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Viertes Kapitel.
Die Orgie.

Die glühende Hitze des Augusttages ist vorüber. Von den Symplejaden her, den rastlosen Felsentoren des Bosporus, die Jasons kühne Fahrt an den Grund fesselte, – an der Geierstadt des Königs Phineas vorüber, – wo Herkules mit seinen Pfeilen die gierigen Harpyen erschoß, streicht der kühlende Südwind die breite Felsenstraße entlang mit ihren durchsichtigen Wogen und den aufgetürmten Ufern, dem reichen Boden klassischer Sagen und romantischer Erinnerungen. Mit den Wellen kommt er daher vom hochaufwogenden Pontus an den Felsenschlössern vorüber, den genuesischen Kastellen, von Murad dem Vierten wieder erneuert, – jetzt Anatoli- und Rumili-Kawack geheißen, – wo einst die eherne Kette den Eingang zu Byzanz den thrakischen Räubern wehrte, wo über der Kapelle der heiligen Maria von den Zinnen des Furris Timäa das Feuerbecken hoch durch die Nacht den Schiffern im Pontus leuchtete; – über den geheiligten Hain von Petra rauscht er, dessen Bäume die Axt nicht berühren darf, damit das mächtige Wasserbecken nicht vertrockne, das Werk des Komnenen Andronikus, das noch heute das große Byzanz tränkt; über das große Tal von Buyukdere, wo neben den sieben Planeten der sieben Brüder die stolzen Flaggen der europäischen Botschaften sich brüsten. – Oder er streift darüber am asiatischen Ufer des Ancyräum, von dem Jason seine Anker mitnahm, die bythinianischen Berge des Olymp, wo der Argyrer Phrygos den Tempel der zwölf Götter baute, Poseidon seinen Altar hatte und die Heruler mit ihrer Flotte ankerten! An Hieron treibt er die Wogen hin, wo unter Kaiser Romanos 942 der Patrizier Theophanes die Russen schlug, die jetzt die letzten Freunde seines geknechteten Volkes sind; wo die Genuesen und Venetianer ihre ehrgeizigen Kämpfe um die Herrschaft des alternden Byzanz fochten, wo die türkische Mythe das antike Bett des Herkules zum Riesengrabe Josuas gewandelt, das von Derwischen bewacht wird; – stößt, weiterstreifend, an das Vorgebirge Argykonium mit seinen phantastischen Schlössern der Sultanas, berühmt als Unikar Skelessi, wo am 26. Juni 1853, im Angesicht der lagernden russischen Armee, jener Traktat geschlossen würde, der die Dardanellen den Flotten Englands und Frankreichs sperrte und zur Ursache des großen Kampfes wurde ...

Diesseits aber bricht der kühlende Luftzug, der Strom der Wellen in der Bucht von Therapia, ehe beide weiter fluten ... Therapia – Pharmacia – wo Medea ihr Gift auf die Küste streute ... Perle des Bosporus! wo die fürstlichen Familien des alten Byzanz ihre Sommerpaläste bauten und in den kühlenden Lüften des Pontus schwelgten! Therapia, dessen Wasser so oft das Blut der Venetianer und Genueser rötete, wohin Nicolo Pisano sich flüchtete, als er am 13. und 14. Februar 1352 mit dem Feind und den Stürmen gekämpft: – sei mir gegrüßt, lieblichste Bucht des lieblichen Bosporus am Tale der kühlen Quelle, wie dein leuchtendes Bild vor meiner erinnernden Seele steht! – –

Nahe dem Palast, den Fürst Ypsilanti erbaut und der jetzt zu einem französischen Lazarett eingerichtet worden, taucht ein stattliches, im orientalischen Stile gebautes Landhaus den kurzen Mauervorsprung seines untern Stockwerks in die zum Goldenen Horn eilenden Wogen. Zur Seite öffnet sich, wie bei all diesen Villen, die die Ufer des Bosporus zieren, das Wassertor zum Einlaß der Kaïks, und das Haus umgeben, auf der Rückseite von hoher Mauer eingeschlossen, Terrassen, mit Oleander, Geranium, Myrten und Lorbeer bedeckt. Die erste Terrasse trägt, an das Vorderhaus stoßend, einen großen Pavillon. In diesem Winkel des Edens von Konstantinopel haben sich der tiefe Kummer und die zügellose Lust geflüchtet. Der griechische Bankier, dem das Haus gehört und der das Reich bis zu Ende des Krieges verlassen mußte, hat es durch seinen bulgarischen Agenten vermietet; den geräumigen, mit einem besonderen Ausgang versehenen Seiten-Pavillon bewohnt der englische Baronet mit dem kranken Griechen, dessen Erwachen aus dem lethargischen Zustand er – selbst ein Schatten und dem Grabe verfallen – hartnäckig bewacht, gemeinsam mit dem jungen Araber, der seinem Gefangenen hierher gefolgt ist. In dem ersten Geschoß des Vorderhauses aber wohnt Celeste Bibesco, die Geliebte des Garde-Kapitäns Grafen Bretanne, der, im mißlungenen Sturme der Verbündeten auf den Malachoff am 18. Juni verwundet, sich an die Ufer des Bosporus hat bringen lassen, um hier unter der Pflege von Frauenhand zu genesen ...

Die schöne Lorette ist nicht bloß die Geliebte des reichen Offiziers; das Testament Alfred de Sazés hat sie selbst zur Besitzerin von Reichtum gemacht, den sie bereits mit vollen Händen zur Befriedigung all ihrer Lüste und Launen verschwendet. In der Wohnung der übermütigen Kokette und ihres ausschweifenden Beschützers feiern jede Freude, jeder wollüstige Genuß des Orients ihre nächtlichen Orgien, während die Hitze des Tages die Bewohner im Schutz ihrer luftigen Gemächer ans Lager oder in die kühlen Baderäume fesselt.

