F. Gräfin zu Reventlow
Herrn Dames Aufzeichnungen
F. Gräfin zu Reventlow

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7. Februar

Am späteren Nachmittag im Eckhaus. Unten im Hof spielt das Kind, das ich hier schon neulich gesehen habe. Susanna empfängt mich wieder in der großen Küche. Was ich inzwischen gemacht habe?

»Nun – versucht, mir über verschiedene Eindrücke klar zu werden und mich mit dem Philosophen unterhalten.«

»Jetzt im Karneval?« sie schüttelt den Kopf, »warum sind Sie nicht lieber mit uns zur Redoute gegangen, und heute ist draußen auf dem Lande ein Fest, man fährt mit Schlitten hinaus.« Sie seufzt etwas – Orlonski erscheint – schon wieder im Henkerskostüm – oder hat er es inzwischen gar nicht abgelegt – er frägt nach Willy:

»In seinem Zimmer – er liest Maria Märchen vor.«

Wir gehen hinüber, Konstantin, der Sonnenknabe, ist auch da.

Maria liegt matt auf dem Diwan, sie sind alle schon im Kostüm für heute abend, alle etwas bleich und übernächtig, und Willy liest ihnen ein Gedicht aus des Knaben Wunderhorn vor:

Maria, wo bist du zur Stunde gewesen?
Maria, mein einziges Kind? –
Ich bin bei meiner Großmutter gewesen
Ach weh, Frau Mutter, wie weh!

Ich kannte das Gedicht – die Großmutter hat ihr Schlangen zu essen gegeben, und sie stirbt daran.

»Pfui, warum lesen Sie ihr das vor?« sagte Konstantin vorwurfsvoll.

»Weil es so auf sie paßt.«

»Auf mich?« fragte Maria ganz abwesend, und alle lachen. Sie scheint gar nicht zu wissen, wovon die Rede ist.

»Und das schwarzbraune Hündlein, das auch von den Schlangen frißt und in tausend Stücke zerspringt, – das werden Sie wohl sein, Konstantin,« meinte Willy etwas unliebenswürdig – Konstantin lächelt nur, er ist wirklich ein hübscher Kerl, und ich begreife, daß die Mädchen hinter ihm her sind. Dann Orlonski:

»Katerunterhaltung ist das – –« er versorgt uns mit schwarzem Kaffee, und sein eisernes Schuppenhemd klirrt, wenn er sich bewegt – »bleiben Sie bei uns, Maria, wir geben Ihnen nicht Schlangen zu essen, bis Sie kaputt sind.«

»Nein, bei euch ist es zu friedlich, – ich muß wohl immer etwas haben, was mich zugrunde richtet. Und ich kann ja doch nicht los von ihm –«

»Aber er denkt nicht daran, dich zugrunde zu richten,« sagt Konstantin.

»Nein, er nicht – aber ich muß immer gerade das tun, was er nicht leiden kann, er haßt den Karneval und sagt, es sei ein unechter Rausch. Aber für mich ist es ein wirklicher, – ich bin nur glücklich, wenn jeden Abend ein Fest ist. Und jetzt will er aufs Land gehen, weil er das nicht mehr mitansehen kann, es wäre lebensfeindlich, sich so zuzurichten wie ich! Also was soll ich tun? – was meinen Sie dazu, Monsieur Dame?«

»Was soll ich meinen? – ich tue immer nur das, wozu ich verurteilt werde.«

»Sie Glücklicher – weißt du, Susanna« – sie denkt nach – »ich will doch lieber zu euch ziehen.«

»Und Konstantin?«

»O, Platz genug,« sagte Orlonski, und es folgte eine Art häuslicher Beratung zwischen ihm und Susanna. Ich gehöre nicht zu den Neugierigen. Die Zusammenstellung dieses Hauswesens ist mir immer noch dunkel. Wem das Eckhaus gehört, wer ständig darin wohnt und wer vorübergehend – und das Kind –

 

Heinz hält mich für einen harmlosen, unbedeutenden Menschen – das hat mir der Sonnenknabe wiedererzählt – und für gänzlich ungefährlich in bezug auf Frauen, man könne jedes junge Mädchen unbesorgt mit mir auf Reisen schicken.

