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Der Graf, der sich im Dezember – auf den Erlös aus dem Verkauf seiner Einrichtung und einiger alten Familien-Juwelen und auf die 10 000 Franken aus dem Wechsel des Ministers beschränkt – in Havre eingeschifft hatte, war im April in San Francisco eingetroffen und hatte dort alsbald seine Thätigkeit mit der Gründung einer Aktiengesellschaft für die »Expedition nach der Sonora und dem geheimen Schatz der Azteken am Rio Gila«, wie er sein Unternehmen nannte, eröffnet.
Er fand jene Bezeichnung, weil er bald eingesehen, daß in diesem Lande der Goldgräber und Abenteurer nicht mehr die Aussicht auf das Aufsuchen unbekannter Goldquellen in unbekannter Ferne locken könne, sondern daß ihnen eine positivere Erfindung als Köder gegeben werden müßte. Eine solche war die durch das ganze westliche Amerika seit Jahrhunderten verbreitete Erzählung von den verborgenen Schätzen des alten Herrscher-Geschlechtes der Inkas, die sie bei der Eroberung des Landes aus dem Osten nach dem Westen und den Ufern des großen Oceans geflüchtet und hier in den letzten Zufluchtsstätten der Urbewohner, den in den Wildnissen von Neu-Mexiko vielfach zerstreuten Ruinen der alten Aztekenstädte, verborgen haben sollten. Zahlreiche Versuche zu deren Auffindung waren bereits vor dem Unternehmen des Grafen gemacht worden und angeblich an den mangelhaften Vorbereitungen, der geringen Zahl und den Zwistigkeiten der Teilnehmer oder an den Mühseligkeiten und Gefahren gescheitert, ohne daß die golddurstige Phantasie den Glauben an das Vorhandensein jener Schätze deshalb aufgegeben hätte.
Indem er diesen wieder anregte und zum Deckmantel seines Unternehmens machte, sicherte der Graf zugleich sein eigenes Geheimnis und seine besonderen Zwecke.
Die letzteren hatten zugleich an Ort und Stelle mancherlei Erweiterungen und Ausdehnungen erfahren, und die Verzögerung seines Unternehmens durch die große Feuersbrunst von San Francisco Vgl. Retcliffe, Nena Sahib I. Bd. war ihm im Grunde nicht unwillkommen gewesen, abgesehen davon, daß er in jedem Fall den Monat August noch dort hätte zubringen müssen um die Zusammenkunft mit Eisenarm und Wonodongah, dem »Großen Jaguar«, abzuwarten, denen nicht bloß das Geheimnis der Goldhöhle, sondern auch das Eigentumsrecht gehörte.
Überdies hatte der Graf die Verhältnisse bald genügend kennen gelernt, um zu wissen, daß eine so große bewaffnete Expedition in das Innere ihres Landes von der mexikanischen Regierung nicht mit Gleichgültigkeit angesehen werden würde, und daß es daher eines gewissen Einverständnisses mit ihr bedurfte.
Dies Einverständnis war nicht schwierig herbeizuführen.
Kalifornien bildet ja einen Teil der westlichen Küste Nord-Amerikas und besteht aus zwei verschiedenen Staaten: Neu-Kalifornien in unmittelbarem Zusammenhänge mit dem nordamerikanischen Kontinent und von diesem nur durch die Sierra Nevada getrennt, deren Ausläufer mit ihren Placers seit der zufälligen Entdeckung des Kapitän Sutter im Flußgebiete des Sacramento im Februar 1842 einen so wahnsinnigen Golddurst und eine neue Völkerwanderung aus allen Weltteilen hervorrief, und Alt- oder Nieder-Kalifornien, das Gebiet der langen Halbinsel von 1800 Quadratmeilen Größe, die sich an der Einmündung des Kolorado von dem Festlande trennt und den Golf von Kalifornien oder das Mar Bermejo, das rote Meer, bildend, über 260 deutsche Meilen lang, mit der Küste parallel lausend, in den stillen Ocean sich erstreckt.
Neu-Kalifornien, durch die Revolution von 1836 bis 1848 von Mexiko getrennt, war mit seiner Hauptstadt San Francisco dem Eldorado der Goldgräber und Abenteurer, ein Jahr vor dem Beginn unserer Erzählung, am 7. September 1850, als besonderer und unabhängiger Staat in die nordamerikanische Union aufgenommen worden. Alt-Kalifornien mit den in Verfall gekommenen Silberminen von Moleje und Neal-San-Antonio und den berühmten und ergiebigen Perlenfischereien von Cerralvo und Espiritu Santo bildet eine Provinz oder ein Gouvernement der mexikanischen Republik.
Dieser Halbinsel gegenüber an der Küste des Festlandes erstreckt sich die Provinz Sonora mit der Hauptstadt Hermosillo und dem Hafen San Jose de Guyamas dem größten der konföderierten Staaten Mexikos.
Sie wird im Osten von der Sierra Verde und der Sierra des los Tegesuanes, der Kordillerenkette, begrenzt; im Norden größtenteils durch den Rio Gila und seine Nebenflüsse von Neu-Mexiko, das infolge des amerikanisch-mexikanisches Krieges an die Vereinigten Staaten abgetreten wurde, getrennt.
In diesem Norden dehnten sich jene ungeheuren Einöden und Wildnisse aus, die von den wilden Apachen- und Comanchen-Stämmen bewohnt wurden.
Im Frühjahr und Sommer 1852 hatten die Comanchen und Apachen wiederholte Einfälle in die Sonora gemacht und die schrecklichsten Verwüstungen angerichtet. Ja, es verlautete, daß ein großer Bund der beiden sonst stets einander feindlichen Völkerschaften mit ihren zahlreichen Stämmen zu einem allgemeinen Raubzug gegen das mexikanische Gebiet geschlossen worden sei.
Vergeblich hatten die reichen Küstenstädte der Sonora und die großen Hacienderos oder Grundbesitzer im Innern von der Centralregierung Hilfe und Beistand gegen die räuberischen Indianer und die drohende Gefahr verlangt. Die fortwährenden inneren Revolutionen und Pronunciamentos, die Rebellion einzelner ehrgeiziger Führer gegen die Föderal-Regierung, die kühne Zoll-Reduktion des Gouverneurs Avalos, der drohende Einfall des Generals Carbajal aus Texas und die Erbitterung gegen die neue dekretierte Konsumtionssteuer von 8 Prozent hatten die Kräfte der Regierung gelähmt und das ganze Fortbestehen der Föderation in Frage gestellt. Jeder Staat war auf sich selbst und seine Kräfte verwiesen, und die Sonora zersplitterte die ihren in Einzelkämpfen gegen die immer kühner vordringenden Indianer und in Vorbereitung neuer Revolutionen.
Unter diesen Umständen schickte Graf Raousset Boulbon seinen Vertrauten Bonifaz nach Mexiko, um mit der Regierung zu unterhandeln und ihr seine Hilfe anzubieten.
Aber bei aller Treue, die Bonifaz für den Grafen und seine Interessen besaß, wußte dieser doch sehr wohl, daß er nicht die Person war, um eine diplomatische Verhandlung zu leiten. Der Geist, der ihn influierte, mußte ein anderer sein – Suzanne begleitete daher den Avignoten und hatte von dem Grafen ihre bestimmten Instruktionen erhalten.
Es geschah dies in Männertracht, die sie überhaupt während der ganzen Zeit beibehalten hatte. Nach jenem Wiederfinden an Bord des »Washington« hatte eine Beratung unter den drei Beteiligten stattgefunden, in welcher Weise am sichersten die Begleitung der Schauspielerin erfolgen könne, ohne die Pläne des Grafen zu hindern, und es war festgesetzt worden, daß sie die Rolle eines männlichen Verwandten des Grafen spielen solle, was ihr bei ihrer Kunst ohnehin nicht schwer werden konnte. Nur unter dieser Bedingung hatte der Graf, der sie anfangs von New York nach Frankreich zurückschicken wollte und alle Hindernisse und Beschränkungen voraussah, die ihre Anwesenheit ihm bereiten mußte, sein Wort gegeben, sie sein Schicksal teilen zu lassen.
Das Geheimnis der Goldhöhle kannte jedoch selbst Suzanne nicht; sie wußte nur, daß ein wichtiges Interesse und die Erreichung ungeheurer Vorteile es ihm nötig machte, in das Innere jener Wüsteneien zu dringen.
Übrigens hatte die Begleitung und treue Anhänglichkeit der Schauspielerin in ihrer Verkleidung ihm bereits mannigfache Vorteile gebracht. Ihr scharfer, aufgeweckter Verstand, ihre Schlauheit und Gewandtheit hatten ihn in vielen Verhandlungen unterstützt und wesentlich dazu beigetragen, mit den geringen Mitteln, die er zu Anfang besaß, die Aktiengesellschaft zur Expedition nach der Sonora und dem angeblichen Schatz der Azteken zu gründen und eine Anzahl kühner Abenteurer für diesen Zweck anzuwerben, ein Material, woran es allerdings in San Francisco niemals fehlte.
Die Verhandlungen mit der mexikanischen Regierung waren zu wichtig und mußten zu geheim und geschickt betrieben werden, als daß der Graf nicht alle seine Macht über seine Geliebte hätte aufbieten sollen, um diese zu bewegen, sich von ihm für kurze Zeit zu trennen und den Avignoten nach Mexiko zu begleiten.
So war es gekommen, daß Suzanne und der treue Bonifaz während des furchtbaren Brandes, der San Francisco zerstörte, abwesend waren.
Diese Abwesenheit hatte jetzt über drei Monate gedauert, und der Graf erwartete seine Boten mit Ungeduld zurück.
Er hatte die Zeit von dem Brande der Stadt und der Abreise des Maharadscha Srinath Bahadur (Nena Sahib) Vgl. den gleichnamigen Roman. Bd. I. mit der Gesellschaft der kühnen Männer, die ihm derselbe angeblich zur Tigerjagd nach Indien entführte, nicht unbenutzt verstreichen lassen.
Mit jener wunderbaren Schnelligkeit, mit der sich die aus den leichtesten Materialien, oft nur aus Leinwand und Brettern erbaute Stadt wieder aus den Verheerungen des Feuers erhob, war auch das Projekt der Sonora-Kompagnie wieder hergestellt.
Drei Tage nach der Abfahrt der »Sarah Elise« war bereits ein neues großes Zelthaus auf dem Platze der früheren Sonoragesellschaft errichtet, und an ihm prangte in noch riesigerem Maßstabe ein neu gemaltes Schild mit dem Wappen des Grafen, den drei Saracenenköpfen, den Lilien Frankreichs und dem schrägen Bastardbalken, nebst der Abbildung der neuen Armee, einer flüchtenden Indianerhorde und den Ruinen mit der Überschrift: »Eingang zu dem geheimen Schatzgewölbe des Itze-Cate-Cäulas, Enkel Montezumas, des letzten Aztekenfürsten«, nebst der weiteren Inschrift in ellengroßen Buchstaben:
Haupt-Quartier
von
Horace Aimée, Grafen von Raousset Boulbon,
Marquis de Tremblay
aus dem fürstlichen Hause Lusignan.
General
en chef
der Expedition nach Sonora und dem geheimen Schatz der Azteken am Rio Gila.
Kurs der Aktien 268¼.
So weit waren in wahnsinniger Steigerung die Aktien des Unternehmens bereits in die Höhe gegangen auf die Nachricht, daß die verbrannten Vorräte doppelt versichert seien, und auf die von dem Bankier Don Enriquez, dem rechtlichsten Mann in ganz San Francisco, öffentlich bestätigte Kunde, daß der Graf hunderttausend Dollar aus seinem geretteten Vermögen bar und in besten Papieren für das Unternehmen bei ihm deponiert habe.
Viele der zuerst für die Sonora-Expedition Angeworbenen hatten sich allerdings die großmütige Erklärung des Grafen zu Nutze gemacht, daß mit dem Brande jede Verbindlichkeit erloschen und das empfangene Handgeld ihr Eigentum sei, um nach einer andern Richtung zu verschwinden oder in den Placeros wiederum ihr Heil zu versuchen; andere aber waren geblieben, hatten aufs neue Werbegeld genommen, und jedes Schiff, jeder Zug aus den Bergen brachte ein Kontingent von Abenteurern, bereit, für die Aussicht auf die leichte und kühne Erwerbung von Gold und anderen Besitztümern willig jeden Augenblick ihr Leben in die Schanze zu schlagen.
Der Graf war jedoch jetzt in der Auswahl etwas strenger als früher geworden, und wünschte vor allem jenen eigentümlichen Generalstab von tapferen, kühnen und erfahrenen Männern wieder zu ersetzen, der ihn früher umgeben, und den er auf so geheimnisvolle Weise dem indischen Fürsten überlassen hatte. Dieser Ersatz war ihm bis jetzt jedoch nur zu geringem Teil gelungen; denn außer dem Torrero Antonio Perez, dem Sekundanten des unglücklichen Hillmann bei dem Stiergefecht im Cirkus von San Francisco, dessen Anmeldung er mit Vergnügen angenommen und den er zu seinem Leutnant gemacht hatte, waren unter der ganzen Gesellschaft, die sich bereits wieder auf 150 Köpfe belief und einstweilen in den Schenken und Spielhäusern San Franciscos ihr Wesen trieb, keine, die ihm den Verlust der Franzosen Delavigne, Cordillier und Vaillant, Ralphs des Bärenjägers, Joaquin Alamos, des Pfadfinders, und des Kanadiers Adlerblick ersetzen konnten. Noch weniger waren Personen in der Gesellschaft, die an die Stelle des irischen Geschwister-Paares, des jungen Edward und der hochherzigen und schönen Margarete O'Sullivan Nena Sahib, Bd. I. hätten treten können.
Um so sehnlicher wünschte er jetzt die Rückkehr seiner beiden treuen Boten von Mexiko.
Es war am Abend des 3. September, des ersten Tages des Vollmondes in diesem Monat, gegen 8 Uhr.
Der Plaza mayor, an dem das Zelthaus des Grafen lag, war um diese Stunde sehr belebt. Alles benutzte den frischen Seewind zu einer erquickenden Promenade auf dem Platz oder strömte bereits den Spielhäusern zu. Vor dem Eingang des Lokals der Sonora-Kompagnie hatte sich gleichfalls eine zahlreiche Menge gesammelt und tauschte ihre Bemerkungen über zwei kleine Kanonen von glänzend poliertem Metall aus, die der Graf mit einem der letzten Schiffe von New Orleans erhalten hatte, um dem Publikum zu zeigen, daß sein Unternehmen sogar mit Artillerie ausgerüstet sein werde.
Die beiden Kanonen – vierpfündige Karonaden auf leicht beweglichen improvisierten Lafetten – hatten einen großartigen Eindruck auf die Phantasie der Amerikaner und der unbeschäftigten Abenteurer gemacht. Niemand zweifelte seitdem mehr an dem glücklichen Ausgang des Unternehmens; zur Zeit der Ankunft der Kanonen waren die Aktien der Gesellschaft um 5 Prozent gestiegen, und an dem Tage, an dem wir unsere Erzählung wieder aufnehmen, hatten sich nicht weniger als vierzehn Personen zur Einreihung in die sogenannte Armee der Expedition gemeldet.
Der Graf war den ganzen Tag über auffallend unruhig und zerstreut gewesen. Wohl hundertmal hatte er nach der Uhr gesehen, als könne er den Gang der Zeit damit beschleunigen, und auch jetzt wieder, während er rastlos in dem ziemlich großen Gemach umher ging, wiederholte er häufig jenes Zeichen von Ungeduld.
Draußen auf dem Platz warf der aufsteigende Vollmond sein glänzendes Licht auf die Stadt und mischte es mit dem hellen Glanz, der aus den Fenstern der zahlreichen Trink- und Spielhäuser rings umher das Halbdunkel erhellte.
Während der Graf so ungeduldig auf und nieder ging, saß an einem Tisch an der Wand des Zimmers der Leutnant Antonio Perez mit einer Liste beschäftigt, in die er die Namen der vierzehn Abenteurer eintrug, die sich an dem Tage zur Teilnahme an der Expedition gemeldet hatten. Er las die einzelnen vor und machte dazu seine Bemerkungen.
» Diego Muñoz, Excellenz. Er war damals Capataz der Lastträger von Guyamas und mußte flüchten, weil er in der Übereilung einem Vater und zwei Söhnen sein Messer in den Hals gestoßen hatte. Die Sache machte einiges Aufsehen, da die Verstorbenen nicht zu den Leperos gehörten, sondern einiges Vermögen besaßen, das bei ihrem Tode mit Doña Juanita, der Tochter des Hauses, verschwunden war. Man beschuldigte Señor Muñoz, dabei die Hand im Spiel gehabt zu haben, weil er Doña Juanita die Ehre erzeigt hatte, ihr den Hof zu machen, was die Brüder nicht leiden wollten. Aber ich bin überzeugt, daß man ihm Unrecht gethan hat; denn Señor Muñoz war ein Mann von Ehre, und der schuftige Alkalde hatte bloß einen Haß auf ihn, weil er einmal seinem Sohn drei Zähne eingeschlagen. Darum mußte er denn Guyamas auf einige Zeit verlassen.«
»Der Kerl ist ja ein offenbarer Mörder und Dieb. Man schneidet drei Männern nicht den Hals ab, außer des Nachts durch Meuchelmord.«
»Entschuldigen Sie, Excellenza, aber es geschah bei hellem Tage während der Siesta und als sie sich zu unvorsichtig in einer Cabaña am Strande dem Schlaf überlassen hatten. Es war ein Unglück, daß Señor Muñoz gerade an der offenen Hütte vorbeigehen mußte und übler Laune war, weil sie ihn kurz vorher beleidigt hatten. Er war seither am Sakramento, aber die Placeros scheinen nicht mehr ergiebig genug. Soll ich ihn in die Liste eintragen?«
»Gewiß nicht. Wir haben genug offenbare Schurken.«
»Ich erlaube mir nur die ehrerbietige Bemerkung,« beharrte der Sekretär, »daß Señor Muñoz hoffte, unter Euer Excellenz Schutze nach Guyamas zurückkehren zu können, um sich von dem üblen Verdacht des Diebstahls zu reinigen, der auf ihm lastet. Er hat einen großen Anhang in Guyamas und könnte uns dort sehr nützlich sein.«
»Meinetwegen, so nehmen Sie ihn an. Ein Schuft mehr oder weniger ist im Grunde gleich. Haben Sie noch mehr von dem Gesindel?«
»Zwei Matrosen von dem englischen Schiff ›Jane‹ sind von Bord entlausen und bestehen darauf, sich der Expedition anzuschließen.«
»Aber ihr Kapitän wird sie reklamieren?«
»Wir sind in einem freien Lande, Tenor General, und es kann sie niemand zwingen.«
»Dann nehmen Sie sie an; es sind zwar wahrscheinlich Trunkenbolde und Krakehler; aber in gewisser Beziehung kann man sich auf sie verlassen. Nur die Yankees taugen nicht.«
»Bei der sehr richtigen Bemerkung Eurer Excellenz fällt mir ein, daß der Bursche aus New Orleans, den Sie bereits dreimal abgewiesen, heute zum viertenmal da war und dringend um die Erlaubnis bat, den Zug mitmachen zu dürfen. Er behauptet, Sie seien ihm diese Erlaubnis schuldig, und er befinde sich im tiefsten Elend.«
» John Brown?«
»Ich glaube, so heißt er.«
»Geben Sie dem Halunken zehn Dollars, und jagen Sie ihn zum Teufel, ich will nichts von ihm wissen.«
Der Leutnant machte ein Kreuz bei dem Namen.
»Haben Sie noch mehr auf der Liste?«
» John Meredith, Excellenza, er hat sich entschlossen.«
»Wie? Der Bankhalter, der Besitzer des großen Spielzeltes?«
»Er hat in letzter Zeit bedeutende Verluste gehabt und man munkelt, daß all seine Habe schon lange den Gläubigern gehört. Es ist heute der letzte Abend, daß er die Bank hält.«
»So müssen wir ihm doch noch einen Besuch machen. Wir haben ihm viele unserer Leute zu danken. Sind Sie zu Ende?«
»Zwei Personen noch.«
»Sagen Sie rasch die Namen, ich bedarf der Aufregung des Spiels, um mir ein paar Stunden hinbringen zu helfen.«
»Der eine,« sagte der Leutnant, den Gegenstand überreichend, »hat mir diese Karte übergeben, der andere ist ein Trapper und führt den Namen: der Kreuzträger.«
»Der Kreuzträger, das ist ein eigentümlicher Name, wie kommt der Mann dazu?«
»Es ist ein französischer Kanadier und hat auf ein silbernes Kreuz, das er deshalb stets auf seiner Brust trägt, geschworen, jede Woche einen Apachen zu töten. Ich kenne die Geschichte nicht, auf der das Gelübde beruht, aber es muß jedenfalls eine sehr traurige sein. Ich weiß nur, daß er von den Apachen gefürchtet wird, als wäre er der Teufel selber, und ich glaube, sie haben wenig Ursache, ihn viel anders anzusehen.«
»Aber wenn der Mann ein solches Gelübde gethan hat, wie kommt er hierher?«
» Carajo! Das ist sehr leicht zu erklären.«
»Nun?«
»Ei, er steht bei den Apachen in Vorschuß. Er wird im voraus gearbeitet haben und hat also Zeit. Wo kann er sie besser zubringen, als in San Francisco?«
Der Graf hatte gegen diese schlagende Erwiderung nichts einzuwenden und betrachtete die Karte, die er zwischen den Fingern zerknittert hatte.
»Baron Arnold von Kleist,« sagte er, »Leutnant außer Diensten. Also ein Deutscher – wenn ich nicht irre, dem Namen nach ein Preuße. Sind die Angemeldeten da?«
»Alle, mit Ausnahme des Kentuckiers. Ich habe sie hierher bestellt, um sie Euer Excellenz vorzustellen.«
»So lassen Sie dieselben eintreten.«
Der Mexikaner ging hinaus und öffnete bald darauf die Thür. Ein Haufen von dreizehn Männern trat in das Gemach und stellte sich nach einem kurzen Gruß vor dem Grafen auf. Es fiel natürlich keinem ein, in dem Lande der Freiheit den Hut oder die sonstige Kopfbedeckung abzunehmen. Freilich war sie bei zweien oder dreien in so desolatem Zustande, daß jede nicht durchaus notwendige Berührung den Besitzer der Gefahr aussetzte, künftig ganz barhaupt zu gehen.
Die Gesellschaft bildete überhaupt die merkwürdigste Musterkarte, die man sich denken kann. Vaterland, Gesichtsfarbe, Kleidung, Stand und Besitz: alles war hier verschieden. Außer den beiden englischen Teerjacken, die schwer betrunken waren, aber durch die Macht der Gewohnheit sich standfest hielten, und dem ehemaligen Capataz, einem kräftigen, sonnverbrannten Mann mit schönen Zügen, krausem, schwarzem Haar und dem Auge eines Tigers, befanden sich in der Gesellschaft zwei verkommene Europäer, flüchtige Bankerottierer aus der Heimat, die sich an den Placeros vergeblich nach Gold abgemüht hatten; ein Schwede von riesiger Gestalt, der früher als Harpunierer auf einem Walfischfahrer gedient; ein Chinese mit langem Zopf und geschlitzten Augen, der bei der Expedition Handel zu treiben hoffte; ein Spanier von blauem Blut, wie er behauptete, und zerrissenem Mantel, wie der Augenschein lehrte; einer jener kühnen und abgehärteten Perlenfischer von Espiritu Santo, der wegen Unterschlagung einer kostbaren Perle aus seiner Zunft gestoßen war; ein älterer Mann von herkulischem Körperbau, mit brutalem Gesicht, dem man den Seemann, aber zugleich den Piraten auf den ersten Blick ansah und der in feinem roten Leibgurt ein ganzes Arsenal von Pistolen und Messern trug, und dann ein Mensch von eigentümlichem und lächerlichem Aussehen. Er trug einen Hut, dessen große Ränder sein Gesicht tief beschatteten und überdies ein breites schwarzes Pflaster auf dem rechten Auge, das fast die Hälfte der ganzen Visage einnahm. Seine Bekleidung rührte offenbar aus einer alten Theater-Garderobe her, denn sie bestand aus einem feuerroten langen Mantel, und der Inhaber war sorgfältig bemüht gewesen, seine überaus hagere Gestalt bis auf die defekten Schuhe herab darein einzuhüllen.
Der Graf überflog mit einem Blick die saubere Gesellschaft. Etwas abseits von ihr standen zwei Gestalten, die sich in ihrem Äußeren und ihrer Haltung vorteilhaft von ihr unterschieden.
Der eine war ein junger Mann von hoher schlanker Figur und militärischer Haltung. Sein schwarzer abgetragener, aber sauberer Rock war bis an den Hals zugeknöpft, die Handschuhe auf seiner Hand zeigten die Gewohnheiten der besseren Gesellschaft, der kleine Fuß die aristokratische Geburt. Er trug eine leichte Jagdmütze auf dem krausen hellbraunen Haar und ein gleicher kleiner Bart bedeckte die Oberlippe. Er konnte etwa vier- bis sechsundzwanzig Jahre zählen; sein Gesicht war nicht schön, aber männlich offen und bieder, doch blaß und hager, als hätten Krankheit und Not daran gezehrt, und in den ernsten blauen Augen lag ein Ausdruck von Schwermut und Trauer.
Den Grafen zog das Äußere des jungen Mannes auf den ersten Blick an, und er fühlte, daß er hier einen Gefährten zu finden im Begriff stand, der für ihn mehr Wert hatte, als ein Dutzend der gewöhnlichen, wenn auch noch so kecken und verwegenen Abenteurer.
Von ganz anderem Äußeren war der Mann, der neben jenem stand, den Kolben seiner langen Flinte auf den Boden die verschränkten Hände auf die Mündung gestützt.
Es war ein Mann, schon weit über die Mitte des Lebens hinaus, vielleicht 55 oder 60 Jahre alt. Sein gebräuntes, durchfurchtes Gesicht mit einer schmalen Adlernase und blinkenden dunklen Augen verschwand zur Hälfte unter einem dichten weißen Bart, der Wangen und Mund umgab und bis auf die Brust herabfiel. Er trug eine rauhe Mütze von Otternfell, ein ledernes Jagdhemd wie die Indianer, nur daß die Nähte statt mit Menschenhaaren mit verblichenen Fransen besetzt waren, und hohe Ledergamaschen. Über der Schulter hing ihm eine große Jagdtasche und in dem Ledergürtel, der das Hemd zusammenhielt, steckte ein wie ein Maß aussehendes viereckiges Holz und ein langes starkes Jagdmesser mit Horngriff. Auf der Brust aber hing ihm an einer Lederschnur ein etwa fingergroßes, sauber poliertes silbernes Kreuz.
