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In der Pyrmonter Dunsthöhle.

Es dürfte an der Zeit sein, unsere Aufmerksamkeit nun einmal wieder jener abenteuerlichen Dame zuzuwenden, welcher der Leser zuerst unter dem Pseudonym einer Fürstin von Bentivoglio begegnete.

Im Schlosse zu Compiègne tauchte diese schöne Italienerin als Emissärin Mazzinis zum ersten Male auf und entfaltete namentlich in der kaiserlichen Hofoper daselbst ihre Circentalente derartig, daß Louis Napoleons mit Recht eifersüchtige Gattin Feuer und Flammen spie.

Bekanntlich war diese Witwe »Camilla«, wie wir sie bei ihrem Vornamen nennen wollen, die Jugendgeliebte des Bombenattentäters Felix Orsini.

Als dieser Todfeind Napoleons III. am 13. März 1858 seine Freveltat mit dem Leben büßen mußte, hatte Camilla bereits die Bekanntschaft Mazzinis in London gemacht, der eben zur Rettung Orsinis vor ihr, der verwitweten jungen Prinzipessa, wenn auch vergeblich, aufgesucht und angefleht worden war.

Dann sahen wir dieselbe Camilla in den elyseischen Feldern des kosmopolitischen Paris wieder. Kein geringerer, als der Franzosenkaiser selbst war der Gimpel, den sie fünf Jahre nach dem Orsiniattentat, und zwar am Todestage ihres einstigen Geliebten, vermöge ihrer Reize und Verstellungskünste aus »purer Rache« auf den Leim, das heißt in ihre, Allee d'Antin Nr. Fünf gelegene Villa zu locken wußte.

Damals, nämlich am 13. März 1863, entstieg abends gegen zwölf Uhr ein ältlicher Mann mit tief in die Stirn gedrücktem Kalabreser dem einfachen Coupé, das, mit zwei dampfenden Pferden bespannt, vor der genannten »Villa Camilla« hielt. Der in die Höhe geschlagene Rockkragen ließ von seinem Gesichte nichts, als eine starke Nase und einen dicken, graumelierten Schnurbart erkennen, und die das Boudoir ihrer Herrin bewachende Zofe flüsterte leise: » L'empereur«, während die schöne Gastgeberin noch im Innern ihrer Villa, vor dem Bilde Orsinis, des einstigen Geliebten, stand und, die Hände wie flehend zu ihm aufhebend, halb verzweifelt rief: »O Vaterland, was ich dir heute als Weihegeschenk zu Füßen lege, ist kostbarer als mein Blut!«

Später begegneten wir der inzwischen zu einer wütenden Mazzinisten umgeschlagenen Fürstin Camilla dann zum dritten und letzten Male und zwar bei dem Bäcker Asti zu Turin, der in der Strada di Giovanni daselbst längere Zeit sein Haus für die geheimen Versammlungen der Mazzinisten des italischen Nordens offen hielt.

Neben Marquis de Résancourt, Signore Masati, Menotti Garibaldi, Heribert Hilgard und anderen namhaften Verschwörern, lernten wir in einer der dortigen Kellerversammlungen auch einen gewissen »Ormelli« kennen, der damals als persönlicher männlicher Beistand der Fürstin Camilla fungierte und als solcher eine nicht unbedeutende politische Rolle spielte.

Als jene Geheimversammlungen dann später infolge des früher erwähnten Verrates der bekannten schönen Lausitzerin Marianne und Astis selbst polizeilich inhibiert wurden, machte sich Signore Ormelli vollends zum Ritter Camillas und geleitete dieselbe in ein altes, still abgelegenes deutsches Bad, das ihr von Freunden und Ärzten teils ihrer Gesundheit wegen, mehr aber noch größerer Sicherheit halber dringend angeraten worden war.

Möglich aber auch, daß Ormelli der erste gewesen, der zu einer Reise nach Deutschland geraten hatte, denn diesem war, seit er an jenem Abende in Astis Keller, wo unter dem Zeichen der Zypresse über Napoleons Geheimvertrag von 1860 mit Victor Emanuel beraten wurde, die unangenehme Entdeckung gemacht hatte, daß Heribert Hilgard sein leiblicher Sohn sei, der Boden Italiens in der Tat zu heiß geworden.

Der Leser erinnert sich gewiß noch jenes liebenswürdigen Husaren-Rittmeisters, der die junge Hofrätin Arabella Hilgard für all die Zurücksetzungen und Vernachlässigungen ihres alternden Gatten, des griesgrämigen Medizinalrates Hilgard reichlich zu entschädigen wußte. Dieser flotte Husaren-Rittmeister ging später, eines Dienstvergehens halber, unter dem Namen Signore Ormelli nach Italien, und er, kein anderer, war der wirkliche Vater Heribert Hilgards.

Um die Zeit aber, da sich jener Pseudo-Italiener mit der Fürstin Camilla nach dem ebenso still als reizend gelegenen »Frauenbade« Pyrmont im Fürstentum Waldeck aufmachte, lebte Heribert, sein natürlicher Sohn, noch nicht in Feindschaft mit dem Madagassen Jankal. Der einzige, den jenes Kind der Liebe damals wütend und persönlich haßte, war sein mutmaßlicher Erzeuger Ormelli, der ihn durch die erfolgte eigene Kundgebung seiner Vaterschaft tödlich beleidigt zu haben schien.

Und wie Heribert den Ormelli, so haßte damals Napoleon III. die Fürstin Bentivoglio, nachdem er sich, ein Holofernes, von jener falschen Judith betrogen und verraten wußte. Grund genug also, daß Camilla und Ormelli sich zusarnmen taten und Italien samt Frankreich fortan wie die Pest flohen.

Was die Fürstin Camilla und ihre plötzliche Räumung Italiens betrifft, so kamen noch besondere Motive hinzu. Seit nämlich die italienische Regierung im Frühjahr 1866 das über Mazzini verhängte Todesurteil aufgehoben hatte und letztbezeichneter Revolutionschef infolgedessen nach seinem Heimatlande zurückgekehrt war, erschien der Emissärin das von Mazzini selbst empfangene Mandat nicht mehr in dem Grade wichtig, daß sie darüber noch ferner ihr Leben aufs Spiel setzen sollte.

Camilla fühlte sich gewissermaßen in ihrer Eitelkeit gekränkt, als sie die Zügel des extremen Carbonarismus, die sie, was Norditalien anbelangte, bis dato tatsächlich in ihren Händen gehalten, nunmehr in diejenigen des Meisters zurücklegen mußte, und dieser Umstand war mit ein gewichtiger Grund, daß sie Italien – für immer den Rücken zuwandte.

Für immer, wiederholen und betonen wir, obgleich die Fürstin selbst keine Ahnung davon hatte, daß auch ihre Tage bereits gezählt waren und daß gerade das ihr fast fremde Deutschland sich rühmen sollte, eine Schönheit und Geist strahlende politische Intrigantin ersten Ranges gleichsam über Nacht verschlungen zu haben, wie weiland Rom seinen Markus Curtius jählings im eigenen Schoße begrub.

Wie schon angedeutet, geleitete der frühere deutsche Husaren-Rittmeister und jetzige Signore Ormelli die durch Napoleon III. wie eine gemeine Verbrecherin verfolgte Fürstin Camilla die ihm im Sinnesrausche und Schlafe verschiedene Dokumente zu eskamotieren gewußt hatte, nach dem ebenso alten als abgelegenen Waldeckschen Badeorte Pyrmont.

Von den zwölf Heilquellen des jetzigen Pyrmont ist die älteste, nämlich der nachweislich schon seit Karl dem Großen 3½ Fuß hoch sprudelnde eisenhaltige Trinkbrunnen ( fons sacer), welcher sich vor dem alten Brunnenhause befindet und das weltberühmte Pyrmonier Stahlwasser liefert, auch noch heute die bedeutendste.

