F. Gräfin zu Reventlow
Herrn Dames Aufzeichnungen
F. Gräfin zu Reventlow

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Zwei Tage später...

Nein, es liegt wohl nicht in meinem Bereich, kosmische Feste zu schildern – was ich da mit schöner, ordentlicher Schrift in meine Hefte male, mutet mich selbst so nüchtern und farblos an. Sicher war auch in dem Ganzen weit mehr Rausch und mystischer Gehalt, als ich hier wiederzugeben weiß. Vielleicht auch fehlt mir nur die Fähigkeit, es so zu erleben, ich bleibe immer an der Schwelle stehen, ich bin kein Enthusiast, kein Schwärmer, kein Bacchant, ich bin nur Herr Dame.

Man hat in ganz Wahnmoching und darüber hinaus tagelang nur von diesem Fest gesprochen – Laien und Eingeweihte –, es scheinen ungeheuerliche Gerüchte darüber umzugehen. So fragte mich heute der alte Hofrat, den ich an der Trambahnhaltestelle traf, ob ich denn wirklich an diesen Orgien teilnehme, bei denen arge und bedenkliche Dinge stattfinden sollten, zum Beispiel den Göttern zu Ehren rauchendes Blut aus Schalen getrunken würde. Mir ging dies verständnislose Geschwätz so auf die Nerven, daß ich trotz meiner guten Erziehung etwas ausfallend wurde. Ich belehrte ihn, daß Hofmanns eine angesehene Familie wären und man in ihrem Hause weder rauchendes Blut tränke, noch sonst etwas Ungehöriges täte, wie überhaupt selbst die eifrigsten Vorkämpfer des Heidentums in diesem Vorort die gesellschaftlichen Formen immer zu beobachten wüßten; in Spießerkreisen aber sei für das alles schwerlich das notwendige Verständnis zu finden, ja, auch gar nicht erwünscht, denn der Spießer sei von jeher molochitisch gewesen. Der unsympathische Greis kicherte höhnisch, schwang sein Spazierstöckchen und bemerkte: »Das klingt ja recht beruhigend, aber mit der Echtheit dieses Heidentums scheint es doch nicht weit her zu sein, – die alten Heiden haben schwerlich auf korrektes Benehmen Wert gelegt.«

»Wer weiß,« sagte ich erbost, »weder Sie noch ich haben sie näher kennen gelernt. Außerdem stehen wir jetzt im zwanzigsten Jahrhundert, und die Sitten haben sich seit dazumal etwas abgeschliffen, – man trinkt nicht mehr Blut – –«

»Das verdanken wir nur der Kultur des Christentums,« gab er gereizt zurück.

»Im Gegenteil – –« ich wollte ihm das noch näher auseinandersetzen; aber wozu, er hätte es doch nicht begriffen. So begleitete ich ihn schweigend an seine Trambahn, die eben herankam, und er sagte nur noch, ich solle ihn doch bald einmal besuchen, er interessiere sich lebhaft für meine weitere Entwicklung.

 

Aus Nervosität begab ich mich ins Café, das ich schon längere Zeit hindurch vernachlässigt hatte, und diesmal tat mir selbst der Anblick der Kappadozischen und ihres jungen Dichters wohl. Ich fühlte beinah Sympathie für die beiden und schilderte ihnen meine Unterredung mit dem alten Herren, in dem stolzen Gefühl, für die heidnische Bewegung eine Lanze gebrochen zu haben. Aber der Dichter mißbilligte es, daß ich mich darauf eingelassen. Wer an großen Dingen teilnehmen dürfe, der müsse auch darüber zu schweigen wissen.

Doktor Gerhard, der ebenfalls zugegen war, verteidigte mich und meinte, man habe doch gerade zu diesem Fest alle möglichen Fernstehenden eingeladen, von denen keine innere Beteiligung zu erwarten wäre, und die dann vielleicht derartige Gerüchte verbreiteten.

»Die Auswahl der Gäste bleibt wohl stets dem Gastgeber überlassen,« bemerkte der Jüngling ablehnend und zupfte an seiner kultlichen Krawatte.