Dies war der »Kreuzträger«, von dem der ehemalige Matador gesprochen hatte.
Der Graf begrüßte die Eingetretenen mit vornehmem Kopfnicken und trat dann auf sie zu.
»Sie wollen also,« sagte er, »wie mein Sekretär mir meldet, Dienste nehmen in der Sonora-Expedition. Sind Ihnen die Bedingungen bekannt, unter denen allein die Aufnahme stattfindet?«
Ein vielstimmiges »Ja« in verschiedenen Sprachen antwortete ihm. Nur der junge Deutsche begnügte sich mit einer stummen Verbeugung, und der alte Trapper mit einem Kopfnicken.
»Sie verpflichten sich,« fuhr der Graf fort, »auf ein Jahr mir zu jeder Unternehmung zu folgen, zu der ich Sie führe, oder die ich Ihnen auftrage. Sie erhalten fünfzig Dollars Handgeld und einen regelmäßigen Sold von vier Dublonen monatlich. Die erste Bedingung aber, die ich stelle, ist unbedingter Gehorsam gegen meine Befehle.«
»Vier Dublonen, Jack,« meinte der eine Matrose zu seinem Gefährten, » Goddam, das giebt 'ne hübsche Portion Rum.«
»Mit Euer Excellenz Erlaubnis,« sagte der Mann im roten Mantel mit einer auffallend näselnden Stimme, »ich hoffe demütig zum Herrn, daß bei unserem gottgesegneten Unternehmen das ewige Seelenheil dieser armen bethörten Wilden nicht vergessen werden wird, und daß alle, die zu Gefangenen gemacht werden, das Bad der gesegneten Taufe empfangen sollen. Euer Excellenz würden uns überdies sehr verbinden, wenn Sie Ihren ganz unterthänigsten Dienern mitzuteilen geruhen wollten, wie es mit dem Landbesitz und der Teilung des berühmten Schatzes Ihrer Majestäten der verstorbenen Ynkas gehalten werden soll?«
»Der fünfte Teil des Goldes, das wir finden oder erobern, soll unter die Mannschaft der Expedition zu gleichen Teilen verteilt werden.«
» Carrajo! das ist wenig genug,« meinte der Kerl, der wie ein Korsar aussah. »Und wer bürgt uns dafür, daß wir zuletzt nicht noch um unser gutes Recht betrogen werden?«
»Ich, der Graf Raousset Boulbon!«
»Na, das klingt recht schön, ist aber wenig wert. Die beste Bürgschaft, denke ich, wird unsere eigene Faust sein, und ich wollte niemandem raten, mir meinen Anteil zu kürzen. Ich meine, es ist das Beste, man sagt dies von vorn herein.«
Der Graf trat ihm einen Schritt näher. »Wie heißt Ihr?«
Der Kerl grinste ihn mißvergnügt an. »Bah, ich denke, bei einem Unternehmen wie dem unseren und in diesem Lande wird es nicht viel auf einen Namen ankommen, und einer ist so gut wie der andere. Aber da jeder doch eine Handhabe haben muß, so könnt Ihr mich den ›Roten Hai‹ – Squale rouge – wie Ihr Franzosen sagt, nennen; der Name ist bekannt genug zwischen dem Kap Concepcion und dem chinesischen Meer.«
»Ihr seid also der berüchtigte Seeräuber, der diesen Namen führt?«
»Seeräuber hin, Seeräuber her, ein jeder nährt sich so gut er kann, mein Gräflein. Wenn der Rote Hai nicht Unglück auf dem Wasser gehabt und die verfluchten Engländer ihn nicht in letzter Zeit so gejagt und ihm sein Schiff verbrannt hätten, so würde er bei allen Stürmen, die der Teufel im Ocean aufwühlt, nicht hier sein. So will ich es einmal eine Zeitlang mit dem Lande versuchen. Aber das merkt Euch, der Haifisch geht seinen eigenen Weg und ist nicht gewohnt, vor der Bö jeder Laune eines Junkers die Segel zu streichen.«
Der Graf fühlte, welchen Eindruck die trotzigen Worte des Bösewichts auf die ganze Gesellschaft machten, und daß jeder Moment der Zögerung ihn um seine Autorität bringen könne.
»Nun wohl, Meister Haifisch, wie Ihr Euch zu nennen beliebt,« sagte er kalt, »es wird meine Sache sein, mir den nötigen Gehorsam von Eurer Seite zu verschaffen, im Fall ich Euch gestatten sollte, an meiner Expedition teilzunehmen. Vorläufig habe ich nur eins zu bemerken.«
»Und das wäre?«
»Das ist, daß ich Euch um Eurer selbst willen rate, niemals an dem Wort des Grafen Raousset Boulbon zu zweifeln, in dessen Adern das Blut der rechtmäßigen Könige Frankreichs fließt, sonst –«
Der Korsar sah ihn frech an, die Hand an den Griff des breiten türkischen Dolches legend, der aus seinem Gürtel ragte. »Sonst? –« wiederholte er höhnisch.
»Sonst geschieht Euch jedesmal, was Euch jetzt geschieht! Und die geballte Rechte des Grafen traf mit einem Faustschlag die Stirn des Seeräubers so gewaltig, daß er der Länge nach rücklings den Boden maß.
Der Getroffene stieß, während seine Kameraden bei der plötzlichen Exekution erschrocken und betroffen zurückwichen, ein Gebrüll aus, und, den Dolch aus der Scheide reißend, sprang er mit einer für sein Alter wunderbaren Behendigkeit empor und stürzte sich auf den Grafen.
Ein Schrei des Entsetzens erscholl durch das Gemach. Jeder glaubte den kühnen Franzosen verloren; denn der Ruf des Seeräubers war ein furchtbarer, und er selbst jetzt noch, wo er sein Schiff und seine Bande verloren hatte und als ein Flüchtling in San Francisco sich umhertrieb, von jedem gemieden und gefürchtet.
Nur der junge preußische Offizier versuchte es, zwischen den Grafen und den Korsaren sich zu stürzen und den Mordstoß des letzteren abzuwenden. Er wurde dabei von der scharfen Schneide der Klinge leicht am Arm verwundet.
In demselben Moment fühlte er sich ruhig, aber mit unwiderstehlicher Kraft zur Seite gedrängt.
Der Graf stand dem Mörder allein gegenüber, seine rechte Hand hielt den Arm des Korsaren etwa drei Finger breit oberhalb des Gelenkes umspannt.
Jetzt sah man eine eben so merkwürdige als schreckliche Scene.
Kein Zug in dem Gesicht des Edelmanns hatte sich verändert, es schien Wie aus Marmor gemacht, nur mitten auf der Stirn zeigte sich ein roter Fleck.
Seine Augen dagegen hatten einen seltsamen starren Ausdruck angenommen.
Man sah nicht, daß der Graf seinen Arm oder seine Hand bewegte; der ausgestreckte Arm war so starr und unbeweglich wie sein Blick, und dennoch wand und krümmte sich die herkulische Gestalt des Seeräubers an dieser Hand und an diesem Arm, wie eine Schlange sich an dem Eisen windet, das sie festgenagelt, oder wie ein reißendes Tier in der Falle, in die es seine Tatze gesteckt hat.
Das finstere häßliche Gesicht des Korsaren färbte sich dunkelrot, seine Augen quollen hervor, weißer Schaum trat auf seine Lippen, und er stieß ein Geheul aus, das, erst grimmig und wild, sich zuletzt in die Laute furchtbaren Schmerzes umwandelte.
Die Faust öffnete sich, der türkische Dolch entfiel den Fingern, vergeblich suchte die Linke den wie in eisernen Klammern gefangenen Arm zu befreien, man sah dichte Schweißtropfen aus allen Poren seiner Stirn treten und zuletzt die mächtige Gestalt in die Knie sinken.
Ein Ächzen bebte über die schaumbedeckten, blutig zerbissenen Lippen: »Gnade!«
Der Räuber, der vielleicht hundertmal diesen Ruf der höchsten Angst mit kaltem Hohn vor sich hatte winseln hören, wenn seine Opfer van den rauhen Händen seiner Genossen gepackt, mit einer letzten Hoffnung auf Erbarmen sich an das Leben klammerten, der Mörder, der so viele Flehende mit teuflischer Härte dem nassen Grab oder dem Messer überliefert hatte, er lag, von dem furchtbaren Schmerz gebändigt, jetzt selbst knieend und Gnade wimmernd vor einem Mann, dem er noch wenige Augenblicke vorher den übermütigsten Trotz geboten, den er für seine Vermessenheit mit jähem Tode hatte strafen wollen.
Der Graf ließ den Arm los und stieß den roten Hai zurück.
»Steh auf!« sagte er ruhig, »laß Dich kurieren auf meine Kosten, und wenn Du hergestellt bist, so melde Dich bei Don Perez. Ich erteile die Erlaubnis zu Deiner Aufnahme in die Sonora-Kompagnie!«
Der Seeräuber machte eine vergebliche Anstrengung zu sprechen. Nur ein heiseres Stöhnen kam aus seinem Munde. Er versuchte den Arm zu bewegen, aber dieser hing kraftlos an seiner Seite nieder, und er mußte ihn mit dem Linken heben.
Der Arm war aus dem Gelenk gedreht. Auf einen Augenwink des Grafen führte der Leutnant den Korsaren hinaus.
Tiefe Stille, nur unterbrochen von dem Ächzen des Leidenden, hatte die merkwürdige Scene begleitet; die Zuschauer betrachteten einander mit scheuen, verstohlenen Blicken, und keiner wagte ein Wort. Selbst der Capataz hatte plötzlich seine übermütige hochfahrende Haltung verloren – der Graf sah, daß er seinen Zweck erreicht hatte – er hatte diese verschiedenen gefährlichen, aber ihm notwendigen Elemente eingeschüchtert.
Jetzt trat er zu dem Preußen und reichte ihm die Hand.
»Sie waren der einzige,« sagte er, »der sich zwischen mich und die Gefahr zu werfen die Entschlossenheit hatte. Daraus habe ich erkannt, daß Sie ein geborener Soldat sind. Wenn Sie den Posten annehmen wollen, mein Herr, so ernenne ich Sie hiermit zum Adjutanten der Expedition.«
»Aber Sie kennen mich nicht, Herr Graf; lassen Sie mich von vornherein dienen wie jeden andern in Ihrer Schar!«
»Ich denke,« entgegnete der Graf, »ich habe einige Menschenkenntnis und mich nicht getäuscht in meiner Wahl. Übrigens seien Sie unbesorgt, wir beide werden nicht bloß die Strapazen und Gefahren des geringsten Mitgliedes teilen, sondern deren mehr haben als jeder andere. Wie ich aus Ihrer Karte sehe, Herr Baron, waren Sie Offizier in der preußischen Armee? Ich achte und schätze diese Armee, denn sie war stets eine Schule soldatischer Ehre und Tapferkeit. Was Sie hierher geführt, geht mich nichts an – das Schicksal spielt oft wunderlich genug mit unserem Willen und unseren Absichten, das sehen Sie an mir selbst.«
Der junge Preuße verbeugte sich. »Seien Sie versichert, Herr Graf, daß Sie Ihr Vertrauen keinem Unwürdigen geschenkt haben, und lassen Sie mich Ihnen hier meinen Reisegefährten durch die Einöden der Felsgebirge vorstellen, einen Mann, hinter dessen schlichter Hülle sich das Herz eines Löwen und die Treue eines Hundes birgt.« Er wies dabei auf den Trapper an seiner Seite.
Der Kreuzträger schien ganz beschämt von dem Lob des jungen Mannes. » Parbleu!« sprach er, »wer wird so viel Aufhebens machen von einer Büchsenkugel, die ein Mann für den andern in der Einöde abschießt. Das kommt alle Tage vor, und Sie hätten gewiß dasselbe für mich gethan. Sie haben mir mit dem kleinen Scharmützel, das wir hatten, zu drei neuen Kerben aus meinem Holz verholfen.«
»Ich habe gehört, Meister Kreuzträger,« bemerkte der Graf, »daß Sie ein Gelübde gethan haben, alle Tage einen Apachen zu erschießen, weil diese Nation Ihnen einst ein großes Leid angethan hat.«
Eine dunkle Wolke flog über die energischen Züge des Trappers, und seine Augen schienen Feuer zu sprühen bei der Erinnerung an die Vergangenheit. »Verflucht sei das giftige Gewürm,« sagte er mit dem Ausdruck des tiefen Hasses. »Es wäre nicht zu viel gewesen, wenn ich so mit ihnen abgerechnet hätte; leider aber habe ich nur geschworen, alle Woche einem von ihnen das Lebenslicht auszublasen, und die Schurken haben so 600 Prozent Vorteil gegen mich.«
Der Graf lachte. »Ich dächte,« sagte er, »das Konto ist bereits hoch genug, und die Herren Apachen werden keinen größeren Prozentsatz wünschen. Wie viel haben Sie ihrer schon in diesem Jahre abgethan?«
Der alte Mann zog das viereckige Holz aus seinem Gürtel und reichte es dem Grafen. »Da ist meine Rechnung, Monsieur,« sprach er, »die Kerben bedeuten einen und die Querschnitte fünf. Ich glaube, ich habe noch einige übrig, und was ich etwa versäume, denke ich nachzuholen, wenn wir erst am Rio Gila sind.«
»Den Henker auch, Meister Kreuzträger,« sagte der Graf, indem er das Kerbholz besah. »Ihr habt da ein ganz hübsches Register. Und wie viele rechnet Ihr, daß Ihr von den landstreicherischen Halunken schon in ihre ewigen Jagdgefilde befördert habt?«
»Es sind im nächsten Frühling vier Jahre, Herr, daß ich den Krieg mit den Apachen führe,« erwiderte der Trapper, als handle es sich um eine Kriegserklärung eines mächtigen Fürsten an den andern. »Sie werden es demnach selbst berechnen können.«
» Pardioux! Das ist ja eine Zahl von fast zweihundert Rothäuten. Wahrhaftig, Meister Kreuzträger, das Gouvernement von Sonora hat alle Ursache sich bei Euch zu bedanken. Wenn wir einmal mehr Zeit haben, müßt Ihr mir die Geschichte erzählen, wie Ihr zu dem etwas blutigen Gelübde gekommen seid. Wenn Ihr noch lange lebt, wird die Nation der Apachen nicht mehr ausreichen.«
»Es ist genug des Gewürms auf der Prärie, Herr; auch hoffe ich, daß ich mit diesem Zuge meiner Verpflichtung ledig werde.«
»Wie meint Ihr das?«
»Mein Gelübde dauert nur so lange, bis die Apachen einen ihrer Häuptlinge in meine Hände geliefert haben, damit ich an ihm die That sühne, zu deren Rächung mich Gott in die Prärie gesandt hat.«
»Und wer ist das, wenn man fragen darf?«
»Es ist der ›graue Bär‹ der Apachen.«
»Mir ist, als habe ich den Namen schon nennen hören; aber ich erinnere mich augenblicklich nicht wo und wie.«
»Er ist der tapferste, aber auch der grausamste Krieger der Nation,« sagte der Kreuzträger. »Sein Herz ist das eines Jaguars, und seine Kraft die des Tieres, von dem er den Namen führt. Seine Stärke und die teuflische Schlauheit seines Genossen, der ›roten Schlange‹, sind es, welche die Apachen zum Schrecken der Prärieen und der Haziendas bis in das Herz der Sonora machen.«
Der zweite Name erinnerte den Grafen an die Gelegenheit, bei der er sie gehört hatte. Der Gambusino hatte sie ihm bei seiner Erzählung von der Goldhöhle genannt.
»Es sind nur zwei in der Wüste, die außer mir ihnen Trotz bieten können,« sagte der Trapper mit selbstbewußtem Stolz. »Wenn Sie die beiden gewinnen, Monsieur, werden Sie die ganze Nation der Apachen besiegen.«
»Wie heißen diese Männer, denen Ihr so viel zutraut, Meister Kreuzträger?«
»Es ist Le Bras-de-fer oder ›Eisenarm‹ und Wonodongah, der ›große Jaguar‹ der Comanchen.«
Der Graf schwieg betroffen bei diesen beiden Namen, die so große Wichtigkeit für ihn hatten, besonders am heutigen Tage. Dann fragte er hastig:
»Kennen Sie die Personen, die Sie genannt haben, Meister Kreuzträger, und wissen Sie, wo sie zu finden sind?«
»Nein, General, durch einen Zufall sind wir nie mit einander in persönliche Berührung gekommen, obschon unser Ruf uns gegenseitig bekannt genug sein mag. Sie lieben die Berge, und ich liebe die Ebene; aber ich denke, hier ihre Bekanntschaft zu machen.«
»Hier? sind sie also hier?«
»Wenn sie nicht hier sind, werden sie sicher kommen. Ich habe von Lopez, dem einäugigen Fallensteller gehört, daß sie auf dem Wege nach Kalifornien waren, um einen alten Freund aufzusuchen.«
Der Graf unterdrückte mit Gewalt eine Bewegung der Befriedigung, er sah jetzt, nachdem er noch immer unwillkürlich an den Worten des verstorbenen Gambusino gezweifelt hatte, seine Pläne, seine Wünsche gesichert.
»Meine Herren,« sagte er mit einem stolzen befriedigten Ausdruck, »Sie können Ihren Kameraden sagen, daß die Sonora-Expedition in wenigen Tagen nach Guyamas unter Segel gehen wird. Jetzt begleiten Sie mich in den Spielsaal des Herrn John Meredith und Comp., der künftig Ihr Gefährte sein wird, und heute Ihnen einen Abschiedsschmaus auf meine Kosten geben soll. Herr Baron, kommen Sie.«
Er ging nach der Thür, aber der junge Preuße hielt ihn auf.
»Verzeihen Sie, mein Herr, wenn ich Sie nicht begleite,« sagte er mit einiger Befangenheit, »aber ich spiele niemals.«
»Ei, Monsieur, wenn Ihnen die Karten früher Unglück gebracht haben, wie ich nach dieser Einwendung vermute,« lachte der Graf, »gut, so beschäftigen Sie sich nicht mit ihnen, und Sie werden gut daran thun; denn diese höllischen Blätter sind in der That für einen Mann noch gefährlicher als die Weiber. Aber das schließt nicht aus, daß Sie uns begleiten können. Ich wünsche es, und Sie werden dort der Unterhaltungen noch andere finden, wenn auch diese Herren nichts Eiligeres zu thun haben dürften, wie mir scheint, als ihre 50 Dollars Handgeld, die Señor Don Perez sofort auszahlen wird, zu verdoppeln oder los zu werden.«
Der neue Adjutant verbeugte sich schweigend zum Zeichen des Gehorsams und folgte dem Grafen, der nach seiner Gewohnheit die Melodie eines Chanson trällernd und mit der Reitpeitsche seinen Fuß schlagend, voranging. Die ganze Gesellschaft zog jubelnd hinterdrein, nachdem der Leutnant und Sekretär Antonio Perez erklärt hatte, daß er jedem in dem Spielzelt gegen Unterzeichnung des Vertrages das Handgeld von 50 Dollars auszahlen werde.
Das Spielzelt oder vielmehr der Spielsaal des Kentuckiers war von einer bunten Menge gefüllt: Handelsleute, Seefahrer, Grundbesitzer, Goldsucher aus den Placeros, die hier ihren mühsam und unter hundert Gefahren errungenen Erwerb in der Hoffnung, ihn vor der Rückkehr nach Europa zu verdoppeln, wieder verschleuderten; Auswanderer, die, kürzlich erst angekommen, ihre letzte Habe auf dem grünen Tisch des Bankhalters opferten in der sicheren Erwartung, in den goldhaltigen Bächen der Sierra Nevada binnen wenigen Tagen mit leichter Mühe alles nicht hundert-, sondern tausendfach ersetzen zu können; Abenteurer aller Art, von dem Wegelagerer und falschen Spieler ab bis zu dem politischen Flüchtling; kecke Soldaten, die Unglück gehabt, oder welche die Lust nach Abenteuern umhertrieb; Spekulanten aller Art, verkommene Genies und emancipierte Loretten; Fremde und Einheimische, Personen aus fast allen Ländern der Erde und in zehn verschiedenen Sprachen redend, drängten sich hier zusammen.
Ebenso verschieden wie Nationalität, Kleidung, Habe und Charakter, waren auch die Beschäftigungen, denen sich diese bunte lärmende, rauchende, lachende und zankende Gesellschaft hingab.
Der Spielsaal war derselbe oder vielmehr an der Stelle dessen erbaut, in dem einige Wochen früher der Graf und sein damaliger Rival Nena Sahib zusammen getroffen und der, wie fast alle Gebäude des Plazza Mayor von den Flammen des großen Brandes verzehrt worden war. Während aber zu dem Aufbau der Kathedrale noch herzlich wenig Anstalten getroffen waren, stand das Spielhaus schon nach acht Tagen wie aus der Erde gewachsen wieder fix und fertig da, noch glänzender und luxuriöser ausgestattet als früher.
Die Einrichtung war so ziemlich dieselbe geblieben. Vorn das » tap« mit den Schankstätten von allerlei spirituosen Getränken, im Hintergrunde des langen Saales ein Orchester mit einer Anzahl männlicher und weiblicher Musikanten besetzt, vor ihm eine Estrade zu den besonderen Vorträgen und in der Mitte des Saales größere und kleinere Tische zum Pharao und Roulette; eine Wolke von Tabaksqualm und Gingeruch, an die sich das Auge erst gewöhnen mußte, die Gasflammen der Kron- und Wandleuchter verdüsternd, und aus dem Gelächter, dem Streit, den Verwünschungen und der Musik immer wieder der eintönige Ruf der Bankiers: » gagné – perdu – faites vôtre jeu, Messieurs!«
In diesen Lärm klang gerade im Augenblick des Eintritts des Grafen ein Tusch des Orchesters und dann eine laute Stimme: »Ladies und Gentlemen, wir bitten einen Augenblick um Ruhe und Aufmerksamkeit. Ihro Excellenz, die Frau Gräfin von Landsfeld alias Señora Lola Montez, eine der berühmtesten und reizendsten Damen der alten Welt, verbannt durch die Undankbarkeit der Potentaten und eines herrschsüchtigen Adels, wird die Ehre haben, Ihnen verschiedene Deklamationen in spanischer, französischer und deutscher Sprache vorzutragen!«
Ein donnerndes »Hört, Hört! hip, hip! Hurra!« dröhnte durch den Saal, aber der Zudrang zu der Estrade, auf der in der That im Reifrock, mit Federhut und Peitsche schon ziemlich angegriffen und reduziert aussehend, die berühmte Abenteurerin erschien, und das Publikum mit einer Anrede haranguierte, blieb ziemlich gering. Lola Montez, die einst expreß nach Petersburg gereist war, um den Kaiser Nikolaus zu erobern, und für diese offen verkündete Absicht am Tage nach ihrer Ankunft durch einen Flügeladjutanten wieder bis an die preußische Grenze zurücktransportiert wurde, hatte selbst für die Yankees schon die Anziehungskraft verloren; obschon man dort auf die abgelegten Celebritäten der alten Welt mit Eifer spekuliert. Es ist bekannt, daß die Dame später in ein Beguinenkloster ging und im größten Elend starb.
Der Eintritt des Grafen mit seinem Gefolge erregte in der That mehr Aufmerksamkeit, als die Deklamation und der absurde Tanz der Spanierin; denn das Gerücht von der Bestrafung des bekannten und gefürchteten Piraten und dem nahen Aufbruch der Sonora-Expedition verbreitete sich mit Windeseile, und die zahlreichen Angeworbenen, die im Zelt anwesend waren, sammelten sich sofort um den Führer und ihre neuen Kameraden.
Der Graf richtete seine Schritte nach dem großen Spieltisch in der Mitte des Saales, wo dessen Eigentümer mit seinem Partner selbst Bank hielt, während die kleineren Spieltische umher an verschiedene Unternehmer vermietet waren. Das Spiel an dieser Tafel war wie gewöhnlich sehr hoch und wurde namentlich von den Goldsuchern betrieben, die eben mit ihrem Erwerb aus den Placers zurückgekommen waren. Zu dem Zweck lag vor dem Bankhalter eine jener kleinen Wagen, auf welchen der Goldstaub oder die Goldkörner abgewogen wurden. Der Graf sah ungeduldig nach seiner Uhr; da er wahrscheinlich seine Zeit noch nicht gekommen fand, warf er einige Goldstücke auf die Tafel und beteiligte sich am Pointieren.
Im Nu war der grüne Tisch mit dem Handgeld der Neuangeworbenen bedeckt, nur der Rotmantel hielt vorsichtig zurück, obschon er die Stelle gerade gegenüber dem Bankhalter eingenommen hatte.
Der Kentuckier warf ihm mehrmals einen beobachtenden mißtrauischen Blick zu, aber der Mantel des Fremden war so hoch heraufgezogen, und der breite Rand seines Hutes beschattete so tief das Gesicht, daß an ein genaues Erkennen nicht zu denken war.
Es waren bereits drei oder vier Taillen abgezogen, als der Rotmantel plötzlich seinen mageren Arm ausstreckte, die Hand auf die Karten legte und das Wort sagte: » Va banque!«
Die Ankündigung übte sofort eine elektrische Wirkung auf die ganze Gesellschaft, und aller Augen wandten sich auf den kecken Spieler.
»Ihr wißt doch, was Ihr thut, Fremder?« sagte etwas unruhig der Kentuckier. »Es stehen mehr als 2000 Dollars in diesem Augenblick in der Kasse.«
»Was sind 2000 Dollars gegen die Macht des Herrn,« sagte mit näselnder Stimme der Rotmantel. »Ich halte sie, denn wenn er es will, der das Meer bewegt und die Erde zu seinem Garten macht, können sie sich im Nu zu Gunsten seines demütigen Dieners verdoppeln. Master Meredith wird einem alten Freunde gewiß den Dienst erweisen, für ihn Bürgschaft zu leisten und wenn es bis zur Höhe von 5000 Dollars wäre.«
Indem er diese Worte sprach, hatte er mit einer von den Umstehenden unbeachteten Bewegung den oberen Zipfel des Mantels fallen lassen, der sein Gesicht verhüllte, und wendete sich so, daß das Auge des Kentuckiers, der trotz all seiner Frechheit und bei dem Ton dieser Stimme zusammengefahren war und ihn noch aufmerksamer als zuvor betrachtete, dies Gesicht erblicken konnte. Sofort aber hatte er es wieder verhüllt.
Der Bankhalter wurde totenbleich, seine Glieder zitterten, und er mußte sich den kalten Schweiß von der Stirne trocknen.
