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Drittes Kapitel

Ein freudiges Aufkreischen, begleitet von Hundejefaffel, und zwei weiße Händchen streckten sich dem Eintretenden zur Begrüßung entgegen.

»Herr Sewer! Endlich! Sieh, sieh!« rief eine reizende Blondine aus.

»Gehorsamster Diener der Fräulein Oberstentochter!« entgegnete er im gleichen Ton und gab sich die Mühe, ungezwungen und zuvorkommend zu bleiben. »Und Fräulein Terenja stets wie die Morgenröte?«

Aber Fräulein Terenja riß die Hündchen an sich, trat etwas zurück und begann Zaremba mit einem recht bösen Frätzchen eine Strafpredigt zu halten, ihn dabei von oben bis unten mit funkelnden Blicken musternd.

»Ist das eine Subordination! Stellt man sich erst heute hier zum Appell ein, muß erst durch Ordonnanzen herbeikommandiert werden. Das Herumschwärmen mit Gott weiß wem ist Ihm lieber als wir? Es wird Ihm schon dafür von der Isa heimgezahlt werden. Wart' Er nur!«

Zaremba lächelte darauf so wehmütig, daß das kleine Fräulein plötzlich unruhig wurde.

»Oder sind Sie vielleicht krank?« fragte sie ganz sanft. »Das ist wahr. Sie sind so blaß und mager! Was fehlt Ihnen nur?« Sie hob sich auf die Zehenspitzen, um ihm in die Augen zu sehen.

»Danke bestens, ich bin gesund. Ist die Frau Kammerherrin zu Hause?« sagte er kühl, kaum schon die Ungeduld des Wartens bemeisternd.

Fräulein Terenja, durch den Ton seiner Antwort verletzt, sah ihn hochmütig an.

»Bitte Platz zu nehmen. Frau Kammerherrin wird gleich erscheinen.« Mit zeremonieller Geste wies sie ihm den Stuhl, und die knurrenden Schoßhündchen gegen die Brust drückend, blieb sie mürrisch am Fenster stehen. Sie war mit dieser Zornesfalte auf dem rosigen Gesichtchen voller Grübchen, heimlichen Schabernacks und Frohsinns noch entzückender.

Das Köpfchen umrahmt von goldig schimmernden, durch ein blaßblaues Band zusammengehaltenen Locken, große, blaue Augen mit goldigen Wimpern, ein Stumpfnäschen mit rosigen Nüstern, schimmernde Zahnreihen, himbeerrote Lippen, ein weißer, wie gemeißelter Hals, ein Spitzenschal um die Schultern geschlungen, der unter der Brust mit einer Korallenbrosche befestigt war, ein kurzes, helles, blaugestreiftes Kleidchen, weiße Strümpfe mit gestickten Zwickeln und weiße, polnische Halbstiefelchen mit einem Gänseblumenmuster bemalt, machten sie einer Nippfigur aus sächsischem Porzellan ähnlich. Dabei war sie lebhaft wie ein Eichkätzchen, ein bekanntes Plappermäulchen und ein unverbesserlicher Schelm, so schnitt sie denn auch jetzt, obgleich sie zornig war, solche Gesichter, daß er nicht umhin konnte, etwas zu sagen.

»Und wofür denn diese schlimme Ungnade, mein allergnädigstes Fräulein?«

Sie brach in ein Gelächter aus, und plapperte, auf ihn zuspringend, aufgeregt:

»Weil Euer Gnaden sich weder um mich noch um Isa, noch um den Obersten oder um sonst etwas in der Welt kümmern.«

»Gerade wollte ich nach den Neuigkeiten aus Kozienice fragen.«

»Neuigkeiten? Ich habe einen Verlobten,« platzte sie heraus, leidenschaftlich ihre Schoßhündchen küssend.

»Welcher Farbe?« scherzte er. »Ich entsinne mich, daß Fräulein Terenja für Rappen schwärmte, dann kamen die Füchse an die Reihe und jetzt sind es vielleicht die graugesprenkelten ...«

»Was gehen mich Pferde an! Mir ist mein Martin lieber.«

»Die Kugel soll mich treffen, wenn ich einen Luxusgaul dieser Farbe kenne.«

»Euer Gnaden vergessen selbst die besten Freunde.«

»Freunde? Sollte das wirklich Martin Zakrzewski sein? So? Na, dann paßt ihr gut zueinander, beide Schecken mit einem Wiedehopfschopf ausstaffiert!« lachte er, aber diese Neuigkeit schien ihm nicht zu behagen. »Wenn also Fräulein Terenja zur Garde übergeht, wird wohl Fräulein Klärchen das Kommando über die Königsulanen übernehmen! Was muß das für ein Jammern unter den Herren Leutnants sein! Wo treibt sich denn zur Zeit dieser Martin herum?«

»Er hat heute Dienst auf dem Schloß bei Seiner Majestät dem König.«

Zaremba war durch diese Nachricht erfreut und meinte launisch:

»Ich gratuliere zur Beförderung, Fräulein Terenja.«

Er erhob sich, um ans Gartenfenster zu treten.

»Und Euer Wohlgeboren lachen mich aus.«

Sie vertrat ihm den Weg.

»Ich freue mich sehr, tatsächlich,« entgegnete er lebhaft und küßte ihre Hand, um sie zu besänftigen. »Vergeßt nicht, mich zur Hochzeit einzuladen.«

»Wart' einer, bis die Wölfe die Stute fressen!« platzte sie mit klagendem Tonfall heraus. »Seine Hochwohlgeboren, der Herr Kammerherr, haben Martin geschrieben, daß wir noch warten können.«

»Das könnt ihr auch, solche Gelbschnäbel! Man müßte euch sonst wohl einen Direktor zugeben.«

»Und ich möchte so gern recht bald in Warschau wohnen,« gestand sie treuherzig, während sie die beiden Hündchen auf dem Klavizimbel zurechtsetzte. »Ich habe dieses Leben in Kozienice schon satt und die ausrangierten Regimentsgäule von alten Herren dazu, mit denen ich ständig Mariage am grünen Tisch spielen kann. Ich habe doch den letzten Winter nicht ein einziges Mal getanzt! Na, meine Hundeherrschaft, mehr Feuer! mehr Feuer!« kicherte sie und trommelte mit den Hundepfötchen auf die Tasten. »Erst zu Ostern, als die Husaren bei uns auf dem Durchmarsch von Radom vorbeikamen, ist es unserer Mamselle, die einen reizenden Vetter unter ihnen hat, endlich gelungen, Papa zu überreden, daß er für sie einen Ball veranstalten sollte, die ganze Geschichte wäre aber zu Wasser geworden, weil der Burggraf den Saal im Schloß nicht hergeben wollte.«

»Da hat er recht gehandelt!« sagte Zaremba mit entschiedener Betonung und öffnete das Fenster.

Vom Garten her flutete die sommerliche Wärme voll Blumendüfte ins Zimmer herein und fröhliches Vogelgezwitscher wurde vernehmbar.

»Mamselle hat aber doch ihren Willen durchgesetzt. Herr Stokowski ließ die Fabrik räumen, alles hatten sie mit Tannenzweigen geschmückt, Papa mußte die Regimentskapelle hergeben und wir haben bis in den Morgen hinein getanzt.«

»Mit den russischen Husaren? Würdige Kavaliere!«

»Es war doch auch unser ganzes Offizierskorps dabei: Papa hatte befohlen und da haben sie kommen müssen. Die ganze Sache ist wunderhübsch abgelaufen, nur der Leutnant Sieklucki hat den Husaren einen Krach gemacht, dafür hat er auch auf der Wache brummen müssen, was ihm sehr gesund war. Was soll er auch anderen den Spaß verderben? Bibi! Mimi!« Sie stürzte lachend hinter den Hunden drein, die ihr entflohen waren und winselnd unter dem Sofa Zuflucht suchten.

Sie konnte ihrer erst mit Hilfe von Sewer habhaft werden.

»Mimi ist ein liederliches Ding und Bibi ein scheußlicher Mörder!« schimpfte sie, die schreienden Hündchen mit wilden Küssen bedeckend. »Euer Wohlgeboren würden jetzt Kozienice gar nicht wiedererkennen. Man macht schon keine Waffen mehr, die Fabriken sind geschlossen und die Fabrikanten auf und davon in alle Winde, selbst das Kaffeehaus von Dorothea besteht nicht mehr. Es gibt keine Tanzkränzchen, keine Waldfeste, keine Abendgesellschaften, denn wir bekommen von den jungen Herren bei uns zu Hause nicht einmal so viel zu sehen, wie man auf einer Apothekerwage wiegen kann.«

»Das gnädige Fräulein hat ihnen wohl zu oft Schwarzsauer Einem Schwarzsauer servieren lassen, bedeutet so viel, wie einen Korb geben. aufgetischt?«

»Auf Wort, nicht ein einziger hat um mich angehalten,« versicherte sie eifrig. »Das hat gar nichts damit zu tun, sie haben sich da aber einen Klub gegründet, in dem sie immerzu gesessen und heimliche Versammlungen abgehalten und Verschwörungen gemacht haben, bis man Papas Aufmerksamkeit auf diese Sachen lenkte, und er zuletzt die Herren strammer nehmen mußte.«

»Wer ist denn das?« unterbrach er sie und wies nach dem Garten, wo ein Herr im weißen Kittel mit bloßem Kopf und auf einen Stock schwer gestützt in einer schattigen, von Sonnenlichtern gestreiften Allee auf und ab wanderte, dabei sehr häufig stehen bleibend; ein Livreebursche mit einem roten Schal über dem Arm folgte ihm auf Schritt und Tritt.

»Das ist doch der Kammerherr Rudski. Kennen denn Euer Gnaden Isas Mann nicht?«

»Der wandelt da ja umher wie zur Kokotion seines Magens.« Er betrachtete ihn neugierig.

»Der Doktor Lafontaine sagt, daß der Kammerherr sich einbildet, krank zu sein, aber mir scheint, hier liegt Hufkrankheit vor, denn seine Beinchen stiegen so merkwürdig. Ich habe schon Isa geraten, daß sie ihn neu beschlagen läßt.« Sie lachte hell auf.

»Hilft nichts mehr, der muß sich die Hufe schon ganz abgelaufen haben,« er lachte ebenfalls, jedoch mit einen: bitteren Gefühl. »Ein sehr weit vorgeschrittener Herr ...«

»Der hat noch bei den ›weißen Krebsen‹ »Weiße Krebse« nannte man die Leibgarde König August des Starken. Sie trug rote Röcke und weiße Losen und zeichnete sich durch ihr ausschweifendes Leben aus. gedient. Papa hat es gesagt,« sie kicherte wie toll.

»Eine ehrwürdige Erinnerung an die Sachsen, und ein recht merkwürdiges Menschlein.«

»Ich verehre ihn aber doch. Er ist ein guter Mensch und so nachsichtig. Sie werden sehen.«

»Ich glaube, daß er wohl Liebeskraut einzugeben versteht, wenn die Mädchen so auf ihn erpicht sind.«

Fräulein Terenja, die die Absicht begriffen hatte, murmelte sehr ernst:

»Man hat sie doch gezwungen! Sie ist sehr unglücklich, oh furchtbar!«

Er hatte bittere Worte auf den Lippen, als er aber ihr traurig gewordenes Gesichtchen sah, beherrschte er sich und seufzte nur.

»Isa bedauert Sie sehr, ich weiß alles!« flüsterte sie geheimnisvoll.

Zaremba zuckte schmerzlich zusammen: er sprang auf, und mit den Augen nach seinem Hut suchend, begann er ganz wirr zu reden:

»Ich muß jetzt gehen ... Fräulein Terenja wird sagen, daß ich gewartet habe ... ich komme morgen ...«

Terenja stand erschrocken da, ohne zu begreifen, was ihm geschehen war.

Aber in diesem Augenblick betrat Isa das Empfangszimmer.

Sie begrüßten einander schweigend und maßen sich dabei mit prüfenden Blicken.

Fräulein Terenja machte sich daran, die scheinbar durcheinandergeratenen Notenhefte zu ordnen, wobei sie mächtig nach den beiden schielte und mit Beben auf die erwarteten heißen Worte und Ausbrüche lauerte, da sie aber das Schweigen nicht länger aushalten konnte, rief sie plötzlich:

»Die Herrschaften spielen wohl Brummkater?« und sie lachte hell auf.

Die Kammerherrin warf ihr einen dankbaren Blick zu und fing ungezwungen mit einem bezaubernden Lächeln eine Unterhaltung über allerlei Tagesfragen an, ohne mit einem Wort der großen Festgesellschaft Erwähnung zu tun. Sie war heute noch schöner als damals, über alle Erwartung schön; ein sanftes Rot färbte ihr Gesicht, die nußbraunen Augen sprühten goldene Funken und die vollen, üppigen Lippen atmeten einen unwiderstehlichen Zauber. Sie beherrschte sich vortrefflich und ließ durch nichts verraten, wieviel sie diese erkünstelte Ruhe kostete, nur hin und wieder umflorten sich ihre Augen, wie unter einer vorüberhuschenden Wolke, und ihr Lächeln erstarb plötzlich; manchmal stand sie unbewußt auf und ging auf das Klavizimbel zu, um einige Akkorde anzuschlagen, oder sie beugte sich aus dem Fenster, um in den Garten zu schauen. Sobald sie aber ihres Mannes ansichtig wurde, kehrte sie zu dem alten Gesprächston zurück.

