Fritz Reuter
Abendteuer des Entspekter Bräsig
Fritz Reuter

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Na, dies geschah, und wie sie rausgebracht wurden, kam ein Telegraf hinein, der schon die Antwort von meine Bramborgschen Freunde brachte.

Jöching Lehndorf erklärte darin, ich sei ihm stellenweise von Perßohn bekannt geworden, und könne er mich bezeugen, daß ich seines Wissens keinen unmoralischen, wohl aber einen unmusikalischen Lebenswandel geführt hätte, indem daß ich mal in seinem musikalischen Konzert mich mit Johann Knüppel laut über meinen gnedigsten Herrn Grafen seine Kutschpferde unterhalten hätte; aber for einen offenbaren Spitzbuben hielte er mir dennoch nich.

Fritzing Volkshagen erklärte: er kennete mir sehr genau, indem daß er vermöge meiner Mithülfe allen Sandhäger Toback kaufe, der ihm durchaus zur Anfertigung der Importierten unentbehrlich sei; er stehe deshalb wohl for meine Moral ein, aber nich for meine etwanigen Schuldverhältnisse; dies könnte er nich, denn er wäre leider erst ein Anfänger. Wenn er es könnte, so könnte er es auch wohl tun, aber da er es nich könnte, so könnte er es auch nicht tun.

»Herr Entspekter Bräsig«, sagte der edle Presendent und reckte mir die Hand hin, »sehr gefreut, Ihre Bekanntschaft zu machen. Sie sünd nach dem Zeugnis dieser Ehrenmänner ein moralischer Karakter und können als solcher sogleich in Ihr geliebtes Vaterland zurückkehren. Mit Ihr Geld und Ihre Uhr sünd wir noch, wie Sie sehen, in Dunkelheit; kriegen wir sie, denn kriegen Sie sie.« – »Sünd in guter Hand, Herr Presendent«, sage ich höflich. – »Schön«, sagt er, »ich werde Ihnen nun einen Zwangspaß ausstellen« – so nennen sie in Preußen die vornehmsten und sichersten Regierungspässe –, »und Sie werden vermöge dessen binnen zwei Stunden Berlin und die königlichen Staaten verlassen. Reisen Sie mit Gott! Aber, warten Sie, erst will ich mir die beiden Juden noch kaufen.«

Somit wurde denn Moses Löwenthal und mein Jugendfreund Bexbacher hereingebracht.

Gott im Himmel! Wo ging der edle Presendent mit diese beiden Glaubensgenossen um!

Ich will das nicht weiter verpuplizieren; aber Moses hatte dicke Schwitztropfen auf der Stirne, und Bexbacher rief alle Heiligen des jüdischen Kalenders an, um aus der Fitalität herauszukommen.

»Meine Herrn«, sagte der Herr Presendent zuletzt, »Sie haben es diesem moralischen Manne zu danken; wäre dieser z. B. ein Schinderhannes oder ein Käsebier, so würden Sie als Helfershelfer nach Landrecht Nummer soundso zu zirka elf Jahren und einen halben Monat verurteilt; aber weil Sie mit einer so ausgezeichneten Perßönlichkeit zu tun hatten« – da meinte er mir mit –, »sei Ihnen die Strafe in Gnaden erlassen.« Dies sagte er, und als er dies sagte, richtete ich mir im gerechten Wohlgefühle der moralischen Anwandlung in der Höhe, indem daß ich die mich verführte Judenpackasche von oben ansah, was mich sauer ankam, denn Bexbacher war lang verstiepert.

Aber knappemang hatte ich mich über die Juden und Judengenossen erhoben, so kam ein Mensch in die Türe hinein zu stehen und sagte: »Herr Presendent, ich presentiere Ihnen hier das wohlgetroffene Portrett des berüchtigten Raubmörders.« Gott soll mich bewahren! Zeigt der Kerl mein Gesicht mit sämtliche Pockennarben und sämtliche Schwammproppens den erstaunten Anwesenden vor und kuckt mir an, als wäre ich einer, der mit's Messer auf die Leute ginge.

»Herr Presendent!« sage ich.

