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Vor einem Seitenaltar wurde eine Messe gelesen. Die Kirche war voll Sonnenrinnsale, Weihrauchdünste und durchdringenden Orgelklangs. Die Messe wurde mit Orgelbegleitung, aber ohne Chorgesang und Ausstellung des heiligen Sakraments abgehalten. Ein dicker Prior haspelte hastig die Gebete herunter; er schien es ganz besonders eilig zu haben, und jedesmal, wenn er sich am Altar umwandte, irrten seine Augen neugierig über zwei gebeugte Gestalten, die in ihrer Bank kaum zu sehen waren und in tiefer Nachdenklichkeit dazusitzen schienen. Hin und wieder bei einem Dominus oder wenn er die Seiten des Missale umwenden mußte, schielte er heimlich und argwöhnisch nach den Gesichtern der anderen Anwesenden.
Es hatten sich an diesem Tag nicht allzuviel Fromme eingefunden: einige mit Falbeln und Puffen reich ausstaffierte Gnädige in würdigen Hauben plusterten sich wie Truthennen in den Bänken auf, Bürgersfrauen mit bunten Stirnbändern und schwarzen Tüchern ließen ihre Rosenkranzketten klirren und einige Marktweiber murmelten halblaut ihre Gebete, indem sie mit ihren Triefaugen andächtig zu dem Priester aufblickten.
Ein paar Greise in Adelskontuschen knieten wie würdige Prunkstücke dicht vor dem Altar, hinter ihnen einige in Bürgermänteln und im Hintergrund unter den Säulenstrebern hockten etliche in abgeschabten Bauernröcken und geflochtenen Schuhen aus Lindenbast unter anderem einfachen Volk. Versuchte sich jedoch einer der Bettler auf seinen laut gegen die Fließen aufklopfenden Krücken nach vorne zu schieben, um den Knieenden sein Schüsselchen unter die Nase zu halten, runzelte der Prior drohend seine Brauen, und es sah aus, als würde er gleich zu schimpfen anfangen. Auch das zänkische Geflüster der Mönche, die unter Beihilfe von Knaben in Bernardinertracht den Hauptaltar mit Blumen und Teppichen schmückten, ärgerten ihn scheinbar. Er machte den Eindruck, als wäre er von einer fieberhaften Erwartung erfüllt und von irgend welchem vergeblichen Hinauslauschen ganz in Anspruch genommen.
»Nein,« flüsterte Oberst Jasinski, der gebeugt über seinem Gebetbuch saß: »es sagte mir der Reichstagssekretarius Tengoborski, daß die heutige Sitzung auf morgen vertagt sei. Sie müssen zuerst eine Vollmacht für die Delegation ausstellen, die mit Buchholtz zu verhandeln hat. Dann ist auch Sievers unpäßlich nach den gestrigen Bewirtungen. Und die anderen werden ebenfalls froh sein, etwas ausruhen zu dürfen.«
Zaremba hörte mit aufgestützten Ellenbogen, das Gesicht in den Händen vergraben, eifrig zu.
»Ich habe auch eilige Post aus Wilno erhalten und muß sofort abreisen. In ein paar Tagen bin ich wieder zurück.«
Plötzlich klirrte vom Altar her das grelle Summen der Schellen. Langgezogene Seufzer wurden laut, und alles beugte sich tiefer nieder: die Wandlung hatte begonnen.
Jasinski kniete nieder, wobei er Zaremba ein graues Schreibheft zuschob.
»Auszüge aus den Werken des chinesischen Philosophen Good,« murmelte er kaum hörbar.
Erst als das Geklirr des Schellengeläutes schwieg und die Orgel wieder ihren ergreifenden Betgesang aufgenommen hatte, rückte Jasinski noch etwas näher und begann im Flüsterton weiterzusprechen.
»Das ist der Katechismus unserer Verschwörung. In den Anhängen findest du den Schlüssel zu seinem Verständnis und einen Plan der Verteilung der russischen Regimenter um Grodno herum. Lerne diesen Teil auswendig und vernichte die Schrift. Es wimmelt von Spionen auf jedem Schritt, man weiß schon gar nicht mehr, wem man trauen darf. Halte dich also auf deiner Hut. Den Zelanten mußt du aus dem Wege gehen, denn sie werden von wachsamen Augen ganz besonders eifrig gehütet. Das Schiefmaul Skarzynski, der bedeutendste unter ihnen, ist so sehr unter gütiger Obhut, daß er sich ohne einen Schutzengel nicht mehr bewegen kann. Markiere einen Lebemann und Hohlkopf und gib dich nur mit solchen ab. Ehe du deine Bittschrift einreichst, lege deine Unterwürfigkeit Moszynski zu Füßen; in titulo war er der Vizekommandant der Kadetten und hat so viele Jahre von uns gelebt, daß er dir vielleicht seine Gönnerschaft nicht abschlagen wird.«
»Ich habe gedacht, daß man zuerst bei Ozarowski anklopfen müßte, aber er soll nach Petersburg hin sein.«
»Unsinn! Er war zwar gestern auf der Ballgesellschaft nicht zugegen, aber er steckt in Grodno. Der Hetman Kossakowski ist in Petersburg. Ich möchte dich aber warnen, daß Ozarowski den Leuten gern mit seinen Versprechungen Sand in die Augen streut; wahr werden sie nur auf Befehl seiner Frau oder denjenigen von Sievers.«
»Was für ein Ergebnis haben die Bemühungen von Hauman gehabt?«
»Er wird bei General Dzialynski plaziert mit einer Beförderung zum Obersten. Vor einigen Tagen hat selbst der König im Reichstag sehr eifrig ein Wort für ihn eingelegt und Goslawski, der Reichstagsbote für Sandomir, rühmte seine Treue fürs Vaterland und seinen Mut vor der ganzen Kammer.«
»Ich habe gesehen, wie er sich bei Zaslaw gehalten hat. Ich war damals mit meiner Batterie beim Regiment Malczewski, wo er Oberstleutnant war. Und bei Zielence habe ich ihn auch gesehen.«
»Hast du die ganze Kampagne mitgemacht?«
Zaremba schlug die Mantelklappe zurück, unter der das Kreuz Virtuti Militari aufblitzte, und sagte:
»Ich habe es bei Dubienka mit meinem Leutnantspatent erhalten.«
»Laß das!« Jasinski machte eine ärgerlich abwehrende Bewegung. »Weißt du denn nicht, daß die Generalität verboten hat, Abzeichen zu tragen, die in diesem Krieg errungen wurden?«
»Ich dachte, daß niemand solche Gesetze befolgen würde.«
»Gewiß, wenn nicht die Imperatorin befohlen hätte, mit Gewalt sie jedem herunterzureißen, der es wagen sollte, sich mit ihnen öffentlich zu zeigen. Manch einer hat schon arg dafür büßen müssen.«
Zaremba beseitigte schweren Herzens das Kreuz und ließ es in seine Tasche gleiten.
»Du darfst die Aufmerksamkeit nicht auf dich lenken,« fügte Jasinski mit Nachdruck hinzu. »Auf diese Weise ist es Haumann gelungen, vielleicht gelingt es auch noch einigen anderen, die mächtige Gönner haben, aber es bleiben noch Hunderte und Aberhunderte aus den aufgelösten Brigaden, die dem Vaterland nicht dienen dürfen und dem Feind nicht dienen wollen. Diese sind es, die wir an uns zu locken trachten müssen.«
»Ich bin überzeugt, daß auf den Ruf unseres Obersten sich alle stellen werden, die dem Vaterland treu geblieben sind. Schlimmer ist es mit den Gemeinen: Tausende von ihnen sieht man am Bettelstab durchs Land ziehen.«
»Was hat man in bezug auf diese für Beschlüsse gefaßt?«
»Ich soll soviel wie nur irgend möglich zusammenbringen und sie nach dem Regiment Wodzicki dirigieren, ein Teil soll diesseits des russischen Kordons untergebracht werden, und der Rest wird auf den Gütern und in Warschau einquartiert. Man hat mir befohlen, hier in Grodno den Sammelplatz einzurichten, denn bei einem solchen Menschenzustrom, wie jetzt zur Reichstagszeit kann man leichter solche Machenschaften verbergen und sich untereinander verständigen.«
»Beeile dich aber mit der Rekrutierung. Denn drüben am Njemen, bei der Schenke von Tyzenhausen, hört man Tag für Tag die Trommeln wirbeln, der Schnaps fließt bei ihnen in Strömen und die Werber üben schon ganz offen ihr Handwerk aus. Gestern habe ich selbst gesehen, wie die Kosaken an die hundert Mann nach ihrem Lager trieben. Es war schrecklich. Man erzählt, daß sie da auch für den König von Preußen werben. Grodno ist ein Marktplatz für Soldatenfleisch geworden: es kauft, wer Lust hat und holt sie sich wie fette Hämmel.«
»Wer hat die Werbearbeit in den besetzten Wojewodschaften?«
»Kopec und Wyszkowski. Du wirst sie bald hier zu sehen bekommen. Die Verbindung mit ihnen ist Grosmani in Wilno bekannt. Hast du einen geeigneten Werber?«
»Der Kapitän Kaczanowski ist angekommen. Er schläft jetzt gerade in meiner Wohnung.«
»Ich kenne ihn. Ein tüchtiger Kampfhahn und Schlaukopf, beschlagen auf allen Vieren. Er färbt und salbt nicht schlechter wie der Fürst Radziwill, Panie Kochanku »Panie Kochanku« – Beiname des Fürsten Karl Radziwill eines der mächtigsten polnischen Magnaten aus der Regierungszeit August des III. und zum Teil aus der Zeit des letzten Polenkönigs Stanislaw Poniatowski. Seine gewohnte Anrede war: »Panie kochanku« (Geliebter Herr), nach der ihn auch der Volksmund benannt hatte. seligen Angedenkens. Erteile ihm aber recht magere Zulagen, weil er ein schlimmer Spieler und Prasser ist.«
»Man hat mir befohlen, ihm unter Vorbehalt zu zahlen, pro Kopf und Pferd.«
»Er kann selbst den Teufel zum besten halten. Ein wahrer Mirower Gardist, das heißt ein Liederjahn, Galgenstrick, Spieler und eine treue Seele obendrein. Grüße ihn von mir. Hast du auf dem Fest nicht den Fürsten Cycyanow kennen gelernt?«
»Den Namen höre ich zum erstenmal.«
»Er hat doch der schönen Kammerherrin immerzu den Hof gemacht. Weißt du nicht?«
»Ist das etwa der untersetzte, pockennarbige Mann mit den verschimmelten Augen. Ich entsinne mich schon.«
»Du mußt seine Bekanntschaft machen. Er ist bei der Kammerherrin fast schon ein Hausgenosse.«
»Niemals betritt mein Fuß der ihre Schwelle!« ... brauste Zaremba verbissen auf.
»Das ist für unsere Sache notwendig!« erklang neben ihm eine strenge Stimme.
»Zu Befehl!«
»Ein Programm für deine Tätigkeit wirst du später erhalten. Ich glaube, daß du unter Beihilfe der Kammerherrin in nähere Beziehungen zu diesem Herrn trittst. Sie ist doch deine Cousine?«
»Und meine ehemalige Verlobte,« würgte er heraus, als hätte er geronnenes Blut von sich gespien.
Jasinski begriff seine schwere Lage, ließ aber nicht nach.
»Um so leichter wirst du mit ihr zu einer Verständigung kommen. Du stehst bei ihr gut angeschrieben. Ich habe gestern gehört, wie sie sich über dich bei Woyna beklagt hat.«
»Ist denn Woyna mit uns?« fragte er, um der lästigen Unterredung eine andere Wendung zu geben.
»Noch nicht. Horche ihn aus und versuche ihn zu gewinnen. Das ist ein sehr begabter Mensch.«
»Zum Witzemachen und Aufschneiden!« entgegnete er bissig.
»Auch diese Waffe können wir brauchen. Eine spitze Zunge reicht weiter als eine Kugel. Ich muß fort. Bei Dämmerung werde ich mich zu dir einschleichen, dann werden wir alles ausführlicher besprechen. Hier ist es gefährlich!«
Er schielte zur Seite auf einen Mann im schwarzen Bürgerrock, der die Ohren zu spitzen schien.
»Kommst du direkt aus Paris?« flüsterte er kaum hörbar.