Zaremba war wachsam wie auf Posten. Er verfolgte aufmerksam jedes ihrer Worte und jede ihrer Bewegungen und beantwortete mit der gebührenden Höflichkeit ihre Fragen, hin und wieder ließ er selbst, um ein Lächeln zu erhaschen, seinen Witz schillern und versuchte durch die Erzählung seiner Kriegserlebnisse ihre Teilnahme zu erwecken. Es gelang ihm und er kostete den stillen Triumph aus. Nicht ein Hauch der Vergangenheit trübte diese geheuchelte Harmonie, nicht eine einzige Anspielung entschlüpfte seinen heißen Lippen, denn, obgleich eine ganze Hölle in seiner Seele tobte, blieb er ihr gegenüber in seinem Äußeren wie er es sich vorgenommen hatte, zurückhaltend und von einer maßvollen Kühle.

Sie unterhielten sich so, wie Menschen, die einander fremd und fast gleichgültig sind. Aber es quälte sie dieses leere Spiel, und immer häufiger entstanden Unterbrechungen oder ein plötzliches Verstummen kam über sie. Dann blitzten Isas Augen, ihre Lippen bebten unter dem Andrang unausgesprochener Worte und ihrer Brust entrangen sich kurze rasche Seufzer, er aber ließ seinem Fühlen freien Lauf und sah aus, als wollte er ihr zu Füßen stürzen und sie in seine ausgebreiteten, sehnsüchtigen Arme schließen.

Was nutzte ihnen dieses alles; das Aufwinseln eines Schoßhündchens, eine plötzliche Stimme aus dem Garten zerriß diese Ausgeburten der Schwüle, die Wirklichkeit schaute ihnen höhnend in die Augen, und wieder spann sich das verbindliche Zwiegespräch weiter, die wohlgesetzten französischen Redewendungen schwirrten und klangen gezwungen und hoffärtig wie vorher, bis schließlich Fräulein Terenja, gelangweilt durch dieses Getue, ihnen unumwunden erklärte:

»Ihr sitzt und redet grad' wie auf dem Theater,« sie schnitt allerhand Fratzen dabei, indem sie sie nachzuahmen versuchte: » Qui, Madame! Non Monsieur! Hier ein Lächeln, dort ein ersterbender Blick – hier ein Fächeln und ein Pflaumenmündchen, dort süße Augen! – Ihr spielt ausgezeichnet, aber ich werde euch nicht Beifall klatschen, weil mich diese Affenkomödie gründlich langweilt. Bibi! Mimi! Los, laßt uns die Kätzchen im Garten jagen! Hahaha!« schluchzte sie fast vor Lachen auf, als sie ihre Verlegenheit sah.

Die Kammerherrin zog die Augenbrauen zornig zusammen und Sewer erhob sich unangenehm berührt.

»Geh nicht fort, bitte! Terenja ist ein wahres enfant terrible

»Meine Zeit drängt ... man wartet auf mich ... und vielleicht störe ich auch.«

»Noch einen Augenblick, ich bitte dich darum! Die Gräfin Camelli soll mich abholen, wir fahren zum Mittagessen beim Gesandten, welches für die Damen und die Bischöfe zu Ehren des Geburtstages der Kronprinzessin von Rußland, Maria Theodorowna, gegeben wird. Er hat manchmal komische Ideen!«

»Eben kommt der Wagen des Fürstbischofs Massalski über die Brücke gefahren!« schrie Terenja und beugte sich zum Fenster auf die Straße hinaus: »ganz vollgepackt mit Blumen!«

»Die bringt er Sievers. Das ist eine seltsam poetische und empfindsame Natur, dieser Gesandte; er ist ganz verliebt in Gesang und Blumen und eine besondere Leidenschaft hat er für Rosen. Darum versuchen alle, seine Neigung zu befriedigen, und wenn irgend jemand eine besondere Sorte besitzt, schickt er sie ihm hin. Die Fürstin Radziwill hat ihm eine wunderbare Sammlung verehrt. Ist das nicht rührend?«

»Und bewundernswert,« sagte er, nicht mehr fähig, ein spöttisches Lächeln zu verbergen.

»Der König läßt für ihn Nelken ganz aus Holland kommen. Selbst mein Vater, du weißt, wie wenig geneigt er für Ausgaben ist, hat ihm aus Gora allerhand Raritäten übersandt.«

»Wann wird der Onkel hierher kommen?«

»Er hat sich für diese Tage angemeldet. Es ist schon alles zu seiner Ankunft hergerichtet. Er ist sehr besorgt um deine Zukunft,« fügte sie wohlwollend hinzu.

»Ich habe nach seinem Wunsch gehandelt und wünsche es sehr, die alten Dummheiten wieder gutzumachen,« gestand er und erzählte ihr dabei von seinen Absichten, wieder in den Armeedienst einzutreten.

»Und sollte dir das nicht gelingen, dann wird der Vater für dich eine passende Beschäftigung finden,« versicherte sie ganz eifrig.

»Wo befindet sich denn jetzt die Kastellanin? Wie steht es mit ihrer Gesundheit?«

»Nicht gut, sie ist wie immer voller Klagen über ihre eingebildeten Ideen. Die Ärzte meinen, daß es die gewöhnlichen Roxolanen sind. Sie kommt mit dem Vater zusammen hierher.«

»Achtung, der postillon d'amour des Fürsten Cycyanow ist unterwegs nach hier!« schrie Terenja auf.

Bald darauf öffnete sich tatsächlich die Tür, und ein Livreediener trug auf einem silbernen Tablett einen herrlichen Blumenstrauß, einen Brief und ein mit Edelsteinen besetztes Döschen herein.

Die Kammerherrin sprang zornig auf und stand mit glühend roten Wangen da.

»Gib es dem zurück, der es gebracht hat! Fort!« rief sie ohne Bedenken und wandte sich Sewer zu, der bescheiden bis an die Fensternische zurückgetreten war.

Terenja stürzte mit einem erregten Einwand auf sie zu. Isa schob sie unwillig beiseite und warf dem Diener einen so drohenden Blick zu, daß er eiligst das Zimmer verließ.

»Ich habe eine Bitte an dich,« ihre Stimme klang sehr herzlich.

Er war so voll plötzlicher Freude, daß er von vornherein alles versprach.

Es handelte sich darum, daß er sie zu einem Picknick außerhalb der Stadt begleiten sollte.

»Mit Vergnügen, wer gibt denn das Fest? Ich kenne noch niemanden hier.«

»Junge Kavaliere und hauptsächlich ein gewisser von Blum, ein Verehrer Terenjas.«

»Ich bitte dich, Isa ... Herr Sewer wird noch denken müssen, daß es wahr ist.«

»Und ich werde es Martin sagen,« neckte er sie, »damit er euch nicht aus den Augen läßt.«

»Martin wird nicht dabei sein, er muß mit dem König nach Poniemun fahren.«

»Um so schlimmer für Fräulein Terenja, denn ich werde ihn dann in der Bewachung vertreten.«

»Und ich habe vor Euer Gnaden nicht die geringste Angst,« lachte sie, mit den Hündchen durchs Zimmer tollend: »Martin wird nur dem Glauben schenken, was ich ihm sage.«

Der Diener meldete die Hetmanin Ozarowska und die Gräfin Camelli.

»Und ich mache, daß ich fortkomme. Ich kann diesen italienischen Schreihals nicht ausstehen. Kneifen wir aus, meine Hündchen!«

Auch Sewer wollte sich entfernen, aber die Kammerherrin hielt ihn zurück.

»Bleibe noch einen Augenblick, du wirst zwei schöne Damen kennen lernen.«

Ehe er einen Entschluß fassen konnte, betraten die Damen den Raum. Die Gräfin Camelli rief schon in der Türe ganz atemlos:

»Ich bringe Ihnen ganz herrliche Neuigkeiten, Frau Kammerherrin!« Ihre Auge lohten, das Gesicht war erhitzt und die Stimme zitterte vor Erregung. »Marat ist ermordet worden! Die Stadt Mainz hat sich dem Preußenkönig ergeben!« verkündete sie emphatisch, und nachdem sie ihre Stimme einen Augenblick angehalten hatte, fügte sie hinzu: »Die Revolution hat einen Todesstoß erhalten!«

Die Kammerherrin schien sich nicht viel aus der Neuigkeit zu machen.

»Liebe Gräfin,« mahnte Frau Ozarowska, »nicht alle nehmen sich solche Dinge so zu Herzen.«

»Aber natürlich ... das muß sehr wichtig sein ... tatsächlich verstehe ich mich nicht gut auf solche Dinge. Mein Vetter, Sewer Zaremba!« stellte sie bestürzt vor.

»Aber Sie muß das interessieren?« wandte sich die Gräfin an Zaremba.

Er verbeugte sich zum Zeichen der Bejahung und hörte sehr aufmerksam zu; sie aber, erfreut, daß sie einen Zuhörer gefunden hatte, erzählte immer eifriger, wobei sie mit Gebärden, feurigen Blicken und zärtlichen Mienen nicht sparte.

Die Kammerherrin und Frau Ozarowska zogen sich etwas zurück und waren ganz in die Musterung ihrer Kleider und in ein Geflüster vertieft.

»Der Graf Morelli, mein Vetter und der Kammerherr des Königs hat heute früh eine Extrapost erhalten,« erklärte die Gräfin als Einleitung. »Wir haben also die Nachrichten aus sicherster Quelle. Ich bin schon in der Kirche gewesen, um Gott für diese Freude zu danken. Aber obgleich die Berichte authentisch sind, kann ich kaum begreifen, daß dieser elende Königsmörder und Feind Gottes und der Menschheit, dieser Mensch gewordene Teufel wirklich nicht mehr leben sollte. Es hat ihn eine gewisse Charlotte Corday ermordet. Gott hat sie augenscheinlich zum Werkzeug seiner Gerechtigkeit auserkoren. Ich muß nach Paris schreiben, daß man mir ein Kupfer mit dem Bilde dieser neuen Jungfrau von Orleans schickt!« rief sie mit Nachdruck und hob dabei die Blicke zum Himmel. »Und fast zu gleicher Zeit hat man die französischen Rebellen aus Mainz vertrieben. Der preußische König triumphiert! Wie müssen sich die armen, vertriebenen Fürsten darüber freuen! Endlich gewinnt die gute Sache Oberhand. Es werden die preußischen Stöcke den Mainzer Klubmännern schon ihre jakobinischen Maximen ausklopfen. Ich verstehe bloß nicht, aus welchen Gründen man das revolutionäre Militär aus der Stadt hat abziehen lassen. Man hätte ihm eine republikanische Taufe im Rhein bereiten müssen,« lachte sie gehässig auf, und ihre schwarzen Augen funkelten wie Dolche. »Diese glücklichen Anfänge werden auch die Begeisterung eurer Verbannten in Dresden und der Klubmänner in Warschau dämpfen.«

»Frau Gräfin haben eine erstaunliche Erfahrung in politischen Dingen!« rief er mit gemachter Bewunderung aus.

»Ich spreche nur nach, was mich mein Vetter gelehrt hat,« entgegnete sie bescheiden und sprang auf Angelegenheiten des Gesellschaftslebens in Grodno über, wobei sie über alle Maßen die polnische Gastfreundlichkeit, und Bildung, die Schönheit der Frauen und die Höflichkeit der Männer lobte; sie pries bei dieser Gelegenheit die Großherzigkeit des Königs, seinen ungewöhnlichen Verstand und seinen Edelmut.

Er widersprach nicht und ließ nur bei passender Gelegenheit erkennen, daß er die geheiligten Grundsätze teilte und ein Feind alles Neuen war.

Die Gräfin fragte ihn mit immer lebhafter werdenden Vergnügen aus, wobei sie ihn mit schmachtenden Blicken überschüttete, denn er erschien ihr als ein recht gewandter und wohlgeratener Kavalier. Mit seinem aschblonden Haar, das à la Titus gestutzt war, und seinen: Adlergesicht, gut gewachsen, in den Schultern von ebenmäßiger Stärke und schlank in der Taille, machte er eine sehr stolze Erscheinung. Seine Bewegungen waren geschmeidig, seine Stimme klangvoll; er hatte dunkelblaue Augen mit langen, schwarzen Wimpern und ebensolchen Brauen, die die weiße Stirn mit einem drohenden Bogen schmückten.