»Gewiß,« gab ich zu, »ich bitte mich nicht mißzuverstehen, – ich halte es eben für korrekt, bei jeder Gelegenheit für das Haus meiner Gastgeber einzutreten.«

Er zuckte die Achseln: »Es tut mir leid, Herr Dame, aber auf studentische Ehrenstandpunkte vermag ich leider nicht einzugehen. Diese gehören der Welt des Fortschritts an, mit der wir jede Beziehung ablehnen.«

»Ich hoffe, die Herren werden sich über diese Frage nicht in die Haare geraten,« sagte Doktor Gerhard mit milder Ironie. Der Dichter lächelte herbe und hüllte sich dann in Schweigen. Die kappadozische Dame dagegen war sehr liebenswürdig, sie estimiert mich anscheinend, seit ich die Panflöte geblasen habe, und fragte, wie ich darauf gekommen sei. Ich erzählte, daß Delius uns alle beraten, und wie er sich dann verabschiedet habe, um kosmische Urschauer zu erleben. Dabei fühlte ich, wie ich immer mehr in ihrer Achtung stieg, auch der Dichter wurde wieder zugänglicher.

»Delius hat uns neulich eine sehr bedeutungsvolle Begebenheit erzählt,« sagte er, »– er war vor einigen Jahren in Rom –«

»Ich denke, Herr Delius ist immer in Rom,« warf Gerhard ein. Der Dichter ignorierte ihn, und die Kappadozische suchte zu vermitteln: »Es ist hier wohl von dem wirklichen Rom die Rede.«

»Gibt es ein wirkliches und ein unwirkliches Rom?« fragte der junge Mann bitter, »– ich meinte allerdings jene italienische Stadt, die heute noch Rom genannt wird; aber gerade, was Delius dort erlebte, zeigt, daß immer wieder der leere Schein für Wirklichkeit gehalten wird und tiefstes Erleben für unwahrscheinlich gelten mag. – Ihm, Delius, mußte das moderne Treiben an dieser Stätte wohl vor allem verhaßt sein, und so beschloß er, seine Mahlzeiten nach altrömischem Brauch einzunehmen. Er kaufte daher Wein und Früchte und begab sich zur Mittagzeit, wo alles ruhte, in die Campagna. Dort breitete er seine Vorräte auf dem Boden aus, flehte den Segen der Götter auf sich und sein Mahl herab und wollte eben damit beginnen, als dicht hinter ihm ein entsetzliches Gebrüll ertönte und ein ungeheures ziegenbockähnliches Tier mit ellenlangem, bis auf die Erde herabhängendem Bart auf ihn zustürmte. Entsetzt ergriff er die Flucht, denn es schien ihm wohl möglich, daß ein böser Dämon sein Spiel mit ihm treiben wollte. Und als er nach einer Weile wieder zurückkehrte, fand er nur noch das zertrümmerte Weingefäß am Boden, alles andere, auch das Ungeheuer, war spurlos verschwunden. – Ihr Lächeln ist nicht am Platz, Doktor – es wurde später dahin aufgeklärt, daß gerade unter der Stelle, wo er verweilt hatte, sich ein altes Grab befand – –«

»Sagte nicht jemand, es könne vielleicht der große Pan selbst gewesen sein?« fragte die kappadozische Dame eifrig, aber der Dichter warf ihr einen strafenden Blick zu und sagte mit großer Bestimmtheit: »Darüber ist mir nichts bekannt«.

»Sollte unser gemeinsamer Freund Delius sich in diesem Falle nicht doch etwas getäuscht haben,« äußerte Gerhard nach einer Pause, und der Dichter entgegnete:

»Ich weiß nicht, wie Sie das meinen – aber es möge sich jeder die Welt der Erscheinungen deuten, wie er will. Das sind für uns nur Symptome seines Wesens.«

Die Kappadozische sah ihn nachdenklich an: »Und sicher gehen wir jetzt einer Zeit entgegen, die es wieder lernen wird, sie im Sinne des Lebens zu deuten.«

Gerhard seufzte ein wenig: »Ja – ja – das wäre allerdings sehr zu begrüßen, gnädiges Fräulein.«

Wir sind dann zusammen fortgegangen.