Links von diesem heiligen Sprudel, aus welchem unter anderem auch die Königin Luise und Feldmarschall Blücher sich Labung und Genesung getrunken, streckt sich die überaus saubere und schattige, weil aus fast tausendjährigen Linden bestehende, 500 Schritte lange und 40 Schritte breite Brunnenallee dem Schlosse der Grafen von Pyrmont entgegen, während sich rechts, mit jener Promenade einen rechten Winkel bildend, der Flecken Pyrmont in kaum mehr als einer Straße, nämlich der Brunnenstraße, à la Heidelberg, ausbreitet.

Wichtiger als diese ebenso herrliche wie altberühmte Brunnenanlage ist aber für die Zwecke unseres Romans die bereits erwähnte Dunsthöhle Pyrmonts, auch Gashöhle und Schwefelhöhle genannt.

Diese liegt kaum eine Viertelstunde nordöstlich vom Flecken in einem ehemaligen Sandsteinbruche. Vor derselben ist seit lange ein kleines Boskett befindlich, und zu dieser Grotte selbst gelangt man durch eine Grube, die schon 1810 mit einer steinernen Treppe versehen wurde.

Der Eingang in die die Höhle umfassende Grotte ist mit einem hölzernen Geländer umgeben und in diesem eine Türe befindlich, welche zunächst einige Stufen hinab in den Vorhof der Höhle führt. Die Grotte selbst ist dauerhaft ausgemauert und ist 10 Fuß hoch bei 6 Fuß im Quadrat, so daß man, wenn man will, ganz bequem darin aufrecht stehen kann.

Doch: » Memento mori!« – Wir möchten's keinem raten, denn die Höhle haucht ein flüchtiges und in dieser Gestalt der Lunge höchst feindseliges Wesen aus, welches kohlensaures Gas oder fixe Luft heiß und das bald so hoch in der Grotte steht, daß man sich dem Eingange nicht ohne unmittelbare Todesgefahr der plötzlichen Erstickung nähern darf.

Der Stand des giftigen Gases ist bei Vollmond und im letzten Viertel höher als bei Neumond und im ersten Viertel; höher auch beim Aufgange als beim Untergange der Sonne. Ein unvorsichtiges Hinzutreten bei warmer Witterung, hellem Himmel und östlichem Winde, besonders aber bei einem heraufziehenden Gewitter, kann das Leben kosten.

Jeder Kurgast und Wanderer wird daher teils durch ausgehängte Warnungstafeln, teils durch dort postierte Wächter, welche die Fremden an brennendem Stroh oder auch wohl an lebenden Tieren mit den absolut tödlichen Wirkungen besagter Höhlenausdünstung bekannt machen, eindringlich gewarnt.

Der sehr gefährliche Hauch, der an diesem Orte emporsteigt, ist zuerst von Arbeitern beim Brechen der Sandsteine wahrgenommen worden. Ein gewisser Seip hat ihn darauf, und zwar im Jahre 1720, vollends entdeckt und auf seinen jetzigen Ausströmungsort begrenzt. Seip verglich schon damals diese Pyrmonter Gashöhle sehr richtig mit der in einer Bergwand am Ufer des Sees von Agnano bei Neapel befindlichen Grotte del Cane, das ist eine Hundsgrotte, und gab ihr in bezug auf diese letztere, bei Gelegenheit ihrer 1737 vollendeten heutigen Einfassung, die folgende Inschrift:

»Tut sich Italien mit Raritäten groß,
Sieh hier, die Schwefelgrub' dampft Gift aus Pyrmonts Schoß!«

Daß für Schwefel- hier Kohlensäuregrube stehen sollte, ist heutzutage auch jedem Nichtchemiker selbstverständlich. Sobald man sich mit offenem Munde oder offener Nase in jene, gewöhnlich nur 2 bis 3 Fuß über den Boden emporragende kohlensaure Dunstschicht hinabneigt, nimmt man, durch Geruch und Geschmack zugleich, jene Empfindungen wahr, die gärendes Bier oder Champagner durch dasselbe Gas auf unsere Sinne hervorbringen. Seifenblasen, die man von oben in besagte Gashöhle fallen läßt, bleiben unmittelbar über der Dunstschicht schweben, und ebenso lagert sich Pulverdampf gleich einer Wolke über derselben, während brennendes Stroh, in dieselbe hinabgesenkt, sofort verlischt.

Daß tierisches wie menschliches Leben ebenfalls rettungslos darin zugrunde geht, ist schon weiter oben betont worden, wenn auch ohne die Bemerkung, daß besagte Pyrmonter Dunsthöhle, gleich der Hundsgrotte zu Neapel, gerade aus dieser Ursache eine gewisse traurige Berühmtheit erlangt hat.

In der Tat kann es für verzweifelte Spieler, ertappte Verbrecher, lebensmüde Roués und sonstige pessimistische Individuen, welche des irdischen Daseins zweifelhafte Zerstreuungen nicht mehr ertragen mögen, keine willkommenere Gelegenheit geben, sich auf eine schnelle und schmerzlose Art ins bessere Jenseits zu expedieren, als die Pyrmonter Dunsthöhle.

Gott sei Dank aber stellt gerade die Pyrmonter Badesaison ein Kontingent von Besuchern, das zu selbstmörderischen Plänen im ganzen wenig inkliniert. Pyrmont ist nämlich, gleich Marienbad, in erster Linie ein Frauenbadeort, der vorwiegend von bleichsüchtigen, hysterischen und solchen Personen des weiblichen Geschlechtes frequentiert wird, denen der Herr, um mit Worten der Bibel zu reden, den Leib verschlossen zu haben scheint.

»Seid fruchtbar und meh – – mehr hab' ich euch nicht zu sagen!« schließt Lortzings Opera buffa »der Waffenschmied«. Um zu den Mehrern des Reiches gezählt zu werden, dazu braucht es aber, wie jedermann, der aus den Kinderschuhen heraus ist, jener eigentümlichen Reziprozität, auf die der Lateiner sogar mit der Genusregel: »Kommune heißt, was einen Mann und eine Frau bezeichnen kann« in sinniger Weise hin zu deuten scheint.

Kommun betragen sich aber die wenigsten Weiber und besonders jungen Frauen, die allsommerlich Pyrmont mit der Schneewittchen-Einleitung: »Sie wollten gern Kind haben und kriegten immer keins« aufsuchen. Im Gegenteil, züchtiglich wie Fausts Gretchen, vor der Bußszene in der Kirche, stehen sie stundenlang vor dem mächtigen Sprudel am Brunnenplatz und saugen, um ihre Gebisse nicht zu verderben, die segensreiche heilige Quelle durch lange, feine Glasröhren oder Rohrhalme, wie Türken ihr Opium rauchen, begierig und sehnsüchtig ein.

Haben sie monatelang »gekurt«, ohne eigentliche Wirkung zu verspüren und sind sie daneben leidlich hübsche Witwen, denen das Schicksal die prima movens zum Kindersegen jäh entzog, so spricht der junge Badearzt voll menschlichen Erbarmens öfter bei ihnen vor und erkundigt sich als Vertrauensmann, dem Ohrenbeichten gestattet sind, in teilnehmendster, innigster Weise nach der Patientin Befinden, oder aber es findet sich ein aufmerksamer Kandidat der Theologie, dem daran liegt, Luthers Erklärung zum vierten Hauptstück: »Wasser allein tut's freilich nicht« einmal auf ihren praktischen Wert zu erproben.

Genug, es fehlt in Pyrmont auch nicht an hilfereichen Männern, die Goethes Wort: »Der Frauenzimmer Ach und Weh ist meist aus einem Punkte zu kurieren«, verstehen, und die Folge davon ist, daß das genus femininum, sei es nun mit Bleichsucht, Hysterie oder Kindermangel behaftet gewesen, meist hoch befriedigt von dannen zieht und, zu Hause angekommen, schwungvolle geistliche und weltliche Oden auf Pyrmonts fons sacer dichtet.

