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Elftes Capitel.

Unterdessen hatte sich das geräumige Schloß mit Gästen gefüllt und in den sonst so öden Corridoren wogte es von dienenden Geistern aller Arten.

Dorette, der Gräfin Sonnenfels schlaues Kammerkätzchen, spielte eine Hauptrolle bei dergleichen Aktionen. Ihr unvergleichliches Talent, fehlerhafte Taillen zu verbessern, hatte ihr ein gewisses Renommée verschafft, und was der Geschicklichkeit der Hände abging, das ersetzte sie durch die Geschicklichkeit der Zunge.

Durch die Macht der Mode eingeführt, waren die Festins im Costume seit der Zeit an der Tagesordnung, wo die junge Königin von Preußen mit unbefangener Fröhlichkeit ihr besonderes Wohlgefallen daran gezeigt hatte, und da Schönheit, Grazie und Koketterie bei solchen Gelegenheiten mehr, als in steifen Gastereien zur Geltung kam, so gab es bald in der Noblesse kein Festgelag, welches nicht auf irgend eine Weise durch Verkleidungen pikant gemacht wurde. Man improvisirte sogar dergleichen, um die Heiterkeit bis zum Uebermuthe zu treiben und warf den Etikettenzwang wie eine lästige Bürde von sich.

Daß unter diesen Umständen ein geschicktes Kammerzöfchen im Preise stieg, ist gar nicht zu verwundern. Dorette fühlte aber auch ihre Wichtigkeit, und je öfter sie zu dieser oder jener Dame gerufen wurde, um Rath zu geben, desto höher trug sie ihr Stumpfnäschen. Sie hatte gerade den Anzug ihrer Gebieterin, einer noch sehr jungen, aber mehr eiteln, als schönen Dame von auffallend feinem, aber nicht ganz fehlerfreiem Wuchse, beendet und wollte nur noch den Schleier mit dem Diadem auf dem Scheitel derselben befestigen, als die Baronin v. Mallzow ihre Hülfe wünschte. Zu ihrem Erstaunen befahl die Gräfin, daß sie unverzüglich hinüber zu ihr eilen und dann danach sehen sollte, daß die Draperie ihres Kopfputzes ganz gleich sei.

Dorette ging. Als sie wieder kam, spielte ein schlaues und behagliches Lächeln um ihre Lippen. Sie hatte jedenfalls etwas erfahren, was ihr Spaß machte. Die Baronin wußte besser als die Gräfin mit ihr umzugehen, und da Dorette zu den Dienstboten gehörte, die das mangelnde Vertrauen der Herrschaft mit Bosheit vergelten, so ließ sich erwarten, daß sie von nun an mehr dem Interesse der Baronin sich zuwenden würde, als dem Wohle ihrer Gebieterin.

Die Baronin Lotta hatte im Stillen den Plan entworfen, eine Contremine anzulegen, wodurch sie die Gräfin mit ihren beiden Juwelieren dem allgemeinen Gelächter bloßzustellen gedachte. Dazu mußte sie Hülfe haben, und ihr sicheres Auge erkannte in Doretten die Tüchtigkeit zur Intriguantin. Ein Goldstück zu rechter Zeit hatte seine Wirkung schon nicht verfehlt; Dorette war darauf eingegangen, der Baronin Alles wortgetreu mitzutheilen, was im Zimmer der Gräfin verhandelt werden würde. Als Grund dieses sonderbaren Verlangens hatte sie flüchtig die Bemerkung hingeworfen, daß seit der letzten Maskerade bei dem Fürsten Radziwill eine Spannung zwischen ihr und der Gräfin obwalte, und daß sie damit umgehe, der Veranlassung dazu nachzuspüren. Dann hatte sie vertrauliche Eröffnungen über die Stellung des Prinzen Louis ihnen Beiden gegenüber daran geknüpft, und somit den Weg zu der Behauptung angebahnt, daß nur blinde Eifersüchtelei die nicht hübsche, aber geistvolle Gräfin Sonnenfels zu kühnen Angriffen gegen sie vermocht hätte. Die fernere Entwicklung dieser harmlosen Erzählung überließ sie für's Erste der Schwatzhaftigkeit Dorettens.

