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Zweites Kapitel.
Die Feuertaufe.

Der Morgen des 17. Oktobers zog heiter und lieblich über Sebastopol heraus, denn in diesem Klima ist der Oktober gewöhnlich der schönste Monat des Jahres. Der Himmel war wolkenleer, und auf dem Meere herrschte vollkommene Windstille ... Es ist nun an der Zeit, einige Anführungen über die Befestigungswerke Sebastopols zu geben, an denen der kühne Mut von Tausenden verbluten sollte. Dieselben hatten vor der Krim-Expedition offenbar nur den Zweck, die Flotte des Schwarzen Meeres und die ungeheuren Arsenale und Vorräte dieses »Zwing-Pontus« zu sichern, und waren daher auch nur auf der Seeseite stark. Ein Angriff von der Landseite durch die Türken, während die russische Flotte das Schwarze Meer beherrschte, schien undenkbar, und wir haben gesehen, daß man in unbegreiflicher Verblendung selbst damals, als die verbündeten Armeen schon in Varna lagerten, ihn noch für kaum möglich hielt ... In den letzten Jahren der Regierung des Kaisers Nikolaus war ein Plan zur Befestigung auf der Landseite entworfen, aber nur teilweise ausgeführt worden. Die Festungswerke in einer Länge von 6 Werst sollten sowohl die eigentliche Stadt, als auch die Schiffer-Vorstadt (Karabelnaja) decken und sich von der Mündung des Kilen-Grundes um die Schiffer-Vorstadt bis an die äußerste Spitze der Südbucht, von hier um die Stadt ziehen und an das Quarantäne-Fort anschließen. Diese Verteidigungslinie bestand zur Zeit der Landung der Verbündeten auf der größten Strecke nur aus einer einfachen Steinmauer, durch unvollendete Werke und an einigen Stellen durch Defensiv-Kasernen gedeckt. Ganz vollendet war der Teil auf der westlichen Seite der Stadt von dem Seefort Alexander an, und auf der Ostseite der Südbucht (des großen Kriegshafens) der Turm auf dem Malachoff-Hügel (die »Karnilowski-Bastion«). Die Annäherung von der Seeseite wurde durch Seeforts mit 700 Kanonen großen Kalibers verteidigt, die in zwei und drei kasemattierten Etagen plaziert waren.

Der Mann, den General Schilder von seinem Sterbebett dem Fürsten gesandt hatte, Totleben, dessen Patent als Oberst-Leutnant zum Dank für die vor Silistria geleisteten Dienste bald nach ihm in Sebastopol, vom Kaiser unterzeichnet, eingetroffen, hatte sein kühnes Anerbieten gegen den Fürsten wahr gemacht. Während der vierzehn Tage Waffenruhe entstand wie durch Zauberschlag ein Gürtel von Festungswerken um die Südseite der Stadt. Mit jedem Tage wuchsen neue Bastionen und Batterien aus der Erde, die unter sich mittels Trancheen verbunden waren und für deren Armierung das Arsenal und die Schiffs-Artillerie unerschöpfliche Quellen boten. Die Matrosen, die Sappeurs, die Truppen, die Einwohner – Männer, Weiber, Kinder selbst – arbeiteten und lösten sich Tag und Nacht ab; jeder bot willig seine Habe, seine Kräfte, sein Leben zur Verteidigung der Vaterstadt und des Bollwerks Rußlands im Süden, und nach Verlauf der zwei Wochen – die der Feind mit seinen Einrichtungen verbrachte – starrten mehr als 200 Geschütze starken Kalibers von vortrefflich angelegten Wällen ihm entgegen und dahinter harrten todesmutig die tapfern Land- und Seesoldaten ... Zugleich war die Garnison, die am Tage nach dem Abzuge des Fürsten Mentschikoff und nach der Besetzung Balaclawas durch die Alliierten tatsächlich nur aus 11 000 Mann Seesoldaten und Matrosen und 3 Bataillonen der Reserve-Brigade der 13. Infanterie-Division bestand, bedeutend verstärkt worden. Am 28. September schon trafen von Baktschiserai in den nördlichen Festungswerken 29 Bataillone in der Stärke von 23 000 Mann ein. Das Offensivkorps, mit dem sich der Fürst jenseits der Tschernaja nach dem Mekensiewaja-Berg zurückgezogen, betrug zu dieser Zeit nur 25 000 Mann.

