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Nach zwölfjährigen unsäglichen Anstrengungen und ungeheuren Opfern an Geld und Menschenleben schien endlich durch Marschall Bugeauds umsichtige und energische Leitung die französische Herrschaft in Algerien gesichert. Abd-el-Kader war nach wiederholten Niederlagen auf marokkanisches Gebiet geflüchtet, und selbst die Haschems mit Brüdern und Oheimen hatten um Gnade gebeten.
Da plötzlich, im Sommer 1842, war der vernichtetgeglaubte Emir aufs neue in Algerien erschienen. Viele der treulos gewordenen Stämme waren ihm sofort wieder zugefallen und an Hilfsmitteln unerschöpflich, hatte er aus dem Christenhaß seiner Landsleute sich abermals eine Macht zu bilden gewußt. Die Generale Lamoricière, d'Arbonville und Changarnier, die an alles weniger, als an seinen Angriff dachten, erlitten Ende August und im Lauf des Septembers bei Tedekempt am obern Schelif, und bei Maskara Niederlagen, und es bedurfte eines kombinierten Operationsplans, um ihn wieder zurückzudrängen und die abgefallenen Stämme wieder zu unterwerfen. Besonders die Kabylen erhoben sich bis Konstantine hin, fünftausend derselben griffen den Setif an. Durch gefährliche Streifzüge am Rande der Wüste hin, vom Dschurdschura bis zur marokkanischen Grenze, in Gegenden, die noch nie ein Franzose betreten, suchte der General-Gouverneur den Emir auf einen engen Raum am Schelif zu beschränken, da ihn ganz zu vertreiben nicht gelang, und stellte sich im September selbst an die Spitze einer Expedition ins Innere der östlichen Landesteile, um die dortigen widerspenstigen Kabylenstämme zur Unterwerfung zu zwingen.
Zu jener Zeit war es, als der junge, damals dreiundzwanzigjährige Graf das Abenteuer, das Meister Bonifaz seinen Schiffsgenossen zum besten gab, bestand. Er war Leutnant unter den Chasseurs d'Afrique und gehörte zu einer etwa 5000 Mann starken Expeditionskolonne, die unter dem Kommando Lamoricières in einer Septembernacht von Algier aufbrach, um durch die Metidjah in die Gebirge des Atlas zu rücken und die Stämme der Beni-Azaum und Beni-Atia zu züchtigen, die ein französisches Kommando überfallen und ermordet hatten. Die Kolonne bestand aus zwei leichten Infanteriebataillonen und einem Jäger-Bataillon, einer Kompagnie Zuaven, einer Schwadron Chasseurs und einer Abteilung Spahis nebst einer Batterie Gebirgs-Artillerie. Der Morgen, der die Kolonne bereits in der Metidjah traf, war wunderschön und von belebender Frische. Es war über Nacht starker Tau gefallen, und die Vegetation, die von der Hitze der letzten Tage sehr gelitten, dadurch wieder neu erfrischt. Dichte Gebüsche von Myrten, Tamarinden und Aloes begrünten die Hügelreihen, die den Pfad umsäumten, und ein fast betäubender Wohlgeruch stieg aus ihnen empor.
Es ging bei den Truppen nach der gewöhnlichen Weise der französischen Soldaten sehr heiter und zwanglos her. Die Spahis und Chasseurs tummelten ihre gewandten Berberrosse, mit denen die Kavallerie von Algerien versehen ist, da die europäischen Pferde weder die Strapazen noch das Klima auszuhalten vermögen, und jagten in tollem Galopp die steilen Höhen auf und nieder. Ob schon die Strahlen der Sonne bald glühend auf die Kolonne niederbrannten, ließen sich die daran gewöhnten Soldaten wenig die Beschwerden anfechten und setzten rüstig ihren Marsch fort. Man machte es sich nur so bequem als möglich, öffnete die Uniform, nahm die Halsbinden ab, setzte die Käppis mit dem Nackentuch locker und trug die Gewehre wie es gerade am passendsten war. Trotzdem wurde der Marsch jedoch bald ein ungemein beschwerlicher und gegen Mittag kam der Zug an einen reißenden Bergstrom, dessen Passage mit ziemlicher Gefahr verbunden war. Die Kavallerie passierte ihn leichter, obschon die Strömung so stark war, daß manches Roß den Grund verlor; schlimmer war die Infanterie daran, und um ihr das Durchwaten zu erleichtern, mußte von den ersten Reitern, die den Fluß passierten, ein am diesseitigen Ufer an einem starken Pfahl befestigtes Seil mit hinüber genommen werden, so daß es den Schwächeren einen sicheren Anhalt gewährte. So setzte bald die ganze Truppe über und weiter ging's in dem nun sehr unerquicklichen Terrain, nachdem der General unter dem Kommandanten Yussuf ein Bataillon und einen Teil der Kavallerie hier zurückgelassen, um den Rückzug aus dem Gebirge zu decken. Denn hier teilte sich die Kolonne und rückte in zwei Richtungen in die Berge vor.
Die Abteilung, bei der die Chasseurs sich befanden, und zu der außerdem noch das Jäger-Bataillon Mac-Mahons gehörte, mochte nach einer kurzen Rast an zwei Stunden weiter marschiert sein, während die Luft so heiß war, daß sie wie aus einem glühenden Backofen wehte, als ein Korporal der Avantgarde meldete, daß man rechts in den Bergen wiederholt Flintensalven höre. Wie ein Blitz durchzuckte die Nachricht, daß ihre Kameraden bereits auf den Feind gestoßen, die Soldaten. Jede Ermüdung war sofort verschwunden und die Hitze für die Tapferen nicht mehr vorhanden. Alsbald wurden zwei Kompagnieen voran geschickt, und nach kurzer Zeit marschierten auch die übrigen das Thal in gerader Richtung hinab, während die Chasseurs vorangaloppierten, um als Avantgarde die Gegend zu rekognoscieren.
Wohl eine halbe Stunde war man so in dem sich stets mehr verengenden Thale vorgedrungen, als dies sich plötzlich zu einer breiten Ebene öffnete, die hier und da mit einzelnen hohen Dattelpalmen bewachsen und von ziemlich hohen in Schluchten zerrissenen Bergen umgeben war. Kaum war die Kolonne einige hundert Schritt auf ihr vorgerückt, als plötzlich, einem reißenden Bergstrome gleich, ein Reiterhaufe aus einer dieser Schluchten hervorstürzte. Er mochte wohl an 6-800 Pferde stark sein, obgleich es schwer war, in dem wilden Durcheinander der dahinstürmenden Masse ihre Stärke zu schätzen. Man hörte bereits das wilde Kampfgeschrei der Kabylen; aber ebenso schnell, wie ihr Angriff, waren auch die Zurüstungen der französischen Kompagnieen, ihm zu begegnen. Zu festem Carrè geschlossen stand das Bataillon da, bevor noch eine Minute vergangen war, und ebenso schnell hatten sich die zurückjagenden Chasseurs in das Innere dieses Carrès zurückgezogen. Eine erwartungsvolle Ungeduld lag auf den braunen Gesichtern der Jäger, bis die Schar der Beduinen auf sie heranstürmte. Aber die Hoffnung der Tapferen auf eine volle Salve war vergeblich; denn die arabischen Reiter schwenkten, da sie die Kolonne so fest geordnet sahen und aus Erfahrung das Nutzlose eines solchen Angriffs kannten, in einer Entfernung von ungefähr 500 Schritt plötzlich wieder ab und verschwanden ebenso rasch, wie sie herangekommen waren, in einer Thalschlucht.
Nachdem das Carré noch eine Weile festgeschlossen dagestanden hatte, ließ der Kommandant die Kompagnieen in verbundenen Kolonnen den Marsch wieder weiter fortsetzen. Sie waren kaum über den Thalkessel hinaus, und die Avantgarde bog eben in die enge Schlucht, durch welche der Marsch weitergehen sollte, hinein, als unerwartet aus dem dicken Myrten- und Tamarindengebüsch am Abhange des Berges Schüsse auf sie niederkrachten. Ein Chasseur stürzte samt seinem Pferde tot zusammen, und auch zwei Jäger waren tödlich getroffen, während einige andere verwundet wurden. Der Kommandant ließ sofort die Tirailleurs vorrücken, während die Kompagnieen in Eile wieder in Carré formieren mußten, um etwaigen plötzlichen Reiterangriffen zu begegnen. Mit der großen Gewandtheit und Schnelligkeit, die den französischen Soldaten im Tiraillieren eigen ist, drangen die Züge in die Schlucht ein. Einige Minuten waren kaum vergangen, als hier und da an einzelnen Stellen schon Flintenschüsse zu knallen anfingen. Die Tirailleurs hatten das Gefecht mit dem Feinde begonnen, und wenn auch das dichte Gebüsch es nicht erlaubte, die einzelnen Soldaten in ihm zu sehen, so konnte man doch den schwächern aber dabei schärfern Knall der gezogenen Büchsen der französischen Jäger von dem dumpfen Ton der langen Flinten, welche die Kabylen gebrauchen, unterscheiden.
Das kleine Gefecht hatte wohl schon eine halbe Stunde gedauert, als man auf einer kahlen Klippe, die etwa in einer Höhe von tausend Fuß den Gipfel eines der Berge bildete, welche die Schlucht einfaßten, mehrere Kabylen in ihren schwarzen Burnussen, die langen Flinten in den Händen, sich flüchten und einen Ausweg suchen sah. Sie konnten ihn aber nicht finden, da die Klippe überall von schroffen Felsenabhängen umgürtet war. Bald nach den Kabylen erschien die Gestalt eines ihnen emsig nachklimmenden Jägers. Wie eine Katze, so rasch und gewandt, kletterte die kleine grüne Gestalt dem Feinde nach, dabei sichtlich bemüht, jedes Felsstück, jede Kante zur Deckung des Körpers gegen das Geschoß der Feinde zu benutzen. Jetzt legte ein Kabyle seine lange Flinte auf den Jäger an, aber schnell wie ein Kobold hockte derselbe hinter einem Felsblock zusammen, und die feindliche Kugel riß ihm nur das Käppi vom Kopf, das fort und fort rollend endlich in den Abgrund fiel. In demselben Augenblick feuerte der Jäger seine Büchse ab und tödlich getroffen stürzte ein Kabyle zusammen.
Die Soldaten im Thal verfolgten alle mit eifrigen Blicken das Schauspiel dieses Kampfes oben auf der Felskuppe. Sowie der Jäger geschossen hatte, blieb er auf dem Boden liegen, und man konnte sehen, daß er beschäftigt war, seine Büchse aufs neue zu laden. Ein zweiter Tirailleur kam jetzt angeklettert, seinem ersten Kameraden zur Unterstützung, und alle drei noch übrigen Kabylen feuerten nun ihre Gewehre auf den neuen Feind ab und, wie es schien, nicht ohne Erfolg, denn er wankte einige Sekunden hin und her und fiel dann in ein dichtes Gestrüpp zurück. Diesen Augenblick hatte der erste Chasseur benutzt, von neuem geschossen und wieder einen Kabylen zu Boden gestreckt.
Rufe des Bedauerns über den Fall des Kameraden wechselten unter den Soldaten im Thal mit solchen der Freude und des Enthusiasmus über die Gewandtheit und Tapferkeit des andern ab, der immer noch hinter dem ihn schützenden Gestein auf den Knieen liegen blieb. In wildem Sprung stürzte nun ein Kabyle auf den Jäger zu, der seine Büchse noch nicht wieder geladen hatte, um denselben im Handgemenge anzugreifen. Mit dem blitzenden Hirschfänger vorn an dem Gewehr als Haubajonett, parierte der Franzose, der sich jetzt aufgerichtet und mit dem Rücken gegen einen Felsblock gelehnt hatte, die Hiebe des Gegners. Der zweite Kabyle kam seinem Gefährten zu Hilfe, und vereint drangen jetzt beide auf den Jäger ein. Mit großer Gewandtheit hin- und herspringend, wußte dieser aber den Kampf auch mit beiden Gegnern noch fortzusetzen, und rasch wie ein Blitzstrahl schwirrte seine Waffe in leuchtenden Kreisen in der Luft umher.
Mit ängstlicher steigender Spannung verfolgten alle unten im Thal diese Kampfesscenen. Lange schien der tapfere Jäger nicht mehr Widerstand leisten zu können; denn während der eine fortwährend heftig auf ihn eindrang, fing der andere an, sein Gewehr zu laden, um ihn mit einem Schusse niederzustrecken. Da machte der Bedrängte eine gewaltige Anstrengung, sprang auf den Block und hieb in demselben Augenblick, wo der Kabyle in zu wildem Eifer ihm folgen wollte, diesen mit dem Bajonett so über den Kopf, daß er zusammenstürzte.