Es ist Mitternacht – die Jalousien des großen Gemaches, das, nach orientalischer Sitte, den ganzen Flügel des Hauses einnimmt, sind geöffnet und lassen durch die schützende Hülle der Muskitärs die köstliche milde Seeluft eindringen. Eine Tafel, bedeckt mit den feurigen Weinen von Cypern und Santorin, dem dunklen Olymp, Bordeaux, Scherbet und Champagner in großen Eiskufen, den süßen Pfirsichen von den Felsenwänden des Hellespont und den Feigen von Smyrna; besetzt mit den schwelgerischen Konfitüren, die auf Chios aus Rosenblättern und Geranium, Quitten und Mastix bereitet werden, – steht in der Mitte des halb europäisch, halb asiatisch möblierten und rings an den Wänden mit breiten Diwans umgebenen Saales.

Sechs Paare befinden sich darin in höchst ungenierten Situationen. Der Zustand der Tafel, die zerbrochenen Gläser und Teller, die auf dem Boden herumgeworfenen seidenen Kissen der langen Diwans an den Wänden, der tolle Übermut der einen und die stumpfe, schlaftrunkene Haltung der andern beweisen, daß die Orgie schon stundenlang gedauert hat.

Zwei Mänaden, die Verderbnis des Occidents und des Orients gleichsam repräsentierend, führen den Vorsitz. An dem untern Ende des Tisches, auf den weichen indischen Matten, ruht die junge Smyrniotin, die ihr Schicksal aus dem Dunkel eines asiatischen Dorfes in den Palast von Tschiragan geführt, aus der Alma des Großherrn zur Freundin des Baronets und zur Odaliske des Paschas von Varna, ihres jetzigen Gebieters, gemacht hat: Nausikaa – Nedela, die Tochter des Kameltreibers, des Räubers vom Pagus zu Smyrna! Der rechte Arm, von prächtigen goldenen und Korallen-Bracelets fast vom Handgelenk bis zum Ellbogen bedeckt, hält nachlässig ein zierliches, mit Perlmutter und Silber ausgelegtes Tamburin zwischen den hennahgefärbten Fingern, während die linke Hand ein Champagnerglas hebt, um es von dem Offizier an ihrer Seite füllen zu lassen. Ein gelber persischer Shawl ringelt sich in leichten, vom Zufall geworfenen Falten um ihren schönen Wuchs und hebt den durchsichtigen Teint des reizenden Gesichts, während die Flut dunkelbrauner Locken frei um Hals und Schultern wogt und das schwimmend blaue Auge aus den langen, schwarzgemalten Wimpern hervorschaut, die weißen, perlenartigen Zähne sich wie im kecken Spiel aus den purpurnen Lippen drängen. Die neunzehnjährige Mänade steht jetzt in der vollen Blüte und Entwicklung ihrer Schönheit, und die von dem gewohnten Druck des Orients entfesselte Leidenschaft droht Verderben in Liebe und Haß jedem, der ihr naht.

Der Offizier neben ihr stützt die Hand leicht auf den kleinen chinesischen Rohrsessel, während sein aristokratisch-schönes, jetzt vom Lärmen und Rausch gerötetes Gesicht mit dem feinen französischen Backen- und Kinnbart sich zu ihr niederbeugt. An der andern Seite des Gemaches, vor einem prächtigen Fortepiano von Rosenholz, sitzt mit noch einem jungen Manne von charakteristischer Gesichtsbildung die schlanke Figur der Bojarenfrau. Ein leichtes, orientalisch weites Gewand von jenem weißen, nebelartigen Musselin, den allein die kunstfertigen Finger der Hindus an den Ufern des Ganges weben, umfließt faltig die graziösen Formen der Pariserin; die kleinen Füßchen wippen und spielen mit den goldgestickten Pantoffeln; ein zierliches Spitzenhäubchen hängt lose nur noch an einem kirschroten Bande im Cendré ihrer aufgelösten Frisur, und das übermütig lachende Auge ruht halb spöttisch auf der Gruppe ihr gegenüber, während ihre Finger eine kecke Polka über die Tasten des Instruments hinrauschen ... Am Tische selbst sitzt ein Offizier in der Interimsuniform des Stabes, aus einem langen, mitten zwischen die Flaschen, Früchte und Gläser gestellten Nargileh mit Eiswasser duftigen Latakiah dampfend, und übersättigt in ein Blatt des Journal de Constantinople schauend; indes auf dem Diwan in der Ecke ein vierter mit zwei jungen Frauen, deren Züge georgische Abstammung verraten, neckend, tändelnd, jene Sprache junger Herzen in der ganzen Welt spricht, wo das verständigende Wort gegenseitig fehlt.