»Ich komme über Leipzig und Dresden.«
»Ist denn die Revolution wirklich so furchtbar, wie man darüber schreibt?«
»Wie eine Vergeltung, wie Rache und Verbrechen zugleich, und doch wie eine Notwendigkeit.«
»Und du meinst ...« er unterbrach sich, um den Horcher aufmerksamer zu betrachten.
»Daß auch in Polen das Beil mächtig viel Arbeit verrichten muß.«
»Du wirst mir darüber noch ausführlichen Bericht geben.« Er erhob sich und machte Anstalten, fortzugehen. »Und sollte sich einer bei dir melden, der das Zeichen kennt, dann kannst du ihm vertrauen. Er wird unsere Verbindungen und unsere Post mit den Befehlsstellen kennen. Vergiß nicht den Fürsten Cycyanow ...!«
Zaremba blieb nach diesem seltsamen Befehl wie betäubt sitzen.
»Es ist befohlen – es muß gehorcht werden!« entschied er schließlich kurzerhand nach Soldatenart. Er fühlte mit einemmal eine große Erleichterung, unter der eine heimliche Freude aufkeimte. Der war es also, über den die alten Balltanten geklatscht hatten! Fast ein Hausangehöriger ist er dort! Sieh bloß einer, den zärtlichen Vertrauten! – sann er mit gekrauster Stirn und Bitternis im Herzen. – Und nun befiehlt man mir, mit ihm Bekanntschaft zu machen? Schön! Diese Freundschaft soll mich freuen! Vielleicht kann ich ihm einen Dienst erweisen. Sehr gut! ... und er spann seine Gedanken weiter mit einer noch dunklen Racheabsicht.
Bei diesen vielen Hin- und Herüberlegungen hatte er nicht bemerkt, daß die Messe schon aus war. Er kam erst zum Bewußtsein, als die Orgel plötzlich schwieg und das Geräusch aufgestellter Stühle vom Hauptaltar her hörbar wurde. Man vernahm das Rollen vorfahrender Herrschaftswagen und das Rauschen von Seidenkleidern. Livreediener drängten das neugierige Volk zurück, bedeckten die Bänke mit kleinen Teppichen und trugen Kissen, Umschlagtücher und Gebetbücher heran. Aufgeputzte Damen und Herren nahmen im Chorraum umständlich auf Stühlen Platz, die im Halbkreis wie in einem Theater aufgestellt waren. Stielgläser flimmerten auf, man reichte einander Tabakdosen und Bonbonschachteln hin und der Duft erlesener Parfums verbreitete sich wie Wohlgerüche aus Räuchergefäßen. Ein schwarzhaariger schöner Mönch bleckte einschmeichelnd seine weißen Zähne, bot den Damen Weihwasser und klapperte dabei ab und zu mit der Sammelbüchse. Eine glänzende Gesellschaft hatte sich nach und nach eingefunden und befleißigte sich eines französelnden Gezwitschers und diskreten Kicherns, das durch Fächer gedämpft wurde. Als der Bischof Skarszewski erschien, um die Messe zu zelebrieren, trat erst etwas Ruhe ein, aber die leichtfertigen Worte hörten nicht auf zu schwirren und die herausfordernden Blicke der schwarz untermalten Augen funkelten weiter. Die an der Haupttür versammelte Dienerschaft ließ ebenfalls ihrer guten Laune die Zügel schießen, indem sie unpassende Scherze über die Bettler in der Vorhalle zum besten gab und dermaßen miteinander Kurzweil trieb, daß häufig ein derbes Spaßwort sich bis zu ihrer Herrschaft und zum Hauptaltar verflog.
Zaremba wartete einen passenden Augenblick ab und verließ seine Bank. Er nahm den Weg durch die Klostergänge, aber gleich in dem ersten lauerte schon der Prior auf ihn und schleppte ihn fast mit Gewalt in seine Kammer.
»Nur auf ein Momentchen, auf ein kleines Vaterunser, mein goldener Engel!« rief er und hakte ihn vertraulich unter. »Nehmt doch Platz, Euer Wohlgeboren. Josef, den Sessel her! Na und was habt ihr denn da Gutes zusammen beschlossen?«
Zaremba konnte nicht zu Worte kommen, denn in der großen gewölbten Kammer entstand plötzlich ein furchtbares Gekreisch, Gezwitscher und Flügelschlagen. Scharen von Kanarienvögeln, Amseln, Finken und Lerchen flogen auf, fingen an, um das Haupt des Priors zu flattern und versuchten mit lautem Geschirp sich auf seinen Kopf und seine Schultern niederzulassen und sich an ihm festzukrallen, wo es ihnen nur gelang.
»Still da, loses Pack! Still!« schrie dieser und versuchte mit seinem roten Schnupftuch sich die Vögel vom Leibe zu halten, wodurch ein noch größerer Lärm entstand. »Was ich auch mit diesem Lumpengesindel auszustehen habe! Das vermehrt sich, daß Gott erbarm!« klagte der Prior und wischte sich sein dickes schwitzendes Gesicht. »Ruhig da, ihr Schelme! Mach mal Ordnung!« wandte er sich an einen kugelrunden Ordensbruder.
Es ertönte auf einmal ein drohendes Krächzen von solcher Natürlichkeit, daß Zaremba sich umdrehte; die Vögel aber waren inzwischen verschwunden, als hätte sie die Erde verschluckt.
»Da hat er ihnen aber eins aufgebrannt!« lachte der Prior auf und ließ sich in einen tiefen Sessel fallen, vor dem eine große dampfende Schüssel mit fetter Sahne angerührter Biersuppe stand. »Vielleicht würden. Euer Wohlgeboren, etwas Kaffee trinken? oder nach Soldatensitte ein Gläschen und etwas Geräuchertes zum Nachbeißen? Bitte sehr, mein goldener Engel! Gott sei gelobt, haben wir noch ganz anständige Vorräte. Josef, lauf mal schnell nach dem Kredenzbruder, na, vorwärts, Dummkopf! ... Allerdings haben wir heute Freitag ...«
»Gott bezahl's, aber die Kameraden warten auf mich mit dem Frühstück.«
»Die schnarchen noch, daß es nur so dröhnt,« mischte sich der Klosterbruder ein, und versuchte gleich wieder sein Gesicht hinter den Rücken des Priors zu verstecken.
»Seine Wohlgeboren, den Herrn Hlasko, kenne ich schon seit langem. Er sieht nach was Ehrlichem aus, aber ein Filou ist er und lüstern auf die Tugend, wie eine Katze auf Speck. Es scheint mir, als ob er ...«
»Er ist ein Freund von Prozor und ein Mann, der mit ganzer Seele dem Vaterlands ergeben ist ...«
»Das ist schon wahr, es kommt von ihm etwas, wie Senatorenwürde. Alles was recht ist. Vielleicht fehlt es Euch noch an etwas in Eurem Quartier? Ich lasse Euch alles zukommen, damit Ihr dann nicht über die Bernardinermönche zu klagen habt, daß sie Euch haben Hunger leiden lassen. Sieh, sieh! Ein Vertrauter des Herrn Quartiermeisters Prozor!« knurrte er, indem er seine Suppe schlürfte und zu einem Star hinüberschielte, der auf den Tisch geflattert war und lauernd mit seinem Schnabel nach einem Käsebrocken zielte, der in der Biersuppe schwamm.
»Und wann soll es denn losgehen? ... Du Galgenstrick!« schrie er den Vogel an, der mit dem Käse im Schnabel die Flucht ergriffen hatte. Er drohte ihm mit dem Löffel nach.
»Das weiß nur der Rat,« entgegnete Zaremba leise und sah dabei mißtrauisch auf den Klosterbruder, der den versteckten Vögeln zuschnalzte.
»Was hast du hier die Augen aufzusperren, wie ein Kater, der auf heißer Asche sitzt?« donnerte der Prior den Bruder an. »Kannst Wasser holen für die Vögel!« Und als der Mönch sich entfernt hatte, sagte er:
»Das ist mein Vertrauter. Es ist aber sicherer, über solche Vorhaben auch in Anwesenheit der Treuesten nicht zu reden. Ich will Euer Wohlgeboren nicht ausfragen. Mein Dienst für das Vaterland besteht darin, zu gehorchen und zu tun, was man mir befiehlt. Ich will dir aber jetzt, mein goldener Engel, einen Mann zur Verfügung stellen, der dir nach meinem Dafürhalten nützlich sein kann. Auf den ersten Blick nichts Besonderes, ein gewöhnlicher Bernardinermönch, aber als Mensch – das reine Gold. Ein heller Kopf, kennt Sprachen und versteht auch was vom Soldatenhandwerk. Und dabei willig und zu allem brauchbar. Es ist wahr, daß er manchmal etwas über den Durst zu trinken liebt, aber er ist dabei nicht faul, wenn es gilt, eine Arbeit zu tun oder Gott zu dienen.«
»Weiß er denn auch gut zu schweigen?«
»Meinen Kopf verbürge ich für ihn.«
»Wenn es so ist, da wird es mich freuen, ihn kennen zu lernen.«
»Josef! ... Eine wahre Perle, sage ich dir! ... Wo steckt der Narr? Josef!«
Ganz erschrocken kam ein Klosterbruder angerannt und stellte sich bescheiden hinter den Stuhl des Priors.
»Wo hast du dich herumgetrieben? Bitte mir den Pater Seraphim her!«
Der Klosterbruder blies mutwillig im Vorbeigehen gegen die Käfige, die an der Wand entlang auf langen Tischen standen. Es erhob sich darob ein lautes Geschirp und Geschrei.
»Die wahre Gottesstrafe mit diesen Milchbärten! Nur dumme Späße im Kopf, und zum Dienst oder Brevier kriegst du sie nicht einmal mit dem Stock heran,« klagte der Prior, und nachdem er der Länge nach auf dem Tisch eine Schicht Körner und Brosamen aufgehäuft hatte, tat er einen langgezogenen Pfiff.
Die Vögel ließen sich mit ausgebreiteten Flügeln auf den Tischrand herabgleiten.
»Nicht anfassen! Halt da! Achtung!« rief er auf einmal und lehnte sich etwas zurück.
Die Vögel drängten sich in einer Reihe zusammen und alle Schnäbel reckten sich wie zum Angriff vor.
»Vorwärts! Im Schritt! Im Schritt! Halt! ... Zielen! ... Schieß los!« donnerte das Kommando, worauf sich der ganze Haufen auf das Futter stürzte und in Reih und Glied zu fressen begann.
Der Prior schüttelte sich vor Lachen, wischte über sein schwitzendes Gesicht und im Gehen um den Tisch herum streichelte er seine Vögel über die Flügel, und küßte und liebkoste seine besonderen Lieblinge, ohne dabei aufzuhören zu knurren, zu schimpfen oder mit seinem Schnupftuch zu drohen.
»Langsam, Brüderchen, langsam! Das Essen läuft euch nicht davon! Willst du dich verschlucken, du Lümmel, und was dann? Soll dich dann wohl wieder kurieren! He, Herr Finckowski, wird er mir aufhören die anderen niederzutrampeln, sonst kriegt er eins drauf! Na, Fräulein Lerch? Hat es bei der Frau Muttern Kloppe gegeben, daß sie so trübsinnig dasitzt? Wart' ein bißchen, du kriegst noch extra etwas von mir. Einig sein, Brüderchen! ... Frau Meisin hat da nicht mit der Schleppe zu schurren! – Sieh mal den Schelm! ...« herrschte er plötzlich den Star an. »Meinen Käse hast du mir aufgegessen, hüt' du dich, auch noch die anderen zu bestehlen! – Lieber Gott, was ist dieses Lumpengesindel bloß gierig, uneinig und gefräßig! Dagegen sind die Menschen noch die reinen Unschuldskinder! Mein Goldener ...« wandte er sich wieder an Zaremba: »mach du dich nicht lustig über mich.«
»Ich staune nur über die Disziplin bei diesem Vogelvolk. Das mußte keine leichte Arbeit gewesen sein! … Aber, um auf Pater Seraphim zurückzukommen, könnte man nicht aus ihm einen Almosensammler machen?«
»Selbst heute noch, goldener Engel!«
»So daß er ungestört über Land fahren kann ...«
»Guter Gedanke! Das ist eine Arbeit wie geschaffen für ihn. Eine Permission werde ich beim Provinzial schon erwirken, inzwischen können Euer Wohlgeboren über ihn nach Belieben verfügen. Ich will nur noch beigeben, daß er kein gewöhnlicher Bernardinerkloben ist.«
»Woher leitet er denn seinen Ursprung ab? Vielleicht ...«
»Darüber wäre viel zu reden. Ich lauf' aber in die Kirche nachzusehen, denn der Bischof wird gewiß schon am Schluß der Messe sein. In saecula saeculorum, Amen!« antwortete er plötzlich gewohnheitsgemäß auf das Knarren der geöffneten Tür hin. Da ist ja auch der Pater Seraphim! ... Und jetzt, Achtung! In die Nester, Brüderchen! Maaarsch!« befahl er und ließ sein Schnupftuch wehen. In einem Nu hatte sich die gefiederte Genossenschaft nach den Käfigen verzogen. »Josef, sieh mal hier her, das Lumpenpack hat mir den ganzen Tisch geschmückt, daß Gott erbarm'!«
»Wer ein Vogelzüchter ist, hat zum Lohn den Vogelmist,« murmelte Pater Seraphim vor sich hin.