Hätten die Verbündeten gleich am Tage nach der Besetzung Balaclawas eine Rekognoszierung gegen die Festung unternommen, so würden sie die Schwäche der Südseite erkannt und einen Sturm unternommen haben, der sie auch bei der heldenmütigsten Verteidigung in den Besitz der Stadt gesetzt hätte. Wie jedoch die Gefangennahme und der Tod seines Boten die Verbündeten vor einem verderblichen Angriff auf den Marsch nach Balaclawa bewahrte, also rettete wiederum die Flucht des greisen Tabuntschik nach jener Führung, die eine Opferung sein sollte und ein Verrat wurde, die Stadt, denn die Generäle der Feinde glaubten ihre Pläne und ihre Schwäche entdeckt und waren in den ersten Tagen nur darauf bedacht, sich gegen jeden Angriff von russischer Seite zu schützen ... Hierzu trug noch bedeutend der Wechsel des Oberkommandos und die Eifersucht zwischen den Führern der beiden Nationen bei. Der Marschall Saint-Arnaud hatte, bereits zum Tode krank, den Marsch nach Balaclawa in einer Sänfte begleitet – er wollte durchaus vor Sebastopol stehen. Schon vor Balaclawa jedoch trat das Delirium ein, und gänzlich entkräftet wurde er am 29. September mittags an Bord des »Berthollet« gebracht, der sofort nach dem Bosporus absegelte. Kaum eingeschifft, kam der Kranke wieder zu sich und unterhielt sich zuweilen mit seinen Offizieren bei vollem Bewußtsein. Augenzeugen erzählten, daß er dabei wiederholt auf den schrecklichen Zug der französischen Kolonnen in die verpesteten Sümpfe der Dobrudscha zurückkam. Um 4½ Uhr wandte er sich plötzlich in seinem Bette um und verschied – an derselben Krankheit, der er zwei Monate vorher tausende nutzlos und hilflos geopfert. Am Abend des 30. September warf der »Berthollet« in Theapia mit gestrichener Flagge seine Anker und setzte die Leiche ans Land.

Am 1. Oktober unternahmen von Balaclawa aus die verbündeten Generale mit 4 Bataillonen eine Rekognoszierung gegen die Festungswerke von Sebastopol und fanden diese bereits so weit vorgeschritten, daß sie sich überzeugten, ein starkes Bombardement müsse einem Sturme vorangehen. Man beschloß demnach, die Trancheen zu eröffnen, und begann mit den Vorarbeiten am 4. Oktober. Zunächst galt es, sich die Rücken- und Flankenlinien der Belagerungsarbeiten zu sichern. Auf der Seite nach Westen zu deckte das Meer die Belagerer. Die Franzosen hatten an der Kamiesch-Bai (Rohr-Bai) eine feste Stellung genommen und schifften hier ihr Belagerungsmaterial und ihre Verstärkungen aus. Am 7. Oktober trafen bereits die 5. und 6. französische Division unter den Generalen Levaillant und Paté und die afrikanischen Jäger hier ein. Die Operationsbasis und der Hafen der Engländer und Türken blieb Balaclawa, und hier schifften sich die von Konstantinopel eintreffenden Verstärkungen aus.

Die rechte Flanke der Verbündeten, beim Beginn der Belagerung hauptsächlich von den Engländern eingenommen, war von der Bodenbeschaffenheit überaus begünstigt. Zunächst trennte das tiefe Tal der Tschernaja mit den steilen Talrändern auf eine weite Strecke nach Süden hin die Aufstellung der Alliierten von der auf dem gegenüberliegenden Ufer, dem Mekensiewaja-Berg und den Inkerman-Höhen, befindlichen Operations-Armee des Fürsten Mentschikoff. Zwischen der Tschernaja und Balaclawa bildeten die unzugänglichen Schluchten des Sapunberges den Schutz der Verbündeten, die hier 16 Feldschanzen aufgeworfen hatten, um diese natürliche Mauer noch zu verstärken.

