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Gegen Ende des Winters veranstaltete die Gesellschaft von M., hauptsächlich auf Frau Eugenies Betreiben, einen großartigen Kostümball. Man wollte zugleich wohlthätig sein, die Einnahmen einer Roulette sollten den unter der harten Kälte leidenden Armen zu Gute kommen.
Durch Fräulein von Hennings Vermittelung gab Lutz Skizzen und Radierungen zu diesem Zwecke und erteilte aus der Ferne guten Rat. Eine Aufforderung, dem Komitee beizutreten, lehnte er schaudernd ab.
Durch ein hohes Eintrittsgeld war dafür gesorgt, daß die Oeffentlichkeit des Festes nicht mißbraucht werde und unerwünschte Elemente fern blieben.
Menschengewoge füllte das größte Balllokal der Stadt, man fand das Arrangement, das den Kostümfesten der Malerstädte nachgebildet war, ungeheuer originell.
Agathe tanzte mit dem Assessor Raikendorf. Aus der sich stoßenden und schiebenden Menge retteten sie sich bald und zogen es vor, nahe der Eingangsthür des Saales plaudernd nebeneinander zu stehen. Agathe hatte die Technik ihres Berufes als junge Dame der Gesellschaft endlich, wenn auch schwerer als ihre Freundinnen, beherrschen gelernt.
Es kam zwar immer noch vor, daß sie sich im Ton vergriff – sie gab in offenbarer Verachtung ihres Partners zu wenig, warf ihm gleichsam nur leere Nußschalen zu, oder in belebter angeregter Stimmung enthüllte sie zu viel Persönliches, und setzte die jungen Referendare und Lieutenants, die nur auf konventionelle Antworten gefaßt waren, in peinliche Verlegenheit. Sie war nun einmal keine von den einfachen Mädchen, deren inneres Wesen genau in die Schablone der frischen Tänzerin paßt, und die sich ungescheut geben können, wie sie sind, ohne Erstaunen oder Mißfallen zu erregen.
Das hatte der gewiegte Frauenkenner, der Assessor Raikendorf, zufällig entdeckt. Nun reizte es ihn. Man wußte schon, daß er sich gern mit Fräulein Heidling unterhielt. Diese heimlich-leidenschaftliche Opposition gegen ihre ganze Umgebung, von der das Mädchen selber noch nicht einmal die Tiefe, die Ausdehnung und die Gefahr kannte – das war sehr amüsant.
In Agathe war noch ein gehöriges Teil von der Abneigung, welche sie auf ihrem ersten Ball gegen ihn gefaßt hatte, zurückgeblieben. Der zornige Haß machte sie gewandt und scharf.
Weil ihre Eltern fortwährend klagten, sie brauche zu viel für ihre Toilette, hatte sie bei einer alten Verwandten ein florentinisches Kostüm geborgt, das schon in den dreißiger Jahren von Italien nach Deutschland gebracht worden war. Verblaßt in den Farben, hatte es sich doch sauber und vollständig erhalten: der dunkle Tuchrock, die rote Jacke, das aus Metall gebogene, mit vergilbter Seide überzogene Brustmieder, das volle Spitzentuch um Hals und Schultern – der silberne Haarpfeil und der eigentümliche, des Mädchens Antlitz mit zarten, weißen Schleiern umrahmende Kopfputz – sie ahnte nicht, wie ausgezeichnet der Anzug zu ihr paßte, wie sie so mit ihren schönen Zügen und den tiefen braunen Augen das norditalienische Modell einer vergangenen, historisch gewordenen Kunstrichtung darstellte.
Fremd und vornehm stand sie unter den schreiend bunten mit Gold und Silber überladenen Masken.
Vor einer Weile hatte sie im Vorzimmer Lutz und Fräulein Daniel bemerkt, die sich von einigen Schauspielern verabschiedeten. Fräulein Daniel, in einfacher Gesellschaftstoilette, war augenscheinlich nur zu einem kurzen Rundgang erschienen. Lutz trug schon den Winterüberzieher und den kleinen schwarzen Hut auf dem hellen Kopf – er wollte wohl die Daniel heimbegleiten. Agathe glaubte, er sei gegangen.