»Jeder Narr hat seinen Buntrock, goldener Engel!« entgegnete der Prior etwas brummig.
Zaremba betrachtete neugierig das in Demut erstarrte Gesicht des Mönches und als der Prior fortgegangen war, trat er auf ihn zu und reichte ihm die Hand.
»Der Prior hat Euch mir sehr warm empfohlen.«
»Ich weiß schon, worum es sich handelt. Seit langem bin ich schon darauf begierig, freie Luft zu atmen! Gern will ich mich unter Euer Gnaden Befehl stellen,« sagte er rasch und wandte ihm seine blauen scharfen Augen zu.
Der Mönch war erschreckend mager und konnte fünfzig, unter Umständen aber auch erst dreißig Jahre alt sein. Er ging stark vorgebeugt und seine Kutte hing auf ihm wie auf einem Kleiderstock; sein Kopf war kurz, viereckig, mit gelben dichten Borsten bewachsen, die Stirn hoch und seltsam weiß, er hatte eine große kühne Raubvogelnase, einen Mund von Ohr zu Ohr, ein hervorstehendes Kinn und ein mit kaneelfarbenen Sommersprossen dicht besprenkeltes Gesicht.
»Würdet Ihr mich in meinem Quartier aufsuchen wollen, dann könnten wir einmal miteinander reden.«
Als Antwort zeigte ihm der Mönch den Ring der Verschworenen und sagte die geheimen Worte.
»Wie freue ich mich, Bruder und Kamerad!« rief Zaremba, seine Hand herzlich schüttelnd.
»Seine Hochwohlgeboren, Herr Soltan war mein Taufpate ...«
»Weiß das der Prior?«
»Ich habe ihm keinerlei Bericht erstattet, denn es lohnt sich nicht, Balsam in den Kohl zu gießen und Rosenöl aufs Stiefelleder,« warf er verächtlich hin.
»Er ist doch aber ein guter, aufrichtiger Mensch und der Sache treu ergeben.«
»Wessen Brot einer ißt, dessen Lied singt er. Ich werde Euer Edlen ein Stück begleiten.«
»Was ist das für eine Sache mit Eurem Fuß, daß Ihr den so nachzieht?«
»Ein süßes Andenken an Fußstöcke!« er lachte auf, daß seine Zähne blitzten.
Zaremba sah ihn ungläubig an.
»Das wird man ein andermal erzählen,« knurrte der Pater, indem er ihn durch den Klostergang führte.
Sie gingen eine Weile schweigend nebeneinander her. Zaremba betrachtete seinen Begleiter voll Neugierde.
»Ich erwarte Euch also heute zum Abendbrot, das wird sich so am besten machen.«
»Danke für den Pfifferling, habe genug Rötlinge zu Hause. Ich komme, wenn mir die Zeit recht dünkt.«
Er schnüffelte in der Luft herum und kehrte nach dem Cönakel um, wo gerade gefrühstückt wurde.
Ein absonderlicher Mensch, dachte Sewer und verlor sich in Gedanken über den Auftrag von Jasinski, wobei er den Weg links nach dem Klostergarten einschlug, der sich am Rande der steil zum Njemenfluß abfallenden Anhöhe ausbreitete.
Der Tag versprach heiß zu werden, und die Hitze machte sich schon fühlbar, obgleich es kaum 9 Uhr morgens war; der Himmel wölbte sich wolkenlos, das reine Blau schimmerte wie ein Atlaslaken, die Schwalben schossen mit scharfem Gezwitscher durch die Lüfte.
Mit Behagen tauchte er in den Schatten unter: der Klostergarten war alt und voll breitästiger Obstbäume, über den blaßgrünen Gräsern grauten Reihen borkiger, zerplatzter Stämme, leuchteten helle Lachen von blühendem Löwenzahn und flimmerten grelle Sonnenflecke. Aus dem Bereich der Äste stieg der Atem frischer Kühle auf und ein zitterndes Schweigen lag darunter ausgebreitet; ein verlorener Orgelklang mischte sich in die liebliche Musik des Summens der Insekten und der Bienen. Und hin und wieder hörte man vom Njemen her das langgezogene Rufen der Schifferknechte und zänkische, zornige Stimmen aufsteigen.
Die Betglocke meldete ab und zu, was in der Kirche geschah, und dann fielen die frohen, gewaltigen Stimmen der Glocken von der Stadt her ein, die so mächtig anschwollen, daß die Klosterspatzen von den Kirschbäumen aufflogen, um unter den Dächern der alten Gebäude Schutz zu suchen.
Nach einer Weile des Herumirrens auf grasüberwucherten Seitenpfaden gelangte Zaremba auf einen breiten Gartenweg, der über den Hügelrücken nach den Klostergebäuden führte. Das Kloster lag mit der Giebelseite diesem Gartenteil zugekehrt. Der mit gelbem Sand bestreute Weg wurde von einer vierfachen, niedriggeschnittenen Buchsbaumhecke eingesäumt, zwischen deren Grün in üppiger Fülle Blumen hervorschossen: Georginen ließen ihre stachligen, bunten Köpfe schwer niederhängen, die schmucken Malven spreizten sich, Rosen und Levkojen verbreiteten lieblichen Duft, große Mohnblüten flammten weiß auf und tief unten wucherten Kresse und Ringelblumen. Die gebeugten, breitästigen Bäume legten lichtüberrieselte Schatten auf den Kiesweg, hier und da versperrten schwerbelastete Äste, voll geröteter Äpfel, den Weg und streckten sich wie Arme dem Vorübergehenden entgegen oder hielten ihm lockend reife dunkle Kirschen hin, aber Zaremba, blind gegen alles, was um ihn war, legte sich in Gedanken das Bild seiner Begegnung mit Isa zurecht. Er stellte sich vor, wie er gegen sie ganz kühl, zurückhaltend und unnachgiebig sein würde. – Nichts als die allernotwendigste Höflichkeit! Und keine Erwähnung des Vergangenen. Es soll alles im Gedächtnis begraben bleiben! – befahl er sich streng. Dann aber überkam es ihn, daß er auf Jasinski fluchte und seine Hände wie Pilatus in Unschuld wusch. – Niemals wäre ich an sie wieder herangetreten, nie und nimmer! – stöhnte er. Und so kämpfte er, den Gartenweg von einem Ende zum anderen durchmessend, mit sich selbst, bis er mit einemmal auf einen Mönch stieß, der ganz plötzlich wie hervorgezaubert vor ihm erschienen war; er ging sehr langsam und tastete dabei den Weg mit seinem Stecken ab. Es schien Zaremba als müsse er schon urewig dagewesen sein, es kam von ihm wie Grabeshauch, seine Augen waren mit einer weißen Haut überzogen und das starre Gesicht sah wie ein bemoostes Totenantlitz aus. Er blieb jede paar Schritte stehen, berührte mit seinen dürren Fingern die Blumen am Wege, lächelte über seine eingefallenen Wangen und schleppte sich durch die Sonnenpracht der Welt wie ein verirrtes rostbeflecktes Gespenst. Taub schien er auch zu sein, denn er gab keine Antwort auf Zarembas Begrüßung und hemmte erst die Schritte an einer Stelle, wo sich zwischen den etwas auseinanderstehenden Bäumen ein weiter Blick darbot.
»Sehr wundervoll!« lallte er und zog die Luft mit der Nase ein. »Sehr wundervoll! Sei gelobt, Herr in der Höhe!« und er schwelgte im Anblick einer einst aufgenommenen Wirklichkeit, wie in einem ewig lebendigen, unwandelbar geliebten Traum.
Das Bild war tatsächlich wundervoll. Der Njemenfluß blitzte in der Tiefe als silbrig blaues Band und wand sich zwischen hohen Ufern dahin. Jenseits, etwas nach rechts, schossen die Türme und Mauern des Franziskanerklosters empor, umgeben von einem Kranz von Obstgärten und einer Menge grauer, niedriger Häuser. Der breite Streifen eines Sandweges hob sich vom Fluß zu den Hügeln hinan, bog um das Kloster herum, wand sich durch die blassen Feldstrecken an fernen Dörfern vorüber, die in Baumgruppen untertauchten und verschwand in einer aufragenden Mauer dunkler Wälder. Die Aussicht war sehr umfassend. Hier und da sah man Menschen auf den Feldern, die mit der Ernte beschäftigt waren. Beladene Wagen schoben sich hin und her, goldene Schober ragten empor und Säulen von Staub standen über den Wegen.
Zaremba überblickte aufmerksam das ganze sichtbare Land und lenkte plötzlich sein Fernglas nach dem Gebüsch rechts vom Kloster, ganz am Rande des abschüssigen Ufers, wo zahlreiche Zelte blitzten und die Leiber von Kanonen in der Sonne schimmerten.
»Sechs Stück, eine ganze Batterie, auf einem aufgeschütteten Wall und alle gerade auf das Königsschloß gerichtet. Ganz gewiß sind das Zwölfpfünder: damit können sie alles reinfegen! Hinter den Zelten – Verschanzungen, und Kosakenposten am Wasser. Die Ufer gut besetzt. Das ist kein Spaß!« sann er und steckte das Fernglas ein ... »Keine Zeit, an Liebesgeschichten zu denken,« murmelte er streng und wandte sich eiligst seiner Wohnung zu.
Er befand sich in einem Gebäude des Klosters in Quartier, das durch eine mächtige Mauer von den Gärten getrennt war und mit der Frontseite auf eine Gasse ging, die zum Marktplatz führte. Er nahm im Hause zwei enge Stübchen ein, die durch einen Flurraum und eine Verschalung, hinter der Kasper und die Küche untergebracht waren, vom Hofe getrennt wurden.
Der ganze langgezogene und formlose Bau mit seinen zahllosen Winkeln und Ecken war furchtbar verfallen, hatte keinen Verputz, zerschlagene Fensterscheiben und ein vielfach durchlöchertes Dach. Man hatte Zaremba befohlen hier zu wohnen, denn das Haus lag abseits und bot bessere Gelegenheit, sich unbemerkt bis an den Fluß heranzuschleichen.
»Schlafen sie noch, wie?« fragte er Kasper, der ihm die Tür geöffnet hatte.
»Es war nicht befohlen, so habe ich nicht geweckt,« er blieb soldatisch stramm stehen.
»Wie sind sie gekommen?«
»Mit dem Postwagen und mit Vorspann direkt von Warschau.«
»Dann haben sie Ruhe verdient. Ich muß mich gleich umkleiden. Sieh da!« rief er mit Anerkennung, denn die Wäsche und Kleidung lagen schon aus dem Bett bereit. Der Toilettekoffer stand geöffnet auf einem Tisch am Fenster und Kasper machte sich schon daran, den Seifenschaum zu schlagen und die Rasiermesser abzuziehen.
»Was gibt's Neues?« warf er hin und begann seine Kleidung eilig abzulegen.
»Die falbe Stute lahmt. Ich habe sie gleich gestern abend neu beschlagen lassen. Es hat aber nichts genützt. Glücklicherweise kam heute früh ein Bernardinermönch in den Stall und hat ihr die Fesseln mit Salbe tüchtig einreiben lassen; er sagt, daß bis morgen keine Spur mehr davon nachbleiben wird.«
»Die Packwagen müssen nachgesehen werden. Am grünen haben die Speichen geknarrt. Hast du es gemerkt?«
»Die Räder sind trocken geworden. Sie liegen schon im Teich.«
»Was gibt's mehr?« Er tat den Frisiermantel um und nahm vor dem Reisenecessaire Platz.