In der Nacht vom 9. zum 10. Oktober eröffneten die Belagerer ihre erste Parallele, die Franzosen mit 1900 Arbeitern unter dem Schutze von 8 Bataillonen gegen die Mast-Bastion (Nr. 4) in einer Entfernung von 400 Saschen. Etwa 400 Schritt. Die Parallele sollte sich bis zur Quarantäne-Bucht erstrecken und mit 5 Batterien die russischen Werke auf dieser Seite beschießen. Die Engländer erbauten ihre Parallele in der größern Entfernung von 600 Saschen gegen die Bastion Nr. 3 und verlängerten sie an den folgenden Tagen gegen den Malachoff-Hügel und die östliche Seite der Schiffer-Vorstadt. Die Nacht war dunkel, ein starker Nordostwind jagte schwarze Wolken daher, die den ganzen Horizont bedeckten und es der Garnison unmöglich machten, den Beginn der Belagerungsarbeiten sogleich zu bemerken und zu stören. Als der Tag anbrach, eröffneten die russischen Batterien ein starkes Feuer, doch konnte dasselbe den Fortgang der Arbeiten nicht mehr hindern. Am 13. Oktober bereits führten die Franzosen 53 Geschütze in ihre Batterien ein; die Armierung der englischen mit 73 Geschützen großen Kalibers, darunter 4 Lancester-Kanonen, war erst am Abend des 16. beendet. Eine zahlreiche Artillerie stand in Reserve.

Am Morgen des 17. Oktober sollten die Flotten in zwei Linien gegen die Reede vorrücken. Von der französischen Eskadre, die den rechten Flügel gegen das Quarantäne-Fort, die Batterie Nr. 10 und das Alexander-Fort bildete, waren dazu bestimmt, in erster Reihe die Schiffe: Charles Magne, Montebello, Friedland, Ville de Paris, Valery, Heinrich VI. und Napoleon; in zweiter: Algier, Marengo, Marseille, Souffrant, Bayard und Jupiter. Das englische Geschwader, gegen das Fort Konstantin gerichtet, bestand aus der: Queen, Vengeance, Albion, Britannia, London, Arethusa, Bellerophon, Rodney, Trafalgar, Agamemnon, Sanspareil, Terrible und Samson. In der Mitte, zwischen den englischen und französischen Schiffen, standen 2 türkische – demnach 28 Schiffe mit ungefähr 500 Geschützen ihrer Breitseiten gegen die drei mit 260 Kanonen besetzten Seeforts. 1000 Geschütze harrten am Morgen des 17. des Signals zum gegenseitigen Feuern.

Die Luft war rein. Ein leichter Südostwind, der den ganzen Vormittag anhielt und die Bewegungen der Flotte erschwerte, strich über die Felsenplateaus. Aus dem Morgendunst tauchten die langen weißen Häuserreihen der »weißen Stadt« empor; die Schiffe lagen noch träge und regungslos auf den spiegelglatten Fluten des Meeres und der Reede, daß man sie für tote Bilder auf einem gemalten Ozean zu halten versucht war. Terrassenförmig steigt hinter der krenelierten Mauer auf dieser Seite die Stadt mit ihren Kirchen, stolzen Gebäuden aus weißem oder rotem Sandstein, ihren Gärten und Baumgängen am Hügel empor, der sich auf der Südwestseite an 200 Fuß hoch erhebt und sich dann zur Reede, der Bucht und den Südforts hinabsenkt.

In einer Embrasüre der Kapitale der Mast-Bastion saß der junge Fürst Barjatinski, der wackere Leutnant des Wladimir, mit mehreren seiner Kameraden plaudernd, während um ihn die Matrosen die schweren Schiffsgeschütze instand setzten, Kugeln häuften und die Werkzeuge der Vernichtung von dem Tau polierten, der sich über Nacht auf das blanke Metall gelegt hatte ... Der 30. Flottenequipage nebst der Mannschaft des »Wladimir«, unter dem Oberbefehl des Vize-Admiral Nowossilski, war die Verteidigung der wichtigen Mast-Bastion anvertraut worden ... Der Fürst legte das Fernrohr, das er einige Augenblicke am Auge gehabt, aus der Hand, glättete die gelben Pariser Glacé-Handschuhe schärfer über die Hand und holte aus der Tasche seines grauen Paletots den goldgestickten Tabaksbeutel mit der duftenden Latakia, um sich eine neue Zigarre zu drehen ... »Reich mir die Lunte, Koschka,« sagte er nachlässig, »wir werden noch zu verschiedenen Rauchwolken Zeit haben, ehe wir die ihrigen da drüben aufsteigen sehen. Willst du dich bedienen, Birjulew?« – Er warf einem in seinem Paletot auf dem Boden liegenden Offizier den Beutel zu, während der riesige Matrose, den er angesprochen, mit der brennenden Lunte eines Geschützes herbeisprang.