Die Baronin hatte vortrefflich intriguirt. Noch ehe Dorette das Zimmer ihrer Dame wieder betrat, wußten es schon drei der dienenden Geister auf dem Corridor, daß zwischen den beiden Damen eine gefährliche Spannung herrsche, die vielleicht durch des Prinzen Anwesenheit zur Explosion kommen werde. Natürlich behielten diese Kammerfrauen das Geheimniß nicht zwei Minuten auf den Lippen, und während die Baronin, zufrieden mit ihrem Anschlage, sich selbstgefällig und nicht ohne Grund im Fenster niederließ, um das Sonnenlicht in ihre kostbare Stirnzierde blitzen und gaukeln zu lassen, während dieser kurzen Spanne Zeit durchlief das Gerücht von den Feindseligkeiten zwischen der Dame des Hauses und ihr auf Sturmesflügeln das Schloß.

Dorette hatte kaum angefangen, den reichen Silberschleier ganz accurat auf dem Kopfe ihrer Gebieterin zu ordnen, wie bei der Baronin, als ein Bedienter eilfertig an der Thür erschien und ›die beiden Juweliere aus der Residenz‹ meldete.

Zuerst machte die Gräfin eine abwehrende, unwillige Geberde; dann besann sie sich. »Eintreten!« sagte sie kalt, indem sie die Hand Dorettens zurückschob, die ihr den Brillantkamm einstecken wollte, und ihr strenges, blasses Gesicht der Thür zuwendete.

Die beiden Goldschmiede traten ein, Submission in Blick und Haltung; doch leistete darin der kleine Wendeler mehr, als der junge Hoobert. Die Gräfin nickte sehr vornehm mit aristokratisch erhobenem Kopfe.

»Nun, meine Herren,« begann sie mit spöttischer Herablassung, »haben Sie in Ihren Observationen besondere Erfahrungen gemacht, daß Sie es wagen, mich zu stören?«

»Wir bitten tausendmal um gnädige Entschuldigung –« beantwortete Wendeler die unartige Anrede, während sich Hoobert straff aufrichtete und einen Schritt vortrat.

»Wir kommen, um uns zu beurlauben,« nahm er ruhig das Wort.

Die Gräfin stand auf und sah dem dreisten Redner zornig ins Gesicht. Dieser ließ seinen demüthig-höflichern Gefährten nicht zu Worte kommen, sondern fuhr fort:

»Ich habe die fragliche Dame gesehen, kann aber ihre Identität mit jener Dame nicht mit der Bestimmtheit feststellen, die einen Angriff rechtfertigen könnte.«

»Und,« fuhr Wendeler, den Angstschweiß von der Stirn wischend, hastig dazwischen, »und da wir außerdem Gelegenheit gehabt haben, das Diadem der fraglichen Dame im Sonnenglanze zu sehen –«

Hoobert nahm ihm die Rede wieder ab.

»Und dabei zu bemerken, daß es keineswegs dasjenige ist, was mein College für Ihro Gnaden gearbeitet hat, so möchten wir bitten, in Gnaden entlassen zu werden.«

Während dieses Dialoges hatte sich die Gräfin immer steifer aufgerichtet. Ihre zarte, feine Gestalt schien zu wachsen und ihre Stirn trug Donnerwolken zur Schau.

»Ist das gleichviel, was die Herren da zu sagen sich erdreisten?« fragte sie laut und barsch.

»Wir werden nicht ermangeln, unsere Forschungen anderweit fortzusetzen,« stammelte Wendeler mit tiefer Reverenz.

»Denken die Herren, ich durchschaute Sie nicht? Man handelt auf Befehl, nicht wahr?«

»Bei Gott nicht! Ueber unsere Lippen ist kein Wort gekommen.«

»Dann treibt ein anderer Grund die Herren,« sprach sie verächtlich. » Sie hat es eingestanden – es sind hinter meinem Rücken Unterhandlungen mit dem Gemahl gepflogen?«

»Gewiß nicht,« betheuerte Hoobert ernst.