»Mathies hat sich wieder mal betrunken.«
»Hat er's schon fertig gebracht? Mit wem hat er denn so gefeiert?«
»Gegen Abend trieben sich hier ein paar herum, haben wohl horchen wollen und mit ihren Schnauzen haben sie in allen Ecken herumgeschnüffelt ...«
»Vielleicht waren es Spione?«
»Einer sagte, daß er Pferdehändler sei, er war wie ein Edelmann angezogen,« erklärte Kasper, indem er geschickt die Backen seines Herrn einseifte: »der zweite sah nach einem Soldaten aus. Ich habe sie davongejagt, aber der Mathies hat sich mit ihnen gemein gemacht und sie sind zusammen nach der Bernardinerwirtschaft gegangen. Er hat sich da wie ein Stück Vieh besoffen.«
»Das zweite Mal bekommt er fünfzig aufgebrannt und wird nach Hause abspazieren. Er kann in der Betrunkenheit noch etwas Unnötiges ausplaudern.«
»Dafür braucht der Herr keine Angst zu haben. Seine Natur ist so, daß, wenn er was getrunken hat, dann sagt er schon gar nichts mehr, dann lacht er nur in einem fort!« Er erzählte und rasierte dabei mit der Geschicklichkeit eines gelernten Barbiers.
»Ein guter Junge, es ist jammerschade, daß er ein solcher Saufaus ist.«
Nachdem er mit dem Gesicht Zarembas fertig geworden war, reichte ihm Kasper einen seidenen kirschfarbenen Rock, der mit Goldfäden durchwirkt und mit gelbem Atlas gefüttert war, räumte den Tisch ab und blieb, nachdem er den Morgenkaffee aufgetragen hatte, beiseite stehen, mit seinen treuen und ergebenen Augen jede Bewegung seines Herrn verfolgend. Er war ein hochgewachsener und hübscher Junge, und die grüne Artilleristenjacke ohne Aufschläge ließ alle Vorzüge seiner muskulösen Gestalt besonders gut hervortreten.
»Bleiben wir hier lange in Quartier?« fragte er schüchtern und schob Sewer den Milchtopf hin.
»Wohin hast du denn solche Eile?«
»Ich habe schon so lange die Meinen nicht gesehen!« seufzte er und zupfte an seinem gestutzten Schnurrbärtchen.
»Hast du Sehnsucht nach der Verwalterpeitsche?«
»Wer sollte das wagen, mich so hintanzusetzen! Bin doch Soldat und habe das Kreuz vom Fürsten selbst!« er reckte sich und Stolz spielte in seinen grauen Augen.
»Ich habe schon dem Vater geschrieben, daß er dir die Freiheit gibt, aber damit wird man noch manche Schererei haben.«
»Versteht sich, der alte Herr mag immer alles andern zuwider tun, der ist hart! Ich kann mich aber auch loskaufen; ich hab nichts davon vertrunken, was mir die Herren Offiziere bei Zielence gegeben haben.«
»Daß du dich nicht unterstehst, damit meinem Vater zu kommen! Daß du frei wirst, ist meine Sache!«
Kasper beugte sich nach der Hand Zarembas, aber dieser ließ es nicht zu.
»Ich werde dich in keiner Not verlassen.«
»Gestatten der Herr Lieutenant zu fragen, ob in dem letzten Brief von zu Haus nichts über meine Mutter oder Fräulein Dorchen geschrieben stand?«
»Hier liegt der Hase im Pfeffer! Hoho! auf Fräulein Dorchen hast du es abgesehen! Du langst hoch!«
Sehr beschämt murmelte Kasper etwas Unverständliches in den Bart.
»Feg' nicht mit dem Fuchsschwanz über die Spur, man merkt sie doch!« lachte Zaremba, indem er sich die Pfeife stopfte. »Es ist schon ziemlich lange her, daß ich keine Nachricht von zu Hause gehabt habe.«
»Ich könnte schnell Kunde holen,« schlug Kasper unsicher vor, indem er das Feuerzeug reichte. »Ich habe es schon ausgerechnet: in einer Woche würde ich zurück sein.«
Mit Beben wartete er auf eine Antwort.
»Wir sind nicht zum Festefeiern hierher gekommen. Außerdem habe ich für dich eine wichtige Arbeit.«
»Zu Befehl, Herr Lieutenant!«
Er reckte sich stramm, obgleich ihm wehmütig zumute war.
»Jenseits des Njemens befindet sich eine Schenke, in der man unsere Soldaten von den aufgelösten Brigaden wie Schafe fängt. Die Schenke wird die Tyzenhausener genannt. Frage herum, ob viele solche Rekruten in Grodno sind, wo sie sich versammeln und wohin sie getrieben werden. An Bewirtung laß es nicht fehlen.«
»Was soll eine Barschtschsuppe Barschtsch – saure Rübensuppe aus Runkelrüben, polnische Nationalspeise. ohne Markknochen! Ich werde so tun, als wollte ich selbst zu den Russen beitreten.«
»Eine artige List, paß bloß aus, daß sie dich nicht wirklich zu fassen kriegen und fortschleppen ...«
»Der soll den Teufel fressen, so'n Hundesohn, der mich übers Ohr schlagen wird!«
»Und mache dich sofort an diese Sache!«
Eine hohe kanariengelbe Kariole mit hageren englischen Vollblutpferden bespannt, rollte vors Haus. Kasper lief hinaus und kehrte mit einer Visitenkarte zurück.
»Nowakowski! ich lasse bitten! natürlich bitten!« rief Sewer aus und betrachtete spöttisch die Karte, auf der, von roten Ornamenten umrahmt, ein Familienname und drei Zeilen Titel zu sehen waren.
Nach einer Weile trat ein Herr im Dreimaster und spitz zulaufendem rostbraunem Frack eilig ein unter Klirren von Petschaften, Anhängseln und Kettchen, er schleuderte den Hut aufs Bett, den Stock auf den Tisch und die Handschuhe auf die Ofenbank, breitete die Arme aus und stürzte sich auf Zaremba.
»Wie geht es dir? Kaum habe ich dich finden können! Was ist mit dir auf dem Fest geworden?«
»Ich habe mich gelangweilt, wie der Hund beim Lustspiel und bin etwas früher nach Hause gefahren.«
»Ich habe das nicht getan und bedaure es nachträglich. Woyna hat mich bis zum letzten Dukaten ausgeraubt. Er hatte ein eigentümliches und außergewöhnliches Glück.«
Ein solch seltsames Lächeln spielte dabei auf seinem spitzen Gesicht, daß Zaremba Lust empfand, ihn zur Tür hinauszuwerfen, aber er bemerkte nur mit derber Lustigkeit:
»Spiel nicht Bartel, so verspielst du nicht ... den Hosengurt!«
»Dann hast du gewiß noch nicht die letzte Neuigkeit gehört, über die ganz Grodno spricht?«
Zaremba sah ihn fragend an, obgleich er nicht erpicht auf Neuigkeiten war.
»Die Kammerherrin Rudzka hat sich mit ihrem Busenfreund entzweit.«
»Mit dem Fürsten Cycyanow?«
Er konnte kaum die Erregung beherrschen.
»Richtig. Er soll ihr eine grobe Szene gemacht haben, worauf die schöne Dame ihn, wie man sagt, mit dem Fächer ins Gesicht geschlagen hat. Es waren viele Menschen dabei.«
»Sie werden sich schon wieder versöhnen,« murmelte er, mit dem Wunsche, mehr zu erfahren.
»Das kann man nicht wissen. Für den Fürsten ist es eine zu große Beleidigung und die Gnädige wechselt gern ihre Freunde, und da sie dazu noch impetiös und launisch ist, so erledigt sie solche Sachen gern übers Knie. Auf alle Fälle ist eine zeitweilige Vakanz frei. Ein königlicher Bissen!«
»Aber leider mit dem Geruch russischer Stiefelschmiere behaftet,« bemerkte Sewer bissig.
Nowakowski lachte auf, und die um seinen Kopf summenden Fliegen mit einem duftenden Taschentuch scheuchend, machte er ein wichtiges Gesicht und begann geheimnisvoll zu berichten.
»Das Fest war überhaupt mißlungen. Zu viel Unruhe und Zänkereien sind daraus entstanden. Die ganze Stadt ist voll von Klatsch. Und die Geschichten wachsen sich zum Umfang von Skandalen aus.«
»Was ist denn bloß geschehen? Ich habe nichts bemerkt,« sagte Zaremba verwundert.
»Selbstverständlich,« er lächelte herablassend. »Vor allen Dingen ist Buchholtz gleich nach Tisch ärgerlich fortgefahren, ohne sich zu verabschieden.«
»Und was hat denn Seine Pluderermajestät Pluderer, polnisches Schimpfwort für Deutsche. Ist scheinbar von der Tracht der Pluderhosen abgeleitet. so erbost?«
»Man hatte kein Hoch auf seinen König ausgebracht. Und darin war er im Recht. Ich habe selbst dazu geraten, aber der Marschall befürchtete, daß bei der allgemeinen Animosität gegen die Preußen einer in unpassender Weise Protest erheben könnte. Und zum Schluß ist nun doch daraus eine unangenehme Geschichte geworden.«
»Kleiner Schaden, kurze Trauer!« seine aufgeblasene Würde amüsierte Zaremba.
»Aber stelle dir doch vor, was daraus entstehen kann!«
»Eine neue preußische Note an Seine Majestät den König. Das wird man schon ertragen können!«
»Es ist leicht, alles ins Lächerliche zu ziehen! Ich sage aber dieses: wenn einer nicht die Macht besitzt, dann darf er nicht einmal mit dem Finger drohen,« warf er belehrend hin. »Ich sehe voraus, daß danach das Verhältnis noch gespannter werden wird.«
»Und Preußen raubt uns für diesen Affront eine Provinz mehr.«
»Eine Genugtuung werden sie haben müssen das ist sicher,« er hob die Stimme wie auf einer Reichstagssitzung. »In einer solchen Lage soll man die Feinde nicht reizen, sondern sie sich durch Wohlgeneigtheit und Höflichkeiten verbinden!«
Er klopfte dabei mit dem Finger gegen seine goldene Tabakdose, nahm andächtig eine Prise und verzog das Gesicht zum Niesen.
»Ich verstehe mich nicht auf diese Dinge, erzähle lieber etwas über die Ballskandale.«
»Gut!« Er sah mitleidig auf ihn herab. »Also, danach haben sich der Graf Ankwicz mit dem Bischof Kossakowski arg veruneinigt, sie sind einander fast zu Kopfe gegangen. Der Bischof wird heute sicherlich mit einer Klage bei Sievers vorstellig werden.«
»Und was sagte denn der Gesandte der Zarin zu allem dem?«
Zaremba war aufrichtig verwundert.
Mit einem hochmütigen Lächeln beantwortete Nowakowski diese ländliche Unwissenheit.
»Unterbreche mich doch nicht ... Darauf hat Frau Gräfin Plater der Frau Generalin Dunin den Rücken gekehrt, Frau von Narbutt hat die Gräfin Camelli eine Abenteuerin genannt, was viele Menschen gehört haben, und das hochnäsige Fräulein von Dziekonska hat bei vollem Saal ein Offizierchen arg heruntergekanzelt, weil er beim Tanz sich unanständig betragen haben soll. Das ist aber noch nicht alles. Die schöne Luhlli hat eine Perlenschnur von großem Wert verloren und zwar unter solchen Umständen, daß die Sache wieder bis nach Sievers gehen wird. Es ist aber sehr zu bezweifeln, ob sie die Perlenschnur zurückbekommt.«
»Man wird schon die Perlen irgendwo an der Wolga unter russischen Familienkleinodien wiederfinden!«
»Und das Tischsilber hat man aus den Gartenhäuschen gestohlen! Der Zuckerbäcker, der es geliehen und aus Warschau hergeschafft hatte, stellt gehörige Ansprüche an den Marschall. Und zum Schluß haben auch noch betrunkenes Pack und Bosniaken mit den Kosaken eine Messerstecherei gehabt, woraus ein ganz böser Tumult entstanden ist. Summa summarum: ein wahrer Chaos von Feindseligkeiten, Klagen und allgemeinen Beleidigungen!«
»Hat die Alte keine Sorgen gehabt, mußte sie ein Fest geben!« lachte Zaremba.