»Ich bin neugierig,« sagte der Offizier am Boden, »ob sie ihre Schiffe ins Gefecht bringen?« – »Bah – vielleicht versuchen sie's, aber die Quarantäne und Konstantin würden ihnen eine Lektion geben, die sie künftig in gehöriger Entfernung hielte. Wie steht der Wind, Kusmenko?« Der junge Aristokrat war zu blasiert, um den Wolkenzug eines eigenen Blickes zu würdigen. – »Süd-Süd-Ost, Euer Gnaden!« – »Ein trefflicher Strich, um nach Odessa zu fahren.«

»Was gibt es Neues in Petersburg?« fragte der Leutnant Birjulew. »Ich sah, daß Sie gestern einen Brief erhielten.« – »Gagarin von der Garde hat mir geschrieben. Der liebe Junge wußte noch nichts von unserer Affäre an der Alma und glaubt mich schwerlich hier auf dieser verteufelten Mauer. Bodisco hat sich in Bomarsund gefangen gegeben, statt sich und das Nest in die Luft zu sprengen. Die Flotten haben seitdem einige Plünderungen an der finnischen Küste verübt und beziehen ihre Winterquartiere in Kiel, während die unsere in Kronstadt fault. Der Teufel hole das Glück, zur Marine zu gehören! A propos, weißt du, daß die Engländer das Schloß meines Onkels an der Yalta geplündert haben?« – »Massandra?« – »Gewiß. Auch des Grafen Potocki himmlische Besitzung Livadja und des Fürsten Dundukoff Gut Korjakoff sind von den Halunken unter dem Vorwand einer Fouragierung geplündert worden. Generalleutnant Rischeff hat jetzt eine starke Rekognoszierung nach dem Baidartal gemacht, und die Feinde können nur an den Küsten fouragieren. Ich würde Iwan Oczakoff raten, seine schöne Schwester von Schloß Ayu in Sicherheit zu bringen, so fest es auch auf den Klippen am Meere gelegen ist. Wie ich höre, befindet sich überdies eine zweite Dame da, Freundin des Obersten Wassilkowitsch, und das Beispiel der Fürstin Tschestsawadse lehrt uns, daß es gefährlich für Damen ist, in der Nähe der Feinde allzusehr auf die Sicherheit der Wohnung zu bauen.« – »Hat man von den Unglücklichen nichts weiter gehört?« – »Ei freilich! Schamyl hat die Damen – du weißt, daß auch die Fürstin Orbelion und eine Verwandte der Tschestsawadses, eine junge polnische Gräfin, die erst kurz vorher in der Kachetie eingetroffen war, ehe die Tschetschenzen sie überfielen, mit gefangen genommen wurden, – in das Innere der Berge nach seiner Felsenfeste Pokhalski geschleppt und fordert ein unverschämtes Lösegeld. Er will vierzigtausend Rubel und seinen Sohn Djemala-Din zurück.« – »Wenn ich recht weiß, ist dieser ja Offizier?« – »Er steht bei den Ulanen in Podolien. Der Fürst hat sich an den Kaiser gewandt und ihm das Verlangen des Imams vorgelegt. Man kennt die Entscheidung noch nicht. Schorte wos mi! Da regen sich die Franzosen, und da drüben auf der Batterie des Krähennestes geben die Unseren Signale. Wir wollen den Admiral benachrichtigen lassen. – Heda, Fähnrich Bitschesko, meldet Seiner Exzellenz, daß der Feind sich rührt!« – »Da kommt er selbst, und Korniloff mit ihm.«