Endlich, da er fühlte, daß aller Augen auf ihn gerichtet waren, faßte er sich mühsam und stammelte: »Es ist gut, ich kenne den Herrn – das Spiel ist angenommen.«
»Ich protestiere! ich protestiere!« schrie auf einmal die Stimme seines Kompagnons dazwischen und die Finger des kleinen Mannes mit spitzer jüdischer Physiognomie spreizten sich über den Gold- und Banknoten-Haufen. »Gentleman, Master Meredith ist nicht bei Sinnen, er kann nicht annehmen ein Spiel um Geld, das ihm nicht mehr gehört!«
»Spitzbube, was unterstehst Du Dich! Erst morgen –«
»Spitzbube hin, Spitzbube her – mein Geld ist mein Geld! Wenn Sie mich zwingen doch, es zu sagen vor dieser hochachtbaren Gesellschaft, die mir lassen wird mein Recht, so muß ich es sagen schon heute, daß Sie sind ein bankerotter Mensch, dem nichts mehr gehört als der Rock auf dem Leibe, und daß alles ist mein wohlerworbenes Eigentum. Wenn Sie mir machen Flausen, werd' ich sagen noch mehr und werd' anrufen den Schutz vom Gesetz.«
»Schurke!« Der Kentuckier griff nach dem Revolver, der vor ihm auf dem Spieltisch lag, eine notwendige Warnung in dieser Gesellschaft. Aber der Jude war nicht ohne seine Freunde, und mehrere Personen fielen dem edlen John sofort in den Arm und entrissen ihm die Waffe.
»Nichts da, ehrlich Spiel! Wenn der Isak Sloman der Eigentümer des Zeltes geworden, hat er recht!«
»Meine Herren und Damen,« sagte der kleine Jude, eifrig mit der einen Hand gestikulierend, während die andere noch immer die Kasse bedeckte. »Es ist ein Ereignis, das Sie erfahren sollten durch den Francisco-Advertiser erst morgen, aber die Umstände zwingen mich, es zu verkünden schon heute. Die Firma Meredith, Sloman und Compagnie hat gemacht Bankerott, was, wie Sie wissen, passieren kann dem ehrlichsten Mann, wenn er haben soll Unglück. Aber Sie sollen nicht einbüßen Ihr Vermögen und die Gelegenheit zu machen Ihr Glück. Isak Sloman, wie er die Ehre hat hier zu stehen vor Ihnen, hat übernommen auf sein Risiko das ganze Geschäft und wird sich machen eine Freude daraus, Sie zu bedienen von diesem Augenblick an. Messieurs, faites votre jeu! Wenn der Gentleman hier, der gesagt hat va banque! die Gewogenheit haben will zu deponieren 2000 Dollars bar, bin ich bereit zu ziehen die Taille.«
Aller Augen wandten sich aufs neue von dem unglücklichen Bankerotteur, der mürrisch und besorgt, den Kopf in die Hand gestützt, dasaß, auf den verwegenen Fremden und erwarteten, ihn sich als irgend einen Krösus aus den Goldminen entpuppen und dem vorsichtigen Bankhalter einen gewichtigen Sack mit Goldkörnern entgegen halten zu sehen.
Statt dessen schlug der Rotmantel dieses bemerkenswerte Kleidungsstück auseinander, zog höflich seinen Hut und machte der erstaunten Versammlung seine Verbeugung.
»Geliebte Brüder,« sagte er mit dem näselnden Ton, der den Kentuckier so sehr erschreckt hatte, »der sündige Mammon ist nicht die Sache eines so demütigen Dieners des Herrn, wie Ihr unterthänigster Hesekiah Slong sich zu sein schmeichelt. Wenn ich im Besitz von baren 2000 Dollars wäre, würde ich nicht diesen armen gebrechlichen Leib, der dem Dienste der Religion geweiht ist, vor einer Stunde an die Sonora-Expedition Seiner Excellenz, des berühmten Herrn Grafen General verkauft haben, obschon ich hoffen darf, auch in dieser Bahn durch den Geist der Gnade, der sich niederläßt auf die geringsten seiner Gefäße, das Wort zu verbreiten unter den Gottlosen und Lauen.«
Es war in der That Master Slong, der Methodist, der nach der Einkassierung des Honorars für sein Verbrechen das Schiff des indischen Fürsten Vgl. »Nena Sahib« I. Bd. mit seinem damaligen Freunde verlassen hatte, seitdem spurlos verschwunden war und jetzt so plötzlich und unerwartet hier wieder zum Vorschein kam.
Ein schallendes Gelächter im Kreise der Spieler, von denen viele den ausgepichten Halunken kannten, antwortete der Blasphemie, und zehn Hände streckten sich aus, ihn zu begrüßen, indem von allen Seiten Fragen an ihn gerichtet wurden, wo er denn so lange gewesen wäre. Nur der jetzige Eigentümer der Bank zeigte sich äußerst erbittert über die Komödie des Methodisten und die dadurch veranlaßte Verzögerung in seinem Geschäft.
»Soll Euch doch holen der Dalles,« schrie er erbost, »Ihr psalmenplärrender Lump, daß Ihr kommt hierher zu stören ehrliche Leute in ihrem Vergnügen! Macht Platz den geehrten Gentlemen, wenn Ihr habt kein Geld. Was braucht Ihr zu schreien va banque, wenn alles ist Stuß und kein Dollar in Eurer Tasche!«
»Ich bitte demütig um Eure Verzeihung, würdiger Bekenner des Alten Testaments,« sagte spöttisch der Methodist. »Meine Absicht war bloß zu prüfen, ob die erhabenen Gefühle der Freundschaft in dem Busen des würdigen Master Meredith so groß wären, daß er für einen alten Freund sich für 2000 Dollars verbürgen würde. Sintemalen ich nun zur innigen Befriedigung meines Herzens gesehen habe, daß in dieser gottlosen Welt noch das holdselige Blümlein wahrer Freundschaft blüht, bin ich zufrieden und reiche diesem werten Freunde die Hand, ohne von seinem hochherzigen Anerbieten Gebrauch zu machen.«
Der Kentuckier, dem der Methodist, die Augen salbungsvoll verdrehend, in der That die Hand entgegenstreckte, sah ihn wie eine knurrende Dogge an, die nicht weiß, ob sie dem Hätschelnden an den Hals springen oder ihm die Hand lecken soll. Endlich legte er die Hand zögernd in die seines früheren Kameraden und sagte kleinlaut: »Wißt Ihr auch, Master Slong, daß ich in Wahrheit kein Geld mehr habe? Die 5000 Dollars sind auf und davon, und Ihr mögt allerdings Ursache haben, Euch über mich zu beklagen, aber ich schwöre Euch zu, wenn Ihr nicht gar ein so geiziger Hund gewesen wäret und ich anders hätte an Euer Geld kommen können, ich würde einem braven Burschen, wie Ihr es seid, wahrhaftig nichts zuleide gethan haben.«
Das würdige Paar war aus dem Spielerkreise getreten, der zur großen Genugthuung des Bankhalters bereits wieder die Karten besetzte, um seine vertraulichen Ergüsse ungestört abmachen zu können. Der Methodist schielte seinen würdigen Kameraden von der Seite an. »Dummkopf,« sagte er grinsend, »glaubst Du, daß ich Dich nicht ebenso gut ins Meer geworfen hätte, wenn Du einen Sack mit Dollars bei Dir getragen? Der Teufel hole meine Albernheit, daß ich sie Dich sehen ließ! So habe ich sie verloren und meinen Anteil an dem Cirkus-Geschäft dazu. Die Spitzbuben in St. José spielen noch geschickter als wir und haben mich in den sechs Wochen rein ausgeschält.«
»Ich freue mich aufrichtig, Slong, daß Ihr wieder lebendig geworden,« meinte der Kentuckier. »Aber wie zum Henker! habt Ihr denn das angefangen, und warum habt Ihr nicht früher von Euch hören lassen?«
»Daß ich ein Narr gewesen wäre, nachdem ich Deine Hand an meiner Kehle gefühlt hatte,« sagte der Methodist. »Du wußtest wahrscheinlich nicht, daß ich schwimmen kann wie ein Fisch. Meine einzige Angst, als ich im Wasser lag, war die vor den Haifischen. Aber der Herr verläßt seine Diener nicht; Ihr solltet das bedenken, John Meredith, bei Eurem leichtsinnigen Lebenswandel, der Ihr niemals in eine Kirche geht und die Heiligen verspottet. Ich schwamm eine Strecke unter dem Wasser fort, und als ich weit genug entfernt zu sein glaubte, tauchte ich wieder empor und sah Dich mit meinem Gelde eifrig der Küste zurudern. So schwamm ich denn der Insel Yarba Buëna wieder zu, denn die ›Sarah Elise‹ steuerte bereits mit vollen Segeln in das Meer, und ein anderes Boot war nicht in der Nähe. Mit des Herrn Beistand kam ich auch glücklich ans Ufer, ohne dem Satan in Gestalt eines gefräßigen Haifisches begegnet zu sein, und hatte Zeit über meine Lage nachzudenken. Nach San Francisco zurückkehren und Dich vor Gericht stellen, Freund Meredith, das wäre sicher eine große Thorheit gewesen. Höchstens konnte man vom Schiff aus unsern kleinen Handel bemerkt haben, und das war längst auf dem Wege nach Indien. So hatte ich nicht den geringsten Beweis und überdies wäre auch die Neugier der Leute unangenehm gewesen, woher Hesekiah Slong, der immer ein armer Teufel war, die schönen goldenen Mohairs genommen hätte. Du hast sie doch nachgezählt, John, es mußten 5000 Dollars sein nach dem Kurs, sonst hat dieser Indier mich betrogen.«
Der Kentuckier nickte. »Es waren gute 5000 Dollars und darüber; ich wünschte nur, ich hätte sie noch!«
»Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen,« meinte salbungsvoll der Methodist. »Ich will von dem Agio nicht reden und Dir nur die 5000 Dollars auf Dein Konto schreiben, John Meredith. Da ich nun wußte, daß Du sie gutwillig nicht herausgeben würdest und ich Deine verteufelte Geschicklichkeit kannte, mit der Du den armen Scharp an den Pfahl hingst, meinte ich, es wäre ebenso gut, wenn ich San Francisco einige Zeit mit dem Rücken ansähe und anderswo mein Heil versuchte. Ich ließ mich daher erst am anderen Abend nach dem Festlande übersetzen, grub meinen Teil an der Cirkus-Einnahme da wieder aus, wo ich ihn klüglich verscharrt hatte und machte mich auf den Weg nach San José und Monterey; aber ich habe Dir schon gesagt, daß die Schurken dort mich in sechs Wochen so rein ausgeschält haben, daß dieser schöne Mantel das einzige ist, was ich mit zurückgebracht habe.«
Der Kentuckier sah ziemlich verächtlich auf das gepriesene Kleidungsstück. »Warum seid Ihr aber nun zurückgekommen, Slong?« fragte er.
»Warum? Das ist leicht gesagt. Wenn man keinen Cent mehr in der Tasche hat, faßt man selbst den Teufel bei den Hörnern. Überdies hatte ich gehört, daß Du von meinem Gelde den großen Spielsaal hier gebaut und auch, daß der französische Graf wieder seine Werbungen eröffnet hätte. So wanderte ich denn hierher in der Hoffnung, daß Du einen alten Freund, der so nobel an Dir gehandelt, nicht ganz im Unglück sitzen lassen würdest, wenn wir uns nur erst verständigt hätten. Unter dem Schutz dieses Franzosen glaubte ich übrigens sicher zu sein, wenn es Dir etwa einfallen sollte. Deine Hand an mir zu versuchen.«
»Ich danke Euch schön, Freund Slong. Ihr wolltet diesen verteufelten Tollkopf auf mich hetzen, das war doch Eure Absicht. Nun, Ihr habt Euch überzeugt, daß ich so kahl bin wie Ihr, und daß selbst dieser Franzose nicht fünfzig Dollars aus mir herausholen würde.«
»Ich habe,« sagte mit einem kläglichen Blick der Methodist. »Laß uns nicht mehr darüber reden, es wird das beste für uns sein. Es bleibt mir nun weiter nichts übrig, als mich in mein Schicksal zu ergeben und mit der Sonora-Kompagnie nach Guyamas zu ziehen.«
»Dann,« meinte der Kentuckier, »bleiben wir wenigstens Gefährten, und es wird sich schon etwas finden für uns.«
»Wie, John Meredith, Du hast Dich auch anwerben lassen?«
»Gewiß, was konnte ich besseres thun, nachdem dieser jüdische Schurke mir alles abgenommen hat. Ich helfe mit den Schatz der Ynkas suchen. Überdies habe ich einen alten Bekannten getroffen, der selber großes Interesse an der Sache hatte und mir eifrig zuredete.«
»Wer ist es?«
»Er heißt Brown. Ich lernte ihn in Texas kennen. Dort an dem Pfeiler muß er stehen, ich sah ihn vorhin noch, wie er kein Auge von unserem General verwandte. Aber, zum Henker! wo ist dieser selbst geblieben?«
Der Graf war in der That verschwunden.
In diesem Augenblick schlug die große Uhr des Spielsaales die zehnte Stunde.
Der Graf hatte die Gelegenheit benutzt, während die Aufmerksamkeit der ganzen um die große Tafel versammelten Gesellschaft auf den Methodisten und den bisherigen Bankhalter gerichtet war, um sich unbemerkt zurückzuziehen und den Saal zu verlassen.
Aber so ganz unbeachtet, wie er gehofft, war dies doch nicht geschehen.
Denn wieder waren zwei böse Augen unverändert und beharrlich auf ihn gerichtet geblieben.
Kaum näherte sich der Graf dem Ausgange des Saales, als auch der Mann seinen Platz hinter dem Pfeiler verließ und ihm in der nötigen Entfernung folgte.
Der Graf verließ das Gebäude, ging durch die ständig vor dem Eingang versammelten Gruppen und trat auf den Platz.
John Brown, der Yankee, folgte ihm.
Es war der erste Tag des Vollmondes. Die breite Scheibe des großen Gestirns der Nacht trat eben erst aus dem Dunkel und warf ihr volles Licht auf die Gegenstände.
Dies zeichnete scharf den Schatten aller Gebäude. Der Plazza mayor von San Francisco ist ein ziemlich weiter Raum. In diesen Gegenden wird noch nicht der Quadratfuß mit Gold bedeckt, wie in den Hauptstädten der alten Welt, obschon das Geld hier leicht genug rollt, und das Terrain ziemlich noch der einzige Gegenstand, der nicht maßlos teuer ist.
Der Graf blieb einige Augenblicke stehen, um sich über den Mondschein und die Richtung der Schatten zu orientieren, dann schritt er langsam nach der Seite hin, wo vor dem Brande die sogenannte Kathedrale von San Francisco gestanden hatte und wo das Mauerwerk des neuen Baues bereits wieder emporstieg.
Man darf sich unter dem hochklingenden Namen der Kathedrale von San Francisco nicht einen jener Prachtbauten der alten Welt oder auch Neu-Spaniens denken, wie z. B. die berühmten Dome von Puebla, und Mexiko, in denen die religiöse Begeisterung vergangener Jahrhunderte sich ausspricht. San Francisco ist eine zu neue Stadt dazu, denn im Jahre 1847 zählte sie erst 459 Einwohner von allen Nationalitäten und war ein ganz unbedeutendes Nest. Zwar war die Anzahl 1849 schon auf 18 000 gestiegen und im Jahre 1852 auf mehr als 30 000; aber die meisten Häuser waren aus Holz erbaut gewesen und die Straßen anstatt der Pflasterung größtenteils mit Brettern belegt, so daß die drei früheren großen Brände vom 24. Dezember 1849, dem 14. Juni 1850 und dem Mai 1851 die größten Verheerungen angerichtet hatten. Nach jedem dieser Brände erstieg die Stadt zwar mit fabelhafter Schnelligkeit gediegener und glänzender aus der Asche, aber das Gesagte wird genügen, um zu beweisen, daß die 24 Kirchen San Franciscos damals – und unter ihnen die sog. Kathedrale – nichts anderes waren, als etwas größere Holzgebäude, höchstens mit einem Turm darauf.
Indem der Graf sich dieses Turmes vor der letzten Feuersbrunst erinnerte und in Gedanken abmaß, wohin etwa auf dem weiten Platz die Spitze seines Schattens bei dem augenblicklichen Stande der Mondsichel gefallen sein würde, wenn er noch gestanden, schien es ihm, als wenn er auf jener Stelle drei dunkle Gestalten sich bewegen sähe. Die Zahl drei war ihm auffallend, da er nach dem mündlichen Testament des unglücklichen Gambusino nur die zwei Mitwisser und Eigentümer des großen Geheimnisses erwartet; aber ohne weiter zu zögern, ging er jetzt rasch auf jene Stelle los, denn soeben verkündete eine der öffentlichen Uhren die zehnte Stunde.
Plötzlich hemmte eine ihm bekannte Stimme seine Schritte.
»Hierher, Señor Don Eesteban, wenn es Ihnen und der schönen Doña gefällig ist,« sagte die rauhe Stimme, deren Klang dem Grafen auffiel. »Dieser verteufelte Brand hat zwar alles verändert, aber man hat mir gesagt, daß Seine Excellenz der Herr Graf seine Wohnung an der früheren Stelle hat, und wir werden im Augenblick dort sein.«
Der Graf sah zugleich sechs oder sieben Reiter quer über den Platz kommen. Einer derselben war abgestiegen und führte sein Pferd am Zügel.
»Bonifaz!«
» Cap de Bioux! so wahr ich die ewige Seligkeit finden will, da ist Seine Excellenz selbst.«
Aber ehe der alte wackere Avignote noch sein Pferd einem der Diener übergeben und herbeieilen konnte, warf sich ein anderer der Reiter von dem seinen und stürzte auf den Grafen zu.
»Aimée! Gott sei Dank, daß ich Dich glücklich und gesund wieder habe!«
Zwei weiche Arme umschlangen seinen Hals, zwei warme Weiche Lippen preßten sich im innigen Kuß auf die seinen.
»Suzanne!«
Es war in der That Suzanne, die treue Freundin, die Mutter seines Knaben, die ihn mit aller Freude der Liebe in ihre Arme preßte und ihn unter Thränen lächelnd küßte. Hinter ihm kam Bonifaz heran und faßte kaum weniger vergnügt als die Schauspielerin die Hand seines Freundes und Gebieters.
Zwanzig rasche Fragen kreuzten sich, ohne daß eine einzige beantwortet wurde, dann aber, als Bonifaz sah, daß die junge Frau in ihren Liebkosungen gar kein Ende finden konnte, legte er seine Hand auf ihren Kopf und sagte:
»Kleiner Jean, vergiß nicht, daß wir nicht allein sind, und daß der Herr Graf Pflichten der Gastfreundschaft zu erfüllen hat. Man könnte Dich hören und am Ende glauben. Du seist ein verkleidetes Mädchen.«
Die letztere Warnung war mit leiserer Stimme gesprochen, aber die Worte verfehlten ihre Wirkung nicht, und die junge Schauspielerin, eingedenk der Rolle, die sie zu spielen hatte, ließ den Hals des Geliebten los und begnügte sich, Bonifaz dessen Hand streitig zu machen.
Auch der Graf hatte sich von der freudigen Überraschung gefaßt und fühlte die Notwendigkeit der Beherrschung seiner Gefühle; denn ein paar Müßiggänger, die über den Platz schlenderten, waren unfern der Gruppe bereits neugierig stehen geblieben, und etwa 30 bis 40 Schritte entfernt hielten die Reiter, mit denen die beiden Vertrauten des Grafen angekommen waren.
»Von welchen Gästen sprichst Du?« fragte der Graf.
»Ei, das sollen Sie sogleich sehen,« meinte der Alte, »wenn Sie mir nur einige Schritte folgen wollen. Ich versichere Euer Gnaden, die Botschaft, die wir Ihnen bringen, verdient einige Höflichkeiten.«
»Dann sprich, alter Murrkopf, was giebt's?«
Der Avignote gab der Schauspielerin einen Wink, dann ging er auf die in einiger Entfernung haltenden Reiter zu, und Jean-Suzanne zog auf seinen Wink den Grafen mit sich hinter ihm drein.
Da, wie gesagt, das Mondlicht sehr hell war, konnte der Graf bei der Klarheit der Nacht sehen, daß an der Spitze der kleinen Kavalkade sich ein Herr und eine Dame befanden.
Der Mann saß, in seine weite Sarape gehüllt, steif im Sattel und rauchte seine Cigarette von Maisstroh. Der breite Sombrero, der seinen Kopf bedeckte, ließ nicht einmal erkennen, ob er alt oder jung war.
Die Dame an seiner Seite war in dunkler spanischer Kleidung. Sie saß auf einem Maultier und trug auf dem Kopf einen kleinen kastilianischen Hut mit wehendem Schleier. Nach ihren schlanken eleganten Formen und ihrer Haltung mußte sie jung sein. Die Männer hinter den beiden waren offenbar Diener.
Das waren die einzigen Bemerkungen, die der Graf machen konnte, indem er herankam.
Bonifaz trat alsbald vor und machte seine Verbeugung, so gut ihm dies möglich war.
»Señor Don Esteban da Sylva Montera und Sie, gnädige Señora Doña Dolores da Sylva Montera, ich bitte Sie um Erlaubnis, Ihnen in diesem Herrn meinen verehrten Gebieter, den Conde Don Raousset Boulbon, den Chef-General der Sonora-Expedition, vorstellen zu dürfen. Monsieur Conde, ich habe die Ehre, Ihnen in diesen hochgeehrten Personen den General-Bevollmächtigten Seiner Gnaden des Herrn Gouverneurs der Sonora, den Vertrauten des neuen Präsidenten der Republik, des General Cavallos, den sehr honorablen Señor Don Esteban da Sylva Montera, einen der ersten und reichsten Würdenträger des Staates nebst seiner liebenswürdigen Mademoiselle Tochter vorzustellen, beauftragt, uns hierher zu begleiten, um mit Eurer Excellenz selbst das Weitere des Vertrages in Ordnung zu bringen.«
Nachdem der ehrliche Bonifaz diese für seine Kräfte allerdings etwas anstrengende Rede glücklich zu Ende gebracht hatte, stieß er ein lautes »Uf« aus, trocknete sich den Schweiß ab und verlor sich zwischen seinen Schutzbefohlenen.
Der Spanier war sofort bei der gegenseitigen Vorstellung mit aller jener Höflichkeit und Grandezza, die einen Charakterzug seines Volkes bekunden, vom Pferds gestiegen und hatte sich dem Grafen genähert.
»Señor Conde,« sagte er mit einer steifen Verbeugung, »ich komme im Auftrage Seiner Excellenz des Generals Cavallos, um Ihnen die Antwort der gegenwärtig in Mexiko allein rechtmäßigen Regierung auf Ihre Vorschläge an den Präsidenten Arista zu überbringen. Mögen Euer Excellenz tausend Jahre » Mille annos«, eine gewöhnliche spanische Begrüßung. leben, um das große Werk der Befreiung der Sonora von diesen gottverfluchten heidnischen Apachen zu vollenden!«
Der Graf, bereits mit den Regeln der spanischen Etikette hinlänglich vertraut, unterdrückte sein Erstaunen über die neue Veränderung der mexikanischen Regierung und erklärte, daß die Fremden »sein Haus als das ihre ansehen möchten,« eine Redensart, die in den spanischen Ländern sehr häufig nur bedeutet, daß die Fremden sehen können, wo sie innerhalb von vier Wänden ein Unterkommen und Unterhalt finden mögen. So unangenehm ihm jedoch auch die so unerwartete Unterbrechung seiner Absicht war, besaß er doch zu viel Klugheit und Höflichkeit, um seine neuen Gäste eher zu verlassen, als bis er sie nach seiner Wohnung geführt und für ihre Bequemlichkeit alle Anstalten getroffen hatte.
Somit ergriff er denn mit einigen höflichen Worten den Zügel des Maultieres, das die Dame trug, und führte es selbst vor die Thür seines Hauses, wo er ihr zwischen den beiden dort aufgestellten Kanonen mit aller Ritterlichkeit eines echten Franzosen die Hand bot, um sich aus dem Sattel zu schwingen.
Die Dame setzte die Spitze ihres zierlichen Fußes in die Hand des Grafen, berührte leicht seine Schulter und sprang auf den Boden.
»Gracias, Señor!«
Der Graf richtete jetzt – zum erstenmal – im Schein der Gasflammen, die vor dem Eingange brannten, seine Augen auf das Gesicht der Dame und konnte ein deutliches Zeichen des Erstaunens nicht unterdrücken, das er über die eigentümlich stolze Schönheit empfand, die sich ihm darbot.
Mit einer leichten Bewegung des Kopfes hatte die Señora den Rebozo zurückfallen lassen, der bisher ihre Schultern und den unteren Teil des Gesichts verborgen hielt. Sie mochte höchstens 16 oder 17 Jahre zählen, aber bei der frühen Reife der Frauen dieser Zonen waren ihre schlanke und dennoch im schönsten Ebenmaß gerundete Gestalt und ihre Schönheit vollkommen entwickelt.
Die eigentümlichsten und schönsten Teile ihres Gesichtes bildeten offenbar Augen und Nase. Diese war fein und von jener kühnen Biegung, die bei den Physiognomieen der Frauen Stolz und Energie zu verkünden pflegt und dem Profil etwas Falkenartiges giebt; die Augen dagegen, von starken hochgewölbten Brauen umzogen, waren von tiefem Dunkel. Das Feuer ihres Blickes war zugleich herrisch und verzehrend, unwiderstehliche Glut der Leidenschaft und Gewohnheit der Herrschaft verkündend.
Der Graf blieb einen Augenblick wie geblendet vor dieser eigentümlichen Schönheit, während die Señora selbst seinen bewundernden Blicken mit festem siegesbewußtem Auge begegnete, ohne die mindeste Verwirrung zu zeigen.
Eine dritte Person aber beobachtete dies erste Zusammentreffen mit sehr verschiedenen Gefühlen.
Es war der Knabe Jean, die verkleidete Suzanne.
Die junge Frau hatte, nachdem die erste leidenschaftliche Freude des Wiedersehens nach so langer Zeit befriedigt war, offenbar mit großem Interesse dies erste Zusammentreffen des von ihr mit aller Hingebung und Aufopferung seit vielen Jahren geliebten und verehrten Mannes mit der jungen Spanierin, ihrer Reisegefährtin, erwartet. Ihr hübsches offenes Gesicht, dem die kurzen dunklen Locken, zu denen sie ihre schönen langen Haare hatte verurteilen müssen, sehr hübsch standen, drückte eine gewisse ängstliche Erwartung und Besorgnis aus. Überhaupt war das hübsche Gesicht der Schauspielerin, sei es durch diese Besorgnis, sei es durch die Strapazen der langen Reise oder die natürliche Sorge der Mutter um den fernen Sohn etwas blaß und hager geworden und zeigte nicht mehr jenen Ausdruck des leichten unbekümmerten Frohsinns und Vertrauens, der dem Grafen so manche Stunde erleichtert hatte.