Ich weiß nicht, ob man das kann. In den Kreisen, wo ich aufgewachsen bin, ist es nicht üblich, und ich hatte bisher auch noch nie das Verlangen, junge Mädchen mit auf Reisen zu nehmen. Also, was sollen solche Bemerkungen? – Die Frau, die ich suche – die steht auf einem ganz anderen Blatt – und wenn ich sie einmal finde – – –

Dieser Konstantin ist wohl das indiskreteste Wesen, das man sich vorstellen kann, er erzählt alles wieder, was er sieht, hört, miterlebt, und es hat den Anschein, als ob seine Freunde ihn alles hören, sehen und miterleben lassen.

Susanna behauptet, sie merkten es gar nicht oder fänden es enorm, daß er gar nicht begriffe, was Diskretion sei. Man bewundere nur die Anmut und heidnische Schamlosigkeit, mit der er seine oder anderer Erlebnisse zum besten gebe.

Nun, ich will gerne einräumen, daß der Junge viel Charme hat, ich mag ihn recht gerne. Aber trotzdem berührt es mich nicht gerade angenehm, wenn er mir mit strahlender Miene erzählt, daß andere Leute mich für einen Dummkopf halten. Ich wurde sogar etwas ärgerlich und sagte, daß Heinzens böse Zunge mir schon von der Schulzeit her bekannt wäre – worauf er ebenso strahlend bemerkte, ja, ihm auch, denn Heinz sei sein Vetter, und sie ständen sich sehr nahe.

Eigentlich kann es mir ja ziemlich gleichgültig sein, – für einen bedeutenden Menschen halte ich mich wirklich selber nicht, aber ich verstehe und begreife vielleicht doch mehr, als Heinz annimmt. Sonst würde der Philosoph sich wohl auch schwerlich so viel Mühe mit mir geben – er selbst steht den Dingen ja sehr skeptisch gegenüber, aber ich habe mehr und mehr das Gefühl, daß es sich hier doch um große Ideen und tiefe Lebenserkenntnis handelt. Es sind unter diesen Menschen zweifellos einige ungewöhnliche Intelligenzen, und sie wollen das Leben auf eine ganz neue und schönere Art gestalten. Und wenn ihnen das gelänge, wäre es immerhin etwas Großes – ich würde mich auch, soweit es in meiner Kraft steht, gerne daran beteiligen. Ich liebe wohl das Konventionelle in allen äußeren Dingen und möchte nicht gerne darauf verzichten, aber wer weiß, ob nicht doch ein Fond von Heidentum in mir steckt. – Zum mindesten scheint mir, ich bin jetzt doch auf dem Wege, in das geistige Leben dieses Vororts einzudringen und seinen inneren Zusammenhängen näher zu kommen.

Die letzte Woche bin ich ganz im Eckhaus geblieben. Susanna verurteilte mich dazu; sie meinte, ich müsse etwas aufgeheitert und von meinen Grübeleien abgelenkt werden.

Es war wieder ein ganzes Romankapitel, aber ich weiß es noch nicht anzufügen. Man kann doch nicht jedes Kapitel mit einem Karnevalsfest beginnen lassen – das kommt mir unkünstlerisch vor. Wollte man sich genau an die Wirklichkeit halten, so scheint allerdings bei den Eckhausleuten ein jedes nicht nur mit einem Fest anzufangen, sondern auch damit zu enden.

Wie sie das aushalten, ist mir ein Rätsel; ich war schon nach zwei Tagen ganz gebrochen und kam ins Lazarett, wie sie das nennen.