Das Ravelin herauf kamen langsam mehrere Reiter, mit nebenhergehenden Offizieren sprechend. Es war der Admiral Korniloff, der mit seinem Kollegen Novossilski herankam. Seit dem Tagesgrauen war der Generalstabschef des Fürsten Mentschikoff, dem die Verteidigung der Festungswerke anvertraut war, zu Pferde und beritt die einzelnen Teile. Ein Hurra der Matrosen begrüßte den geliebten Führer ... »Nun, Kinder,« sagte der Admiral, »ich fürchte, es wird heute heiß hergehen, aber ich kenne euch und weiß, was ihr leisten könnt. Bei euch wird der Lärm zuerst anbrechen, deshalb bin ich hierher gekommen. Sieh da, Barjatinski! Guten Morgen, Kamerad!« – Er reichte dem Fürsten die Hand. – »Ah, meine Wackeren von der »Maria« – toller Koschka und du Bolotnikow, und der alte Schewtschenko. Wo ist Rostislaw, euer Batterieführer?« – »Ich habe ihm die Batterie dort drüben anvertraut, welche die Leute das Krähennest nennen.« – » Charoscho! er wird seine Schuldigkeit tun. Was starrst du mich so trübselig an, Fürst Petrowitsch, da wir doch zum Tanz gehen?«

Der junge Mann trat an den Admiral und deutete mit der Hand auf eine seltsam geformte breite Waffe, die derselbe als Seitengewehr angeschnallt trug. Es war eine Schaschka Tscherkessisches Schwert. von altertümlicher Arbeit, die breite Scheide mit großen Stahlbuckeln belegt, der Griff von künstlich ziselierter Arbeit ... »Exzellenz,« sagte der Fürst, »es betrübt mich, daß du die Waffe heute trägst. Ich bitte dich, lege sie ab und nimm meinen Säbel.« – »Närrchen! kommst du wieder mit der alten Geschichte? Ich hatte die Schaschka zufällig zur Hand, aber da sie an meinem Gehenk ist, mag sie daran bleiben. Wir haben keine Zeit zu Ammenmärchen, und vor den Kugeln der Feinde steht der Admiral wie der Leutnant. Leih mir dein Glas, Söhnchen, und laß mich sehen, was die Franzosen beginnen.«

Er stieg vom Pferde und setzte sich an den Posten des Signalmannes auf die Blende, das Fernrohr am Auge, während seine Begleiter und die Offiziere der Bastion ihre Blicke gleichfalls nach den Batterien der Feinde richteten. – »Wir werden das Feuer der drei Batterien dort auszuhalten haben,« sagte der Admiral, »ich zähle 27 Enceinten, und wenn mich das Auge nicht täuscht, dort in der rechten sechs stattliche Mörser. – An die Geschütze, Kinder – ich glaube, sie beginnen ihr Feuer!«

Von dem Turm der Kathedrale schlug es eben halb sieben. Die Glockenschläge waren noch nicht verklungen, als aus der dritten französischen Batterie eine Rauchsäule sich emporkräuselte und ein dunkler Punkt im Bogen mit jenem prasselnden Zischen durch die Luft kam, das den Bomben eigen ist. Der Knall hallte durch die Luft, und zwei weitere Schüsse folgten unmittelbar darauf ... Im nächsten Moment schien die Erde zu erbeben, die Luft zu erzittern. Über dreihundert Geschütze schweren Kalibers hatten, gleich als hätten sie auf dieses Signal gewartet, von beiden Seiten auf dem ganzen Halbkreis von der Quarantänebucht bis zum Kilengrund ihr furchtbares Feuer begonnen und schüttelten einen Hagel eherner Todesboten rings umher.

Korniloff beobachtete unbeweglich auf seinem ausgesetzten Posten die Wirkung des Feuers, während der Unteroffizier, der mit der Signalisierung beauftragt war, ungeduldig und besorgt daneben stand. – »Deine Kugeln schlagen zu niedrig, Birjulew,« sagte der Admiral, »laß etwas weniger Pulver nehmen, oder visiere höher – – der Schuß tat seine Wirkung, der Mörser ist demontiert!« – Er sprang von der Brustwehr herunter und reichte dem Manne das Glas, der alsbald den gefährlichen Posten einnahm. – »Und jetzt, Lieblinge! da ich euch in voller Arbeit sehe, will ich euch verlassen und weiter. Gott schütze das heilige Rußland!« ... Der Ruf, wie ein Donnerrollen sich über die ganze feuerspeiende Bastion fortpflanzend, übertönte das Krachen der Geschütze. Nur einen Blick konnten die an den Kanonen arbeitenden Leute auf den geliebten Führer werfen, der mit der Hand winkend sie verließ und am Eingang des bedeckten Weges noch einige Momente bei den auf den Tod oder die Verwundung harrenden Ersatzmannschaften verweilte. Dort drückte er Novossilski die Hand, bestieg den harrenden Schimmel und ritt unter dem Regen der Kugeln nach der Bastion III am jenseitigen Ende der Südbucht.