Plötzlich – während sie mit dem Assessor schwatzte, fühlte sie etwas, das einer leichten Berührung glich, doch unendlich viel zarter und flüchtiger war.
Sie wandte den Kopf.
Lutz stand noch immer in der Thür – allein. Er beobachtete sie.
Nach einem schnellen, scheuen Blick sprach sie weiter. Wie innerlich gut ihr diese kurze Beachtung that – wie es schon ein Erleben von Freude war, gegen das alles andere nichtig wurde – verschwand.
Die Daniel kam, in den Pelz und einen Spitzenshawl gewickelt, wieder zu ihm und redete leise auf ihn ein. Er machte eine ungeduldige Bewegung, schließlich folgte er ihr hinaus.
Und gleich stand er aufs neue an derselben Stelle, den Hut noch auf dem Kopf.
Agathe war es mit einem Mal, als habe sie ungeheuer viel Champagner getrunken. Sie lachte zu allem, was Raikendorf sagte und sah ihn mit glänzenden, übermütigen Blicken an. Als sie dazwischen herumtanzten, verlangte sie keck, auf ihren alten Platz geführt zu werden. Da hatte Lutz auf sie gewartet, und an den fremden Gesichtern vorüber grüßten ihre Augen sich.
Jemand fragte den Maler, ob er die Absicht habe, während des ganzen Balles den Ueberzieher anzubehalten.
»Ja – so! – Ich wollte längst gehen – ich muß ja fort,« antwortete er.
. . . . Seine Stimme – seine leise, hastige, absonderliche Stimme wieder zu hören . . .
– Nun würde er aufgeweckt sein, nun würde er gehen . . . .
Nein, er ließ sich den Mantel von einem jungen Manne abnehmen und auch den Hut entreißen. Lachend zeigte er, daß er keinen Frack trug, ein paar Komiteeherren klatschten Beifall und zogen ihn tiefer in den Saal.
Agathe wurde von andern Tänzern geholt, schlenderte mit Freundinnen in den Räumen umher, nahm unter Eugenies Schutz, die als verheiratete Frau das Recht erworben hatte, Mutterstelle an ihr zu vertreten, eine Portion Eis und ein Stückchen Kuchen zu sich – überall fand sie Lutz in ihrer Nähe.
Ob es nicht eine Selbsttäuschung war? Das Glück hatte etwas so Unwahrscheinliches.
»Traumwandlerin,« rief Eugenie sie an, »sollen wir Dich in unsern Wagen nach Haus schicken? Wir wollen im Restaurant noch ein Glas Bier trinken. Oder möchtest Du auch noch bleiben?«
»Bleiben, bleiben!«
Walter lachte. – Agathes Bitte klang inständig, als hinge ein Schicksal davon ab. »Was werden die Alten sagen, wenn Du Dich unter unserm Schutz so unsolide beträgst?«
»Laß das Würmchen,« entschied Eugenie. »Siehst Du nicht, daß sie ohne Muttern gleich viel lebendiger geworden ist?«
— — — — —
Lutz hatte Agathe angesprochen – im Tabaksqualm des Restaurants – zwischen zwei und drei Uhr morgens – und sie gefragt, ob sie kürzlich Nachricht von Woszenskis gehabt habe. Und dann bat er sie, ihn mit ihrer Schwägerin bekannt zu machen.
Er erinnerte sich ihrer also doch noch.
* * *
Agathe mußte am andern Morgen eine ordentliche Strafpredigt über sich ergehen lassen. Für ein junges Mädchen schicke es sich nicht, nach einem Ball mit Männern in der Kneipe zu sitzen. Wenn Walter es seiner Frau erlaube, so wäre das seine Sache. Sie sollte künftig nicht mehr mit Walter und Eugenie ausgehen.
Das Komitee hatte eine Art von Nachfeier verabredet. – Lutz wollte auch kommen.
Würde Papa sie hindern – gut – so ging sie eben heimlich. Aber sie bat Mama himmelhoch, wie sie noch niemals gebeten hatte – denn sie fand es unwürdig, dies Quälen und Betteln, das die andern jungen Mädchen immerfort mit ihren Eltern aufführten. Und die gute, süße, liebste Mama brachte Papa schließlich dazu, verdrossen ein »Ja« zu sagen.