Sie war bei der Ankunft vor dem Hause in den Schatten zurückgetreten und konnte so um desto unbemerkter den Auftritt, den wir bereits beschrieben haben, beobachten.
Als die Augen jener beiden Personen einander begegneten und der Eindruck, den die Schönheit der Spanierin auf den Grafen machte, so offen auf seinem männlichen Gesicht sich spiegelte, entfloh ein leiser Seufzer den Lippen der jungen Frau, und ihre Hand zuckte unwillkürlich nach dem Herzen, als habe sie dort einen plötzlichen Stich empfangen.
Zugleich aber legte sich eine rauhe kräftige Hand auf die ihre, und eine ernste tiefe Stimme flüsterte: »Mut, Kind! Sie wissen, daß er Sie liebt und – für den Notfall, wozu wäre denn der alte Bonifaz da?«
Sie drückte dem wackeren Avignoten die Hand, aber sie konnte nicht verhindern, daß ein zweiter Seufzer ihrer Brust entschlüpfte.
»Nun, Señor – ich warte.«
Die stolzen Worte störten den Grafen aus seiner Überraschung auf, er entschuldigte sich gewandt und reichte der Dame, deren Mund ein leises Lächeln stolzer Befriedigung umspielte, den Arm, um sie in das Innere seiner Wohnung zu führen, indem er sein Bedauern aussprach, daß sie zu wenig eingerichtet sei, um dem schönen unerwarteten Gast die gebührenden Bequemlichkeiten zu bieten.
Señora Dolores legte ihre feine Hand leicht auf den dargebotenen Arm des Grafen und überschritt die Schwelle.
Plötzlich fuhr sie trotz ihrer festen und sicheren Haltung zusammen und zitterte. Ein furchtbarer nie von ihr gehörter Ton, so nahe, daß er sie fast unmittelbar zu berühren schien, klang an ihr Ohr.
» Santa virgo da Puebla! Señor, was ist das?« flüsterte die Dame, indem sie unwillkürlich sich näher an ihren Begleiter drängte, und seinen Arm fester erfaßte.
»Beruhigen Sie sich, Señorita,« sagte lächelnd der Graf, »ich vergaß. Sie darauf aufmerksam zu machen – es ist nur Bob der Tiger!«
»Der Tiger, Señor? Aber ich habe mehr als einmal auf der Hacienda meines Vaters die Tigreros Die amerikanischen Tigerjäger. begleitet, wenn sie auf den Anstand wider den Jaguar zogen, der unsere Herden verwüstete – –«
»Ah!« sagte lächelnd der Graf, »ich weiß, Sie nennen den Jaguar den amerikanischen Tiger, oder vielmehr kurzweg: Tiger. Aber, Señorita, wenn Sie einmal meinen guten Freund Bob, mit dem ich vor einigen Wochen ein kleines Abenteuer zu bestehen hatte, gesehen haben, dann werden Sie den Unterschied zwischen einem amerikanischen und dem wirklichen Tiger von Bengalen erkennen.«
»Nun, Señor?«
»Was meinen Sie, Señorita?«
»Ich warte. Ich denke, Sie wollten mich mit Ihrem Freunde Bob bekannt machen?«
»Wenn Sie sich nicht fürchten, Señora –«
Die Spanierin lächelte verächtlich. »Sie ziehen aus meiner Schwäche von vorhin einen falschen Schluß, wie es scheint, Señor Conde,« sagte sie stolz. »Ich kann vielleicht einen Augenblick erschrecken, das liegt in meiner Natur als Weib; aber es giebt nichts in der Welt, was ich fürchten könnte.«
Der Graf verbeugte sich schweigend und schob den Teppich, neben dem sie im Flur des Gebäudes standen, zurück.
Jetzt zeigte sich, weshalb das Heulen des Raubtieres so nahe geklungen hatte. Der Käfig des Königstigers stand dicht hinter dem Teppich, und die junge Mexikanerin war kaum eine Elle weit von den Eisenstäben entfernt, hinter denen das riesige Tier rastlos auf- und ablief.
Beim plötzlichen Einfallen des Lichtes und dem Erblicken so vieler unbekannter Personen kroch der Tiger bis in den Hintergrund seines Käfigs zurück und warf sich dann plötzlich mit einem gewaltigen Sprunge gegen die eisernen Gitterstäbe, daß diese in ihren Fugen klirrten und erzitterten.
Der weit geöffnete rote Rachen des Tieres mit den mächtigen Zähnen grinste gleich einem dampfenden Krater zwischen seinen Pranken die Zuschauer an, und sein heiseres blutdürstiges Schnauben machte selbst die starken Männer zurückweichen.
Suzanne stieß einen Schrei des Entsetzens aus und sank halb ohnmächtig vor Furcht und Schrecken in den Arm des Avignoten.
Nur die junge Spanierin war keinen Zoll breit von ihrem Platz gewichen und nicht die geringste Bewegung zeigte an, daß sie sich gefürchtet.
»Es scheint,« sprach sie kalt zu dem Grafen, »das Eisen des Käfigs ist ziemlich gut. Jetzt, Señor Conde, nachdem ich meine Neugier befriedigt, können wir weiter gehen.«
Der Graf hatte sie mit unverhohlenem Staunen angesehen. »Señorita,« sagte er, indem er den Teppich wieder zuzog, »Sie haben mich einem seltenen Schauspiele beiwohnen lassen. Ich bewundre Ihren Mut, ich habe es nicht für möglich gehalten, daß eine Dame so feste Nerven haben kann; denn ich habe in der That das Tier selten so wild gesehen wie heute.«
Die Señorita lachte mit einem gewissen Stolz, indem sie wieder den Arm des Franzosen nahm. »Wenn Sie einmal das Angriffs-Geschrei der Apachen gehört und ihnen in die teuflischen Gesichter gesehen haben werden, Señor Conde,« antwortete sie, »dann werden Sie wissen, daß alle Jaguars oder Tiger der Welt nichts Ähnliches bieten, und daß, wer dies gehört und gesehen, keine andere Gefahr mehr fürchtet.«
»Ich hoffe, Señora, daß Sie diese Kenntnis nur aus den Mitteilungen anderer entnommen haben.«
»Sie irren, Señor. Ich habe Gelegenheit gehabt, zweimal einem Angriff der Apachen auf die Hacienda meines Vaters beizuwohnen und dem Grauen Bär in das Weiße seines Auges zu sehen. Blicken Sie her!«
Sie schob den Hut ein wenig von der Stirn zurück und strich die langen dunklen Locken zur Seite. Dicht unter denselben zeigte sich etwa anderthalb Zoll lang eine feine rote Narbe.
»Um Himmelswillen, was ist das? Sie waren doch nicht verwundet?«
»Wie Sie sehen, Señor Conde, war ich ziemlich nahe daran, skalpiert zu werden. Die Linke des Grauen Bären hatte bereits mein langes Haar um sich gewunden, was, wie die Caballeros von Puebla und Mexiko sagen, nicht mein schlechtestes Besitztum ist, und das Messer des Apachen hatte seine blutige Arbeit begonnen.«
Der Graf hatte mit Interesse ihre Hand gefaßt. »Ich hoffe, dem Unhold, wenn er noch lebt, zu begegnen,« sagte er energisch, »und dann, so wahr das Blut Heinrich IV. in meinen Adern fließt, soll er seine Unthat büßen. Aber wer, Señorita, war so glücklich, Sie aus den Händen dieses Teufels zu retten, der selbst das Recht der Schönheit nicht schonte? Ich beneide ihn um die That.«
»Dann, Señor Conde, beneiden Sie eine Rothaut.«
»Wie?«
»In der That, es war ein junger Indianer, der so zur rechten Zeit dazu kam und den gefürchteten Häuptling der Apachen zu Boden schlug. Während mein Vater und unsere Leute tapfer die Mauern der Hacienda gegen die Indianer verteidigten, war es dem Grauen Bären mit dreien seiner Krieger gelungen, durch ein unbewachtes Fenster in das Innere des Hauses zu dringen und mich zu überraschen, als meine Büchse noch nicht wieder geladen war.«
»Aber jener Indianer?«
»Er diente kurze Zeit als Tigrero auf der Hacienda. Die heilige Jungfrau muß ihn wohl so zur rechten Zeit mit seinem Gefährten uns zu Hilfe geschickt haben, denn in der That wäre ich ohne seinen Beistand wohl verloren gewesen. Während er mich von dem entsetzlichen Schauplatz entfernte und das Blut meiner Wunde stillte, trieb sein Gefährte die eingedrungenen Wilden glücklich aus der Hacienda, aber auch der teuflische Bösewicht entkam dabei, obschon, wie ich glaube, schwer verwundet.«
»Ich habe Ihnen bereits gesagt, daß er seinen Lohn erhalten wird. Aber, so kurz auch unsere Bekanntschaft ist, Señorita, fühle ich mich dem Manne doch hoch verpflichtet, der so vom Glück begünstigt wurde. Sie retten zu können. Wenn ich die Ehre habe, künftig vielleicht einmal die Hacienda Don Estevans zu betreten, werde ich nicht verfehlen, diesem Diener meine Dankbarkeit zu beweisen.«
Die Dame wandte sich, vielleicht um das flüchtige Erröten zu verbergen, das ihr Gesicht überflog, zur Seite. »Sie würden ihn nicht mehr finden, Señor,« sagte sie kalt, »er hat den Dienst meines Vaters bald darauf verlassen, da er ein freier Indianer ist.«
»Darf ich Sie wenigstens um seinen Namen bitten, Señora, um ihm meinen Dank zu beweisen, wenn ich ihn je zu Gesicht bekomme?«
»Sie sind allzu galant gegen eine Fremde, Señor Conde. Er ist ein Comanche und führt den Namen Wonodongah, was ›der große Jaguar‹ in unserer Sprache bedeutet; sein Gefährte aber war, glaube ich, ein Kanadier und heißt ›Eisenarm‹.«
Die Nennung dieser beiden Namen heute zum zweitenmal machte den Grafen erbeben, denn sie erinnerte ihn, daß er, von seiner Galanterie und der interessanten Erscheinung der Spanierin gefesselt, den Augenblick der so wichtigen Zusammenkunft gerade mit diesen beiden Männern fast versäumt hatte, und daß sie seiner an der Stelle warteten, die der sterbende Gambusino ihm bezeichnet hatte.
Die Gesellschaft war während der eben erzählten Konversation in das Gemach eingetreten, das dem Grafen gewöhnlich zum Empfange seiner vornehmeren Besuche und zu seinem Aufenthalt diente. Bonifaz hatte nach der kurzen Episode mit der Schauspielerin tapfer den Haciendero beschäftigt, um den befehlenden Wink seines Gebieters gemäß diesem freien Raum für seine Unterhaltung zu lassen.
Jetzt zum erstenmal im vollen Licht der Gas-Flammen ließ die junge Mexikanerin ihren Rebozo gänzlich fallen und gewährte den Beschauern den Anblick ihrer eigentümlichen Schönheit. So betroffen auch der Graf von diesen Reizen und diesem dominierenden, alles ihr Nahende in Fesseln schlagenden Ausdruck der Mienen blieb, so vergaß er jetzt doch nicht mehr des wichtigen Rendezvous, das ihm oblag. Er hieß den Señor Don Guzmann nach der spanischen Art nochmals auf das höflichste willkommen, ließ der jungen Haciendera ein Gemach anweisen, und bat sie, ihn für kurze Zeit wegen der für ihre Bequemlichkeit und Sicherheit nötigen Maßregeln zu entschuldigen. Dann, als er sich seiner unerwarteten Gäste so in der besten Manier entledigt hatte, küßte er Suzanne flüchtig die Stirn, überließ dem Avignoten die weiteren Anordnungen und eilte aus dem Hause.
Die Zeit, die der Graf auf diese Weise bei dem von dem sterbenden Gambusino so genau bezeichneten Rendezvous versäumt hatte, betrug etwa eine halbe Stunde; indes er hegte deshalb nicht die geringste Besorgnis, da er ja jetzt wußte, daß die beiden Männer, von deren Gewinnung der Erfolg des ganzen Unternehmens abhing, wirklich existierten und auf dem Wege nach San Francisco gesehen worden waren.
Man macht nicht einen Weg von tausend Meilen, um dann um eine halbe Stunde zu markten!
Gewiß, die Vertrauten des glücklichen Entdeckers der Goldhöhle zu finden und sich mit ihnen zu verständigen, schritt er rasch über die Plazza nach der Seite der früheren Kathedrale hin, indem er sich mit der Hand überzeugte, daß die verhängnisvolle Tasche, das Erkennungszeichen und Testament des Gambusino auf seiner Brust wohl bewahrt war.
Im Zwielicht der Nacht sah der Graf verschiedene Personen über den Platz gehen, da die Stunde noch eine so frühe war, und erreichte die Stelle, wo die Kirche gestanden.
Der Mond warf sein helles Licht in festen Schatten, und es war leicht zu berechnen, wo diese noch vor einer halben Stunde hingefallen sein mußten. Der Graf erinnerte sich der geringen Höhe des früheren niederen Turmes und maß die Winkel des Lichtes und die Entfernung.
Dort auf jene Stelle war die Spitze des Schattens hingefallen, das war der Ort der bestimmten Zusammenkunft – die Stelle war leer.
So große Geistesgegenwart der Graf auch bei jeder Gelegenheit bewies, im ersten Augenblicke fühlte er sich von diesem Resultat konsterniert. Dann blickte er nochmals zurück nach dem Ort, wo die Kathedrale gestanden, prüfte wiederholt den Schatten und überzeugte sich, daß er die richtige Stelle beim ersten Blick gewählt. Seine Uhr zeigte auf 10 Uhr 35 Minuten. Der nächstliegende Gedanke war, daß die Männer, die versprochen hatten, sich hier einzufinden, vielleicht in Ort und Zeit durch das Niederbrennen der Kirche veranlaßt, sich geirrt und eine andere Stelle in der Nähe gewählt hätten. Aber soviel er auch auf dem großen Platz sich umsah, er bemerkte keine Gruppe, die still stand und jemanden zu erwarten schien, und er erinnerte sich zu gleicher Zeit, daß unter den beiden sich ein Indianer befand und der Scharfsinn und die Pünktlichkeit der Krieger dieses Volkes sprichwörtlich sind.
Es blieb also nichts andere übrig, als die Annahme, daß irgend ein unbekanntes Hindernis eine Verspätung der beiden herbeigeführt hatte; denn er konnte unmöglich annehmen, daß seine eigene, so kurze, die Schuld trage.
Der Graf beschloß daher, zu warten. Nachdem er sich nochmals überzeugt, daß er die richtige Stelle gewählt, begann er auf- und niederzugehen.
Es verfloß eine Viertelstunde, eine halbe; trotz der schönen Sommernacht leerte sich der Platz immer mehr, aber keine der vorüberkommenden Gruppen hatte Ähnlichkeit mit den Erwarteten.
Zuweilen blieben Personen stehen und sahen sich nach dem einsamen Spaziergänger um. Die hohe kräftige Gestalt des Grafen aber scheuchte die Strolche und Banditen, an denen San Francisco keinen Mangel hat, zurück, wenn sie ihn nicht kannten, und war das letztere der Fall, so hielten sie sich in noch ehrerbietigerer Entfernung. Im übrigen ging in dem neuen Eldorado jeder seinen eigenen Geschäften und Vergnügungen nach und bekümmert sich um den anderen nur, wenn dieser ihm in den Weg tritt.
Je weiter die Zeit vorrückte, desto ungeduldiger wurde der Abenteurer. Die Geduld gehörte überhaupt nicht zu seinen Tugenden, und mit der Leichtigkeit, wenn nicht zu sagen mit Leichtfertigkeit, mit der er sich über Schwierigkeiten und Mißlingen fortzusetzen liebte, begann er die Schuld auf die Freunde des Gambusino zu werfen und sich selbst zu überreden, daß ein von ihm unabhängiger Zufall die Zusammenkunft verhindert habe, und daß es ihm eine leichte Mühe sein werde, am Morgen durch den Avignoten und den Kreuzträger ermitteln zu lassen, ob die erwarteten Personen angekommen oder nicht.
Der Graf ließ seine Uhr repetieren, sie zeigte Mitternacht, und er beschloß, seine einsame und unangenehme Wache aufzugeben.
Beschluß und That waren bei ihm eins, und er kehrte sofort nach seinem Hause zurück. Trotz all seines Leichtsinnes und seiner Zuversicht konnte er sich doch einiger schweren Gedanken nicht entschlagen, was aus dem Unternehmen werden solle, wenn die beiden Führer und Begleiter, die ihm der Gambusino verheißen, nicht zu finden wären.
Mit einem seinen ganzen abenteuerlichen Charakter kennzeichnenden Vertrauen hatte er den Mitteilungen des ihm so fremden Mannes unbedingten Glauben geschenkt; er hatte sich auf die bloße Erzählung eines sterbenden Spielers und auf ein Vermächtnis hin, das in nichts bestand, als in der rohen Zeichnung einer unkundigen Hand und der Anweisung auf die Redlichkeit und Treue zweier ihm unbekannten Vagabunden der Wüste, in ein Unternehmen eingelassen, das nicht bloß den Rest aller seiner weltlichen Habe verschlang, sondern auch sein Leben und das von zweihundert tapferen Männern tausend unbekannten Gefahren preisgeben sollte.
Dennoch lebte in ihm die unbezwingliche Überzeugung, daß der Gambusino wahr gesprochen, und der Trotz, das, was er begonnen, auch glücklich zu Ende zu führen.
In dieser Stimmung kehrte er in seine Wohnung zurück und hörte von Suzanne, daß die schöne Mexikanerin sich zur Ruhe begeben, ohne die lange Abwesenheit ihres Wirtes auch nur einer Bemerkung zu würdigen.
Nachdem der Graf noch einige Bestimmungen für den anderen Tag erteilt, unter anderem befohlen hatte, schon zeitig am Morgen den »Kreuzträger« zu ihm zu bescheiden, suchte er sein Lager.
Hätte er gewußt, was in jener halben Stunde auf der Stelle, die ihm der sterbende Gambusino bezeichnet, vorgegangen war, während er die Pflicht der Galanterie übte und von zwei schönen Augen sich zurückhalten ließ, sein Schlaf wäre sicher weniger ruhig und sorglos gewesen.
Als der Graf Boulbon sich mit dem Glockenschlage Zehn aus dem Spielsaale entfernte, folgte ihm, wie erzählt, der Yankee, der ihn so unausgesetzt hinter dem Pfeiler beobachtet hatte, und nur etwa fünfzig Schritte war dieser von ihm entfernt, als der Graf durch den Zuruf der Ankommenden von seiner Richtung abgelenkt und nach einer anderen Stelle des Platzes gelockt wurde.
Der spekulative Begleiter des Gambusino bemerkte sogleich, daß nur ein Zufall den Grafen von seinem Vorsatz abgezogen hatte, und er setzte daher die ursprüngliche Richtung des Weges fort, von Neugierde getrieben und von der geheimen Ahnung, daß der Graf hier mit irgend welchen Personen habe zusammentreffen wollen.
Er war noch nicht weit gegangen, als er vor sich drei Personen in dem Scheine des Mondes unweit der Stelle erblickte, an der sich früher die niedergebrannte Kathedrale befunden hatte. Es waren dies zwei Männer und eine Frau, deren Aussehen sofort seine Aufmerksamkeit erregte; denn oft genug hatte der unglückliche Gambusino von seinen Freunden in der Wüste gesprochen, die mit ihm zusammen das ungeheure Goldlager entdeckt hatten.
Der Mondschein reichte hin, das Äußere dieser Personen erkennen zu lassen. Die eine war ein Mann, bereits über die Mitte des Lebens hinaus, von wahrhaft riesigen Körperverhältnissen. Er trug ein ledernes Jagdhemd, Mokassins, eine Mütze von Otterfell und über der Schulter eine Art Jagdtasche von schwerem Gewicht. Wie er so da stand, lehnte er sich auf eine lange Büchse von kleinem Kaliber. Diese und ein starkes Messer mit Horngriff in dem Gürtel seines Jagdhemdes waren die einzigen Waffen, die er trug.
Der zweite Mann war offenbar ein Mitglied jener Völkerschaften, die das Vordringen und die Demoralisation der Weißen von dem Erbe ihrer Väter und den Jagdgründen ihrer Stämme immer weiter vertreibt und in die Einöden der Felsgebirge oder der wildesten Prairien zurückdrängt, mit jedem Jahre durch ihre Kugeln, durch das Feuerwasser und durch den Hunger sie decimierend.
Es war eine hohe schlanke Gestalt und anscheinend noch in der vollen Muskelkraft und Elastizität der Jugend. Das Haupt war unbedeckt und von Haaren entblößt bis auf die lange Skalplocke in der Mitte des Schädels, die mit zwei Adler-Federn geschmückt war. Der Indianer trug leicht und in malerischen Falten über die eine Schulter geworfen eine wollene Decke, während seine breite gewölbte Brust aus dem geöffneten Jagdhemde von gegerbtem Hirschleder hervorschaute. Kurze gleiche Beinkleider mit Fransen von Menschenhaar besetzt reichten bis an die Knie, während seine Füße von Mokassins geschützt wurden, die mit den Stacheln und Zähnen des Stachelschweins zierlich gestickt waren.
Er mochte ungefähr fünf- bis sechsundzwanzig Jahre zählen und sein Gesicht, nicht entstellt durch die Malerei für den Kriegs- oder Jagdzug, zeigte den halb orientalischen Typus seiner Rasse in den edelsten Konturen und war von einem so stolzen und ernsten Ausdruck, daß es der Majestät eines europäischen Fürsten Ehre gemacht hätte.
Der junge Indianer trug, über seine Schulter gelegt und mit einer Stellung natürlicher Anmut gehalten, einen Karabiner von alter spanischer Arbeit und am Gürtel seines Jagdhemdes die gewöhnliche Waffe seiner Nation, den Tomahawk, sowie in einer Fischhaut sein langes Messer und die kurze Pfeife nebst einem Beutel mit Tabak. Das Pulverhorn und ein Kugelbeutel hingen als sein einziges Gepäck am Riemen von Hirschhaut um seine Schultern. Dagegen trug er um Hals und Brust einen eben so seltsamen wie für seinen Ruf charakteristischen Schmuck: eine Art Kette von den Zähnen und Krallen des Jaguars, in der Mitte, wie mit einem Ordenszeichen geschlossen durch die abgeschnittene und getrocknete Tatze des furchtbarsten Bewohners des Felsengebirges, des grauen Bären.
An diese edle und wie aus Marmor gemeißelte Gestalt lehnte sich eine andere, ebenmäßig und schlank wie sie, aber zart und jugendlich, eine junge Indianerin in einem bis über die Knie reichenden Rock von weicher Rehhaut gekleidet, während ihre Brust im Kreuz mit einem shawlartigen Streifen von bunten Kaliko umwunden war. Das zu dem Krieger emporgerichtete Gesicht bildete ein feines Oval mit schönen und freundlichen Zügen, auf denen der Ausdruck kindlicher Unschuld und Demut ruhte.
Zu den Füßen des Mädchens lag ein in Decken zusammengeschnürtes Bündel, das sie getragen, die geringen Habseligkeiten und Reisebedürfnisse enthaltend, denn das Tragen des Gepäcks ist die Sache der Frauen, und der indianische Krieger befaßt sich nur damit, wenn diese fehlen.
»Es soll mich wundern, Häuptling,« sagte der ältere Mann, der offenbar einer jener Trapper oder Jäger war, welche die Einöde durchstreifen und unter täglichen Abenteuern und Gefahren ihr mühevolles und doch für sie so überaus anziehendes und verlockendes Leben zubringen, »ob wir den Weg hierher vergeblich gemacht haben und im nächsten Jahre an die Quelle des Bonaventura wandern müssen. Oyo D'oro hat in der That Zeit gehabt, von jenseits des Meeres zurückzukehren, wenn es ihm nicht etwa dort zu gut gefallen und er uns darüber vergessen hat.«
»Das Goldauge,« erwiderte der Indianer, »ist ein Sohn der Prairie. Kann mein weißer Vater den Adler zum Wasservogel machen oder den Büffel zum Zugochsen der weißen Männer in den Ansiedlungen? Das Goldauge kann nur dort leben, wo sein Eisenstab das gelbe Metall aus seinen Fesseln sprengt.«
»Wahr, Comanche, sehr wahr,« meinte der Jäger, »die Wandervögel kehren immer wieder zu ihrer Heimat zurück, und wer einmal einen gut gerösteten Büffelrücken gewöhnt ist, dem können die Leckereien in ihren Städten nicht behagen. Aber, wie gesagt, es könnte unserem Freunde doch irgend etwas passiert sein, er könnte krank in den Städten liegen oder sein Skalp am Feuer eines Feindes trocknen. Ich sage Dir, Häuptling, es geschehen merkwürdige Dinge im Lande der Weißen, von denen sich die Ehrlichkeit eines Indianers nichts träumen läßt!«
»Der große Geist ist mit den Rechtschaffenen, wo sie auch sein mögen. Die Stunde ist da, die uns zeigen wird, ob wir künftig allein durch die Prairie wandern werden!«
»Nicht allein, Häuptling, nicht allein,« sagte der Trapper, der kein anderer als Bras-de-fer oder Eisenarm war, ohne auf die Bemerkung seines Begleiters über die Zeit einzugehen. »Seit Du die ›Windenblüte‹ aus dem Dorfe Deines Stammes genommen, das die Apachen zerstörten, wandern wir nicht mehr allein durch die Wüste.«
»Die Apachen sind Hunde,« sagte stolz der Comanche. »Ihre Skalpe sollen an den Stangen unserer neuen Wighwams bleichen.«
»Ich habe nichts dawider, Häuptling, und Du weißt, daß ich meine eigene Rechnung mit dem Schurken, der ›Schwarzen Schlange‹, habe, aber bis dahin werden wir noch manchen Weg machen müssen. Das Mädchen ist ein wahrer Segen für uns, doch ich fürchte, sie wird den Anstrengungen unseres Lebens in der Wüste nicht gewachsen sein. Ich weiß nicht, Häuptling, warum Du nicht die Güte der reichen Dame für sie in Anspruch genommen hast, die Dir ihr Leben verdankt und der Du so merkwürdig vermieden hast auf dem Wege hierher zu begegnen, obschon wir immer kaum zwei Stunden weit vor oder hinter ihr waren. Die Hacienda del Cerro würde gewiß ein Plätzchen für sie gehabt haben.«
Die Dämmerung der Nacht verhinderte den Jäger, die tiefere Röte zu sehen, die sich über das Gesicht seines jüngeren Freundes ergoß.