Die bunten Feredschis und Schleier am Boden, die einzelnen Uniformstücke mit den Abzeichen der Garden und der Marine, und die kaum vernarbten, zum Teil noch verbundenen Wunden der Männer zeigen, daß hier eines jener lockern Rendezvous, eine jener Orgien begangen wird, die so häufig zwischen den zu ihrer Genesung von den Wunden des Kampfes oder dem Gift der Lagerkrankheiten in die am Bosporus eingerichteten Lazarette gesandten Offizieren und den türkischen Frauen stattfanden. Das Gold und die Gewandtheit der von Langeweile geplagten Menschen sprengte die Riegel der bestversicherten Harems ... Die ehemalige Lorette präludierte mit einer Hand weiter auf dem Piano, während sie mit der andern die kleine Papierzigarre zwischen den Lippen hervornahm und fortwarf ... »Eine neue, Monsieur,« sagte sie herrisch zu dem Offizier, der neben ihr saß ... »Was meinen Sie, Graf? können Sie sich eine nachsichtigere Geliebte wünschen als mich?« – » Ah, ciel! Sie sind ein Engel, Celeste,« sagte der Kapitän der Garde-Voltigeurs, indem er die Hand der Nedela an seiner Seite küßte; »Sie sollen dafür auch volle Freiheit haben, wenn wir erst wieder nach Paris kommen.« – »Wein, gib mir den schäumenden süßen Trank, caro mio!« flüsterte die Odaliske. »Wirst du mich mitnehmen, schöner Aga, nach dem goldenen Paris, von dem ihr so viel erzählt?« Er raunte die Antwort ihr zwischen den wallenden Locken in das Ohr. – »Auf – Montaillier! Schämen Sie sich nicht, eine Zeitung zu lesen, wo es die letzten Stunden unserer Freuden gilt? Sie sind zum Einschlafen langweilig mit Ihrer Politik ... Sehen Sie Vaudricourt, wie er mit doppelten Karten spielt!« – »Es lebe die Coeur-Dame!« schrie der junge Schwelger vom Diwan her. – »Zum Henker mit euch! Laßt mich mit euren Torheiten in Ruhe. Ich will lieber wieder den Malachoff stürmen oder drei Tage in den schändlichen Trancheen liegen und weniger müde sein, als von einem Eurer Zechgelage.«

Ein schallendes Gelächter der Kameraden belohnte ihn, auf das die Odalisken verwundert horchten, da sie die Ursache nicht verstanden ... »Es lebe der Malachoff! Es lebe der 18. Juni, der uns hierher geschickt!« schrie der junge Marquis de la Houdinière. – »Euer Vergnügen ist mit Mayrans und Brunets Divisions-Generale und 6000 Mann teuer genug erkauft!« – »Bah – das gibt Avancement! Die Engländer büßten verhältnismäßig noch mehr ein – Campbell, Shadforth und der tolle Yea sind böse Verluste!« – »Der Teufel hole sie!« schrie der Graf von seinem Kissen her. »Hätten sie mit uns zugleich angegriffen, so hatten wir den Turm.« – »Still! – Lord Raglan hat seine Schuld bezahlt, und die Zukunft wird lehren, ob wir mit seinem Nachfolger besser daran sind. Der einzige Nutzen, den die Engländer uns gebracht haben, ist, daß sie die Zufuhren der Festung jetzt am Faulen Meere abschneiden.« – »Falsch – die Russen haben mehr zu beißen als wir! Der Landtransport dauert ungehindert fort; Tausende von Wagen sind unaufhörlich unterwegs, und wir können lange passen, bis wir sie aushungern, wenn wir Perekop nicht nehmen. Man meldet, daß sie an der Tschernaja sich sammeln, und erwartet dort einen Angriff gegen unsere Linien.« – »Die Cholera hat, wie ich höre, unter den Sardiniern arge Verheerungen angerichtet.« – »Desto aufrichtiger wollen wir dem Malachoff danken, daß er uns hierher geschickt. Es lebe die Liebe! es lebe der Champagner!« Der Leutnant faßt die Hand der Nedela, die sich erhoben hatte. –

»Halt da, Boisrobert! – Jedem das Seine!« – »Ah bah! Lassen Sie mich plaudern!'« – »Aber Sie verstehen kein Wort Italienisch, Bursch!« – »Diese Damen hier sprechen auch nicht Französisch ... die Lingua Franca, die ich rede, verstehen sie alle!« – »Keinen Streit! die Tage, die wir zugebracht, waren zu angenehm, als daß wir sie uns noch verderben sollten. Der alte Kiradschia soll leben, der bulgarische Ehrenmann und Hauswirt, der so geschickt den Unterhändler zu spielen versteht. Möge Allah den Sali-Pascha noch lange in Saloniki fest und von seinem Palast am Bosporus entfernt halten. Meinst du nicht auch, Schätzchen?«

Die junge Odaliske mit den Mandelaugen hob sie nach dem Offizier, obschon sie kein Wort seiner Sprache verstand. – »Zum Tanz, zum Tanz, Messieurs! Seien Sie nicht so träge! Passen Sie auf – ich will Feuer in Ihre Adern gießen!«

Sie raste eine spanische Melodie auf dem Klavier; wie von Federn geschnellt, sprang die Nedela von den Kissen empor, warf den Schal um ihre Schultern und begann den Tanz ... »Auf – auf, ihr Schläfrigen! Die Augen auf, zum Tanz!« Der eine zerrte die ruhenden Paare empor, die anderen klatschten Beifall um die tanzende Mänade. Der tolle Vaudricourt sprang ihr gegenüber und begann die wüsten Touren des Cancan aus den Pariser Barrierenkneipen. – Die übermütig wilde Gesellschaft faßte einander an den Händen und zog einen wirbelnden Kreis um die Tänzer. – – – – –

Plötzlich klopfte es heftig an die Tür, durch den dicken Vorhang und den bacchantischen Lärm drangen die flehenden Töne einer Stimme: »Signor Francese! Signor Conte! bei der heiligen Panagia, öffnen Sie, oder wir sind alle verloren!« – Graf Bretanne war an die Tür gesprungen, während die Offiziere erschreckt durcheinander liefen. Die türkischen Mädchen schauten verwundert auf die Männer – sie vertrauten ihrem Kismet ... »Wer ruft? – Bist du es, Paswan?« – »Sieh', Eccellenza! es sind verdächtige Männer unten am Wassertor – auf dem Bosporus halten zwei Boote! wenn es die Polizeiwache ist, gibt es Lärm.« –