– Man blieb nur im kleinen Saal – gar nicht viel Menschen.
Es wurde geradezu auffallend, wie Lutz ihr den Hof machte. Er tanzte zwar nicht mit ihr – er tanzte überhaupt nicht – aber er beobachtete sie, an die Thür zum Rauchzimmer gelehnt, mit einem heiteren und befriedigten Lächeln. So völlig ging er in dieser Beschäftigung auf, daß er allen Herren, die ihn begrüßten, zerstreute und kurze Antworten gab. Dann zog er sich zu einer Cigarette zurück.
»Agathe, kommst Du mit, ich suche Walter,« sagte Eugenie, als dieser Zeitpunkt eingetreten war, faßte ihre Schwägerin unter den Arm und zog sie ins Rauchzimmer.
»Laß Dir nicht zu sehr merken, daß Du ihn gern hast,« flüsterte sie ihr ins Ohr und verließ sie nach wenigen Sekunden in einer langen Unterhaltung mit dem Maler. Lutz sprach viel und lebhaft, Agathe hatte nur halblaute, kindische Töne als Antwort, wie ein furchtsames kleines Mädchen. Er mußte sie für dumm und albern halten . . . . die schöne, einzige Gelegenheit, ihm zu gefallen, ging ungenützt vorüber.
Eugenie hatte sich für den Abend einen treuherzigen Fähnrich zum Opfer erkoren. Es machte ihr den größten Spaß, damit ihren Mann und den kahlköpfigen Hauptmann, der viermal in der Woche bei ihnen vorsprach, zu ärgern. Sie ging auf die Passionen des rotbäckigen Knaben in Uniform ein, ließ sich von seiner Mutter erzählen und von seinen Leibgerichten. Und dem wurde sehr heiß, der rote steife Tuchkragen erstickte ihn fast, seine Brust durchglühte tiefe ritterliche Verehrung für diese anbetungswürdige Frau.
— — — — —
Wie sonderbar – Agathe sah sich schon beinahe am Ende ihrer Kraft, nun das wahre Leben doch erst beginnen sollte. Sie war oft entsetzlich müde: bei weiteren Wegen in der Stadt wußte sie plötzlich gar nicht mehr, wo sie sich befand und vermochte sich nur mit der größten Anstrengung zu besinnen. Dann kam ihr das Straßentreiben, an das sie doch von Kindheit auf gewöhnt war, unheimlich fremd vor, die Häuser und die Schilder an den Läden, als habe sie sie niemals vorher gesehen und die Menschen wie Maschinen, die nicht aus eigenem Willen gingen und sich bewegten, sondern von irgend einem geheimnisvollen Mittelpunkt aus geleitet, seelen- und leblos an ihr vorüberschnurrten und glitten.
* * *
In dieser Zeit erfuhr Agathe, ein junger Mann aus ihrem Kreise liebe sie. Er warte nur auf eine Anstellung als Richter und wolle dann um sie anhalten, sagten ihr die Freundinnen, und die hatten es von seiner Mutter. Seine Neigung war verschwiegen und bescheiden. Schon jahrelang kannte ihn Agathe, war ihm immer freundlich begegnet und hatte nie geahnt, daß in ihrer Nähe ein ernstes, ausdauerndes Verlangen nach ihrem Besitz lebte.
Der Gedanke war ihr unerträglich. Er empörte sie. Kein Funke von Mitleid erwachte in ihr – sie behandelte den jungen Mann von dem Augenblick an mit eisigem Hochmut. Er wurde irre an ihrem Charakter, sie schien ihm Freude an der Grausamkeit zu haben. Aber das war ihr gleichgültig, denn er beleidigte sie. Er sollte sich nicht unterstehen, sie zu lieben – er sollte sich nicht mit seinen Träumen in den Zauberkreis wagen, der um sie und den Einen gezogen war, dem ihr Herz gehörte.
* * *
»Gestern bin ich in den Anlagen der Daniel begegnet«, sagte Referendar Dürnheim, »ist die aber abgefallen! Die Treppe bei dem chinesischen Tempelchen kam sie herauf, hielt sich am Geländer und schleifte sich nur noch so vorwärts. Was hat denn die?«
»Nichts mehr hat sie,« wurde ihm geantwortet, »mit ihr und Lutz soll's aus sein.«
»Ach so – na – wegen dem . . .«
»Er spricht ja jetzt vom Heiraten.«
Ein lautes Gelächter folgte.