Zaremba antwortete mit ausgesuchter, aber würdiger Zuvorkommenheit und schaute dabei stolz und entschlossen drein. Gekleidet war er nach der neuesten Mode in einen kirschfarbenen Frack mit sehr langen Schößen, kurzer Taille und einem flach umgelegten Kragen. Um den Hals hatte er ein hellblau gepunktetes Tuch mehrmals geschlungen, so daß es ihm bis über das halbe Kinn reichte, seine Weste war von blaßblauer Farbe mit goldenen Blumenstreifen bestickt, die eng anliegenden, strohgelben Beinkleider reichten bis an die Knöchel und die ausgeschnittenen Schuhe waren ohne Spangen. In der Hand hielt er ein Spazierstöckchen mit goldenem Knauf, an der doppelten Uhrkette klirrte bei jeder Bewegung ein Bündel Petschafte, die an dünnen Kettchen angebracht waren.

Frau Ozarowska, die schon eine Weile seinen Ausführungen zugehört hatte, ließ sich auf einmal mit einem nachsichtigen Lächeln vernehmen:

»Tragen Euer Wohlgeboren stets die Farben der Kammerherrin?«

»Das ist wahr, wie merkwürdig!« murmelte die Gräfin und ließ ihre Blicke über die beiden schweifen.

»Es ist nur ein eigener Zufall.«

Er errötete dabei wie ein Mädchen.

Die Damen brachen in ein Lachen aus, denn tatsächlich hatte die Kammerherrin ein Kleid von derselben Farbe wie sein Frack, nur daß es mit einem goldenen Streumuster verziert war, und trug einen goldgestreiften, hellblauen Überrock mit Spitzenbesatz.

»Tatsächlich ein seltsamer Zufall!« wiederholte Frau Ozarowska spöttisch.

Um der peinlichen Lage ein Ende zu bereiten, fragte er nach Terenja.

»Sie bemuttert gerade den Kammerherr. Seht bloß hinaus, das Schauspiel ist unvergleichlich!« Isa brach in ein Lachen aus und wies durch das Fenster nach dem Garten.

In dem schattigen Gang, im Spiel der Sonnenreflexe, ragte der Kammerherr mit weit aufgesperrtem Mund und Terenja, auf den Zehenspitzen stehend, flößte ihm mit einem Löffel die Medizin ein.

Es entstand ein herzhaftes Gelächter und recht zweideutige Bemerkungen wurden laut, so daß Zaremba unangenehm berührt sich zum Gehen anschickte.

»Wohin haben Sie es denn so eilig?« sagte die Gräfin mit sanfter Stimme und hielt seine Hand fest.

»Zur Reichstagssitzung. Ich muß mich vor dem Beginn einstellen, damit man mich hineinläßt.«

»Es gibt da wirklich nichts Interessantes: nur das Geschrei der Zelanten und etwas von der preußischen Wassersuppe.«

»Der Hetman wird heute wieder für die Verpflegung der Armee plädieren. Ich weiß nur nicht, ob die Beratungen öffentlich, also bei Anwesenheit der Arbiter sein werden.«

»Gott, wie langweilen mich diese Reichstagssitzungen, diese Politik, Traktate und all diese Machenschaften!« stöhnte die Kammerherrin mit einem aufrichtigen Abscheu. »Tötlich langweilige Geschichten!«

»Feiert man denn noch nicht genug Feste in Grodno? Es gibt doch hier nichts als Vergnügungen und Nichtstun!« protestierte er ziemlich hitzig, als er aber in ihren Augen Unwillen las, verfinsterte er sich und konnte sich kaum zu einer Bedankung bei Frau Ozarowska ermannen, als diese ihn zu ihren Gesellschaften eingeladen hatte und ihm zum Schluß sehr gnädig die Warnung zuteil werden ließ:

»Amüsiert Euch lieber. Euer Wohlgeboren, und laßt das Predigen den Grillenfängern!«

»Und vergesse nicht den morgigen Ausflug,« fügte die Kammerherrin hinzu.

Er trat voll widersprechender Gefühle und Gedanken, die dieser Besuch und die gehörten Neuigkeiten in ihm erweckt hatten, auf die Straße. Besonders der Fall von Mainz und der tatsächliche Triumph des preußischen Königs erfüllte ihn mit Sorge und Wehmut.

»Und die schöne Dame langweilt das,« mußte er immer wieder mit Trauer und Zorn denken.

Der Tag war heiß. Grodno lag glühend im Sonnenbrand. Wolken von Staub und ein ununterbrochener Lärm hingen über den stark belebten Straßen; hauptsächlich auf dem Hauptweg, der von der Horodnica zum Njemenfluß führte, auf der Schloßstraße, auf dem Marktplatz und rings um das Bernhardinerkloster war die Menschen-, Pferde- und Wagenflut besonders stark.

An den niedrigen Stadthäusern entlang zogen über schmale aneinandergefügte Bretterunterlagen, zwischen denen hier und da Steine lagen, die für die Regenzeit vorgesehen waren, buntgekleidete Menschenhaufen, die sich ängstlich gegen die Wände und Zäune drängten, denn immer wieder kamen feurige Viergespanne über die Straße gerast, Reiter galoppierten vorüber, bewaffnete Ronden marschierten im festen Taktschritt daher, vollgeladene große Furagewagen schleppten sich dahin oder Kosakenpatrouillen trabten nachlässig vorbei.

Je näher die vierte Stunde des Nachmittags kam, auf die die Reichstagssitzung festgesetzt war, desto mehr steigerte sich der Lärm und das Gedränge; es zeigten sich schon immer häufiger rotbraune Karossen mit roten Jockeys auf dem Bock und vorgespannten langbeinigen englischen Vollblutpferden in reich mit Silber beschlagenen Geschirren; hin und wieder kam zum allgemeinen Staunen eine auf Gurten hängende altertümliche Arche angeschaukelt, ganz von Gold und Spiegelscheiben gleißend wie ein Hostienschrein, bespannt mit sechs isabellenfarbigen Hengsten, mit einem Vorreiter und Livreelakaien in Perücken auf dem Hintersitz. Oder es sausten wie der Sturmwind die zweirädrigen Kariolen vorüber, vierelang, die Gäule reich mit Messingtand, Federbüschen und Netzen behangen, und die Offiziere, die darin wie in einer Quadriga aufrecht standen, trieben so hitzig die Pferde an, daß alles bei ihrem Nahen auseinanderstob.

Hin und wieder sah man einen hohen General vorüberfahren, von einer Dragonereskorte umgeben, die alles niederritt, was ihr in den Weg kam. Grüne, geräumige Extrapostwagen eilten dahin und versuchten, sich den Weg durch heisere Trompetensignale zu bahnen. Man sah zahlreiche aus Herren und Damen zusammengesetzte Reiterkavalkaden auftauchen, denen zu Seiten grüne Jäger und rotgekleidete Stallmeister ritten. Hin und wieder erklang das Rattern eines gelbbemalten Landpfarrerwagens, der über das holprige Pflaster mit Hochwürden im weißen Kittel und großkrempigen Strohhut polterte, oder es schleppten sich kleine Bauerngespanne dahin, die bei jedem Schritt anhalten mußten, zur Seite gedrängt wurden und oft auch Peitschenhiebe bekamen, wenn sie nicht schnell genug den Platz räumten.

Nicht geringer war der Verkehr der Fußgänger. An den Rändern der Straße flutete ein lärmender, unaufhörlich drängender Strom der verschiedenartigsten Kontuschen, Polenmützen, Fracks, Soldatenjacken, Leinwandkitteln und modischen Dreimastern, auch schäbige Kutten, rasierte Mönchsköpfe und bunte Livreen, fremdländische auffallende Trachten sowie glänzende schwarze Kaftans mit Fuchspelzmützen fehlten darunter nicht.

Ziemlich häufig sah man im Gedränge würdige Gnädige in Polenhauben, behäbig aufgeputzte Bürgersfrauen und Frauen aus dem Volk in gezängelten Häubchen sich tummeln, fransengeschmückte Volontärinnen warfen herausfordernde Blicke nach allen Seiten, und in den Türen und Torwegen der Häuser standen feiertäglich aufgetakelte Jüdinnen. Nur die vornehmen Damen fehlten in der Menge, denn sie zeigten sich der Stadt nur in Kutschen und mit entsprechender Eskorte.

Natürlich gab es auch keinen Mangel an Bettlern; an jeder Straßenecke stand eine besondere Gestalt, streckten sich bettelnde Arme aus, kamen winselnde Bitten und das Quietschen von Blindengeigen, denen Bettellieder die Begleitung gaben. Und es schien, als ob die ganze Stadt ein großer Jahrmarkt geworden wäre, so lärmte und drängte von überall eine unübersehbare Menge heran.

Denn groß war Grodno nicht, es zählte kaum viertausend fest ansässige Einwohner, doch war es infolge der dort stattfindenden Reichstagssitzungen förmlich vollgepfropft. Es gab kein Haus, keine Scheune, und wäre es der elendeste Schuppen, in denen nicht Menschen ihr Quartier aufgeschlagen hatten. Und so weit war es selbst schon gekommen, daß man in den Gärten in aller Eile aus Brettern und Ästen Baracken zur Unterbringung von Pferden, Wagen und Bedienung aufgerichtet hatte, in denen zuguterletzt noch verschiedene arme Teufel und Handwerker Zuflucht suchten. In den breiteren Straßen aber, und auf Plätzen wie vor dem Jesuitenkloster, auf dem Marktplatz und in der Schloßstraße, war eine zweite Stadt aus Kram- und Fleischbuden sowie Verkaufsständen fliegender Händler und bunten Zelten entstanden, in der Händler aller Nationen ihre Waren feilboten: rundliche Deutsche, Moskauer Bartträger, schlanke Armenier, rothaarige Engländer, Perser in bunten, langen Röcken und schlitzäugige Tataren aus Kazan, ohne die Scharen von Juden und Eingeborenen zu rechnen, die aus Wilno, Lublin und Warschau hinzugezogen waren. Nur Franzosen waren nicht zugelassen worden, da man den Verdacht geschöpft hatte, daß sie die Verbreitung der jakobinischen Schriften und Anschauungen fördern könnten, wie die Generalität in ihrer ablehnenden, auf Veranlassung von Sievers, erteilten Antwort dargelegt hatte.

Einzig und allein der zur Zeit berühmten Französin Le Doux aus Warschau ward die Erlaubnis erteilt, mit ihren Moden und dem durch seine Schönheit berühmten Verkäuferinnenstab nach Grodno überzusiedeln. Vor ihrem Quartier auf der nach der Pfarrkirche führenden Straße hielten während des ganzen Tages die Gespanne der vornehmsten Damen und an den Fenstern wimmelte es von Kavalieren, die zu den reizenden Französinnen hineinzusehen trachteten. Da aber auch in den benachbarten Häusern fast in jedem Fenster anmutige Hutputzmacherinnen, Stickerinnen und Modistinnen sichtbar waren, so wurden auch diese von jungen Herren umlagert, und Haufen eifriger Verehrer patrouillierten vor ihnen auf und ab. Es ging hierbei selbst nicht ohne Auftritte ab, die schließlich bis vor Sievers gelangten, da die russischen Offiziere bei jeder Gelegenheit gehörige Schläge zuerteilt bekamen.

Bald verkündeten große Goldtrauben den Blicken die Stätten der Weinhändler, von Bärenklauen umklammerte Stiefel lockten, die Auslagen der Schuster zu betrachten, riesige Räder bezeichneten schon von weitem den Platz der Stellmacher, Bündel goldenen Garns verkündeten die Posamentmacher, kunstvoll aus Roßhaar geflochtene Zöpfe wiesen auf die Friseure und mächtige Blechsäbel deuteten auf die Waffenschmiede und Büchsenmacher; darüberhin schaukelten in der Luft die messingnen Schüsseln der Barbiere und die silbernen Scheren der Schneider und hinter den Scheiben sah man hier und da aus herabgelassenen Schaubrettern moderne Wunder, die mit Gold ausgewogen wurden. Es gab selbst Buchhandlungen: eine von Jachowicz und eine von Bielski und im Torweg des Palastes der Fürsten Radziwill die des alten Boruch. Bei Bielski, im Hause der Fürsten Lubecki, verkaufte man außer frommen Büchern, Flugschriften und Reichstagsreden, englische Kupferstiche, das Konterfei des toten Königs von Frankreich, sächsisches Porzellan, holländischen Kleesamen, eine Schönheitspaste, und ein untrügliches Mittel gegen jedwede Zahnschmerzen.

Es war so viel zu sehen und anzustaunen, daß Zaremba, dem die vorherigen Gedanken im Straßenlärm vergangen waren, erstaunt das Meer von Menschen, Kutschen und Pferden anstarrte, wie es tosend sich seinen Weg durch die engen, winkligen Gassen bahnte, inmitten elender Stadthäuser, zwischen denen sich nur vereinzelt Paläste erhoben, uralte Baumriesen zum Himmel ragten und weiße Mauern schimmerten, mit schlanken Kirchtürmen darüber.