 

Wie oft schon habe ich hier sagen hören: wir gehen Zeiten oder einer Zeit entgegen, die – –

Es ist nicht lange her, da klang es mir fremd und unverständlich in die Ohren, – mich dünkt, ich habe rasch und viel gelernt. Vor einem Monat noch hätte ich wohl ratlos den Philosophen aufgesucht und ihn gefragt: was für Zeiten denn – und wieso? Jetzt weiß ich, um was es sich handelt, weiß und begreife, daß man von der Wahnmochinger Bewegung eine große Erneuerung des Lebens erhofft und erwartet. Dem Laien mag es fast wie eine Redensart klingen, mit der schon unzählige Bewegungen ihr Programm eröffnet haben, aber für den Wissenden besteht kein Zweifel, daß eben diese Bewegung von Grund aus anders geartet ist. Sie lehnt die ganze Welt des seelenmordenden Fortschritts ohne weiteres ab, will nichts mit ihr zu schaffen haben, – sie weist nicht nach vorwärts, sondern zurück auf die mächtigen, urewigen Wurzeln alles wahren Lebens – nein, das stimmt nicht ganz –, sondern auf den Urgrund, in dem alleine solches Leben zu wurzeln vermag, denn alles Heutige ist ohne Wurzeln.

Wie sagte Hofmann neulich: Es gibt eine Welt, für die es gleichgültig ist, ob ein Schiff fliegt oder ob ein Tisch fliegt. Ich schäme mich vor mir selbst, zu gestehen, daß ich diesen Ausspruch im ersten Moment für einen Witz hielt und seine tiefe Bedeutung mir erst später aufging.

Die Welt, in der Schiffe fliegen, ist eben die moderne, instinktlose, völlig maschinell gewordene, die jeden Erfinder eines neuen Mechanismus als Helden und Menschheitserlöser preist. Und die Welt, in der Tische fliegen oder wenigstens fliegen würden, wenn man Wert darauf legte, – diese Welt ist unser Stadtteil, ist Wahnmoching. Nur ein Stadtteil; aber wer weiß, ob er nicht dereinst das tote Heute mit neuem Lebensgehalt durchdringen wird.

Das mit den Tischen, die fliegen, hat noch eine besondere Bewandtnis, die einstweilen als tiefes Geheimnis behandelt wird. Übrigens gehört auch das zu der eigentümlichen Atmosphäre unseres Vororts: vieles ist Geheimnis, und noch viel mehr wird als solches angesehen, trotzdem alle darum wissen. Die Geheimnisse schwirren gleichsam in der Luft herum, aber sie offenbaren sich nur dem, der sie zu erkennen versteht.

Ich glaubte immer, ein diskreter Mensch zu sein, aber jetzt erst habe ich begriffen, daß es noch eine Hohe Schule der Diskretion gibt, – eine wunderbare Technik, Dinge, die vielleicht schon in aller Leute Mund sind, durch plötzliches Verstummen in undurchdringliche Schleier zu hüllen und dadurch als Geheimnis zu kennzeichnen. Wie irrig ist die übliche Anschauung, nur das absolut Verschwiegene sei Geheimnis. Was niemand weiß, ist ein Nichts, ist überhaupt nicht vorhanden; und nur die Art, wie man ein Gewußtes je nachdem offenbart oder wieder verhüllt, macht es zum wahren Geheimnis.

So weiß auch ich, der noch keine Weihen empfangen hat (so nennt man es hier, – es sind damit keine äußeren Zeremonien gemeint, sondern ein bestimmter Grad von innerer Beschaffenheit), so weiß auch ich zwei Dinge, die dem Bereich der Wahnmochinger Geheimnisse angehören.

Das eine ist, daß man damit umgeht, eine heidnische Kolonie zu gründen. Ich verstehe sehr gut, warum man diesen Plan geheim hält, vor allem wohl, um nicht mit manchen scheinbar ähnlichen Unternehmungen verwechselt oder auch nur verglichen zu werden. Ich verstehe auch, welche Tragik darin läge, einfach für Weltverbesserer, Religionsstifter oder dergleichen zu gelten, wo es sich doch um viel Tieferes handelt. Man wünscht deshalb auch nicht, daß sich viele dazu herandrängen, und die Auslese wird aufs strengste gehandhabt. Meine verschwiegene Hoffnung geht dahin, daß unter den Wenigen auch ich für würdig befunden werde.

Und das andere, worauf auch des Professors Wort über die fliegenden Tische hindeutete, – dieses andere mag wohl dem gemeinen Menschenverstand unfaßlich klingen. – Die geistigen Führer Wahnmochings – Hofmann, Delius und Hallwig – oder sind es in diesem Falle nur Hofmann und Hallwig? – das könnte ich verwechselt haben –, kurzum, es verlautet, daß sie Geheimnisse von unabsehbarer Tragweite entdeckt haben und dadurch in der Beherrschung gewisser innerer Kräfte so weit vordringen, daß sie über kurz oder lang in der Lage sein werden, zu zaubern, – wirklich und wahrhaftig zu zaubern. Nicht etwa im landläufigen Sinne Magie zu treiben, die sich doch eben nur mit Einzelgeistern beschäftigt, – und das ist ein großer Unterschied.