»Höhere Gründe waren vorhanden, und der Marschall mußte ihnen Folge leisten, ohne auf die Kosten zu sehen.«
»Man erzählte sich allerhand darüber, wer die Kosten tragen sollte ...«
»Unwürdige Verleumdungen! Wer bleibt noch von ihnen verschont?« er seufzte schmerzlich auf. »Es ist schon so weit gekommen, daß solche Individuen, wie die Reichstagsboten Skarzynski, Mikorski und ihre anderen Freunde, öffentlich unsere ersten Staatsmänner der Verkäuflichkeit zeihen. Alles Lüge und Neid! Zum Glück hat man dem Reichstagsmarschall schon ein Projekt über die Maßnahmen zur Einschränkung eines solchen Übermuts eingereicht.«
»Hat denn die Generalität noch immer nicht genug Knebelungen erlassen!«
»Das ist noch alles viel zu wenig! Du kannst dir keine Vorstellung machen, wie viele Spottschriften, geschriebene Zeitungen, giftige Verslein und ehrabschneiderische Wische von Hand zu Hand im Umlauf sind. Und alles das vergrößert noch den Haß, die Lüge, die gegenseitige Verachtung sowie das Mißtrauen gegen diese Unglücksmenschen, die das Vaterland zu erretten vorgeben. Das sind die Dresdener Machenschaften von Kollontaj.«
»Wie ist es bloß möglich?« rief Zaremba mit gut gespieltem Staunen.
»Ich weiß, was ich sage. Man hat schon manch eine Sendung dieser niederträchtigen Schriftstücke abgefangen. Seine Ehrwürden, der ehemalige Herr Vizekanzler, bekämpft, wie ja auch während des früheren Reichstags, mit jeder Waffe alle diejenigen, die seinem Ehrgeiz im Wege stehen ...«
»Die Ehrlichen treffen solche Pfeile nicht!« ließ Zaremba gutmütig einfließen.
»Und wer ist denn ein ehrlicher Mensch in den Augen dieser tollen jakobinischen Wölfe?«
Es war darauf nichts zu antworten, darum begann ihm Zaremba nach einer Weile des Schweigens allerhand Artigkeiten zu sagen.
»Ich habe dich stets für einen begabten Kopf gehalten, aber jetzt redest du wie ein wirklicher Staatsmann.«
»Weil ich mein Feld stets beackert habe und mich immer für etwas höheres in Bereitschaft hielt!« murmelte er stolz und reckte sich auf den Fußzehen. »Wer den Kopf auf dem richtigen Fleck hat und sich langsam und bedachtsam vorwärts schiebt, der hat auch einen geraden Weg zu allen Würden.«
Prahlerisch und wie beiläufig begann er darauf ihm Geständnisse über seine Verbindungen und seinen Einfluß zu machen. Zaremba hörte zu, schenkte ihm aber kaum zur Hälfte Glauben und unterbrach ihn plötzlich in seinem Redefluß:
»Was macht denn der Erzeuger? Ist er denn immer noch im Dienst der Frau Hetmanin?«
»Jetzt sitzt er schon auf seinem eigenen Stück Land,« antwortete jener, ohne sich durch die Frage aus dem Geleise bringen zu lassen. »Aber bei dir geht es etwas knapp zu, wie ich sehe!« Er hatte den Unterhaltungsstoff rasch gewechselt und sah sich rings in der Stube um.
»Das ist Soldatenlos! Mit dem Schwert gewinnt man sich keine Kammerherrenschlüssel!«
»Und der Papa, Seine Würden der Herr Schwertträger, hält er nach alter Manier den Säckel zu?«
»Du hast es erraten!« bestätigte Zaremba und begann über seine Hoffnungen in bezug auf die Wiedererlangung der verlorenen Charge zu erzählen.
»Das wird sich schwer machen lassen. Die Reduktion der Armee ist so gut wie beschlossen, darum hängen an jeder Vakanz hundert Bewerber.«
»Dann steht meine Sache ja recht schlecht!«
»Der Antrag ist bereits an den Reichstagsmarschall gestellt worden, wird in den nächsten Tagen beraten und findet die Mehrheit für sich.« Plötzlich dämpfte er die Stimme: »Petersburg unterstützt ihn und verlangt seine Annahme, noch ehe die Verhandlungen mit Preußen beginnen. Und auch höhere staatliche Gründe lassen es erwünscht erscheinen, der allgemeinen Sicherheit wegen. Es ist schon sowieso selbst bis hierher ein Gerede gedrungen, daß einzelne Brigaden eine Konföderation zu bilden gedenken. Nun handelt es sich eben darum, solche Absichten zu vereiteln,« dozierte er salbungsvoll.
»Wenn du mir deine Fürsprache nicht versagen wolltest ...« bat Zaremba, das andere gleichsam überhörend.
»Für den Freund und den Sohn meines Wohltäters werde ich tun, was in meiner Macht steht, obgleich ich nicht gewährleisten kann, daß meine Bemühungen einen Erfolg haben werden. Würdest du aber nicht vielleicht ein Amt haben wollen? Jetzt werden die Gesandtschaften einen gewandten Mann der Feder brauchen; man müßte dem Boscamp etwas Handschuhgeld geben, und für den Rest stehe ich dir ein. Solche Stellung ist nicht zu verachten, denn von beiden Seiten wird man mit Rubeln und Talern nachhelfen.«
»Dazu würde ich mich gar nicht eignen, denn ich kann nur die Köpfe, und zwar mit Kanonenkugeln, siegeln,« scherzte er und suchte sich hinter der Maske soldatischen Humors zu verstecken.
»Und würdest du nicht dein Glück im Dienst der Imperatorin versuchen?«
Zaremba verhüllte sich plötzlich in eine Wolke von Rauch und sagte zuletzt nach einem längeren Schweigen:
»Ich kenne dort nicht eine einzige lebendige Seele.«
»Das ist schon meine Sache, daß du einfach sofort Kapitänsepauletten bekommst. Du könntest in dem besetzten Gebiet einquartiert werden und dann nach einer Weile zum Zivildienst übergehen, wo es auch viel leichter wäre, sich einen Orden oder eine Domäne zu ergattern. Sie haben genug davon zu vergeben.«
»Wie soll man einem Fremden dienen, und vielleicht selbst gegen das Vaterland?« würgte Zaremba hervor, kaum schon seinen Zorn meisternd.
»Man sagt: der Herr tut, was er will und der Schlucker, was er muß. Es wird nie dazu kommen, daß sich diese Macht gegen uns wendet; wir leben in einer Allianz, und wenn Gott will, so werden wir uns ganz in ihren Schutz begeben. Ich werde dich mit Rautenfeld oder Kasztalinski bekannt machen. Du wirst sie aushorchen können und dann kannst du deinen Entschluß fassen. Ich aber rate dir aus Freundschaft: rette dich, so lange es noch Zeit ist! Und da man doch nicht weiß, was einem bestimmt ist, so kannst du vielleicht selbst ein Chevalier de Garde werden. In Petersburg stehen die schönen Offiziere hoch im Preis!« er blinzelte mit seinen geröteten Äuglein und lachte zynisch auf: »Frau Fortuna rollt auf einem Rad, und wer rechtzeitig eine Speiche zu fassen kriegt, den hebt sie mit hoch. Ich weiß darüber allerhand!«
Und wieder lachte er sein schamloses Lachen.
Zaremba litt wahre Marterqualen und hielt sich nur noch mit Gewalt zurück, um diesem Kuppler nicht ins Gesicht zu spucken, aber zum Glück traten Hlasko und Kaczanowski ein, so ging er rasch auf sie zu, um sie dem anderen vorzustellen.
»Nowakowski! Wir kennen uns doch wie zwei blessige Stuten!« posaunte Kaczanowski.
»Ja, das ist wahr, ich entsinne mich Euer Wohlgeboren irgendwo schon gesehen zu haben,« brummte Nowakowski in den Bart mit eisigem Gesicht und suchte eiligst Hut, Handschuhe und Stock zusammen. Dabei hielt er ihn aber mit den Augen auf eine solche Distanz sich vom Leibe, daß Kaczanowski ganz sprachlos darob war. » Ad videndum, meine Herren! Es tut mir sehr leid,« er grüßte herablassend.
Zaremba führte ihn vors Haus.
»Ich wohne im Palast des Hetmans Rzewuski, komme zu uns zu den Diners: du wirst eine interessante und lustige Gesellschaft kennen lernen. Und was deine Absichten anbetrifft, so werde ich dir selber eine Bittschrift aufsetzen. Bist du schon lange mit diesem Kaczanowski bekannt?«
»Seit heute nacht.«
»Halte dich fern von ihm, das ist ein Lügner und Schwindler,« warnte er mit Nachdruck, indem er auf den Sitz der Kariole kletterte. Er griff nach den Zügeln, die ein Jockei im roten Frack hielt, schnalzte den Pferden zu, nickte einen Gruß und fuhr, über die ausgefahrenen Löcher der Gasse holpernd, davon.
»Da hat mich aber der Narr aufs Trockene gesetzt!« beklagte sich Kaczanowski und zupfte verlegen lächelnd an seinem Schnurrbart. »Und was sich so ein Skribifax überhebt, als wäre er Gott weiß was für eine wichtige Person. Ich weiß noch, wie er am Gerichtshof in Lublin hinter jedem Dukaten herkroch, eifriger noch wie ein Hühnerhund hinter den Rebhühnern! Und jetzt, seiner Hochwohlgeboren, vom hohen Roß, und kaum daß er sich zu entsinnen geruht, einen ehrlichen Menschen zu kennen! Haha! daß ich nicht platz'.«
Er konnte aber nicht lachen, so stieg der Zorn in ihm auf.
»Der ist auch eine ganz besondere Persona geworden,« mischte sich Hlasko gelassen ein. Er war ein hoher, ernster Schlachtziz in dunkelblauer Kontusche von militärischem Schnitt und trug ein Portepee an dem schmucklosen, schwarzen Säbel wie Kaczanowski, was bei Zivilkleidung den Offizier kennzeichnete. »Dabei ist sein Ruf recht mitgenommen. Der Bischof Kossakowski hat ihn zum Reichstagsabgesandten gemacht und gebraucht ihn für seine Zwecke. Er ist sehr vielseitig und besitzt solche Grundsätze, daß ihm der Rubel gleich lieb ist wie der Taler. Stehen Euer Wohlgeboren in freundschaftlicher Beziehung zu ihm?« wandte er sich Zaremba zu.
»Ich kenne ihn von Kind an. Er ist eine Zeitlang mit mir zusammen bei den Kadetten gewesen, mein Vater zahlte für ihn. Danach brachte er ihn bei Hetman Branicki unter, und als dieser gestorben war, ist er mir gänzlich aus dem Gesichtskreis gekommen.«
»So einer geht nicht zugrunde, die Teufel werden ihn aus jeder Not retten. Ich habe ihn seinerzeit in Lublin kennen gelernt; damals hing er an den Rockschößen des Richters Kosmian, aber er soll dort auf eigene Hand schon geschwindelt haben. Er muß sich meiner wohl noch erinnert haben, denn bei einer lustigen Gelegenheit habe ich ihn unter Beihilfe des Herrn Grabowski im Bystrzycafluß ein Bad nehmen lassen.«
»Das ist allerdings eine blutige Beleidigung, hauptsächlich, wenn er einen gehörigen Schluck Krötenwein dabei getan hat.«
»Golz hat danach kaum noch seinen Puls finden können! Er wollte sich daraufhin mit der ganzen Kompagnie schlagen, die Sache wurde aber durch ein Gelage und einen neuen Spaß beigelegt. Er hatte damals besondere Neigungen zu einer gewissen ...«
»Vielleicht könnten wir die Anekdoten aus dem Spiel lassen,« bemerkte Hlasko sanft.