Neben diesen, den vornehmeren Gesellschaftskreisen angehörigen ehemaligen Defectivas, besuchen das stille Emmertal aber auch noch eine Menge Erdenkinder, die ihren natürlichen Mangel an Distinktion durch Wohl gespickte Geldkatzen zu ersetzen wissen und für gewöhnlich reiche Bauern genannt werden. Ja, man kann sagen, daß zwei Drittel der gesamten Kurgäste des Pyrmonter Bades aus wohlhabenden Landleuten, die weder an Bleichsucht, noch an Hysterie leiden, bestehen. Und zwar sind das zumeist Bauern aus der nächsten Umgebung, die zu geizig sind, ein fernes fashionables Bad aufzusuchen und denen entweder bloß daran liegt, ihren von der Winterkampagne oder der Erntearbeit etwas deroutierten Körper zu erfrischen resp. zu reinigen, oder aber die sich darin gefallen, jenen verschämten Armen gegenüber, die da in Samt und Seide die große Badeallee auf und ab spazieren, einmal ordentlich auf die Tische klopfen und zeigen zu können, was heutzutage ein stolzer Bauer ist.

Wer nach Pyrmont kommt, den frappiert geradezu jener krasse Unterschied in der Toilette der Badegäste einerseits und ihrer Börsenfüllung anderseits. Großstädtische Pfauen, die in kunstgerechter Weise ihr Rad schlagen, und bäuerliche Puten, welche ihre Schwänze nicht weniger breit zu spreizen wissen, stolzieren dort, wie kaum in einem anderen Bade der Welt, oft vor Neid und Eifersucht gleich Truthähnen blau anlaufend und kollernd, bunt neben und durcheinander.

Unter den Landleuten, die Pyrmont alljährlich besuchen, stellen aber die Bauern aus den benachbarten Bückeburgischen Dörfern des Fürstentums Schaumburg-Lippe in Anbetracht ihrer Originalität wie ihres Reichtums das stärkste Kontingent. Sie allein in dortiger Gegend haben nämlich die Trachten, Sitten und Gebräuche ihrer Urväter bis auf den heutigen Tag treu bewahrt, sie allein reden noch die Sprache jener alten Deutschen, deren Stammbäume in Generationen hinauf reichen, welche von den Geschlechtern, die einst die Römer im Teutoburger Walde schlugen, nur noch wenige Jahrhunderte getrennt sind.

Man muß sie gesehen haben, diese herkulischen Männergestalten, in schneeweißen Schäferröcken mit rotem Futter und Paspel; in manchesternen Kniehosen und buntgemusterten oder gobelinartigen, knöpfestrotzenden Schoßwesten.

Auf ihre Art reizend nehmen sich aber vollends die Bückeburgischen Bauernweiber und Dirnen aus. Durchweg volle, hübsche, regelmäßige Gesichter, in knallrotem Faltenrock, indigoblauer Schürze, dunklem Samtmieder und buntgesäumtem Busentuch, mit einer mächtigen bänderreichen sogenannten Haube auf dem flachshaarigen Kopfe. Selbst in brennendster Juliglut lassen die Männer nicht von ihrer pelzverbrämten Pudelmütze, während die Weiber ihrerseits mit derselben Energie an dem bequemen Pantoffel, sogar aus der Badpromenade, festhalten. Was kümmert sie das Gelächel und Gespött der großstädtischen Hungerleider in den feinsten Pariser Kostümen und Toiletten. Sie trinken dreimal soviel Brunnen, ungeachtet der Warnung des Badeinspektors, denn sie wissen, sie können sich das, und zwar in doppelter Beziehung, leisten.

Das alles mußte vorauf geschickt werden, um den Leser in den Stand zu setzen, sich ein möglichst deutliches Bild von jener Situation machen zu können, in welche die italienische Fürstin Camilla mit ihrer Begleitung geriet, als sie mit ihren Welt- und parkett-verwöhnten Füßen den abgelegenen deutschen Badeort Pyrmont betrat. Allgemeines Staunen ob einer so bezaubernd schönen, welschen Principessa von selten der neugierigen einheimischen Badegäste und eine gewisse eigene Enttäuschung in betreff der auffallenden Stille des Platzes und des vorwiegend bäuerlichen Charakters der gesellschaftlichen Umgebung.

Signore Ormelli, dem ehemaligen deutschen Husaren-Rittmeister dagegen war diese neue Situation eben recht. Gerade hier, in dem überaus ländlichen Pyrmont, glaubte er seine Schutzbefohlene sicher vor den Nachstellungen Napoleons, wie feine eigene Person vor den Verfolgungen Heriberts, dessen jähes Ableben ihm vollständig fremd geblieben war.

Eine politisch höchst gewitterschwüle Luft lagerte über Deutschland und seinen schönen Bädern als die einstige Geliebte Orsinis und zeitweilige Konkubine Badinguets mit ihrem jüngsten Schutzgalan Ormelli in Pyrmont einrückte.

Der für Österreichs Herrschaft in Italien wie in Deutschland so verhängnisvolle Sommer 1866 war angebrochen und das Damoklesschwert des Krieges hing somit über drei Länder zugleich. Der bekannte Gasteiner Vertrag zwischen den alten politischen Rivalen Preußen und Österreich, betreffs einer gemeinsamen Verwaltung der 1864 gemeinsam von dänischer Herrschaft befreiten Herzogtümer Schleswig-Holstein war in die Brüche gegangen und genannte deutsche Nebenbuhler wetzten beide ihre Waffen zum Appell an die ultima ratio.

Lange aber, bevor es zum Losschlagen kam, hatte sich Preußen vorsichtigerweise mit Österreichs südlichem Feinde, mit Italien, ins Einvernehmen gesetzt, denn, merkwürdig genug, bildeten die verjährten Ansprüche Habsburgs den eigentlichen Hemmschuh sowohl der endlichen Einigung und Einheit Italiens wie Deutschlands. Cavour wie Bismarck hatten dieses historische Faktum klar erkannt und dem entsprechend die freundschaftlichen und schutzbrüderlichen Beziehungen ihrer Regierungen und Länder zu einander, für den Fall eines Krieges mit Österreich, rechtzeitig angebahnt.

Schon am 12. April 1866, noch ehe Österreich den Gasteiner Vertrag durch Überweisung des schleswigholsteinischen Frage an den deutschen Bund tatsächlich brach, hatte sich der italienische General Govone nach Berlin begeben und dort, allen Eventualitäten vorbeugend, ein Kriegsbündnis zwischen seinem Souverän Victor Emanuel und König Wilhelm abgeschlossen.

Demgemäß erklärte Italien am 20. Juni 1866, als sein Verbündeter, Preußen, mit affenartiger Geschwindigkeit bereits die damals habsburgisch gesinnten und gerüsteten deutschen Kleinstaaten Hannover, Kurhessen und Sachsen besetzt hatte, an Österreich und Bayern auch seinerseits den Krieg. Während die österreichische sogenannte Nordarmee unter dem unglücklichen Feldzeugmeister Benedeck gegen Preußen nach Böhmen vorrückte, marschierte der Erzherzog Albrecht von Österreich mit der unter sein Oberkommando gestellten habsburgischen Südarmee wider Italien, das, einem Ratschluß der Vorsehung zufolge, mit Deutschland zugleich seiner endlichen Einigung entgegen schreiten sollte.