Dies alte Haus ist merkwürdig und geräumig gebaut. Oben die große Küche ist zugleich der gemeinsame Salon, daneben liegen Willys Zimmer, und im Seitenflügel wohnt Susanna mit dem rätselhaften Kind – es sieht niemand von den dreien ähnlich, aber es muß doch irgendwie zu ihnen gehören. Unten im Parterre hat Orlonski sein Reich, und neben dem großen Flur, durch den man hereinkommt, gibt es noch eine Reihe von halbdunkeln Zimmern, wo die Gäste untergebracht werden. Orlonski hat es dort mit vielen Diwanen, Polstern und anderen Lagerstätten etwas phantastisch, aber sehr gemütlich hergerichtet, das Ganze gleicht etwas einer Herberge, wo die müden Freunde des Hauses sich ausruhen und erholen können. Mit dem Ausruhen war es allerdings manchmal nicht weit her, aber ich bin jetzt schon daran gewöhnt, mich über nichts mehr zu wundern.

Als ich das erstemal dort schlief, wurde mitten in der Nacht das Fenster von außen geöffnet, und jemand rief ein paarmal leise: Maria – dann stieg er hinein. Es war eine Mondnacht, und ich sah einen jungen Mann in Frack und Zylinder vor mir stehen, seinen Mantel trug er über dem Arm. Ich hielt es für angemessen, ihm zu sagen, Maria sei nicht hier.

»Entschuldigen Sie, mit wem habe ich das Vergnügen?«

»Dame – ich heiße Dame.«

Darauf stellte er sich ebenfalls vor und sagte, es freue ihn ungemein, mich kennen zu lernen – er hätte Maria zum bal-paré abholen wollen – schade – aber vielleicht käme ich mit? – es sei eben erst Mitternacht vorbei und immer noch Zeit genug – ich nahm alle meine Widerstandskraft zusammen und erklärte ihm ich wäre wirklich zu müde.

»Müde? – o das geht vorbei, sowie man dort ist – –«

»Aber ich war die vorigen zwei Nächte aus –«

»Und da wollen Sie wirklich schlafen?«

Er stand regungslos da, vor meinem Bett, wie eine schmale, schwarze Silhouette, und schien ganz in Erstaunen versunken.

»Wissen Sie, wo Maria heute ist?« fragte er dann.

»Mit Herrn Konstantin auf einem Atelierfest.«

»O – gewiß wieder so eine bacchantische Wahnmochingerei,« sagte er bedauernd – »da kann ich im Frack nicht hingehen. Im Frack kann man nicht dionysisch taumeln, – sehen Sie, Herr Dame, deshalb paßt das auch nicht in unsere Zeit. – Was hab' ich davon, wenn ich abends dionysisch herumrase – mir wie ein Halbgott vorkomme und am nächsten Morgen doch wieder mit der Trambahn in mein Bureau fahren muß, ich bin nämlich Rechtspraktikant? – Ich weiß nicht, wie die Leute sich damit arrangieren. Es wird deshalb auch nie etwas Rechtes daraus. – Sie erlauben,« – er stellte vorsichtig seinen Zylinder auf den Tisch und rückte sich einen Stuhl an mein Bett.

Ich könne ihm doch nicht ganz beistimmen – sagte ich nun – im Gegenteil, was man hier unter dem Begriff Wahnmoching zusammenfasse, habe mich wohl zuerst befremdet, aber jetzt hätte ich doch das Gefühl, daß sich mir hier allmählich eine neue und wunderbare Welt erschließe. Und ich fühlte eine große Bewunderung für diese geistig hervorragenden Menschen.