»Schweigen Sie«, sagt er, »Sie werden mit mir zufrieden sein. – Dieses Ihr Bildnis könnte ich als Illustrierung und Instruierung in mein Provatkabinett mit die übrigen Spitzbuben zusammen hängen, aber ich achte Sie, ich ehre Sie, ich schenke es Ihnen zum ewigen Andenken. – Bexbacher, Sie können gehn, vorher bezahlen Sie aber sämtliche Kosten; Moses Löwenthal, Sie können auch gehen, aber sofortig zur Eiserbahn, und bezahlen for sich und den Herrn Entspekter Bräsig die Eiserbahn und die Post, auch etwaige Verzehrungsgegenstände. Und damit dies sicher geschieht, werde ich Ihnen einen mitgeben, der Sie alle beide da richtig rüberbringt. For diesen sichern Menschen bezahlen Sie Post, Eiserbahn und Verzehrungsgegenstände hin und zurück, und nun reisen Sie innerhalb zwei Stunden mit Gott und dem Schutzmann. – Herr Entspekter«, sagte er darauf zu mir, »behalten Sie mir in guten Andenken.«

»Herr Presendent«, sage ich, »sollten Sie mal nach Haunerwiem ins Meckelnburgsche kommen...«

»... spreche ich bei Sie vor!« sagte er. Damit schüttelten wir uns die Hände und schieden mit gegenseitiger Hochachtung. –

Was is nun noch viel zu sagen? In Zeit von zwei Stunden saßen wir auf der Eiserbahn. Der mitgegebener Schutzmann war eben so hungrig und durstig wie ich; auf jede Statschon wurde ein Seidel Bier vertilgt, und wenn mein betrübter Newöh ein sauer Gesicht machte, indem daß er bezahlen mußte, denn tröstete ihn der Schutzmann ümmer: »Herr Moses Löwenthal, Strafe muß sin! Worum haben Sie den Freund von unsern Herrn Polezeipresendenten unwissentlich zu die Judenschaft verführt!«

So kommen wir denn gegen Wolfshagen, wo sich die Scheidung der meckelnburgschen und preußschen Grenze begibt; hier sagte uns der Schutzmann adjöh, und mit würklicher Wehmütigkeit trennte ich mir von dem Mann, der so liebreich for unser sicheres Fortkommen gesorgt hatte. Aber es dauerte nicht lange. Möglich, daß es das vaterländische Gefühl war, möglich, daß es die mannigfaltigen konsumtierten Bierseidel waren – ich kam in eine große Lustigkeit, so daß ich das Singen kriegte, wobei zwei junge Dams, die mit in den Postwagen saßen, ümmer zusammenfuhren, as wenn ein Gewitter in der Luft wär. Ich rechne das auf ihre Nerven; und ihre Nerven rechne ich wieder auf die neumodischen Kreolinen, wo eine Verkühlung nicht ausbleiben kann.

So sung ich mir durch die kleine, aber ungebildete Stadt Woldegk hindurch bis gegen Bramborg, und als wir da bei's Posthaus vorgefahren und ausgestiegen waren, sagt Moses, indem daß er hellschen dallohrig aussah und so vermisquemt as en Pott vull Müs': »Herr Entspekter«, sagt er, »is das gewesen ein Geschäft! Hätt ich gewesen ein unmoralischer Freund, oder hätt ich selbst gewesen ein Christ, oder hätt ich Ihnen bloß einspunnen lassen in Berlin, hätt ich gemacht ein groß Geschäft. – Was soll ich sagen zu Hause? – Sie meinen doch nicht, daß ich soll nehmen für mein Geld noch 'ne Extrapost über Haunerwiem nach Wahren? Wir werden uns doch woll hüten! – Wir bleiben die Nacht hier, und ich telegrafier, daß sie mich schicken meinen eignen Wagen – kost't mich acht Groschen –, und ich bleib bei Bäcker Zwippelmannen.« – »Tun Sie das, Moses«, sag ich, »ich geh in den goldnen Knop.« Und ich geh, und als ich so geh, kommt mich einer von meine Retters entgegen, Fritzing Volkshagen, und reicht mir einen freundschaftlichen Händedruck und sagt: »Herr Entspekter, nehmen Sie's mich nich übel; aber ich könnte nich. Ich hätte in meine Verhältnissen und ich könnte in meine Umständen...« – »Lassen Sie das!« sage ich. »Ihr Telegraf hat mich rausgerissen, und Sie haben als Freund an mir gehandelt.« – Un als wir über den Mark gehen, kömmt Jöching Lehndorf anzulaufen – denn er läuft immer wegen seiner notgedrungenen Provatstunden – und sagt: »Nich übelnehmen; aber als ehrlicher Mann – nich anders als unmusikalisch zu taxieren...« – »Schon gut!« sage ich und sag ihm dasselbe wie dem andern, und so gehn wir in den Knop.