Den Siegestatsachen gegenüber, die sich aus seiten der genannten, gegen Österreich Verbündeten, namentlich aber durch Preußens großartige Leistungen blitzartig schnell und Schlag auf Schlag vollzogen, mußten die politischen Nörgler, sowohl in Deutschland als in Italien, verstummen. Die alten Barrikadenkämpfer von 1848, welche immer noch von einem einigen, auf den Trümmern des preußischen Militarismus zu errichtenden Großdeutschland (inkl. Österreich) träumten, mußten sich nolens volens der jetzt schon halb realisierten korrekteren Idee Bismarcks von einem Kleindeutschland (exkl. Österreich) unter Preußens Führung akkommodieren, und ebenso hatte der auf eine einheitliche italienische Republik hinsteuernde Carbonarismus, resp. Mazzinismus, seine Rolle auf der apenninischen Halbinsel seit 1866 eigentlich ausgespielt.

All diese unerwarteten Dinge gingen der wütenden Mazzinistin Camilla seit ihrem Aufenthalt im Bade Pyrmont durch den Kopf und stimmten sie mürrisch und melancholisch, wie man sie nie zuvor gesehen hatte. Jede neue Siegesdepesche vom italienischen oder böhmischen Kriegsschauplatz regte sie, weil sie instinktiv fühlte, daß die Tage des Mazzinismus mit dem durch so große Erfolge gestärkten Royalismus und Monarchismus zu Ende gingen, in einer Weise auf, daß man das Ärgste befürchten konnte.

Als nun gar, 10 Tage nach der jüngsten Schlacht bei Custozza die Nachricht von dem Monstresiege Preußens bei Sadowa oder Königgrätz, der großen Juliterz, eintraf und mit dieser Post zugleich die Botschaft anlangte, Franz Joseph II. von Österreich habe den Kaiser Napoleon III. um Intervention in betreff Venetiens angerufen und demnach seinen alten Einfluß in Italiens Händeln erneuert, da erreichte der politische Fanatismus Camillas seinen Höhepunkt.

Wie alle Mazzinisten haßte auch die Fürstin Bentivoglio den König Victor Emanuel schon des monarchischen Prinzips wegen, das er, wenn auch in konstitutionellster und humanster Weise, repräsentierte. Aber dieser Haß war kein persönlicher, denn jeden Italiener galt die Erkenntnis, daß der Re Galantuomo in der Liebe zu seinem großen Vaterlande keinem Mazzinisten nachstand, im Gegenteil mit allen Carbonaris hierin wetteiferte, als politisches ABC.

Ganz anders dagegen dachten Camilla und ihre Bundesgenossen über Napoleon. Der Haß gegen ihn hatte sich zu einem rein persönlichen zugespitzt, und mit Recht. Er spielte seit seiner Thronbesteigung das falsche Karnickel in allen italienischen, ja europäischen Händeln, und was er auch tat: nirgends war Vaterlandsliebe, vielmehr immer persönlicher Ehrgeiz, persönlicher Vorteil die causa und prima movens seiner Handlungen. Er stand in der Tat stets als Wolf im Schafskleid da, als Diabolos der ganzen Welt.

Daß sich Camilla trotz alles Sträubens ihrer böseren Natur doch hatte entschließen können, jenem politischen Satan eine Stunde ihres Lebens, wenn nicht mehr Camilla überschätzte seinerzeit die noch vorhandene Leistungsfähigkeit Napoleons, als ihr um ihre Ehre bangte. Es blieb tatsächlich bei einer Cause du plaisir im Sektrausch, der bekanntlich selbst höchst potenten Geistern nickt gerade förderlich ist. zu opfern, daß sie in der früher ausführlich geschilderten Nacht auf den elyseischen Feldern sich nach heißen inneren Kämpfen – sie, die einstige Geliebte Orsinis und Freundin Mazzinis – herbeilassen konnte, mit Italiens Teufel par excellence und dem Mörder ihres Geliebten, wenn auch nur zum Schein, zu kosen, hatte seine guten und besonderen Gründe.

Camilla war von Mazzini, weil nur sie dazu imstande, der Auftrag geworden, Napoleon im Champagnerrausche einmal wieder auszuhorchen, und was derselbe etwa an wichtigen Dokumenten und Depeschen bei sich führte, zu lesen, resp. zu entwenden.

Beides war der Fürstin damals über Erwarten und ohne ihre Frauenehre groß zu kompromittieren, geschweige denn zu riskieren, über Erwarten gelungen. Nicht allein nämlich, daß sie dem champagnerseligen alternden Roué auf Frankreichs Throne höchst pikante mündliche Mitteilungen in betreff seiner künftigen Stellung zu Italien zu entlocken gewußt hatte, sondern Camilla war außerdem noch in jener Pariser Nacht zu Papieren gelangt, welche sie damals, ihren Zwecken gegenüber, für ziemlich Wertlos hielt, die aber jetzt, im Jahre 1866, für Napoleon äußerst gefährlich werden konnten.

Es handelte sich in den von der Fürstin eskamotierten Dokumenten, die Badinguet erst an demselben Abende erhalten hatte, um die jetzt jedem Zeitungsleser bekannten, weil durch die preußische Negierung später publizierten Abmachungen zwischen dem blinden Könige Ernst August von Hannover und dem französischen Kabinett, wonach der Kaiser Napoleon eine bedeutende Vergrößerung Hannovers wie überhaupt die Wiederaufrichtung der alten welfischen Machtstellung für den Fall gewährleistete, daß der blinde König im bevorstehenden deutschen Kriege als treuer Waffenbruder Österreichs auftrete und Preußen auf diese Weise eine empfindliche Schlappe erleide.

Camilla sandte diese Papiere bald nach ihrer schlauen Besitzergreifung und in dem seligen Rachegefühle, daß sie Napoleons Politik, Bismarck gegenüber, damit im höchsten Grade kompromittierte und diskredierte, direkt an das Berliner Auswärtige Amt, dem derlei Enthüllungen natürlich ein gefundenes Fressen waren.

Napoleon, der seinerzeit, als er wieder nüchtern geworden, bald dahinter gekommen sein mußte, daß jene Dokumente ihm nur von der Fürstin Camilla entwendet worden sein konnten, verfolgte eben seit jenen Tagen die Bentivoglio mit einem fast tödlichen Hasse. Ja dieser Haß steigerte sich zu einer Art Raserei, als gleich nach der, alle Pläne Napoleons und seiner heimlichen Vasallen vereitelnden Schlacht bei Sadowa offiziöse Berliner Zeitungen Miene machten, den Wortlaut jener hannoverisch-französischen Abmachungen zum Besten zu geben.

Jetzt war dem Fuchs an der Seine vollends klar, in welche Falle er geraten war. Die Fürstin Camilla, die ihn geprellt und überlistet, womöglich zu vernichten, darauf lief von jetzt ab Napoleons Racheziel hinaus, und der Mann, welcher ihm dabei helfen sollte und mußte, war der uns von früher her bekannte Leibspion Badinguets: Griscelli.

Der Leser erinnert sich vielleicht noch jener famosen Kassettengeschichte aus dem zweiten Hauptbande unseres Romans, in welcher derselbe Griscelli eine so furchtbare Rolle spielte. Es war dort eine Gräfin Lehon, auf welche Napoleon und dessen Bastardbruder Morny gewisser sie kompromittierender Dokumente wegen Jagd machten, bis besagte Papiere in ihren Händen waren. Damals hatte des Kaisers Leibspion noch der Beihilfe des Polizeipräfekten Pietri bedurft, in dem jetzt vorliegenden Falle, das heißt mit der Fürstin Camilla, hoffte der blutdürstige Korse Griscelli allein fertig zu werden. Da die Napoleon entwendeten Papiere sich jedoch, wie man wußte, nicht mehr in ihren Händen befanden, so handelte es sich lediglich um einen Racheakt, so bestand, wie schon angedeutet worden, Griscellis Aufgabe lediglich darin, den Aufenthaltsort der in Italien flüchtig gewordenen Verräterin auszukundschaften und dieselbe alsdann auf möglichst heimliche Weise aus der Welt zu schaffen.