»Dann ist's Feigheit! Das Bürgerpack hat keine Courage dem Edelmanne gegenüber!« stieß die Dame ärgerlich heraus. »Ich werde meine Rache allein verfolgen – steck' ein den Kamm, Dorette! – Man kann gehen!«

Wendeler traf auf's Eiligste Anstalt, dieser Erlaubniß nachzukommen. Nicht so der junge Hoobert, dessen Auge flüchtig über das Diadem, welches Dorette in der Hand hielt, geschweift war. Er stutzte und bog sich vor, um noch schärfer darauf hinblicken zu können. Eine frohe Bestürzung verklärte sein ganzes Gesicht, und er schüttelte seinen Gefährten derb aus seiner übermäßig höflichen Stellung auf.

»Wendeler – seht doch – seht doch!« sprach er hastig und trat noch näher an Dorette heran.

Wendeler, sich der bösen Rathschläge des Gefährten erinnernd, vermuthete eine absichtliche Täuschung. Er wendete sich ängstlich hin und her und kam mittlerweile der Thür immer näher.

Hoobert, furchtloser der vornehmen Dame trotzend, griff nach dem Schmucke, besah ihn von allen Seiten und sprach laut, viel zu laut für die gräflichen Ohren:

»Nun, das ist großartig, Wendeler! Hier haben wir ja das echte Diadem – sehen Sie doch nur her, Sie furchtsamer Hase – wo kommt denn das her? Was wir gestern sahen, war meine Arbeit, dies ist Wendeler's Arbeit – es ist gar kein Irrthum möglich und das Diadem muß unterdeß vertauscht worden sein!«

Sein Blick traf dabei drohend die verdutzt dreinschauende Kammerjungfer.

»Was soll das heißen?« fragte die Gräfin Rosa kaltblütig. »Will man mich mystificiren, oder ist man verrückt geworden?«

»Keines von Beiden, Ihro Gnaden,« versetzte Hoobert gelassen. »Fragen Frau Gräfin nur Ihre Kammerfrau, die wird Ihnen schon die Sache erklären können. Das Diadem ist vertauscht!« fügte er stark und kräftig hinzu. »Es wird wohl eine jener Hofcabalen dahinter stecken, in welche man uns, als Zeugen von anerkannt tadellosem Rufe, hat verwickeln wollen. Wo hat die Jungfer das andere Etui?–Her damit, Sie Schlange von Profession – her damit!«

Wendeler ächzte vor Angst und ergriff seinen Cameraden bei den Rockzipfeln.

»Sie treiben die Sache zu weit!« sprach er kaum hörbar, immer noch von der Ansicht ausgehend, Hoobert führe ein Manöver aus, um die Gräfin zu täuschen.

Die Gräfin, auf's Aeußerste indignirt, trat zornglühend mit dem Fuße auf.

»Man entferne sich! Welche unerhörte Frechheit!«

»Nicht eher werde ich aus diesem Zimmer gehen,« erklärte Hoobert mit festem, männlichen Wesen, welches freilich der Hofpolitur ein wenig entbehrte, »bis wir Zeugen dieser Begebenheit haben, und bis es sicher gemacht ist, daß das Brillantdiadem der gnädigen Gräfin Sonnenfels sich wieder in ihrem Besitze befindet. Ich schwöre beim allmächtigen Gott, daß dies das echte Diadem ist!«

»Hoobert,« flüsterte Wendeler, »keinen Schwur!«

»Ja, einen Schwur auf meiner Seelen Seligkeit. Sehen Sie doch her, Sie Hase von Profession,« hohnlachte er, dem zitternden und schwitzenden Gefährten das Schmuckstück unter die Augen haltend.