»Der eignet sich auch schon zum Ehemann!«
»Die alte Schweidnitz – die exaltierte Person, läuft ihm ja nach wie 'ne Wahnsinnige.«
»Das war doch kostbar, als er die Villa beschrieb, die er mit ihrem Gelde bauen wollte, wenn er sich entschließen könnte . . . . Da hätten Sie dabei sein müssen. Ein famoser Kerl . . .«
Der Sprecher wurde angestoßen. Agathe Heidling war in der Nähe. Vor jungen Damen redete man doch nicht in dem Ton.
Sie hatte den Ton gehört. Diese widerwärtigen Männer!
– – Nein – die Schwester von Lutz war Fräulein Daniel doch wohl nicht. Aber eine Schauspielerin konnte sich unmöglich eingebildet haben, sein Weib werden zu wollen . . . . die selbst erzählt hatte, daß sie mit einer Wandertruppe auf den Dörfern herumgezogen war und mit dreizehn Jahren den alten Moor gespielt hatte – die sich schminkte und von wer weiß wie vielen Männern alle Abende vor dem Publikum im Arm gehalten und geküßt wurde . . . . . . Die war doch kaum als ein richtiger Mensch zu betrachten – als ein Mensch wie Agathe selbst.
— — — — —
Es kam ein Sonntag, an dem Eugenie in der Breiten Straße mit Herrn von Lutz verabredete, ihn zum Kaffee bei sich zu erwarten.
Und wenn es nicht ein bedeutungsvolles Merkmal war, daß der Maler, der für das Wesen und die Formen der bürgerlichen Provinz-Eleganz stets eine lächelnde Verachtung zeigte, sich ihr in diesem Falle soweit anbequemte, zwischen zwölf und ein Uhr mittags der Breiten Straße seine Gegenwart zu gönnen – dann wußte Agathe nicht, welche Zeichen sie sonst noch erwarten sollte. Eugenie gab ihr recht.
– – Wie oft, seit Ada sich für Kain mit grünen Blättern kränzte, haben Mädchen vor klaren Bächen und Metallplatten, vor venezianischen Krystallen und zerbrochenen Scherben gestanden . . . . Wie oft haben sie selig und zweifelnd, in zaudernder Unsicherheit oder lächelndem Selbstbewußtsein sich für den Geliebten geschmückt . . . . Und wie oft haben sie fehlgegriffen in der Bangigkeit ihres Herzens – den Schmuck gewählt, der dem unbekannten Geschmack des erwarteten Gebieters am wenigsten zusagte! Wie schwer ist die Wahl zwischen dem schönsten Anzug und dem kleidsamsten – zwischen Putzsucht und Eitelkeit. Und er soll ja nicht ahnen, was man für ihn gethan – das Festlichste soll alltägliche Gewohnheit scheinen. Aber die Hand bebt und Flimmerfunken tanzten vor den Augen – warum fällt heute – nur heute, das Löckchen am Ohr so absichtlich – warum will an diesem einzigen von allen Tagen die Schleife nicht gelingen?
– – Schon standen die Mokkatäßchen geleert auf Eugenies silberglänzendem Kaffeetisch – der Hauptmann und der Fähnrich rauchten – Walter rauchte – Eugenie hielt eine Cigarette zwischen den Fingern und Agathe saß still und steif, die Hände im Schoß gefaltet. Der Hauptmann schlug einen gemeinsamen Spaziergang vor – Lutz war noch nicht erschienen.
Die Herren empfahlen sich.
Agathe blieb zum Abend bei den Geschwistern. Nach Mitternacht mußte sie doch endlich gehen.
Nun war es wohl zu Ende.
* * *
Er hatte sein Bild nach Paris absenden wollen, der Tischler ließ ihn im Stich – es war der letzte Termin zur Annahme bei der Jury – er hatte es selbst packen und am Sonntag Nachmittag zur Bahn hinausfahren müssen.