»Pardon, wen finden Sie geistig hervorragend?«

»Ich kenne die Herren leider erst ziemlich flüchtig – aber ich habe schon viel von ihnen gehört – und zum Beispiel Maria – –«

»Ja, da haben wir's – Maria und so und soviel andere. Da laufen die dummen Mädel hin und lassen sich erzählen, daß das Hetärentum bei den Alten etwas Fabelhaftes gewesen sei. Und nun wollen sie auch Hetären sein. – Da war eine – unter uns gesagt – sie stand mir eine Zeitlang sehr nahe – aber eines schönen Tages erklärte sie mir, sie habe eingesehen, daß sie nicht einem Manne angehören könne, sondern sie müsse sich frei verschenken – an viele –. Es war nichts dabei zu machen, – sie hat sich dann auch verschenkt und verschenkt und ist elend dabei hereingefallen. Denn glauben Sie mir nur, was ein rechter Wahnmochinger ist, der sieht nicht ein, daß es für die meisten Mädel eben doch ein Unglück bedeutet. Er bewundert sie höchstens, daß sie nun ein Schicksal hat und es irgendwie trägt; aber was nützt ihr das?« – Er machte eine Pause und fuhr dann fort:

»Bei Maria liegt es etwas anders, sie hat von Natur keine Prinzipien. Und deshalb wird sie dort auch so verehrt. Sie sagt, es sei so schön gewesen – sonst habe sie immer nur Vorwürfe über ihren Lebenswandel hören müssen, und alle hätten versucht, sie auf andere Wege zu bringen – aber als sie dann unter diese Leute kam, machte man ihr, Gott weiß was für Elogen und fand alles herrlich. Sie hatte damals gerade das Kind bekommen, und die Welt zog sich etwas von ihr zurück.«

»Maria hat ein Kind?« fragte ich, wohl etwas ungeschickt, denn ich hatte ja keine Ahnung davon gehabt.

»Das wissen Sie nicht – o sie macht übrigens gar kein Geheimnis daraus« – er wurde etwas nachdenklich, »Gott, ich weiß ja kaum, wer Sie eigentlich sind, aber ich nehme an, daß Sie dem Hause hier nahestehen –« darauf gähnte er: – »Hören Sie, Herr Dame, wir sind wahrscheinlich beide ziemlich müde. – Sie haben doch nichts dagegen, wenn ich dort auf dem Diwan schlafe.«

Nein, natürlich hatte ich nichts dagegen, – seine frische unbekümmerte Art war mir ganz sympathisch.

Er zog nur seinen Frack aus und hängte ihn über die Stuhllehne, dann warf er sich auf den Diwan.

»Wissen Sie – ich habe schon manchmal hier geschlafen, – wenn ich meine Schlüssel vergessen oder mich verspätet hatte. Ein oder das andere Fenster ist immer offen, und die Eckhäusler wundern sich nie, wenn sie morgens irgendeinen Bekannten vorfinden – besonders im Karneval, – es ist wirklich ein gastfreies Haus –«

Ich konnte noch lange nicht einschlafen, der Mond schien gerade ins Fenster, und der schwarze Frack hing so gespenstisch über die Stuhllehne, daß ich jeden Augenblick emporfuhr und meinte, es stände jemand vor mir. Ich dachte noch über Maria nach – es ist soviel Verhängnis um sie, – da tobt sie nun heute nacht mit dem Sonnenknaben und den Enormen, und vielleicht liebt sie auch den Mann, der dort drüben schläft. Und morgen liegt sie selbst wieder hier auf dem Diwan, und wir unterhalten uns müde über unsere Biographien. Wir verstehen uns, wie nur zwei Verurteilte sich verstehen können – eine andere Liebe ist nicht zwischen uns. Hallwig nennt so etwas den Eros der Ferne – hat Maria mir gesagt – früher hätte ich das überhaupt nicht verstanden und mir nichts darunter vorstellen können.

 

Als ich aufwachte, war der Frack fort und sein Besitzer verschwunden. Susanna stand am Tisch und betrachtete sinnend ein Paar weiße Glacéhandschuhe, die er anscheinend vergessen hatte. Dann lächelte sie mich an:

»Lieber Dame, kommen Sie doch mit zum Frühstück hinauf, wir haben ein paar Leute mitgebracht.«

Es ist sieben Uhr morgens. Sie sind eben erst heimgekommen – die ganze Küche voll kostümierter Gestalten. Ich weiß nicht, ob ich wache oder träume. Man sitzt bei Lampenlicht um den Frühstückstisch, die Mädchen haben Kränze auf dem Kopf, sehen blaß und glücklich aus.