»Verdammt – die Lazarett-Order ist streng.« Der Graf öffnete halb die Tür. »Ist der Gartenweg zur Lazarett-Terrasse frei?« – »Ich sandte Jovas, den Diener, dahin. Die Signori müssen fort und die Weiber auch sogleich. Mein Kopf ist verloren, wenn man die Odalisken hier findet.« – »Das ist deine Sache, Freund Paswan! dafür bezahlten wir dich. Aber meine Kameraden müssen in Sicherheit!«

Einige Worte unterrichteten die Offiziere. Während man die Lichter bis auf eins oder zwei auslöschte, beobachtete man durch die Jalousien die Wasserseite. Zwei Kaïks hielten in der Entfernung von etwa 50 Schritt regungslos auf den Wellen ... »Fort mit Ihnen, meine Herren, ich geleite Sie über die Terrassen. Morgen sehen wir uns wieder.« – Die Lorette klammerte sich an den Grafen ... »Du wirst mich nicht verlassen, Guillaume! Mir graut vor der unbekannten Gefahr!« – »Keine Sorge, mein Kind – wir haben nichts zu fürchten hier im Hause. Was es auch sei – kein Türke wagt, die Frauengemächer zu betreten. Nur unsere Freunde will ich fortschaffen.« – Er riß sich los von ihren umschlingenden Armen. Die Offiziere hatten ihre berauschten Kameraden emporgerissen, ihre Kleider zusammengerafft und folgten ohne Abschied eilig dem Kapitän. – Die armen verlassenen Geschöpfe sahen, traurig und ängstlich geworden, ihnen nach, indem sie sich eilig wieder in ihre Gewänder zu hüllen suchten. Der Kiradschia stand beobachtend an der Jalousie.

*

Die Ruderer hielten mit leisem Schlag einen großen Kaïk auf seiner Stelle fest. Die Augen des Mannes, der hochaufgerichtet im Boote stand, waren mit flammender Wut auf die Fenster der Villa gerichtet. Schwarze Gestalten, Schlingen in den Händen, die Handjars im Gürtel, kauerten mit teuflischem Grinsen auf den verzerrten, zwitterhaften Gesichtern um ihn her. In dem zweiten Boot dicht nebenan lehnte über den Rand Wassili, der griechische Diener des Paschas von Varna – Vaso, der Bräutigam Nausikaas, der ihr in eifersüchtiger und ohnmächtiger Liebe bis zum Harem des Türken gefolgt ist. Er war bleich und zitterte heftig ... »Allah sei Dank,« sagte der Pascha, »wir kommen zur rechten Zeit, ihre Lust zu stören, du kennst meine Befehle.« – »Ja, Hoheit.« – »Du bist ein treuer Diener, Wassili, und ich würde dich zum Aufseher meines Hauses machen, wenn du kein Dschaur wärest. Aber, bei dem Barte meines Vaters! ich bin noch Muselman, mich zu rächen. Du weißt, daß der Inglis, mein Gast in Varna, jenen Pavillon bewohnt?« – »Du sagest es, Herr!« – »Und die Weiber sind nicht bei ihm?« – »Nein, Hoheit. Der Bulgare, der das Haus verwaltet, führte sie zu den Agas der Franzosen.« – »Mögen ihre Väter verdammt sein! Der Hund soll ihr Schicksal teilen und der Aufseher der Weiber dazu, der seine Pflicht vernachlässigte. Du zähltest ihrer fünf, und die Nedela ist dabei?«

Der Grieche zauderte einige Augenblicke, bevor er antwortete. »Ich weiß es nicht, Hoheit, ich kenne nur die Zahl, die hierher kam. Das Haremlik ist deinem Diener verschlossen.« – »Bei allen Teufeln! ich kenne ihren intriganten Geist und ihr wollüstiges Herz. Sie hat die Sklavinnen verführt. Ich wollte, der Engländer hätte sie behalten, oder ich wäre nicht der Tor gewesen, die Weiber mit nach Stambul zu nehmen. Sie müssen sterben, wie ich es befohlen.« – »Aber die Offiziere – die Franken?« – »Sie werden es nicht wagen, sich zur Wehr zu setzen. Wenn es sein muß, knebelt sie, aber tötet sie nicht! Ich habe es dem Tschauschi-Baschi gelobt, als er mir die Tschokodars und Verschnittenen lieh, den mir angetanen Schimpf zu rächen. Eile dich, Wassili – sie löschen die Lichter aus – sie haben uns bemerkt! Vorwärts!« Er klatschte leise in die Hände, und die Kaïks schossen im Nu an die Marmortreppen, wo sie bereits zwei der Männer fanden, die die Zugänge vom Lande her bewachten. Im nächsten Augenblick waren alle Ausgänge umstellt, und ein kräftiger Tschokodar sprengte mit dem Brecheisen die Pforte, durch die Wassili mit den schwarzen Eunuchen ins Innere drang.

*

An sein Lager gefesselt, lag der Grieche Caraiskakis – der letzte der drei Brüder. Eine fieberhafte Unruhe leuchtete und glänzte in seinem Blick. Es war, als ränge das Leben infolge eines unbekannten magnetischen Einflusses nach der Sprengung der Bande ... Der Jubel des Bacchanals war durch die offenen Jalousien von der Villa zu ihnen deutlich herübergeklungen. Der Baronet hatte schon hundertmal die unruhige Nachbarschaft verwünscht, die seiner Meinung nach die Genesung des Gelähmten störte. Scharfsichtiger als er, hatte der Araber, der, von seinem Burnus bedeckt, auf einer Bastmatte im Winkel des Gemaches lagerte, bemerkt, wie häufig eine dunkle Röte die Stirn des Griechen überzog, wenn ein helles, frivoles Gelächter von drüben herüberschlug.