Wendeler ließ seinen Blick furchtsam darüber hingleiten. Wie electrisirt sprang er dann vor, trat ans Fenster, befühlte seine Stirn, befühlte jeden Stein und brach in lautem Jubel aus:

»Gnädigste Frau – es sind wahrhaftig die Familienjuwelen! Hoobert macht keine Finten –«

Gräfin Rosa, an der Grenze ihrer Geduld angelangt, wies kalt und hoheitsvoll nach der Thür. Sie wollte ihre Lippen fernerhin mit keinem Worte besudeln, das sie in Verkehr mit dem Bürgervolke brachte. Schweigend wies sie nach der Thür, während Dorette die Exemtion dieses wortlosen Befehles dadurch zu beschleunigen suchte, daß sie dem Juwelier Wendeler das Diadem entriß und dann die Thür öffnete.

Draußen aber im Corridor hatte sich die ganze Schnur der Bedienten, weibliche und männliche, nach und nach zusammengefunden und der lauten, respectwidrigen Rede des Herrn Hoobert gelauscht.

Erschrocken vor diesen unerwarteten Zeugen wich die Gräfin Sonnenfels in den Hintergrund zurück, um nur der Marter des schadenfrohen Spottlächelns zu entgehen, welches sich in allen Zügen ausprägte.

Hoobert aber führte Mamsell Dorette gewaltsam den neugierigen Leuten entgegen und sprach mit Pathos:

»Diese Person hat es gewagt, sich an die Spitze einer Intrigue zu stellen, um ihre hohe Gebieterin und uns in schlimme Verhältnisse zu bringen. Meine Freunde – Ihr seid Zeugen, daß wir sie entlarvt haben, bevor eine ehrenwerthe Dame durch unser erschlichenes Zeugniß gebrandmarkt wurde. Das Familienkleinod, das der Frau Gräfin vertauscht worden war, ist wieder da – Ihr seid Zeugen dessen! Pfui, eines ehrlichen Mannes Wort und Zeugniß mißbrauchen zu wollen,« schloß er mit einer zweideutigen Pantomime, die das ganze Schloß bezeichnen konnte.

»Jetzt ist's genug der Comödie!« rief die Gräfin, rasch bis zur Thür vortretend. »Augenblicklich verlaßt Ihr das Schloß!«

»Mit Vergnügen,« rief Hoobert sarkastisch höflich sich verbeugend. »Unsere Mission ist erfüllt!« – Wir haben das Echte vom Falschen unterscheiden gelernt!«

Dorette schloß rasch die Thür. Hoobert zog seinen, von Schreck und Angst betäubten Kameraden mit sich fort und die dienenden Geister stoben auseinander, um diese neue Erfahrung an der geeigneten Stelle anzubringen.

Im Zimmer der Baronin hätte man ein leises herzliches Gelächter hören können, nachdem sie den Bericht des unerhörten Auftritts vernommen hatte.

Im Zimmer der Gräfin Sonnenfels war es aber todtenstill. Die Dame hatte sich in den Divan geworfen und suchte sich das Erlebte, finster blickend, zu enträthseln. Dorette, im vollen Gefühle ihrer Unschuld, wartete pflichtschuldigst auf das erste Wort ihrer Gebieterin, obwohl ihr für die Länge das zornige Schweigen peinlich wurde.

Endlich regte sich die Gräfin! Sie erhob sich langsam vom Divan und richtete mit dem wichtigen Ernste eines Inquirenten ihre Blicke auf die Zofe.

»Dorette,« sprach sie eintönig und gezwungen ruhig, »ich will Dir Alles verzeihen, wenn Du mir offenherzig gestehst, wer Dich zu diesem Streiche gegen mich gedungen hat.«

Dorette fiel aus den Wolken. Wie? War sie denn Schuld an dieser eben abgespielten Scene?

»Gnädigste Gräfin, zu welchem Streiche?« stammelte sie bestürzt. »Ich bin, so wahr Gott lebt, an der ganzen Affaire unschuldig.«

Die Gräfin stellte sich drohend vor sie hin.