Herr von Lutz erzählte es Agathe, als er sie acht Tage später im Kunstverein traf. In ihr war alles still und stumm – es mochte ja so gewesen sein. Ein abgestorbenes Gefühl im Herzen . . . . . Sie wunderte sich über ihre große Ruhe.
Lutz fragte, ob ihre Schwägerin jeden Sonntag Gäste empfange? Ob er heute kommen dürfe? Er würde sie doch auch treffen?
»Ich bin meistens dort,« antwortete sie ohne Freude.
Sie bereitete sich nicht vor – sie änderte nichts an ihrem Anzug. Am liebsten wäre sie überhaupt zu Haus geblieben, so sehr fürchtete sie sich, noch einmal Aehnliches durchleiden zu müssen, wie am letzten Sonntag.
Und gerade heute wollten die Eltern auch mitgehn.
Während sie zwischen ihnen in der Pferdebahn saß, betete sie in krampfhafter Andacht alte Gesangbuchverse.
Eins ist Not, ach, Herr, dies Eine
Lehre mich erkennen doch.
Alles andre, wie's auch scheine,
Ist ja nur ein schweres Joch,
Darunter das Herze sich naget und plaget
Und dennoch kein wahres Vergnügen erjaget –
Erlang' ich dies Eine, das alles ersetzt,
So werd' ich mit Einem in Allem ergötzt.
Seele, willst Du dieses finden,
Such's bei keiner Kreatur –
Laß, was irdisch ist, dahinten.
Schwing Dich über die Natur,
Wo Gott und die Menschheit in Einem vereinet,
Wo alle unsterbliche Fülle erscheinet –
Da, da ist Dein bestes, Dein seligstes Teil,
Dein Ein und Dein Alles – Dein ewiges Heil!
– – Wenn sie sich soweit bezwingen konnte, nichts mehr zu erwarten – gar nichts – dann vielleicht – dann hatte Gott vielleicht Erbarmen – –.
Im Flur bei Walters hing der wohlbekannte Paletot von Lutz am Haken, und darunter standen die großen närrischen Ueberschuhe.
– – Aengstlich horchte Agathe auf seine Unterhaltung mit Mama – die beiden hatten doch auch gar keine Berührungspunkte. Warum wollten die Eltern sie heute durchaus begleiten? Wie kam es nur? Es war ganz unmöglich, sich vorzustellen, daß Lutz jemals mit den Eltern auf freundschaftlichem Fuß verkehren konnte, trotzdem er doch fein und geschmeidig war. – Ach, du lieber Himmel, nun fing Papa sogar an, mit ihm über Kunst zu sprechen – so ganz von oben herab. Wie pedantisch das alles klang, und Lutz hörte ihm auch nur zerstreut zu, bis er plötzlich lebendig wurde und sich für einen Franzosen, den ihr Vater als überspannt bezeichnete, leidenschaftlich begeisterte. In seiner Gegenwart trat Walters geistige Unbedeutendheit peinlich hervor, und Eugenies Wesen wirkte aufdringlich, absichtlich. Hätte sich Agathe nun der Unterhaltung bemächtigen können, reizende, überraschende Sachen sagen – ihn fesseln – ihn in Erstaunen versetzen. . . . . . Aber sie wußte es schon im voraus – alles war vergebens. Was konnte ihn denn entzücken? – Ihn? – Ihre Stimme war auch wieder fort.
Wären nur ein paar Freunde noch da gewesen, die Aufmerksamkeit abzulenken. Eugenie beobachtete sie – Mama ahnte auch schon – warum waren die Eltern mitgekommen, wenn ihnen nicht jemand verraten hätte, daß sich etwas anspann . . . .
Und doch, und doch – ihn neben sich, ganz nahe zu haben, ihn ruhig betrachten zu dürfen – das war tiefe Freude. Und sie versuchte, sich zu laben, sich zu sättigen und ruhig zu werden in der Freude.
– Er war ihr fremd – so bei Tage und im häuslichen Kreise. Er und das fieberhaft geliebte Traumbild waren nicht ganz ein und derselbe – es hatte unter ihrer zärtlichen Pflege Züge angenommen, die mit dem Leben nicht genau übereinstimmten. Aber der Lebendige besaß doch die größere Macht.
