Ich ruhte so selig in Waldesnacht
Im fernen Böhmerlande;
Halb hab' ich geträumt, halb hab' ich gewacht
An murmelnden Baches Rande.
Und rings umgab mich des Waldes Grün,
Ein Leben voll Blüten und Düften;
Hoch über mir sah ich die Wolken zieh'n
In lichtdurchfluteten Lüften.
Und rings erhob sich ein süßer Sang
Wie längst vergessene Lieder;
Das wallte und wogte den Wald entlang,
Bald auf und wieder hernieder.
Und heller hört' ich die Klänge ziehn,
Berauschender wurden die Düfte,
Und frischer ward des Waldes Grün,
Und goldener wurden die Lüfte.
Da trat zu mir ein hohes Weib
Im alten Königsgewande:
Das Rabenhaar umwallt' den Leib,
Entfesselt vom goldenen Bande;
Ein fremder Glanz, ein Lichter Schein
Umfloß die schwellenden Glieder.
»Gitana«, sprach sie, »Tochter mein!«
Und beugte sich zu mir hernieder.
»Du siehst in mir des Stammes Haupt
Aus alten, uralten Zeiten,
Mein Volk ist eig'nen Glücks beraubt,
Vermag es nur andern zu deuten.
Und hat es keine Schätze mehr,
So mag es Weisheit haben;
Und ist die Hand von Golde leer,
So mag sie Wahrheit graben.
Die Schwestern ziehn von Ort zu Ort,
Weissagend aus den Händen,
Doch dir will ich den schönsten Hort
Von meinen Gaben spenden.
Die Hand, sie täuscht; der Mund, er lügt:
Zur Wahrheit sie nicht taugen;
Das eine, Kind, was nimmer trügt,
Das sind der Menschen Augen.
D'rin sollst du lesen das Geschick,
Was sein wird, was gewesen;
Den tiefsten Schmerz, das höchste Glück
Sollst du in den Augen lesen.
Und hast du einst ein junges Paar
Voll Liebeslust gefunden,
Das sich auf ewig treu und wahr
Zu Freud' und Leid verbunden,
Dann will ich dir die Macht verleih'n,
Die Kunst zu übertragen,
Zu schau'n die Wahrheit klar und rein,
Sollt' es die Augen fragen.«
Und das hohe Weib, es war verschwunden,
Und verblichen war des Waldes Grün;
Meines Jugendlebens holde Stunden,
Waldeslust und Melodie'n,
Lichte Wolken an dem Himmelsbogen,
Alles war in Finsternis verkehrt;
Um mein Jugendglück war ich betrogen,
Als man Weisheit mich gelehrt.
Meinen grünen Wald hab' ich verlassen,
Schweifend zog ich durch das weite Land,
Ich durchzog der Städte stolze Gassen;
Keinen Glücklichen ich fand.
Nirgends Wahrheit, nirgends Lieb' und Treue;
Bosheit, Tücke fand ich allerwärts,
Unverdrossen blickt ich stets aufs neue
Durch die Augen in das Herz.
Heut' hab' ich das hohe Glück gefunden.
Ach, vergebens sucht' ich's Jahr für Jahr.
Holdes Paar, ich sehe dich verbunden
Treu in Liebe, ernst und wahr.
Dir kann ich das schwere Pfand vertrauen
Ohne bange Furcht und ohne Schmerz:
Beide ineinander könnt ihr schauen
Durch die Augen in das Herz.
Oh, bewahret euch des Bundes Einheit,
Bleibt des heutigen Tages eingedenk,
Und hewahret euch des Herzens Reinheit,
Fluch wird sonst mein ernst Geschenk.
Und wenn dann im gläubigen Vertrauen
Einst das Aug' sich richtet himmelwärts,
Wird ein and'rer milde auf euch schauen
Durch die Augen in das Herz. |