Aber die Fürstin Camilla ließ sich nicht, wie seinerzeit die Gräfin Lehon, durch Polizeiagenten düpieren; sie war zu lange Mazzinistin gewesen, um selbst einem Polizeimephisto wie Griscelli so ohne weiteres auf den Leim zu gehen.

Als der letztere nach langem Umherschnuppern und Schnüffeln in sämtlichen Bädern Frankreichs und Deutschlands endlich herausbekommen hatte, daß die Gesuchte Pyrmont als Zuflucht gewählt und dort, ihren Vornamen umkehrend, ganz schlicht als Frau von Allimac mit ihrem Beschützer lebte, war Camilla durch Mazzinis, allerorten stationierte Geheimagenten auch bereits von der Ankunft Griscellis unterrichtet worden. Amt und Name dieses bekannten Boten Napoleons genügten vollkommen, die Fürstin ahnen zu lassen: es ist auf deine Person abgesehen.

Was sollte sie dem gegenüber nun beginnen? Sollte sie es auf eine Hetzjagd von Bad zu Bad ankommen lassen und fliehen, oder war es besser, dem kaiserlichen Verfolger und geheimen Mordgesellen kühn die Stirne zu bieten? – Daß Griscelli seine Sache nicht plump anfing und sie bei der ersten Begegnung gleich tot schlug, davon durfte sie überzeugt sein, und eben auf die immerhin chevalereske Art, wie der aalglatte Korse sein Bubenstück ausführen würde, stützte die Weiberlist Camillas ihre Contrearbeit.

Sie beschloß zu bleiben, den Todfeind zu empfangen und, da derselbe auf jeden Fall mit Gift operierte, gleich die erste Begegnung zu einem Gegencoup mit selbiger Waffe auszunutzen. Ihr böses Gewissen sagte ihr nur zu bestimmt, daß hier kein Säumen am Platze sei, daß es sich vielmehr darum handle, dem Gegner mit ausgesuchter Höflichkeit zuvor zu kommen.

Nicht umsonst hatte Camilla in ihrem Bädeker von der Pyrmonter Dunsthöhle gelesen und noch weniger umsonst dieselbe eines schönen Tages aufgesucht.

»Bis hierher und nicht weiter!« triumphierte das raffinierte Weib mit Beziehung auf die nahe Ankunft Griscellis, »hier soll deine Verfolgung ihr Ende erreichen!«

Die Fürstin wußte, daß jener Spitzbube Deutsch weder sprechen noch lesen konnte, und in französischen Reisebüchern war Pyrmont mit seiner Dunsthöhle, gottlob, bis dahin vergessen worden.

Kam er, was auf jeden Fall geschehen sollte und mußte, daselbst ums Leben, so hieß es einfach: »Es ist wieder ein Ausländer durch Unvorsichtigkeit verunglückt«, und die Sache war damit für immer erledigt.

Daß der Wächter an der Dunsthöhle dabei ohne Verantwortung blieb und auch kein Hindernis bereitete, dafür sollte Ormelli sorgen, und der Himmel kam merkwürdigerweise Camilla und ihrem Beschützer bei diesen Höllenplänen zu Hilfe.

Während die Fürstin nämlich den ahnungslosen Griscelli auf einem Spaziergange wie zufällig der Dunsthöhle und damit seinem Tode entgegenzuführen gedachte, sollte der sie begleitende Ormelli den Höhlencerberus unter irgendeinem Vorwande nach seinem, etwa fünf Minuten von der Grotte belegenen Wächterhäuschen, nicht viel größer als eine gewöhnliche Eisenbahnschienenkontrolleurbude, locken. Im schlimmsten Falle sollte er dort Feuer anlegen, um jenen Mann auf diese Weise sicher ein paar Augenblicke von seiner Berufspflicht abzuziehen, aber, wie gesagt, der Himmel hatte ein Einsehen und machte es beiden Teilen, den Getäuschten wie den Täuschenden, leicht. Den Getäuschten ebenfalls, betonen wir, denn daß Camilla ihre Rechnung diesmal ohne den großen Wirt da droben, den Herbergsvater aller Erdenbürger, aufgestellt hatte, welcher nicht bloß Griscellis sündiges Leben, sondern auch Camillas keineswegs ganz makellosen Wandel zu rächen und zu sühnen im Begriffe stand, und zwar auf ihre eigene Initiative und dem Spruchworte gemäß: »Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein«, sei vorläufig nur angedeutet.

Die Fürstentümer Lippe-Detmold, Schaumburg-Lippe und Waldeck gehörten zu denjenigen kleinen deutschen Bundesstaaten, die im Frühjahr 1866 keinen Augenblick gezögert hatten, auf die Seite Preußens zu treten. Infolgedessen nahm auch ihre Bevölkerung, deren bester Teil natürlich mit ins Feld gezogen war, den innigsten Anteil an den außerordentlichen und ungeahnten Erfolgen der gegen Österreich verbündeten Waffen.

Nach Eingang der Botschaft von dem Riesensiege bei Königgrätz hatten Freudenfeuer auf allen Bergen dieser landschaftlich gesegneten Gaue geleuchtet, und als sich mit dem 4. Juli 1866 jene fabelhaften Erfolge sogar auf den Krieg gegen die Bayern und die deutsche Reichsarmee ausdehnten, als die Gefechte bei Roßdorf, Hammelburg, Kissingen, Aschaffenburg und später bei Tauberbischofsheim, Werbach und Roßbrunn, im Verein mit der Besetzung Brünns, Frankfurts a. M., Würzburgs, Baireuths und Nürnbergs der Welt zeigten, was norddeutsche Tapferkeit und Ausdauer vermag, da war Pyrmont keineswegs der letzte Ort, welcher bei jeder der neuen Siegesdepeschen, die einliefen, seinem hellen, patriotischen Jubel in allerhand Ovationen Luft machte. Man schmückte die Stätten, wo die Königin Luise und Marschall Vorwärts am liebsten geweilt, und gellende Hurrarufe durchbrausten die stillen Badealleen, ob Deutschlands endlichem Erwachen zur Einheit, Freiheit und Größe.

Freilich war die Badesaison als solche durch den plötzlichen Hereinbruch des noch immer tobenden deutschen Krieges fast vernichtet. Seit die ersten Kanonenschüsse gewechselt, war eine Familie nach der andern schleunigst in die Heimat gereist, und namentlich hatten die Ausländer sich eiligst aus dem Staube gemacht.

Am zahlreichsten behaupteten sich, wie immer, die Bückeburger Bauern, weil sich dieselben den Teufel um Zeitungen und Depeschen scherten, und auf diese Weise hatte die gesellschaftlich vereinsamte Fürstin von Bentivoglio einen doppelt schweren Stand.

In solcher Bedrängnis war der 20. Juli 1866 als jener denkwürdige Tag angebrochen, an welchem die preußischen Krieger vor Wien ankamen und die Zietenschen Husaren ihre Rosse zum ersten Male in den Fluten der Donau tränkten.

Just an demselben Tage meldete ein in Kissingen zurückgebliebener Geheimagent Mazzinis der Fürstin die Ankunft Griscellis, und nun war guter Rat vollends teuer.

Daß Camilla zu bleiben entschlossen war, haben wir bereits mitgeteilt und es war auch das klügste, was sie beginnen konnte; nur über die Art des Empfanges jenes Leibspions und Rächers Seiner Majestät des Franzosenkaisers war sie noch im Unklaren.

Da sich indes beide, das heißt Camilla und Griscelli, von Paris her persönlich und nur zu gut kannten, so daß an ein vorläufiges Fremdtun und Einanderausweichen nicht zu denken war, so mußte der ersten zufälligen Begegnung die Entscheidung in jenem heiklen Punkte überlassen bleiben.