Das Leben und das ununterbrochene Stimmengewirr betäubte ihn so, daß er seine Schritte immer mehr verlangsamte und schließlich an der Ecke der Schloßstraße stehen blieb. Vor dem Kaffeehaus hatte sich ein Haufen Stutzer aufgepflanzt, in modischen, farbigen Fracks und Dreimastern; das Kinn fast ganz in das weiße Kummet des Halstuches versteckt, hielt ein jeder sein Spazierstöckchen mit goldenem Knauf in der Hand. An der Spitze stand Woyna und ließ von Zeit zu Zeit eine Bemerkung fallen, die Ausbrüche von übermütigem Gelächter wachrief. Die Kavaliere belustigten sich damit die Passage zu betrachten, was nicht ohne Sticheleien, bissiges Gewitzel und gelegentliches Beifallklatschen verlief. Sie redeten durcheinander, was einem jeden gerade auf die Zunge kam.

»Achtung! die Frau Vizekämmerin!« kommandierte Woyna. »Seht bloß, wie sie mit den Augen um den Edlen Korsak fegt. Er ist zu schmächtig für ihre Üppigkeit, die Füßchen sind ihm doch schon schwach.«

»Aha! Das antike Fräulein von Reszke! Jeden Tag ihr Abendmahl und einmal im Jahr ein kleines Bädchen für die Sauberkeit!«

»Vier Heiducken zum Schutz für Fräulein Wollowiez! Und die Tante Cannonissin obendrein, obgleich kein Schnabel nach dieser pockennarbigen Tugend hackt.«

»Edler Korsak, schlüpf in den Sack! Dein Direktor sucht dich!«

»... Ich möchte mir das ausbitten! ...« knurrte drohend ein blasser Jüngling in einem kaffeebraunen, kurzen Frack.

» Chapeaux bas, meine Herren! Es naht Ihro schnurrbärtige Majestät, die erprobte hundertjährige Tugend mit einer Million polnische Gulden Jahreseinkommen, die vieledle Frau Hetmanin Oginska!«

»Ich verehre das Majestätische und würde mich eidlich verpflichten, die Tugend zu respektieren, wenn sie mir nur den Rest geben wollte.«

Infolge des Gedränges an der Straßenecke fuhren jetzt die Kutschen im Schritt vorüber, darum höhnten die jungen Herren etwas leiser, aber um so frecher.

»Fräulein Skirmunt! Soll alles nach der Regel haben, wie's sich gehört, aber die Zähne – wie alte Klaviertasten.«

»Fürst Cycyanow fährt eine Rothaarige spazieren!«

»Eine verwunschene Prinzessin. Ich habe sie auf der Zirkusvorstellung gesehen, wie sie auf dem Seil spazierte. Sie ist entzückend, stellt euch aber vor, wie die fürstliche Knute diese weißen Herrlichkeiten zurichten wird! Der Doktor Viryon hat doch die arme Josephine danach kaum wieder zusammenflicken können.«

»Ich werd' euch das Stammbuch dieser Märchenprinzessin enthüllen: der Fürst hat sie heute Nacht gegen hundert Dukaten vom Grafen Ankwiez gewonnen, Ankwicz gestern von Diwow, Diwow vorgestern ...«

»Gehe nicht weiter, Woyna, sonst wird es sich schließlich herausstellen, daß die Prinzessin Rojse heißt und daß man sie bei Fajga auf dem Marktplatz für einen Dukaten kaufen kann.«

»Rettet euch, Plötze: Dero Hochwohlgeborene von Hecht, von Frosch und von Karpfen Die hier ins Deutsche übersetzten Namen, die den Witz erklärlich machen heißen Szczuka, Zaba und Karp. kommen angeschwommen.

»Diese Fischbrut ist etwas reichlich vertreten. Haha! Und gleich hinterdrein kommen die Mückes Der Familienname »Komar« bedeutet in wörtlicher Übersetzung »Mücke«. angesummt.«

»Bitte mit Respekt, meine Herren! Die Mundschenksprössinnen Raczkowski, ein Wunder in vierfacher Gestalt! Bravo!«

Und wie im Theater fingen sie laut an Beifall zu klatschen, indem sie sich vor vier reizenden Edelfräulein verbeugten, die zusammen mit einer würdigen weißhaarigen Matrone vorüberfuhren.

»Die großen Nasen und Warzen derer von Kossakowski!« rief Korsak, der junge, blasse Mann im kaffeebraunen Frack, der Rest war aber verstummt angesichts des berühmten Namens, bis einer schließlich schnell bemerkte:

»Unsere schönen Göttinnen und unsere Trümpfe sind gar nicht zu sehen ...«

»Die werden auf dem Gesandtschaftsdiner als Nachtisch für den Nuntius und die Bischöfe serviert.«

»Frau Jelowicka! Sie sieht aus wie ein Reliquienschrein, der sich zur Himmelfahrt rüstet.«

»Drei geschiedene Frauen mit diesem Humpelmann Karwowski! Das ist etwas viel! Nec Hercules contra plures

»Die Moszkowska und die Zielinska! Ich kenne nur die dritte, diese mollige Blondine nicht.«

Die ist doch gerade der erlesenste Bissen, sie hat schon drei Ehemänner und einen Schock Geliebter gewechselt, und durch einen seltsamen Zufall hat sie Kinder, die den Postmeistern auf der Warschauer Landstraße ähnlich sind.«

»Sie liebt die Reisen mit Trompetern. Ich kenne aber einen Fall, daß der Neugeborene dem Hauskaplan ähnlich war und mit einer Franziskanertonsur zur Welt kam.«

»Die Nowakowska in einer so zärtlichen Herzensverfassung? Mit einem neuen Freund wahrscheinlich ...«

»Sie hat ihre ständigen, wechselt bloß die Zeit und Stunden, denn der Politik ihres Gatten gemäß muß sie aus allen Fraktionen einen haben und als Zugabe auch noch die Offiziere der benachbarten Puissancen.«

»Seht bloß: Wanjkowicz im Freundschaftsbund mit der Starostin. Das ist neu!«

»Konnte sie denn fühllos bleiben, wo er doch gestern ein paar tausend Dukaten gewonnen hat?«

Sie verstummten, denn von der Brückenstraße her erklangen plötzlich die schrillen Pfiffe der Pfeifer und ein krachender Trommelwirbel. Der Menschenhaufe wogte aus und drängte nach den Häuserwänden und in die Hausflure hinein, die Kutschen fuhren zur Seite, denn durch die Mitte der Straße marschierten die russischen Jäger wie eine grüne mit funkelnden Bajonetten gespickte Mauer; sie trampelten so mächtig, daß die Erde unter ihren Stiefeln dröhnte. Vorne ging ein gewaltiger Kerl in bunter Kleidung, fuchtelte mit einem vergoldeten Stock, der in eine mit Bändern und Schellen behangene Puppe auslief, warf ihn in die Luft und griff ihn immer wieder auf, bis er zuletzt brüllend ein wüstes Liedlein anstimmte und dazu einen tollen Trepak zu tanzen begann. Markerschütternde Pfiffe, Gejohl, Kreischen, Trommeln und Pfeifen fielen ein, und ein paar Gemeine schossen ihm in tollen Tanzhüpfern nach, ohne dabei den Marschtakt zu verlieren. Es erhob sich ein wilder Lärm singender Stimmen, der wie das Pfeifen niedersausender Ruten klang, wie ein Wimmern und ein wieherndes Gelächter zugleich, ähnlich dem wilder Festgelage, wenn die ungehemmte maßlose Lust überhand nimmt.

»Sie ziehen nach dem Schloß, um die Zugänge abzusperren!« Woyna, unterbrach als erster das Schweigen.

Man eilte sich aber nicht, die Unterhaltung fortzusetzen; die jungen Herren standen mißgelaunt da und sahen mit trüben Blicken auf das vorüberziehende Militär; es war, als breite sich mit dem Staub, der hinter den Vorbeimarschierenden in der Luft hängen blieb, eine düstere Wolke heimlicher Sorgen über den Seelen.

»Ich werde euch etwas recht Spaßiges erzählen,« begann Woyna abermals. »Die Sache handelt von einem Schlachtziz, der Knöpflein hieß; er hatte schon zwei Frauen zu Grabe getragen und für sich folgende Grabschrift ausgesonnen:

»Heut' ich, ihr morgen – das sind Schicksals Chöschen.«
»Hier ruht das Knöpflein zwischen seinen Öschen!«

Da er aber niemanden zum Lachen bringen konnte, trat er auf Zaremba zu, den er gerade im Haufen erblickte, worauf sich beide in der Richtung des Königsschlosses entfernten.

»Ich habe deinem Famulus ein rundes Tausend Dukaten hinterlassen: so viel ist auf dich von dem gestrigen Gewinn gefallen. Aber das Darlehen habe ich behalten zum weiteren Spiel. Einverstanden?«

»Wenn dir Frau Fortuna treu ist, dann wollen wir das Glück weiter versuchen,« entgegnete Zaremba, über den Gewinn recht erfreut und teilte ihm die von der Gräfin Camelli gehörten Neuigkeiten mit.

»Man kann ihr vollen Glauben schenken,« murmelte Woyna, »sie kennt jede Geheimpost des Königs; vielleicht hat sie die Nachricht von Sievers, denn der Alte ist in sie tödlich verliebt, vielleicht hat sie sie aber auch von Buchholtz, mit dem sie auch in gutem Einvernehmen steht. Das ist ein schlauer Vogel! Die treibt sich hier nicht ohne Grund überall herum und nicht nur dazu, um mit ihrem verführerischen Gezwitscher die Leute zu entzücken ...«

»Daraus die Folge, daß diese Dame ihre Finger in politische Kabalen steckt. Jetzt begreife ich, woher sie alles weiß, was bei uns geschieht und warum sie sich so über den Tod von Marat und den Fall von Mainz gefreut hat! Wem dient sie denn eigentlich?«

»Es gibt Vermutungen, daß sie der Graf Zubow hergeschickt hat, um Sievers zu beobachten, ich aber behaupte, daß sie tatsächlich nur im Solde des englischen Goldes steht. Pitt zahlt die Koalition gegen Frankreich, aber er läßt die lieben Verbündeten nicht aus den Augen! Ein reizendes Spiel, nicht wahr?«

»Ich weiß nur eins, daß der Fall von Mainz unsere Niederlage bedeutet, denn der siegreiche Preußenkönig wird sich jetzt mit ganzer Macht gegen uns wenden. Und der Tod von Marat ist ein Schlag für die ganze Menschheit.«

»Ich meine, ein Aufatmen: er war doch ein abscheulicher Bluthund und Demagoge.«

»Das war aber auch der einzige unter den Revolutionären, der den Mut hatte! ...«

»Den kleinen Ludwig mit Mamsell Guillotin zu verheiraten. Was nützt das, wenn die Ehe unfruchtbar bleibt.«

»Das wird sich zeigen!« sagte Zaremba mit einem geheimnisvollen Lächeln, worauf Woyna etwas verletzt aufzuckte, ihn einhakte und mit ärgerlicher Stimme ihm zuflüsterte:

»Also, dann habt den Mut! Mich langweilt schon euer Getue mit den Ringen, Dreiecken, Katechismen und Geheimlosungen, die die Verschwörerschlupfwinkel öffnen. Es wäre endlich Zeit, durch die Tat den Stoß zu führen.«

»Auch dieses kommt. Aber jedes große Vorhaben muß zuerst die Maske tragen und ein Ritual für Eingeweihte besitzen. Gehörst du zu uns?« fragte er ihn ganz offen.

»Ich gehöre einzig und allein mir selber an,« entgegnete der andere hochfahrend.

Zaremba war bestürzt und begann bitter das vorhin Gesagte zu bereuen.

»Was nützt der Hund in der Kirche, wenn er nicht beten kann!« fügte Woyna nach einer Weile lächelnd hinzu. »Wer Lust hat, seinen Kopf dranzuwagen, dem wünsche ich viel Vergnügen, ich für meine Person ziehe die Flaschen und das Pharao vor. Die Natur hat mich zum Bacchuskämpen gemacht, und dagegen kann ich nicht an.«

»Du kennst unsere Zeichen und gehörst nicht zum Kreis?« fragte Zaremba ganz besorgt.

»Ich kenne sie und gebe dir mein parole d'honneur, daß du der erste bist, dem ich das gestanden habe ...«

Sie waren auf dem Schloßplatz angelangt, auf dem schon ein dichtes Gedränge aus Kutschen, Dienerschaft und Soldaten herrschte; in der Mitte unter einer Gruppe alter Baumriesen standen mit grünen Plantüchern bedeckt Kanonen und schoben ihre auf die Schloßfront gerichteten Schlünde hervor. Soldaten in grünen, eng anliegenden Jacken und schimmernden, schwarzen Kübelhelmen sperrten Gewehr bei Fuß die Straßenmündungen ab, der Menge den Eintritt zum Platz wehrend; der Rest biwakierte an den Munitionskarren und Gepäckwagen hinter den Kanonen oder stand Posten an der Brücke und an den Schloßgräben.

»Die da stellen die Meinung der alliierten Puissancen vor, was sich unsere Reichstagszelanten zu Gemüte führen können,« sagte Zaremba. Er wies auf die Kanonen.