Der Baronet hatte dem Kranken die neuesten Nachrichten der Tagesblätter vorgelesen. Das Journal war auf den Tisch gesunken – seine Hand stützte das Haupt – seine Gedanken schweiften hinüber nach der bedrängten Stadt, nach dem Schatze, dem jetzt all sein eigensinnig beharrliches Streben galt.

Die Zeichen der Orgie drüben waren verstummt ... Plötzlich unterbrach ein wilder Schrei, der Hilferuf einer weiblichen Stimme, die Stille der Nacht ... Edward Maubridge horchte auf, auch der Emir hatte sich halb erhoben ... »Zu Hilfe, Bretanne! zu Hilfe!« – Im Nu war der Baronet empor. »Was geht dort vor? Laß uns zum Beistand eilen, tapfrer Emir!« Er hatte ein Pistol ergriffen und eilte die Treppe hinab; Abdallah, seinen Ruf begreifend, folgte ihm mit einem Sprung ... Die Tür aus dem Pavillon war von außen versperrt ... Gregor Caraiskakis blieb allein!

*

Abdallah und der Baronet hatten, nachdem ihr Bemühen sich vergeblich gezeigt, die Tür zu öffnen, eines der Fenster des Erdgeschosses aufgerissen und sprangen auf die Terrasse. Eine Gestalt huschte im Schatten der Nacht an ihnen vorüber, während sie weiter liefen; eine zweite folgte lautlos; aber jammernde Laute und das Geräusch eines Ringens riefen sie zu Hilfe, und sie eilten über den Hof, der den Pavillon von dem Vordergebäude trennt, und drangen in die untere Halle, die sich auf der andern Seite nach dem Wassertor öffnet ... Der Anblick, der sich ihnen bot, war seltsam genug ... Ein vierruderiger Kaïk hielt dicht an den Stufen der Halle, und in dem Sternenlicht sah man wenige Schritte davon in der Meeresflut auf den gestemmten Rudern einen zweiten größern halten ... Fünf sackartige Ballen lagen auf den Marmorfliesen des Bodens, krampfhaft sich windend und schlagend, und ein dumpfes, verzweifeltes Stöhnen drang von ihnen her. Sie schienen eben die Treppe herab aus dem ersten Stockwerk geschleift worden zu sein, und mehrere schwarze Gestalten waren bemüht, sie in den Kaïk zu werfen, während andere einen Mann zu dem Boote zerrten, der heftig widerstrebte. Am Boden, nahe dem Eingang, lagen gebunden und geknebelt zwei Menschen.

Vier Männer traten den Eindringlingen sogleich entgegen; ihre blanken Wehren funkelten im matten Licht vom Eingang ... »Was geht hier vor? Fort mit euch, Raubgesindel, oder ich feure!« – »Zurück, Dschaur! Gebt Freiheit der Gerechtigkeit des Padischah!« – »Zu Hilfe, Eccellenza! Rettet Euren Wirt!« Es war die Stimme des Kiradschia, welche flehte. – »Hund ohne Leber! Allah verbrenne deine Zunge!« schrie der Tschokodar, der den Alten vorwärts zerrte, und holte zum Streich mit dem Yatagan aus.

Der Schuß des Baronets traf den einen der Eunuchen, während der junge Araber, vorwärts stürzend, in den weiten Falten seines Burnus den Hieb auffing und den Alten den Händen seiner Bewältiger entriß ... Ein starkes, dreimaliges Händeklatschen gab, sobald der Pistolenschuß gefallen, vom größten Kaïk her das Zeichen zum eiligen Rückzuge. Die schwarzen Eunuchen warfen eben den letzten der seltsamen Ballen in den heftig schwankenden Kahn und sprangen nach. Ein schriller Schrei als Signal, dann stürzten sich die Zurückgebliebenen in das Wasser, und das Boot, von den aufgestemmten vier Rudern getrieben, schob weit ab vom Lande zu seinem Genossen. Als der Baronet und sein Gefährte auf die Marmorbalustrade des Wasserrands sprangen, sahen sie die Köpfe der Schwimmenden bereits an den Seiten des größern Kaïks emportauchen, die Arme sich festklammern und beide Boote dann wie streichende Möwen nach der Mitte der Meerenge zu verschwinden ... Wenige Augenblicke darauf, während sie ihnen noch nachstarrten, hörten sie über das Wasser her ein schweres Aufplätschern, wie von dem Fall eines großen Körpers in die Wellen – Dann ein zweites – ein drittes – Fünfmal wiederholte sich der Ton, den die Wasserfläche als Leiter des Schalles zu ihnen herübertrug. Der alte Bulgare zitterte heftig, als er sich zurückzog in das Innere des Hauses und, ohne ihren Fragen Rede zu stehen, hastig die gesprengte Pforte zu schließen versuchte und eine Lampe anzündete.