»Dorette, willst Du wirklich leugnen, daß Du von der Baronin Mallzow das Etui empfangen und gegen das meinige getauscht hast? Nur so ist eine Verwechslung möglich.«

»Wenn überhaupt eine Verwechslung geschehen ist, Gnaden!« rief Dorette eifrig. »Ich schwöre, daß ich von nichts weiß; aber ich glaube nicht an das Ehrenwort der Juweliere. So lange ich die Ehre habe, bei gräfliche Gnaden zu conditioniren, hat nie ein anderes Etui in der Schmuckcassette gestanden wie dieses, und Gnaden haben nie ein anderes Diadem getragen, wie dieses. Ich verstehe überhaupt die ganze Geschichte nicht –«

»Das brauchst Du auch nicht,« fiel die Gräfin zurechtweisend ein.

Dorette hatte sich von dem Eifer der Vertheidigung zu mehr Worten hinreißen lassen, als ihr ihrem dienenden Verhältnisse nach zustanden. Sie schwieg ohne Murren und ließ nur eine gekränkte Miene für sie sprechen.

Die Gräfin ließ sich nachlässig in ihren Sessel fallen und fügte vornehm kalt, wiewohl es noch immer in ihr gährte, hinzu:

»Lassen wir die Bagatelle ruhen! Was hier an Wahrheit oder Verleumdung vorliegt, wird die Zeit lichten. Die Gelegenheit war günstig – gesucht ist sie nicht von mir – was heute nicht gelungen, wird ein ander Mal gelingen, wenn nicht bloße Verleumdung vorliegt. Und dann wehe denen, die mit bürgerlicher Niederträchtigkeit die geweihten Kreise der Noblesse zum Felde einer intriguanten Vorspiegelung wählten! Das bürgerliche Blut regt sich hier wie in Frankreich und sucht eine Gleichberechtigung – aber die frechen Köpfe, die auch eine Ehre haben wollen, werden an den chinesischen Mauern zerschellen, womit Preußens Adel vom Pöbel und Sansculottismus getrennt ist. Führte nicht der Mosje Hoobert eine Sprache, als sei er uns ebenbürtig? Der arme Schächer!«

»Es wird ihn noch gereuen, Gnaden,« meinte Dorette, sehr unterwürfig und kleinlaut, denn sie kannte die Ausgänge solcher Gewitterstürme und fürchtete für ihre Wangen bei der kleinsten Ungeschicklichkeit.

Je hochmüthiger ihre Gebieterin auf dem hohen Pferde ihrer vornehmen Geburt saß, desto plebejischer waren die Bewegungen ihrer Hände. Nach einem befehlenden Blicke ging sie mit Furcht und Zagen an die Vollendung des Kopfputzes und sie athmete froh auf, als sie nach einigen Minuten, ohne daß die zarten, aber harten Finger der jungen Gräfin mit ihren Wangen in Collision gekommen waren, mit demüthigen Knixen anzeigen konnte, daß ihr Werk vollendet sei.

Gleich darauf entfernte sich die Gräfin Sonnenfels, um schuldigermaßen ihre hohen Gäste, den Prinzen Louis und die Prinzessin von Solms, in den Garten zu geleiten, wo sie auf einer altarähnlichen Tribüne den Festzug in Empfang zu nehmen hatten, der ihnen zu Ehren veranstaltet war.

Dorette jedoch benutzte die kleine Frist, um in das Zimmer der Baronin zu schlüpfen, der sie versprochenermaßen mit großer Zungenfertigkeit die ganze Scene im Ankleidezimmer mittheilte.

Ohne eine Miene zu verziehen, hörte die Dame sie an, nur bei der Erwähnung ihres eigenen Namens in Bezug auf den Tausch des Etui's glitt ein schwaches Spottlächeln über ihre Lippen. Dorette wurde freundlich entlassen und sie ging in der festen Ueberzeugung fort, daß die Baronin mit dieser Sache gar nichts zu thun habe.