Die Ankunft eines Franzosen, oder besser Korsikaners, im Spätjuli 1866 erregte natürlich in Pyrmont das größte Aufsehen und erschwerte dadurch Griscellis geheime Mission ganz ungemein. Er glaubte daselbst ein klein Paris, das heißt einen Menschentrubel ohnegleichen zu finden, wie er in andern berühmten Bädern zur Saisonzeit herrscht, und gewahrte nun zu seinem Schrecken ein durch die Kriegsunruhen fast leergewordenes Nest.

Doch beschäftigen wir uns noch einen Augenblick mit Griscellis geheimer Instruktion. »Schaffe mir die freche Diebin und Verräterin lebendig oder tot zur Stelle!« hatte Napoleon, sein Gebieter, ihn angeschrien, dann aber, sich den Wutschweiß von der Stirne trocknend, als alter Fuchs etwas gelassener hinzugesetzt, »mit dem Lebendigbringen wird es seine Schwierigkeiten haben und das Todzurstelleschaffen hat keinen rechten Sinn. Darum begnügen wir uns mit dem aus der Welt lancieren, Griscelli! Ihr versteht das, Landsmann, und dürft meiner Erkenntlichkeit gewiß sein!«

Der treue Leibspion und gehorsame Helfershelfer Seiner französischen Majestät hatte, dieser kaiserlichen Weisung entsprechend, anfangs in der Tat den Plan gefaßt, die Fürstin Camilla mittels Gift ins Jenseits, resp. in die Hölle, zu befördern und trug sich zu diesem Zwecke schon Zeit seiner Reise mit Blausäure, Cyankali und anderen, ebenso schnellen als tödlichen Giften. Schließlich jedoch hoffte er das unmöglich Scheinende möglich machen zu können und den allerhöchsten Dank dadurch zu potenzieren, daß er die Ventivoglio lebendig in die Hände ihres Rächers und Richters überlieferte. Und dieser letzte Plan, obgleich seine Ausführung ihm keineswegs schon klar war, reifte um so mehr zu einem wirklichen Entschlusse in seiner schwarzen Korsenseele, als er Pyrmont leider auffallend leer fand und daher in der Rolle eines Giftmischers doppelt vorsichtig auftreten mußte. Aber: » Au hasard!« Wie Camilla setzte er seinen Glückstreffer auf Zeit und Gelegenheit, freilich um auch seinerseits die Rechnung diesmal ohne den Wirt zu machen.

Was dem gegenüber den Mordplan der Fürstin betrifft, so war derselbe im Detail folgender. Sie wollte Griscelli am ersten besten, heißen Nachmittage nach besagter überaus kühlen Grotte locken, resp. spazieren führen; ein Plan, der an sich gar nichts Verfängliches hatte, da die Pyrmonter Dunsthöhle ihrer tiefschattigen und fast eisige Felsenkühlung spendenden Lage wegen auch von nicht Selbstmördern, das heißt harmlosen Badegästen, mehr, als man denken sollte, aufgesucht wird.

Dort angekommen, sollte Ormelli zunächst den Höhlenwärter auf die schon früher angedeutete Art entfernen, und alsdann wollte sie selbst, bei einer unwillkürlichen, ihre Rede begleitenden Geste mit der Hand, einen ihrer Fingerringe auf den Fuß hoch mit giftiger Kohlensäure bedeckten Boden der Grotte, als durch Zufall dem Finger entglitten, fallen lassen.

Griscelli, so hatte sie mit echter Weiberstrategie ausgetüftelt, würde sich dann sofort, und galant wie immer, nach dem ihrer Hand entschlüpften Ringe bücken und auf diese ganz unschuldige Art seinem, ihm von ihr zudiktierten Schicksale, nämlich dem Erstickungstode, verfallen, ohne daß ein Kriminalist auch nur den Verdacht auszusprechen wagen durfte, sie, die Fürstin, trage an diesem traurigen Ereignisse irgendwelche Schuld.

Die Möglichkeit, daß genannter Korse ihr zuvorkommen und, umgekehrterweise, sie entweder gewaltsam in die Höhle stürzen oder doch durch irgendeine konventionelle Nötigung in den Bereich des bewußten tödlichen Dunstkreises bringen könnte, war bei obigem Plane so ziemlich ausgeschlossen, wenn Griscelli nicht noch in Pyrmont selbst von jener gefährlichen Gasgrotte erzählen hörte. Auch die Warnungstafeln, zu beiden Seiten der Höhle, trugen nämlich nur deutsche Schrift, die der Korse, wie schon bemerkt wurde und Camilla genau wußte, absolut nicht verstand. Über seine Ignoranz in obiger Beziehung konnte sich die Fürstin leicht durch ein paar Fragen, ohne Verdacht zu erregen, Gewißheit verschaffen, und so mußte alles glücken, wenn der Himmel – oder besser, die Hölle ihren Segen zu dem Teufelswerke gab.

Aber, wie gesagt, es kam wesentlich anders, als jener Dämon in Weibergestalt, den wir unter dem Namen Camilla kennen gelernt, sich die Sache berechnet hatte. Wie sich die geplante Tragödie in Wirklichkeit abspielte, das zu schildern sei nun, um die Neugier des Lesers nicht auf die Folter zu spannen, unsere nächste Aufgabe.

Am 20. Juli 1866 rückte, wie bereits angedeutet, der tiegerschlaue Griscelli siegesgewiß in Pyrmont ein, und schon der folgende Tag sollte die Entscheidung bringen. Schnell, sehr schnell mußte gehandelt werden, falls sie selbst sich retten wollte, das fühlte Camilla instinktiv, und darum schritt sie, begünstigt vom Himmel, der drei Sühneopfer auf einmal begehrte, ungesäumt und ungeahnt zu ihrem eigenen Verderben.

Der 21. Juli 1866, jener Tag, an welchem der siegreiche König Wilhelm von Preußen, behufs Anbahnung der ersten Friedensverhandlungen mit Österreich, nach der mährischen Felsenfeste Nikolsburg eilte, war ein recht heißer, sonnedurchglühter Tag, ein Hundstag, wie er nicht bloß im Kalender steht. Wenigstens in dem großen Pyrmonter Talkessel hatte sich die Hitze der voraufgegangenen Hundstage derartig verfangen, daß selbst den Spaziergängern am Nachmittage noch der Schweiß ob ihrer sauren Badearbeit in dicken Tropfen von der Stirne rann und jeder sich am wohlsten in dem bekannten weißleinenen und luftigen, weil äußerst legerem Sommerpaletot, schlechthin »Hemd« genannt, fühlte.

Ungeachtet der wahrhaft drückenden Atmosphäre und jener dunklen, gelb umränderten Wolken, die sich bereits am Horizont zusammen ballten und auf ein nahes, heftiges Gewitter schließen ließen, trieb die Langeweile im Verein mit der Badeordnung doch einige Brunnentrinker bald nach 4 Uhr ins Freie, und unter diesen Hitzetrotzern befand sich auch die Fürstin Camilla mit Ormelli. Sie wollte sich, der Ankunft Griscellis gegenüber, nicht die Dementi geben, als fürchte sie den kaiserlichen Verfolger, und verzichtete schon aus dem Grunde auf jede Stunde eines freiwilligen Stubenarrestes. Im Gegenteil, mutig und auf ihre Art nicht minder siegesgewiß wie der Gegner, bog sie mit ihrem Begleiter in ihre nächste Arena, die lindenbeschattete Kurpromenade ein.