Fürst Barjatinski hatte den Admiral mit den Augen verfolgt, so weit er ihn sehen konnte. Mit trübem Kopfschütteln wandte er sich zu dem neben ihm kommandierenden Birjulew. – »Der heilige Andreas möge ihn schützen, aber ich fürchte, wir sehen ihn nicht wieder. Die verfluchte Schaschka!« – Fragend schaute ihn der Offizier an. Aber die Antwort blieb der Befragte ihm schuldig unter dem Donner der Geschütze. – »Eine Bombe für uns – sie ist bitterböse! Aufgepaßt links!« schreit der Signalist, und eine Granate schlägt in die Brustwehr ein, platzt und nimmt ein Stück Erde mit hinweg. »Leute nach oben!« ertönt die Stimme des Kommandeurs der Batterie. »Eine Bombe ist in die Blendung geschlagen!« – »Ja, Euer Gnaden.« – Die Todesmutigen springen nach der Decke der Wölbung, und in einem Augenblick ist der gewaltige Trichter mit Erde und Steinen verschüttet. Da saust eine zweite Bombe durch die Luft, und das unglückliche Geschick führt sie auf dieselbe Stelle, die Decke wird durchschlagen, die gewaltige fünfzigpfündige Kugel springt und zerschmettert ein Dutzend Tapferer!

Es ist zehn Uhr. Dicker Pulverdampf erfüllt die Batterien. Die Bastion gleicht dem speienden Krater eines Vulkans; die Männer an den Geschützen, bis an die Hüften entblößt, von Schweiß, Erde und Pulver mit einer dicken Kruste überdeckt, aus dem schwarzen Gesicht nur das Auge weiß und grimmig leuchtend, arbeiten wie die Teufel; die Offiziere gehen auf und ab und dirigieren das Feuer. Vollkugeln, Granaten, Bomben fliegen, pfeifen, zischen, schlagen ein, platzen, rikochettieren nach allen Richtungen. Jeder ist nur mit dem Zerstörungswerk beschäftigt, niemand achtet auf die eigene Gefahr.

Ein donnerndes Hurra! erschüttert das Gewölbe der Batterie. Aus der ersten Schanze der Feinde ist ein mächtiger Feuerstrahl durch den Pulverdampf emporgestiegen, ein gewaltiges Krachen übertäubt den Donner der Geschütze auf der meilenlangen Feuerlinie: das Pulvermagazin der französischen Batterie ist in die Luft geflogen; – drei Viertelstunden vorher hat die vierte feindliche Batterie dasselbe Schicksal gehabt, und mehr als 50 Mann wurden dabei getötet und verwundet. Die übrigen 3 französischen Batterien waren jetzt nicht mehr imstande, das fürchterliche Feuer der 3 Sebastopoler Bastionen und der zahlreichen Batterien kräftig zu beantworten, und der General Canrobert überließ es dem Kommandanten der Artillerie, Thiry, den Kampf nach eignem Ermessen einzustellen. Um 11 Uhr schwiegen sämtliche französische Batterien. Von den fünf war die eine durch das explodierende Pulvermagazin gänzlich vernichtet, in den anderen waren 19 Geschütze demontiert. An 400 Tote und Verwundete blieben in der französischen Parallele ... Aber auch der Verlust und die Zerstörung in den russischen Werken war nicht unbedeutend. Auf dem Kampfplatze lagen zwischen Blut und Trümmern, keuchend von der gewaltigen Anstrengung, die erschöpften Kämpfer an ihren Kanonen, die frische Luft in die erhitzten Lungen saugend, die der Wind durch die breiten, von den Kugeln der Feinde erweiterten und zerrissenen Schießscharten herein wehte ... Auf der Blendung standen die Offiziere, die dem Kugelregen glücklich entgangen, oder doch nur leicht verwundet worden waren, und schauten nach der feindlichen Flotte, deren letzte Schiffe merkwürdigerweise eben erst von den Dampfern in die Schlachtlinie bugsiert worden waren und jetzt ihre Breitseiten gegen die Reede-Forts und die drei östlichen Bastionen kehrten, zum Gefecht fertig ... »Der Spektakel,« sagte Novossilski, »wird sogleich wieder aufs neue angehen; es ist gut, daß wir die Luft haben von der Landseite. Ich begreife nicht, warum die hölzernen Rosse Alt-Englands uns so lange Ruhe gelassen.« – »Ich wette fünfzig Rubel, der Admiral befindet sich in der Quarantäne und wartet dort auf den ersten Gruß, sonst hätten wir ihn längst wieder hier gesehen.« – »Ich glaube eher,« sagte Barjatinski, »er ist auf der andern Seite der Bucht, das Feuer ist dort noch sehr heftig, und er mag die Engländer nicht leiden.«