Wonodongah – denn daß der Indianer der zweite Gefährte des verstorbenen Gambusino sein mußte, darüber konnte selbst dem lauschenden Yankee nach den einzelnen Worten, die er aus der Unterredung der Fremden im Comanchen-Dialekt verstanden hatte, kein Zweifel mehr sein – blieb einige Augenblicke die Antwort schuldig, dann aber wandte er sich zu dem Trapper und legte die Finger auf die Schulter des Mädchens.
» Comeo ist die Tochter eines Häuptlings,« sagte er. »Soll die Schwester des großen Jaguars die Sklavin einer weißen Frau sein, auch wenn der große Geist dieser die Schönheit der stolzen Blume der Aloe gegeben hat, die nur in hundert Jahren einmal das Auge des Menschen erfreut?«
Ehe der Trapper seine Gegenbemerkung machen konnte, die wahrscheinlich seinen jüngeren Freund darauf aufmerksam gemacht hätte, daß er ja selbst eine Zeitlang als Tigrero oder Tigerjäger in dem Dienst der Hacienda gestanden hatte, wurde ihr Gespräch durch ein »Hugh!« des jungen Mädchens unterbrochen, jenen Laut, mit dem die Indianer ihr Erstaunen auszudrücken oder auf etwas aufmerksam zu machen pflegen.
Der Trapper richtete sich aus seiner bequemen Stellung auf und der Comanche ließ die Flinte von der Schulter in seinen Arm gleiten.
»Was giebt es, Windenblüte, was hast Du, Mädchen?«
Die junge Indianerin sprach jetzt zum erstenmal, ihre Stimme war süß und wohllautend und ihre Gesichtszüge gewannen an seelenvollem Ausdruck, wenn sie sprach.
»Es ist ein Fremder in unserer Nähe.«
»Pah, der Fremden giebt es viele in San Francisco und auf diesem Platz. Wenn es weiter nichts ist!«
»Er belauscht die Rede des großen Jaguars und von Bras-de-fer,« beharrte die Indianerin.
»Es kann unmöglich der Gambusino sein,« sagte der Trapper, »sonst wäre er zu seinen Freunden geeilt. Zeige mir den Mann, Kind!«
Windenblüte wies nach der Stelle, wo der Yankee im Schatten stand. Er hatte die Bewegung des Mädchens gesehen und leicht erraten, daß er entdeckt sei, deshalb that er das beste, was er thun konnte und schritt sofort auf die Gesellschaft zu.
Im ersten Augenblick ließ sich der Trapper durch die ähnliche Kleidung und Gestalt täuschen und glaubte wirklich, daß ihr alter Gefährte zurückgekehrt sei.
»Goldauge? Sei herzlich gegrüßt, alter Freund.«
Die Stimme des Näherkommenden belehrte ihn aber sogleich über den Irrtum.
»Ich bin nur der Bote Oyo d'Oros, Señor,« sagte der Yankee. »Ich müßte mich sehr täuschen, oder ich sehe den berühmtesten Jäger am Rio Grande, Bras-de-fer oder Eisenarm genannt, und den edlen Häuptling der Comanchen, den großen Jaguar, vor mir.«
»Ich weiß nicht. Fremder, was Ihr mit Eurem ›berühmt‹ sagen wollt,« meinte der Jäger. »Es sind viele Leute meines Standes an der Grenze und in der Wüste, deren Büchse ebenso sicher und deren Auge ebenso fest ist wie das meine. Aber man giebt mir in der That diesen Namen, und dies hier ist Wonodongah, der letzte Häuptling der Toyahs vom Volk der Comanchen. Wenn Ihr eine Botschaft habt von unserem Freunde, dem Gambusino José, den die Indianer das ›Goldauge‹ zu nennen pflegen, so sagt sie uns rasch heraus, denn wir warten hier seiner.«
Der Yankee ließ sich unwillkürlich eine Bewegung entschlüpfen, als er dies hörte. Sein Gefährte auf der Reife nach Paris hatte ihm zwar mitgeteilt, daß er seine beiden Genossen bei der Entdeckung der großen Goldmine an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit wiedertreffen werde, aber das Wann und Wo hatte er bei der großen Vorsicht und dem sichtlichen Mißtrauen, womit jener über alles sprach, was sein Geheimnis betraf, nicht erfahren.
Infolge der Scene und der Erklärungen des französischen Grafen am Totenbett des Gambusino hatte der Yankee bei der späteren ruhigen Überlegung sehr richtig geschlossen, daß sein Reisegefährte dem Franzosen dagegen größeres Vertrauen geschenkt als ihm selbst, und ihm wahrscheinlich Mitteilungen gemacht hatte, welche diesen in den Stand setzten, mit jenen Gefährten und Mitwissern des Geheimnisses, das seine Habsucht sich zu eigen zu machen suchte, in Verbindung zu treten.
Er hatte deshalb beschlossen, jeden Schritt des Grafen zu belauern, nachdem er dessen Freilassung erfahren, und ihn nicht mehr aus den Augen zu verlieren.
Indem er das Projekt aller weiteren Verhandlungen in Frankreich aufgab, machte er den größten Teil seiner Goldstufe zu Gelde, packte sorgfältig die geringe Habe des Verstorbenen zusammen und folgte dem Grafen, dessen Spur bei seinem offenen und kühnen Wesen leicht zu finden war, nach Hâvre, nach New York und später nach San Francisco.
Wir haben aus der Unterredung des Grafen mit seinem Leutnant bereits ersehen, welche vergeblichen Versuche Master Brown gemacht hatte, um sich bei der Sonora-Expedition anwerben zu lassen, als deren geheimen Zweck er sehr richtig die Aufsuchung der Goldhöhle argwöhnte.
Seiner Gewohnheit gemäß hatte er auch an diesem Abend den Grafen genau beobachtet und war ihm, da dessen Benehmen und Ungeduld ihm auffielen, gefolgt. Der Leser weiß, durch welchen Zufall es ihm gelang, die erwünschte Entdeckung der Zusammenkunft zu machen und an die Stelle des Grafen zu treten. Dieser günstige Zufall mußte benutzt werden, denn es stand zu fürchten, daß der Graf sich so bald als möglich von der Gesellschaft losmachen und seine frühere Absicht verfolgen werde.
»Es freut mich,« sagte der Yankee, »daß ich die beiden Männer getroffen habe, die mir Señor José so angelegentlich empfohlen. Was ich Euch mitzuteilen habe, ist wichtig, aber es darf hier nicht geschehen, denn Ihr habt hier einen Euch unbekannten, aber desto gefährlicheren Feind. Ich will Euch daher bitten, Señor Eisenarm, mir mit Eurem Freunde an einen sicheren Platz zu folgen.«
Der Trapper schüttelte den Kopf. »Das geht unmöglich, Fremder,« sagte er bedenklich. »Wir haben unserem Freunde versprochen, ihn auf dieser Stelle zu erwarten und kennen Euch nicht, als durch Eure eigenen Worte.«
Der Yankee sah durch diese naive Ehrlichkeit seinen ganzen Plan gefährdet. Er sann einige Augenblicke nach, dann sagte er: »Ich habe keinen Beweis zur Stelle, daß ich der Bote des Señor Don José bin, als dies Stückchen Gold. Aber wenn Ihr mir folgen wollt, werde ich Euch Beweise genug zeigen, daß ich wirklich der Bote Eures Freundes bin und daß ich expreß aus Frankreich komme von drüben über dem großen Wasser her, um Euch Botschaft von ihm zu bringen.«
Er hatte aus seiner Tasche ein Stück Zeug geholt, in dem er einen Gegenstand eingewickelt trug, und reichte ihn dem Trapper. Es war eine Ecke der Goldstufe, welche der Gambusino mit seinen Freunden bei dem Besuch jenes unermeßlichen Lagers abgesprengt hatte und auf das er seine Vorschläge in Frankreich begründen wollte.
Der Trapper nahm das Stück und betrachtete es, soweit das Mondlicht es erlaubte, von allen Seiten, während der Yankee unruhige und ungeduldige Blick umherwarf, in der Furcht, jeden Augenblick den Grafen zurückkehren zu sehen; aber so viel der ehrliche Trapper auch an dem Stück herumsah, konnte er doch kein Kennzeichen an demselben finden und reichte es zuletzt seinem Freunde.
»Da, Rothaut, sieh Du zu, was Du daraus machen kannst. Das Ding sieht aus, wie jedes andere Stück und ich wüßte nicht, was es für die Worte des Fremden da für Bürgschaft leisten könnte.«
Der Indianer hatte das Erz kaum in die Hand genommen und einen Blick darauf geworfen, als er erstaunt sein »Hugh« hören ließ. »Es ist von dem gelben Stein unseres Freundes, nach dem die weißen Männer so begierig streben,« sagte er mit Bestimmtheit. »Ich habe diese Spitze in der Hand gehabt, als das Eisen Oyo d'Oros sie abgesprengt in der Goldhöhle.«
»Zum Henker!« rief der Trapper, »ich denke doch auch, daß ich Augen für eine Spur habe und die Kennzeichen jedes Dinges in der Savanne zu unterscheiden weiß, aber aus dem abgebrochenen Teil eines Stück Erzes oder Steines das Ganze zu erkennen, dazu gehört das Gedächtnis und das Auge eines Indianers. Doch das thut nichts, ob ich es kenne oder nicht, Fremder,« wandte er sich zu dem ungeduldigen Yankee, »wenn es Wonodongah sagt, so ist es so gut, als hätten es zwanzig Gerichtshöfe der Weißen bestätigt. Wir sehen jetzt, daß Ihr mit unserem Freunde in Verbindung gestanden, aber wir wissen noch immer nicht, ob dies bloß zufällig geschah, oder ob er Euch wirklich einen Auftrag an uns gegeben hat.«
»Wohlan denn, Señor Eisenarm,« sagte ärgerlich der Yankee, »ich will Euch noch ein weiteres Kennzeichen sagen. Ihr habt Euern Freund nach Frankreich geschickt, um dort eine Schar von Männern zu werben, die Mut genug haben, mit Euch die Goldhöhle der Wüste den Apachen zum Trotz aufzusuchen. Ich komme als der Bote des Señor Don Oyo d'Oro direkt von Paris.«
»So ist unser Freund nicht in Amerika?«
»Nein, ich schwöre es Euch.«
Der Trapper sann einige Augenblicke nach, dann wandte er sich zu dem Indianer. »Was meinst Du, Jaguar? dürfen wir dem Fremden folgen?«
»Wenn das Goldauge hier ist, werden ihn seine Freunde immer zu finden wissen. Seine Spur ist die eines weißen Mannes.«
»Gut, Häuptling, es ist Verstand in Deinen Worten. Was uns der Fremde mitzuteilen hat, kann uns nicht lange aufhalten. So nimm Deinen Pack auf, Windenblüte, und geht voran. Fremder, wir sind bereit mit Euch zu gehen.«
Ohne sich mit einer Erwiderung aufzuhalten, schritt der Yankee hastig voran. Der Trapper half der Indianerin das Paket auf ihren Kopf nehmen, da der Stolz des Häuptlings diesem nicht erlaubte, eine Hand dabei anzulegen, und schulterte dann seine lange Flinte, worauf das Kleeblatt in der gewöhnlichen Indianerreihe, das heißt: Einer hinter dem anderen, dem Amerikaner folgte.
Die Vier waren kaum in einer der gegenüber der alten Kathedrale in den Platz ausmündenden Gassen verschwunden, als der Graf Raousset Boulbon, wie wir bereits erzählt, in großer Hast, die Versäumnis nachzuholen, auf demselben erschien und seine verspätete und vergebliche Wacht begann.
Der Yankee hatte zwar seinen Absichten entsprechend sein Quartier nicht weit von dem des Grafen aufgeschlagen, aber er hütete sich wohl, seine Gäste auf dem geraden Wege dahin zu führen, sondern schlug verschiedene Umwege in den Straßen ein, bis er die bestimmte Richtung wieder erreicht hatte, und geleitete sie dann durch den matt erleuchteten Flur einer Spelunke der niedersten Sorte über den Hofraum nach einem kleinen aus Balken und Brettern zusammengeschlagenen Hintergebäude.
Nachdem er aufgeschlossen und eine Lampe angesteckt hatte, zeigte sich, daß die Wohnung des Yankee im Innern bequemer eingerichtet war, als der äußere Anschein hatte vermuten lassen. Die Wände waren mit Segeltuch und alten Tapeten behangen, eine Art Diwan, mit einem Teppich bedeckt, stand an einer Seite, auf der anderen ein Schrank mit festem Schloß, und ein Tisch mit mehreren handfesten Stühlen vervollständigte das Mobiliar. An der Rückwand führte eine Thür in eine dunkle Kammer, die zum Schlafgemach oder Vorratskammer diente. An den Wänden hingen verschiedene Kleidungsstücke und eine Jagdtasche mit Flinte.
Master Brown ging sofort zu dem Schrank, öffnete ihn und nahm einen Krug mit Whisky, Brot und dem Rest einer tüchtigen Hirschkeule heraus, die er mit Wasser und Gläsern auf den Tisch stellte.
»Ihr seid sicher müde und hungrig, Señores,« sagte er einschmeichelnd, »und dies Mädchen ist zu jung, um die Strapazen eines langen Marsches zu ertragen. Langt zu und dann laßt uns von Geschäften reden. Da drinnen in der Kammer ist eine einfache Lagerstätte von Maisstroh und Decken, deren sich das Kind bedienen kann, wenn sie schläfrig wird, und hier sind Cigarren von Cuba, die ich gestern erst gekauft.«
Der Kanadier schenkte sich sofort ein Glas des feurigen Branntweins ein und leerte es auf einen Zug.
»Verteufelt gutes Zeug, Fremder,« sagte er behaglich. »Ich habe lange nichts ähnliches gekostet in der Einöde; aber,« fuhr er den bei dem Thun des Indianers die Stirn Runzelnden beruhigend fort, »es ist einmal ihre Natur so und Wonodongah hat die gute Eigenschaft, daß er niemals das Feuerwasser der Weißen trinkt.«
Der Indianer, statt von dem aufgetragenen Mahl zu genießen, hatte seiner Schwester ein Zeichen gegeben. Diese öffnete niederknieend das Reisebündel und legte für sich und ihren Bruder einige Streifen gedörrten Büffelfleisches und ein Stück frischen Maiskuchen auf den Tisch. Dann ging sie hinaus in den Hof und holte von dem Brunnen, den sie dort gesehen, in ihrer Kürbisflasche frisches Wasser.
Nachdem sie dies gethan, kauerte Windenblüte in einem Winkel sich nieder, bis der junge Häuptling seine Mahlzeit gehalten hatte. Dann erst wagte das Mädchen sich selbst einen Becher einzuschenken und ein Stück von dem Fleisch und Kuchen zu nehmen.
Ihrem Wirt schien das Benehmen herzlich wenig zu gefallen trotz der Entschuldigung seines weißen Gastes; denn er wußte aus seinem Verkehr in den Prairien von Texas sehr wohl, daß ein Indianer niemanden als seinen Gastfreund ansieht, ja überhaupt nicht als befreundet, ehe er nicht mit ihm sein Brot geteilt hat. Es war indessen gegen dieses offenbare Mißtrauen nichts zu machen und er mußte sich mit dem Eifer und Appetit begnügen, den der würdige Eisenarm bekundete.
Die Reste der Hirschkeule verschwanden mit einer fabelhaften Schnelligkeit unter den mächtigen Kauwerkzeugen des ehrlichen Trappers, und wiederholt befeuchtete er seine Mahlzeit mit einem tüchtigen Glase, ohne daß der genossene Branntwein den geringsten Einfluß auf seine riesenhafte Natur zu üben schien.
Als er endlich gesättigt war, warf er einen fragenden Blick auf seinen roten Freund, und als dieser keine Miene machte, seine Pfeife anzuzünden, sondern ruhig und stumm in derselben Haltung am Tische stehen blieb, die er von Anfang an angenommen, schüttelte er selbst den Kopf und steckte sich eine der Cigarren an.
»Nun, Fremder,« sagte er ahnungslos, »ich glaube, es wird Zeit sein. Näheres von unserem Freunde, dem Gambusino José zu hören. Wo verließet Ihr Goldauge?«
»In Paris, Señor Eisenarm.«
»Meiner Treu, das ist wie ich glaube, weit genug! Und was machte er, als Ihr ihn zuletzt sahet?«
»Er schlief!«
»Wie? Er schlief?«
»Den Schlaf,« sagte ernst der Indianer, »den die weißen und roten Männer thun, bevor ihre Geister eingehen zu den Jagdgefilden ihrer Väter!«
Der Trapper sprang erschrocken auf. »Um Himmels willen, Jaguar, was willst Du damit sagen?«
»Daß Oyo d'Oro in dem Lande jenseits des großen Wassers gestorben ist!«
»Woraus schließest Du das, Comanche? Ich weiß, Deine Zunge ist nicht die eines schwatzhaften Weibes und spricht nicht Dinge aus, für die sie keine Beweise hat.«
Der Indianer wies statt der Antwort ruhig nach der Wand, an der im Schatten der Jagdranzen und die Büchse hingen.
»Das scharfe Auge meines weißen Bruders ist von dem Feuerwasser getrübt,« sagte er ruhig, »sonst hätte er längst die Waffe unseres Freundes erkannt.«
Mit zwei Schritten war der Kanadier an der gegenüberliegenden Wand und riß die Büchse herunter. »Wahrhaftig, Rothaut, Dein Auge ist das eines Adlers. Es ist das alte Gewehr Goldauges, das er schon längst gegen eine neue Büchse vertauscht haben würde, wenn der Teufel des Spieles ihm dazu das Geld gelassen hätte. Und das ist auch seine Tasche. – Mensch!« er faßte den Yankee bei der Brust und schüttelte ihn wie eine Feder, »wie kommst Du zu den Sachen, und was hast Du mit unserem Freunde angefangen?«
Der Amerikaner machte sich, so gut er es vermochte, von der Faust seines Gastes los. »Sachte, sachte, Señor Eisenarm,« sagte er grinsend, »Ihr thut einem unschuldigen Manne Unrecht, statt Eure Kraft an den Mördern Eures Freundes zu erproben. Was Ihr hier seht, ist die ehrliche Erbschaft des guten Señor Don José, denn es ist leider wahr, daß er, wie diese Rothaut gesagt hat, ein toter Mann ist, dessen Geist jetzt im Paradiese oder auf den Jagdgründen der Indianer, Gott weiß wo, umherwandelt.«
Der Trapper setzte sich bei der Bestätigung dieser Nachricht schweigend auf seinen vorigen Platz und verhüllte einige Augenblicke sein wettergebräuntes ehrliches Gesicht mit den Händen.
»Zwanzig Jahre lang und zehn davon mit Dir, Rothaut,« sagte er dann, »haben wir zusammen die Wüste durchstreift und manchen Schuß mit den verräterischen Hunden, den Apachen, gewechselt,« sagte er traurig. »Und nun muß es so kommen, wie ich gefürchtet. Das schändliche Gold hat ihn in den Tod getrieben, und wir sind schuld daran, weil wir uns gleichfalls verblenden ließen und unsere Einwilligung zu der Reise gegeben haben. Was kümmerte es mich, ob meine Landsleute jenseits des Meeres die Goldhöhle besitzen oder nicht! Und wenn der ganze Bonaventura ein flüssiger Strom voll von dem gelben Metall wäre, er könnte uns nicht das Leben eines treuen und wackeren Freundes ersetzen!« Dann plötzlich raffte er sich von diesem Ausbruch seines Schmerzes empor und richtet sein Auge aufs neue drohend auf den Yankee.
»Ihr habt von seinen Mördern gesprochen. Fremder,« sagte er finster, »das ist nicht das Wort für einen Tod im rechtlichen Kampf und legt uns die Pflicht auf, seinen Tod zu rächen. Und so wahr meine Mutter ein ehrliches Weib war, ich und diese Rothaut hier wollen nicht ruhen, bis das geschehen, wenn es in der Möglichkeit ist, seine Mörder zu erreichen!«
»Ihr braucht deshalb nicht über das Meer zu gehen, Señor Eisenarm,« erwiderte heimtückisch der Amerikaner. »Sie haben sich selbst Eurer Rache überliefert, indem sie den Lohn ihrer That ernten und Euch und mich um unser Recht betrügen wollten!«
Der Kanadier hatte sich zu seiner vollen Höhe erhoben und seine gewaltige Faust stützte sich auf den Tisch, während er finster und drohend auf den Arglistigen schaute.
»Ihr sprecht in Rätseln, Fremder,« sprach er barsch, »und wir in der Einöde sind zwar gewohnt, die Andeutungen des Himmels zu verstehen oder die Teufeleien eines herumstreichenden Apachen zu erraten, aber nicht die Schlechtigkeit der Leute in den Städten. Redet deutlich und erzählt, was Ihr wißt, wenn wir Euch nicht selbst in schlimmeren Verdacht haben sollen.«
Dem drohenden Worte des Trappers antwortete der bezeichnende Ausruf des Indianers.
Sein »Hugh!« gab zu erkennen, daß er die volle Aufmerksamkeit des Freundes auf etwas lenken wolle, das sein Mißtrauen erregte.
Master Brown begriff, daß er all seine Schlauheit und Kaltblütigkeit nötig haben würde, um den gegen ihn vorhandenen Verdacht zu besiegen. Er nahm daher ruhig die Jagdtasche des Gambusino von der Wand, öffnete sie und zog mehrere Kleidungsstücke heraus, die er auf den Tisch legte. Es war die noch mit Blut bedeckte, von der tödlichen Kugel zerrissene Jacke des unglücklichen Mexikaners, die sein Begleiter nach der mißlungenen Operation und dem Tode Josés sich zu verschaffen gewußt hatte, nebst einigen anderen unbedeutenden Sachen, die der Goldsucher aus Amerika mitgebracht hatte.
Die Bewegung des Trappers bei dem Erblicken dieses traurigen Beweisstückes bewies dem Yankee sogleich, daß er den Rock seines alten Freundes wieder erkannt hatte.
»Hört mich an, Señor Eisenarm und Ihr, Häuptling,« sagte er zu den beiden, »und Ihr sollt erfahren, was ich von Eurem Freunde weiß. Señor Don José hat in New-Orleans mich zum Compagnon geworben für die Ausbeutung der großen Goldmine, die Ihr drei zu entdecken das Glück hattet und wovon diese Stufe hier eine Probe ist. Da es bestimmt war, daß er damit über das Meer gehen sollte, um sie in Frankreich der Regierung oder einer Company anzubieten, weil Ihr einmal Euren Landsleuten den Vorzug gabt, obschon ich Euch sagen kann, daß es in New-Orleans oder Philadelphia ein weit rascher Ding gewesen wäre, so habe ich all meine Habe zu Geld gemacht und Don José als sein Geschäftsführer und Compagnon nach Frankreich begleitet. Der arme Narr meinte in Wahrheit, wie zwei Dritteil in Mexiko und den Einöden thun, daß der große Kaiser Napoleon, der Feind der Engländer, noch immer auf dem Throne von Frankreich säße, während sie ihn doch schon vor mehr als 30 Jahren auf einer wüsten Insel haben verhungern lassen. So sahen wir bald ein, daß es nichts war mit unserm Handel in Paris, und daß die Leute dort genug zu thun haben mit ihren eigenen Angelegenheiten, statt nach Amerika zu kommen und gegen die Apachen zu kämpfen. Gestohlen hätten sie uns freilich gern das Geheimnis, und so ist es leider auch gekommen. Ein vornehmer Herr und berühmter Krieger, der sein Vermögen in der eigenen Heimat verschwendet hat und dem Don José so unvorsichtig war, einen Teil des Geheimnisses anzuvertrauen, hat ihn durch seinen Schurken von Diener bei einem Pronunciamento in der großen Stadt hinterrücks erschießen lassen und ihn dann des Plans beraubt, auf dem die Lage der Goldhöhle verzeichnet ist. Mich selbst, der ich ihn bis zum letzten Augenblick verteidigt, und den er sterbend beschworen hat, an seine Stelle zu treten und Euch das Erbe seiner Rache zu überbringen, versuchte man ins Gefängnis zu werfen. Aber Gott sei Dank! ich bin ihnen glücklich, obschon mit Verlust des größten Teils meiner Habe entkommen, und der Himmel hat mir die Kraft gegeben, daß ich der Spur der Mörder unseres Freundes bis hierher folgen und so zugleich Euch erwarten konnte, um gemeinschaftlich mit Euch den Ermordeten zu rächen und die Räuber an der Erreichung ihres Ziels zu verhindern.«
Master Brown trocknete sich mit einer heuchlerischen Gebärde des Kummers und der Entrüstung eine Thräne aus seinem Schielauge und suchte dabei den Eindruck zu beobachten, den seine lügnerische Erzählung auf die beiden rauhen Naturmenschen gemacht hatte.
Die Stirn des Trappers hatte sich zu finsteren Falten zusammengezogen, und sein Auge starrte auf die blutigen Überreste der Kleidung seines Freundes, während seine Faust den Griff des großen Jagdmessers so fest umklammerte, als wollten die Finger sich in das harte Hirschhorn eingraben.
Von dem Trapper wandte sich das forschende Auge des Yankees auf den Indianer. Der junge Häuptling erhob den Kolben seiner Büchse, prüfte das Schloß und stellte sie an die Wand. Dann zum erstenmale, seit er das Gemach des Amerikaners betreten, ließ er sich auf einen der Rohrsessel nieder und öffnete das lederne Jagdhemde, das er halb über die Schulter zurückwarf.
»Comeo!«
Das junge Mädchen erhob sich aus ihrem Winkel und trat zu ihrem Bruder. Er sagte einige Worte zu ihr im indianischen Dialekt und behende schlüpfte sie zu der Stelle, wo sie das Paket niedergelegt, das ihre kleinen Habseligkeiten und Vorräte enthielt, öffnete die Decke und holte einen kurzen Lederbeutel heraus. Diesen legte sie vor ihren Bruder auf den Tisch.
Der »Jaguar« nahm aus dem Beutel, der sich als das Fell einer Moschusratte und als sein Medizinsack erwies, einige Stücke farbiger Erde und Kreide, schabte davon in eine Muschelschale, befeuchtete es mit einem dünnflüssigen Harz und begann sich darauf in schwarzen, weißen und roten Streifen das Gesicht und die Brust zu bemalen, wobei ihm das Mädchen behilflich war.