Während dieser Kampf auf der einen Seite der Klippe stattfand, tauchten fünf Kabylen plötzlich wieder aus den Gebüschen oben hervor, die ebenfalls in wilder Eile zu fliehen schienen. Mit ihnen zugleich fast kamen aber auch immer mehr und mehr Tirailleurs zum Vorschein, eifrig in der Verfolgung der fliehenden Feinde begriffen. Ein allgemeiner Kampf begann jetzt von neuem auf der Klippe; denn die Araber, denen jede weitere Flucht hier abgeschnitten war, mußten kämpfen oder sich ergeben. Aber immer mehr und mehr Jäger drängten nach, überall aus den Büschen schimmerten ihre schwarzen Käppis hervor. Wiederholt knallten die Büchsen nun oben in der Höhe, und als der Pulverdampf sich etwas mehr verzogen hatte, sah man alle Kabylen tot am Boden liegen, während die Tirailleurs beschäftigt waren, ihre Burnusse nach Beute zu untersuchen.
Um die Tirailleurs nicht zu weit auseinanderkommen zu lassen, was bei den mit dichten Gebüschen bewachsenen Kuppen und Schluchten leicht möglich war, ließ der Kommandant des Bataillons die Hornisten jetzt unten im Thal das Signal zum Sammeln und Zurückgehen geben, und die Hornisten, die mit der Tirailleurlinie vorgegangen waren, wiederholten es alsbald. In größeren und kleineren Trupps, je nachdem sie sich beim Klettern zusammengefunden hatten, kamen die Soldaten nun allmählich zurück. Obwohl die Uniformen von den Kletterpartieen mitunter hart mitgenommen aussahen, manche der Jäger auch tüchtig an den Händen zerschunden oder im Gesicht zerkratzt waren, herrschte bei allen Freude und Triumph über das eben bestandene kleine Gefecht. Namentlich ward der Jäger, der sich oben auf der Klippe so heldenmütig verteidigt hatte, von seinen Kameraden mit Jubel empfangen und von den Offizieren und dem Kommandanten belobt, der ihm das Versprechen gab, daß ihm das Kreuz der Ehrenlegion nicht entgehen solle. Dann ward von den Jägern ein Grab gegraben, um die beiden Kameraden, deren Leichen man mit Mühe von den Klippen heruntergebracht, nebst den im Thale Erschossenen zu beerdigen. In ihre Kapotmäntel gehüllt, wurden die Leichen in die Grube gelegt, worauf ein Peloton Soldaten eine dreimalige Salve als letzte militärische Ehre für die Toten abfeuerte. Auf das Grab selbst wurden große Felsstücke gewälzt, um die zahlreich herumschwärmenden Schakals und Hyänen abzuhalten, die Leichen wieder auszugraben. Ein einfaches Kreuz, in Eile von den Sappeurs zusammengezimmert, bezeichnete die Stelle als die letzte Ruhestätte gefallener französischer Soldaten. Am Eingang der Schlucht im Thale schlugen die Truppen ihr Biwak auf, da der Abend bereits nahte und der Kommandant nicht wagte, in der Dunkelheit weiter vorzurücken. Der starke Tagesmarsch in der furchtbaren Hitze und der darauf folgende Kampf hatte alle ermüdet, und der Befehl war daher ein willkommener. Im Schatten hochstämmiger Orangenbäume, deren Blüten die Luft umher mit ihrem Duft erfüllten, waren bald die kleinen Kochfeuer angezündet, um aus den Rationen von Reis und gedörrtem Fleisch eine dicke Suppe zu bereiten. Frische Orangen von seltener Süße und Fülle des Saftes, die man nur von den Bäumen herabzuschütteln brauchte, bildeten das köstlichste Dessert des frugalen, aber durch hundert Späße, Lieder und Erzählungen von Jagd- und Kriegsabenteuern gewürzten Mahles.
Am andern Tage vereinigten sich die beiden Kolonnen aufs neue, und es gelang ihnen, die Tribus der Beni-Azoum zu überfallen, nach einer blutigen, aber vergeblichen Gegenwehr ihre Dacheras Wohnplätze der Kabylen; die der Araber heißen Duar's. in Brand zu stecken und bedeutende Viehherden zu erbeuten. Mit diesem Resultate zufrieden, beschloß der General den Rückzug, da durch die verschiedenen, an den Felspässen zurückgebliebenen Detachements die Kolonne zu sehr geschwächt war, um den Zug mit Sicherheit noch weiter ausdehnen zu können.
Aber dieser Rückzug sollte nicht so gefahrlos werden, wie das Vordringen; denn die Stämme der Beni-Mus, Beni-Atia und Beni-Gamat hatten sich gesammelt und sperrten den Weg nach der Arba, erbittert über die Zerstörung ihres Eigentums. Die Kolonne hatte um 24 Stunden zu lange gezögert, vierzig vereinigte Stämme hatten bereits alle Pässe von den warmen Bädern bei Melouan bis zum Marabut von Sidi Aly am Djemaa besetzt.
Ein langes Defilee, in dem drei Stunden hindurch nur einer hinter dem andern gehen konnte, mußte passiert werden. Diesen Punkt hatten sich die Araber ausersehen, um einen Hauptangriff auszuführen. Evolutionen zu machen, war hier unmöglich; nicht einmal die Berggeschütze, die auseinander genommen, auf Mauleseln nachgeführt wurden, konnten gebraucht werden; denn der Felsensteg, auf dem man vorrücken mußte, war so schmal, daß man die Lafetten unmöglich aufstellen konnte. Hinter den Felsen und Gebüschen zur Rechten und Linken und auf dem Rücken der benachbarten Berge folgten die Beduinen, beinahe sicher vor den französischen Kugeln, der Kolonne und unterhielten mit ihren Flinten, die – fast doppelt so lang als die der Gegner – auch viel weiter reichten, ein ununterbrochenes decimierendes Feuer. Besonders heftig wurde dem Nachtrab zugesetzt, und fast alle Offiziere, die denselben begleiteten, fielen oder wurden schwer verwundet. Die Leute, vom Feinde gedrängt und mit Erbitterung angegriffen, gerieten in Verwirrung, und nur das persönliche Herbeieilen des Generals Lamoricière und des Kommandanten MacMahon vermochte die Unordnung wieder zu heben, die sich bereits dem nächsten Bataillon mitgeteilt. Der Verlust der Franzosen war entsetzlich, und der Rückzug nach dem Djemaa eine der blutigsten Niederlagen in der Geschichte der Eroberung Algeriens.
Endlich erreichte das Korps einen kleinen, von Felsen und Gebüschen umgebenen Thalgrund, der ihm erlaubte, in Kolonne zu marschieren und die Bergkanonen aufzustellen. Kein einziger Feind zeigte sich mehr, und man war überzeugt, daß alle in ihre Dacheras zurückgekehrt wären, zufrieden mit der Rache, die sie an ihren Gegnern genommen. Aus Vorsicht sollten jedoch kleinere Detachements auf die Anhöhen und in die Gebüsche zu seiten des Weges vorausgeschickt werden, und der General selbst rief hierzu Freiwillige auf.
Unter denen, die sich sogleich meldeten, stand der Graf Boulbon an der Spitze. Sein Pferd war bei dem Passieren des Engpasses erschossen worden, so daß er sich den Fußtruppen hatte anschließen müssen, und er erhielt den Auftrag, mit zwölf Voltigeurs sich links zu ziehen und in einiger Entfernung gleichsam als verlorner Posten dem Nachtrab des Korps zu folgen, um eine erneuerte Annäherung der Feinde sofort zu entdecken. Nachdem die Voltigeure ihre Distanzen genommen hatten, drangen sie mit den furchtbarsten Anstrengungen auf dem rauhen, steinigen, durchglühten Boden in der versengenden Hitze der Mittagssonne über Felsen und Schluchten durch dichte, ihre Kleider und ihre Glieder zerreißende Gebüsche von Dornen, Aloe und Kaktus wieder zurück in das gefährliche Gebirge bis auf die Entfernung von einer halben Stunde, ehe sie Kehrt machten und nun dem Hauptkorps in gleicher Distanze folgten.
Nach einer Stunde der höchsten Anstrengung, als der Nachzug des Korps hinter einer Felswand seinen Blicken verschwunden war und auch die Tirailleurs in dem hier ziemlich hohen und dichten Olivengehölz sich verloren hatten, wurde der junge Offizier plötzlich von zwölf bis fünfzehn Kabylen, die hinter ihm aus den Hecken hervorsprangen, angefallen und nach kurzer Gegenwehr und fruchtlosem Hilferufen durch einen Kolbenschlag besinnungslos zu Boden gestreckt. Die Feinde machten sich eben daran, ihm den Kopf abzuschneiden, als sie in einiger Entfernung die Voltigeure bemerkten, die zwar mehrere Araber davonsprengen sahen, aber nicht ahnten, daß ihr Führer von denselben überfallen und verwundet worden war, und die deshalb ihren Weg hinter dem Korps her ohne ihn fortsetzten.
Der Leutnant blieb mehrere Stunden bewußtlos in seinem Blute liegen; denn als er wieder zu sich kam, war die Sonne nur noch wenige Grade über dem Horizont. Von dem Blutverlust, den er erlitten, außerordentlich geschwächt, von den Schmerzen, die ihm die übrigens nicht gefährlichen Wunden verursachten, und von quälendstem Durste gepeinigt, von seinem Korps getrennt, mitten in einem unbekannten, unwegsamen Lande und umgeben von blut- und rachedurstigen Feinden, fand er sich in einer höchst traurigen Lage. Er gab jedoch noch nicht alle Hoffnung auf. Glücklicherweise hatten ihm die Feinde in ihrer Eile Waffen und Kleider gelassen, das Jägergewehr, mit dem er sich zum Zweck des Tiraillierens bewaffnet, hatte zwar einer der Araber mitnehmen wollen, es aber einige Schritte weiter wieder von sich geworfen. Aimé zerriß sein Hemd, um seine Wunden zu verbinden, lud sorgfältig seine Büchse und schleppte sich, anfangs freilich mit der größten Mühe, in der Richtung fort welche die Expeditions-Kolonne genommen. Er hatte seine Feldflasche noch halb gefüllt mit Branntwein, der ihm zur Stärkung und Anregung diente.
So lief er denn, so schnell er konnte, durch den Gebirgspaß der Kolonne nach, die ihm wenigstens schon fünf Stunden voraus sein mußte. Aber kaum hatte er etwa eine Meile zurückgelegt, als er zu seinem nicht geringen Schrecken drei bewaffnete Mauren hinter einer Felsenwand hervorkommen und im Galopp mit geschwungenen Yatagans auf sich einstürmen sah.
Die höchste Entschlossenheit und Umsicht war ihm jetzt nötig. Glücklicherweise folgten die Reiter einander in einer Entfernung von zwanzig bis dreißig Schritten, so daß er Zeit genug behielt, auf den ersten zu feuern, ehe der zweite herankam.
Er hatte das Glück, jenen zu treffen, so daß er tot vom Pferde stürzte, und als der zwecke herbeistürmte, verteidigte er sich mit dem Bajonett und brachte zuerst dem Pferd einen Stich in die Nase und als dieses sich bäumte, dem Reiter einen in die linke Seite bei. Schon war der dritte, der, ohne zu treffen, seine Flinte und eine Pistole auf ihn abgefeuert, bis auf etwa fünf Schritt herangekommen, während der Graf noch mit seinem zweiten Feinde beschäftigt war; als jener aber diesen fallen und den jungen Franzosen aufs neue zum Kampfe bereitstehen sah, wandte er sein Roß kurz auf den Hinterbeinen um und jagte mit dem Geschrei: » El-mout! El-mout!« im Galopp über Felsen und Büsche davon. Auch die beiden sattelledigen Pferde folgten, ehe sich der Offizier eines solchen bemächtigen konnte, mit Blitzesschnelle nach, während ihre Herren in ihrem Blute am Boden lagen.
Der eine, der zuerst gefallen war, mochte wenigstens 60 Jahre alt sein und hatte ein sehr vornehmes, obwohl finsteres und wildes Aussehen. Der andere Tote mochte kaum sein 22. Jahr erreicht haben; er war in seiner vollen Jugendkraft und Schönheit, nur seine Oberlippe war von einem langen schwarzen Schnurrbart überschattet, und seine Gesichtsfarbe und Kleidung kündigte den in der Stadt aufgewachsenen Sohn einer wohlhabenden Familie an. Sein weißer Turban war ihm vom Haupte gefallen und lag aufgewunden neben ihm; sein feinwollener Burnus lag im Blut ausgebreitet und ließ eine reich mit Gold durchwirkte türkische Weste und weite rote Beinkleider sehen. Sie gingen bis zu den Knieen und waren durch einen künstlich gefertigten, mit Perlen gestickten Leibgürtel festgehalten, an dem zwei schöne, mit Silber ausgelegte Pistolen hingen.