In ihrem Schein erkannte man in den beiden geknebelten Gestalten an der Wand das alte griechische Weib, das mit dem Kiradschia und einem in Therapia wohnenden Burschen die Mieter des Hauses bediente, und den französischen Offizier, den Beschützer und Geliebten der Bojarenfrau. Der Baronet, noch immer an einen bloßen Raubanfall glaubend, löste mit dem Kiradschia möglichst rasch seine Bande, wobei er bemerkte, daß die Brust des Offiziers wie von einem eben bestandenen heftigen Ringen keuchte. Kaum war der Knebel aus dem Munde gelöst, so stieß der Kapitän den Namen seiner Maitresse aus, schaute mit wildem Blick umher und stürzte die Treppe hinauf nach dem großen Gemach, in welchem noch kurz vorher die Orgie stattgehabt, der Übermut und die Wollust das Zepter geführt hatte ... Die andern waren ihm gefolgt. Aber der Ruf »Celeste!« fand keine Antwort, und vergeblich blieb das Suchen in allen Zimmern. In einem fand man nach den Terrassen zu eine Jalousie geöffnet, doch nirgends weiter eine Spur von ihr ... »Wir müssen den Kommandanten der Lazarettwache wecken und ihnen nachsetzen,« rief der Offizier endlich. »Welches Recht sie auch an den andern Frauen haben mögen, sie haben mit ihnen eine Französin entführt, und sie muß befreit werden.«

Der Kiradschia hielt ihn zurück ... »Eccellenza! es ist zu spät. Das Unglück ist geschehen, und wir müssen auf unsere eigene Sicherheit bedacht sein, wenigstens was mich betrifft; denn meines Bleibens ist nicht länger in Stambul. Die Ihr retten wollt, liegt bereits tot auf dem Grunde des Meeres. Wir selbst hörten den Fall der fünf Opfer.« – »Entsetzlich!« stöhnte der Graf, »und wir verließen sie, statt sie zu verteidigen! Aber du sprichst von fünf – sechs Morde haben die Barbaren begangen!« – »Fünfmal tönte der Fall ins Wasser,« entgegnete der Engländer. »Als wir, durch die versperrte Tür aufgehalten, Ihnen zu Hilfe eilten, floh eine Gestalt an uns vorüber nach dem Pavillon zu.«

*

Durch das geöffnete Fenster hatte sich lautlos, um die anderen Mörder nicht aufmerksam zu machen, das fliehende Weib in das Innere geschwungen und stürzte, nur von einem Manne verfolgt, in das Vordergemach. Ihr Fuß glitt aus, noch ehe sie die Tür gegenüber erreichen konnte, und sie fiel zu Boden. Im Nu war der Verfolger an ihrer Seite und riß an den langen Flechten ihr vor Entsetzen bleiches Haupt zurück ... »Erbarmen! Hilfe! – Wassili – du? – und du willst mich morden?« – Der junge Diener schlug ein gellendes Hohnlachen auf: »Wassili? Hast du nur Blicke für deine Buhler, Tochter Janis, des blutigen Rächers von Smyrna? – er riß das Pflaster von seinem Auge – hat die falsche Farbe des Haares, der Gram der drei Jahre den Gespielen deiner Kindheit, den Mann, dem dein Vater dich verlobt, so ganz aus deinem Gedächtnis gerissen?« – »Vaso!« – »Ja, Vaso – den ein Jahr lang in deiner Nähe Qual und Eifersucht verzehrt haben, der sah, wie du die Buhlerin warst der Feinde und Unterdrücker meines Volkes, des kaltherzigen Inglesen, des grausamen Türken. – Meine Hand hat dich ergriffen, – du mußt sterben, Nausikaa, damit das höllische Feuer aufhört, mich zu verzehren!«

Er hob die Hand, mit dem breiten Dolchmesser bewaffnet, zum Stoß auf den nackten Busen – schlaff, in Todesfurcht sanken die Arme der abtrünnigen Buhlerin nieder, auf ihren bleichen Lippen verstummte der letzte Schrei – Aber eine Hand erfaßte die Waffe und entriß sie der seinen – ein Arm stieß den in den Qualen der lang unterdrückten Eifersucht fast wahnsinnigen Mann zurück – zwischen ihm und seinem Opfer stand Gregor Caraiskakis, finster, drohend, die Hand bedeutungsvoll erhoben. – Der Ruf Nausikaas hatte die Bande der Lethargie gesprengt, wie es der deutsche Arzt vorausgesehen ... »Kennst du mich?« – »Kapitän Caraiskakis?« – Sein Daumen schlug das Verbrüderungszeichen des Bundes der Hoffnung ... »So wage es nicht, das Blut dieses Weibes zu vergießen – um ihres Erzeugers willen, deines und meines Freundes! Das Leben ist das einzige Gut der Gesunkenen. Bei dem Zeichen, das uns verbündet, rette sie vor ihren Verfolgern.« – Nedela, ihn erkennend, hatte sich zu seinen Füßen geworfen und umschlang sie schmeichelnd. – »Gebieter, Freund! Nausikaa ist glücklich, daß sie dich gefunden, Licht ihrer Augen! Sie wird die treue Sklavin deines Willens sein!« – Der bleiche Patriot sah mit verächtlichem Blick auf sie nieder; sein Fuß machte sich frei von ihr und stieß sie zurück ... »Als ich dich retten wollte und dir meinen Namen geben, um des Märtyrers, deines Vaters willen, führtest du mich zum Morde! Als ich das Blut deines ersten Buhlers vergossen, riefest du die Schergen des neuen zu meiner Verfolgung und warfest dich zum zweitenmal in die Arme des verfluchten Geschlechts, das deinen Vater getötet! Geh – meine Schuld an dir ist gelöst und jene Nacht im Fanar zum Fluch an mir geworden; die Geliebte Gregor Caraiskakis durfte einzig das Vaterland sein!« – »Was gebietest du, Capitano, daß ich tun soll?« – »Führe sie mit dir, aber sichere ihr Leben; – tue mit ihr, was du willst, was sie verlangt. – Nimm!« – er kehrte mit festem Schritt in das zweite Gemach zurück, nahm aus dem Schrank des Briten eine Börse voll Geld und warf sie mit der leichten Seidendecke, die sein Lager bot, der Odaliske zu. Vaso reichte ihr die Hand. – – »Komm!« sagte er. – »Wohin?« – »In Salis Harem zurück, wenn du willst. Du kannst es sicher betreten, denn eine andere hat deine Stelle auf dem Meeresgrunde eingenommen. – Oder laß uns zusammen fliehen nach Demetri ins Griechenquartier und uns dort verbergen, bis wir nach unserer Heimat entweichen können. Die Panagia wird mir helfen, zu vergessen, was du gewesen bist!« Die alte Liebe hatte in dem schwachen, lenkbaren Herzen des jungen Mannes wieder die Oberhand gewonnen ... Sie hüllte sich in die Decke und blickte auf ihn und den Capitano ... »Komm!« – »Wohin, Nausikaa?« – »Ich heiße Nedela und bin nicht für dein Elend geboren. In das Harem Salis.«