Der Trapper warf ihm einen finstern Blick zu. »Was soll das, Häuptling? Hast Du vergessen, daß wir uns hier in einer Stadt der weißen Männer befinden, und daß Deine Kriegsfarben da nicht angebracht sind?«
»Mein Bruder Eisenarm,« sagte der Comanche, indem er ruhig in seinem Geschäfte fortfuhr, »redet mit seiner weißen Zunge. Warum hat er seine rote Zunge in der Einöde gelassen? Das Blut eines Freundes schreit nach Rache in den Mauern einer Stadt, wie zwischen den Gräsern der Prairie.«
»Das weiß ich so gut wie Du, Rothaut,« entgegnete ärgerlich der Kanadier, »und Bras-de-fer ist wahrhaftig nicht der Mann, der zurückbleibt, wenn es gilt, einen Freund zu verteidigen oder seinen Tod zu rächen. Aber jedes Volk hat seine Gebräuche, Comanche, wie Du sehr wohl weißt. Es mag gut sein für die Wildnis, sich mit Kriegsfarben zu bemalen, aber in die Städte paßt es nicht, und die Jungen auf der Straße würden Dir hier nachlaufen.«
»Wonodongah ist ein großer Häuptling,« sagte der Indianer, »er verachtet das Lachen der Weiber und wird sie an ihrem Feuer weinen machen, wenn er die Skalpe ihrer Männer und Brüder genommen hat. Die ›Schielende Ratte‹« – er bezeichnete mit diesem nicht eben schmeichelhaften Ausdruck den Yankee, dessen Gesichtsbildung in der That etwas von diesem Tiere hatte – »hat dem Jaguar in das Ohr geflüstert, daß die Mörder seines Freundes hier sind, und er kennt nur einen Weg von der Stunde an. Die ›Schielende Ratte‹ möge vorangehen und sie ihm zeigen, der Tomahawk wird in der Hand Wonodongahs sein.«
Die Art der Verhandlung schien jedoch dem Yankee keineswegs zu gefallen, denn er rührte sich nicht von seinem Platz und schüttelte bedeutsam den Kopf nach dem Trapper.
»Ich kalkuliere, Señor Eisenarm,« sagte er bedächtig. »Ihr seid ein ruhiger und verständiger Mann und werdet einsehen, daß eine unüberlegte That mitten in der Bevölkerung von San Francisco uns allen große Unannehmlichkeiten bereiten müßte. Ich habe Euch bereits gesagt, daß der Mörder – denn ich zähle den Arm und nicht das Messer – ein großer und vornehmer Herr ist, an den wir armen Leute nicht so leicht hinankommen können, sonst, so wahr ich Jonathan Brown heiße, hätte diese eine Hand genügt, den armen Gambusino zu rächen. Wir müssen das Ding anders anfangen und zunächst ruhig überlegen.«
»Nennt uns den Namen, Fremder, und dann überlaßt die Sache uns,« sagte finster der Trapper.
Der Yankee schüttelte bedächtig den Kopf. »Nicht so rasch, nicht so rasch, Señor Bras-de-fer! Ehe ich Euch den Namen nenne und meinen Hals in die Schlinge stecke, möchte ich auch gern wissen, wofür ich das thue. Ich habe die Notion, daß wir zuerst doch mit einander bereden müssen, ob Ihr den Kontrakt Eures toten Freundes mit mir halten wollt: im andern Falle sage ich Euch im voraus, daß ich keine Lust habe, mir die Finger zu verbrennen.«
»Und worin bestand Euer Kontrakt, Fremder? sagt uns die Bedingungen, und wenn ein ehrlicher Mann sie halten kann, soll es geschehen.«
»Schaut, Señor,« meinte der Yankee mit schlauem Augenblinzeln, »ich kalkuliere, daß Ihr ganz die Männer dazu seid, da Ihr den Weg zur Goldhöhle kennt. Señor José, Euer Freund, hatte mir, um es kurz zu machen, versprochen, daß ich gleichen Teil mit Euch dreien an der Goldhöhle haben sollte, wenn ich ihm die Mittel verschaffte, den Placer auszubeuten oder, wenn es Euch recht wäre, wollte er mir auch ganz das Recht daran verkaufen. Wie ich Euch gesagt habe, hat er bereits eine bedeutende Summe als Vorschuß empfangen; denn die Reise über das Meer und der Aufenthalt in Paris kosten Geld. Nun ist er als mein Schuldner gestorben, und ich bin ein betrogener Mann, wenn Ihr sein Wort nicht haltet.«
»Macht nicht so viel Reden, Fremder,« sagte barsch der Kanadier. »Was unser Freund José Euch schuldet oder Euch versprochen hat, soll gehalten werden. Meinst Du nicht auch, Rothaut?«
Der Comanche lächelte verächtlich. »Das rote Gold hat nur für die weißen Männer Wert. Wenn die ›Schielende Ratte‹ uns den Namen des Mörders unseres Freundes nennt, soll er meinen Anteil an der Goldhöhle haben.«
»Zum Henker, den meinen auch! Ich habe weißes Blut in den Adern, aber ich kümmere mich ebenso wenig um das Geld wie eine Rothaut, vorausgesetzt, daß der Erbe unseres Freundes es uns an Pulver und Blei nicht fehlen läßt und ein Paar gute Rifles für Dich und mich hinzufügt. Habt Ihr gehört, Fremder?«
Der Yankee hatte während des kurzen Wortwechsels, ohne eine Silbe zu verlieren, seine Vorbereitungen getroffen und aus dem Schrank Tinte und Papier genommen.
Die Frage des Eisenarms störte ihn aus den tiefen Gedanken, denen er sich überlassen.
Trotz aller seiner Schlauheit und Kaltblütigkeit konnte Master Jonathan kaum seine innere Bewegung beherrschen. Diese beiden einfachen Männer vor ihm, kaum mit dem Notdürftigsten versehen, warfen gleichgültig Schätze von sich, die wahrscheinlich einen Rotschild auskaufen konnten. Seine kleinen Augen funkelten vor Habgier und er empfand in seiner Kehle ein Gefühl, wie das des Erstickens vor gewaltigem Blutandrang bei dem Gedanken, mit so leichter Mühe das alleinige Recht auf jene unermeßlichen Reichtümer erlangt zu haben. Aber er begriff auch, daß er diese Habgier, diesen Golddurst unmöglich jene Männer sehen lassen dürfe, wenn er nicht ihren vollen bei dem Indianer ohnehin ziemlich offen ausgesprochenen Widerwillen hervorrufen und vielleicht den ganzen Handel rückgängig machen wolle.
Zugleich trat ihm eine andere Erwägung nahe.
Er wußte, daß er ohne diese beiden Männer niemals das Urbild dieser Fata Morgana, deren blendende Strahlen sein Gehirn erhitzten, die Goldhöhle, ausfinden konnte; aber er begriff auch, daß mit diesem Auffinden allein nur wenig gewonnen war.
Zwischen der civilisierten Welt, das heißt: dem Wert, dem Genuß der Schätze und diesen Schätzen selbst, als deren allein berechtigten Besitzer er sich bereits zu betrachten anfing, lagen zwei mächtige Hindernisse.
Diese Hindernisse waren die Gefahren der Wüste, das heißt die Apachen, und die Sonora-Expedition des Grafen von Boulbon.
Obschon er nicht wußte, wie weit das verhängnisvolle Amulett, das der Graf von dem sterbenden Gambusino erhalten oder um das er ihn, wie seine eigene schlechte Natur gehässig glaubte, betrogen hatte, den Weg und das Geheimnis der Goldhöhle verriet, glaubte er doch aus den vorsichtigen Andeutungen des Gambusino entnehmen zu können, daß es allein nicht genügte, um ohne die Führung eines der Mitwisser des Schatzes den Ort auffinden zu können.
Hätte er das Gegenteil geglaubt, so hätte er gewiß während der langen Reise und des Aufenthaltes in Paris mit dem Mexikaner nicht gezögert, sich, selbst durch einen Mord, in den Besitz dieses Amuletts zu setzen und dann auf eigene Hand zu agieren.
Es galt also vor allem, diese beiden einzigen noch lebenden Kenner des Weges und Mitwisser des Schatzes von dem Rivalen um denselben fern zu halten.
Dieses Resultat hatte er zum Teil bereits erreicht durch die Verhinderung der Zusammenkunft und durch die Verdächtigung des Feindes. Dieses Resultat mußte aber vervollständigt werden, indem er sie zu Todfeinden jenes Mannes und ganz seinen eigenen Absichten und Plänen dienstbar machte.
Zugleich bedachte er folgendes.
Bei allem Vertrauen, das der Mut, die Kaltblütigkeit und Geschicklichkeit dieser Männer ihm einflößte, und obschon er nicht daran zweifelte, daß sie ebenso gut zum zweitenmal den Weg zu der Goldhöhle sich durch die Wüste bahnen könnten, wie sie es das erste Mal gethan, wußte er doch, mit welchen unsäglichen Gefahren dieser Weg verknüpft war. Es fehlte ihm keineswegs an jenem persönlichen Mut, mit dem der Geizhals sein Leben gegen den Räuber einsetzt, der ihm sein Geld nehmen will; aber seine Vorsicht und Berechnung war überwiegend. Selbst wenn es ihm mit seinen beiden Begleitern gelang, die Goldhöhle zu erreichen, gewann er verhältnismäßig kein größeres Resultat, als daß er sich mit eigenen Augen von deren Vorhandensein überzeugte, was er ohnehin längst nicht mehr bezweifelte. Denn das Metall, das er auf dem eben so gefährlichen Rückwege mit sich tragen konnte, war in der Berechnung seiner Habgier bereits nichts mehr gegen die Schätze, die er dann zurückließ, und daß sich seine Gefährten nicht zu seinem Vorteil mit Goldstufen beladen würden, dafür bürgten ihm ihr Charakter und ihre Gewohnheiten.
Unter all diesen Schwierigkeiten und Bedenken fuhr ihm ein ebenso teuflischer wie glänzender Gedanke durch den Kopf.
Er mußte den Grafen seinen Zug zur Auffindung und Eroberung der geheimnisvollen und von so vielen Gefahren umgebenden Goldregion antreten lassen, ja ihn nötigenfalls dabei unterstützen. Der Graf mit seinen 2 oder 300 Abenteurern sollte ihm den Weg bahnen und die Gefahren und Hindernisse für ihn bekämpfen, das heißt, die Apachen besiegen und verjagen und dann im letzten Augenblick ihm selbst Platz machen, damit er über seine Leiche hinweg den Fuß auf die Schwelle der Goldhöhle setzen und seine Hand auf jene unermeßlichen Schätze legen könne mit dem Rufe: Jetzt sind sie mein.
Der kalt berechnende Schurke fühlte, daß so abenteuerlich auch der Gedanke klang, er doch ausführbar war, und daß ihm alle Umstände in die Hände arbeiteten.
In einem Kampf zwischen solchen Feinden konnte es ohne ein langes und tödliches Blutvergießen nicht abgehen. Die Abenteurer Boulbons mit ihren größeren Hilfsmitteln mußten, – daran zweifelte er nach den Erfahrungen der amerikanischen Kriege nicht – die Stämme der Apachen besiegen und vernichten, die sich ihnen in den Weg stellten; aber in diesem Kampfe mußten sie selbst decimiert werden, und es blieb, wenn sie in der Nähe der Goldhöhle waren, sicher nur eine so kleine Schar noch übrig, daß seine Schlauheit leicht mit ihr fertig werden konnte, indem er sie je nach den Umständen gewann oder vernichtete.
Indem er die einen Feinde durch die anderen verdarb, öffnete er sich selbst den Weg zu seinem Ziele.
Das waren die Gedanken, die Jonathan Brown so rasch durch den Kopf schossen, indem er das Schreibegerät aus dem Schranke nahm und aus den Tisch setzte. Der Geist des Yankee wuchs mit seiner Spekulation.
»Ich habe die Notion, Señor Eisenarm,« erwiderte er dem Trapper, »es wird gut sein, wenn wir die Punkte unseres Vertrages zu Papier bringen. Nicht, daß ich Euch oder dem tapferen Häuptling im geringsten mißtraute; aber es ist nur, damit später kein Streit über irgend eine Frage entsteht.«
»Der Teufel hole Eure Schreibereien! Ich habe mir sagen lassen, daß sie an allem Unheil in den Städten schuld sind und ihnen allein verdanken es die Rothäute, daß ein Stück Land nach dem anderen von ihren Jagdgebieten abgerissen worden ist. Ein Manneswort in der Einöde ist besser als alle Tintenklecksereien.«
Der Indianer machte eine ungeduldige Gebärde. »Möge die ›Schielende Ratte‹ ihren Vertrag malen, ein Comanche hat seine Augen offen, wenn er seinen Totem darunter setzt.«
»Gut, gut, Häuptling! wenn Du nichts dawider hast, ist es mir gleichgültig. Schreibt also immerhin und seht zu, daß Ihr uns nicht übers Ohr haut. Denn wenn meiner Mutter Sohn, Gott sei Dank, auch nicht schreiben kann, so hat er doch ein vortreffliches Gedächtnis.«
Der Yankee dachte einige Augenblicke nach, dann entwarf er ein Dokument möglichst kurz und bündig, der Fassungsgabe und den Gewohnheiten seiner beiden Gesellschafter entsprechend.
Er las es vor:
» Louis Leblanc, genannt Eisenarm, und Wonodongah, Häuptling der Toyahs, verpflichten sich mit ihren: Wort, von heute ab auf ein Jahr lang dem Jonathan Brown gegen seine Feinde beizustehen, ihn zu der Goldhöhle im Apachengebiet zu geleiten und ihren Anteil an diesem Placer ihm zu überlassen; wogegen besagter Jonathan Brown sich verbindlich macht, die Genannten mit guten neuen Rifles und allem Schießbedarf während des Unternehmens zu versehen, auch alle sonstigen Kosten und Ausrüstungen desselben zu tragen. Er verpflichtet sich ferner, ihnen die Personen zu überliefern, welche José Marillos, den Gambusino, zu Paris am 4. Dezember 1851 schändlicher Weise ermordet haben.«
Der Yankee wußte, daß diese einfachen Worte vollkommen genügten, ihn zum Herrn dieser beiden Männer zu machen.
Nachdem er diesen Vertrag vorgelesen, reichte er Eisenarm die Feder zur Unterzeichnung.
Der Riese drehte das kleine Instrument, das so viel Aufklärung und Unheil in die Welt gebracht, wie ein zerbrechliches Spielzeug zwischen den kräftigen Fingern.
»Mein Vater selig, Fremder,« sagte er endlich, »hat sein Geld besser anzuwenden verstanden, als daß er einen Schulmeister für mich gehalten hätte. Aber ich habe mir sagen lassen, daß die Leute in den Städten und in den Niederlassungen in solchen: Falle drei Kreuze unter das Advokaten-Geschreibsel zu malen pflegen, und daß dies ebenso viel ist, als hätten sie sich mit ihrem vollen Namen verpflichtet.«
»Es genügt vollkommen, Señor Eisenarm.« Der Trapper nahm die Feder wie er etwa sein Jagdmesser zu fassen pflegte, und malte drei Kreuze auf das Papier, die über den halben Bogen reichten. »Uf!« sagte er, die Feder sorgfältig dem Indianer hinhaltend, nachdem er sich den Schweiß von der Stirn getrocknet, »es ist wahrhaftig ein leichter Ding, einem Apachen eine Kugel zwischen die dritte und vierte Rippe zu jagen. Alles kommt auf die Gewohnheit an. Jetzt ist die Reihe an Dir, Rothaut, Deinen Totem zu malen.«
Der junge Häuptling wies mit einer kalten und stolzen Gebärde die Feder zurück.
»Wonodongah kann warten.«
»Wie, Comanche, Du willst nicht die Mörder unseres Freundes in Deine Gewalt bringen?«
»Mein weißer Bruder hat das Herz eines jungen Mädchens bei dem Mut eines Mannes. Er vertraut zu leicht. Der Große Jaguar der Toyahs wird sein Totem unter jenes Papier setzen, wenn die ›Schielende Ratte‹ ihm erst bewiesen hat, daß der Mann, dessen Verderben sie will, unseren Freund ermordet und beraubt hat, und daß sie ihn in unsere Hand liefern kann.«
Der scharfe Instinkt und die Beobachtungsgabe des Indianers hatten richtig den egoistischen Haß des Yankee begriffen.
»Du hast recht, Comanche,« meinte kopfnickend der Jäger. »Man muß uns die Namen nennen und die Beweise liefern, eher gilt der Handel nichts.«
Master Brown biß sich ärgerlich die Lippen, sich so nah an der Erreichung seines Zweckes wieder aufgehalten zu sehen, aber er verbarg seinen Verdruß so gut wie möglich.
»Ihr werdet gewiß hier oder auf dem Wege hierher von der großen Sonora-Compagnie haben sprechen hören, Señor Eisenarm,« sagte er, »die ein französischer Graf vorbereitet?«
»Ein Reisender, mit dem wir vor zwei Tagen unsere Mahlzeit teilten, hat uns davon erzählt. Es sollen ganz wackere Männer und tüchtige Jäger sich daran beteiligt haben und wenn wir nicht durch die Übereinkunft mit unserem Freunde gebunden gewesen wären, hätten wir wohl Lust gehabt uns zu melden, besonders da« –
Der ehrliche Kanadier unterbrach sich mit einem Blick auf seinen roten Freund.
»Ich habe die Notion, daß Ihr andere Gedanken hegen werdet, wenn Ihr erfahren habt, daß der Mann, der jene Expedition vorbereitet, und der sich Graf Raousset Boulbon nennt, eben kein anderer ist, als derjenige, der durch seinen Diener hinterrücks das Goldauge hat ermorden lassen, und der ihn des Geheimnisses beraubt hat, um uns um unser Eigentum zu bestehlen.«
»Carajo! Wenn Ihr das beweisen könnt, Fremder, und wenn er der Kaiser Napoleon selber wäre, meine Büchse sollte ein Wort mit ihm zu sprechen bekommen.«
»Ich hoffe, Euch den Beweis geben zu können,« sagte giftig der Lügner, »wenn Ihr mir versprechen wollt, vorsichtig zu sein und Euch ganz meinen Anordnungen zu fügen.«
»Wir sind Männer, Fremder.«
»Dann laßt Eure Waffen und Euer Gepäck hier bei dem Mädchen, das sich unterdes zur Ruhe legen kann. Sie ist hier sicher wie in Abrahams Schoß. Wir haben noch einen Ausgang zu machen, bei dem uns aber nicht Eure Büchsen, sondern nur List und Vorsicht helfen können.«
Nach einer kurzen Besprechung und von dem dringenden Wunsch getrieben, sich von der Wahrheit der erhobenen Anklage zu überzeugen, willigten die beiden Männer ein, daß Windenblüte allein in der Wohnung des Yankee zurückbleiben sollte, und machten sich fertig, ihm zu folgen.
Master Brown empfahl dem Mädchen, das Haus unter keinen Umständen zu verlassen und niemandem zu öffnen, obschon es an und für sich unwahrscheinlich war, daß bei der späten Zeit noch jemand ihn heimsuchen sollte. Dann winkte er den beiden Freunden und verließ mit ihnen die Wohnung.
Obschon die Versuche des Yankee, der damals natürlich noch keine Ahnung von dem glücklichen Zufall hatte, der ihm die Gefährten des Gambusino in die Hände führen sollte, sich der Expedition des Grafen anzuschließen, an der bestimmten Weigerung desselben gescheitert waren, und der Graf überhaupt ihn von sich entfernt hielt, hatte Master Brown doch seine Spionage über alle Handlungen feines gehaßten Gegners mit so großer Geschicklichkeit betrieben, daß er mit Hilfe eines erkauften, während der Abwesenheit des treuen Baptist in den Dienst des Grafen getretenen Burschen vollständig in dessen Wohnung Bescheid wußte und sie mehr als einmal heimlich betreten hatte.
Der Yankee war deshalb nicht im geringsten verlegen, seinen Zweck zu erreichen.
Ehe er seine Wohnung verlassen, hatte er sich mit einer kleinen Blend-Laterne versehen.
Die drei Männer, der Yankee voran, gingen schweigend durch die Gassen. Nur aus einigen Spiel- und Trink-Häusern, in denen die Schwelgerei bis zum hellen Morgen zu dauern pflegte, schien ihnen noch Licht entgegen und tobte wüster Lärm; den einzelnen trunkenen und händelsüchtigen Heimkehrenden, denen sie begegneten, gingen sie aus dem Wege; die Strolche, die auf nächtlichen Fang aus gingen, thaten dasselbe bei ihnen, als sie die hohen und kräftigen Gestalten des Trappers und des Indianers erkannten.
So gelangten sie ohne Hindernis wieder auf die Plazza mayor und zu dem Hause, das der Graf mit seinen Leuten bewohnte.
Es war ein ziemlich großes einstöckiges Gebäude, mit jener fabelhaften Schnelligkeit, wie alle die Wohnungen umher, aus dem Schutt des großen Brandes entstanden und deshalb auch überaus leicht aus Fachwerk, Brettern und Leinewand konstruiert, wie es der milde Himmelsstrich gestattet.
Der Yankee ging um das Gebäude her und überzeugte sich sorgfältig, daß nirgend mehr Licht war, und alles im tiefsten Frieden lag, dann kehrte er zu seinen beiden Begleitern zurück.
»Habt Ihr schon einen Tiger gesehen, Señores?« fragte er.
»Caraja! Ich habe ihrer wenigstens zwei Dutzend erlegt, seit ich eine Büchse führen kann. Wenn wir zurückkommen, Fremder, könnt Ihr Euch an den Kerben überzeugen, die ich an der linken Seite des Schaftes eingeschnitten. Die Rechte gehört den Apachen und ähnlichem Gewürm. Und was die Rothaut hier betrifft, nun, so war es lange Zeit sein Geschäft und er hat manchen Piaster für die Häute verdient.«
Der Trapper befand sich in demselben Irrtum wie vorhin die Señora, und der Yankee berichtigte denselben auch sofort.
»Von den amerikanischen Tigern ist nicht die Rede, Señor Bras-de-fer,« sagte er, »sondern von dem indischen, der dem Grafen, unserem Feinde, gehört, und der den Eingang zu dem Hause bewacht wie der beste Hüter. Sein Geheul würde, wenn ein Fremder die Schwelle bei Nacht zu überschreiten wagte, bald die ganze Sippschaft auf die Beine bringen. Ich bin zwar ein guter Freund der Bestie, da ich ihr jedesmal, wenn ich hier war, irgend einen Hund oder eine Katze zum Spielen mitgebracht, und vielleicht der einzige, den sie nicht mehr anheult; da Ihr beide aber dabei seid, müssen wir schon einen anderen Weg nehmen, um in das Haus zu kommen. Darum seid so gut, mir nach jener Seite zu folgen.«
Er führte die Freunde nach der Rückseite des Hauses, hieß sie hier dicht an der Wand geräuschlos stehen bleiben und klopfte dann mit einem Stock vorsichtig an die Eisenstäbe eines der über Manneshöhe vom Boden befindlichen schmalen Fenster.
Nachdem er dies Signal nochmals wiederholt, wurde die Decke von geteerter Leinewand, welche an Stelle der Glasscheiben zum Schutz gegen die Nachtluft und die Moskitos diente, zur Seite geschoben und der kahl geschorene Kopf eines jungen Chinesen mit dem langen Zopf und den kleinen Schlitzaugen, welche die Schlaftrunkenheit fast ganz verschwinden ließ, kam an dem Gitter zum Vorschein.
»Aya, wer klopft denn noch so spät in der Nacht, ich bin müde und habe keine Lust heute zu Gesprächen.«
»Ich bin es, Tschu-sin, Dein Freund Brown. Ich habe Dich dringend zu sprechen, mach' also keine Umstände und öffne die Thür.«
»Aya, Señor Brown, Ihr seid es,« meinte gähnend der Bursche. »Können wir das Geschäft nicht hier abmachen? Der Herr hat Gäste erhalten, und das ganze Haus ist voll.«
»Eben deshalb. Beeile Dich ein wenig, damit ich morgen früh dem Richter Walker nicht ein Wort ins Ohr zu flüstern brauche von dem silbernen Besteck, das Du vor acht Tagen an den Hehler in der Hafenstraße verkauft hast, und das ein hübsches Wappen trug, welches schwerlich Deinem Herrn, dem Grafen, unbekannt sein dürfte.«
»Pscht, pscht, Herr! Tschu-sin ist Euer gehorsamer Diener, Ihr wißt es ja – ich komme sogleich.«
Das Gesicht des jungen Diebes verschwand alsbald von dem Gitter, und kurze Zeit darauf öffnete sich vorsichtig und geräuschlos eine kleine Thür unweit des Fensters.
Der Chinese, bloß mit seinem blauen Kaliko-Kittel bekleidet und mit nackten Beinen, trat heraus und sah sich besorgt um. Als er die dunklen Gestalten der beiden Fremden erblickte, wollte er sich erschrocken wieder zurückziehen, aber der Yankee hielt ihn bereits am Arm und zog ihn einige Schritte von der Thür weg.
Ihre leise Unterredung dauerte wohl zehn Minuten Tschu-sin schien sich heftig gegen ein Verlangen des Yankee zu sträuben, aber alle Ausflüchte halfen ihm nichts, der würdige Amerikaner hatte ihn so fest in seinen Klauen, daß der junge Schelm endlich nachgeben mußte und sich nur ausbedang, daß er bei dem gefährlichen Unternehmen auf Wachposten an der äußern Thür bleiben dürfe, um beim geringsten Anschein von Gefahr sich schleunigst aus dem Staube machen zu können.
Von dem Chinesen hatte Jonathan gehört, daß der Graf, anscheinend sehr mißmutig und zerstreut, gegen Mitternacht nach Hause zurückgekehrt war, nach einer kurzen Unterredung mit Bonifaz sich in sein Zimmer zurückgezogen hatte und seit einer Stunde im Schlaf liege. Der Diener wußte aus Erfahrung, daß dieser tief und fest zu sein pflegte.
Das Schlafgemach des Grafen ging auf eine offene Veranda nach der Meerseite und war von zwei Seiten aus dem Innern zugänglich. Darauf hatte der mit den Lokalitäten des Hauses bekannte Amerikaner seinen Plan gebaut.
Sobald er Tschu-sin seinem Verlangen gefügig gemacht hatte, gab er ihm ein Zeichen, voranzugehen und winkte seinen Gefährten, ihnen zu folgen.
Einer nach dem andern traten sie in das Haus und der Yankee zündete nunmehr seine Laterne an, indem er dem Trapper und dem Indianer bedeutete, so leise wie möglich aufzutreten und jedes Geräusch zu vermeiden.
Die Warnung war kaum nötig. Sowohl der »Große Jaguar« wie sein riesiger Gefährte waren durch die tausend Gefahren der Wildnis oft genug in Lagen gewesen, wo der Erfolg ihrer Unternehmungen, ja ihr Leben von der Geräuschlosigkeit ihrer Bewegungen abhing, wo der geringste falsche Tritt, der Laut eines knisternden Blattes, eines geknickten Zweiges das scharfe Ohr ihrer Feinde treffen mußte.