»Was meintest du vorhin mit Schaschka, Kamerad?« fragte der Leutnant Birjulew. – Der Fürst blickte nach den feindlichen Schiffen. – »Ihre Signale fangen an zu spielen, wir haben also noch fünf Minuten Zeit, und ich kann Ihnen die unheimliche Geschichte erzählen, die mir das Herz schwer macht. Der Teufel hole die Schaschka! Sie gehörte dem armen Schelesnow, den vielleicht einige von Ihnen gekannt haben. Er war als Kurier nach Tiflis geschickt worden und hatte sie auf der Reise von dort nach Suchum-Kale für dreißig Rubel gekauft.« – »So billig?« – »Das meinte ich auch, doch Schelesnow erwiderte mir, daß sie niemand hätte kaufen wollen eines Aberglaubens wegen. Die Schaschka hatte bei den Tchetschenzen den Ruf: jeder, der mit derselben in den Kampf ginge, würde unfehlbar umkommen oder tödlich verwundet.« – »Und er kaufte sie dennoch? Ich meine, die Seeleute sind gerade sonst abergläubisch.« – »Schelesnow spielte den Freigeist und lachte über die Sage, als er sie mir erzählte. Er war an Bord des »Wladimir«, als wir mit Admiral Korniloff von Varna kamen. Wir stießen auf das türkische Dampfschiff »Pervas Bachre« und unsere Kanonenkugeln begrüßten es. Wir fuhren auf Kartätschenschußweite heran, und unsere Mannschaft machte sich fertig zum Entern. Ich sah, wie Schelesnow den kaukasischen Säbel umschnallte. – »Haben Sie die verhängnisvolle Eigenschaft vergessen?« fragte ich ihn. Er antwortete: »Gott bewahre, aber ich glaube nicht daran,« und eilte auf das Verdeck. Der Kartätschenschwarm sauste uns über die Köpfe, als ich zur Batterie kam, um die Anordnungen zum Entern zu treffen. Da sehe ich, wie die Matrosen einen verwundeten Offizier aufheben, aus dessen Brust sich das Blut stromweise ergießt; es war Schelesnow, eine Kugel hatte ihn in die Brust getroffen, fünf Minuten später, nachdem er die Schaschka umgeschnallt, und nun klirrte sie, von der Leiche nachgeschleppt, gegen das Verdeck ... Ich ergriff die verhängnisvolle Klinge und wollte sie in meiner ersten Aufwallung über Bord werfen: aber unwillkürlich erfaßte mich ein unüberwindliches Gefühl, dieselbe zum Andenken an den gefallenen Kameraden aufzubewahren, und ich tat es.« – »Aber wie kommt die Schaschka in den Besitz des Admirals?« – »Er befahl mir, den Nachlaß Schelesnows aufzunehmen, und er wurde, wie es Sitte, vor dem Mast versteigert. Dem Admiral gefiel die unglückliche Waffe, und er überbot mich.« »Und sie sagten ihm nichts von ihren schlimmen Eigenschaften?« – »Ich tat es, aber er lachte mich aus und meinte, er glaube nicht an Vorurteile und ich wäre ebenso gefährdet, wie er. Sie haben es vorhin nochmals mit angehört. Mir war weh um das Herz, als ich ihm die Schaschka überreichte, und ich zürnte mit mir selbst, daß ich nicht dem unbeschreiblichen Wunsche, sie aufzubewahren, statt ins Meer zu schleudern, widerstanden. Der Admiral aber scheint eine besondere Liebhaberei an der Waffe zu haben, denn schon mehrfach sah ich sie ihn tragen.« – »Ohne daß sie ihm geschadet hat?« lachte der Sappeur-Kapitän. – »Der Admiral ist seitdem noch in keinem Gefecht gewesen,« sagte kopfschüttelnd der Seemann. »Ich wünschte, es wäre Abend, wie es jetzt –« er sah nach der Uhr – »Mittag ist. – Und da kommt Arbeit für uns!«

