brust. Was konnte er dagegen thun? Er blieb also still und geduldig sitzen, wurde aber immer kälter, immer eisiger, während Baronin Lotta sich einbildete, ihn in ein Meer von Gluth gestürzt zu haben. Sie verband zwei Zwecke mit diesem einen Mittel. Sie wollte ihn unterjochen und er sollte in seiner Leichtfertigkeit die unschuldige Friedlichkeit von Evelinens Träumen zerstören.
Wie weit sie noch gegangen sein würde, bleibt ungewiß. Ein Geräusch über ihrem Haupte, dem ein polterndes Herabsteigen auf einer Treppe und dann ein ungestümes Oeffnen der Tapetenthür folgte, beendete die zweifelhafte Scene und gab dem armen Saint Potern die Freiheit seines Denkens und Handelns wieder. Zum Schrecken Beider aber stand plötzlich die hohe, stattliche Gestalt Burkhard's im Zimmer, der mit verächtlichem Mißtrauen ihre Gesichter musterte und dann herbe fragte:
»Zum Teufel, gnädige Mama, seit wann besteht denn diese geheime Verbindung zwischen den obern Gemächern und diesem Zimmer? Ist das eine Erfindung Ihrer Liebe oder eine Schöpfung des Spionir-Systems?«
»Darüber kann ich Ihnen keine Auskunft geben,« erwiederte die Baronin, »aber wenn Sie erlauben, so präsentire ich Ihnen in diesem Herrn Ihren künftigen Herrn Schwiegervater, Herrn v. Saint Potern!«
Burkhard richtete sich in straff militairischer Haltung empor, wurde aber sichtlich roth bei der Nennung dieses Namens.
»Ich bin des Lügens nicht gewohnt, mein Herr,« begann er, ernst auf die elegante und angenehme Persönlichkeit hinblickend, die ihm durch die Präsentation gleich so nahe gestellt war, »deshalb gestehe ich Ihnen, daß ich gewünscht hätte, unter andern Umständen Ihre Bekanntschaft zu machen.«
»Sie haben Recht, Herr Baron,« entgegnete Saint Potern mit gewinnender Offenheit, »aber ich bitte Sie, um meiner Tochter willen, dem Zufalle nicht zu viel Gewicht beizulegen. Ich ritt vorüber und hielt nur auf Befehl der gnädigen Frau an.«
»Ah – sind Sie vielleicht der Reiter von heute Morgen?« fragte Burkhard erleichtert. »Sie brachen durch's Gebüsch bei der Capelle?«
Herr v. Saint Potern lächelte schlau und sah die Baronin an, welche ganz verwandelt dastand und gleichgültig zuzuhören schien. Für's Leben gern wäre er seiner Schwatzsucht gefolgt und hätte gedankenlos den Namen des Lord Charlestone, der von seiner Tochter gesehen worden war, genannt; glücklicherweise ließ ihm Burkhard keine Zeit dazu, weil er fest annahm, in ihm den ungestümen Reiter zu sehen. Er wendete sich abermals mit der Frage nach der Entstehung dieses geheimen Aufganges an die Baronin und erfuhr zu seinem Erstaunen, daß die Treppe wahrscheinlich bestanden habe und nur nicht aufgefunden sei.
»Ein kleiner Schlüssel, der hinter einem Schranke hing, machte mich aufmerksam,« schloß die Dame gleichgültig, »und ich suchte so lange, bis ich das Schloß zu dem Schlüssel fand.«
»Das wäre keinem andern Menschen, wie Ihnen, gelungen,« meinte Burkhard sehr bezeichnend nachlässig. »Ihnen aber, mein Herr von Saint Potern, rathe ich, Ihr Leben durch Ihr tolles Reiten fernerhin nicht aufs Spiel zu setzen. Es ist jede Heimlichkeit unnöthig. Ich bin offen als Bewerber Ihrer Tochter aufgetreten.«
»Deshalb wünscht eben meine Eveline, daß wir uns in Breslau häuslich niederlassen und daß sie Ihre Besuche frei und offen im Vaterhause annehmen kann, wie ich so eben der gnädigen Baronin eröffnet habe,« entgegnete Saint Potern, der mit sichtlich wachsender Vorliebe den jungen Mann scharf beobachtet und gemustert hatte und der im Interesse an ihm mehr und mehr das Wesen eines Fantes, womit er bei den Damen Furore zu machen suchte, versteckte. Die edle Erscheinung Burkhard's imponirte ihm. Er verstand plötzlich die stillen Wünsche seiner verstorbenen Gattin in Betreff seiner zu würdigen und erkannte, daß Burkhard wohl eben so ein Diamant, ein Edelstein unter den Männern sein möchte, wie Eveline unter den Frauen. Diesen beiden Menschen ein festes, dauerndes Glück zu gründen, wurde im Nu ein Lieblingsgedanke von ihm, den er mit seinem wankelmüthigen Enthusiasmus zur Aufgabe seines Lebens zu machen gedachte.