»Nur zum Heil der Republik, das versteht sich, und zur Beruhigung der beratenden Stände,« spottete Woyna, indem er immer wieder mit verschiedenen Würdenträgern und Abgeordneten, die zur Reichstagssitzung fuhren, Grüße austauschte.

Das königliche Schloß stand auf dem hohen Njemenufer von Türmchen, Mansardendächern, einer Kuppel der Schloßkapelle und einer Reihe von Bildsäulen überragt, die über dem Hauptportal aufgestellt waren; von der Stadtseite aus wurde es von einer jäh abfallenden Grabenböschung umfaßt, deren Rand eine Reihe schlanker Pappeln säumte. Über den Schloßgraben führte eine breite gemauerte Brücke mit einem Steingeländer, welches mit marmornen Vasen und Amoretten hier und da geschmückt war. Ein hohes Steintor, gekrönt mit allegorischen Gruppen aus farbigem Porzellan und mit einer schmiedeeisernen Tür versehen, die reich vergoldete Wappen trug, führte auf einen großen mit einer Anzahl Gebäude verschiedener Struktur umgebenen Platz zu, die für den Reichstag neu hergerichtet worden waren.

Eine große amarantrote Fahne mit dem weißen polnischen Adler und dem litauischen Reiter flatterte über dem Tor zum Zeichen der königlichen Anwesenheit und der Tagung der erlauchten Stände.

Seine Majestät der König wohnte im Schloß mit seiner Familie, dem nicht sehr zahlreichen Hofstaat und den Kanzleien. Wohingegen die Leibkompagnien der Kron- und litauischen Garde zugleich mit der »Vivat-Artillerie,« wie sie von Spöttern genannt wurde, in alten, verfallenen Bauten untergebracht waren, welche in der Entfernung eines Pistolenschusses vom Schloß ab lagen.

Im Schloß befanden sich auch die beiden Ständekammern.

Alles war von umzingelnden Jägerkordons dicht umstellt, die unter dem Kommando der ersten Offiziere jeden ankommenden Würdenträger mit einem Trommelwirbel und präsentiertem Gewehr begrüßten.

»Mit Ehrenbezeugungen geizen sie nicht!« murmelte Zaremba, nachdem er den rauschenden Empfang des Hetmans Ozarowski mit angesehen hatte.

»Die haben drei Mittel, die Leute zu zwingen: mit Gold, Verrat und mit Streicheln – und jedes ist erfolgreich.«

»Sollte denn auch Nowakowski als Landbote fungieren?« wunderte er sich, als er plötzlich seinen ehemaligen Kameraden vor der Schloßbrücke mit einer neuen Wojewodschaftskontusche angetan aussteigen sah.

»Igelström hat ihn dazu bestimmt und mit Beihilfe der Dukaten wurde er dazu ausersehen,« erklärte Woyna mit beißendem Spott. »Er ist eine vielvermögende Person, ein begeisterter Friedensstifter und einzig bei allerhand Kompromissen, darum ist er der ständige Vermittler im Namen des Reichstags bei Sievers und Buchholtz. Und er ist so ein eifriger Diener des Vaterlandes, daß er schon gar nicht mehr daraus achtet – ob man ihm die Löhnung in Rubeln oder Talern zahlt.«

»Ich kenne ihn schon seinem Ruf nach und weiß, was man von seiner Ehrlichkeit zu halten hat,« murmelte Zaremba.

Sie gingen über die Brücke und blieben, nachdem sie das Tor passiert hatten, vor dem Säulengang an der weit geöffneten Tür der großen Reichstagsvorhalle stehen, die schon von Stimmengewirr erfüllt war. An den Türen, die zu den Ständekammern und verschiedenen Seitengemächern führten, wo die Kanzleien untergebracht waren, hielt gerade die Krongarde Wacht, doch mit Karabinern ohne Bajonett und mit leeren Patronentaschen.

»Da kommt der Cato der Wojewodschaft Lomza, Skarzynski, der Schiefmäulige. Ich will euch miteinander bekannt machen, er wird dir als Cicero dienen können, denn ich habe keinen Sinn für oratorische Salbadereien.«

Skarzynski, ein Mann, der bekannt war wegen seiner großen Erfahrung in staatlichen Dingen, ein berühmter Redner und eifriger Patriot, begrüßte Woyna herzlich und brachte Zaremba gegenüber die alte Bekanntschaft mit seinem Vater zur Rede, aber er hatte noch nicht Zeit gehabt, sich mehr auszubreiten, als ihn schon einige Abgeordnete mit Beschlag belegten und ihn mit sich in eine Ecke der Halle zogen, wo ein Tisch mit kalten Speisen bereit stand, denn häufig dauerten die Sitzungen bis in die späte Nacht.

Zaremba ließ sich dadurch nicht beirren und folgte ihnen. Er blieb etwas abseits stehen.

»Wen bestaunst du so?« ließ sich Nowakowski vernehmen, der plötzlich neben ihm stand.

Er wies mit den Augen auf die um Skarzynski versammelten Männer.

»Eine würdige Gesellschaft!« Nowakowski verzog verächtlich das Gesicht, indem er ihn nach einer nahegelegenen Fensternische zog. »Das sind die richtigen masurischen Mähren. Du stellst dir gar nicht vor, wen du hier alles vor dir siehst: die da sind doch diese eifrigen Zelanten, deren trauriger Ruhm sich schon über die ganze Republik verbreitet hat.«

»Das erste Mal, daß ich sie sehe,« entgegnete er sehr lebhaft.

»Dann mußt du es wissen, daß dieser kahlköpfige Trunkenbold mit dem Aussehen eines ausgehungerten Winkeladvokaten der Landesbote Krasnodembski aus Liwa ist und neben ihm duckt sich der wütendste Kläffer des Reichstags, der Landesbote Mikorski aus Wyszogrod; der da hinten, der sich so bläht, ist der Dorfcicero, Bote Szydlowski aus Ciechanow und dieses Herrchen in der abgeschabten Kontusche und den Säbelschnüren aus Hanf, ist der Bote Ciemniewski aus Rozany, ein eingefleischter Jakobiner, der sich erdreistet hat, in der Kammer selbst die Majestät des Königs zu verspotten; jener an der Wand, die hochfahrende grauhaarige Latte, das ist der Bote Starzynski aus Lomza, das Schiefmaul genannt: die Natur hat ihn scheinbar schon im voraus gezeichnet; der letzte, der da mit diesem scharfen Gesicht und der Hakennase – das ist der Bote Kimbar aus Upita, ein würdiger Nachfolger des traurigen Ruhmes, den sich der dortige Bote Sicinski einst geholt hat,« er zählte die Männer mit einer solchen Gehässigkeit auf, daß ihm zuweilen der Atem ausging und eine ziegelfarbene Röte seine sommersprossigen Backen färbte. »Die Gesellschaft ist noch nicht vollzählig, summa summarum sind das aber alles üble Händelsmacher, Landtagskläffer, vernagelte Schädel und eingefleischte Sonderbündler. Ich muß dich außerdem noch aufklären, daß man sie alle mit Moskoviter Geld zum Reichstag gewählt hat,« wisperte er ihm giftig ins Ohr, »und obendrein hat Igelström manch einen von ihnen equipieren und ihm Wegegelder nach Grodno zahlen müssen. Dafür erklären sie alle, die nicht ihre Grundsätze teilen, für Vaterlandsverräter. Das gemeine Volk ehrt sie, weil sie es verstehen, sich als Tugendwächter aufzuspielen und sich als Koriolane gebärden. Ohne unsere Bemühungen hätte man aber, dank diesen Schreiern, schon längst den ganzen Reichstag in alle Winde auseinandergejagt. Zum Glück gibt es noch wahrhafte Patrioten!« Er breitete sich darüber des weiteren aus und versäumte dabei nicht, seine eigenen großen Verdienste im Dienste der Allgemeinheit hervorzuheben.

Zaremba war recht unzufrieden über diese Vertraulichkeit vor aller Augen, um so mehr, da Starzynski ihn mehrmals von der Seite mißtrauisch angesehen hatte, aber der Handlanger Igelströms warf sich nun, nachdem er den Gesprächsstoff über öffentliche Dinge erschöpft hatte, mit einem wahren Feuereifer auf die Intimitäten des Privatlebens der wichtigsten Reichstagsmitglieder und legte ein besonderes Vergnügen an der Hervorzerrung solcher Geschichten an den Tag.

»Das sind recht merkwürdige Dinge, aber ich habe wenig Sinn dafür,« unterbrach ihn Zaremba ungeduldig.

Nowakowski lächelte ein nachsichtiges Lächeln und flüsterte ihm mit besonderer Betonung zu:

»Wer sie aber in der Land hat, der kann im gegebenen Fall den Betreffenden auf eine solche schamhaft verhüllte Schmerzensstelle drücken, er wird ihn dann wie an einem Schnürchen führen.«

»Das ist sicher, daß solche Geheimnisse in verschiedenen Kabalen viel zu bedeuten haben.«

Er blickte nach der Uhr.

»Wir warten auf die Bischöfe, sie sind zum Mittagessen bei Sievers geladen,« erklärte er.

»Es ist mir nicht so eilig mit den Sitzungen. Ich möchte nur gelegentlich den Verhandlungen beiwohnen.«

»Ich will dich auf die Galerie bringen. Ich glaube, daß der Marschall heute die Arbiter nicht fortschicken wird.«

Er führte ihn über schmale Treppen und winklige Gänge, die nur hier und da durch Talgkerzen in Wandleuchtern erhellt waren.

»Eine Bittschrift habe ich für dich schon aufgesetzt, sie braucht bloß unterschrieben und in der Kanzlei eingereicht zu werden. Wie steht es damit, hast du über meinen Rat nachgedacht?« fragte er wie nebenbei.

»Ich möchte erst mein Glück beim König versuchen,« entgegnete Zaremba ausweichend.

»Wie du willst. Gestern haben wieder zwei der ehemaligen Gardekadetten vom Fürsten Cycyanow die Kapitänsepauletten und eine gute Gage erhalten. Wenn du dich an ihn wenden wolltest, dann würde deine Bittschrift den besten Erfolg haben.«

»Dann mache mich mit ihm bekannt,« rief Zaremba unter dem Einfluß einer neuen Eingebung.

»Sehr gern. Das trifft sich ganz vorzüglich, denn er soll heute bei mir sein, ich nehme dich also nach der Sitzung mit zum Abendessen. Du stellst dir gar nicht vor, was für ein aufgeklärter und uns wohlgesinnter Mann er ist, dabei die rechte Hand von Sievers.«

»Um so aufrichtiger werde ich ihn bewundern,« entgegnete Zaremba und drückte seine Hand. Nach seinem Fortgang atmete er erleichtert auf und begann sich in Ruhe im Reichstagssaal umzusehen.

Der Raum war sehr hoch, lang und hatte weiße Wände, die in regelmäßigen Abständen von hohen Fenstern durchbrochen waren, so daß das Ganze den Anschein eines, wenn auch mit großer Bescheidenheit ausgestatteten, Kirchenschiffes erweckte; diese Ähnlichkeit wurde noch durch ein Tonnengewölbe erhöht, von dessen blaubemalten Rosetten an goldenen Ketten vier Messingkronleuchter niederhingen, ein jeder für 50 Kerzen bestimmt. Königsbildnisse im Krönungsornat zierten die Wände zwischen den Fenstern.

Die Galerie aus Eichenholz, die auf marmorartig geäderten Pfeilern ruhte, umschloß den Saal von drei Seiten. An der freien Firstwandseite befand sich dagegen in einer halbrunden Vertiefung, die auf kunstvolle Weise einer großen Muschel nachgebildet und mit goldenen Rippen und Ornamenten verziert war, eine mit rotem Tuch beschlagene Estrade, auf welcher der hohe, goldschimmernde Thronsessel prangte.

Gegenüber, am anderen Saalende und ebenfalls auf einer Erhöhung, die nur niedriger und grünbeschlagen war, standen die Tische des Reichstagsmarschalls, der Sekretarii des Reichstags und befanden sich die Plätze der Schreiber, welche die gehaltenen Reden niederzuschreiben hatten. An den Seiten entlang, durch die ganze Länge des Saales, zogen sich die mit grünem Rips überzogenen Bänke der Landboten mit ihren Schreibpulten, in denen sich auch die Aktenmappen und Tintenfässer befanden. In der Mitte war ein recht breiter Durchgang und an den Wänden entlang im Schatten der Galerie führten schmale Gänge auf die Ausgangstüren zu, an denen die Reichstagsdienerschaft Wache hielt.

In der Muschel hinter dem goldenen Stuhl befand sich eine mit einem roten Vorhang verhangene Tür, über der ein rundes Fensterchen schimmerte, durch welches Sievers die Gewohnheit hatte, hinter einer Kattungardine versteckt, die Verhandlungen zu belauschen.