An der Signalleine der »Queen« flatterte das Signal »Fertig zum Feuern!«, und die Breitseite des riesigen Dreideckers hüllte sich in Feuer und Rauch. In der nächsten Minute legte sich ein Flammengürtel über die ganze Breite der Reede, Land und See waren in Dampf gehüllt, die Bomben krachten hoch durch die Luft und schmetterten auf die Stadt und hinüber über die Bucht zum Malachoff-Hügel, und der furchtbare Kampf begann auf dieser Seite aufs neue ... Während die Batterien der Westseite der Stadt, das Konstantin-, Alexander- und Quarantäne-Fort, mit einem furchtbaren Feuer der vereinigten Flotte antworteten, dauerte der Kampf auf der Ostlinie gegen die englischen Batterien ununterbrochen fort. Zweckmäßiger als die französischen, waren sie im Abstande von 600 Schritt von den russischen Werken erbaut und litten daher weniger von dem Feuer. Zahlreich mit schwerem Geschütz – dreiundsiebzig 68-, 46-, 32- und 24pfündigen Kanonen und zehnzölligen Mörsern bewaffnet und mit einem Ofen für die glühenden Kugeln versehen, – erzielte die englische Artillerie bei dem ersten Bombardement größere Resultate als die französische. Dennoch widerstanden auch hier die Russen mit Glück ... Es war 12 Uhr, als der tapfere Leiter der Verteidigungsanstalten, Vize-Admiral Korniloff, nachdem er wiederholt die Linien beritten, sich auf dem Malachoff-Hügel befand. Er hatte sich eben von seinem Freund und Kameraden Nachimoff getrennt, der mit riesenhafter Tätigkeit die Verteidigung auf der Bastion III leitete, deren Geschützbedienung bereits dreimal hatte ersetzt werden müssen. Als er eben vom Turm bis zur Brustwehr gehen wollte, um sein Pferd zu besteigen, traf ihn eine Kanonenkugel und riß ihm, die unheilkündende Waffe zerschmetternd, das linke Bein am Unterleibe weg ... Heulend vor Schmerz und Wut, warfen sich die getreuen Matrosen auf den geliebten Führer und trugen ihn zur nächsten Verbandanstalt. Nur noch bis zum Abend lebte der tapfere Kommandant der Matrosen des Schwarzen Meeres. Als man ihm kurz vor seinem Tode die Nachricht mitteilte, daß die feindlichen Batterien zum Schweigen gebracht worden, rief er ein »Hurra!« und starb.

Um drei Uhr nachmittags begannen die Schiffe, eines nach dem andern mit Hilfe der Dampfer sich aus der Kampflinie zurückzuziehen, um 6 Uhr war die ganze alliierte Flotte aus dem Schußbereich der russischen Batterien und steuerte teils der Rohr-Bai, teils der Mündung der Katscha zu, um die sehr schwere Havarie auszubessern. Bei keinem späteren Bombardement wagten die Flotten wieder, den Forts zu nahe zu kommen. Mit einbrechender Dunkelheit schwieg das Feuer der Kanonen gänzlich, und die Stille der Erschöpfung, des Todes lagerte sich über die Stadt und ihre Umgebung. Der Verlust der Alliierten betrug auf den Flotten allein nach den offiziellen Berichten 527 Mann, in den Trancheen mindestens ebensoviel. Die Russen zählten gleichfalls 1200 Tote und Verwundete ... Sebastopol hatte seine Bluttaufe siegreich bestanden.


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