Es währte auch nicht lange, so sah sie den verhaßten Feind, dessen Personalbeschreibung dem Leser aus dem zweiten Bande unseres Romans noch im Gedächtnis sein wird, mit ausgesuchtester Heuchlermaske, nämlich mit der dem Franzosen eigenen ritterlichen Liebenswürdigkeit, Damen, zumal Schönheiten gegenüber, auf sich zuschreiten:

» Ah, quel cas heureux, Madame la princessel J'ai l'honneur de faire mon très humble compliment votre Altesse sérénissime, à Pyrmont!«

» Quoi! est-ce vous, Monsieur Griscelli? – Est-ce bien vous?«

» C'est moi-même, et je suis ravi de vous voir!«

»Berg und Tal kommen nie zusammen, wohl aber die Menschen, Monsieur Griscelli, die Menschen! – Erstrecken sich Ihre Geschäfte, Sie Bedauernswertester, jetzt sogar bis nach Pyrmont?«

»Eure Durchlaucht belieben zu scherzen und könnten mich beinahe veranlassen, eine ähnliche Gegenfrage zu stellen! Nein, nein, auf Ehre! Allein die Sorge um meine Gesundheit und die Order des Hausarztes trieb mich nach Deutschland und in dieses, wie es scheint, äußerst langweilige Bad!«

»Ja, ja, die leidigen Ärzte! Selbst der Krieg ist ihnen kein Hindernis mehr, sich unliebsame Patienten, wie uns beide, vom Halse zu schaffen, und je entfernter das Bad liegt, desto besser!«

»Ganz meine Ansicht, Durchlaucht, der Teufel hole jene moderne sanitätsrätliche Verbrüderung, die weniger die Gesundheit ihrer Kranken, als die gespickten Börsen der Gesunden im Auge hat. Ich finde, die ärztliche Praxis erweitert sich immer mehr zu einem internationalen Kartellverbande, das heißt zu einem großartigen, gegenseitigen Austausch doktoraler Existenzmittel auf dem Wege kategorischer Badverschreibung! Die Ärzte der Großstädte insonderheit bedürfen größerer Kunstpausen bei ihrer aufreibenden Tätigkeit und senden hauptsächlich zu diesem Zwecke ihre eingebildeten Kranken in möglichst entfernte Bäder, deren Sanitätsräte ihre kollegialische Erkenntlichkeit dafür entweder in klingender Münze oder aber in gelegentlicher freier Saisonstation auszudrücken wissen!«

» Tant mieux pour nous, Monsieur Griscelli! Daß wir, die Betrogenen, wenigstens gesund dabei sind! – Doch die Hitze ist heute nachmittag, zumal zwischen diesen heckenartigen Alleebäumen, unerträglich! Darf ich Sie bitten – o pardon! Die Herren kennen sich noch nicht! – Monsieur Griscelli de Paris! Monsieur Ormelli, mon guide de voyage, de Turin! – uns auf einem Spaziergange nach einem der kühlsten Plätze Pyrmonts Gesellschaft zu leisten!«

» Je m'en ferai grand honneur! De tout mon cœur! De quel côté irons nous?«

»Kennen Sie die berühmte Pyrmonter Grotte?«

»Keine Ahnung!«

»Um so größer die Überraschung!«

»Aber, Durchlaucht, ich bemerke, daß wir binnen 10 Minuten ein starkes Gewitter haben können!«

»Fürchten Sie sich vor Blitz und Donner?«

»Im Gegenteil, des Himmels Artillerie schoß oft Salut zu meinen Haupterfolgen! – Aber, falls es regnet, Durchlaucht, strömend regnet?«

»Die Grotte bietet Schutz vor Sturm und Regen! Selbst Wolkenbrüche stiften dort nicht Schaden!«

» Allons, je suis à vos ordres!«

So ging es weiter. Griscelli bot der Fürstin galanterweise seinen Arm, und Ormelli, der angebliche Turiner, trollte, die Verstellungskunst der beiden bewundernd, gedankenvoll hinterdrein.

Selbstverständlich kam man auch auf die großen Ereignisse der Gegenwart, auf den Krieg in Deutschland und Italien zu sprechen, aber keine Silbe fiel natürlich über Napoleon und sein zweideutiges Verhältnis zu diesen Fragen des Tages. Jeder hütete sich vor den Nesseln auf dieser Unterhaltungsbahn.

Als Griscelli eben davon anfangen wollte, daß vornehmlich auf Grund der neuesten preußischen Siegestaten die lombardische eiserne Krone fortan in den Händen der piemontesischen Dynastie sicher ruhen werde und die österreichischen Truppen eben im Begriff ständen, Venetien und Venedig für immer zu räumen, brach das schon lange beobachtete aber, wie es schien, von beiden Teilen wenig gefürchtete Gewitter plötzlich los.

Blitz auf Blitz flammte unheimlich durch die von rabenschwarzen Wolken verfinsterte Luft und fürchterliche Donnerschläge machten die Erde erbeben.

»Da haben wir die Bescherung, Durchlaucht!« bemerkte Griscelli, seine innere Unruhe unter einem Lächeln verbergend.

»Wir sind glücklicherweise am Ziel!« antwortete die Fürstin, und ein satanischer, schadenfroher Triumph spiegelte sich dabei auf ihren Zügen.

»In der Tat, ein prächtiger Zufluchtsort bei solchem Unwetter!« lächelte Griscelli, seinen Regenschirm aufspannend und über Camilla breitend. »Belieben Durchlaucht nur vorauf zu schreiten, denn wie mit Mulden öffnet jetzt der Himmel seine Schleusen!«

Ein neuer, jäher Blitzstrahl fuhr in diesem Moment fast senkrecht hernieder und ein entsetzlicher Krach folgte ihm auf den Fuß.

In dem nämlichen Augenblicke sah man eine dunkle Rauchwolke und gleich darauf eine rotzüngelnde Lohe aus dem nahen, auf einem Hügel gelegenen Häuschen des Grottenwächters in die Höhe steigen.

»Wächter, Wächter!« schreit Ormelli, der aus guten Gründen den Feuerschein zuerst bemerkt, »Wächter, es hat bei Euch eingeschlagen! Auf, zu retten, was zu retten ist!«

Der Angeredete, wie die der Gashöhle zueilenden Ausländer, noch halb betäubt von dem letzten, furchtbaren Donnerschlag, wendet sich entsetzt nach seinem Häuschen um, gewahrt die züngelnde Lohe ebenfalls und rennt dann, die Hände über dem Kopf zusammenschlagend, mit einem jähen Ausruf des Schreckens zur Rettung seiner wenigen Habseligkeiten fort.

Ormelli, glückstrahlend, daß der Himmel ihm auf diese Art zuvorgekommen, reißt ebenfalls seinen hellen Sommer-Parapluie über seinem alten Sünderhaupte mit hastigem Ruck auseinander und rennt – aus reiner Menschlichkeit – dem armen Wächter spornstreichs nach.

Jener zündende letzte furchtbare Blitz schien das Signal zu dem jetzt folgenden wolkenbruchähnlichen Platzregen, und er war zugleich das Fanal zu der entsetzlichen Katastrophe, die, sich nur wenige Sekunden später vor der Pyrmonter Dunsthöhle abspielte.

Als Ormelli und der Wächter nach dem nahen, jetzt lichterloh brennenden Häuschen aufbrachen, befanden sich Camilla und Griscelli bereits vor der großen Freitreppe besagter Giftgrotte. Aber gerade hier angekommen, goß es plötzlich wie mit Mulden vom Himmel herab, so daß Griscelli, den bei aller Teufelei im Herzen doch keinen Augenblick die konventionelle Höflichkeit und französische Galanterie verließ, in der Bedrängnis jenes Moments nichts Besseres glaubte tun zu können, als seiner Dame möglichst rasch die bewußte Treppe hinaufzuhelfen.

Oben angekommen, bot ja der zwar nur schmale, aber doch überbaute Vorraum der Grotte genügenden Schutz vor dem rasenden Unwetter. Aus diesem Grunde ergriff die Fürstin, welche durch die furchtbare Stimme der Allmacht aus den Wolken ihr satanisches Vorhaben auf einen Augenblick vergessen zu haben schien, um nur zunächst aus dem strömenden Regen zu kommen, dankbar die Hand ihres Verfolgers und eilte in fliegender Hast die wenigen Steinstufen vor sich hinauf.

