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Eine Weihnachtspredigt

Wenn ich heute, am Geburtstag des Judenjünglings, den die Christen zu verehren behaupten, in einem jener Gotteshäuser die Predigt halten dürfte, wo die Sitze gepolstert sind und alljährlich versteigert werden, so würde ich ungefähr folgendermaßen sprechen:

Geliebte Unandächtige in dem Herrn, den ihr noch gar nicht kennt!

Heut wird es mir vielleicht gelingen, euch andächtig zu machen, denn solch' eine Predigt wie meine wird schwerlich je an eure längeren und kürzeren, mehr oder weniger verbrecherisch verknorpelten Ohren und Öhrchen geschlagen haben. Es ist euch zwar schwer beizukommen, denn während die Töchter Evas im Ballsaal ihre Herzen möglichst ungeschützt den Pfeilen Amors darbieten, sind sie in der Kirche mit möglichst vielen kostbaren Hüllen umwickelt, zum großen Ärger der jungen und alten Christen und der Herren Prediger selber. Wenn ich euch so betrachte mit euren den Tieren geraubten Pelzjacken und -röcken, so meine ich, ihr seid doch gut belesen in der Bibel, ihr habt etwas gelernt von dem schlauen Jakob. Der umhüllte seine Glieder mit Pelzen, damit der alte blinde Isaak ihn für seinen erstgeborenen Sohn halte und ihm seinen Segen gebe. So wollt ihr wohl auch mit euren Ottern- und Katzen- und Marder- und Robben-Fellen den Herrgott täuschen, damit er euch für ehrliche Esau-Naturen hält und ihr euch seinen Segen erschleichet.

Mögt ihr ihn haben! Euerm Herrgott könnt ihr vielleicht etwas vormachen, »dem Schlafenden da droben«, aber nicht mir. Ich sehe es jenem kostbaren Mantel an, daß er noch letzte Nacht in einer Spielhölle am Nagel hing, und jenem, daß ein Hürlein ihn lachend um die nackten Lenden geschlagen, und jenem, daß er unter seinem prahlerischen Kragen einen lumpigen, schofeln Bankerotteur und Fälscher verbirgt. Ich weiß, daß jene Salskin-Jacke mit dem horizontalen Handwerk verdient wurde, das heuer erst recht einen goldenen Boden hat, und daß der Schimmer jener Diamanten einen Ehemann bedeutet, der beide Augen zudrückt, wenn die Herren Liebhaber so nobel sind, daß für ihn auch etwas abfällt. Ich rieche aus euren Parfüms heraus den Gestank der Fabriken, aus euren Gesängen tönt mir das Sausen der Maschine heraus und der Fluch des Sklaven, der sie bedient.

Aber ich will keine Straf- und Bußpredigt halten, ich will euch nur die Geschichte erzählen, die ihr schon hundertmal gehört habt und doch nie recht, die Geschichte von der Geburt, die irgendwann irgendwo stattgefunden hat und die man den Germanen zu lieb auf den 25. Dezember verlegte, weil dieselben um diese Zeit sich sowieso ihren Julrausch antranken.

Vielliebe hochgeborene Damen und Herren, ich muß euch in sehr niedrige Gesellschaft führen. Es war in einem Wirtshaus, als Maria, die Frau des Zimmermanns Joseph, ihre Stunde herannahen fühlte, ein Wirtshaus, aber bitte, falle Niemand in Ohnmacht, Bier wurde dort keins getrunken, höchstens Wein vom Ölberge und etwa importierter Baktrerschnaps. Damals gehorchte man noch der Obrigkeit und begab sich zur Volkszählung an den Ort, an dem man geboren war. Wenn das heute noch der Fall wäre, so würde auch mancher und manche meiner Andächtigen den Weg nach einem Kartoffeldörfchen in Irland oder Deutschland antreten müssen.

Infolge der Volkszählung war das Wirtshaus so besetzt, daß man der armen Wöchnerin nicht einmal ein Zimmer anweisen konnte und diese allerhöchste Niederkunft im Stalle stattfinden mußte. Denkt euch, wie unbequem! Der Stallgeruch und das neugierige Vieh! Von einem Arzte wird auch nichts erzählt, und es scheint nicht einmal weiblicher Beistand zugegen gewesen zu sein. Die Ersten, welche dem, nach dem Rembrandt'schen Bilde zu urteilen, über die ganze Geschichte sehr erstaunten Joseph gratulierten, waren Hirten, Cowboys würde man hierzulande sagen. Und in solcher Lage und solcher Gesellschaft schlug der Herr des Himmels und der Erden zum ersten Male die Augen zu der Menschheit auf, die er erlösen sollte!