Er sah nicht so weiß und zart aus, wie in der dunklen Theaterloge – seine Farbe war eher fahl, die Augen von leicht geröteten Rändern umgeben. Die Art, wie er seinen kleinen, weichen Schnurrbart mit den Fingern mißhandelte, konnte einen nervös machen – es zeigte sich darin etwas Friedloses. Und auch in dem fortwährenden Wechsel des Ausdruckes auf dem beweglichen Gesicht. Aber das Märchenprinzenprofil . . . .
Der Maler und Heidlings wurden aufgefordert, zum Abend zu bleiben. Bei Tisch geriet plötzlich die Rede auf Heiraten.
Walter sagte, vor der Ehe wisse man überhaupt nicht, was Liebe sei.
Agathe blickte erstaunt zu ihrem Bruder hinüber, seine Augen ruhten mit innigem Stolz auf Eugenie.
»Der Trauschein vom Standesamt muß eine große Sicherheit geben,« rief Lutz lachend. Regierungsrat Heidling zog die Stirn mißbilligend in Falten.
»Wie das kommt,« warf Lutz hin, »man sieht ein Mädchen so und so oft und hat sie doch nicht bemerkt – da hört man aus der Ferne ein Wort von ihr zu einem anderen – das trifft – irgendwie – irgendwo – man sieht sie eigentlich in diesem Augenblick zum ersten Mal.«
Agathe saß verwirrt und bange lächelnd neben ihm. Wie sonderbar – er konnte sie doch nicht meinen? In allem, was er sagte, entdeckte sie einen geheimen Sinn, für sie allein berechnet.
Ja – ganz gewiß – er wendete sich am meisten zu ihr. Eugenie, welche die Männer sonst so sehr anzog, schien ihn nicht zu interessieren.
* * *
Frau Heidling sagte ihrer Tochter eines Abends sanft und schonend:
»Liebes Kind – Du bist ein verständiges Mädchen – Papa hat mir gestern erzählt: Herr von Lutz steht gar nicht in gutem Ruf, und Papa wünscht nicht, daß er in unser Haus kommt.«
Onkel Gustav aber besuchte Lutz in seinem Atelier und machte Agathe eine ausführliche Beschreibung von der silberblauen Chaiselongue, den Louis-quinze-Stühlen, dem ganzen Interieur, das – ach wie lange schon – Herberge und Heimat ihrer leidenschaftlichen Träume war.
Agathe fragte sich trotzig, warum Adrian Lutz schlimmer sein sollte als ihr Bruder Walter? Wenn die Eltern nur wüßten . . . . sicherlich würden sie dann Adrian nicht so ungerecht verurteilen. Er war ihnen nicht sympathisch – das war's im Grunde.
Unbestimmte Erinnerungen alter Volksmärchen, die aus tiefen, verborgenen Quellen ihre Phantasie tränkten, weil sie des kleinen Mädchens erste Geistesnahrung gewesen, redeten ihr nun tröstlich von den Prüfungen zur Treue, zum Ausharren, der der König die Geliebte unterwirft – durch brennendes Feuer und stechende Dornen muß sie wandern und durch tiefe, dunkle Nacht – alles muß sie verlassen, was ihr lieb war – an der Hand der anderen, der Falschen, tritt er ihr entgegen . . . Und am Schlusse läuten doch die Hochzeitsglocken, und er hebt sie zu sich empor – sie, die nicht an ihm gezweifelt hat.
Laß adlermutig Deine Liebe schweifen
Bis dicht an die Unmöglichkeit hinan.
Kannst Du des Freundes Thun nicht mehr begreifen,
So fängt der Freundschaft frommer Glaube an.
Das flüsterte Agathe sich zu mit der Neigung des jungen empfindungsvollen Menschen für das Pathos, für die hohen, tönenden Worte und die hohen, begeisterungstrunkenen Gefühle.
Sie liebte Lutz – und sie glaubte an seine Reinheit wie an seine Schönheit, wie an ihre Liebe – glaubte blind, mit Fanatismus – dem Märtyrer gleich, der seinem Gotte Jubellieder singt, während die wilden Tiere seine Glieder zerreißen und er das Herzblut zu des Herrn Ehre opfern darf.