Erst nach ihrer Entfernung überließ sich die schöne Dame ihrem stark gereizten Gefühle.

»Also wirklich!« murmelte sie, »wirklich – man war mir auf der Fährte und diese erbärmliche, kleine Persönlichkeit, diese Kammerherrin Sonnenfels mit ihrem neugebackenen Grafentitel hätte sich erkühnt, mir, der Beherrscherin des fashionablen Salons, die Spitze zu bieten? Mir, im Spiele der Intriguen ›Schach der Königin‹? O, Du jämmerliche Libelle, Du kennst die Macht der Baronin Mallzow, gebornen Gräfin Dohnawett nicht – Du kennst die Kraft des Geistes nicht, die, selbst mit dem Verbrechen an der Stirn, einen Mann zum Nachgeben zwingt. Mein bloßer Anblick jagte die armen Schächer in die Flucht, die mich anzuklagen bereit waren. Voilà, qui est drôle! Die kleine Gräfin fiel in die eigene Falle. In der That, sehr, sehr drollig!«

Sie lachte innig vergnügt vor sich hin.

»Meine Ankläger suchten ihren Rückzug durch eine Lüge zu decken, die mich für immer sichert. Vortrefflich! Aber, was würde geschehen sein, wenn ich ungewarnt und ungeschützt in das Gewebe dieser Intrigue fiel?«

Ein Schatten deckte für einige Momente ihre heitere Stirn, dann sagte sie:

»Mein Genius hätte mich nicht verlassen und es hätte ja nur eines Winkes bedurft, um mich verschwinden zu lassen!«

Ein Klopfen an der Thür machte ihrem Selbstgespräche ein Ende. Ihr Gemahl kam, um sie der Versammlung zuzuführen. Als sie an seinem Arme den Corridor entlang schritt, begegnete sie der Gräfin Sonnenfels, die noch bleicher als sonst, mit Neid zu der blühend schönen Frau aufblickte. Die Baronin aber affectirte ein wahrhaft unschuldiges Entzücken über ihren Anblick, faßte ihre beiden Hände und flüsterte ihr zu:

»Wie schön Sie sind, Gräfin! Ihr Teint wird uns heute Alle beschämen – wir werden wie Bäuerinnen gegen Sie aussehen. Haben Sie auch heute kein Weiß aufgelegt?« schloß sie, anmuthig scherzend über die Wangen der jungen Frau hinwegstreichend.

Die schmeichelhafte Anrede beschwichtigte augenblicklich den Groll in dem Herzen der Gräfin. Ihr überaus zarter Teint war die schwache Seite, womit sie zu fangen war. Sie glaubte unbedingt, daß sie schöner und zarter als sonst aussehe und lächelte der klugen Schmeichlerin besänftigt zu.

Es währte nicht lange, so sah man beide Damen, die sich am liebsten gegenseitig zerfleischt hätten, Arm in Arm durch die belaubten Gänge des Gartens promeniren, »eine Lilie und eine Rose in himmlischer Vereinigung,« wie ein poetischer Gast bemerkte, und ihre Freundschaft schien von Minute zu Minute durch die vertraulichen Reden zu erstarken, womit sie sich gegenseitig zu täuschen suchten.

In hehrem Glanze strahlte die Schönheit der Baronin Lotta und ihre Stirn hatte nie die Erhabenheit der Unschuld so deutlich getragen, wie an diesem Tage.

Huldigungen wurden ihr von allen Seiten gezollt. Ihr Gatte war entzückt von ihrem Liebreize und der Prinz Louis betete sie offenbar an. Aber ihr Blick suchte nur Einen unter der Menge und das war der Sohn ihres Gatten, der weder entzückt, noch von der Bewunderung des Prinzen im Geringsten beunruhigt schien. Er betrachtete sie so ruhig, wie man eine Allegorie anschauen würde, die räthselhaft erscheint und oftmals geschahe es, daß gerade nach einer solchen stillen Prüfung sein Blick, von einer eigenthümlichen Sehnsucht durchglänzt, träumerisch in die Ferne sich verlor.