Die Galerien waren schon vollgedrängt und nicht ohne Staunen betrachtete Zaremba das Publikum, denn er hatte diese Menschen weder in Beratungen noch auf Festen je gesehen. Es war ein Durcheinander von verschiedenem gewöhnlichen Volk, das man nur auf Schaustellungen, in der Kirche oder auf Jahrmärkten treffen konnte. Im Gedränge sah man allerhand merkwürdige Gestalten: lauernde Köpfe mit schlauen Fuchsgesichtern, die eifrig um sich horchten, geflickte Mönchskutten und aszetische Erscheinungen, elend aussehende Männer in schäbigen Soldatenröcken und große Kerle mit wahren Räubergesichtern. Es fehlte auch nicht an Damen, die ihr Zuckerwerk knabberten und an Moskowiter Offizieren in Verkleidung sowie an Menschen allerhand anderer Berufe; auch Livreediener waren darunter vertreten, die über ihre Herren laute Bemerkungen zum besten gaben.

Das Stimmengewirr war schon ziemlich angewachsen; eine größere Anzahl Landboten unterhielt sich in den Bänken und in den Durchgängen, andere lasen am Marschalltisch halblaut das Tagebuch der letzten Sitzung durch und die Konzepte der laufenden Fragen, und immer traten noch neue Boten herein, mit dem Gemurmel der Anerkennung oder mit boshaftem Gekicher begrüßt; manchem flog ein so treffender Spitzname nach, daß ein allgemeines Gelächter und Getrampel entstand. Als Antwort darauf hörte man aus irgend einem Winkel eine Baßstimme rufen:

»Meine Herren, Ruhe! Ich muß bitten: Ruhe!«

Das war der dicke Rochus, der Älteste der Reichstagsdienerschaft, der dabei mit einem dicken Stab gegen den Fußboden klopfte, aber es gelang ihm doch nicht, das vorlaute Volk auf den Galerien zur Ruhe zu bringen, er zog sich vielmehr nur Zurufe und Neckereien zu.

Der Rrrochus! Rrrochus! Rrrochus!
Hat den Bauch sich vollgefressen,
hat den Weihrauch nicht vergessen!
Rrrochus! Rrrochus!

ließen sich mit einemmal zur allgemeinen Belustigung ein paar Spötter vernehmen, das Girren von Turteltauben nachahmend.

Was Zaremba aber am meisten erstaunte, war der Anblick der Vize-Kämmerin Grabowska.

Sie saß in der Mittelgalerie gerade über dem Tisch des Reichstagsmarschalls, war ganz in Schwarz gekleidet, mit einen Fächer in der Hand und dem kleinen Mohren an ihrer Seite, der ihr ununterbrochen Kühlung zufächelte, denn im Saal war es sehr heiß.

Sie hatte ihn ebenfalls bemerkt und rief ihn durch ein ungestümes Winken zu sich heran.

Er brachte seine große Verwunderung wegen dieser Begegnung zum Ausdruck, worauf sie mit Genugtuung sagte:

»Ich habe noch nicht eine einzige Sitzung verpaßt. Fragt die Trabanten, Euer Edlen, wie oft sie mich von hier schon verjagt haben. Der Marschall und diese Reichstagslügner mögen es nicht, daß man ihnen in die Karten schaut, und bei dem kleinsten Anlaß lassen sie die Arbiter hinauswerfen. Setzt Euch etwas näher heran. Euer Edlen, damit ich mich nötigenfalls auf Euch stützen kann. Ich bin übrigens nicht die einzige, die hier thront; rechts drüben sitzt ja die schöne Jula Potocka mit ihren Söhnen und neben ihr die altehrwürdige Glucke Oginska. Auch Frau Kastellanin Plater ist zugegen mit der bemoosten Badeni vom Brigittenorden. Die Marschallin Cienska läßt sich hier auch häufig sehen mit ihrem reizenden weiblichen Gefolge. Es sind alles eifrige Vaterlandsfreundinnen!« sie senkte mit einemmal die Stimme und ihr Gesicht mit dem Fächer beschattend, flüsterte sie ihm zu: »Euer Edlen haben mich auf der Ballgesellschaft neulich recht ungebührlich behandelt, aber ich trage es Euch nicht mehr nach, spielt bloß nicht den keuschen Joseph, denn ich bin nicht Potiphars Frau!« kicherte sie leise.

»Ich müßte fürwahr keine Augen haben,« parierte er und umfaßte ihre Gestalt mit herausfordernden Blicken, weil sie ihm durch ihre Schlagfertigkeit und ihre Reize imponiert hatte.

»Ich stelle Soldaten über alles andere,« sagte sie mit gedämpfter Stimme. »Woyna hat mir über Euer Edlen sehr redlichen Bericht erstattet, obgleich er sonst eine bissige Zunge besitzt.«

»Woyna liebt es, auch zum Spaß oder zur eigenen Genugtuung, alles zu verdoppeln und zu verdreifachen.«

»Bescheidenheit steht einem artigen Kavalier immer gut. Was seht Ihr Euch so um?«

»Es schien mir, als hätte ich im Gedränge ein bekanntes Gesicht gesehen; es ist jetzt verschwunden.«

»Ist es nicht der Leutnant Zakrzewski? er blickt gerade zu uns herüber.«

»Frau Vizekämmerin kennen ihn?«

»Es bestehen zwischen uns beiden selbst weitläufige Verwandtschaftsbeziehungen, nach denen ich so etwas wie seine Tante bin, aus diesem Grunde ist er unter meinem Schutz gewissermaßen, aber der Galgenstrick treibt sich herum und hört nicht auf unsereinen.«

»Dafür muß er aber bei seiner Braut parieren.«

Sie machte eine heftige Bewegung und ihr rotgewordenes Gesicht hinter dem Fächer verbergend, sagte sie:

»Das hat er mir auch einmal gestanden, aber ich erinnere mich im Augenblick nicht mehr, wer sie doch ist ...« ihre Stimme klang gepreßt.

»Fräulein von König, der Vater ist Oberst bei den Königsulanen in Kozienice.«

»Ach, das ist diese kleine Rotznase mit dem rosigen Mäulchen!« Endlich hatte sie das Gleichgewicht wiedererlangt und sprach nun spöttisch weiter: »Als Mitgift wird der Martin wohl höchstens nur eine alte Trommel und einen ausgesessenen Sattel bekommen. Diese Wahl finde ich wenig glücklich.«

»Ich kenne seine Gefühle nicht, aber ganz offen gesagt, glaube ich, daß aus dieser Heirat etwas wird,« redete er, ohne ihre Erregung zu bemerken.

Sie schwieg ganz, in einen inneren Kampf mit sich selbst versunken.

»Ein gräßliches Publikum,« murmelte sie und wandte ihre wütenden Augen Zakrzewski zu, der aus der Menge wieder aufgetaucht war, aber sofort wieder untertauchte.

»Auch das niedrige Volk beginnt sich schon für Vaterlandssachen zu begeistern,« bemerkte er vorsichtig.

»Das ist so, und ein Wohlgeborener ist hier unter dem Publikum ebenso rar, wie eine Mandel im Honigkuchen. Natürlich, die hohe Gesellschaft langweilt sich bei Reichstagsverhandlungen, sie zieht ein Essen beim Gesandten und Feste mit Geliebten vor!« In ihrer Stimme klang Bitterkeit, und der üppige Mund zuckte wie unter einem niedergezwungenen Schmerz.

Er sah sie an und begriff die große Veränderung nicht, die mit ihr vorgegangen war, weil er aber glaubte, daß sie sich diesen Anschein aus irgend einem beabsichtigten Grunde gab, nahm er sich die Sache nicht besonders zu Herzen.

Sie bepuderte ihr erhitztes Gesicht und nachdem sie sich mit wohlriechenden Essenzen erquickt hatte, richtete sie ihre heißen seltsam schönen Augen auf Zaremba und sagte leise, aber mit besonderem Nachdruck:

»Euer Edlen weilen hier im Namen der konföderierten Regimenter?«

Er hielt ihren Blick aus und zeigte nur ein sehr erstauntes Gesicht.

»Der schöne Knabe braucht keine Angst zu haben, ich will ihm keine Geheimnisse entlocken,« sie lehnte sich zärtlich gegen ihn zurück. »Der Oberst Jasinski hat mir schon etwas erwähnt, und wenn sich eine Gelegenheit bietet, bin auch ich bereit, alles zu wagen … Aber unter dem Kommando von Euer Edlen,« fügte sie noch gefühlvoller hinzu.

»Aber ich bitte, meine Gnädige, hier sind doch ringsum lauter gespitzte Ohren … vielleicht ein andermal …« bat er erschrocken.

»Dann warten Euer Edlen nicht auf eine förmliche Einladung und kommen mich besuchen, wenn es Ihnen gefällt. Sie sollen mir stets willkommen sein.«

Eine Uhr fing plötzlich an fünf zu schlagen, und es entstand mit einemmal ein Lärm in den Bänken.

»Der König kommt! meine Herren, Seine Majestät der König!« donnerte mit weit vernehmbarer Baßstimme Rochus der Älteste der Reichstagsbediensteten.

Es wurde erwartungsvoll still, und die Augen aller Anwesenden richteten sich auf die roten Vorhänge.

Gleich darauf öffnete sich die Tür, an deren beiden Seiten Gardisten mit Karabinern bei Fuß Aufstellung nahmen. Auf der Schwelle erschien der König, zwei Kadetten in Galauniform mit Federbüschen aus Straußenfedern und entblößten Degen folgten ihm im gemessenen Schritt.

Der König kam langsam daher, mit müden Augen die vor Seiner Majestät sich demütig neigenden Menschen musternd; seine Frisur bestand aus kunstvoll aufgebauten weißen Locken, sein Gesicht war weiß und sah etwas aufgedunsen aus. Es fielen an ihm die feingeformte Nase, die rotgeschminkten Lippen und die wohlgeratene Gestalt auf.

Er trug den dunkelblauen Alltagsrock mit roten Aufschlägen, weiße Beinkleider, Strümpfe und Halbschuhe mit goldenen Schnallen. Spitzenjabots kräuselten sich an seiner Brust wie Schaum, von Diamantspangen durchblitzt, und quer über die weiße Weste zog sich das rote Ordensband. Die Linke stützte er auf den goldenen Griff des Degens und in der Rechten hielt er die Handschuhe.

Sein Gang war ängstlich und unsicher, seine Blicke forschend und jede seiner Bewegungen zeugte von einer wachsamen Sorge für sein Äußeres und das Majestätische.

Er ließ sich ungezwungen auf den vergoldeten Sessel nieder. Die Kadetten steckten ihre Degen ein und stellten sich an seiner Seite auf, der Reichstagssekretarius brachte die rote Mappe, zu der der König den Schlüssel an der Uhrkette trug und ein Lakai legte die Tabakdose und das Schnupftuch neben ihm auf den Tisch hin.

Als erste traten die Bischöfe mit allerhand Berichten hervor, noch ganz rot von dem Festmahl bei Sievers. Dabei verschluckte sich der Bischof Massalski immer wieder vor verhaltenem Lachen und sein Priesterkleid bebte an seinen dicken Lüften, der Bischof Kossakowski lächelte etwas säuerlich dazu und ließ seinen gelangweilten Blick durch den Saal schweifen.

Der Großkanzler und die Marschälle, von Kronpolen, und vom Großfürstentum Litauen und der Reichstagsmarschall hatten etwas abseits Stellung genommen und warteten, bis die Reihe an sie kam.

Die Landesboten lehnten auf ihren Plätzen im Saal, die stillgewordene Galerie war wie versteinert, so daß sich über den Brüstungen übereinander aufgetürmte Wälle von Köpfen unbeweglich und dunkel abhoben und zahllose Augen ängstlich auf den König und die Senatoren starrten.

Zaremba, der gerade dem König gegenüber auf der Galerie saß, suchte ihn mit seinen prüfenden Blicken zu erforschen und mühte sich, die gutmütige und täuschende Maske auf seinem Gesicht zu enträtseln, um ins Innere seiner Seele zu schauen, aber immer wieder zeigten sich seinem Auge jenes welke Lächeln, das ihn wie aus einer Trockenheit und Leerheit des Herzens geboren dünkte, und jene verschleierten, einstudierten Blicke sowie eine absichtlich gemachte Würde.

Ein als König ausstaffierter menschlicher Leichnam! dachte er gereizt bei diesem Anblick. Eine lebendige Zierpuppe! Ein Ritter, der nur zu kapitulieren weiß! Der Hetman des Volkes, der im Sold der Todfeinde seines Landes steht! Der König der Buhlen! ließ sich in ihm die wachsende Stimme einer grenzenlosen Scham und Anklage vernehmen. Mit der Krone haben sie dir die Erlaubnis der ersten Teilung des Vaterlandes bezahlt, und womit wird man dir jetzt zahlen, du Verräter? schrie sein schmerzlich verwundetes Innere auf, und in seiner Erinnerung erwachte all das Unglück des Volkes, all sein Leid, all die Schande und seine Erniedrigung; und es war ihm, als hätten jene zerstückelten Teile der Republik, von denen das frische Blut noch troff, mit lauter Stimme in ihm zu fordern und zu klagen begonnen, und diese Klage zerriß ihm das Herz, so daß in ihm ein furchtbarer Zorn entbrannte. Unfähig, den Gram weiter zu tragen, wandte er sich erregt an die Vizekämmerin:

»Ich habe gesehen, wie ein Königskopf unter dem Beil der Guillotine niederrollte und wie der Henker ihn an den Haaren hochhob, um ihn dem harrenden Volk zu zeigen.«

Er war fast blau vor Erregung.