Während der Zeit, daß diese Verwandlung in seinem Gemüthe eintrat, hatte die Baronin, unschlüssig über die richtigen Mittel, Eröffnungen und Aufklärungen jeder Art zu verhindern, mit kurzen, höflichen Worten den Vorwurf Burkhard's beseitigt, den er ihr, halb versöhnt durch die Idee, in Saint Potern den tollen Reiter zu sehen, wegen ihrer unnützen Verheimlichung dieses Besuches, machte. Sie hätte für's Leben gern das Zimmer verlassen, um sich einer Situation zu entziehen, die ihr Demüthigungen bereitete, allein die Klugheit gebot, daß sie blieb und über die geheimen Verträge, die ihr intriguantes Wechselspiel belohnen sollten, Wache hielt. Sie erwartete jeden Augenblick die lächerliche Schwatzhaftigkeit ihres Verbündeten ausbrechen zu sehen. Zu ihrem Erstaunen blieb jede Albernheit aus Saint Potern's Wesen verbannt und derselbe Mann, der sich durch seine Fadaisen und Sottisen auszeichnete, bewegte sich vor ihren Augen mit einer festen Haltung und einer edlen Vertraulichkeit.
»Er spielt seine Rolle vortrefflich!« dachte die schöne Frau jubelnd, weil sie nicht ahnete, daß es in diesem oberflächlichen, halb deutsch, halb französisch construirten Manne eine Quelle tiefer, heiliger Gefühle geben konnte, die seine kleinliche Weltlichkeit zu veredeln vermochte, ›die Liebe zu seinem einzigen Kinde!‹
Unterdessen sie dem Himmel dankte, daß ihre Unvorsichtigkeit so gut verlief, segnete Herr v. Saint Potern das Geschick, welches ihm Burkhard früh genug in den Weg geführt hatte, um seine fernern Schritte dieses Mannes würdig zu regeln. Daß er damit die schöne Baronin Lotta stillschweigend aus seinem Wege entfernte und jede Gemeinschaft mit ihr abschwor, ließ sich Niemand weniger träumen, als sie selbst.
Die beiden Männer schieden in gegenseitiger Achtung. Burkhard hatte, zu seiner Beruhigung, einen Mann in seinem künftigen Schwiegervater erkannt, welcher nicht aus dem Schlamme der Gemeinheit emporgewachsen war, sondern, außer einigen nationalen Eigenthümlichkeiten, sogar einen biedern, deutschen Sinn offenbart hatte.
Zufriedener noch, als am Morgen, blickte Burkhard dem rasch fortsprengenden Saint Potern, der durch Eile den kleinen Verzug im Jagdhause auszugleichen strebte, nach. Seine Brust war von einem häßlichen Verdachte, in Bezug des Morgen-Rendezvous, frei geworden und sein Herz war erleichtert von dem Drucke der Furcht, auf unwürdige Persönlichkeiten zu stoßen, die seinen gefaßten Entschluß erschweren könnten.
Als sein Vater späterhin von seinem Ausfluge zurückkehrte, reichte er ihm wohlgemuth die Hand und sagte:
»Sei ohne Sorgen, mein guter Vater – Dein Leben soll frei von Bedrängniß verfließen – was ich Dir gestern gelobt habe, werde ich Dir halten können, ohne dies Opfer zu schwer zu finden. Beide, sowohl Eveline als ihr Vater, haben mir gefallen!«
Die Baronin Lotta warf einen Blick des Triumphes gen Himmel. Sein Verderben war um so leichter und gewisser, wenn er das Mädchen zu lieben begann und dem Vater desselben Vertrauen schenkte.
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