Aber eben diese fliegende Hast und die allen Weibern in ähnlicher Lage anhaftende übertriebene Angst vor dem Verderben ihres Kleiderstaats, zumal ihrer Hutgarnitur, ließ sie die Gefahr, in die sie ihre Person dadurch stürzte, völlig übersehen.

Um ihre kostbare Spitzenmantille und die goldschillernden Kolibris auf ihrem herrlichen Seidenchapeau zu schonen und auch nicht durch einen Tropfen naß werden zu lassen, drängte die sonst so berechnende und geistesgegenwärtige Frau dicht vor die ihr doch bekannte, giftschwangere eigentliche Höhle. Sie hatte, um den Feind zu verderben, wohl den Bädeker studiert, ja sogar des einstigen Pyrmonter Badearztes Menke umfangreiche Abhandlung über die Dunsthöhle gelesen, aber in ihrer Rachelust zu eigenem Unheil leider vergessen, daß heute, den 21. Juli, Vollmond im Kalender stand und daß das gleichzeitige überaus heftige Gewitter, dem sie eben mit genauer Not entronnen, die Höhe und den Umfang des tödlichen Kohlensäurebrodems der Grotte ganz bedeutend steigerte.

Item, eben ist Camilla auf der Terrasse an dem Vorraume der Höhle angelangt: eben eilte sie, um gar nicht naß zu werden, in die Grotte hinein und damit dem Eingange der wirklichen Höhle zu; eben fällt ihr, des geplanten Rachewerks sich wieder völlig gegenwärtig, die Manipulation mit ihrem Fingerreife ein; eben streckt sie schon, dem nacheilenden Griscelli verborgen, die linke Hand nach ihrer Rechten behufs Abstreifung des bewußten Ringes aus: – da wandelt es sie plötzlich wie eine Ohnmacht an, – da stürzt sie jählings vornüber in die Pestluftgrotte – ein Sühneopfer ihrer eigenen Rachewut.

Griscelli, der, nacheilend, von der Ursache dieses plötzlichen Sturzes keine blasse Ahnung hat, steht einen Moment wie erstarrt. Soll er sich auf die lange Gesuchte, endlich Gefundene und nun vor ihm am Boden Liegende stürzen und ihr den Gnadenstoß versetzen?

Die Gelegenheit ist günstig und die Versuchung zu dieser, ihm so wider Erwarten gleichsam in den Schoß geworfenen Missionserfüllung kribbelt ihm förmlich in den Fingerspitzen.

Er kämpft mit sich – doch nein, er will, er muß die Gefallene seinem Kaiser lebendig in die Hände liefern, und ihre Ohnmacht wird vorüber gehen.

Weiberohnmachten, wer kennt sie nicht? – Vielleicht ist auch die der Fürstin nur Scheinmanöver, eine für seine Großmut oder Sinnlichkeit berechnete Koketterie. Darum hernieder zur Erde, um die Gestürzte wieder aufzuheben! Wer weiß? – Am Ende ist Camilla wirklich krank? – Dann um so erwünschter, um so besser! Dann fort mit ihr, bevor Ormelli wiederkehrt. Schnell einen Wagen nach der Eisenbahn und abgedampft! Adieu, Pyrmont, die Fahrt geht nach Paris!

Das ungefähr sind die Gedanken, die sich in Griscellis Hirn kreuzen, als er sich nach blitzkurzem Besinnen ebenso hastig zum Boden des Höhleneinganges niederbeugt, um die vor ihm hingestreckte und wie leblos daliegende Fürstin zunächst empor zu richten.

Aber, – o Wehe und Grauen über Grauen! Dieselben falschen Berg- und Höhlengeister, welche ein körperlich herrliches Weib soeben getötet haben, packen auch ihn, den starken Mann, den furchtbaren Kabinettskriminalisten Louis Napoleons.

Ein zweiter dumpfer Fall; ein zweites leises Röcheln, und auch Griscelli, der unerbittliche Verfolger der schon toten Camilla, ist von höherer Hand gerichtet. Unmittelbar neben die Fürstin hat ihn das heute doppelt gefährliche Gift der Gashöhle hingestreckt. Beide fielen und starben im selben Augenblicke, da ihre Atmungsorgane den Dunstkreis der bei Vollmond und Gewitter dreifach erhöhten und ausgebreiteten Kohlensäureschicht jener berüchtigten Pyrmonter Grotte auch nur berührten.

Camilla hatte mit Ormelli verabredet, sie wolle, sobald ihr der Rachecoup mit Griscelli geglückt, auf den über der Gashöhle liegenden Helvetiushügel steigen und ihn mittels ihres Taschentuches schleunigst herbei winken, noch ehe der Grottenwächter, was geschehen, erfahren habe.

Da der Gewitterregen ebenso schnell aufgehört hatte, als er gekommen war, mußte das Ausbleiben jener Zeichensprache den Reisebegleiter der Fürstin doppelt befremden.

»Den Teufel! Was heißt das?« fragte er sich im Stillen und eilte, nachdem er wohl eine Viertelstunde vergeblich gewartet und dem armen, abgebrannten Wächter mit Worten wie mit Gelde inzwischen Trost zugesprochen hatte, nichts Gutes ahnend, vorerst allein der Unglücksstätte zu.

Wer beschreibt sein Entsetzen? – Wie Romeo und Julie in gemeinsamer Gruft am Schlusse von Shakespeares gleichnamiger Tragödie, findet er seine Gebieterin neben ihrem Verfolger entseelt am Boden der Gifthöhle hingestreckt, nur daß er diese beiden nicht wie jene aus Liebe, sondern aus Haß und Rache getötet wähnt.

Aber wie kommt's, daß auch sie, die Fürstin tot ist? – Hat Griscelli ihren Plan noch bei der Ausführung durchschaut und Camilla selbst in die Grotte gestürzt? – Nein, nein, dann wäre nicht auch er demselben Tode verfallen!

Aus diesem Labyrinthe von Gedanken findet Ormelli keinen Ausweg. Er steht und sinnt voll Grauens ob der beiden Leichen.

Da – was ist das? – Zuckt nicht die eine Wimper seiner Herrin noch? – Ist's keine Täuschung, daß es scheint, als ob ihr üppiger Busen sich noch leise hebt und senkt?

Er muß das wissen – muß sie retten, wenn's noch möglich, – er beugt sich, wie Griscelli über sie und – – stirbt wie dieser schnell und sanft.

Am Abend des 21. Juli 1866 war ganz Pyrmont auf den Beinen. Drei Ausländer waren zu einer Stunde in der Dunsthöhle verunglückt; drei Leichen schaffte man mit einem Male dort hinaus.

»Wenn die Kuh aus dem Stalle ist, macht man umsonst die Türe zu,« sagten die brunnentrinkenden Bückeburger Bauern, als die Pyrmonter Obrigkeit sich aus Anlaß dieses neuen traurigen Ereignisses endlich veranlaßt sah, die Gashöhle selbst bis auf die Vorhalle mit einem hohen, eisernen Gitter zu versehen.

»Gott sei Dank, daß es diesmal Ausländer waren, die ihrer eigenen Unvorsichtigkeit zum Opfer fielen! meinte die Badedirektion, mit Rücksicht auf die gespickten Geldkatzen jener, 1866 allein ausdauernden Bückeburger Bauern, und ließ den Grottenwächter unbehelligt.

Die Majestät Soulouque et Badinguet in Paris aber wartete vergeblich auf die Rückkehr Griscellis, obgleich ein zweites deutsches Sprüchwort lautet: »Die Toten reiten schnell!«


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