Da der Offizier keine Zeit zu verlieren, auch an seinen eigenen Waffen genug zu tragen hatte, verschmähte er jede andere Beute und nahm nur den Gürtel mit den Pistolen des Jüngern zu sich, indem er dachte, daß diese ihm nützlich sein könnten. Er band ihn unter seinem Mantel fest und setzte, da er von dem am Leben gebliebenen Araber mit Hilfe anderer verfolgt zu werden fürchtete, seinen Marsch mit Eile und Behutsamkeit fort. Er war froh, daß die bald darauf eintretende Nacht ihm vor Verfolgung größern Schutz gewährte, ohne daran zu denken, daß er im Dunkeln ohne Zweifel den Weg verlieren und in den unbekannten Gebirgen sich verirren würde.
So geschah es denn auch. Der Pfad zog sich bald rechts, bald links durch Gebüsche, wo hundert andere sich kreuzten, und über nackte, kahle Felsen, wo er ganz unsichtbar ward. Der junge Mann verlor denn auch bald jede Spur und sah sich genötigt, über Schluchten und Felsen, durch Dornen und Sträucher aufs Geratewohl der Richtung zu folgen, in der er sich die Metidja und das Meer dachte. War er nur erst unten in der Ebene, so sah er sich schon als gerettet an, ohne zu bedenken, daß er dort ebenso großer Gefahr von seiten der Araber und selbst durch wilde Tiere ausgesetzt war. Aber all sein Suchen nach einem Ausweg aus dem Gebirge war fruchtlos. Wenn er zwischen den Bergen einen freien Raum zu entdecken glaubte, so stellte sich, wenn er näher kam. eine neue Anhöhe, ein neuer Fels seinem Vordringen entgegen. Wasser, seinen brennenden Durst zu löschen, fand er gar nicht, alle Bäche des Gebirges, alle Quellen schienen vertrocknet; dabei begannen seine Wunden immer heftiger zu schmerzen. Er war endlich gegen Mitternacht so müde und erschöpft, daß er sich, ohne Rücksicht auf die neue Gefahr und auf die noch größere, der er sich bei Tage in dieser Gegend aussetzte, niederlegen wollte, als er das vor ihm liegende Gebüsch sich öffnen sah. Er lief gegen die Gebirgsspalte hin und erblickte endlich zu seinem Entzücken in der Tiefe vor sich die Ebene Metidja und am Horizont das Meer, aus dem stillen Dunkel mit seinem weißen Schein sich abzeichnend. Eine Reihe von Feuern, die in der Ebene brannten, schien ihm das Lager der Seinen anzukündigen, und neu gestärkt durch diese erfreuliche Gewißheit, begann er die Gebirgsabdachung hinabzusteigen, um zu seinem Korps zu stoßen. Von der Höhe herab schien ihm die Entfernung nicht mehr als eine halbe Stunde zu betragen, aber er fand sich schwer getäuscht, als er gegen die Tiefe niederstieg. Er brauchte ungefähr eine Stunde, bis er unten war, denn mehr als zehnmal mußte er wegen schroffer Felsenwände, auf die er stieß, oder tiefer Schluchten, die seinen Fortgang hemmten, umkehren und bald zur Rechten, bald zur Linken ausweichen. Als er endlich am Fuß des Gebirges ankam, wußte er nicht mehr, welche Richtung er nehmen sollte, denn die Feuer, die ihm scheinbar das Lager der Seinen verkündigt hatten, waren samt all den Punkten, nach denen er sich von der Höhe aus orientieren konnte, aus seinen Augen verschwunden. Er mußte demnach wieder aufs Ungefähr der Richtung folgen, die ihm die beste schien, und bald verirrte er sich wieder aufs neue.
Eben hatte er sich um einige niedere Felsen gewendet, als er das Rauschen einer Quelle zu hören glaubte. Aufs höchste erfreut, hielt er den Schritt an und horchte – er hatte sich nicht getäuscht, in geringer Entfernung vor ihm murmelte deutlich der Fall des Wassers, wie der kleine Bach oder Quell aus einer Felsenspalte quoll und in ein natürliches Becken von Stein niederfloß. Von den Leiden des Durstes fast aufgerieben, riß er die Zweige auseinander, die ihn von dem Rasengrund der Quelle trennten und wollte sich auf diese stürzen, als ihn ein eigentümlich prasselndes Krachen, wie wenn Knochen zermalmt würden, und gleich darauf ein murrendes dumpfes Brummen zurückschreckte, und sich zwischen ihm und der Quelle ein dunkler Schatten erhob.
Das Sternenlicht fiel in die Steinschlucht und ließ die Gegenstände zur Genüge erkennen; vor ihm – kaum zwanzig Schritte entfernt – stand ein großer Löwe.
Das majestätische Tier war offenbar aus dem Gebirge herabgekommen, um an der Quelle – vielleicht war dies der einzige Ort auf viele Meilen in der Runde, an dem noch Wasser zu finden war – zu trinken, und hatte darauf hier sein Lager genommen, um an den zu gleichem Zweck herkommenden Tieren seine Mahlzeit zu halten. Der junge Chasseur konnte sehen, wie am Rande der Quelle der Überrest einer Antilope lag, die der Löwe dort erwürgt und verzehrt hatte.
Einen Augenblick lang stand der junge Mann in regungslosem Entsetzen vor dieser neuen und furchtbaren Gefahr, und wagte es kaum, zu atmen. Der Löwe stieß jetzt ein Brüllen aus, das von den nahe liegenden Felsen mit einem donnerartigen Echo zurückgeworfen wurde, und den Soldaten bis in das innerste Mark schaudern machte. Die Augen des Tieres leuchteten wie zwei Kohlen in der halben Dunkelheit.
So tapfer der junge Mann war, so erbebte er doch einen Augenblick bei diesem furchtbaren unerwarteten Anblick.
Sein Karabiner war zwar geladen, aber er wußte aus den Erzählungen der Araber wie den Abenteuern Hassans, des berühmten Löwenjägers Hamed Beys und Vorgängers Gérards, der damals eben erst nach Bona gekommen war und bei demselben Korps, wie der junge Graf stand, daß der Löwe selten auf den ersten Schuß fällt, die Kugel müßte ihm denn durch das Auge ins Gehirn gedrungen sein.
Aber er hatte eben nur eine Kugel; der König der Wüste ließ ihm gewiß nicht Zeit, den Karabiner wieder zu laden, der überdies ein Kommißgewehr und wenig zur Jagd auf ein so mächtiges Raubtier eingerichtet war.
Ja er wußte nicht einmal, ob die Pistolen, die er dem getöteten jungen Araberhäuptling abgenommen, geladen waren; er hatte vergessen, sich davon zu überzeugen.
Dennoch dachte er keinen Augenblick an einen Rückzug, selbst wenn dieser möglich gewesen wäre. Er erinnerte sich mit jener Gedankenschnelle, die in Augenblicken der Gefahr ein ganzes Leben zu durchlaufen scheint, daß erst sehr wenige französische Offiziere seit der Eroberung Algeriens das Jagdglück gehabt hatten, einen Löwen zu erlegen, und daß, wo dies geschehen, es bei großen Jagden inmitten von Schützen und Treibern geschehen sei oder höchstens von einem gesicherten Anstand aus, und im selben Moment stand auch der Entschluß bei ihm fest, die Trophäe eines gefährlicheren Sieges als des über die Kabylen ins Lager zu bringen, oder an der Quelle sein Leben zu lassen.
Er rief sich rasch alles ins Gedächtnis zurück, was er über den Charakter und die Kampfart der Löwen gehört hatte und machte sich bereit.
Es bedurfte nur eines Moments, um den Karabiner in die linke Hand gleiten zu lassen und den Hahn zu spannen. So stand er schußfertig dem Löwen gegenüber und erwartete ihn mit festem Blick.
Der Löwe war ein kolossales Tier von der gefürchteten schwarzen Art, die der Araber el adrea nennt und die sich gewöhnlich nur im Gebirge aufhält. Sein Kopf war groß, mit einer dichten und langen schwarzen Mähne besetzt. Er hatte bei der blitzschnellen Bewegung des Offiziers und dem Knacken des Hahns einen Sprung vorwärts gethan und befand sich jetzt etwa noch zehn Schritt von seinem Gegner entfernt, den er, auf den Boden gekauert, den Kopf zwischen den Vorderpranken aus den kleinen glühenden Augen betrachtete.
Wohl eine halbe Minute lang standen sich so der Mann und das Raubtier bewegungslos gegenüber und die Spannung war furchtbar; der Graf fühlte, daß er sie nicht länger ertragen könne, ohne seine Ruhe zu verlieren, und daß er den Kampf eröffnen müsse.
Langsam begann er daher den Karabiner zu heben, um ihn in schußgerechte Lage an die Wange zu bringen.
Aber so langsam und vorsichtig auch diese Bewegung war, dem scharfen Auge der Bestie war sie keineswegs entgangen. Der Löwe stieß ein markdurchschütterndes Gebrüll aus und hob sich zum Sprung.
Im Nu war der Karabiner an der Schulter des Schützen und der Schuß krachte.
Er hatte keine Zeit gehabt, um zu zielen und nur auf die dunkle Masse gehalten. Aber er wußte, daß er ein sehr sicherer Schütze war und schwerlich gefehlt haben konnte.
Dennoch schien die Kugel keine Wirkung auf das Raubtier geübt zu haben, denn er sah den dunklen Körper im Sprung auf sich zufliegen und kaum zwei Schritte vor sich niederfallen, so dicht, daß er den heißen Brodem des Rachens fühlen konnte.
Der Graf begriff, daß er im nächsten Augenblick verloren sei, wenn es ihm nicht gelänge, den Löwen kampfunfähig zu machen.
Mit diesem Gedanken zugleich hatte er auch den Karabiner umgedreht und schmetterte mit einem so gewaltigen Hiebe den Kolben auf den Schädel des Löwen nieder, daß das Holz in hundert Splitter zersprang und er den Lauf allein in der Hand behielt.
Die merkwürdige Körperkraft des Grafen war schon in seinen jüngeren Jahren in der ganzen Armee von Algerien bekannt. Der Schlag hatte den Löwen so betäubt, daß er auf den Rücken fiel und mit den Pranken durch die Luft schlug.
Diese momentane Pause benutzte der kühne Offizier, um den unnützen Gewehrlauf fortzuwerfen und seinen Säbel zu ziehen. Ohne einen Moment der Zögerung stürzte er sich mit der blanken Waffe auf den fürchterlichen Gegner und schlug ihm mit einem gewaltigen Hieb die rechte Vorderpranke im Gelenk durch, so daß sie nur noch mit der Haut und einigen Sehnen an dem Bein hing.
Das Gebrüll des Löwen bei diesem neuen Schmerz war so entsetzlich, daß es selbst das furchtlose Herz des Siegers erbeben machte. Das königliche Tier versuchte es, sich wieder auf die Füße zu werfen und zu einem neuen Sprung anzusetzen, während der Offizier ihm wiederholt den Säbel in den Rachen und den Leib stieß. Aber die zerhauene Pranke hinderte es an der raschen Bewegung, indes sein Blut in Strömen aus mehreren Wunden rann, denn auch der Schuß hatte getroffen, wenn auch nicht an einer tödlichen Stelle.
Dagegen brach ein Hieb mit der gesunden Tatze der Bestie die Klinge des Säbels fast am Griff ab, und der Graf war jetzt nur noch mit den beiden Pistolen des jungen Sheikh bewaffnet.
Er fühlte, daß er bereits der Sieger war und daß der grimmige Feind, der sich brüllend am Boden wälzte, ihm nicht mehr zu schaden vermochte. Er selbst war merkwürdiger Weise mit Ausnahme einiger unbedeutenden Schrammen in dem furchtbaren Kampf ohne weitere Verletzung geblieben. Einige Schritte zurücktretend, um dem wilden Umsichschlagen der Tatzen zu entgehen, betrachtete er den Todeskampf des mächtigen Tieres.
So erschöpft er auch war, er dachte jetzt doch nicht mehr an die Quelle, um die sie gekämpft hatten, ja er fühlte ein gewisses Mitleid mit dem besiegten Gegner, und indem er die eine der Pistolen des Arabers aus dem Gürtel zog, trat er dem Löwen wieder näher und richtete sie auf den Kopf des Tieres, um seinen Todeskampf zu enden.