Der Tag verging in Lust und Freude. Der Abend brachte seine Schleier der Dämmerung viel zu früh. Und ein gutes Theil der schönen Sommernacht wurde noch geopfert, weil die Gaukeleien des Vergnügens noch immer die Sinne im Schwung, den Geist in fieberhafter Beweglichkeit erhielten. Erst um Mitternacht rüstete man sich zum Wegfahren, und bevor die Wagen bestiegen wurden, mußte ein Theil der Toilette verändert werden.

Wieder eilten, wie am Mittage, die dienstbaren Geister durch die hell erleuchteten Corridore. Ein Wirrwarr ohne Ende, dem nur durch einzelne scharf ausgesprochene Befehle bisweilen gesteuert wurde.

Dorette war überall nöthig. Sie flog wie ein Luftball, eines Douceurs gewiß, von einem Zimmer zum andern, athemlos und verwirrt. Wie ein Engel erschien ihr in dem kritischen Momente, wo die Baronin Mallzow sie rufen ließ, Lorenz, ihr rothköpfiger Freund und Anbeter.

»Lorenz, Du kommst wie gerufen!« sprach sie, ihm einen Mantel und einige Dutzend Tücher über die breiten Schultern werfend. »Warte hier, ich komme sogleich wieder!«

Husch, fort war sie.

»Die Sache scheint zu glücken, wie heute früh!« dachte Lorenz still vergnügt ihr nachsehend. Er hatte seit vier Stunden auf der Lauer gestanden und war an seinem guten Glücke schon verzweifelt.

Mit jener täppischen Hülfsbereitwilligkeit, die ihm, dem ungeübten Diener, nachgesehen werden mußte und keinen Verdacht erregen konnte, folgte er seiner Freundin Dorette ins Zimmer und postirte sich, etwas von der Portiere versteckt, an der Thür, von wo aus er das ganze Gemach übersehen konnte, ohne gleich bemerkt zu werden. Steif, wie ein Grenadier, stand er da, sorgfältig beobachtend und dabei überlegend, wie er hier zum Ziele kommen könne.

Die Baronin schien nicht ganz heiter, eine gewisse Unstätigkeit, eine Heftigkeit in ihrem Wesen, die an Ueberstürzung grenzte, charakterisirte jede Handlung. Sie trat oft ans Fenster, Unmuth in allen Mienen – sie warf achtlos ihren Schmuck ab und überließ es Doretten und einer altern Kammerfrau, ihn in die Cassette zu legen. Rasch durchlief sie dann das Zimmer, um gleich darauf wieder zum Fenster zu eilen.

Lorenz, der mit seinem unschuldigsten Gesichte an der Thür stand, wußte am besten, was das bedeutete. Er hatte bemerkt, was vielleicht Andern entgangen war, daß sich zum Ende des Festes, unter dem Schutze der nächtlichen Dämmerung, eine Gestalt in den dunkeln Bogengängen der Buchen eingefunden hatte, welche nur von der Baronin Mallzow beachtet worden war. Verstohlen hatte sie Worte und Liebkosungen mit diesem Herrn getauscht – verstohlen war sie in eine der hell erleuchteten Grotten geschlüpft, deren Erleuchtung wie durch Zauberei erlosch, als sie dieselbe betrat. Lorenz hatte den Mann nicht gekannt, der wie ein Gespenst die Gänge durchirrte, aber er wußte, daß sein Pferd, ein prächtiges Thier seltener Race, im Parke an einen Baum gebunden, seiner harrete. Dies Pferd hatte sich Lorenz näher betrachtet und er konnte von nun an den Reiter gewiß recognosciren. Solche Pferde gab's nicht viele im Bezirke der schlesischen Provinz.

»Sie hat ihm noch etwas zu sagen,« dachte er, verschmitzt lächelnd ihr Treiben beobachtend. Einige Minuten waren ihm in nutzlosem Harren schon verflossen. Unbeweglich stand er da – kein Mensch hatte eine Ahnung seiner Anwesenheit.