»Recht habt ihr, ebenso wie meine Nase, wenn sie hier nichts für den Magen wittert.«
»Ich habe es ganz übersehen, die Herren werden so gut sein, zu entschuldigen. Kasper!«
»Ich möchte nur vorausschicken, daß ich Kaffee nicht vertragen kann, Schokolade macht mich furioso und in Tee bin ich gewohnt, meinen Gäulen die Hufe zu baden.«
»Es findet sich schon etwas, was besänftigend auf den Ärger Eurer Wohlgeboren wirken wird.«
»Was mich anbetrifft, würde ich den Herren einen guten Vorschlag machen. Ich kenne hier ganz in der Nähe einen reichen Kaufmann, der uns sogar am heiligen Freitag ganz gut satt machen kann. Er hat fürtreffliche Marken. Ich hege ein gewisses Mißtrauen gegen die Küche von Euer Wohlgeboren. Bitte um Pardon, aber ich halt' mich an die alte Regel: Ehe du dem Maul vertraust, lege es auf den Zahn!« führte Hlasko aus und schob den Gurt auf seinem stark eingefallenen Bauch zurecht.
»Wenn es nur viel und Wohlschmeckendes gibt, dann bin ich nicht zimperlich!« scherzte Kaczanowski. Er verließ mit einemmal die Stube und als er wieder zurück war, trat er mit ernstem Gesicht auf Kasper zu und fragte:
»Wohin führt der Gang zwischen den Ställen, der vom Hof ausgeht?«
»Nach dem Fluß, auf einem abschüssigen Pfad, aber Pferde können ihn passieren,« er berichtete es in militärischer Haltung.
»Und die Gasse vor dem Haus?« fragte Kaczanowski mit befehlender Stimme.
»Links nach der Stadt, rechts ins Feld und hat Verbindung mit der Horodnica.«
»Schluß! Kehrt, raus, mein Junge!« Er wandte sich an Zaremba. »Ich stelle fest, daß wir den Rückzug gesichert haben. Ein aufgeweckter Bursche, ist er aber auch sicher?«
»Wie meine eigene Seele. Er ist mein Milchbruder und unzertrennlicher Kamerad, außerdem auch ein tüchtiger Soldat; bei der Verteidigung unserer Kanonen wurde er verwundet und ist mit dem Kreuz belohnt worden.«
»So mutig hat er sich gehalten? Na, na, daß in einem Bauernlümmel so viel Kavaliertemperament steckt.«
»Der Fürst selbst hat ihn belobigt. Der ist schon wert, geadelt zu werden.«
»Wenn er sich sein Adelsdiplom mit eigenem Blute geschrieben hat, werden es die Stände bestätigen müssen.«
»Bald wird jedermann Schlachtziz sein. Ich lobe mir die Bauernwojewodschaft, die Landschaft der Bauernlümmel und die Adelsherrlichkeit der gebratenen Rübe auf dem gebrochenen Stecken!« knurrte Hlasko.
»Bei der Verteidigung des Vaterlandes haben alle dasselbe Recht zu gleichen Verdiensten.«
»Das verneine ich nicht, aber die Adelskleinodie fällt dadurch dermaßen im Preis, daß man sie bald jedem verleihen wird, der sich ausweisen kann, daß er des Königs Roß auf den Schwanz geküßt hat!« schimpfte er ärgerlich weiter.
Kaczanowski lachte hell auf, aber Zaremba erhob sich mit finsterem Gesicht und begann jähzornig und schnell zu reden.
»Euer Wohlgeboren sind der Gleichberechtigung der Stände und der Gerechtigkeit zuwider?«
»Das nicht, aber im praktischen Leben würde ich vorziehen, dieses verheißene Paradies nicht mitzuerleben.«
»Und wozu sollen wir etwa sonst einen Aufstand beginnen? Sind Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit nicht das Ziel?«
»Das ist ein jakobinischer Grundsatz! Unsere polnische Losung heißt: Einigkeit, Freiheit und Unabhängigkeit! Um derentwillen laß ich mich gern in Stücke hauen, opfere meinen letzten Tropfen Blut und die Seligkeit meiner Seele obendrein!« Hlasko war ganz blaß vor Erregung geworden.
Zaremba schwieg, um den Zank nicht fortzusetzen und begann sich umzukleiden, aber während er dabei war, seinen Hals mit einer Musselinbinde zu umwickeln, konnte er doch nicht lassen, noch halblaut vor sich hinzumurmeln:
»Es ist uns ja allen doch nur um das eine zu tun: um das Glück der Allgemeinheit.«
»Einigkeit, Freiheit und Unabhängigkeit!« trotzte Hlasko, vor Wut schnaubend.
»Laß ihn Bartel heißen!« lachte Kaczanowski breit. »Das ist aber mal ein prächtiges Röckchen!« staunte er den bunten Rock Zarembas an und, ohne auf Hlaskos empörte Blicke zu achten, zog er ihn über und begann sich possierlich zu verbeugen und im Zimmer herumzutänzeln.
»Selbst eine Sultanstochter könnte man damit betören. Muß wohl einen Haufen Geld gekostet haben?«
»An die fünfzehntausend Franken!« beeilte sich Zaremba zu erklären.
»Horrende Ausgabe! Ein ganzes Vermögen!« Er entledigte sich des Rockes mit sichtbarer Hochachtung.
»Aber in Assignationen bezahlt, denn in Gold würden wohl an die drei Dukaten herauskommen. Ich habe ihn in Paris erstanden, von einem Straßenverkäufer. Es soll wirkliche chinesische Seide sein.«
»Sicherlich geraubt aus den: Nachlaß eines jener Unglücklichen, die man auf das Schafott gebracht hat.«
»Ich bin fertig. Euer Wohlgeboren haben versprochen uns zu führen.«
»Kommt, ich werde euch auf dem kürzesten Weg hinbringen, und so, daß wir nicht gesehen werden,« sagte Hlasko und brach als erster auf. Kaczanowski ging als letzter und ließ nach Gewohnheit seine scharfen Blicke links und rechts patrouillieren. Sie schritten durch eine enge Seitengasse auf die Pfarrkirche zu. Die Gasse, in der vereinzelt niedrige Hütten zerstreut lagen, bestand hauptsächlich aus Zaunplanken und Obstgärten.
Ganze Rudel Kinder tollten in aufgewirbelten Staubwolken herum, aufgeplusterte Hennen badeten im Sand und hier und da sah man dickbäuchige Mutterschweine stöhnend im schmalen Schatten der überhängenden Dächer liegen. Die Hitze machte sich stark bemerkbar.
»Wir werden heute einen heißen Weg haben,« bemerkte Hlasko.
»Wieso, wollen die Herren heute noch abfahren?«
»Gleich nach Mittag. Wir müssen am vierten in Zelwa sein, da wird ein Hauptjahrmarkt für Pferde abgehalten! Wir finden dort einen ganzen Haufen Leute aus verschiedenen Gegenden und müssen über sie bestimmen. Man hat da schon ganz anständige Vorräte für uns aufgestapelt, ohne die Pferde mitzurechnen, die Fürst Sapieha, General der litauischen Artillerie, uns versprochen hat.«
»Dann geht langsam weiter, und ich laufe schnell zurück, um wegen der Pferde für euch Bescheid zu sagen.«
»Wir fahren mit der Post, sie ist schon bestellt!« hielt ihn Kaczanowski zurück. »Das ist sogar sicherer, man kann nämlich auf den Stationen ungeniert feiern, Bekanntschaften schließen, nebenbei herumfragen und seine Arbeit eifrig tun. Die Landstraße, das ist wie ein unversiegelter Brief: die verrät einem jedes Geheimnis, man muß nur zu lesen verstehen.«
»In einer Woche werden wir zurück sein. Was machen Euer Wohlgeboren wieder für Geschichten?« Er wandte sich nach Kaczanowski um, der mit einemmal an einer Gartenplanke mit dicht angepreßtem Gesicht stehengeblieben war.
»Still! Herrliche Hühnchen! Ihr könnt selbst sehen!« flüsterte er begeistert und versuchte am Zaun eine Latte zu lockern.
Sie blickten neugierig durch die Spalten und blieben stumm vor Staunen stehen. Etwas im Hintergrund stand ein weißes Haus, fast gänzlich von herabhängenden Ästen uralter Birken verdeckt. Auf den Treppenstufen einer von Blumen umrankten Hauslaube saß ein alter Mann mit einer Pfeife zwischen den Zähnen und vor ihm wandelte eine Frau von wunderbarer Schönheit auf und ab. Goldige, durchsichtige Gewebe zeigten sie fast ganz nackt; ihr schwarzes Haar war mit Perlen durchflochten, sie hatte ein schmales, bräunliches Gesicht, rote Lippen, große Augen, steile Brüste und eine sehr artige Figur. Sie bewegte sich träge und schaukelte in den Hüften wie beim Tanz. Eine Anzahl dienender Mädchen oder Gefährtinnen, ebenfalls kaum umhüllt von farbigem Flor, bewegte sich hier und da zwischen Rosenrabatten. Man hörte einzelne Worte und ihr Gekicher. Das ungewöhnliche Bild machte ihre Pulse rascher schlagen und benahm ihnen fast den Atem.
»Putt, putt, putt!« lockte Kaczanowski mit gedämpfter Stimme und trippelte vor Vergnügen mit den Füßen hin und her.
»Seien Sie doch bloß still! Das ist ja der Hetman Ozarowski! Der würde uns was aufbremsen für diese Spioniererei! Gehen wir lieber, es ist besser, dem Wolfsrachen nicht in den Weg zu kommen,« warnte Hlasko im Flüsterton.
Sie wandten sich langsam ab, nur Kaczanowski kehrte noch ein paarmal zurück und schnalzte vor Freude.
»Leckerbissen! Köstlichkeiten! Der Teufel soll mich holen, wenn ich dieses kleine Paradies nicht durchschnüffeln werde!«
»Nehmen Sie sich vor dem Hühnerstall des Hetmans in acht! Da müssen ganz gewiß Fußangeln für Schädlinge liegen. Man hat mir schon seit langem von diesen Vergnügungen Seiner Hochgeboren unter dem Siegel der Verschwiegenheit erzählt, ich habe es natürlich nicht glauben wollen, jetzt hat aber der gute Zufall uns doch dazu verholfen. Wißt ihr, die erste, das ist eine Griechin, eine Verwandte oder Schwester von Frau Witte, der jetzigen Geliebten des Grafen Felix Potocki.«
»Etwas Schöneres habe ich mein Lebtag nicht gesehen,« schmachtete Kaczanowski.
»Sie erinnert ihrer ganzen Erscheinung nach an die Gräfin Camelli,« mischte sich Zaremba ein.
»Paßt wie der Küchenjunge zur Oblatenschüssel! Eine ähnliche wird man nicht finden. Die wahrhaftige Venus! Zum Hundeblut, daß solche erlesene Vorkost immer für die reichen, alten Pilze ist!«
»Euer Wohlgeboren sollten sich zur Ader lassen, denke ich. So was zieht die Vapeurs ab!« lachte Hlasko.
»Und die anderen müssen wohl ihre Dienerinnen sein?« bemerkte Zaremba.
»Es wurde mir erzählt, daß er sich die weiteren für seine Freunde hielte.«
»Dem würde ich gleich ewige Freundschaft schwören!« rief Kaczanowski voll Feuereifer aus.
»Machen Euer Wohlgeboren ihm den Vorschlag, vielleicht läßt er sie Schwager werden.«
»Ich danke bestens für seine Protektion. Aber mein Kavalierwort, diesen Bienenstock werde ich ausnehmen!«
»Wenn Euch nur bei dieser Geschichte nicht die Bienen stechen.«
»Laß sie nur, aber wer anders wird davon anschwellen, nicht ich.«
»Für Ozarowski ist das nichts Neues, Hörner zu bekommen und Euer Wohlgeboren wollen ihm zu einem neuen Geweih verhelfen?« neckte Hlasko.
»Was ich unter Ehrenwort eines Kavaliers garantiere, das pflege ich auch zu halten!« rief er und ließ herausfordernd seine Augen rollen, worauf Hlasko mit freundschaftlichem Lächeln bemerkte:
»Ich rate Euer Wohlgeboren sich Blutegel auf dem Nacken setzen zu lassen, nichts zieht so wirksam die schlechten Säfte vom Gehirn ab. Nicht weit von hier wohnt ein Apotheker, Kreybich heißt er.«
»Ihr werdet sehen. Ich habe mein Wort gesagt. Ihr werdet es sehen!«
Einander dergestalt neckend, wandten sie sich der Stadt zu.