»Was ist Euer Edlen geschehen? Seid Ihr vielleicht krank?« fragte sie entsetzt, ohne seine zusammenhanglosen Worte zu verstehen und sich das Funkeln seiner wildlodernden Augen erklären zu können.

»Gehen wir etwas an die frische Luft, die Hitze muß Euer Edlen zu Kopf gestiegen sein,« sie war besorgt um seinen Zustand und bemühte sich, ihn mit erfrischenden Salzen zur Besinnung zu bringen.

Er beruhigte sich etwas, wollte aber nicht fortgehen und tauchte bald wieder ganz in die Abgründe seiner quälenden Gedanken unter. Mit kalten Blicken schätzte er die Köpfe der Senatoren, Boten und Würdenträger ein, einzelne schien er lange zu wägen, andere rasch beiseite zu schieben, auf die meisten aber schlug er mit dem Worte: »schuldig« wie mit einem Henkerbeil ein.

In Gedanken sah er diese verruchten Häupter bluttriefend in einen Korb fallen, auf weiße Sägespäne ……

Mit einemmal schoß blitzartig ein jäh aufleuchtender Gedanke durch sein Hirn:

Alle sind schuldig!

Es war ihm dabei, als hätte der Blitz neben ihm eingeschlagen, aber er beugte sich nicht vor dem vernichtenden Strahl und sann unerbittlich nach.

Überall nichts als Niedergang, Fäulnis und Eigennutz; überall Verfall und endgültige Vernichtung! Ein Sumpf ewiger Schande, Verruchtheit und Niedrigkeit! Fluch den Kindern, die ihre eigene Mutter in Sklaverei verkaufen! Fluch sonder Gnaden!

Er war vor dem verhüllten Gesicht des unerbittlichen Schicksals in die Knie gesunken und flehte aus der Tiefe seines schmerzdurchwühlten, liebenden Herzens um Rettung.

Auf der Galerie hörte man mit einemmal das Gemurmel vieler Stimmen, so wandten sich denn auch seine traurigen Augen jener dichten Menge elender Gesichter, zerzauster Köpfe mit rohen Zügen und jenen ungehobelten Gestalten zu. Er schwebte mit seinen Gedanken über ihnen wie ein Adler, der sich die Beute sucht, um auf sie niederzuschießen, aber ein Sturmwind hatte seine Seele plötzlich ergriffen und trug sie über endlose Weiten, über das Ameisengewimmel der Dörfer und Städte zu jenen gewaltsam Niedergetretenen, jenen ewig Hungernden, Benachteiligten und ewig Unfreien, die in ihrer äußeren Gestalt kaum Menschen glichen.

Zu den Waffen! Zu den Waffen! rief aus ihm eine Stimme, die die Verzweiflung immer stärker anschwellen ließ.

Und mit Angst wartete er auf den Wiederhall. Werden sie ihn begreifen? Werden sie wollen?

Dieses zugrunde gehende Vaterland ist ihnen ja nichts, als ein Haus der Sklaverei.

Sind sie denn auch bereit, ihr Leben zu lassen, damit das Vaterland von den Ketten befreit werde?

»Euer Edlen haben es darauf abgesehen, mich durch Düsterkeit zu ängstigen,« beklagte sich die Vizekämmerin und sah ihm dabei zärtlich in die Augen.

»Es sind über mich solche Gesichte gekommen, daß ich mir keinen Rat mehr weiß.«

»Man muß sie alle beichten, ich werde Euer Edlen Absolution im reichen Maße erteilen.«

Es kam aber weder zu Geständnissen, noch zu zärtlichen Absolutionen, denn gerade hatte der Marschall des Reichstags Bielinski die Sitzung eröffnet, indem er dreimal mit seinem Stab gegen das Parkett klopfte, und an die Arbiter, die die Galerie besetzt hielten, gewandt, rief er gemäß der Hausordnung und mehr noch im Einklang mit den Vorschriften von Sievers:

»Meine Herrschaften, bitte abzutreten!«

Obgleich nun auch der dicke Rochus in seinem langen, blauen Rock mit goldenen Verbrämungen dasselbe drohend wiederholte und mit seinem silberbeschlagenen Stab gleichzeitig gegen den Fußboden klopfte, beeilte sich niemand, hinauszugehen.

Der Reichstagssekretarius Tengoborski las mit weitschallender Stimme das Konzept der zur Abstimmung gelangenden Angelegenheiten vor.

Gleich danach brachte der Reichstagsmarschall die Frage des Vertrages mit Preußen vor, er richtete die Anfrage an die Stände bezüglich einer Vollmacht für die Kommission, die mit Buchholtz verhandeln sollte, und erbat sich die Entscheidung, ob es den Ständen erwünscht sei, den Wortlaut dieser Vollmacht kennen zu lernen.

»Rein! Fort mit der Vollmacht! Wir wollen nicht! Wird nicht zugelassen! Fort damit!«

Es erhoben sich stürmische Proteste von den Bänken der Landesboten und die Galerie fiel mit Getrampel und Gejohl ein.

Der Kanzler von Kronpolen, Sulkowski, erhob sich darauf von seinem Sitz in der Nähe des Königs und fing an mit knarrender Stimme darzulegen, daß die Vollmacht, die entsprechend dem Willen der Stände verfaßt worden war, sich bereits in den Länden des Bischofs Massalski befände. Die Kopie derselben im vollen Wortlaut befahl er darauf dem Reichstagssekretarius vorzulesen.

Abermals brach ein wilder Lärm los, eine Anzahl Landboten forderte dringend das Wort und die Galerie vollführte einen solchen Spektakel, daß Tengoborski dadurch am Vorlesen gehindert wurde; er fing immer wieder an, doch alles war vergeblich.

»Einen Augenblick noch, und sie werden uns mit gefälltem Bajonett aus dem Saal hinausfegen,« besorgte sich Zaremba und blickte nach den Galerietüren hinüber.

»Auf den preußischen König erlaubt man ihnen zu schimpfen, aber versuchen Euer Edlen einmal dasselbe gegenüber der Alliantin!« flüsterte sie unter dem Fächer ihm zu.

Der Reichstagsmarschall schlug mit seinem Stab auf den Tisch, daß es dröhnte, der König runzelte die Stirn, die Senatoren machten ungeduldige Bewegungen, und erst, als der Bote Karski von der Landschaft Plock das Wort ergriff, wurde es mit einemmal ganz still.

Als er geendet hatte, sprach der Bote Skarzynski für die Landschaft Lomza, der Bote Krasnodembski für Liwa kam ebenfalls zu Wort und alle redeten im gleichen Sinne: daß nach dem Auftrag der Stände eine Vollmacht verlangt worden sei, die in den Umrissen von den Kanzlern vorgeschlagen, aber nicht durch das Haus beschlossen wäre.

»Sie streiten um leere Worte,« regte sich Zaremba auf. »Es handelt sich doch bloß darum, daß die Sache in die Länge gezogen wird und nicht um die Entscheidung,« entgegnete ihm die Vizekämmerin, indem sie Krasnodembski applaudierte und ihr nach hallte wie auf Kommando aus den Bänken der Arbiter Beifallklatschen wieder.

»Jetzt müssen Euer Edlen aufmerksam zuhören,« bemerkte sie und führte ihr Stielglas an die Augen.

Es war nämlich der Bote Gostkowski für die Landschaft Ciechanow vorgetreten, ein Mann mittleren Alters und von recht magerer Statur, er hatte eine Kontusche in dunkelblauer Farbe nach der Art der Landschaft Mazovien an und trug einen strohgelben Zupan darunter, sein Haar war ringsum nach altpolnischer Mode ausrasiert, das Gesicht schmal und sonnenverbrannt, seine Augen blau, der helle Schnurrbart dicht an der Lippe gestutzt.

Er begann sofort an der Vollmacht zu tadeln, daß sie die Artikel in bezug auf die Weigerung der Herausgabe von Danzig und Thorn an den preußischen König nicht enthielt.

»Nicht einen Fußbreit polnische Erde, nicht einen Stein von Thorn oder Danzig!« wiederholte er mit Nachdruck. »Gewalt, Niedertracht und Ränke wollen die Republik in Fesseln schlagen! Allergnädigster Herr und König! Erlauchte Stände!« rief er mit einer Stimme, aus der herzliche Sorge herausklang: »gebt nicht die Hand dazu, daß die Seufzer und das Unrecht eurer Mitbürger vermehrt werden, gestattet nicht, daß Übermacht und Verrat triumphieren, damit man nicht später noch in fernen Jahrhunderten sagt, daß ihr freiwillig aus Trägheit, aus kläglicher Angst und beschämendem Zögern euch unter das Joch gebeugt habt!

»Der preußische König hat mit fuchsfreundlicher Geneigtheit und unter trügerischen Schwüren sich als unser Bundesgenosse und Freund bekannt und ist doch der erste gewesen, der uns verraten hat.

»Wir wollen keine weiteren Verhandlungen! Man unterhandelt nicht mit einem, der wie toll um sich beißt, sondern jeder greift nach dem, was er unter der Hand hat, nach einem Stein, einem Stück Eisen oder Knüttel und schlägt drauflos, solange noch Atem im Feind ist; schlagt ihn zu Tode!« Er schwieg.

Ein Sturm von Beifallbezeugungen wurde laut und die Galerie erbebte von Zurufen und Geschrei.

»Nicht unterhandeln! Schlagt die Preußen! Fort damit! Nicht unterhandeln!«

Grimm und Zorn brachen aus allen Herzen hervor.

Der Reichstagsmarschall, der den Lärm nicht beschwichtigen konnte, weder durch Läuten, noch durch Zurufe, hob die Sitzung auf und verließ seinen Platz, auch der König hatte sich hinter den roten Vorhang zurückgezogen, und gleich darauf wurden die Türen, die zu der Galerie führten, mit lautem Gepolter aufgerissen, man hörte das Stapfen schwerer Soldatenstiefel, und eine Mauer gefällter Bajonette blitzte auf.

Die russischen Jäger hatten in einem Augenblick die Galerie von der lärmenden Menge gesäubert; es blieben nur die Frauen, die russischen Offiziere und Rochus, der Älteste der Reichsdienerschaft, zurück, der vom vielen Rufen ganz heiser geworden war.

Zaremba, von der vor den Bajonetten zurückweichenden Menschenwoge mitgerissen, gelangte, ehe er sich versah, auf den Schloßhof.

Er war gerade dabei, seinen arg zerknüllten Frack in Ordnung zu bringen und überlegte, wie er wieder zu der Vizekämmerin gelangen sollte, als Nowakowski auf ihn zukam.

»Ich suche dich. Wir können nach Hause fahren.« Er war wütend und aufgeregt.

»Hat denn der König schon die Sitzung bis Montag vertagt?«

»Noch nicht, aber es wird heute nichts Beachtenswertes mehr geschehen.«

Sie bestiegen den Wagen, der auf dem Schloßplatz ihrer wartete, und die Pferde rasten davon.

Dämmerung lag schon über der Stadt; nur hier und da leuchteten noch die Kreuze der Kirchen und der Himmel war voll goldiger Buchten. Von den Feldern kam ein kühler Hauch, auf den Anhöhen sah man Biwakfeuer lohen und aus den Vorstadtgassen meldete sich das kurze Brüllen der Kühe und das Schnattern der Gänse. Die Straßen waren schon fast menschenleer, nur an den Ecken und auf den Plätzen mehrten sich die Wachtposten und die berittenen Patrouillen.

»Hast du diesen Großsprecher aus Ciechanow gehört?« ließ sich schließlich Nowakowski vernehmen.

»Er ist ein guter Spieler! Hat wohl gewußt, womit er das Herz der Menge treffen konnte. Selbst die Landboten hat er mit sich fortgerissen.«

»Rede dieser Gesellschaft zum Verstand, dann gähnt sie, aber wenn ihnen einer das Blaue vom Himmel herunter erzählt, von dem geheiligten Augapfel der Schlachtzizenfreiheit, wenn er sie mit dem Märchen von ihrer Gleichheit mit den Königen ergötzt, alle Selben der Geschichte an den Haaren heranschleppt, bei jedem zweiten Wort von Tugend, bei jedem dritten von Ehre, bei jedem fünften von dem Dienst der Allgemeinheit und bei jedem zehnten womöglich von den ›erlauchten Ständen‹ salbadert, dabei aus voller Kehle schreit, mit den Armen wie eine Windmühle fuchtelt, dann werden sie schließlich vor Rührung weinen und werden bereit sein, ihn hochzunehmen und als den Erlöser des Vaterlandes erklären.«

Zaremba schwieg und sann darüber nach, was wohl die Gründe für diese Erregung Nowakowskis wären.