Susanna legt die weißen Handschuhe vor Maria hin:

»Gilt das mir, oder gilt es dir?«

Sie flüstern zusammen, dann fragt Susanna:

»Sie – Monsieur Dame, wie hat er denn ausgesehen?«

Ich versuche ihn zu beschreiben – »schlank – mittelgroß – das Gesicht hab ich nicht deutlich sehen können, da es halbdunkel war. – Aber ich besinne mich, daß er Maria abholen wollte.«

»O, dann war es Georg,« sagt Susanna, »die Handschuhe sind deine, Maria – –«

Die beiden sehen sich an und lächeln – dies Lächeln, dieser Blick ist absolut heidnisch – bei Susanna vielleicht noch mehr. Hinter ihrem Lächeln ist nie ein Schmerz oder eine Zerrissenheit – Susanna kann selbst aus meinem Herzen alle Nebel und alles Dunkel hinweglächeln – wenn sie mich ansieht wie an diesem Morgen – Ich kann nicht anders, ich muß ihnen beiden die Hände küssen.

Da sitzt ein Herr am Tisch, der ein Monokel trägt und alles aufmerksam beobachtet. Er ist ein Jugendbekannter von Susanna, den sie heute nacht beim Fest zufällig wiedergetroffen hat. Er steht in Berlin bei der Garde, wie sie mir nachher erzählte.

»Na, weißt du Susi, das ist wirklich eine originelle Bude – und da wohnst du?«

»Freilich wohne ich hier,« antwortet sie gleichmütig.

»Ja – sag mal – –«

Willy erscheint aus dem Nebenzimmer, er ist in Zivil, denn er war heute nicht mit – sieht sich mit seinen runden Augen etwas erstaunt um, begrüßt alle, setzt sich an den Tisch.

»Ach, Susanna, gibt es schon Frühstück?« sagt er weich und sehnsüchtig.

»Ja, bitte, mahlen Sie den Kaffee, wir warten nur noch auf Onski.«

Willy beginnt Kaffee zu mahlen, Maria zupft ihn an den Haaren und erzählt ihm von dem Feste. Der Jugendbekannte betrachtet ihn etwas erstaunt und wirft einen fragenden Blick auf die Herrin des Hauses.

»Das ist Willy,« erklärt sie, »der wohnt da drüben neben der Küche, und Orl– Gott sei Dank, da kommt er endlich.«

Orlonski kommt die Treppe hinauf, alles an ihm ist wieder rasselndes Eisen, und er ist böse.

»Ah – Maria – wo ist denn der Sonnenbengel? – schon untergegangen am frühen Morgen?«

»Onski, wir verhungern,« sagt Susanna, »Ihr könnt Euch nachher zanken.«

Orlonski und der Gardeleutnant stellen sich einander aufs förmlichste vor, sie verbeugen sich und schlagen die Absätze zusammen:

»Sehr angenehm – –«

»Freut mich sehr – –«

Die anderen betrachten das wie eine seltene Schaunummer.

Dann begibt sich Orlonski an den Herd – er ist ein sonderbarer Kauz, und ich habe ihn sehr schätzen gelernt, ein wenig rauh und kurz angebunden, aber Gentleman durch und durch – Er treibt alle Sportarten, die es überhaupt gibt, mit Vollendung und kocht vorzüglich – die Frauen läßt er überhaupt nicht an den Herd, und behauptet, sie verständen nichts davon. Man pflegt deshalb andächtig mit den Mahlzeiten zu warten, bis er kommt. Er bereitet uns denn auch an diesem Morgen ein ausgezeichnetes englisches Frühstück. Susannas Jugendfreund beobachtet ihn stumm, dann läßt er sein Monokel fallen und beugt sich zu Susanna hinüber:

»Großartig, das ist ja das reinste Familienleben – dein Onkel in Berlin erzählte mir – ja sag mal – Susi, und was tust denn du hier eigentlich?«

»Aber das siehst du doch, – ich führe ihnen den Haushalt,« sagte sie lässig und zufrieden.