Die Straßen waren infolge der Hitze und der frühen Vormittagsstunde menschenleer und schienen in der prallen Sonne fast zu schmoren. Hier und da sah man im Schatten der kleinen Häuschen Leute aus dem einfachen Volk ruhen, oder man begegnete einem Juden in weißen Strümpfen, der auf seinen Lederpantoffeln über die Straße klapperte. An den Ecken der wichtigeren Straßen und Durchgänge standen bewaffnete Wachtposten und hin und wieder sah man Kosakenpatrouillen in Staubwolken vorüberreiten.
»Alles unsere Freunde, müßt Ihr wissen, darum sollen Eurer Wohlgeboren sich ja nicht gelüsten lassen, ihnen etwas anzuhaben!« Hlasko lachte grell.
»Ich kenne schon den Geschmack vom Alliiertenfleisch,« antwortete Zaremba und verschlang dabei mit Wolfblicken die fremden Soldaten. »Sind aber doch gutgewachsene Kerle, einer wie der andere, und die Montur frisch von der Nadel.«
»Und was das Verwunderlichste ist, sie zahlen alles in bar,« entgegnete Kaczanowski.
»Hier unter den Augen des Königs, der Stände und der fremden Gesandten und weil es von oben strengstens so befohlen worden ist. Kommen Euer Wohlgeboren aber einmal jenseits des Kordons, dann werden Euch solche Vergewaltigungen und Bedrückungen zu Gesicht kommen, daß Euch die Haare zu Berge stehen dürften. Ich habe in Podolien um Kamenez herum ganze Landstriche zu sehen bekommen, wo selbst das grüne Korn schon niedergestampft oder verfüttert war, wo man weder ein heiles Haus, noch einen Menschen findet, der nicht an Leib und Gut aufs schwerste geschädigt wäre. Das ist ein ganz gieriges und aus fremdes Blut erpichtes Räubergesindel, und das schlimmste von allen möchte sein, daß diese Gesellschaft zumeist nicht aus Notwendigkeit, sondern aus einer schier unbegreiflichen Sucht die anderen bis aufs Blut peinigt. Aber die Preußen sind auch nicht viel besser.«
»Die Republik ist wie ein tönerner Topf zwischen zwei zusammenstürzenden Wänden.«
»Sie hält es aus, Herr Kaczanowski. Selbst die Macht der Hölle wird ihr nichts anhaben dürfen!«
»In so schweren Umständen ist sie noch niemals gewesen.«
»Ist das denn schon lange so, daß die russischen Jäger aus allen Straßen herumparadieren?« wandte sich Zaremba an Hlasko.
»Seit der Eröffnung des Reichstags. Sie assistieren den Sitzungen und behüten die beratenden Stände vor bösen Zufällen. Die Mirowskische Garde und die Litauer tun ihren Dienst nur noch beim König und den Kanzeleien und dazu ohne Bajonett und scharfe Patronen.« Er riß zornig an seinem Schnurrbart und schloß die Hand fester um den Säbelknauf. »Sie bemuttern uns auf ihre verdammte Art und zwingen uns durch ihre Liebkosungen zur Nachgiebigkeit. Am 17. Juli, als man über das Projekt des Allianzvertrages beraten sollte, gegen den eine Handvoll Ehrlicher mit ganzer Seele stritt, habe ich selbst gesehen, wie man die Kanonen aufstellte und gegen das königliche Schloß richtete, wie die Kanoniere mit brennenden Lunten dabei Aufstellung nahmen, wie Rautenfeld sich neben dem Königssitz im Reichstagssaal breitmachte und seine Jäger mit gefälltem Bajonett den Saal von den Arbitern säuberten.«
»Man bekam da Wut und Schande genug für sein ganzes Leben zu schlucken ...« murmelte Zaremba.
»Daran werden Jahrhunderte und ganze Geschlechter genug haben! Jetzt aber still, meine Herren!«
Sie blieben vor einem einstöckigen Haus stehen, in dem sich die Weinhandlung von Dalkowski befand, und traten dann durch den gepflasterten breiten Torweg in einen gewölbten Raum.
Es war hier so laut, wie auf einem Jahrmarkt, und fast dunkel vor Rauch. An langen Tischen ringsum unterhielt man sich beim Gläserklang angeregt und lärmend. Hinter der Tonbank, die mit Zinngefäßen und Fayencen geschmückt war, thronte eine dicke Frau mit einem Gesicht wie ein Vollmond und mit einem Busen wie zwei Brotlaibe; Korallenohrringe hingen ihr bis auf die dicken Schultern herab; sie strickte und zählte dabei halblaut, aber ihre scharfen Blicke flogen flinker als die Stricknadeln und ihre dünne Stimme trieb immer wieder die bedienenden Burschen und den Gatten an, der in grüner Schürze und schwarzem Käppchen, hager, winzig und untertänig die Eintretenden begrüßte, sich tief nach allen Seiten verbeugte, jeden auf seinen Platz geleitete und wie ein Gebet die Gerichte aufzählte, um dann die Bestellungen durch ein kleines Fenster nach der Küche hinüberzurufen.
Hlasko verlangte ein Sonderzimmer; sie mußten sich zuletzt jedoch nur mit einem Sondertisch begnügen, den man für sie in einem der Hinterstübchen aufgetrieben hatte.
»Frische Njemenkarauschen! Hecht in Safransoße! Schleie mit Kohl! Käseklöse!« leierte der Wirt den Speisezettel herunter und betastete dabei die Gäste mit seinen schlauen Blicken.
»Seht mal an, der Freitag hat auch schon Gelegenheit gehabt, bis hierher vorzudringen,« klagte Kaczanowski mit komischem Bedauern.
»Als der Freitag jung war, hat er die gebratene Wurst vorgezogen,« entgegnete der Wirt und verbeugte sich tief dabei.
»Alt ist Er und hat noch faule Witze im Kopf!« sagte Hlasko. »Gib Er mir Fasttagessen. Denkt Er, daß ich ein Ketzer bin?«
»Ich kann fleischlos und kann auch Fleisch essen, wenn nur die Burgundertunke nicht fehlt.«
»Und mir soll Er Rebhühner geben. Ich bin nicht für Vorurteile,« entschied Zaremba.
»Den Hering und Schnaps nicht vergessen!« mahnte Kaczanowski.
Der Wirt entledigte sich recht schnell des Auftrages, als sie sich aber ans Essen gemacht hatten, hörte er nicht auf, ihnen in den Ohren zu liegen.
»Die Soße zum Hecht ist nach dem Rezept des Küchenmeisters Seiner Hochwohlgeboren des Herrn englischen Gesandten.«
»Darum stinkt sie auch so nach Froschlaich,« versuchte ihn der Kapitän abzublitzen.
»Und die Rebhühner sind aus Podlesjen. Sie duften wie ein Weihrauchschiffchen, sind mit Ingwer eingerieben.«
»Eß Er meinetwegen den Teufel in Safransoße auf und störe hier nicht!« herrschte ihn Hlasko hitzig an und wandte sich darauf an Kaczanowski, der für drei aß und mindestens für zehn trank.
»Euer Wohlgeboren sollten etwas Maß halten, sonst kann Euch noch der Schlag bei dieser Hitze treffen.«
Kaczanowski lachte nur als Antwort auf diese Warnung, trank aus, was noch da war, und begab sich rasch nach der Hauptstube, wo er Bekannte erspäht hatte.
»In einer halben Stunde wird er hier mit allen gut Freund sein.«
»Ist es so leicht bei dem mit der Freundschaft? Eine glückliche Veranlagung.«
»Euer Wohlgeboren werden sich überzeugen können, was der uns für Neuigkeiten bringen wird. Er holt jedem sein beschworenes Geheimnis unterm Herzen hervor. Dem Anschein nach ist er ein arger Krakeeler, Brausekopf und Händelsführer, aber im Grunde ein sehr vorausberechnender Mensch. Ich ästimiere ihn aufrichtig.«
»Der Oberst Jasinski hat ihn gelobt, aber nicht ohne Vorbehalt.«
»Was er wert ist, können Euer Wohlgeboren den Dzialynski fragen,« flüsterte Hlasko, sich über den Tisch zu ihm beugend: »Auf dem Sankt Onuphrius-Jahrmarkt in Berditschow hat er im Laufe einer Woche über fünftausend Dukaten in unsere Kasse eingebracht. Und er hat es so gut verstanden mit Späßen, Lachen und Kumpaneihalten die Gemüter zu gewinnen, daß ihn die Schlachta noch dazu auf den Händen getragen hat. Und wenn einer nicht bares Geld geben konnte, mußte er in natura hergeben. Wir haben ein ganzes Magazin von Häuten, Leinwand und Blei auf diese Weise angesammelt, ohne dabei noch den Haufen Pferde mitzurechnen. Der Chef kann nicht genug Lob für ihn finden. Und auch bei den Frauen hat er Glück ...«
»Aber er soll auch aufschneiden können.«
»Und wie! ich kann selbst zuweilen nicht aus dem Staunen herauskommen. Ich bin neugierig, was er dem Hetman Ozarowski für einen Streich spielen wird.«
»Diese Hühnervoliere wird ihm noch aus dem Sinn kommen. Das ist doch wahrlich keine Zeit für solche Geschichten.«
»Er hat sein Wort verpfändet und ich bin überzeugt, daß er es auch darauf ankommen läßt, dem fehlt es nicht an allerhand Listen.«
Zaremba gab immer knappere Antworten, er war damit beschäftigt, Umschau zu halten, konnte man doch durch die geöffneten Türen eine ganze Reihe eng mit Menschen besetzter Stuben überblicken. Einige Reichstagsboten saßen in der Nähe, in ein leises Gespräch vertieft.
Hlasko nannte ihre Namen und fügte geringschätzig hinzu:
»Solcher Art Leute stimmen immer nach der Mehrheit ...«
»Marais! In Paris nennt man das Sumpf!« erklärte Zaremba und goß die Gläser voll.
»Und was gibt's Neues im Reichstag?«
»Stets ein und dasselbe: Die Aufteilung des Kapauns,« er sah sich nach den roten Kontuschen der Abgeordneten um: »Man hat ihm schon die Beine abgeschnitten, die Flügel abgehackt, die Brust ausgebissen und nur der Bürzel ist noch geblieben, aber die Feinschmecker haben noch immer nicht genug, sie strecken die Krallen nach dem Rest aus ...«
»Die sind auf das Leichte erpicht, aber weiter wird es nicht so glatt von statten gehen.«
»Wer sollte es ihnen wehren? Seht doch, wie es in den besetzten Wojewodschaften zugeht: Bälle, Festgesellschaften, gemeinsam veranstaltete Fêten für die neuen Gouverneure und Dankadressen. In Zytomir hat der Adel nach der Eidesablegung für die neue Herrin eine ganze Woche Feste gefeiert! In Posen mußte Möllendorf selbst Schulden machen für Eßwaren und Trank, soviel war da zusammengekommen, um ihr Homagium darzubringen! Wo anders ganz dasselbe. Und hier in Grodno verkauft man schon das Vaterland en detail nach Pfund und lebendem Gewicht. Wenn nicht dieser letzte Glaube an unser Vorhaben, dann würde ich mir eine Kugel durch den Kopf schießen,« redete er finster.
Zaremba schwieg von schwerer Trauer befangen, die sich auch vom guten Wein nicht verjagen lassen wollte. Sie sahen einander zuweilen in die Augen bis auf den Grund der sorgeerfüllten Seelen und tranken stumm Glas auf Glas, als wollten sie Vergessenheit finden.
Ringsum klirrten die Gläser, wogten die angeregten Stimmen und wurden so leidenschaftliche Reden geführt, daß die Wände davon widerhallten. Alle Stuben waren schon voll und immer noch trafen neue Gäste eilt.