»Und verhüte Gott, daß einer auf ihre Begeisterung baut, denn was sie heute beschließen, sind sie bereit am nächsten Tag umzustoßen, und widerspricht man ihnen, so nennen sie es gleich Verrat oder Dummheit.«

Er saß eine Weile schweigend da, denn der Wagen holperte gerade über ein schlechtes Straßenpflaster.

»Und wieder werden sich die Verhandlungen mit Buchholtz verzögern,« knurrte er ärgerlich grübelnd vor sich hin. »Sie werden noch so lange warten, bis Preußen durch Möllendorff Warschau besetzt, und dann erst Zeter und Mordio schreien.«

Zaremba hatte plötzlich den Grund seines Zornes begriffen und sagte wie zum Trost:

»Das wird Igelström nicht zulassen, er hält ja Warschau schon als der Zarin zugehörig.«

Der Wagen blieb vor einem einstöckigen Hause stehen, durch dessen offene Fenster Lichterglanz und Stimmengewirr drangen.

Ein zerzauster Bursche in zerrissener Livree hielt im dunklen, offenstehenden Torweg Wacht, sogleich fand sich aber auch ein schwarzgekleideter, französischer Kammerdiener ein, mit einem brennenden Armleuchter in der Hand und führte sie unter ergebenen Bücklingen über eine teppichbedeckte Treppe in die hinteren Hausräume.

»Viele Gäste da?« fragte Nowakowski leichthin, ein kleines Gemach betretend.

»Vier Tische Lomber und Pharao. Der Rest im Saal.«

»Entschuldige, ich muß mich umkleiden, habe schon genug von dieser Maskerade!« er wies mit der Hand auf seine Polenkontusche und verschwand im anliegenden Nebenraum.

Zaremba sah sich neugierig im Zimmer um, das als Kanzlei diente und zugleich den Anschein hatte von einem Aufbewahrungsraum für schwer beschlagene Koffer, verschließbare Necessaires, die auf Tischen standen, für Pferdegeschirr, das sich in den Ecken häufte, und verschiedenerlei Livreekleidung, die an der Wand hing. Es befanden sich selbst allerhand Feldbettstellen und verschiedene spanische Wände darin.

Nowakowski trat wieder ein, bereits in einem modischen rostroten Frack, in Strümpfen und ausgeschnittenen Schuhen; der Kammerdiener band ihm mit würdigem Ernst das weiße Halstuch um, reichte ihm die Tabakdose hin und trat gemessen ein paar Schritt zurück.

»Ich habe ihn mit den Möbeln zusammen von dem Obersten Stempkowski erstanden,« prahlte er halblaut. »Es soll selbst ein ›de‹ oder noch etwas Großartigeres sein, durch die Revolution ist er vertrieben worden. Der Fürst Cycyanow hat mir für ihn sein englisches Viergespann nebst Geschirr geboten.«

»Ich bin wirklich auf diese Durchlaucht gespannt,« lächelte Zaremba spöttisch.

»Du mußt daran denken, daß der Fürst in einem freundschaftlichen Verhältnis zum älteren Grafen Zubow, dem gegenwärtigen Günstling der Zarin, steht.«

Er hakte ihn ein und führte ihn durch winklige Gänge; der Franzose leuchtete ihnen mit dem Armleuchter voran.

»Du kannst dir also imaginieren, was das für eine politische Persönlichkeit ist,« flüsterte er ganz leise, wie im Begriff, ihm ein Geheimnis mitzuteilen. »Ich stehe mit ihm in so herzlichem Verhältnis, daß er mir sogar seinen schweren Liebeskummer gestanden hat.«

»Hat er sich noch nicht mit der Kammerherrin ausgesöhnt?« fragte ihn Zaremba listig aus.

»Sie will ihn ja gar nicht sehen, schickt ihm die ungeöffneten Briefe zurück, ziert sich wie eine Königin, und er ist einfach außer sich vor Verzweiflung. Weißt du, es kommt mir ein genialer Gedanke. Hilf du ihm in dieser Lage.«

»Auf welche Weise?« Er hatte sofort begriffen, wohinaus der andere wollte.

»Wenn du ihr als naher Vetter bei passender Gelegenheit darlegen wolltest, daß ihre Versöhnung mit dem Fürsten selbst für das Wohl des Landes erwünscht sei.«

»Papperlapapp!« lachte Zaremba.

»Ich geb' dir mein Wort darauf, daß ich durchaus im Ernst spreche. Vergiß nicht, daß Petersburg auf uns durch seine Augen blickt. Seine wohlwollenden Berichte können einen wichtigen Ausschlag geben. Auch dir könnte die Protektion eines so mächtigen Mannes nützen. Er ist in die Kammerherrin tödlich verliebt und würde dir für einen Dienst Dank wissen. Glaub' mir, ein vielmögender Freund und Beschützer ist für einen armen Schlucker wie unsereins ein wahres Vermögen! Da wir über diese Angelegenheiten sprechen, will ich dir eröffnen, daß der jüngere Graf Zubow hier erwartet wird.«

»Ist denn das der Aspirant für den kommenden Günstling?«

»Politische Gründe zwingen uns, ein Fest zu seinen Ehren zu veranstalten. Der Graf Ankwicz und der Hetman Kossakowski befassen sich jetzt mit dieser Veranstaltung. Fünfundzwanzig Dukatchen à Person, eine ganz ausgewählte Gesellschaft und die schönsten Damen der Republik. Ich habe schon manchem abschlagen müssen, aber dich könnte ich noch eintragen!«

»Sehr gern. Auf der Hundehochzeit amüsieren sich die Brautführer am besten!« spottete er.

»Alles muß im erlesensten Geschmack sein, besonders die Damen. Graf Zubow soll aus Polen zärtliche Erinnerungen mitnehmen. Aus diesem Grunde möchte ich selbst eine Versöhnung zwischen dem Fürsten und der Kammerherrin erzielen. Sie würde dem Fest besonderen Glanz verleihen. Du verstehst mich.«

Zaremba verstand ihn so gut, daß er nicht übel Lust verspürte, ihm seine rotbehaarte Fratze gebührend zu zeichnen, er lächelte jedoch nur, seinen eigenen Gefühlen zum Trotz und versprach das veruneinigte Paar wieder auszusöhnen.

»Laß sie sich lieben, zu Nutz und Fromm der Republik! Laß sie einander verehren!« redete er und weidete sich mit einer wilden Verbissenheit an seinem eigenen Schmerz. »Ich will es versuchen, ihr zuzureden.«

Sie traten in den Empfangsraum, der prunkvoll möbliert im Lichterglanz strahlte.

Die Herrin des Hauses ruhte, in ein rotes Deshabilé gekleidet, in einem tiefen Voltairestuhl, hatte ein weißes Hündchen auf dem Schoß und ein goldenes Balsambüchslein in der Hand, an dem sie häufig roch. Ein paar Kavaliere, nach der neuesten Mode in gleiche kaneelbraune Fracks und enganliegende Kniehosen gekleidet, die Hüte auf den Knien und dicke Rohrstöcke in der Hand, leisteten ihr Gesellschaft. Sie waren drei an der Zahl, hatten Wangen wie frisch gebackene Semmeln, helles Lockenhaar, das rings um die Köpfe wie Goldrollen gewickelt war, Augen von verschossener Farbe, händelssüchtige Gesichter und hießen alle drei Krotowski, einer Mutter Söhne, eines Erziehers wohlgeratene Zöglinge und die Erben eines Vermögens von rund zwanzig Bauernseelen. Sie mußten recht Lustiges erzählen, denn die Dame des Hauses erbebte vor Lachen und sah Zaremba nicht einmal an, als er zum Handkuß an sie herantrat.

Die Dame war wie eine reife Ungarpflaume, die dann am süßesten schmeckt, wenn sie schon die ersten Fröste des Herbstes mürbe gemacht haben, sie sah noch gut und verlockend aus, hatte Schönheitspflästerchen auf dem geschminkten Gesicht, feurige Augen, den Kopf voller Locken, die so gebrannt waren, daß sie ihr vom Kopf abstanden wie abgehülste, schwarze Schoten, ein unergründliches Dekolte und eine heisere Stimme; dabei befeuchtete sie immerwährend die Lippen mit ihrer dicken Zunge. Im Salon redete sie nur französisch, schwärmte für Rousseau, hielt sich ein zahmes Böcklein, träumte von zärtlichem Landleben an grünen Flußufern unter dem Strohdach einer Chaumiere, suchte aber indessen die Treue ihrer Schäfer reichlich auszukosten, fluchte im Hause wie ein Kirchweihbettler, prügelte die Dienerschaft und verachtete auch einen Anisschnaps und das »Ägyptische Traumbuch« nicht.

Nowakowski machte sich überall zu schaffen und wandte sich schließlich einem der Nebenräume zu, aus dem immer wieder die zänkischen Auseinandersetzungen der Spieler hörbar wurden. Ein alter Schlachtziz in Kontuschentracht nahm sich indessen Zarembas an. Nach einigen Minuten begann er ihm schon herzliche Ergüsse zu machen.

»Und ich will Euer Wohlgeboren versichern, daß schon alles verloren ist. Es gibt kein Litauen mehr, es gibt kein Ruthenenland, es gibt kein Kronpolen; die einzige Rettung ist in der edelmütigen Menschlichkeit der Imperatorin! Ich habe hierhin und dahin kalkuliert, es kommt immer auf dasselbe heraus, daß wir einzig und allein ...«

Der Diener meldete den Fürsten Cycyanow, der so feierlich und mit solchen Honneurs empfangen wurde, daß selbst die Herrin des Hauses sich zur Begrüßung von ihrem Platz erhob.

Nowakowski redete ziemlich lange auf den Fürsten ein, den er etwas beiseite genommen hatte, bis sich dessen mürrisches Gesicht sichtlich belebte. Er reichte Zaremba gnädig die Hand, begnadete ihn mit einigen verbindlichen Worten und setzte sich sogleich an einen der Kartentische.

Die Dame des Hauses kehrte zu ihrem alten Platz zurück, die drei Kavaliere setzten die unterbrochenen Anekdotenerzählungen fort und Nowakowski empfing weiter die sich zahlreich einfindenden Besucher, nur Zaremba irrte durch die Räume, ohne zu wissen, was er anfangen sollte, er hatte Lust, sich zu entfernen, aber die hellen Fischaugen des Fürsten Cycyanow hielten ihn wie in einem Bann.

Er besah sich ihn von verschiedenen Seiten und versann sich immer tiefer in seinen Haß hinein.

In allen drei Sälen drängten sich schon Gäste, man spielte an zahlreichen Tischen. Der Rauch der Pfeifen hatte alles mit einem bläulichen Dunst überzogen, aus dem in einem fort das Klirren des hin und her geschobenen Goldes, Namen der ausgespielten Karten und hingemurmelte Zahlen vernehmbar wurden. Man unterhielt sich dabei über den Reichstag, erzählte sich die Tagesanekdoten, fluchte leise vor sich hin und erteilte Befehle an die Dienerschaft, die in allzuweiten wie zum Auswachsen bestimmten Livreen geschäftig mit Servierbrettern voller Flaschen von Tisch zu Tisch eilte.

»Denken Euer Wohlgeboren an die Worte, die ich, Srokowski, Ihnen gesagt habe: alles ist hin!«

Er entfloh dieser Unheil krächzenden Stimme und vertiefte sich wieder in den Anblick des Fürsten, setzte sich auch an einen der Seitentische heran, wo man sich mit Trinken und politischen Gesprächen befaßte, konnte es jedoch nirgends länger aushalten.

Die ganze eigentümliche Gesellschaft, die aus einer Anzahl verdächtiger Personen, russischer Offiziere und allgemein bekannter Trinker und Spieler bestand, wie Podhorski, Lobarzewski und Jozefowicz, unter denen der König der Prasser, Mionczynski, das erste Wort führte, war ihm aus tiefster Seele zuwider.

Sie erfüllten ihn mit einem unüberwindlichen Abscheu und Haß.

Auch der schreiende Prunk der Wohnung störte ihn, die in Wirklichkeit das Aussehen eines wahren Trödlermarktes hatte, derart mischten sich in ihr stolze Überreste aus Palästen mit allerlei billigem Tand.

Als er sich endlich dazu entschloß, die Gesellschaft unbemerkt zu verlassen und dem Ausgang zustrebte, tauchte der Fürst vor ihm auf und flüsterte ihm zu:

»Ich möchte mit Euer Wohlgeboren sprechen, aber in diesem Haus hier ist das nicht möglich.«

»Wir können auf die Straße gehen.«

Ein plötzliches Beben erfaßte ihn.

»Fahren Euer Wohlgeboren mit mir. Ich habe mein Quartier in der Horodnica beim Stab.«

Zaremba zögerte, als ihm aber die Befehle Jasinskis zu Bewußtsein kamen, sagte er ohne weiteres zu.

Sie verließen fast unbemerkt das Haus.


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