Auch der Yankee schien an solche Späher-Gänge gewöhnt; denn er zog in dem Korridor, den sie betraten, seine Schuhe aus, steckte sie in die weiten Taschen seines Rockes und schlich jetzt auf den Strümpfen voran, indem er den schwachen Schein der Laterne sorgfältig in seinem Hut versteckte.
Der Chinese blieb an der Thür zurück, bereit, bei dem geringsten Geräusch seinen Dienst zu quittieren und sich auf französische Manier zu empfehlen.
Seine Mitteilungen hatten den Yankee benachrichtigt, wo die am Abend Angekommenen untergebracht waren, und es war ihm daher möglich, sich danach zu orientieren und die Räume zu vermeiden, in denen sie auf einen der Schläfer stoßen konnten, deren Schnarchen oder unruhiges Atmen sie mehr als einmal durch die dünnen Thüren oder die Matten, die deren Stelle vertraten, hören konnten. Sonst herrschte die tiefste Stille in dem ganzen Hause.
Aus dem Korridor führte ein offener Ausgang nach dem kleinen, von dem Quadrat der Gebäude umgebenen Hof. Wie Schatten glitten die drei über den Raum und erstiegen auf der nächsten Seite die vier Stufen, die zu der Seite des Hauses führten, in der das Schlaf- und Arbeitszimmer des Grafen lag. Eine kleine Holz-Estrade lief um die innere Seite des Gebäudes, und auf diese öffnete sich eine der Thüren des großen Gemaches.
Zu seiner Freude fand der Amerikaner, daß diese Thür, wahrscheinlich der Hitze wegen, nur angelehnt war.
Ein Wink bedeutete seine Begleiter, näher zu kommen, dann bog er den Kopf an die Spalte und lauschte sorgfältig.
Nichts ließ sich hören, als ein schwerer, aber ruhiger und regelmäßiger Atemzug. Der Graf, der in diesem Punkte die kleinen Eigentümlichkeiten seines berühmten Geschlechtes teilte, schlief einen festen und gesunden Schlaf.
Unhörbar öffnete die geschickte Hand des nächtlichen Spions die Thür, und die drei traten lautlos in das Zimmer.
Ein leichter Schein der Diebslaterne genügte, um dessen einfache Einrichtung zu zeigen. An den weißgetünchten Wänden hingen Waffen und einige Kleidungsstücke, an der Winkelwand der Veranda stand ein großer Tisch mit Papieren, einer Reisetoilette und einer Karte von Mexiko, an der entgegengesetzten Wand, mit dem Kopfende an derselben und auf beiden Seiten frei, ein niederes Ruhebett von dem Musselin-Vorhang verhüllt, der von der Decke darüber niederfiel, um den Schläfer gegen jene lästigen nächtlichen Gäste, die Moskitos, zu schützen.
Der Tisch, das Bett und einige Rohrstühle bildeten das ganze Mobiliar des Zimmers.
Nachdem sich Master Brown überzeugt hatte, daß ihr Eintreten nicht bemerkt worden war, schritt er mit lautlosen Katzenschritten nach der einen Seite des Bettes, während seine Gefährten ihm folgten.
Hier blieben sie stehen und lauschten nochmals. Nichts ließ sich hören als der regelmäßige schwere Atemzug.
Plötzlich machte der Indianer eine Bewegung, um die Aufmerksamkeit seines Gefährten zu erregen. Dann hob er die Hand auf und streckte zwei Finger in die Höhe.
Sein scharfes Gehör hatte ihn das Atmen einer zweiten Brust hören lassen. Der Trapper beugte aufmerksamer den Kopf an den Vorhang, dann nickte er bestätigend, denn er hatte sich von der Richtigkeit der Bemerkung des Indianers überzeugt. Diese Bestätigung schien das Unbehagen des Yankee bedeutend zu vermehren, und er sah umher, als dächte er an einen Rückzug. Aber ein Blick auf das finstere strenge Gesicht des Comanchen und das Bewußtsein, daß für ihn alles auf dem Spiele stand, gab ihm die frühere Zuversicht wieder, und vorsichtig und langsam zog er den Vorhang der Mosquetäre zurück und ließ einen schwachen Strahl der Blendlaterne auf das Lager fallen.
Zwei Schläfer ruhten auf demselben: der Graf und, von seinen Armen umschlungen, eine zweite kleine zierliche Gestalt, halb bekleidet in der leichten Leinewandtracht eines Knaben.
Ihr Kopf war auf die breite offene Brust des Grafen gelehnt, ihr Schlaf sanft und süß, wie die leisen ruhigen Atemzüge und das freundliche Lächeln auf ihrem Gesicht bewiesen.
Ein Blick genügte dem Yankee, um in diesem nur leicht durch die seitherigen Strapazen der Reise und die Glut der mexikanischen Sonne veränderten Gesicht seinen Reisegefährten von Hâvre nach New-York, den jungen Verwandten und steten Begleiter des Grafen zu ernennen, der seit drei Monaten aus San Francisco mit dem alten Avignoten verschwunden gewesen war.
Ein zweiter Blick erklärte ihm das, was ihm bisher trotz seines Spähertalents ein Geheimnis geblieben war: – aus dem leichten Linnenhemde des schlafenden Knaben hob sich der Busen einer Frau.
Es war in der That Suzanne, die in dem Arm des Mannes ruhte, dem sie ihre ganze Liebe und Treue, ihr ganzes Leben so hingebend geopfert hatte.
Ein höhnisches Lächeln über das entdeckte Geheimnis seines Feindes überflog das häßliche Gesicht des Yankee, und er hob spöttisch seinen Schielblick zu seinen Gefährten, um sie auf diesen Umstand aufmerksam zu machen.
Der Trapper blickte gleichgültig, doch nicht unfreundlich auf die junge Frau; der Indianer aber hatte in dem natürlichen Schicklichkeitsgefühl, das ihm innewohnte, schon nach dem ersten Moment seine Augen von der Frau abgewandt und auf die athletische Gestalt des vermeintlichen Mörders seines alten Gefährten gewendet. Je länger sie in dem matten Lichte der Diebslaterne auf dieser Gestalt hafteten, desto glühender und drohender wurden sie und bohrten sich gleichsam fest auf eine Stelle der Brust des Grafen.
Ohne daß seinen Lippen ein Laut entfloh, schien doch sein bezeichnendes »Hugh« seine Gefährten so deutlich ans Ohr zu schlagen, daß ihre Blicke sich gleichfalls auf die Stelle bannten, die alle Aufmerksamkeit des Indianers gefesselt hielt.
In der That befand sich hier der Beweis, den sie verlangt hatten und der jeden Argwohn, jedes Mißtrauen schwinden machen mußte.
Das kleine, ihnen wohlbekannte Ledersäckchen des Gambusino, in dem er seinen Schatz, die rohe Zeichnung des Weges zu der Goldhöhle, verborgen hatte, ruhte frei auf der breiten Brust des Grafen und war mit einer starken goldenen Kette an seinem Nacken befestigt. Man hätte es nicht ohne Kampf, wahrscheinlich nur mit seinem Leben ihm entreißen können.
Dieses schien die Entdeckung ihn auch kosten zu sollen.
Der triumphierende Blick, mit dem der Yankee zu seinen beiden Gefährten aufschaute und auf die Reliquie wies, verwandelte sich in einen Blick des Schreckens und der Furcht, als er auf den grimmigen Ausdruck traf, der das Antlitz des Indianers verzerrte, und als er das Vorhaben desselben bemerkte.
Obschon Wonodongah seine Büchse und seinen Tomahawk in der Wohnung des Yankee zurückgelassen, war er doch nicht ohne Waffen, denn in seinem Gürtel steckte das lange scharfe Messer, dessen er sich auf der Jagd, im Handgemenge und zum Skalpieren seiner Feinde bediente.
Mit einer blitzschnellen Bewegung hatte er es aus seiner Scheide von Schlangenhaut gerissen und schwang es zum Stoß, der das Herz des vorgeblichen Mörders durchbohren sollte.
Der halblaute Ruf, der auf den Lippen des Yankee schwebte, dessen Pläne diese That so sehr vereitelt hätte, selbst die kräftige Hand des Trappers, die sich alsbald nach dem Arm seines Kampfgefährten ausstreckte, hätten die That nicht mehr verhindern können, wenn nicht ein Zufall oder vielmehr jener geheimnisvolle Magnetismus der Seele, der die Gefahr der geliebten Person vor- und mitempfindet, die That abgewendet hätte.
Die schöne Schläferin an der Seite des Grafen machte im Traume eine Bewegung, ein Seufzer entfloh den halb geöffneten Lippen und ihr voller Arm legte sich wie schützend quer über die Brust ihres Geliebten.
Das Herz des Mannes hätte nicht durchbohrt werden können, ohne die Frau zu verletzen.
Die Hand des Comanchen zögerte, wie um eine andere todbringende Stelle zu suchen. Diesen Augenblick benutzte die Faust des Trappers, um jene zu fassen und ihr das Messer zu entwinden.
»Wonodongah ist kein Mörder, sondern ein Krieger,« flüsterte streng der Kanadier.
Die Worte waren tonlos gesprochen, sie konnten unmöglich die Schläfer stören; aber die unvermeidliche heftige Bewegung bei dem kurzen Ringen und der nur halb unterdrückte Ruf des Yankee selbst hatten dies gethan.
Der Graf schlief fest weiter, aber die Augen der jungen Frau öffneten sich langsam und starrten verwundert und noch schlaftrunken in das Halblicht empor.
Dieser Blick wurde plötzlich starrer und drückte ein unbestimmtes Entsetzen aus, das sich mit jedem Moment vergrößerte und bewußter wurde.
Die Augen der jungen Frau waren, als sie sich öffneten, auf das von der wilden Kriegsmalerei und von den: Ausdruck von Haß und Rachsucht entstellte Antlitz des Indianers getroffen und blieben an diesem haften.
In den ersten Momenten glaubte Suzanne offenbar unter dem Druck eines bösen Traums zu leiden und starrte die furchtbare Erscheinung sprachlos an.
Erst das Verschwinden des Lichtstrahls, das Niederfallen der Gardine und das Wort » Adelante« (fort!), das sie zu hören glaubte, brachte sie zum Bewußtsein.
Sie stieß einen lauten Schrei aus und fuhr entsetzt von dem Lager empor.
Der Graf erwachte sofort von diesem Ruf und ergriff zuerst nach seinen Pistolen, die über dem Kopfende seinen Lagers hingen.
»Was ist? Was giebt's?«
»Um der heiligen Jungfrau willen, Aimée, erhebe Dich – es sind Feinde im Hause – ein furchtbares Gesicht – ein Wilder –«
»Du träumst, Suzanne!«
Während die junge Frau sich bereits bemühte, Licht zu machen, erhob sich der Graf.
Als er den Fuß auf den Boden setzte, trat dieser auf einen harten Gegenstand, den er von der Rohrmatte aufhob.
»Bei allen Heiligen, Aimée, ich habe es deutlich gesehen – Männer im Zimmer – Licht – eine furchtbare Gestalt, die sich über Dich beugte –«
Sie hatte die Lampe zum Brennen gebracht, ihr Strahl fiel auf den Gegenstand, den der Graf in der Hand hielt.
» Pardioux! Du kannst recht haben! Wie kommt das indianische Messer hierher?«
Er sprang vollends empor und faßte seine Waffe.
In diesem Moment hörte man aus dem Innern des Hauses den Knall eines schwachen Pistolenschusses.
Der Graf warf einen Überrock über die Schultern und eilte hinaus.
Der Schuß hatte die meisten Bewohner des Hauses geweckt. Ehe sie sich aber aufgerafft und in einen Zustand gebracht hatten, um hinauseilen zu können, war doch eine kurze Zeit vergangen.
Der Graf war daher einer der ersten, die in dem gegenüberliegenden Teile des Hauses erschienen, wo die Schlafzimmer seiner mexikanischen Gäste lagen, und von wo aus man den Schuß gehört.
In der That sah man beim Schein der herbeigebrachten Lichter noch an der Decke des Korridors den Rauch des Pulvers wirbeln.
Nirgends aber war der Schütze oder sein Ziel zu sehen. Auch Don Esteban da Sylva Montera erschien alsbald unter der Gruppe, neugierig und erstaunt über die nächtliche Störung, und mit ihm seine beiden Diener. Nur die Thür der Señora Dolores blieb verschlossen und auf den Befehl des Grafen wagte man nicht, sie zu stören, obschon im Schein der Lichter geradeüber von ihrer Thür auf dem Estrich des Ganges eine kleine frische Blutbahn entdeckt wurde.
Von dieser führten leichte Blutspuren bis zu jener Hinterthür des Hauses, durch welche Tschu-sin die drei Männer eingelassen hatte. Die Thür war offen, der Chinese aber befand sich unter den versammelten Hausbewohnern mit der erschrockensten und unschuldigsten Miene und in so derangiertem nächtlichen Anzuge, daß nicht der geringste Verdacht gegen ihn laut wurde.
Nachdem man lange vergeblich eine Lösung der rätselhaften Störung gesucht, nahm man an, daß irgend einer der Vagabonden, an denen San Francisco keinen Mangel hat, einen der häufig vorkommenden Einbrüche versucht und wahrscheinlich auf der Flucht vor dem entstandenen Geräusch sich durch Selbstentladung seiner Waffe verletzt habe.
Der Graf beorderte eine Wache aus seinen Leuten an die Thür und bat seinen Gast, sich unbesorgt wieder zur Ruhe zu begeben. – – –
Die drei Eindringlinge waren unterdes entflohen.
Als der Yankee seinen Gefährten das »Fort!« zugerufen und den Vorhang des Bettes hatte fallen lasten, hatte er zugleich den Arm des Trappers gefaßt und ihn mit sich fortgezogen, überzeugt, daß der Indianer ihnen dicht auf den Fersen folgte.
Dies war anfänglich auch in der That der Fall.
Die Übung der Wildnis hatte sie ohne jedes Geräusch durch die angelehnte Thür schlüpfen lasten. In gleicher Weise eilten sie rasch über den Hof und betraten die andere Seite des Hauses, durch die sie eingedrungen waren.
Hier aber bemerkte der Comanche, daß er sein Jagdmesser verloren, und in dem Glauben, daß es an der Thür des Schlafzimmers geschehen, kehrte er mit zwei Sprüngen dahin zurück, um es aufzuheben, während seine beiden Gefährten bereits den Korridor betreten hatten, der zur Ausgangsthür führte. Indem sie diesen entlang schritten und nicht mehr durch den Schein ihrer jetzt vorsichtig ausgelöschten Laterne unterstützt wurden, stolperte der Yankee über eine in dem Korridor befindliche Stufe und verstauchte sich den Fuß, was ihn einen leichten Schmerzensruf ausstoßen ließ. Der Trapper half ihm jedoch sofort wieder empor und zog oder trug vielmehr ihn weiter, ohne sich nach seinem roten Gefährten umzusehen, dessen Gewandtheit und Kaltblütigkeit in der Gefahr er vollkommen vertrauen konnte, überzeugt, daß wenn es nötig, er ihnen den Rücken decken und ihren Rückzug beschützen würde.
Zu diesem Ende gab er ihm bloß das für solche Fälle zwischen ihnen bei den Gefahren in der Wildnis verabredete Signal, indem er leise aber durchdringend das Zischen der Klapperschlange nachahmte.
Der Häuptling war bis an die Thür des Schlafzimmers zurückgesprungen, als er hier die Stimme Suzannes hörte, die den Grafen weckte und ihn zu Hilfe rief. Er begriff sofort, daß in wenig Augenblicken das Haus alarmiert sein würde und, sein Messer im Stich lassend, eilte er mit der Schnelligkeit des flüchtigen Hirsches zurück, um seine Freunde einzuholen.
Er hatte den Korridor wieder erreicht, als ihn von dessen anderem Ende das Signal seines Gefährten traf.
Sofort blieb sein Fuß wie gefesselt stehen und seine Hand faßte nach dem Gürtel, um den Tomahawk zu ergreifen; aber die Stelle war leer, er hatte ihn mit seiner Büchse und seiner Schießtasche in der Wohnung des Yankee zurücklassen müssen.
Der junge Indianer war jetzt völlig waffenlos, aber nichtsdestoweniger stand er keinen Augenblick an, dem Signal seines Freundes zu gehorchen und blickte in dem Dunkel umher, um zu erkunden, von woher die Gefahr drohe, und ihr seine Brust entgegenzuwerfen.
Gerade gegenüber bemerkte er sogleich durch die Ritzen der Thür einen Lichtschein, und fast zugleich öffnete sich diese Thür selbst, und der Strahl einer Kerze fiel auf den Korridor und auf seine dunkle Gestalt.
Der Anblick, der sich ihm bot, schien einen so tiefen Eindruck auf ihn zu machen, daß seinen Lippen unwillkürlich der gewohnte Ausruf des Erstaunens, das bezeichnende »Hugh« entfloh.
In dem Rahmen der Thür stand eine schlanke Frauengestalt in einem weiten faltigen Nachtgewande, das schöne Gesicht mit dem entschlossenen Ausdruck und dem blitzenden Auge von langen dunklen Locken fessellos umwallt. In der linken Hand hielt die Dame vorgestreckt das Licht, dessen Schein auf die wilde Gestalt des Indianers in ihrer drohenden Stellung fiel, während die Rechte herabhängend ein gespanntes Terzerol umfaßte.
Der Comanche machte fast unwillkürlich eine Bewegung auf die Dame zu, denn er kannte sehr wohl dieses kühne Auge und diese stolze, der Gefahr trotzende Gestalt, als sich blitzschnell die Rechte der Dame hob und der Pistolenschuß knallte.
Die Kugel streifte den Oberarm des Häuptlings, und das Blut rieselte aus den zerrissenen Arterien nieder und färbte den Boden.
In demselben Augenblick erklang von der Hinterthür her das zweite Signal des Trappers, das den Comanchen eilig herbeirief.
Einen Augenblick noch zögerte der Häuptling, dann warf er sich plötzlich vor der Dame, die soeben die Kugel auf ihn abgefeuert, nieder, drückte den Saum ihres Gewandes an seine Lippen und deutete dann auf die blutende Wunde an seinem Arm.
»Das Blut Wonodongahs gehört der Tochter der großen Sonne. Möge sie sich stets daran erinnern!«
Erst jetzt erkannte Señora Dolores unter der Kriegsmalerei des Indianers das ihr wohlbekannte Gesicht des ehemaligen Tigrero.
Eine dunkle Röte überlief ihre Stirn, der Mund schwellte sich stolz zu einem Wort der bitteren Verachtung und des Widerwillens, aber ehe dies Wort ihren Lippen entflohen, war der Mann gleich einem Schatten im Dunkel des Korridors verschwunden.
Einen kurzen Moment noch blieb die Dame stehen. Der Blick, den sie in das Dunkel des Ganges hinter dem Häuptling drein warf, war ein seltsames Gemisch von Trotz, Bitterkeit und Besorgnis. Dann verlöschte das Licht in ihrer unwillkürlich bebenden Hand, und die Thür schloß sich hinter ihr, bevor der Graf in den Korridor stürzte.
Zwei Worte des Yankee hatten die Angst des jungen Spitzbuben Tschu-sin beruhigt und ihm den Befehl gegeben, in seine Kammer zurückzukehren und sich nicht um sie zu kümmern, als der Indianer erschien und ohne mit einer Silbe seine Verwundung zu verraten, dem Trapper half, Master Brown aus der Umgebung des Hauses in die nächste dunkle Seitengasse zu führen, von wo sie unverfolgt den Stadtteil erreichten, in dem seine Wohnung lag.
Auf ihr Zeichen öffnete Windenblüte, die mit der Geduld eines Indianermädchens in ihrer Ecke sitzen geblieben war, ohne sich zur Ruhe zu legen, die Thür. Eisenarm und der Jaguar ließen ihren fluchenden Gefährten auf einen Stuhl sitzen, und der Indianer kniete neben ihm nieder, um die Verletzung des Fußes zu untersuchen.
Erst jetzt bemerkte der Trapper, daß sein Freund verwundet war.
»Du blutest, Wonodongah, was ist geschehen? Hat der Schuß, den wir hörten, Dich getroffen?«
»Es ist nichts,« sagte der Indianer. »Mein Freund mag ruhig sein, zwei Blätter der Espe werden genügen, die Schramme zu heilen, und der große Jaguar wird nicht verhindert sein dem Feinde entgegenzutreten, wenn die Sonne über die Felsgebirge emporsteigt, Kann die ›Schielende Ratte‹ ihren Fuß so weit bewegen, um jenes Papier aus dem Schranke zu holen, das des Totems eines Häuptlings bedarf?«
»So wollt Ihr jetzt den Kontrakt unterschreiben?« fragte der Yankee vergnügt.
Ein Blick blutiger Rachgier und grimmigen Hasses aus den Augen des Indianers antwortete ihm. Es war, als ob in diesem Blick sich jede wilde Leidenschaft seines Herzens konzentriert hätte.
»Der Adler des Weißen wird das Messer Wonodongahs an dem Lager seines Weibes finden,« sagte er stolz. »Es ist Krieg zwischen dem Jaguar und dem Mörder des Goldauge, solange der Odem des großen Geistes die Brust eines Häuptlings schwellt. Ich schwöre bei den Gebeinen meiner Väter, welche die Hunde von Apachen in der Wüste bleichen lassen, daß der Fremdling nicht lebendig die Goldhöhle erreichen wird. Gieb den Vertrag!«
Der Yankee hatte sich beeilt, trotz seiner Schmerzen ihn herauszuholen und auf den Tisch zu legen. Der Indianer ergriff die Feder und malte sein Totem, die rohe Gestalt des Tiers, dessen Namen er führte, unter das verhängnisvolle Dokument.
Ein Strahl habsüchtigen Triumphes schoß über das widerwärtige Gesicht des Spekulanten, als er jetzt diese beiden Männer an sein Interesse gebunden wußte. Diese Befriedigung steigerte sich noch, als der Indianer nach der Untersuchung seines Fußes die übersprungenen Flechsen ihm mit jener Gleichgültigkeit gegen eigenen fremden Schmerz, welche seine Rasse auszeichnet, wieder einrenkte, und ihm aus seinem Medizinbeutel ein die Geschwulst stillendes Mittel auflegte, mit der Erklärung, daß der Fuß in vierundzwanzig Stunden ganz wieder hergestellt sein würde.
Kurze Zeit darauf lagen die drei Kinder der Wildnis auf den ihnen angewiesenen harten Lagern in festem Schlaf, während der Yankee sich ruhelos auf dem seinen hin und her warf und trotz der Schmerzen, die ihm der Fuß verursachte, an den Träumen des unermeßlichen Reichtums berauschte.
Als der Graf am Morgen erwachte, stellte er zunächst, während seine Gäste sich noch dem tiefen Schlummer nach den Strapazen der Reise hingaben, nochmals eine kurze Untersuchung über die Abenteuer der Nacht an, ohne daß er jedoch ein anderes Resultat erhielt. Die Angaben Suzannens über das, was sie gesehen haben wollte, schienen offenbar mit den Schreckbildern ihrer Phantasie gemischt und waren überdies schwankend und unbestimmt, so daß die Zahl der nächtlichen Einbrecher nicht festgestellt werden konnte. Auch der Beschreibung des schrecklichen Gesichts mit den grellen Farben wollte der Graf seinen Glauben schenken, da alle bisherigen Erfahrungen dagegen sprachen, daß ein Indianer einen solchen verwegenen Streich gewagt haben sollte. Die Rothäute Kaliforniens sind ein zu demütiger feiger Schlag, als daß sie sich unter das kecke Raubgesindel San Franciscos mischen sollten.
Weit wichtiger war dem Chef und Gründer der Sonora-Kompagnie die Nachforschung nach den beiden Männern, die er am Abend vorher vergeblich auf der Plazza mayor erwartet hatte.
Durch die kurze Mitteilung des Kreuzträgers wußte er, daß der Trapper Bras-de-fer auf dem Wege nach San Francisco gesehen worden.
Nachdem er sich mit seinem treuen Bonifaz beraten hatte, der, wenn er auch nicht sein ganzes Geheimnis kannte, doch wenigstens wußte, daß zur Ausführung seiner Pläne jene Männer von seinem Gebieter erwartet wurden und ihm nötig waren, holte man den Kanadier herbei, um ihn nochmals zu befragen und seinen Beistand in Anspruch zu nehmen.
Zwei so aufrichtige und unverfälschte Naturen, wie der Sackträger von Avignon und der gefährliche Feind der Apachen mußten sich bald erkennen und finden, und das war in der That auch der Fall gewesen.
Der Graf hatte die beiden Männer in seinem Arbeitszimmer empfangen, auf dessen Tisch noch das Messer lag, das er in der Nacht auf dem Teppich vor seinem Bett gefunden, und teilte hier dem Jäger, soweit es nötig war, seinen Wunsch mit.
» Ventre bleu!« meinte der kleine Franzose, »ich will zwar nicht sagen, daß meiner Mutter Sohn nicht ebenso gut eine Fährte durch die Einöde finden oder einen Apachen zu Boden bringen kann, was Euer Excellenz mein Kerbholz bewiesen hat, wie irgend ein anderer Mann zwischen hier und Arkansas; aber ich habe meiner Treu nichts dawider, wenn eine Büchse von dem Ruf Bras-de-fers in unserer Gesellschaft zu finden ist. Ich bin nicht eifersüchtig auf den Ruhm eines Kameraden, Excellenz, und der Teufel soll mich holen, wenn ich nach der gestrigen Probe mit diesem verdammten Wasserpiraten nicht begierig bin, mit meinen Augen zu sehen, ob Eisenarm oder Euer Excellenz eine stärkere Faust besitzen.«
Der Graf lächelte. »Ich hoffe,« sagte er, »es wird zu keinem Streit darüber zwischen mir und Meister Eisenarm kommen, und wir wollen die besten Freunde werden, aber eben deshalb muß ich ihn und seinen Kameraden, den man den Großen Jaguar nennt, so bald als möglich sprechen.«
Der Kreuzträger hatte während dieser Worte mit der Ungeniertheit der amerikanischen Steppenbewohner das Messer in die Hand genommen, das neben ihm auf dem Tisch lag und es zuerst gleichgültig, dann aber aufmerksamer betrachtete.
Er sah den Grafen erstaunt an.