Es mischten sich im Gedränge durcheinander wie Erbsen und Kohl Kontuschen der Wojewodschaften, französische Fräcke, polnische Schnurröcke, dunkelblaue Jacken von militärischem Schnitt, ländliche Leinwandkittel, Priestersoutanen, und hier und da selbst städtische mit Kerzenwachs betropfte Bürgerröcke. Es war ein Menschengewirr buntester Art, und alles aß, trank und redete mit erhobener Stimme. Zum Schluß fehlte es selbst an Sitzgelegenheiten, man staute sich in den Durchgängen, drängte einander fortwährend beiseite, denn immer wieder versuchte sich einer durchzuzwängen. Einmal war es ein schlauer Bettelmönch mit seiner klirrenden Sammelbüchse, dann ein weißhaariger Jude im samtenen Käppchen und einem Zupan aus Atlas, der von einem roten Tuch umgürtet war, dann die Kredenzbedienten, die die Speisen und Getränke herumtrugen, oder ein langhaariger Pilger mit einem Krückstock, an dessen Griff ein ausgehöhlter Kürbis hing. Er verkaufte, über und über mit kleinen am Grabe Christi geheiligten Medaillen behangen, Gedenkmuscheln und log die unglaublichsten Dinge zusammen. Auch ein ungarischer Händler bot radebrechend seine Pomaden, Öle und Pfeifenköpfe feil. Hunde, die sich lungernd an die Knie ihrer Herren herangedrängt hatten, begannen sich zu beißen und zu kläffen, und ein alter, cholerischer Schlachtschitz schlug in der Hitze eines beginnenden Zankes dermaßen mit der Faust auf den Tisch, daß die Zinnschüsseln klirrten.
Mit einemmal brach in der Hauptstube ein so derbes Gejohle aus, begleitet von wilden Fußgetrampel, daß Hlasko den Kopf hob und Zaremba zuflüsterte:
»Das ist der Kaczanowski, der seine neuen Trinkkumpane unterhält; die trampeln vor Vergnügen ...« Er hielt plötzlich inne und bückte sich, als wollte er unter den Tisch rutschen, denn es kam ein ansehnlicher Schlachtziz mit einem Teller in der Hand und einer Flasche unter dem Arm aus dem Gedränge auf sie zu. Er trug eine dunkelblaue Kontusche mit einem weißen befleckten Zupan. Sein Bauch, über dem ein dreifaches Kinn schaukelte, trat mächtig hervor. Er hatte wollüstige Hängelippen, eine große Rotnase, dicke Backen, einen zerzausten Schnurrbart und kleine, scharf umherspähende Äuglein. Er blickte sich nach allen Seiten um und schrie mit dröhnender Stimme:
»Kredenzer! her damit, und wenn es ein ganzes Faß wär', dummer Bauernlümmel!«
Da sich aber niemand beeilte, ihn zu bedienen, wandte er sich an die beiden:
»Sie gestatten, meine Herren, daß ich Platz nehme?« und ohne eine Antwort abzuwarten, ließ er seinen unförmigen Körper auf einen nebenstehenden Stuhl fallen. »Die Beine sind mir schon schier in den Bauch gefahren von dem Stehen ... hehe!«
Hlasko betrachtete ihn mit einem unverhohlenen Abscheu.
»Adam Podhorski, Reichstagsbote für Wolhynien,« fügte er hinzu und streckte ihnen seine schwitzige, mit roten Haaren bewachsene Hand entgegen.
Widerwillig nannten sie ihre Namen.
»Zaremba, Wappen Zaremba. Warten Sie, Euer Wohlgeboren sind aus Großpolen. Oder vielleicht aus der Podlassischen Landschaft. Da! Dummerjahn, einige Flaschen her! Und der Name des Vaters ist Onuphrius?«
»Das ist mein Onkel.«
»Sieh mal an, wie so ... der Berg mit dem Berg schwer zusammenkommt. Hehe!«
»Das Maulwerk aber mit dem Strohwisch jederzeit,« ergänzte Hlasko spöttisch.
»Man kann auch das sagen. Wir waren da mit ihm zusammen in dem Regiment von Bar. Hehe! das sind nun schon einige Jährchen her. Unter dem Banner der Tschenstochauer, hehe!« gluckste er unaufhörlich, so daß Hlasko, zuletzt nicht mehr imstande, seine Wut zu verbergen, sich von ihm abwandte.
»Immer war er ein Hitzkopf, und der erste beim Kampf und beim Schnaps. Man hatte ihn »das Jungfräulein« genannt, weil er so ganz, hehe! ... Und was das für ein Soldat war! der hat mehr Feindesfleisch vernichtet als manch eine Kompagnie; mit seinem Kubusch zusammen ging er auf solche Abenteuer aus. Wie geht es ihm denn?«
»Er ist gesund. Ich danke Euer Wohlgeboren.«
»Eine Hitze ist das heute, wir wollen wohl einen zusammen trinken? Und Euer Gnaden, Herr Husko, was meint Ihr dazu?«
»Hlasko, zu Diensten, ist mein Name!« verbesserte dieser, rot vor Zorn.
»Ich bin etwas taub, bitte Euer Wohlgeboren entschuldigen zu wollen, seid Ihr denn vielleicht auch Bote? Ich habe es nicht gut hören können.«
»Es war keiner da, der mich hätte protegieren können,« entgegnete er herausfordernd. »Nicht jeder hat Dukaten und Bajonette zur Aushilfe, Herr Landbote aus Wolhynien!« hieb er, ohne mehr an sich zu halten, auf ihn ein und bohrte dabei höhnische Blicke in sein Gesicht.
Zaremba schrak zusammen und ließ die Hand auf den Schwertgriff fallen.
»Euer Gnaden haben dadurch nichts verloren,« lachte Podhorski auf, nicht im geringsten durch die Anspielung verblüfft. »Viel Mühen und Sorgen und kein Ertrag. Hehe! ... Ist das heiß, als kitzelten einen die Teufel. Vielleicht könnten wir nun auf das zweite Bein euren nehmen, he? Und dann jeder einen Hering und ein Stück Hecht in Safransoße? Kredenzer, komm Er her, da Dummkopf! ...«
»Der Gönner von Euer Gnaden muß schlechtes Mittagessen auftischen, wenn Sie hier nachspeisen müssen.«
»Schlecht oder nicht schlecht, aber auf jeden Fall verteufelt langweilig,« bekannte er unverfroren. »Ich bin bereit, auch das Einfachste zu schmausen, aber in Gesellschaft, meine Principia sind nämlich gut und fest wie das Gebet: im Trinken und in der Gesellschaft nicht allzu wählerisch sein! Für mich ist jeder Mensch Gottes Geschöpf und jeder Tropfen sein Geschenk ... hehe! Und diese Grundsätze haben mich nie verraten!«
Die beiden anderen schwiegen so hartnäckig, daß er aufgeregt immer kurzweiliger zu erzählen begann.
»Tischt man mir Champagnerwein auf, gut – das trinke ich gern, denn es bereitet einem ein angenehmes Kitzeln auf der Zunge; gibt man mir Ungarwein, dann schlucke ich eifrig, wie Gott befohlen; und findet sich Rhein- oder Burgunderwein, frage ich nicht, wer zahlt, wenn nur ein großes Faß und eine kleine Kumpanei da ist. Und hat ein armes Luder den Willen, mich mit Meth oder Gewürzschnaps zu bewirten, dann setz' ich mich gerührten Herzens heran und vertilge das Zeug und müßte es selbst mit einem Quartmaß aus Blech sein. Hehe!« redete er in einem fort und musterte sie dabei mit seinen scharfen Äuglein, da er aber sah, daß sie dasaßen wie auf einer deutschen Predigt, knurrte er zornig: »Euer Gnaden sind mir, wie ich sehe, nicht sehr gewogen?«
»Wieso denn, aber jeder hat doch seinen Wurm.«
»Was bereitet denn Euer Gnaden solchen Ärger, he?« fragte er gutmütig und goß die Gläser voll.
»Die widerwärtige Gesellschaft!« versetzte Hlasko rücksichtslos, als ob er eine Ohrfeige austeilte.
Podhorski schoß in die Höhe, und den Säbelknauf mit der Hand betastend, zischte er wie eine getretene Viper hervor:
»Du wirst mir Rechenschaft geben, frecher Laffe, ich werd' dich zu finden wissen, daran sollst du noch denken!«
Auch Hlasko war aufgestanden und sein bleich gewordenes Gesicht an das seines Gegners heranschiebend, stieß er wie mit einem Messer wütend auf ihn ein:
»Kannst mich suchen, du preußischer Söldling, Stockhiebe wirst du finden, die werden dir nicht entgehen!«
Der Dickwanst blieb mit offenem Mund sprachlos und blau vor Wut eine Weile stehen, dann trank er sein Glas zu Ende, griff nach seiner Flasche und entfernte sich, ohne ein Wort zu verlieren.
Zum Glück hatte scheinbar niemand diesen Vorfall gemerkt, aber Zaremba sagte, nachdem er etwas zu sich gekommen war, ziemlich scharf:
»Dies könnte der Sache schaden!«
»Ich habe schuld, aber ich konnte es wirklich nicht mehr aushalten. Solch einem Lump darf man ruhig ins Gesicht speien, er wird zuletzt sagen, daß es bloß regnet, schade um den Speichel! Der spaziert hier weiter herum, als wäre nichts geschehen.«
Und tatsächlich schlenderte Podhorski durch die Stuben, knüpfte hier und da ein Gespräch an und trank jedem zu, der mittrinken wollte.
»Wenn der Gehör bei Sievers hätte, würde ich schon diese Nacht auf dem Wege nach Kaluga sein. Eine dumme Geschichte, ich werde mir das niemals verzeihen,« sorgte er sich aufrichtig.
Ein stöckrichter Deutscher im gelben Frack und einer gewaltigen Perücke, der sich schon eine Weile im Gedränge von Tisch zu Tisch bewegt hatte, bot ihnen die Anfertigung ihrer Silhouetten an.
»Kannst ausschneiden, Pluderer,« willigte Zaremba ein: »ich habe noch niemals ein Konterfei von mir gehabt.«
»Sollst auch meins machen. Es hat mich einmal ein Franzos aus Wachs nachbilden wollen, aber er hat die Ähnlichkeit nicht herausbekommen.«
Der Deutsche nahm am Tisch Platz, um ihre Profile gegen das Licht zu sehen und nachdem er auf einem Brettchen ein blaues Papier zurechtgelegt hatte, begann er mit einem kleinen Messer so geschickt und schnell die Umrisse auszuschneiden, daß die Silhouetten in einer kleinen Viertelstunde fix und fertig und dabei noch ziemlich gut getroffen waren.
»Meine Zeit ist gekommen,« sagte Hlasko. »Es ist schon drei und um vier müssen wir abfahren.«
Sie verließen durch eine Seitentür die Wirtschaft. Der Hof war voller Wagen und Dienerschaft.
»Dem Kaczanowski wird es schwer fallen, die lustige Kumpanei verlassen zu müssen.«
»Der stellt sich zur richtigen Stunde ein, wird nicht eine Minute verfehlen, wenn er selbst ganz betrunken wäre, was ihm nur selten passiert. Auf Wiedersehen also, in einer Woche etwa!«
Zaremba kaufte in einem Laden die Nachrichtenliste der Neuankömmlinge in Grodno, zog sich zu Hause etwas um und fuhr in einer gemieteten Kutsche davon, verschiedenen Leuten seine Aufwartung zu machen, an die er mit Empfehlungsschreiben versehen war.
Er kehrte erst am späten Abend zurück und war so niedergeschlagen und versorgt, daß ihm Kasper mit Angst seinen Bericht über die Erkundigungsfahrt nach der Tysenhausener Schenke ablegte. Je weiter aber Kaspers Erzählung gedieh, um so mehr schüttelte Zaremba seine Verstimmung ab und entschied schließlich:
»Das ist gut, wir werden in einer der nächsten Nächte hinfahren. Also an die hundert Mann sagst du?«
»Vielleicht auch mehr. Sie halten sich in verschiedenen Löchern versteckt wie die Ratten. Eine Anzahl haben in der Stadt Beschäftigung und es gibt auch welche ...«
»Was gibt's noch?« unterbrach er ihn rauh, denn der Bursche liebte es, sich über die Dinge auszubreiten.
Kasper richtete sich stramm auf und reichte ihm einen Brief.
Die Kammerherrin lud ihn in sehr gnädigen Redewendungen zu sich ein.
»Und was sonst?« Seine Frage klang nicht mehr so scharf, er steckte den duftenden Brief zu sich.
Wie zur Antwort erschien Pater Seraphim auf der Schwelle.
»Das trifft sich gut, ich werde Euch gerade brauchen müssen. Es gibt Wichtiges zu erledigen.«
Sie nahmen am Tisch Platz und unterhielten sich miteinander bis zum Morgengrauen.
Kasper hielt treue Wacht vor dem Hause.