Aber das Abdrücken belehrte ihn, daß die Waffe bereits abgeschossen war, und erst das zweite Pistol gab Feuer. Er hatte nach dem Auge gezielt und mit sicherer Hand geschossen; der riesige Körper des Löwen zuckte beim Empfange der Kugel zusammen, dann streckte er die Glieder und blieb bewegungslos liegen.
Der Graf steckte die Pistolen wieder in den Gürtel, nahm den Lauf des Karabiners auf und stieß wiederholt den Löwen an – das Tier war tot. Mit einem Gefühl des Triumphes setzte er seinen Fuß auf den leblosen Körper und dachte daran, was seine Kameraden sagen würden, wenn er ihnen die Beweise seiner Siege bringen würde.
Endlich trat die Qual des furchtbaren Durstes wieder in ihr Recht und erweckte ihn aus diesen stolzen und eitlen Gedanken. Er verließ den Körper des Löwen und warf sich am Rande der Quelle nieder, um den heißersehnten kühlen Trank in langen Zügen in die brennende Kehle zu schlürfen.
Dann, nachdem er sich hinreichend erfrischt und Kopf, Hände und Füße in dem kühlenden Element gebadet und seine Wunden neu verbunden hatte, trat er wieder zu seinem toten Feinde und schnitt ihm als Zeichen und Andenken seines Sieges beide Pranken vollends ab, bevor er sich aufs neue auf den Weg machte. Das Wasser hatte ihn zwar etwas erfrischt, indes die furchtbare Anstrengung und Aufregung hatte ihn doch so ermattet, daß er nur mühsam weiter schwanken konnte, und als er endlich, aus dem Schatten eines Gehölzes von Korkeichen tretend, den schwachen Schimmer eines Lichtes gewahrte, beschloß er, hier Unterkommen zu suchen, selbst auf die Gefahr hin, in feindliche Hände zu fallen. Näher kommend fand er ein kleines Gehöft der Kabylen, bestehend aus mehreren aus Steinen gebauten Hütten; aber nur aus einer von ihnen schimmerte Licht. Die Hunde, ohne die kein Kabylen- oder Araberdorf bestehen zu können scheint, erhoben ein wütendes Gebell, als er sich näherte, und er vermochte kaum, sie abzuwehren, als er auf die Thür losschritt. Im Vorübergehen bemerkte er in einer großen, von hoher Einfassung umgebenen Hürde mehrere Pferde und Ochsen, ein Beweis, daß der Herr des Hauses zu der wohlhabenderen Klasse gehörte.
Noch ehe er die Thür erreicht, öffnete sich diese, und ein Araber, in seinen Burnus gehüllt, trat auf die Schwelle, in der Rechten die Flinte, in der Linken die brennende Lampe hochhebend. Hinter ihm wurde die Gestalt seines Weibes sichtbar. Der Hausherr mußte jemanden erwarten, denn noch bevor er den Nahenden erkennen konnte, rief er ihm entgegen: »Mashallah, Dank sei dem Propheten, daß Du kommst!«
Sein Schutzgeist gab dem jungen Manne ein, diese Begrüßung sogleich durch jene Formel zu erwidern, mit welcher der Fremde die arabische Gastfreundschaft anruft, die ihm alsdann kein Araber verweigern darf, ohne sich der höchsten Schande auszusetzen. Der Graf kannte diese Gebräuche aus den Erzählungen seiner Kameraden, und da er bereits das Arabische ziemlich gut verstand, sagte er ohne Zaudern: »Dif-Erbi, ein Eingeladener Gottes!«
Der Kabyle, obgleich getäuscht in seiner Erwartung, zögerte doch nicht, zu erwidern: »Marsaba-bick, Du bist willkommen!« indem er zugleich dem Gaste Platz machte, damit dieser über die Schwelle treten könne.
Bei dem ersten Schritt, den der Offizier in die Hütte machte, erkannte er im Licht der Lampe und eines Feuers auf dem niedern Herd, daß er sich in der Wohnung eines Kriegers, und zwar eines Mannes befände, der eben erst aus dem Kampf gegen die Franzosen und von ihrer Verfolgung zurückgekehrt war.
An der Wand der Hütte lagen Sattel und Zaum, daneben Pistolen, Yatagan, Säbel und Kugeltasche und ein mit Blut befleckter französischer Militärmantel. Auf einer Matte waren mehrere Lebensmittel ausgebreitet, da der Hausherr wahrscheinlich eben seine Mahlzeit eingenommen hatte. Der Graf, der im Schein der Lampe den finstern Blick bemerkte, den der Kabyle ihm zuwarf, als er seine Uniform erkannte, ging sogleich auf die Matte zu, brach ein Stück des Maiskuchens ab, tauchte es in Salz und aß es; damit hatte er sich unter den Schutz des Hausherrn gestellt, und dieser war für alles, was ihm, während er sein Gastfreund war, geschah, verantwortlich. Man kennt kein Beispiel, daß ein Araber in seinem Hause das heilige Gesetz der Gastfreundschaft verletzt hätte!
Die Stirn des Arabers wurde dunkel, doch bezwang er sich gewaltsam, nahm den Rest des Brotes und aß ihn. Dann lud er den Gast ein, sein Mahl zu teilen.
»Du bist von der Schar der Franken, welche die Duars unserer Brüder, der Beni-Azoum, zerstört haben?«
»Ich gehöre zur Kolonne des Generals Lamoricière, die von den Arabern angegriffen wurde. Du warst einer unserer Feinde?«
»Inshallah! Ich bin ein Bel-Hocein! Weißt Du, ungläubiger Franke, wer die Bel-Hoceini sind?«
»Nein, mein Aga!«
»Die Bel-Hoceini sind die wahren Abkömmlinge derer, die über das Meer herkamen vor der Zeit, da unsere Väter in Granada waren. Es sind die Kinder der Romani Der Römer. Die Familie der Bel-Hocein leitet wirklich noch ihre Abstammung von den römischen Eroberern her. und niemals werden sie die Sklaven der fränkischen Hunde sein! Ich war dabei, als die Rechtgläubigen Eure Reihen schlugen im Paß von Zerguin. Diese Flinte da hat zehn der Deinen getötet!«
Der junge Franzose konnte sich nicht enthalten, seinen Gastfreund mit einigem Mißtrauen anzublicken bei dieser Erzählung. Es war ihm um so unheimlicher zu Mute, da es ihm vorkam, als ob er sein Gesicht schon irgendwo gesehen, ohne daß er sich erinnern konnte, wo dies gewesen. Da zu den Pistolen des jungen Arabers ihm die passende Munition fehlte, war er jetzt aller seiner Waffen verlustig, widerstandlos dem erbitterten Feinde seiner Nation preisgegeben.
»Ich habe mich verirrt von unseren Truppen,« sagte er endlich, »und ich bin allein in Deiner Gewalt. Aber es würde unedelmütig von Dir sein, Deinen Vorteil zu mißbrauchen, und Strafe finden; denn ich weiß, daß Dein Prophet diejenigen zur Jehennah verdammt hat, die den Gast kränken. Ich habe des Kampfes und der Gefahren heute zur Genüge bestanden.« Damit zog er die blutigen Tatzen des Löwen unter seinem Uniform-Burnus hervor und legte sie vor seinen Wirt.
Dieser blickte ihn erstaunt an. »Bismillah! was ist das?«
»Du siehst es, Freund, die Tatzen eines Löwen, den ich unfern von hier an einer Quelle erlegte!«
Der Araber sprang erfreut empor und rief seinem Weibe zu: »Komm' her, Zulmah, und sieh' diesen Franken! bei Allah, er hat Herrn Johann, den Sohn Johanns, getötet, den wir diese Nacht brüllen hörten, und der seit fünf Jahren die Herden unserer Dacheras mordet, ohne daß ein Sohn des Propheten ihn zu töten vermochte! Sprich, Franke, wie ist es Dir gelungen, zu thun, was die beste Flinte des Gebirges nicht vermocht hat?«
Der Graf erzählte den Hergang, während seine beiden Wirte ihn mit unverhohlenem Erstaunen ansahen.
»Du bist jedenfalls ein Tapferer,« sagte der Araber, indem er ihm die Hand reichte, »und ich achte und liebe die Tapferen, wenn ich auch Dein Volk hasse als die Unterdrücker des meinen und die Verführer meines einzigen Kindes, das von ihrer falschen Zunge bethört in ihre Städte gegangen war und das Zelt seiner Väter verlassen hatte. Aber es ist wiedergekehrt zu dem Haus, das es geboren, es hat die gespaltene Rede der Männer aus Frangistan kennen gelernt und es ist wieder ein Araber der Araber geworden. In, heutigen Kampfe war mein Sohn an meiner Seite und auf Euren flüchtigen Fersen. Er wird heimkehren mit Ruhm und Beute zu der Schwelle seiner Eltern. Aber fürchte Dich nicht, Du bist mein Gast und hast mein Brot gegessen, und niemand soll Dir etwas zuleide thun, so lange Ibrahim Bel-Hocein lebt!«
Er ergoß sich in einen Redestrom über die Eigenschaften des verlorenen Sohnes, der, von der Lust und den Vergnügungen der französischen Städte angelockt, sich den Herren des Landes angeschlossen hatte, bis irgend ein Streit oder eine getäuschte Erwartung ihn mißmutig wieder zu einem Feinde der Franzosen gemacht hatte. Als er aber bemerkte, daß darüber seinem Gaste die Augen zufielen, brach er sofort ab und lud diesen höflich ein, auf das für ihn im Winkel des als Küche und Männerwohnung benutzten Raumes bereitete Lager sich niederzulegen. Der Graf warf sich, in seinen Burnus gehüllt, auf die Filzteppiche, und selbst die Gewißheit, daß ihm während des Schlafs der erbitterte Feind seines Landes den Hals abschneiden würde, hätte nicht vermocht, ihn auch nur eine einzige Minute länger wach zu halten.
Er mochte etwa vier Stunden fest und traumlos, ohne die geringste Störung zu empfinden, fortgeschlafen und die erschöpfte Natur ihre Kräfte einigermaßen wieder erfrischt haben, als er am Arm aufgerüttelt wurde.
Er richtete sich empor; ein Blick umher zeigte ihm was geschehen.
Durch seine Bewegungen im Schlaf war sein Burnus zurückgefallen, und die Augen der drei Personen, die sein Lager umstanden, waren mit dem Ausdruck des Hasses und des Schmerzes auf den Perlengürtel gerichtet, den er am Tage vorher dem jungen erstochenen Araber abgenommen hatte, und den er um den Leib geschnallt trug.
Das Weib seines Wirtes schluchzte heftig; in der Aufregung des Schmerzes hatte sie die Schleier von ihrem Haupte gerissen, und die langen schwarzen Haare schlugen wirr um das thränenfeuchte, trotz ihrer vierzig Jahre noch immer schöne Gesicht. Der Hausherr selbst stand, krampfhaft die Hand um den Griff seines Yatagans gepreßt, und schaute mit finsteren Blicken auf den jungen Soldaten, der mit Entsetzen in dem wilden, rachedurstigen Gesicht des Dritten den Araber wiedererkannte, der zuletzt von jenen Dreien ihn angegriffen und, nachdem er vergeblich auf ihn geschossen hatte, geflohen war.
»Was zauderst Du, Ibrahim Bel-Hocein?« rief der Fremde wild, »laß uns die Schlange, die gezischt hat, töten, zur Ehre Allahs und zur Sühne des Blutes, das sie vergossen!«
Er schwang wild den Yatagan über dem Haupte des jungen Soldaten, der unwillkürlich nach den nutzlosen Pistolen griff, aber der Hausherr streckte schützend den Arm dazwischen. »Zurück, Achmet! wärst Du so tapfer gewesen gegen den kämpfenden Feind, wie Du es jetzt gegen den wehrlosen bist – Bugrada und Assaunah, die Hoceini, wären längst gerächt, und nicht Schmach gekommen über ihres Blutes Haus! Steh' auf, Franke, und folge mir, denn Du darfst nicht länger mehr in diesen Mauern weilen!«
Aimé, noch ganz betäubt von dem, was er sah und hörte, und bereits die traurige Lösung ahnend, erhob sich und folgte seinem Hauswirt vor die Schwelle der Thür. Der Tag war bereits angebrochen, und goldene Wolken verkündeten den nahen Aufgang der Sonne.
»Bringe den ›Pfeil‹ und die ›Schwalbe‹,« befahl der Hausherr.
Achmet gehorchte und führte zwei arabische Pferde aus der Umzäunung, denen er rasch Sattel und Zaum anlegte.
Der Chasseur sah schweigend, aber mit Verwunderung dem allen zu.