»Euer Excellenz wünschen den Großen Jaguar der Comanchen zu sprechen, aber Sie haben ihn ja gesehen!«
» Parbleu ja, oder meine Augen fangen an, schlecht zu werden. Ich müßte mich sehr irren, wenn dies nicht das Messer der tapferen Rothaut ist, denn auf dem Griff hier sehe ich sein Totem eingeschnitten.«
Der Graf ergriff hastig das Messer und besah es. In der That war auf dem Horngriff die rohe Gestalt eines Tieres mit indianischer Kunstfertigkeit eingeschnitten, die man für die eines springenden Jaguars gelten lassen konnte.
Die plötzliche Entdeckung, daß die beiden von ihm gesuchten Männer in dieser Nacht an seinem Lager gewesen waren, und der Zweifel, in welcher Absicht dies geschehen, machten den Grafen einen Augenblick bestürzt. Er fühlte, daß hier ein Geheimnis vorlag, das er nicht zu lösen vermochte. Wie konnten die beiden Jäger im Innern der amerikanischen Wüste wissen, daß ein ihnen ganz fremder Mann in Verbindung mit dem Gambusino gestanden hatte; und wenn sie dies durch einen Zufall erfahren hatten, warum suchten sie ihn nicht zu einer passenderen Zeit auf? Oder hatte der nächtliche Besuch überhaupt den anderen verbrecherischen Zweck, wie er anfangs angenommen, und war es gerade Zufall, daß der Einbruch ihn betroffen?
Dennoch mußte der verbreitete und auch von dem Kreuzträger verbürgte Ruf der Ehrenhaftigkeit jener beiden Männer ihn mit Recht daran zweifeln machen, daß sie sich an einem gemeinen Verbrechen beteiligt haben sollten.
Wie gesagt, es waren dies sich ihm aufdrängende Fragen, die er trotz alles Nachdenkens nicht zu lösen vermochte. Das einzige, was er unter diesen Umständen thun konnte, war, den beiden anwesenden Männern anzuempfehlen, sich die möglichste Mühe zu geben, um den Trapper und seinen indianischen Gefährten in San Francisco zu ermitteln und sobald wie möglich zu ihm zu führen.
Es war unterdes Zeit geworden, sich um seine mexikanischen Gäste zu bekümmern, und der Graf sandte dem Senator und seiner Tochter eine höfliche Botschaft, um sie zum Frühstück einzuladen.
Señora Dolores lehnte jedoch die Einladung ab und blieb den größten Teil des Tages unter dem Vorwande der Ermüdung in ihrem Gemach, wohin ihr Suzanne weibliche Bedienung sandte.
Der Senator dagegen erschien, und nachdem die gewöhnlichen steifen Höflichkeiten der spanischen Umgangsform getauscht waren, auf welche die Mexikaner, die sich einer Abstammung von dem »blauen Blut« der alten Konquistadoren rühmen, noch immer mit großer Strenge halten, und das Frühstück eingenommen war, eröffnete er sofort die diplomatischen Verhandlungen mit dem Grafen, der ihnen ziemlich zerstreut folgte.
Bonifaz und der Kreuzträger gaben sich während des ganzen Tages die größte Mühe, den Trapper und seinen indianischen Gefährten zu ermitteln; aber obschon es das recht eigentliche Gewerbe des Kreuzträgers als Rastreador oder Spurfinder war, auf die geringsten Anzeichen hin Menschen und Tiere zu verfolgen und zu entdecken, hatten sie am Abend nicht die mindeste weitere Spur von den Gesuchten gefunden und kamen zu der Überzeugung, daß sie entweder gar nicht in San Francisco anwesend gewesen und das Messer mit dem Totem des Jaguars durch Zufall in eine andere Hand gefallen war, oder daß die beiden in der Nacht bereits die Stadt wieder verlassen haben müßten.
Jonathan Brown war ein zu schlauer Kunde, als daß er sich nicht auf die Nachforschung vorbereitet haben sollte. Mit Lügen hatte er ja seine neuen Verbündeten getäuscht und sie an seine Interessen gefesselt. So wurde es ihm denn auch leicht, sie zur strengsten Verborgenheit zu bewegen, die um so leichter auszuführen war, als sie die Wohnung bei Nacht betreten hatten und so von niemandem weiter gesehen worden waren.
Der Yankee dagegen ließ sich, um jeden Verdacht zu vermeiden, vielfach in den Straßen und auf der Plazza mayor in der Nähe der Wohnung des Grafen sehen und beobachtete, was dort vorging. Zugleich benutzte er die Gelegenheit, für die Ausrüstung seiner eigenen Expedition zu sorgen, um jeden Augenblick bereit zu sein, der abenteuerlichen Sonora-Kompagnie zu folgen.
Unter dieser herrschte ein reges Leben und Treiben, denn die Erklärung des Grafen am Abend vorher, daß die Expedition schon in den nächsten Tagen nach Guaymas unter Segel gehen werde, veranlaßte laute Freude und gab allen Beschäftigungen genug, um die letzten Vorbereitungen zu ihrer Ausrüstung zu treffen.
Auch am folgenden Tage blieben die Nachforschungen des Avignoten und des Kreuzträgers ohne Erfolg und der Graf konnte sich nicht mehr verheimlichen, daß er durch einen unglücklichen Zufall das Rendezvous mit den beiden Freunden des toten Gambusino verfehlt habe, oder daß sie gar nicht nach San Francisco gekommen waren. Die Thatsache stand fest, daß er mit feinen Plänen auf die Ausbeutung der Goldhöhle jetzt allein auf sich und die geringen Fingerzeige angewiesen war, welche die unvollkommene Zeichnung des Goldsuchers ihm gewährte.
Graf Boulbon war jedoch nicht der Mann, um wegen dieser Vereitelung seiner zuversichtlichen Erwartungen seinen Plan und seine Hoffnungen aufzugeben. Er vertraute wie immer im Leben seinem guten Glück und seiner Entschlossenheit und hoffte, wenn er sich erst in der Sonora befände, mit Hilfe des mit der Wüste vertrauten Rastreadors die beiden Personen noch aufzufinden, deren Begleitung ihm so nötig war.
In jedem Fall mußte die Expedition, wie er den Teilnehmern und den Aktionären verheißen hatte, in diesen Tagen ihren Auszug nehmen, und er durfte um keinen Preis sich merken lassen, wie sehr seine Hoffnungen getäuscht worden waren.
Unter diesen Umständen kam ihm die Mission des Senators Don Esteban um so willkommener.
Wir haben bereits angeführt, daß dieser als Bevollmächtigter des neuen Präsidenten der Republik, des Generals Cavallos, die beiden Agenten, die der Graf an die frühere Regierung geschickt, begleitet hatte, denn der General mußte alles aufbieten, um sich Stützen und Anhänger gegen die anderen Prätendenten und namentlich gegen die Versuche Santa Annas zu schaffen, das Heft des Staates wieder in seine Hände zu bringen.
Das Anerbieten des Grafen Boulbon, mit der von ihm geworbenen Schar die so wichtige Provinz Sonora von den räuberischen Apachen zu säubern und einen Feldzug in deren Gebiet zu machen, war ihm daher sehr willkommen, umsomehr, als die reiche Kaufmannschaft von Guaymas und der anderen Hafenstädte, sowie die Versammlung der Hacienderos sich willig erboten hatten, alle Kosten der Expedition zu tragen.
Wenn die Abenteurer-Schar erst ihren Zweck erfüllt, war es einem Manne von dem weiten Gewissen des mexikanischen Präsidenten immerhin ein leichtes, sich ihrer auf die eine oder andere Weise zu entledigen.
Zwischen dem mexikanischen Staatsmanne und dem französischen Abenteurer wurde daher nach langen Verhandlungen ein Abkommen geschlossen, demzufolge der Graf Raousset Boulbon sich verpflichtete, mit einer Schar von 200 vollständig ausgerüsteten Männern in den Dienst des Staates Sonora unter Anerkennung des Präsidenten Cavallos zu treten, und die nördlichen und die östlichen Grenzen des Staates gegen die räuberischen Einfälle der Apachen zu schützen. Die Ausdehnung der Maßregeln blieb seinem eigenen Ermessen überlassen, wogegen eine geheime Klausel des Vertrages ihn verpflichtete, neben der Indianer-Expedition, sofern es nötig, in dem Staat für die Anerkennung und die Person des neuen Präsidenten aufzutreten.
Don Esteban, einer der reichsten und angesehensten Hacienderos an der Grenze, war beauftragt, mit seiner Kenntnis des Landes und des Feindes den Grafen zu unterstützen und zu diesem Behufe die Expedition zu begleiten.
Der Graf fühlte sehr wohl, daß dies weniger zu seiner Unterstützung, als gewissermaßen zu seiner Beaufsichtigung geschähe; er mußte es indes der Zukunft überlassen und fühlte sich Mannes genug, im entscheidenden Augenblicke sich nötigenfalls jede lästige Einsprache vom Halse zu schaffen.
Für die Dienste des Grafen und seiner Schar verpflichtete sich die Kaufmannschaft von Guaymas und die Assemblée der großen Grundbesitzer, dem Grafen fünfzigtausend Dollars zur Einrichtung und für jeden Monat einen Sold von 10 000 Dollars zu zahlen, sowie nach beendigtem Kriege jedem Manne zehn Acres Land, den Offizieren der Expedition dagegen fünfzig in der Provinz zur Niederlassung zu gewähren.
Indem der Graf diese reellen Offerten mit seinen Projekten und Träumen von dem Zuge nach der Goldhöhle zusammenschmolz, verband er die Notwendigkeit mit den ehrgeizigen Plänen, welche die Verhältnisse in ihm anregten und wozu ihm das Vertrauen des sterbenden Gambusino die Mittel gewähren sollte, wenn er eben diese seltsame und gefährliche Erbschaft realisieren könnte.
Daß Gefahr irgend einer Art ihn nicht abschrecken würde, war bei dem Charakter des Grafen selbstverständlich.
Zur Beschleunigung der Verhandlungen trug offenbar nicht wenig die eigentümliche und dominierende Erscheinung der Señora Dolores bei. Die bewußte Macht ihrer Schönheit verfehlte nicht ihren Eindruck auf die empfängliche Phantasie des Grafen, und er zeigte sich sofort offen als ihren Bewunderer.
Der vertrauenden, aufopfernden, aber doch besorgten Suzanne gegenüber wußte er sich leicht mit der Andeutung zu rechtfertigen, daß die Gewinnung des Señor Don Esteban für den Erfolg feiner Pläne unbedingt notwendig sei, und in der That überredete er sich selbst, daß dem so wäre; denn der stolze, aber schlaue und ehrgeizige Spanier kam ihm auf halbem Wege entgegen und ihre Pläne nahmen bald einen so hohen Schwung an, wie er kaum je geträumt. Die Pronuntiamentos – das heißt die Aufstände jedes ehrgeizigen Generals, ja jedes untergeordneten Offiziers, der an die Spitze der Republik, an das Gouvernement einer Provinz kommen oder wenigstens eine höhere Charge erreichen wollte, hielt fortwährend das Land in Gärung. Es war in der That nichts seltenes, daß ein Capataz, das heißt ein Anführer der Lastträger eines Seehafens der Westküste, oder ein kecker Kapitano in den inneren Provinzen sich über Nacht zum Gouverneur ausrufen ließ, mit einem der Prätendenten in Mexiko zum Sturz der bestehenden Regierung unter einer Decke spielte, bis er bestätigt wurde, und zuletzt seinen Protektor selbst zu verdrängen suchte.
Die Föderal-Regierung in der Hauptstadt vermochte überhaupt bei der Zerrüttung der Finanzverhältnisse den Einzelstaaten keinen Schutz zu gewähren und konnte ihren Einfluß daher nur durch Intriguen aufrecht erhalten, so daß diese sich durch Sonderbündnisse gegen drohende Gefahren zu schützen suchten und selbst in Zoll- und Steuersachen eine Art Autonomie sich anmaßten. Dennoch hatten diese Zustände, in deren Folge 1849 die sieben Staaten Alt-Kalifornien, Sonora, Cinoloa, Chihuahua, Cohahuila und Tamaulipas ihre Unabhängigkeit proklamiert hatten, keine direkte Sprengung der Konföderation zur Folge gehabt.
Die Streitigkeiten wegen der Zollreformen hatten, wie erwähnt, durch eine Revolution statt des bisherigen Präsidenten Don Mariano Arista, mit dem der Graf ursprünglich durch seine Abgesandten unterhandeln wollte, den General Cavallos an die Spitze der Regierung gebracht und dieser sich beeilt, den Grafen und seine Schar für sich zu gewinnen, wahrscheinlich in dem Glauben, in einer oder der anderen Weise die Protektion Frankreichs damit seiner Sache zu sichern.
Der General Cavallos fühlte sich für seine eigene Person nämlich keineswegs der Leitung des Staates unter so verwickelten Verhältnissen und gegen so zahlreiche Gegner gewachsen. Denn wie im Norden mit der heimlichen Unterstützung der Nordamerikaner Carbajal noch immer auf jede Gelegenheit zu einem Einfall lauerte und er es hauptsächlich war, der die Indianer zu einem Bündnis und Kriege anhetzte, ebenso bewachte der seit 1847 in Jamaika lebende frühere Präsident, der berühmte und berüchtigte Santa Anna, Mexiko mit Argusaugen und sann auf seine Rückkehr. Cavallos gehörte zu seinen Anhängern und Vertrauten und beabsichtigte, bei erster Gelegenheit für seinen alten Führer aufzutreten und ihm die Herrschaft wieder zu verschaffen.
Vorläufig war dieser Plan des neuen Präsidenten jedoch noch ein wohlverschwiegener und selbst Don Esteban hatte keine Ahnung davon, daß Cavallos damit umgehe, Santa Anna die Präsidentur anzubieten. Dagegen kannte er die Schwäche der gegenwärtigen Regierung sehr wohl, und durch die Huldigung verführt, die der vornehme Franzose seiner Tochter widmete, glaubte er in ihm den Mann gefunden zu haben, der seine eigenen ehrgeizigen Pläne in dieser unruhigen und günstigen Zeit leicht verwirklichen könne.
Der Gedanke einer Verbindung des blauen Blutes seiner Ahnen mit dem des alten Königsgeschlechtes der Bourbonen schmeichelte dem Stolz des alten Spaniers, und er nahm in ihrer letzten geheimen Unterredung keinen Anstand mehr, darauf hinzudeuten, wie leicht es in Verbindung mit ihm einem so gediegenen Manne wie dem Grafen werden könne, aus den westlichen Provinzen Mexikos ein eigenes Reich, einen neuen Thron der Bourbonen zu schaffen.
Daß dieser Gedanke in der ehrgeizigen Seele und dem abenteuerlichen Geist des Grafen seinen Widerhall fand, läßt sich leicht ermessen.
Dies war der Traum seiner Jugend, der Gedanke seines Mannesalters gewesen. Das Blut des großen Heinrich wallte ehrgeizig in ihm, und wie einst der berühmte Herzog von Vendôme, der Sohn seines Ahnherrn von Gabriele d'Estrées sich Marokko zu erobern versucht, hatte auch er hundert ehrgeizige Pläne entworfen.
Jetzt bot die Wendung seines abenteuerlichen Unternehmens ihm eine Gelegenheit, diese ehrgeizigen Träume seiner Jugend zu verwirklichen, und sofort warf er sich mit aller Energie und allem Ungestüm seines Charakters auf diese Idee.
Der Tag war noch nicht zu Ende, da hatten diese beiden Männer, der hochmütige alte Intrigant und der kühne Abenteurer sich verständigt, ohne daß dies in ausdrücklichen Worten und Verpflichtungen geschehen war. Don Esteban war überzeugt, daß er alles weitere seiner Tochter und der Wirkung ihrer Schönheit und ihres Geistes werde überlassen können und hielt am Abend eine lange und ernste geheime Unterredung mit ihr.
Der Tag war, wie erwähnt, vergangen, ohne daß die Nachforschungen der beiden Beauftragten des Grafen die beiden Miterben der Goldhöhle zu ermitteln vermocht hätten. Die nächsten zwei Tage waren den Vorbereitungen der Abreise gewidmet; denn der Graf, von dem Senator angetrieben, keinen Augenblick länger zu zögern, hatte beschlossen, am dritten Morgen in See zu gehen.
Am Nachmittag sollte die Einschiffung der Mannschaften und ihrer Ausrüstung auf den beiden hierzu gemieteten Schiffen erfolgen. Diese, ein stattlicher Fregatt-Schoner und ein kleineres Fahrzeug, lagen im Hafen von San Francisco und der Graf beabsichtigte, am Abend vor der Abfahrt auf dem Verdeck des Schoners den Aktionären des Unternehmens, seinen Freunden in San Francisco und der ihn begleitenden Schar ein großes Fest zu geben.
Die Vorbereitungen dazu, sowie zur Einschiffung, und ein Meeting, das vorher noch von den Aktionären, deren zwei den Zug als Bevollmächtigte begleiten und in Guaymas seine Erfolge abwarten sollten, nahmen jeden Augenblick seiner Zeit in Anspruch. Bei dem Eifer der Mannschaft, die ihr Geld jetzt größtenteils vollständig an den Mann gebracht hatte und sich nach Veränderung und Abenteuern sehnte, und bei dem guten Willen dieser Bevölkerung zu jeder Festlichkeit und Aufregung war es jedoch möglich geworden, alle Anstalten zur bestimmten Zeit zu vollenden.
Die beiden Schiffe der Expedition lagen etwa eine halbe Meile hinaus im Golf nach der Insel Yarba Buëna zu, derselben, zu der Master Slong nach dem bösen Sturz in die See durch seinen würdigen Geschäftsfreund Zuflucht genommen hatte. Da das Fest erst am Abend nach Sonnenuntergang beginnen sollte, waren die Sonnenzelte aufgerollt und die Taue und Stangen derselben zum Anbringen einer jener eigentümlichen Illumination benutzt worden, wie sie die in San Francisco so zahlreichen Chinesen mit ihren bunten Papierlaternen von phantastischen Formen so meisterhaft zu veranstalten wissen und wie sie das nach Effekten und Neuigkeiten haschende Europa vom Mabille und den Festen von Saint Cloud bis zum Berliner Orpheum und dem englischen Garten zu Petersburg bereits nachgeahmt hat.
Der Graf hatte die Kajüte des großen Transportschiffes, die zu seiner eigenen Wohnung bestimmt war, zur Aufnahme der Señora und ihres Vaters einrichten lassen. Zwei Dienerinnen waren angenommen worden, um die Señora auf der Fahrt nach Guaymas zu begleiten.
Nach einem heißen Tage sank der Abend mit jenen wunderbaren Farben des Südens rasch über die noch von den letzten Strahlen der versinkenden Sonne übergoldeten Fläche der prächtigen Bucht.
Vom Ufer her erhob sich ein leichter Landwind und trieb die Barken und Boote herauf, die, mit bunter: Flaggen und Laternen geschmückt, die geladenen Gäste zum. Schauplatz des Festes führten.
Die Dunkelheit hatte, wie in südlicheren Zonen die Dämmerung überhaupt nur kurz ist, ja ganz verschwindet, rasch zugenommen; aber es war nicht jene trübe, oft undurchdringliche Finsternis des Nordens, sondern das milde, durchsichtige Halbdunkel, jener unbeschreiblich sanfte Schatten, wie er sich in den Tropen, von Myriaden glänzender Sterne durchblitzt, über Land und Meer senkt und zum Genüsse einladet.
Der Abend oder vielmehr die Nacht war in der That köstlich. Von dem Ufer der Bucht trug der Landwind die balsamischen Düfte der Kräuter und Blumen und mischte sie mit dem frischen kräftigen Hauch der See. Die Scharen der Delphine und der fliegenden Fische zogen ihre leuchtenden Furchen durch die sanft bewegte Fläche des Meeres, und Millionen von Mollusken färbten die Höhlung der Wellen mit ihrem phosphorartigen Glanz in flüssigem leuchtendem Silber.
Jede der herbeikommenden Barken trug nach spanischer Sitte ihre Sänger und Guitarrespieler, und die ganze Schar sammelte sich wie ein glänzender Schweif um das große von zwölf Rudern geführte und mit Kränzen und Teppichen stattlich geschmückte Boot. An dessen Spitze ließ ein Korps wandernder deutscher Musikanten, die nach Kalifornien geraten und die von den Erfahrungen in den Placeros bald belehrt worden waren, daß das Gold für sie auf den Straßen von San Francisco leichter zu finden wäre, als in den Sturzbächen des Sakramento, seine lustigen Melodieen erschallen, während auf weichem Sitz im Bug der Senator Don Esteban mit seiner schönen Tochter sich wiegte.
Die beiden Schiffe der Expedition lagen ziemlich nah beieinander, aber alles an Bord war dunkel und still bis auf eine große Laterne am Bugspriet des Schoners, die den herankommenden Barken die Richtung angab. Plötzlich als das große Boot des Senators sich dem Schiffe nahte, donnerten die beiden Kanonen desselben und eine Gewehrsalve aller der Abenteurer, die in den Schiffsbooten einen Kreis um den Schoner bildeten, begrüßte die Gesellschaft. Feuergarben von Raketen schienen rings aus den Meereswellen emporzusteigen und wie mit einem Zauberschlage erhellten sich der Bord der beiden Schiffe und prächtige Guirlanden der bunten Laternen flammten um das Deck und an den Tauen und Spieren entlang bis hoch zur Spitze des Hauptmastes.
Der Graf, angethan mit der französischen Oberstenuniform und geschmückt mit dem Ordensband des heiligen Geistes und dem Kreuz der Ehrenlegion, empfing seine Gäste an der bequemen Schiffstreppe und reichte galant der Señora die Hand, um ihr an Bord zu helfen. Nachdem er sie willkommen geheißen, und nach dem spanischen Höflichkeitsausdruck, sein ganzes Haus zu ihrer Verfügung gestellt sowie den Senator begrüßt hatte, geleitete er die schöne Mexikanerin auf den erhöhten Ehrenplatz auf dem Deck der großen Kajüte, während seine Adjutanten und Offiziere den Damen und Herren aus ihren Booten halfen und sie zu ihren Sitzen führten.
Der stattliche Mann bot neben der stolzen Tochter Don Estebans ein schönes Bild, und gar manche Bemerkung der Anwesenden deutete darauf hin, daß man in beiden bereits ein Paar sah, das wahrscheinlich schon die nächste Zukunft mit einem engeren Bande fesseln könnte. Zum Glück wurden die meisten dieser Bemerkungen in englischer Sprache gemacht, die Suzanne nicht verstand, aber auch ohne dies genügte der Anblick der unverhohlenen Galanterieen des Grafen gegen die schöne Fremde, um ihr das Herz zu zerreißen und eine Ahnung des drohenden Schicksals gleich einem finsteren Schatten über ihr vertrauendes Gemüt zu werfen. Nicht ohne Zwang erfüllte sie all die Pflichten, die ihr die eigentümliche Stellung ihrer Verkleidung auflegte, und sie gerade fesselte sie in der Nähe ihrer geheimen Rivalin und machte sie so zum Zeugen der Artigkeiten des Grafen und der Koketterieen der schönen Haciendera.
Das Fest begann mit allerlei Wettspielen der Schiffsmannschaft und der Abenteurer, in denen sie ihre Gewandtheit und Kraft zeigten. Das berühmte Messerwerfen des Chinesen, das Schleudern mit dem Tomahawk, das Ringen und jene wilde Jagd durch die Takelage, sowie ein Pistolenschießen nach der Scheibe fesselten das Interesse der Gesellschaft bis zur Tafel, die verschwenderisch ausgestattet war. Während die Gesellschaft auf dem Verdeck speiste und die köstlichsten Weine der alten Welt mit den kühlenden Getränken Westindiens schlürfte, wozu die deutsche Musik vom Vorder-Kastell her ihre munteren Weisen spielte, wurde von den Booten, welche die beiden Schiffe umgaben, eins der wunderbaren Feuerwerke abgebrannt, in denen bekanntlich die Chinesen Meister sind.
Nach dem Souper folgte der Tanz und die berauschenden Touren des Fandango und der spanischen Tänze der Alameda von Mexiko und Puebla wechselten mit dem irischen Nationaltanz und den lustigen Neigen der Deutschen oder den graziösen Bewegungen der französischen Quadrillen.
Erst als das Erbleichen der Sterne und das im Osten heraufdämmernde Morgenrot das Nahen der Sonne verkündete, endete das Fest, und ein Kanonenschuß gab den harrenden Barken das Signal, heranzulegen, um ihre Besitzer wieder aufzunehmen und nach dem Strande zurückzuführen.
Unter tausend Glückwünschen für das Gelingen der Expedition schieden die Bewohner der Stadt und nahmen ihre Plätze in den Booten ein, die bald einen weiten Halbkreis um die beiden sich zur Abfahrt rüstenden Schiffe bildeten. Der Singsang der Matrosen, welche die Ankerwinde drehten, mischte sich mit dem Knarren und Stöhnen der Spieren, an denen die Segel in Bereitschaft gesetzt wurden, um sie sofort nach dem Heben der Anker vor der frischen Morgenbrise fallen zu lassen. Auf der Kajüte stand der Graf, neben ihm Don Estevan mit seiner Tochter, während die Schar der Abenteurer sich auf beiden Decks gruppiert hatte.
Da tönte der Pfiff des Bootsmanns; die Anker erschienen am Bugspriet und das Sprachrohr des Kapitäns donnerte den Befehl zur Lösung der Segel.
»Auf nach Guaymas!«
Ein hundertfältiges Lebewohl, das Winken der Hirte und Tücher begleitete die Bewegung der Schiffe, deren Segel der Wind füllte und die langsam dem Steuer zu gehorchen begannen.
Aus den Reihen der Barken, von der Seite der Inseln Yerba-Buëna her, schoß plötzlich ein leichtes Boot an dem Steuerbord des Schoners vorüber. In dem Boot saßen zwei Männer an den Rudern, ein Indianer und ein Weißer von riesiger Gestalt, während ein indianisches Mädchen im Hinterteil des leichten Fahrzeugs kauerte. Ein dritter Mann stand aufrecht an der Spitze des Kahnes. Als dieser an dem Schoner vorüberschoß, hob der Mann den breiträndrigen Strohhut und das hämische, boshafte Gesicht des Yankee wurde sichtbar.
»Auf Wiedersehen in der Sonora, Señor Conde!«
Der Graf hatte zum zweitenmal, wie damals bei der Abfahrt von Hâvre, den verachteten, aber gefährlichen Feind erkannt. Ein Blick auf den Indianer und seinen Begleiter machte mit Blitzesschnelle die Gewißheit durch seine Seele zucken, daß jener ihm die so lange gesuchten Freunde des Gambusino, seine Miterben, entführte. Er öffnet den Mund zu einem Ruf, aber das Wort, das dem Schiffer beizulegen befahl, verklang ungehört in dem Lärm der Abfahrt, der Wind schwellte die Segel des Schoners, und der Nachen des Verräters war in der Schar der Boote rasch verschwunden.