Caraiskakis wandte sich verächtlich ab; die abtrünnige Odaliske folgte mit festem Schritt ihrem Begleiter, um, zwischen den Mauern der Gärten niedersteigend, einen Kaïk zu suchen, der sie zurück ans andere Ufer führen sollte. –

Wenige Minuten, nachdem sie verschwunden, kehrte der Baronet, von Abdallah, dem französischen Offizier und dem Kiradschia begleitet, nach dem Pavillon zurück. Zu ihrem höchsten Erstaunen fanden die beiden erstern den Kranken bleich, aber im vollen Wiederbesitz seiner Glieder und seiner Sprache auf dem Lager sitzen, das ihn so lange als eine lebendige Leiche getragen. – »Mashallah! Ein Wunder ist vor meinen Augen! Gesegnet sei die Stunde deiner Auferstehung.« – »Was ist geschehen, was hat sich ereignet? – Sie sind genesen, mein – mein Schwager?« – Der Baronet streckte zögernd die Hand nach ihm aus ... Caraiskakis ergriff sie ernst, doch freundlich, während er seine Linke dem Araber reichte. Doch der junge Mann, der sein erstes Staunen bewältigt hatte, trat einen Schritt zurück ... »Warum zögert Abdallah ben Zarugah, die Hand eines besiegten Feindes anzunehmen, nachdem er ihm hundert Wohltaten erwiesen?«

Der junge Scheik kämpfte sichtlich mit sich selbst ... »Du bist ein tapferer Christen-Aga,« sagte er dann; »aber dein Antlitz erinnert mich an einen, der die blutige Rose von Skadar mir gestohlen und verschwunden ist mit ihr und Scheitan, ihrem Hunde, ohne Spur seit dem Tage, da die Christenheere vom Belbek nach der großen Feste der Moskows zogen. Ich muß wissen, was aus Fatinitza, der Rächerin, und dem Manne geworden ist, den ich gefangen nahm, und den sie von mir forderte für das Kleinod der Zarugah.« – »Wenn du meinen Bruder Nikolas meinst, tapferer Emir, der, wie ich vernommen, ein Türkenmädchen aus Skadar liebte,« sagte der Grieche nach einigem Sinnen, »so kann ich dir keine Auskunft über ihn geben. Er zog nach Sebastopol in der Zeit, die du erwähnst, mit einem wichtigen Auftrag, aber keine Kunde ist seitdem zu mir gedrungen von ihm trotz allen Forschens.« – »Die Albanesen, die ich zurückließ, sahen ihn, das Weib und den Hund hinausfahren auf schwankem Boot in die Wüste der Gewässer.« – »Dann frage den da,« sprach finster der Grieche, indem er auf den Baronet wies; »er erzählte ihr Schicksal in deiner und meiner Gegenwart, ohne daß ich wußte, wen es betraf. Sie beide, die du suchst in Haß und Liebe, ruhen längst auf dem Felsboden des Meeres von Sebastopol. Auf dem Schiffe, das ihn damals trug, sah man sie versinken, das Weib, den Mann und den Hund, an dem Morgen nach dem Tage, von dem du sprichst.«

Er schwieg, – der Araber reichte ihm die Hand, dann verhüllte er das Gesicht mit dem blutigen Burnus, den er trug. Nur Paswan, der Kiradschia, hatte von den Anwesenden das Gespräch verstanden, das in türkischer Sprache geführt worden. Nach einer Weile näherte er sich mitleidig dem jungen Scheik und versuchte, seinen Arm zu entblößen, um nach der Wunde zu schauen, die ihm der Handjar des Tschokadars geschlagen ... »Edward Maubridge,« fuhr der Grieche, zu diesem gewendet, mit feierlicher Stimme fort, »der allmächtige Wille Gottes hat mich zum Leben auferstehen lassen durch die Gefahr eines Weibes, das wir beide in Sünden kennen. Frage nicht und forsche nicht nach ihr, so wenig, wie ich fragen mag, wie sie hierher gekommen. Wir haben mit wichtigeren Dingen unseren Geist zu beschäftigen ... Wir beide haben schwer gefehlt. Laß uns vergeben, um Dionas willen. Das Kind, das du suchst, der Knabe meiner Schwester und der Erbe deines Namens, ist in Sebastopol, so Gott ihn seit meiner Verwundung beschützt hat, wohl und kräftig, in der Familie des Popen Basili Polotnikow, des Kaplans des »Wladimir«. Mach gut an ihm, was du an seiner Mutter verbrochen.« – »Bei der Ehre meines Namens,« sagte der Baronet mit Kraft, »es soll der einzige Zweck für den Rest meines Lebens sein. Auch mich hat die Hand Gottes schwer getroffen, und sein Auge sieht die Reue eines Mannes. Warum aber willst du – jetzt mein Bruder – mich wieder verlassen und zu jenem unseligen Kampfe zurückkehren, der uns so vieles geraubt hat?« – »Nicht zum Kampf – nicht in die Schlacht! Ich bin ein Sohn des Unglücks und habe Verderben gebracht allen, die ich liebte: Diona – Janos – dem deutschen Freunde, ihr, der Gefallenen, und dem letzten Bruder, den ich hatte! Mein Arm ist nicht mehr gemacht für den Kampf des Kreuzes. Mein Weg geht zum Athos, zu den Klöstern meines Volkes. Auf jenen freien Felsenhöhen wird Gregor Caraiskakis sein Leben schließen im Gebet für den Sieg, den Triumph seines Vaterlandes.« Er schwieg – das Haupt in die Hand geneigt. Selbst der französische Offizier wagte es nicht, die Stille zu unterbrechen, obgleich er wenig von dem, was um ihn her vorgegangen, begriffen. Er sah, daß von Celeste auch hier keine Spur zu finden, und das schreckliche Schicksal, dem sie im Augenblick des höchsten Übermuts verfallen, hinterließ einen tiefen Eindruck auf sein Gemüt.