Knappemang sitze ich nu hier mang verschiedene Dokters und junge Avkaten und genieße ein Bifstück – denn ich bün for Hausmannskost und kein leckermäuligter Bourbong, der ümmer was Separates haben muß –, dunn kommt der Gewisse auch an, und als er mich sieht, sagt er auf gewöhnlich Plattdeutsch – denn das ist seine entfahmtigte Mode, daß er sich ümmer in plattdeutsche Redensarten unterhält und nich in einem gebildeten, hochdeutschen Stiele –, sagt er also auf Plattdeutsch: »Gun Abend, Unkel Bräsig! Wat maken Sei, oll Fründ?« – Sehn Sie, als er mir dies in Gegenwart von die gebildeten Dokters un junge Avkaten sagte, wurde mir inwendig doch so steinpöttig zu Sinn, und ich kuck ihn grad in die Fisasche und sage: »Freund? Freund? – Dieses noch lange nicht! – Und for das Gewesene gibt der Jude nichts.« – Da sah er mir mit ein hellisch langes Gesicht an und frug: »Wo so? Wo ans?« – Da stand ich hinter mein Bifstück auf und sagte: »Jeder gebildete Ökonomiker befleißigt sich mit seiner hochdeutschen Muttersprache, und wenn mir einer von meine Mitkollegen – und wär er auch man soso – in einer gebildeten Gesellschaft von anwesende Herrn Doktors un Avkaten mit plattdeutsche Redensarten unter die Augen geht, denn taxiert er mir for einen Hawjungen und ich ihn wieder. – Und Freund? Freund?« – da drehte ich mir zur Gesellschaft um –, »meine Herrens, nennen Sie das einen Freund, vor den man sich vor dem Herrn Polezeipresendenten in Berlin schanieren muß? Estimieren Sie das for einen Freund, der mit neunzehn Jahren die ganze preußsche Monarchie und den wohllöblichen Bundestag hat umstürzen wollen? Taxieren Sie den for einen Freund, der einen durch seine Bürgschaft in offenbaren, heimlichen Königsmord verwickeln kann? – Gehn Sie«, sag ich und dreh mir wieder zu dem Judas um, »Sie passen nich mit Ihre Freundschaft und erst recht nich mit Ihre plattdeutschen Redensarten in diese anwesende gebildete Gesellschaft, Sie sünd hier das föft Rad an'n Wagen!«

Da grifflacht mich dieser Gewisse so venynschen in das Gesicht hinein und gung im begossenen Zustand aus der Tür, und ich sah ihm das deutlich an, daß er mich hinterrücks einen Lack anhängen würde – was er auch mit dem Affenkasten und dem Grünanmalen getan hat –, aber die Herren Anwesenden freuten sich über meine Geistesgegenwart, und der eine sagte: »Der hat seinen richtigen Tappen!«, und der andere sagte: »Schaden schadt ihm das nichts«, und der dritte sagte: »Wo zog er Pahl!«, und ich sagte: »Dor rük an!« – Un dauert nich lange, da stießen sie mit mir an, und wir wurden alle eine Herzlichkeit und eine Seligkeit, und als ich zu Bett gung, hatte ich statt dieses einen falschen Freundes sieben richtige, und zwarsten lauter gebildete, hochdeutschen und ein heimlicher Königsmörder war da nich mang.

Nu sitze ich wieder auf meinem hochgräflichen Wohnsitz in dem alten Müllerhaus zu Haunerwiem und lese in den Herrn Pastor seinen Staatskalender von Anno 37, aber indem ich nun so viele Schosen erlebt habe, is mir dabei nicht mehr so interessant zu Sinn; ich lege männigmal das Buch beiseite und rufe mir die mannigfachsten freudigen Ereignisse auf der Reise und in Berlin in meine Besinnung oder beseh mir mein Portrett, was an der Wand hängt und zu meinem Geburtstag mit einem Evakranz von meine olle Mariken frisch aufgeziert is. Es ist dies ein teures Angedenken, indem daß ich Uhr und Geld nicht wieder gekriegt habe. – Die Kerls sitzen aber.

In die langen Winterabenden habe ich dies aufgeschrieben als würkliche Begebenheiten. – Nun tun Sie mir den Gefallen und machen Sie's bekannt; aber so, daß sich ein Gewisser grimmig darüber ärgert.

Zu Dienst und Gegendienst bereit
Ihr ergebenster
Zacharias Bräsig, immeritierter Entspekter.

Haunerwiem, den 1. May 1861. – Was 'ne hellisch schlechte Jahreszeit for diese Temperatur is.


 << zurück