»Franke,« sagte darauf der Hoceini, »Du hast, wie mir dieser Mann berichtet, gestern im Kampfe meinen Bruder und meinen Sohn erschlagen. Der Gürtel, den Du um Deinen Leib trägst, verrät Dich, er ist der seine! Aber ich habe Dir Gastfreundschaft gewährt, und Allahs Fluch würde mich treffen, wollte ich das Blut meines Gastes nehmen. Du bist ein Tapferer und hast wie ein Tapferer gethan. Nimm den Gürtel und die Tatzen des Löwen, die Zeichen Deines Sieges, mit Dir und wähle Dir eines dieser beiden Pferde. Ihre Schnelligkeit ist wie der Wind. Sie sind von der Rasse der Geflügelten und einander gleich. Steige auf und fliehe! Dort hinaus,« er wies nach einem Punkt am nördlichen Horizont, »ist das Lager der Deinen. Wenn die Scheibe der Sonne über den Rand der Erde sich erhoben, werde ich auf Deiner Ferse sein. Eile, denn Deine Augenblicke sind gezählt!«
Der junge Chasseur fühlte, daß hier nicht der Augenblick des Zögerns oder der Erklärung sei. Er sprang in den Sattel, wobei der Araberhäuptling – bis zum letzten Augenblick dem erhabenen Gebrauch der Gastfreundschaft getreu – ihm den Steigbügel hielt, und die blutigen Pranken des Löwen in den Taschen seines Burnus bergend, spornte er mit dem üblichen Ruf: »Erbi Ikelef Alikun, Gott gebe es Dir wieder!« sein Roß.
Er schoß wie ein Pfeil von den Hügeln, zwischen denen der Hausch Ein arabisches Landgut. des Hoceini lag, und flog über die Ebene.
Der Graf wagte nicht, sich umzusehen, ob der Araber sein Wort hielte, und erst, als die Sonne über dem Horizont stand, wandte er sich im Sattel! – wie einen dunklen Punkt am Rande der Ebene sah er den Verfolger heraufkommen.
Das edle Roß, das ihn trug, strich mit ihm über die Fläche, wie der Vogel, dessen Namen es führte, und dennoch fühlte er, ohne daß er den Blick nochmals zurückwandte, gleichsam durch einen geheimen magnetischen Rapport, das Näherkommen seines Feindes.
Die erbeuteten Pistolen waren nutzlos, er besaß keine andere Waffe mehr, und es blieb ihm daher nichts übrig, als sich allein auf die Trefflichkeit und Ausdauer seines Pferdes zu verlassen. Selbst wenn er bewaffnet gewesen wäre, hätte es ihm widerstanden, die Waffen gegen den Mann zu brauchen, dessen Sohn er erschlagen, und dessen Brot er gegessen hatte.
Die wütende Jagd flog wie ein Sturmwind über die weite Ebene. Aber ein so tüchtiger Reiter auch der Graf war, sei es, daß der Araber besser die Natur seines Pferdes anzuspornen und zu benutzen verstand, sei es, daß dieses selbst noch trefflicher war, als sein Gefährte, – als Aimé sich jetzt im Sattel umkehrte, nach dem Feinde zu schauen, erkannte er deutlich dessen volle Gestalt und sah, wie er ihm näher und näher kam.
Die Lebenslust, das Verlangen, einem Kampf auszuweichen, die Hoffnung des Entrinnens ließ ihn sein edles Roß auf alle Weise zur Verdoppelung seiner Schnelligkeit antreiben, und er stachelte seine Flanken mit der Spitze der breiten Steigbügel, daß sein Blut auf das harte Erdreich tropfte, über das er hinflog.
Schon konnte er deutlich das Biwak und die Zelte der Kolonne erkennen, die in der Ebene gelagert war, und nach dieser Stelle lenkte er den Lauf seines Pferdes, während sein Verfolger, jetzt mit der vollen Erbitterung des unversöhnlichen Rächers ihn jagend, ihn dabei immer weiter nach rechts zu drängen suchte, wo sich in einiger Entfernung der runde Bau eines arabischen Marabuts auf einer hügelartigen Erhöhung erhob, von der niederes Gesträuch sich weit in die Ebene dehnte.
Der Graf war jetzt etwa noch eine Meile vom Lager entfernt; man schien dort den Flüchtling bemerkt zu haben, und er sah einige Reiter die Kolonne verlassen, um zu rekognoszieren und die Nahenden zu beobachten.
Plötzlich stieß der Araber ein wildes Triumphgeschrei aus, das bis zu seinen Ohren drang, und jagte jetzt gerade auf ihn zu.
Der Offizier spornte sein Pferd, er sah in der Ferne seine Kameraden eilig heran kommen und konnte bereits erkennen, wie sie ihm winkten.
Aber er verstand nicht, was es bedeuten sollte, daß ihre Zeichen ihn gerade seinem Feind entgegen wiesen, dessen gellendes Rachegeschrei immer triumphierender in seine Ohren tönte.
Er preßte dem edlen Berberroß die spitzen Bügel aufs neue in die Flanken und schoß auf den Rand des niederen Gebüsches zu.
In diesem Moment enthüllte sich ihm mit einem Blick die ganze Taktik seines Verfolgers, die Warnung seiner Kameraden.
Vor ihm öffnete sich eine jener breiten, tiefen Erdspalten, welche die ganze Metidja durchfurchen, und die von dem entfernten Ufer des Djema bis weit über den Marabut hinaus verlief. Der Hoceine hatte mit seiner größeren Ortskenntnis das Ende der Schlucht ihm abgewonnen und ihn so gleichsam in eine Falle gebracht, aus der er ohne Kampf nicht zu entrinnen hoffen durfte.
Aber er besaß zu seiner Verteidigung nichts, als den kurzen Säbelstumpf und sah, zur Seite blickend, wie der Araber im Heranjagen eine lange Reiterpistole erhob.
Aimé sprengte am Rande der Schlucht hin, seine Rettung fast aufgebend. Der Knall eines Pistolenschusses schlug an sein Ohr, eine Kugel flog dicht an seinem Kopf vorüber.
Er wußte, der Araber hatte noch eine zweite zu versenden.
Jetzt faßte er einen verzweifelten Entschluß. Er lenkte das Pferd in vollem Rennen in halber Volte von der Schlucht ab, als wolle er sich in die Ebene zurückwerfen.
Der Verfolger stieß ein Freudengeschrei aus.
Dann aber wandte der Graf den Kopf des Rosses, und im Galopp an die Schlucht zurückkehrend, hob er das edle Tier und stieß ihm tief die Stacheln der Bügel in die Weichen.
Die Schlucht war über zwanzig Fuß breit, aber dennoch that das Berberpferd den verzweifelten Sprung. Sein edles Blut bewährte sich, das entgegengesetzte Ufer des Felsenspaltes lag zum Glück etwas tiefer, und das wackere Tier erreichte glücklich den Rand. Aber während es mit den Vorderfüßen festen Boden gewonnen, fühlte der Reiter, wie seine Hinterhufe vergeblich an dem bröckelnden Rand des Abhanges Halt zu gewinnen strebten und das Erdreich unter ihnen sich löste. Er hatte eben nur noch Zeit, und Entschlossenheit genug, um sich über den Kopf des Pferdes auf den Boden zu werfen; dann überschlug sich dieses und rollte in den Abgrund.
Als der Offizier emporschaute, sah er seinen Feind am anderen Ufer der Schlucht sein Pferd auf den Hinterbeinen parieren, ohne zu wagen, den furchtbaren Sprung ihm nachzuthun. Dann hob er es empor, drehte es im Bäumen dicht am Rande der Schlucht um, daß die Vorderhufe einen Halbkreis über der Tiefe beschrieben, und jagte, ohne seine Pistole zu brauchen, mit der Faust hinüber drohend, mit wildem Geheul davon.
Er hatte sich vor dem Kismet gebeugt, das seinen Feind gerettet.
Als die französischen Reiter herankamen, war er schon weit aus dem Bereich ihrer Kugeln.
Seine Kameraden jubelten über die Rettung Boulbons und führten ihn im Triumph zum Lager zurück, von wo der General selbst die gefährliche Jagd mit angesehen.
Man war in die Schlucht hinabgestiegen und hatte das edle Berberpferd dort betäubt, aber wunderbarerweise ohne erhebliche Verletzung gefunden. Die dichten Ranken der Schlingpflanzen hatten die Gewalt seines Sturzes gebrochen, und es wurde dem jungen Offizier als sein wohlerworbenes Eigentum zum Lager nachgeführt, wo ihm von einem Brigadegeneral bald eine bedeutende Summe dafür geboten wurde.
Aber der Graf weigerte sich, es zu verkaufen. Er sandte es von Algier aus mit einem den Franzosen bekannten Araber an den Hoceini zurück. Doch der Bote brachte das Pferd wieder mit der Erklärung des Eigentümers: er wolle ein Tier nicht mehr schauen, das seinen Feind treulos seiner Rache entzogen. Der Franke möge es behalten als Dank dafür, daß er die Gegend von dem Löwen befreit. Im übrigen sei Kampf und Blutrache zwischen ihnen bis zum letzten Hauch!
Später hörte er, daß der Häuptling seinen bisherigen Wohnsitz ganz verlassen und tiefer ins Gebirge zu den unabhängigen Stämmen gezogen war.
Der Marschall ernannte den jungen Offizier zu seinem Adjutanten und verwendete ihn seitdem häufig zu den gefährlichsten und ehrenvollsten Aufträgen.
» Caramba!« rief, als Bonifaz diese Geschichte erzählt hatte, der Leutnant, seine Strohcigarre fortwerfend und sich eine neue drehend, »das nenne ich ein hartes Entkommen! Ihr erzählt vortrefflich, Señor Don Bonifaz, und ich bin überzeugt, daß diese Teufel von Kabyles, wie Ihr sie nennt, nicht viel besser sind, als die Hunde, die Apachen!«
Der Kreuzträger, der mit einem Tuchfetzen den Lauf seiner Büchse polierte, hob den Kopf.
»Habt Ihr jemals schon mit den Apachen zu thun gehabt, Leutnant?«
»Das nicht, Señor, Gott und die heilige Jungfrau haben mich bis jetzt davor bewahrt und mir passendere Gegner gegeben. Aber jedes Kind in Mexiko weiß von ihnen zu erzählen und ihr Ruf ist der schlechteste von allen Indianos bravos!«
»Dann, Señor,« sagte der Fährtensucher, »wartet mit Eurem Urteil, bis wir mit ihnen zusammen getroffen sind, was, so Gott will, nicht mehr lange anstehen wird. Unterdes, Monsieur,« der Pfadfinder brauchte diese Anrede stets, wenn er mit dem Grafen oder seinem Faktotum sprach, wahrscheinlich, um damit seinen Anspruch auf eine Art Landsmannschaft zu beweisen, »möchte ich Euch fragen, ob der General seinen Feind nie wieder getroffen hat? Wir hören in unseren Einöden so selten Geschichten aus der alten Welt, und dieser Häuptling scheint mir so brav wie der beste Krieger der Comanchen oder der Pawnee Loups, mit denen ich zwei Sommer jagte, daß Ihr die Neugierde eines unwissenden Jägers entschuldigen müßt!«
»Ihr habt recht, Meister Kreuzträger,« meinte der Provenzale, »auch der Graf sprach von dem Hoceini, obschon er seinem Yatagan oder seiner Kugel damals nur mit genauer Not entronnen war, nicht anders als mit Achtung.«
»Aber haben sie sich wieder getroffen?«
»Ja, und zwar bei einer Gelegenheit, von der ich nur mit Schaudern sprechen kann. Ich habe manches in meinem Leben gesehen, aber das Gekreisch der lebendig gebratenen Weiber und Kinder in der Höhle des Dahra gellt mir noch immer vor den Ohren!«
»Wie?« sagte der Kanadier entrüstet, »wenn jene Krieger jenseits des Meeres auch an Weibern und Kindern solche Greuel begehen, sind sie wirklich nicht besser, als die Apachen! Ich glaubte nicht, aus den alten Ländern dergleichen zu hören!«
Der Avignote zuckte die Achseln. »Ich muß Euch sagen, Meister Kreuzträger, daß nicht die Araber, sondern der französische General selber es war, der den Stamm der Beni Ramah mit all seinem Eigentum schmorte!«
»Und dieser Mann war ein Christ?«
»Ein gläubiger apostolischer Christ, so gut wie ich und hoffentlich Ihr. Corbioux! Es ist freilich wahr, daß man ihm die Geschichte sehr übel genommen hat und der Graf verließ deshalb die Armee, in der er jetzt sicher Marschall von Frankreich wäre! Aber auf der anderen Seite – diese Kabylen sind eine nichtswürdige Brut von Räubern und Mördern und waren so verstockt wie ein Pfaffe, der einen zu viel gezahlten Beichtgroschen herausgeben soll! Sie erwiderten alle Aufforderungen nur mit Flintenschüssen!«
»Wie hieß der Führer der Franzosen?«
»General Pelissier! Pardioiux, ich kann Euch sagen, Meister Kreuzträger, er ist ein Mann, der nicht mit sich spielen läßt, und die Araber kennen ihn jetzt!«
Der Spurfinder hatte die Stirn in die Hand gestützt – er schien in trübe Erinnerungen verloren. »Ich weiß, was es heißt, ausgeräuchert zu werden und Dampf und Flammen ihre unerbittlichen Zungen nach teurem Leben strecken zu sehen! Ihr würdet mich zu Dank verpflichten, Landsmann, wenn Ihr uns die Geschichte erzählen wolltet!«
Die anderen im Kreise wiederholten die Bitte.