Mit dem Gratulieren war es aber so eine Sache. Ihr, meine lieben Christinnen, würdet in einem solchen Falle die Wöchnerin schwerlich besuchen, und ihr, meine Christen, würdet die Sache mit einem Witz oder mit einer moralischen Bemerkung abmachen, für das Übrige ließet ihr die »Little Sisters of the Poor« oder professionelle Engelmacher sorgen. Denn dieser Jesus, bitte erröten Sie nicht, liebe Christinnen, hatte eigentlich gar kein Recht, auf die Welt zu kommen; er war ein uneheliches Kind, ein Bastard, ein junger Kuckuck, der dem guten Joseph ins Nest hineingewachsen war. Nein, so ein Skandal! Ich will es ja gern glauben, daß Gott der Herr oder der heilige Geist der Vater war, aber das macht die Sache nur noch schlimmer. Wenn so hohe Herrschaften ein so schlechtes Beispiel geben, wie soll da die Heiligkeit der Ehe aufrecht erhalten werden? Zudem tat der liebe Gott auch gar nichts, um seinen leichtsinnigen Streich wieder gut zu machen; er sorgte nicht einmal materiell für sein jüdisches Kind der Liebe; er bezahlte weder für dessen Erziehung noch für Board, er sorgte nicht dafür, daß es in einer anständigen Familie untergebracht wurde, kurz, er benahm sich wie ein wahrer Raben- oder besser Kuckucks-Vater. Mag es auch seinem Einfluß zuzuschreiben sein, daß der Knabe im Säuglingsalter, da ihn doch der Tod noch nicht geschmerzt hätte, von der Mordwut des Herodes verschont blieb, so hat er ihn doch unleugbar in seinem dreißigsten Lebensjahre der ungerechten und wunderlichen Obrigkeit überlassen und hat ruhig zugesehen, wie man ihn am Kreuze zu Tode marterte. Und dieser von Gott und den Menschen verlassene jüdische Bastard, der »von Rechtswegen« den Tod des Verbrechers erlitt – ihm singen sie heute Hosiannah auf dem ganzen Erdenrund, und in gewaltigen Hallen unter goldenen Kuppeln erschallt sein Name; die Fürsten der Erde beugen vor ihm die Knie, und ihr, meine lieben Andächtigen, habt ihm zu lieb eure schönsten Kleider angezogen und eure frömmsten Gesichter aufgesetzt!!!

Und da sitzt ihr und lügt euch und mir vor, das sei der Mann, der euch erlöst habe, euch, die ihr eine Heiligkeit der Ehe erheuchelt und zugleich die Liebe zum Hurentum erniedrigt habt, euch, die ihr die Armut zum Verbrechen stempelt, euch, die ihr wie der Pöbel von Jerusalem das Blut derjenigen fordert, welche gegen eine ungerechte Obrigkeit Protest einlegen.

O erbärmliches Gaukelspiel! O schamloser Betrug! Ihr gleicht dem Geist, den ihr begreift. Ich sehe eure Seelen in ihrer häßlichen Nacktheit, und ich schaudere. Aber weit über euch hinweg, hinaus aus den Mauern dieses armseligen Gotteshauses schaut mein Blick das jüdische Kindlein zum erhabensten Symbol heranwachsen, gewaltig wie der in Lebensfluten und Tatensturm auf und ab wallende Geist der Erde selber. Die Sehnsucht der Völker hat das Märchen vom Jesuskind gedichtet.

Vor zwei Jahrtausenden haben schon die Sklaven des mächtigsten Reiches der Erde geahnt, daß aus der Tiefe die Erlösung kommen muß, aus der Tiefe der Menschheit, wo immer unversehrt der Same der rettenden Tat, der Gedanke der Revolution geborgen ist. Ein Proletarier muß der Volkserlöser sein, ein Kind der Liebe! Tyrannen-List stellt schon seiner Kindheit nach, aber die Weisen bringen ihre Schätze an die Wiege des Kindes und prophezeien seinen Ruhm. Der Staat wird ihn ans Kreuz schlagen unter dem Jubel des Pöbels, der Priester und der Reichen. Aber töten kann er ihn nicht. Die Auferstehung folgt auf jeden Karfreitag. Die Tage werden länger, die Sonne tritt ihren Siegesgang an. Das ist der Jesus der sozialen Revolution. Ich glaube an ihn; ich feiere seine Geburt; ich hoffe es zu erleben, daß er eure Wechseltische umstößt und euch Alle zum Tempel hinausjagt, ihr Andächtigen, damit endlich der Friede den Menschen werde und das Wohlgefallen auf Erden. Amen!


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