 

Ich dachte, sie würden alle etwas ruhebedürftig sein, aber nach dem Frühstück wurden sie wieder sehr lebendig und berieten, was nun mit diesem angebrochenen Tag zu beginnen sei. Orlonski ordnete schließlich an, wir sollten alle aufs Land fahren. Er nahm den Leutnant mit auf den Speicher, und sie förderten eine Anzahl Rodelschlitten und Schneeschuhe zutage. Ich schickte Chamotte in meine Wohnung und ließ ihn holen, was ich an Sportgarderobe besitze – einiges fand sich auch im Eckhaus vor. Orlonski musterte erst die vorhandenen Kleidungsstücke, dann jeden seiner Gäste mit Kennerblicken, und unter seinem Kommando wurde eine Art militärische Einkleidung vorgenommen. Wir fuhren aufs Land, alle in der heitersten Stimmung, selbst im Waggon fingen sie noch wieder an, einen Konter zu tanzen, aber der Schaffner verbot es.

Es war ein wundervoller, weißer Wintertag, wir trieben uns viele Stunden im Schnee herum. Susanna hatte mich zum Partner genommen, und ich fühlte mich stillglücklich, ich der Müde, Verurteilte, unter diesen Unermüdlichen. Sie verlangen ja nicht, daß ich mich persönlich stark betätige, und ich störe sie nicht, ich lasse mich so gerne mitziehen. – Maria war an dem Tag stürmisch und voller Leben, mit Willy zusammen sauste sie leidenschaftlich die Abhänge hinunter – einmal stürzen sie und der Schlitten geht entzwei. Orlonski macht ihr Vorwürfe, es ist immer etwas Krieg zwischen den beiden, und er hält beim Sport auf Ordnung. Sie lacht nur und sagt:

»O, meinetwegen soll alles zerbrechen, – alles, nicht nur der Schlitten, auf dem ich fahre.«

Und Susanna war schläfrig, ihre Bewegungen hatten etwas Mattes, – sie meinte, die Welt sei für sie heute in lauter Schleier gewickelt. Wenn Orlonski in ihre Nähe kam, drückte sie ihm die Hand. Er sah sie an – seine Augen sind scharf und graublau – wie von Stahl –

»Onski, ich bin sehr glücklich – das Leben ist so schön –« sagte sie.

Als wir einmal aus der Bahn geraten, will sie, daß wir da im Schnee sitzen bleiben, warum soll man sich so anstrengen? Wir bleiben sitzen und sehen den anderen zu. Ein paarmal nennt sie mich du – man ist im Karneval so gewöhnt, alle zu duzen. Wir sprechen nicht viel, sie lehnt sich ein wenig an mich und schläft hier und da einen Moment ein.

Dann geht die Sonne unter, und wir fahren in die Stadt zurück. Maria will noch nicht nach Hause, und der Leutnant, den man etwas übersehen und fast vergessen hat, lädt uns ein, in der Bar zu soupieren. Alle werden noch einmal wieder ganz wach und sehr munter, und wir kommen erst gegen drei oder vier Uhr ins Eckhaus zurück. Susanna berief sich mit plötzlicher Energie auf ihre Stellung als Hausfrau und setzte für morgen einen allgemeinen Schlaftag an. Wer bliebe und wo er bliebe, sei ihr einerlei, – jeder möge sehen, wie er unterkomme. Chamotte solle mit dem Kinde spazieren gehen und es beaufsichtigen, dazwischen könne er hier und da leise – um Gottes willen recht leise – durch die verschiedenen Zimmer gehen und Erfrischungen verabreichen. Am späteren Abend würde wohl irgendwie eine richtige Mahlzeit oben in der Küche zustande kommen – dabei warf sie einen fragenden Blick auf Orlonski, aber der zuckte ablehnend die Schultern, und Susanna fügte hinzu, schlimmstenfalls würde sie selbst für alles sorgen.

