Gabriele Reuter
Aus guter Familie
Gabriele Reuter

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III.

Fröhlich spiegelte sich der Sonnenschein auf der Glatze des Landrats, als er den Hut lüftete, um den heranbrausenden Zug mit seinen Gästen zu begrüßen. Der Restaurationswirt, die zwei Kofferträger und der Stationsvorsteher von Evershagen beobachteten neugierig, wen er empfangen würde. Er sah so vergnügt aus. Ein hübsches Bild, wie er dem würdigen älteren Paar aus dem Wagen half, und wie das junge Mädchen leichtfüßig hinterhersprang. Trotz all des Kranken und Wunden in ihr und der schrecklichen Altjungfergedanken bot Agathe in ihrem hellen Sommerkleide noch immer einen Anblick, der jeden unbefangenen Menschen erfreuen mußte. Ihr intelligentes Gesicht lachte in gesunder Blüte unter dem runden Strohhut mit der großen gelblichen Spitzenschleife. – Keine Spur von Ermüdung nach der Fahrt. Sie hatte sich unterwegs die ganze Zeit mit dem jungen Dürnheim geneckt, der von den Eltern aufgefordert war, an der Partie teilzunehmen.

Das Puritanische, die strenge tadelsüchtige Miene war zu Haus geblieben. Und dafür diese Fähigkeit, sich zu freuen – dies Entzücken an Luft und Grün und Sonne – übermütige Bewegungen – kecke kleine Antworten . . . Das stand ihr! Ja – warum zeigte sie solchen Reichtum an Stimmungen nicht öfter?

Der ersetzte sehr hübsch die blumenhafte Poesie der ersten Jugend.

Ein zarter, kaum merkbarer Stempel von etwas Durchlittenem über allem – das reizte den Landrat mit der Glatze.

Wie viel oder wie wenig mochte solch' ein Mädchen eigentlich vom Leben wissen? Wie würden die verschleierten, schmerzlich glänzenden Augen blicken, wenn . . . .?

Die Liäsons mit den Frauen seiner Freunde – sie waren ja sehr nett – gewiß – allerliebst . . . . aber . . . . Man kannte alles zu genau. Jede sagte doch nur dasselbe, was die Vorige in ähnlicher Situation auch schon gesagt hatte.

Uebrigens – eine tüchtige Hausfrau war die Heidling jedenfalls – der Regierungsrat machte doch Ansprüche im Essen und in allem.

– – Dürnheim verliebte sich heute auch in sie. Nun seh' einer an, wie sie die Freiheiten und Vertraulichkeiten einer alten Kinderfreundschaft benutzte, um ihn zu locken . . . Raikendorf bemerkte es mit Vergnügen – es erhöhte ihm die Spannung, in der er sich dem Mädchen gegenüber seit neulich Abend befand.

Wollte er wirklich 'mal heiraten, so war es hohe Zeit. Er rechnete nach, wie alt er mittlerweile geworden. Wahrhaftig – so nah' den Vierzig!

– – – Also – darüber war er sich jetzt klar – Agathe gehörte einfach zu den Mädchen, die man nicht im Ballsaal sehen darf. Dazu waren die Farben ihres Wesens viel zu fein. Natürlich wirkte sie ungefähr so, wie ein intimes Aquarell in einer weitläufigen Jahres-Ausstellung. Verrückt von den lieben Eltern – das Hinschleppen der armen Dinger an Orte, wo ihre Gegenwart einfach verfehlt ist.

In kleinem Kreise – in der freien Luft – an so einem netten Kaffeetisch, wie er ihn im Grasgarten hinter seiner Dienstwohnung hatte herrichten lassen – da war sie lieb und fraulich in dem hübschen lichtblauen Kleidchen. Zum Teufel – man sah doch seine Frau öfter am Kaffeetisch als im Ballsaal.

Dem Maler damals hatte sie auch gefallen. Sie würde seinem Geschmack keine Schande machen. Das war sehr wichtig.

Es wäre vielleicht gar nicht dumm von ihm . . . – Landrat Raikendorf zeigte den Damen die schönen geschnitzten alten Schränke, die zum Inventar der Wohnung gehörten, die Menge leerer Zimmer – ein wenig niedrig aber von herrschaftlichem Ansehen. Das Haus lag dicht am Thor der kleinen Stadt, mit dem Blick auf einen grünen Wiesenplan, wo im Herbst das Sedanfest gefeiert wurde.

»Hier können Sie sich doch ein reizendes Heim gründen,« bemerkte Frau Heidling.

»Ja – gnädige Frau – so ein alter Junggeselle, wer wird sich dessen noch erbarmen?«

»– Glauben Sie mir, man sehnt sich manchmal recht nach einem lieben Verständnis . . .« Das wurde ein wenig später zu Agathe gesprochen – »prophezeien Sie mir einmal: Können Sie sich vorstellen, daß ein junges, hübsches, kluges Mädchen so einen alten, kahlen Kerl . . . was? Hat nicht viel Aussicht?«

»Thun Sie doch nicht so bescheiden, im Grunde sind Sie ja schrecklich eingebildet.«

»Agathe, Kind, komm einmal her.«

»Mama – was möchtest Du?«

»Nimm das Tuch um, es war mir vorhin, als würde es kühl.«

Zu den Müttern, die ihre Töchter zu verheiraten verstehen, gehörte Mama Heidling nicht. Sie wünschte es ja so sehr, aber die Erregung machte sie ungeschickt.

Der Landrat fand, es sei vernünftig, sich die Sache noch einmal zu überlegen.

Er küßte Agathe beim Abschied die Hand. Als sie schon im Eisenbahnwagen saß, sprang er auf das Trittbrett, um die dünnen weichen Fingerchen noch einmal zu umschließen.

»Ein schöner Tag,« sagten die Eltern befriedigt und waren zärtlich gegen Agathe.

Im Sommersonnenschein – Sieg über ein kühles, müdes Männerherz. Ja – Sieg . . . .

Und untreu allem, was heilig, recht und gut ihr schien . . . . Das klare, reine Ideal verleugnet! Fehler und Lichter ihres Ich bewußt zu dem Zwecke betrachtet: was läßt sich damit unternehmen? Aus Erfahrung und Beobachtung ein Vorbild zusammengefügt und sich danach gerichtet – ihre Rolle durchgeführt!

Das Gemeinste, dessen ein Mädchen sich in ihren Augen schuldig machen konnte, war gethan – von ihr selbst.

Sie wollte ihn heiraten – den sie nicht liebte. Und gerade der Mann mußte es sein, der auf jenem ersten Ball ihr die unvergessene Demütigung angethan und ihr den Vorgeschmack gegeben hatte von dem gallenbitteren Trank ihrer Jugend.

So also wurden Männer gewonnen?

So einfach war es? Nur ein Rechenexempel? Und sie hatte vierundzwanzig Jahr alt werden müssen, um das zu lernen?

Nicht weiter so – nein – nicht wiederholen . . . Brennende Verachtung – ein wunder, blutender Haß – resignierte Freude . . . . . Und ganz im nächtlichsten Dunkel der Gefühle kauernd, das zitternde, gierige Verlangen, sich an dem Gewonnenen zu berauschen.

Ja – ein schöner Tag.

 


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