»Je nun,« meinte endlich der Mayordomus – »es ist kein Geheimnis, die Zeitungen haben genug Lärm darüber gemacht. Also: bald nach jenem tollen Ritt war der Graf zum Kapitän avanciert und Bugeaud, der Generalgouverneur von Algerien, hatte ihn zu seinem Adjutanten gemacht. Als solcher schlugen wir die Schlacht am Isly mit, das heißt, der Graf neben dem Marschall und oft im dichtesten Kampfgedränge und ich auf seinen Befehl beim Gepäck; denn ich mache gar kein Hehl daraus, daß ich mehr den festen Boden unter meinen Sohlen, als ein Pferd zwischen meinen Beinen liebe, und der Graf holte sich in der Schlacht das Kreuz und wurde zum Bataillonschef ernannt. Später machten wir noch mehrere Gefechte mit, bis der Graf mit seinem Bataillon zu der Expedition des Obersten Pelissier in den Dahra kommandiert wurde.
»Sie mochten sich schon von früher her wenig leiden, mein Herr, der Graf, und Pelissier. In den Adern der Boulbons rollt, wie Ihr wißt, das königliche Blut der rechtmäßigen Herrscher Frankreichs und Pelissier, ein so tapferer und kühner Bursche er auch sein mag, ist ein verfluchter Demokrat und grob wie ein Kornsack! Er zog bei jeder Gelegenheit seine Räuberbrut, die Zuaven und Zephyrs, vor, Kerle, die zu schlecht für den höchsten Galgen in Europa und Amerika sind, und häkelte an den regulären Soldaten umher, denn das Bataillon des Grafen gehörte zur Linie. Nun hat der Graf gerade auch keine Lammsgeduld, wie Ihr wohl bald merken werdet, und so prallten denn zwei harte Steine aufeinander.
»Aber Pardioux! es gab besseres zu thun als zu zanken, und die Flinten der Araber sorgten lange dafür, daß es keine Zeit gab zu einem ordentlichen Streit. Pelissier ging drauf wie der Teufel, und die Satans, die er stets vorn weg ins Gefecht schickte, warfen die Kabylen von Schlucht zu Schlucht, von Fels zu Fels. Freilich, jeder Tote, den wir beim Nachrücken fanden, war rein ausgezogen bis auf die Haut und dazu fehlten ihm die Ohren, die des Obersten Zuaven abgeschnitten und einstweilen in die Brotbeutel gesteckt hatten, um die Prämie dafür nicht zu verlieren.
Am Abend eines blutigen Tages kam der Graf, der mehreremal bis zur Spitze unserer Truppen vorgeritten war, zu mir und sagte: ›Bonifaz,‹ sagte er, ›weißt Du, wen ich in den Reihen unserer Feinde gesehen habe?‹
»›Zum Teufel, antwortete ich, es wird doch nicht die schöne Fatime gewesen sein, daß Sie in so gewaltiger Aufregung darüber sind!‹
»Ihr müßt nämlich wissen, Señores, die schöne Fatime war eine kleine maurische Tänzerin, in deren Schlingen mein Graf den Winter vorher in Algier gefallen war.
»›Nein! nichts von dem Unsinn! es ist Ibrahim, der Hoceine, der Herr meines edlen Rosses, dessen Sprung am Marabout mir das Leben rettete, als er mich auf Tod und Leben verfolgte‹
»Hui! Pardioux! ich pfiff durch die Zähne, denn die Sache war verdammt ernst! Mit einem verfluchten Kabylen, wenn er einem Christenmenschen Rache geschworen hat, ist nicht zu spaßen. So fragte ich denn den Grafen, wie sich der braune Satan benommen, und ob er ihn erkannt habe?
»Bei einem Reiterangriff der Araber, den die Zuaven mit einem schnell gebildeten Karree zurückgewiesen hatten, befand sich der Graf mit dem kommandierenden Offizier zu Pferde in der Mitte. Unsere Leute hatten auf etwa zwanzig Schritte Feuer gegeben, und fast ein Drittel der Beduinen hatten die Sättel geräumt. Unter denen, die den Kugeln entkommen und ihre Rosse zur Flucht wenden konnten, hatte sich der Hoceini befunden. Sein Pferd, der ›Pfeil‹, hatte ihn dicht an die Bajonette getragen, ehe er es sich bäumen lassen und herumwerfen konnte. Indem er sich in den kurzen Bügeln erhob und mit dem Säbel hinüber drohte, hatte sein Auge das des Grafen getroffen und das Erkennen war offenbar ein gegenseitiges gewesen. Der Kabyle hatte eine grimmige Verwünschung ausgesprochen und den Namen Boulbon, den er wahrscheinlich damals von dem Vermittler, der ihm das Pferd hatte zurückbringen sollen, erfahren, zweimal herausfordernd in das Kampfgewühl gerufen, ehe er davon jagte. Seitdem hatte man ihn und seinen Schimmel bei jedem wiederholten Angriff an der Spitze gesehen und ihn immer den Namen feines Feindes als herausfordernden Schlachtruf schreien hören.
»Nun, Corbioux! Der Graf ist sonst nicht der Mann, der sich lange rufen läßt, aber in diesem Falle mochte er mit dem braunen Halunken nicht freiwillig anbinden und ging ihm lieber aus den: Wege – nicht aus Furcht, wie ich gleich zeigen werde, sondern weil er seinen Sohn getötet und nachher sein Brot gegessen hatte. Unterdes wurden die Beduinen Schritt um Schritt immer weiter zurückgeschlagen und der Kampf war grimmiger als vorher, bis plötzlich über Nacht alle Kabylen verschwunden waren, als wären sie von der Erde verschlungen.
»Und Corbioux! so war es in der That! Habt Ihr je von den Felsenhöhlen der Kantara gehört, Señores? Doch nein, das ist nicht gut möglich. Nun gut! der ganze Stamm der Beni Ramah, zu dem der Hoceine mit seinem Weibe gezogen war, weil dieser der unversöhnlichste Feind der Franken war und die Unterwerfung weigerte, obschon alle anderen Stämme im Dahra es gethan, hatte seine Weiber, Kinder und Haustiere in eine große Felsenhöhle geflüchtet, die wohl tausend Menschen bergen konnte, und die man die Grotten von Freschiech nennt.
»Aber statt sich hier ruhig zu halten, trotzten sie auf die Sicherheit ihrer natürlichen Feste und schossen auf die Franzosen, die unter ihr im Grunde vorüberzogen.
» Pardioux, Señores, Ihr hättet damals Pelissier sehen sollen, in welche Wut er geriet. Er ließ den Marsch der Kolonne sofort unterbrechen und lagerte vor dem Eingang der Grotten. Spione – denn die Schufte giebt es überall! – hatten ihm verraten, daß die Grotte nur zwei Zugänge hatte, die beide eigentlich nur aus mehr oder weniger breiten Felsspalten bestanden. Vorn waren beide Eingänge übereinander, auf der Rückseite des Berges nur ein Paar enge Spalten, die leicht mit Felsstücken, Steinen und Ästen zu verstopfen waren, überdies stellte der Oberst einen starken Posten davor. So hatte er sie wie eine Maus in der Falle.
»Ich habe die Offiziere später oft darüber sprechen hören, und die meisten waren der Meinung, daß es eine traurige Notwendigkeit gewesen wäre; denn unmöglich durfte der Oberst fünfhundert entschlossene Feinde in seinem Rücken lassen, die uns die Zufuhren abgeschnitten hätten, und ebenso wenig konnte er vor der Höhle lagern, bis der Hunger den Feind bezwang. Ein Angriff auf die unterirdische Festung war aber vollends unmöglich, denn eine Handvoll entschlossener Männer konnte den Eingang gegen eine Armee verteidigen.
»Nur die armen Weiber und Kinder dauerten mich! Sapristi! Genug, als die Kolonne sich in gehöriger Entfernung gelagert hatte, schickte der Oberst einen Parlamentär an den Feind, einen Offizier, der das Arabische fertig sprach, und ließ sie wissen, daß sie sich ergeben ober alle sterben müßten. Die Antwort waren Flintenschüsse, die den einen Begleiter des Parlamentärs tot zu Boden streckten und ihn selbst verwundeten.
»Pelissier tobte wie ein angeschossener Eber! Corbioux! ich habe nie einen Mann so wild gesehen! Die halbe Truppe mußte sich zerstreuen und was auf eine Lieue in der Runde nur irgend zum Brennen tauglich war, abhauen und sammeln. Es wurden Faschinen gemacht und der Wall, der sich trotz der Flintenschüsse der Araber vor dem doppelten Eingang türmte, reichte bald bis über die obere Felsspalte hinauf.
»Sie wußten, was ihnen bevorstand, von Zeit zu Zeit erschien einer ihrer Krieger in den Öffnungen, schoß seine lange Flinte gegen uns ab und stieß Verwünschungen gegen das Volk der Franken aus.
»Der Oberst gab den Befehl zum Anzünden des ersten Faschinenwalls.
»Alsbald erhob sich die züngelnde Flamme und leckte an den dürren Reisern mit ungeheurer Schnelligkeit empor. Die Zephyre, mit allen Raffinements und Schlechtigkeiten vertraut, hatten Kamelmist und stinkende Kräuter zwischen die Reisigbündel gehäuft und ein erstickender Qualm erhob sich und wurde von dem Luftzug gerade in den Eingang der Höhle getrieben.
»Ein Geheul drang durch diesen Rauch, das Gebrüll von Tieren, das Hohngeschrei von Weibern und Kindern in wilden Verwünschungen.
»Die meisten Offiziere standen schweigend auf ihre Säbel gestützt in einiger Entfernung, während die Soldaten das Gewehr neben sich, rings umher gelagert und schlechte Witze rissen über die Unglücklichen da drinnen. Wie die Teufel liefen die Zuaven vom Regiment Pelissiers umher und stocherten die Flammen und schleppten immer wieder frische Bündel Faschinen herbei.
»Für den Obersten war ein Zelt aufgeschlagen worden. Nachdem er den Befehl zum Anzünden der Faschinen gegeben, zog er sich dahin zurück, und der Posten hatte strengen Befehl, niemanden zu ihm zu lassen, als einen Adjutanten, der von Stunde zu Stunde rapportierte.
»Es war gegen Sonnenuntergang gewesen, als die Faschinen in Brand gesetzt wurden. Das Feuer brannte die ganze Nacht, aber bei dem geringen Luftzug drang der Dampf nur langsam in die Öffnungen der Höhle.
»In den ersten zwei Stunden verhöhnten uns die Eingeschlossenen. Sie kamen wiederholt an die Öffnung, stießen Schmähungen aus und schossen ihre Flinten und Pistolen gegen uns ab.
»Endlich drang der Rauch dichter und dichter in die Öffnungen der Höhle und die ungeheure Grotte begann sich zu füllen.
»Dann hörten wir das Brüllen der Stiere, das Blöken der Schafe und das unruhige Gewieher der edlen Pferde, welche die Araber als ihren größten Reichtum mit sich in die Grotten geführt hatten.
»Zwischen das Brüllen der Tiere mischte sich bald das Klagegeschrei und das Stöhnen von Menschen.
»Wer nur einmal Gelegenheit gehabt hat, dem Tode oder Begräbnis eines Orientalen beizuwohnen, konnte sich über diese Laute nicht täuschen. Es war das Geschrei der Klageweiber, die an dem Totenlager standen, ein Geschrei, das selbst die Nerven der rohesten Krieger erbeben machte.
»Auf diese Weise waren wiederum zwei Stunden vergangen. Die Wachen am Feuer, die mit dessen Unterhaltung beauftragt waren, lösten einander alle Stunden ab. Der Graf, mein Herr, hatte sich, in seinen Burnus gehüllt, unter einem Felsen auf den Boden geworfen, und ich lag zu seinen Füßen.