Ich hatte ja die vorige Nacht, wenn auch nicht ungestört, geschlafen und wachte gegen Mittag von einem leichten Geräusch auf. Es war Chamotte, der auf den Zehenspitzen herumschlich. Willy ließe fragen, ob er zu mir herunter kommen könnte, er sei auch schon wach, und da er zwei Gäste beherbergte, fühlte er sich etwas beengt. Ich kleidete mich an und legte mich dann wieder aufs Bett, Willy kam in einem gelbseidenen Kimono:

»Ich weiß nicht, wem er gehört,« seufzte er, »man zieht jetzt immer an, was man gerade findet. – Es ist alles so anstrengend, – der Leutnant ist schon fortgegangen, um seine Tante von der Bahn zu holen, Susanna hat ihm ihren roten Rodelsweater und Reithosen von Onski gegeben – denn er wollte durchaus nicht in seinem Biedermeierfrack an die Bahn gehen. Wir drei hier im Hause kommen jetzt manchmal in Verlegenheit, weil wir immer unsere Gäste zum Fortgehen ausstaffieren müssen. Ein junges Mädchen mußten wir neulich zwei Tage dabehalten, weil sie als Page zu uns kam und nichts vorhanden war, was ihr paßte –«

Chamotte machte derweil Ordnung im Zimmer, heizte den großen Ofen ein und brachte uns Kaffee. Dann lagen wir da, rauchten Zigaretten, und es war sehr gemütlich. Die Tür zu beiden Nebenzimmern stand offen, in dem einen schlief Orlonski, in dem anderen Maria, und wir sprachen halblaut, um sie nicht zu stören.

Ich fragte, ob Susanna denn schon auf sei – da sie den Leutnant kostümiert hatte –, sie war doch gestern am allermüdesten und schien es mit dem Schlaftag sehr ernst zu meinen.

»O, Susanna macht es wie die Sonne, sie geht in Wirklichkeit nicht unter – sie geht nur um die Erde herum und scheint dann über irgendwelchen anderen Ländern. Beim Schlaftag kommt es ihr nur darauf an, daß jeder in seinem Zimmer bleibt – sie gibt dann Gastrollen, besucht eine Niederlassung nach der anderen und schläft da, wo sie gerade ist, noch ein paar Stunden weiter.«

 

Chamotte ist mit dem Kind ausgegangen, das ganze Haus liegt in tiefem Schweigen. Die Türglocke hat man vorsorglich abgestellt. Maria ist inzwischen einmal aufgewacht und hat gefragt, wer denn hier nebenan sei. Wir haben ihr Kaffee hineingebracht und ein wenig geplaudert, dann ist sie wieder eingeschlafen – die weißen Glacéhandschuhe, die Susanna ihr heute morgen gegeben, liegen auf dem Tischchen am Bett.

Allmählich wird es Nachmittag, und Susanna erscheint mit Tee und Brötchen. Ihr Lächeln ist heute etwas resigniert:

»Onski hat Migräne,« sagte sie, »und steht nicht auf. Da werden wir wohl heute und morgen fasten müssen. Ich glaube, es ist am besten, wenn wir nachher unsere Kostüme wieder anziehen und heute abend auf den Gauklerball gehen. – Die anderen wollen wir gar nicht erst wecken, das Weitere wird sich hier dann schon irgendwie entwickeln,« sie seufzte ein bißchen – »ach Gott, es ist wirklich keine Kleinigkeit, wenn die Verantwortung für so vieler Leute Wohlergehen auf einem ruht.«

 

Ermattet legt sie sich auf die Polster in die Nähe des Ofens, schließt die Augen und scheint in eine Art Halbschlaf zu versinken. Willy und ich sprechen mit gedämpfter Stimme weiter – hier und da ermuntert Susanna sich ein wenig, beteiligt sich am Gespräch oder langt nach ihrer Teetasse. Unvermerkt geraten wir wieder auf die heidnischen Ideen und ihre Verwirklichung in unserer heutigen Welt. Ich erzähle von meiner nächtlichen Unterhaltung mit dem Herrn im Frack.