Man erklärte es mir etwa so: gelingt es einem, sich durch ein mystisches Verfahren – ich glaube durch absolute Selbstversenkung in das kosmische Urprinzip – dergestalt zu läutern, daß auch die geringsten Bestandteile von Molochitischem gebannt werden, – gelingt es ihm, die kosmische Ursubstanz in sich allmächtig zu machen, so daß sie sein Wesen vollkommen durchdringt, – nun so wird eben er selbst allmächtig, – und wer allmächtig ist, kann zaubern. Es gehört noch dazu, daß in seiner Umgebung starke kosmische Substanzen vorhanden sind, – und ja keine molochitischen, die eben doch irgendwie auf ihn einwirken und jenes Verfahren beeinträchtigen könnten. – Daher Hallwigs große Zurückhaltung im Verkehr, – er will nicht mit Belanglosen in Berührung kommen. Denn der Belanglose hat keine oder nur geringe kosmische Substanz und ist dem Molochitischen leicht zugänglich.

Anmerkung
Wir sind hier an einem der Punkte angelangt, verehrter Freund, die vielleicht eines Kommentars bedürfen – ob nämlich die Zauberhoffnungen Wahnmochings, beziehungsweise deren Erfüllung wirklich im Bereich des Möglichen lagen. Sicher wird das Publikum die berechtigte Anforderung erheben, darüber aufgeklärt zu werden. Uns selbst schien es anfangs sehr zweifelhaft, aber als wir zu Ende gelesen hatten, fühlten wir uns doch geneigt, die Frage mit: Ja, oder: Höchstwahrscheinlich – zu beantworten. Sie werden ja auch sehen, daß die bedeutendsten Köpfe jenes Stadtteils einmütig daran glaubten.
Trotzdem ziehen wir es vor, unsere Ansicht darüber von der Ihrigen abhängig zu machen.

Ja, – da wird es wohl begreiflich, daß so oft von Zeiten gesprochen wird, denen wir entgegengehen. – Zeiten, in welchen es gleichgültig sein wird, ob Schiffe fliegen oder ob Tische fliegen, – begreiflich, daß die Atmosphäre unseres Vorortes mit gewaltigen Spannungen geladen ist. Man feiert Feste – man rast und taumelt – man lacht und plaudert, kost mit schönen Frauen, und dazwischen wieder kreisen gewitterschwere Geheimnisse, weben mystische Erleuchtungen über »letzte, äußerste, ungeheure Dinge«. (So sagt man hier.)

 

Seit dem Hofmannschen Abend hat sich rein persönlich alles mehr zusammengeschlossen, als wolle man dem Rest dieses Karnevals – der noch eine Woche dauert – durch stärkere Gemeinsamkeit eine bedeutsame Note aufprägen. Und ich hörte sagen, der Kreis sei bestrebt, möglichst viele kosmische Elemente um sich zu sammeln – ja, im Zentrum von Wahnmoching hoffe man auf das Zustandekommen einer neuen heidnischen Blutleuchte, die natürlich für die Zauberhoffnungen sehr wesentlich ist und alles ungemein erleichtern würde. (Die letzte ist gewesen, als Hofmann, Delius und Hallwig sich kennen lernten und der Meister sein erstes Buch schrieb, – in demselben Jahr hat Maria ihr Baby bekommen, – deshalb legt man auch so viel Wert auf die Erhaltung ihrer heidnischen Substanz.) So trifft sich abends alles bei den letzten Festen oder Redouten, und Wahnmochings bacchantisches Toben reißt manchmal auch die Menge mit fort. Und in den müden Tagesstunden findet man sich im Café oder bei Hofmanns und im Eckhaus zusammen.

Der Professor entdeckt unermüdlich wundervolle Menschen und fabelhafte Frauen, die sich zu Mänaden eignen und, wenn er es ihnen sagt, auch sofort zu rasen beginnen. Maria beunruhigt sich um Hallwig, der all dieses Treiben meidet, aber ihre Zinnsoldaten haben gute Tage. Susanna liebt den Mann im Pantherfell – und ich selbst folge ihr nur noch als verurteilter Schatten, der erst viel Blut trinken müßte, um zum Leben zu erwachen. In dieser wilden Zeit gibt man mir ja auch manchmal Blut zu trinken und dann, – schweig still, mein Herz.


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