Erst der Kiradschia störte nach einer Weile die Stille. Er hatte den Arm seines Lebensretters halb mit Gewalt entblößt und die Wunde untersucht, als plötzlich seine Hand zu zittern begann und er aufmerksam, fast erschrocken in das ernste Antlitz des jungen Scheiks sah ... »Was ist das? Um der gebenedeiten Mariam willen, die auch du verehrst, Emir, was bedeutet dies Zeichen?« Sein Finger wies auf zwei verschlungene Buchstaben, die auf der Schulter des jungen Arabers blau eingeätzt waren. »Wie kommt das Namenszeichen meines Freundes Melek-Ibrahim, des Oda-Baschi der Zagrandschis, auf deinen Arm?« – »Meine Mutter stach es mir ein, da ich ein Knabe war, zum Gedächtnis ihres verlorenen Bruders, der es gleichfalls auf seiner Schulter trug.« – »Und deine Mutter – sprich – woher kam sie, wie heißt sie?« – »Zuleika, Freund! Mein Vater fand sie als fünfjähriges Kind, halbtot, verschmachtet, auf dem Wege der Karawane zur Kaaba von Mekka. Ein hartherziger Sklavenhändler hatte die Kranke dort zurückgelassen. Mein Vater, damals ein Jüngling wie ich, führte sie zu den Zelten unseres Stammes und nahm sie sechs Sommer später zum Weib, da sie schön geworden wie der Duft der Palmen aus den Oasen.« – »Und sie – woher kam sie? Weiß sie sich nichts aus ihrer Kindheit zu erinnern?«

»Du siehst, Freund, daß sie des Zeichens gedachte, das ihr Bruder trug. Sie wußte, daß sie übers Meer gekommen und daß ihr Vater einer der tapferen Janitscharen gewesen, die der Wille des Großherrn verflucht hat. Die Männer der Wüste kümmern sich nicht um den Zorn des Padischah, und da mein Vater ein Tapferer war, nahm er die Tochter unter seine Frauen.« – »Lebt sie noch?« – »Zuleika, die Gattin Omars, weilt unter den Lebendigen und harret der Heimkehr ihres Erstgeborenen. Aber die Gebeine meines Vaters ruhen in der Wüste von Jemen, und das Blut der verfluchten Magrebi ist geflossen, sie zu rächen.« – »Ich glaube dir, Emir, – aber höre mich an, Sohn! Der Vater deiner Mutter lebt! Er beweint seine Kinder, und dich zu schauen, seinen Enkel, würde Wonne sein für die greisen Augen!«

Der Emir sah ihn erstaunt an ... »Deine Worte sind süß für mein Ohr, alter Mann. Doch der weise Lokman sagt: Glaube nicht das, was dir wohl klingt, bevor es die Probe bestanden.« – »Bei deinem und meinem Gott, Emir! es kann kein Zweifel hier sein. Melek Ibrahim, der Oda-Baschi, wohnt in den Felsenklüften des Balkans bei meinem Volk und wird dich gern als seinen Enkelsohn anerkennen. Ich verlasse morgen in aller Frühe diesen Ort und ziehe nach Norden, denn hier droht mir Gefahr nach dem, was diese Nacht geschehen. Komm mit mir, wenn du kannst, und nimm das Erbe, das wir für dich aufbewahrt haben.« – Der Emir reichte ihm die Hand ... »Mein Kismet hier ist erfüllt,« sagte er traurig; »Achmet, mein Milchbruder, führt die Leute meines Stammes an meiner Statt, die, wie ich vernommen, Iskender-Pascha nach Batum gefolgt sind. Ich bin frei und werde dich begleiten. Vielleicht, daß das Wort eines weisen Greises Frieden gießt in meine Seele, die tiefbetrübt ist. Ruhe jetzt, alter Mann, von den Schrecken des Abends! Abdallah wird für Euch wachen und am Morgen mit Eidunih, seiner Stute, bereit sein!«

Er setzte sich auf die Schwelle des äußeren Gemaches und schaute über den offenen Balkon hinaus auf die im Sternenlicht tanzenden Wellen des Bosporus ... Wie hier die buhlerischen Odalisken, die leichtfertige Tochter des fernen Paris, – so deckten sie dort im Norden das Weib seiner ersten Liebe. – Fahre wohl.


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