Plötzlich tönte ein Hall, ein voller, klingender Ton, wie aus der Kehle eines Pfingstvogels, durch die Nacht. Lorenz lächelte im Verständnisse dieses Zeichens. Hatte nicht sein Leben als Contrebandier vielfach Gelegenheit geboten, dergleichen Signale, die kunstgerecht dem Waldbewohner nachgeäfft wurden, zu verstehen? Richtig. Die Baronin stand wie gebannt und legte nachdenkend die Hand an die Stirn. Ein unruhiges, ängstliches Athmen zeugte von Kampf mit einem Entschlusse. Sie trat langsam an den Tisch, nahm eine weiße Atlasschleife, die ihre Brust geziert hatte und blieb abermals nachdenklich stehen.

Nochmals ertönte der langgehaltene, melodisch lockende Ton.

Die Baronin hob ihre gesenkte Stirn, ließ, ermuthigt durch einen Gedanken, ihre Blicke hell rundum schweifen und ging rasch zum Fenster, das sie kaum merklich, leise ein wenig öffnete, um die Atlasschleife in die Nacht hinausflattern zu lassen. Matt und erschöpft lehnte sie darauf die Stirn an die Fenstereinfassung und starrte halb schon schlummernd, wie es schien, vor sich hin.

Dorette war während dessen fertig geworden. Sie wendete sich also eiligst der Thür zu und gewahrte den unschuldig dumm dastehenden Lorenz.

»Bist Du ein Hans Taps« – schalt sie lachend, indem sie ihm die Tücher abnahm, um eins davon über die Schultern der Baronin zu schlagen. »Habe ich Dir nicht gesagt, Du sollest draußen auf mich warten? Nun komm! Es giebt noch mehr zu thun.«

»Könnte der Diener nicht gleich den Koffer zum Wagen besorgen?« fragte die andere Kammerfrau flüsternd.

Dorette nickte.

»Hast doch Zeit, Lorenz?« sagte sie eilig und war schon verschwunden, ehe eine Antwort möglich war.

Lorenz blieb wieder steif stehen. Seine Hoffnung auf Erfolg wuchs, nun er die schlauen Augen Doretten's nicht mehr zu fürchten hatte.

Die Baronin, in einer Art Lethargie, blieb am Fenster und zwar abgewendet, stehen. Rund umher verstreut lagen auf dem Tische die Schmuckgegenstände, die den Glanz der Toilette erhöht hatten. Armbänder, Colliers, Busennadeln, Ohrgehänge, Schnallen und Ringe von seltener Schönheit und hohem Werthe. Alles zusammen wurde von der Kammerfrau in ein besonders eingerichtetes Necessaire rangirt. Nur für das Diadem war, wegen seiner Form, ein apartes Etui vorhanden. Lorenz sah aufmerksam zu, wie sorgfältig die Kammerfrau mit dem Einpacken verfuhr. Endlich legte sie das Diadem in seine Umhüllung. Das war der Augenblick, worauf er gewartet hatte. Auf den Zehen schleichend trat er an den Tisch, in seiner linken Hand das Etui verborgen, das er an die Stelle jenes auf dem Tische zu versetzen gezwungen war.

»Erlaubt mal,« flüsterte er rasch. »Das ist falsch gepackt, liebe Madame. Es könnte etwas beschädigt werden und dann kommt Ihr in Teufelsküche – ich kenne das! Seht – hier. Das Bouton muß unten liegen, sonst klemmt es sich!«

Er tippte nur mit der äußersten Spitze seines Zeigefingers der rechten Hand darauf, als er aber vom Tische zurücktrat, hatte er ein anderes Etui in der linken Hand, wie zuvor. Die Kammerfrau nickte dankbar. Darauf fuhr der Wagen vor. Lorenz trug den Koffer hinein, hob den Minister nebst Frau Gemahlin ebenfalls hinein, schlug den Wagenschlag zu und verlor sich im Dunkel des Waldes.

*


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