»Es mochte eine Stunde vor Sonnenaufgang sein, als wir durch Schüsse geweckt wurden. Aber sie waren nicht auf uns gerichtet, sondern schienen im Innern der Höhle zu fallen. Dazwischen mischte sich Geheul und Wehklagen und das Brüllen der Tiere.
»Wir glaubten anfangs, die Beni-Ramah wollten einen Ausfall machen und erwarteten sie alle Augenblicke durch die Wand von Feuer und Qualm, welche die Ausgänge umgab und verbarg, hervorbrechen zu sehen, aber nichts davon geschah, und als die Dämmerung das nahe Aufsteigen der Sonne verkündete, war alles in der Höhle wieder still, bis mit dem ersten Strahl des Tagesgestirns sich von dem oberen Eingang her die raube und halberstickte Stimme des Muezzim des Stammes mit dem Ruf zum Gebet erhob: La Allah il Allah, Mohamed ben Allah! Es ist nur ein Gott und Mohamed ist sein Prophet!
»Der Graf hatte, wie er mir später gestand, während der ganzen Nacht kein Auge zugethan, obgleich er sich gestellt hatte, als schliefe er. Jetzt, mit der Reveille, welche die Hornisten bliesen, ging er entschlossen auf das Zelt des Obersten zu und verlangte, mit ihm zu sprechen.
»Pelissier war bereits munter, – vielleicht, daß auch er nicht geschlafen hatte in dieser Nacht, – Gott allein weiß es!
»Mehrere Offiziere waren dem Grafen gefolgt, als er mit entschlossener Miene zu dem Zelt des Obersten ging. Pelissier trat aus dem Zelt.
»›Was wünschen Sie, Monsieur le commandant?‹
»›Oberst, es sind vielleicht noch Menschenleben zu retten!‹
»›Wo?‹
»›Wie können Sie fragen? drüben in den Grotten von Freschieh!‹
»›Ich kenne dort nur Feinde der französischen Armee!‹
»›Aber es sind zur Hälfte Weiber und Kinder!‹
»›So sind es Mütter von Feinden oder künftige Mütter.‹
»› Monsieur le Colonel,‹ sagte der Graf, ›ich glaube, es ist genug geschehen, sie in Schrecken zu setzen, wenn nicht bereits zu viel! Ich bitte Sie im Namen dieser Herren, im Namen der Menschlichkeit, noch einmal einen Parlamentär abzusenden und sie zur Ergebung auffordern zu lassen!‹
»›Ich habe nicht Lust, noch weiter französische Soldaten zu opfern. Man hat auf die Parlamentäre geschossen!‹
»›Dann erlauben Sie Oberst, daß ich selbst gehe?‹
»Pelissier sah ihn höhnisch an. ›Wenn Sie den Mut dazu haben!‹
»Der Graf wurde blutrot. ›Sie vergessen, Oberst,‹ sagte er stolz, ›daß in meinen Adern das Blut Heinrichs IV. fließt und nicht das eines Fleischerknechts!«
»Die so direkt und verdoppelt erwiderte Beleidigung, denn der Großvater des Obersten war bekanntlich ein Schlächter, schien ihn sehr gleichgültig zu lassen. Seine Grobheit war bereits damals sprüchwortlich, und er war gewohnt, auch sein Teil einzustecken.
»›Bah!‹ sagte er, ›Sie haben recht, es kann im Grunde nur einen Offizier kosten, und das macht nichts, als eine Vakanz! Gehen Sie denn, Monsieur le commandant?‹ – er sagte nie Graf – ›aber merken Sie sich, daß ich Sie im Auge halte!‹
»Der Graf drehte sich ohne ein Wort der Entgegnung um und ging nach dem Feuerwall zu.
»Auf seinen Befehl rissen mehrere Leute vom Genie-Korps eine Bresche in die Mauer von brennenden Faschinen, gerade vor dem Eingang. Der Graf winkte einen Hornisten zu sich und ließ ihn ein Signal blasen.
»Bei der dritten Wiederholung erschienen drei Gestalten in dem obern Zugang der Grotte.
»Die Unterbrechung des Feuers hatte den Rauch und Qualm gelichtet.
»Die Gestalten in dem Eingang der Grotte waren drei Männer in weißen Burnussen, deren Kappe sie zum Schutz gegen den Rauch tief über das Gesicht gezogen hatten.
»Aber diese Burnusse hatten jetzt ihre Farbe verloren, sie waren schwarz von Rauch und an vielen Stellen zerrissen und blutbedeckt.
»Der Zustand der Männer schien überhaupt erbarmenswert. Sie konnten sich offenbar kaum noch aufrecht erhalten und lehnten halb ohnmächtig an der Wand oder auf ihren Flinten.
»Dennoch glühten ihre Augen in blutigem Haß unter der Kapuze hervor, und ihre Gebärden waren wilde Drohungen.
»›Wo ist der Aga des Stammes, der Häuptling der Beni-Ramah, daß ich mit ihm rede?‹ sagte der Graf, der jetzt genug Arabisch verstand, um die Unterhaltung selbst zu führen.
»›Die Kugeln der Giaurs haben Muly-Ramah getötet, wofür ihnen Scheitan vergelte!‹ sagte der kräftigste der Männer. Mas will der Kafir? ich bin an seine Stelle getreten und werde seinen Tod rächen!‹
»›Der Deine ist sicher und der aller Deiner Gefährten, Eurer Weiber und Kinder, wenn Ihr nicht die Waffen streckt und Euch ergebt,‹ entgegnete der Graf.
»›Beschme! Auf meine Augen komme es!‹
»›Wenn Du wahnsinnig genug bist, Dein Verderben zu wollen, Kabyle,‹ rief der Graf, ›so werden Deine Brüder und Freunde verständiger sein. Hört mich, Ihr Männer und Frauen, der Befehlshaber der Expedition läßt Euch Gnade angedeihen und schenkt jedem das Leben, Mann oder Weib, die herauskommen und Unterwerfung schwören!‹
»›Halt ein, Giaur! Habt Ihr Franken-Hunde keine Ohren?‹
»›Wie meinst Du das?‹
»›Maschallah! Ehe die Sonne aufging, haben die Tapfern der Beni-Ramah und ihre Freunde selbst die Verräter getötet, die lieber sich den Christenhunden ergeben, als zur Ehre Allahs sterben wollten! Kein Anhänger des Propheten wird lebend diese Pforte, die Allah selbst gebaut zum Schutz seiner Gläubigen, überschreiten, um sich in die Hände der Verfluchten zu liefern!‹
»›Wahnsinniger! So opfert wenigstens nicht Eure Frauen und Kinder!‹
»Der Maure lachte grell auf. ›Unsere Frauen und Kinder? Bei dem Barte des Propheten, Dschiaur, Du erinnerst mich zur rechten Zeit daran! Einen Augenblick, und Du sollst sehen, ob wir unsere Weiber noch zu opfern brauchen!‹
»Er sprang in die Höhle zurück und kehrte nach wenigen Momenten mit einer Last im Arm zurück, die er bis an den Eingang der Höhle schleppte.
»Es war ein totes Weib, die langen schwarzen Haare schleiften auf dem Boden, in dem von dem Feredschi, dem Gewande, entblößten Busen öffnete sich eine furchtbare, noch blutende Wunde, die das Horn eines der von dem Dampf wild gewordenen Stiere ihr gestoßen.
»›Kennst Du diese, Hund von einem Franken?‹ rief der Araber. ›Es ist Zulmah, mein Weib, die Mutter des Knaben, den Du erschlagen und ich‹ – er riß die Kauze des Burnus von seinem Haupt – ›ich bin Ibrahim der Hoceini, dessen Stamm Du seiner Zweige beraubt! Möge Allah mich an Deinem verfluchten Geschlecht rächen und alle Ungläubigen töten, wie ich Dich erschlage!‹
»Und mit Blitzesschnelle sein Pistol aus dem Gürtel reißend, sprang er mit gewaltigem Satz nieder aus der wohl 20 Fuß vom Boden gähnenden Öffnung und schoß im Fluge seine Waffe auf den Offizier.
»Die Kugel verfehlte ihr Ziel und zerschmetterte den Schädel des Hornisten.
»Der Hoceine war in kauernder Stellung mitten zwischen die noch glühenden und dampfenden Reisigbündel niedergefallen.
»Im nächsten Moment schnellte er statt der als nutzlos fortgeschleuderten Pistole jetzt den blitzenden Yatagan in der Faust, in elastischem Sprunge wieder empor und stürzte sich auf seinen Todfeind.
»Aber sei es, daß seine Gewänder durch die Hitze trocken wie ein Zunder, sei es, daß er gerade auf einen Feuerbrand gesprungen war, der Augenblick hatte genügt, um seine Kleider Feuer fangen zu machen, und als er sich gegen meinen Herrn, den Grafen stürzte, loderten die Flammen an seinem Burnus und seinem Hemd in die Höhe.
»Ein allgemeiner Schrei des Entsetzens ertönte ringsum, als diese doppelte Gefahr, das Feuer und das Eisen sich gegen den Offizier warf, der nicht einmal Zeit hatte, seinen Säbel zu ziehen.
»Mehrere in der Nähe stehende Soldaten sprangen herbei, aber zugleich feuerten die beiden Araber aus dem oberen Eingang der Höhle, und zwei von den Soldaten wurden verwundet; den dritten streckte ein furchtbarer Hieb des Yatagan zu Boden.
»Der brennende Hoceine war jetzt dicht vor dem Grafen und hob das blutige Eisen, ich stand zu fern von ihm, um mit meiner Brust den Stoß für ihn zu empfangen – er war verloren!
»›Zur Jehennah mit Dir, Hund von einem Mörder!‹ Der Arm fiel nieder, aber fast in demselben Moment sahen wir die Feuermasse des brennenden Kabylen sich vom Boden erheben und wie einen flammenden Drachen durch die Luft fliegen, wohl mehr als zehn Schritt, mitten zwischen die Faschinen hinein, die im nächsten Augenblick über ihm emporloderten.
»Der Graf stand unversehrt; als ich zu ihm stürzte, konnte ich nur noch die an niedreren Stellen glimmende Uniform löschen.
»Sie haben eine Probe seiner wunderbaren Körperkraft an dem armen Teufel da gesehen,« fuhr der Haushofmeister fort, auf den Piraten in ihrer Nähe deutend, der bei der Erinnerung grimmig das Gesicht verzog und dem Sprecher einen giftigen Blick zuschleuderte, »und ich kann Ihnen sagen, Caballeros, der Graf war schon damals berühmt wegen seiner Stärke und Gewandtheit, wie Sie aus der Affaire mit dem Löwen gesehen haben. Er hat mehrmals zu seinem und seiner Freunde Vergnügen alle die Kunststücke ohne Anstrengung nachgemacht, die der berühmte Marschall von Sachsen und der König August machten, wie das Aufhalten eines Wagens im vollen Lauf der Pferde, oder das Werfen einer Bombenkugel. Ich habe gesehen, wie er eine Kanone mitsamt der Lafette aus einem Loch im Wege bei Konstantine hob, die sechs Pferde nicht herauszuziehen vermochten, und als er sich eines Tages den Spaß machte, von einem arabischen Schmied unsere Pferde beschlagen zu lassen, und drei Hufeisen nach einander, die der Araber ihm zeigte, als schlechtes Eisen zwischen den Fingern zerbrach, glaubte der Mann wahrscheinlich, er habe seinen leibhaftigen Sheitan, den Teufel, vor sich; denn er rannte voll Entsetzen in sein Haus und schlug die Thür hinter sich zu, ohne sich wieder blicken zu lassen.
»Genug davon! Seine Kraft und Gewandtheit hatte ihn auch diesmal aus der sichern Todesgefahr gerettet. Es war so, wie wir mit Erstaunen gesehen hatten. In dem Augenblick, wo der Hoceine den Yatagan gegen ihn hob, hatte er ihn am Arm und am Gürtel gepackt, ihn emporgehoben, und den Feuerball, den der Ungläubige bildete, wie einen brennenden Klotz im Bogen durch die Luft geschleudert. Der Kabyle hatte, vor Schmerz oder Erstaunen während der furchtbaren Reise in den Tod seinen Yatagan fallen lassen; ich hob ihn später auf und besitze ihn noch zum Andenken, Sie sollen ihn morgen mit eigenen Augen sehen, Caballeros!
» Pardious! Die Flammen schlugen über den Hoceini zusammen und befreiten uns für immer von dem Halunken, während die Kugeln der Wachen die spitzbübischen Araber in ihr Felsennest zurückjagten.«
»Und der Graf?« fragte neugierig der Leutnant.