»Ach, der Georg,« – sagt Willy – »er möchte sie immer noch gerne heiraten, und ich nenne ihn den standhaften Zinnsoldaten – Maria ärgert sich darüber, aber sie hat immer einen oder den anderen Zinnsoldaten, als Gegengewicht oder zur Erholung von ihrer heidnischen Betätigung.«

Ein Wort gab das andere, und ich erkundigte mich mit größtmöglicher Diskretion, ob es etwa Marias Kind sei, das hier im Hause wohne. Susanna hatte gerade einen wachen Moment und richtete sich halb auf.

»Aber ich bitte Sie – das ist doch meins – –«

»Ihres? – –«

»Ja, natürlich – wußten Sie das nicht?«

»Woher sollte ich das wissen, das Kind ist einfach da, und man hat niemals davon gesprochen, wem es gehört.«

»Marias Kind – ja, Maria ist ein komplizierter Fall« – erläuterte Willy dann weiter, »Sie müssen wissen, – in Heidenkreisen hatte man schon lange die Frage aufgeworfen, wie es mit der Vereinigung von Mutterschaft und Hetärentum stände – beides natürlich in möglichster Vollendung gedacht –, aber die Beobachtung an lebenden Objekten war immer ziemlich ungünstig ausgefallen. Die Mädchen, die als Hetären in Betracht kamen, hatten eben keine Kinder und waren froh, daß sie keine hatten. Andere wünschten sich wohl Kinder, strebten dann aber nach Heirat und gaben das Hetärentum auf. – Nun tauchte Maria hier in aller Fröhlichkeit mit ihrem Lebenswandel und einem Baby auf. Durch ihr bloßes Dasein, in dem sie unbewußt, aber mit ›königlicher Selbstverständlichkeit‹ – so sagt man dort – ihren heidnischen Instinkten nachgelebt hatte, stellte sie das gelöste Problem: Mutter und Hetäre dar und wurde sehr gefeiert.«

»Ja, Ähnliches hat mir der Herr von gestern nacht – der Zinnsoldat, wie Sie ihn nannten – schon erzählt.«

»Ach der,« meinte Willy wegwerfend –, »der versteht schon gar nichts davon und hat keine Ahnung von Marias eigentlichem Wesen. Die Zinnsoldaten sind eine schwache Seite von ihr – ich glaube überhaupt von den meisten Frauen, aber sie sind ihnen nicht abzugewöhnen« – er warf einen wehen Blick auf Susanna, und sie lächelte halb im Schlaf.

»Also Maria – – –«

»Ja, Maria wurde fortan als Paradigma hingestellt, als lebendes Symbol für heidnische Möglichkeiten. Es haben dann noch ein oder zwei andere Mädchen Kinder bekommen – offizielle Kinder, die nicht geheimgehalten wurden, aber sie machten nicht mehr soviel Eindruck. Und Maria beklagt sich bitter darüber, daß man sie von nichtheidnischer Seite gewissermaßen zur Verantwortung zieht und die Sache so hinstellt, als mache sie Propaganda für liederliches Leben und illegitime Kinder – –«

Susanna setzte sich auf und gähnte:

»Mein Gott, redet ihr schon wieder von illegitimen Kindern? Ich hätte gar nicht gedacht, daß Herr Dame sich so dafür interessiert.«

Ich machte noch die Bemerkung, es wundere mich, daß Susanna in den Heidenkreisen nicht ebensoviel Bewunderung errege wie ihre Freundin. Sie kennen sie ja doch alle – sie verkehrt mit ihnen – ihre ganze Art zu leben und das Kind.

»O, mein Kind gilt nicht für voll, und niemand schaut mich drum an,« sagte sie darauf beinah entschuldigend, »ich hatte es doch schon, als die Hetärenfrage aufkam – außerdem war ich einmal verheiratet, und das ist eben nicht dasselbe.«


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