»Der Graf stand unbeweglich und blickte finster in das Feuer, als seine Freunde herbeieilten, um ihn über seine Rettung zu beglückwünschen. Es kam mir vor, als reue es ihn, den Kabylen, der ihm doch selbst nach dem Leben strebte, getötet zu haben. Aber er hatte keine Zeit dazu, sich dem Bedauern hinzugeben, denn der Araber brüllte noch in seinem letzten Todesschrei auf dem Scheiterhaufen, als wir hinter uns die rauhe Stimme des Oberstkommandierenden der Expedition hörten!
»› Monsieur le Commandant,‹ sagte der grobe Pelissier, ›Sie werden sofort meinem Adjutanten Ihren Degen abgeben und sich vierundzwanzig Stunden als unter Arrest ansehen.‹
»›Darf ich fragen, warum?‹ sagte der Graf.
»› Parbleu! – weil Sie mit Ihrer unberufenen Weichherzigkeit solchen Schurken gegenüber unnütz das Leben zweier Soldaten geopfert haben! Füllt die Lücke wieder aus, Bursche, die dieser Herr Euch machen hieß, und setzt das Ausbrennen fort!«
»Der Graf gab, ohne ein Wort weiter zu sprechen, seinen Säbel ab und ging zu dem Train, wo er blieb, bis die ganze Geschichte vorbei war. Die Zuaven warfen aufs neue das Reisig und Stroh zusammen und schürten die Flammen, die ihre erstickenden Dämpfe in das Innere der Höhle sandten.
»Das Brüllen der Tiere, das dumpfe Stöhnen der Männer, das Wehklagen der Weiber und das Ächzen sterbender Kinder während der nächsten zwei Stunden war schrecklich, dazwischen ertönte hier und da aus dem Innern der Grotten ein Schuß; wie wir später fanden, waren es nicht die Kugeln solcher, die es vorzogen, ein dem Tode geweihtes Leben durch eigene Hand rascher und schmerzloser zu enden, sondern es war ein Kampf von wenigen, die gleich dem Hoceini den Ausgang versperrt hielten, gegen alle, die sich ergeben wollten, und die lieber auf die eigenen Freunde schossen, als ihnen gestatteten, dem Märtyrertode zu entrinnen und sich den Franzosen zu unterwerfen.
»Endlich, gegen 1 Uhr morgens, war alles still; selbst die Wachen am Feuer, die rohen wüsten Soldaten wagten nicht laut zu sprechen, sondern verhielten sich stumm oder flüsterten nur.
»Als die Sonne über den Felsenkuppen der Dahra aufging, war es allen, als würde ihnen eine Last vom Herzen genommen.
»Erst um 8 Uhr erteilte der Oberst der ersten Ingenieur-Kompagnie Befehl, in die Grotten zu dringen, aus denen, nachdem das Feuer davor längst verloschen war und nachdem man die hintern verstopften Felsenspalten geöffnet hatte, ein dicker stinkender Rauch hervortrieb. Vorher hatte Pelissier meinem Gebieter den Säbel zurückgeschickt, aber der Graf verweigerte seine Annahme; er erklärte, daß er vor ein Kriegsgericht gestellt werden wolle. Mir gab er die Erlaubnis, oder er befahl mir vielmehr, das Detachement in das Innere der Höhlen zu begleiten.
»Messieurs! ich kann Ihnen sagen, ich habe manches gesehen in meinem Leben, und meine Nerven sind so ziemlich hart wie Stränge, aber was ich hier erblicken mußte, hat meinen Schlaf lange mit schrecklichen Träumen erfüllt.
»Gleich am Eingang der Grotte lag das Weib des Hoceini mit ihrer furchtbaren Todeswunde in der Brust, jetzt geschwärzt von dem dicken Rauch, der stundenlang hier hineingezogen war. Daneben im wüsten Gedränge Männer, den Yatagan und die Flinte in der Hand, wie sie einander in wildem Kampf angefallen hatten und doch zuletzt alle dem gemeinsamen Feind erlegen waren.
»Gleich darauf trafen wir auf zwei halbverkohlte Stiere, deren Häupter die Araber mit ihren Burnussen umwickelt hatten, wahrscheinlich um die Augen der vom Feuer wütend gemachten Tiere zu blenden und sie die Menschen verfehlen zu lassen. Daneben kauerte die Leiche einer Mutter, welche allem Anschein nach der Tod ereilt hatte, während sie ihr Kind gegen die Wut eines dritten Stieres verteidigte; denn noch hielt sie die Hörner des Tieres mit beiden Händen umfaßt. Wenige Schritte, und ganze Haufen von toten Körpern schienen sich uns entgegen zu drängen, von dem Todeskampf schrecklich verzerrt, während ihrem Munde noch ein schwarzer, halb geronnener Blutstrahl entquoll. Dort ruhte der ehrwürdige Scheikh des Stammes, von der Wucht seines eigenen Renners, unter dessen Leiche die seine gefunden wurde, erdrückt. Zwei Liebende hatte der unerbittliche Tod Arm in Arm erreicht. Den Ausdruck des Grauens und entsetzlichsten Jammers hatte das unsägliche Leiden auf den Gesichtern der meisten Sterbenden hervorgerufen und diesen Ausdruck hatte der Tod auf ihren Zügen festgebannt. Andere trugen die finstere Miene fanatischer Entschlossenheit, mit der sie gestorben waren. Dort lag ein unglückliches Mädchen, in dessen Stirn sich der Huf eines wütenden Hengstes blutig eingedrückt hatte. Dem Tiere, das, im eigenen Todeskampf wahnsinnig um sich tretend, ihren Tod verursacht hatte, ruhte die Araberin halb verbrannt zur Seite. An vielen Stellen mußten die Flammen selbst von der Hitze in die Grotten gedrungen sein und die Kleider der Unglücklichen ergriffen haben, denn Haufen verkohlter Gebeine und gräßlicher Überreste grinsten uns entgegen.
»In dem tiefsten Winkel der Höhle fand ich die erstickte Leiche einer alten Frau, die noch einen Krug Wasser an ihren Mund zu halten schien. Ihre Arme waren auf einen Felsvorsprung gestützt, das graue Haar hing in schlaffen Strähnen über ihre Gesicht. So hatte sie der Tod erreicht, als sie eben durch Flammen und Rauch von versengendem Durst gepeinigt das bisher vielleicht sorgfältig versteckte, labende Naß zu ihren welken Lippen bringen wollte. Pferde und Männer, Frauen und Lämmer, Kinder und Ziegen, Waffen und Gewänder, alles lag verbrannt, versengt oder eingeäschert in grauser, wahnsinniger Unordnung auf dem vom Rauch geschwärzten Boden da – kein Laut, der von einem geretteten Leben zeugte, kein Wort der Klage oder der Rache aus einem Paar dieser für ewig geschlossenen tausend Lippen! der Stamm der Beni-Ramah war vernichtet!«
Der Erzähler schwieg; er schien selbst tief ergriffen zu sein von der schrecklichen Erinnerung. Dann rief er den schwarzen Aufwärter, sein Glas zu füllen und trank es mit einem langen Zuge leer.
» Caramba, Señor Don Bonifazio!« meinte der Leutnant, nachdem er in einem zweiten Glase Grog dem Haushofmeister Bescheid gethan, »Sie erzählen wirklich vortrefflich. Man glaubt, diese höllische Höhle vor sich zu sehen. Darf ich fragen, was Ihr General oder Colonel, vor dem ich allen Respekt habe, mit den toten Arabern angefangen hat?«
»Je nun, ihre Gebeine modern, denk' ich, in den Grotten von Freschiech. Aber, Monsieur Kreuzträger, Ihr sagt ja gar nichts zu der Geschichte?«
Der alte Mann ließ die Flinte, die er bisher schweigend geputzt, in seinen Schoß sinken, und sah empor. Er war der einzige, der die Grogkanne an sich hatte vorüber gehen lassen. Als der Strahl des Mondes jetzt auf sein Gesicht fiel, glänzte es feucht unter seinen grauen Wimpern.
»Ich habe gewiß mit großer Teilnahme Ihre Geschichte gehört, Monsieur Bonifaz,« sagte er, »um so mehr, als sie mich an die schrecklichste Stunde meines eigenen Lebens erinnert. Aber darf ich Sie fragen, was hierauf mit unserm braven Anführer und seinem damaligen Chef geschah?«
»Je nun, die Expedition war in einigen Tagen zu Ende, denn die Nachricht von dem Vorgang in den Höhlen verbreitete sich rasch, das Exempel versetzte die Stämme in gehörigen Schrecken, und sie schickten Abgesandte, um ihre Unterwerfung anzuzeigen. Der Graf ging lange mit sich zu Rate, was er thun solle, aber wie sehr man auch über die Räucherpartie den Kopf schütteln mochte, Oberst Pelissier hatte den Erfolg für sich und machte sich außerdem verdammt wenig daraus, ob sein Verfahren mißfiel oder nicht. Übrigens wußte das Gouvernement sehr gut, daß nur mit solchen Burschen die wilde Bevölkerung im Zaume zu halten war, und er wurde bald darauf General. Der Graf aber nahm bald darauf seinen Abschied, ohne daß er seinen Degen zurückgenommen hatte, und kehrte mit dem Marschall nach Frankreich zurück. Ich folgte ihm, wie ich ihm seit fast zwanzig Jahren gefolgt war, und wie ich ihm jetzt übers Meer in einen dritten Weltteil gefolgt bin. Aber Mordioux! sagtet Ihr nicht eben, Meister Kreuzträger, daß Ihr Ähnliches erlebt habt?«
»Ja, Monsieur Bonifaz, und seitdem bin ich geworden, was ich bin, ein rastloser Wanderer, der seine Feinde verfolgt, um jene schrecklichen Stunden zu rächen.«
»So hängt die Geschichte also mit Eurem Eid und dem Kreuz zusammen, das Ihr auf der Brust tragt?«
»Ja, Monsieur!«
»Und es waren die Apachen, die Euch braten wollten?«
»Es waren die Apachen, Señor, aber nicht ich war es, dem ihr Feuer galt, sondern Wesen, die hundertmal mehr wert waren, wie ein alter Jäger, und das Liebste und Beste, was er auf der Welt hatte.«
Der Trapper legte die Stirn auf seine Hände, die er um den Lauf seiner Büchse geschlungen hielt und schien in tiefe Erinnerungen verloren.
Plötzlich erhob er den Kopf und warf einen feurigen drohenden Blick umher.
»Ich will Ihnen die Geschichte ein andermal erzählen, Mayordomo,« sagte er finster, »denn sie ist wohl wert, daß sie von allen gehört wird, die jetzt im Begriff stehen, die Apachen zu bekämpfen. Sie wird Sie lehren, die tausend Listen dieser schwarzen Teufel nicht zu gering anzuschlagen und sich vor ihnen zu hüten, wenn Sie Ihren Skalp auf dem Kopfe behalten wollen. Heute, Monsieur, erlassen Sie es mir, denn ich bin, durch Ihre Erzählung an mein Unglück erinnert, nicht in der Stimmung, davon zu reden.«
»Dann trinken Sie wenigstens dies Glas!« Aber der Kreuzträger wies es mit einer ernsten Gebärde zurück.
»Nun gut,« meinte der Haushofmeister, der seinen Humor bereits wieder gefunden hatte, »hoffentlich sind Sie morgen besserer Laune. Aber der Abend ist so schön und der Rum noch nicht alle. Wie wäre es, Padrone, wenn Sie uns noch die versprochene Erzählung von Ihren Meertigern zum besten gäben?«
Der Schiffer lachte. »Die heilige Jungfrau bewahre mich davor, Señor Don Bonifaz, daß ich selber mit solchem Viehzeug zu thun gehabt, obschon leider bei unserm Handwerk genug Gefahr ist, ihnen einmal in den Rachen zu fallen. Aber da ist Señor Juan Racunha, der Capataz war auf den Perlen-Inseln, und ich weiß, wenn ich auch die näheren Umstände nicht kenne, daß er der Mann ist, Ihnen eine Geschichte aus seinem Leben zu erzählen, die Ihnen beweisen wird, daß Ihr altes Land nicht allein so schlimme Dinge zählt, wie die Löwen und Araber es sind!«
» Bon, Monsieur Kapitän! Señor Racunha muß erzählen. Cordioux! Durch eine solche Geschichte lernt man sich wahrhaftig besser kennen, als wenn man ein Jahr lang mit einander herumgesegelt wäre. Also vorwärts, Monsieur Racunha, und spinnen Sie uns Ihr Garn, wie die Matrosen zu sagen pflegen!«