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Undurchdringliches Dunkel lag unter den Ästen der Kiefern und dumpfe Stille der rinnenden Nachtstunden hatte sich ihm beigesellt, nur für Augenblicke wurde sie durch das Lallen der Njemengewässer zerrissen, das durch die Nacht drang; ab und zu ließ sich ein Raunen vernehmen, das wie unterdrückte Seufzer klang, oder das trockene Knacken niederfallender Zweige. Die Nacht war tief, die Sterne leuchteten blaß und waren kaum auf dem Himmelsstreifen zu sehen, den fahle Dünste fast ganz übersponnen hatten; die tiefe Ruhe der schlafbefangenen Erde kam mit dem warmen, würzigen Atem der Wälder durch die Welt geflossen.
»Sie kommen, man hört die Stimmen über den Tau hallen!« flüsterte Pater Seraphim plötzlich, nachdem er sein Ohr gegen den Boden gelegt hatte; und tatsächlich von Grodno her kamen ferne wie hergewehte und noch ganz undeutliche Stimmen. »In einer halben Stunde müßten sie hier sein ...«
»Wenn sie das nur erst wären, dieses Warten ist mir schon ganz zuwider. Wie ist es denn mit der Vizekämmerin abgelaufen?« flüsterte Zaremba zurück.
»Sie hat Unterkunft angeboten, im Notfall selbst für alle Mann, in meiner Anwesenheit hat sie sogleich eine besondere Stafette mit einem Brief an den Verwalter ihrer dort gelegenen Güter abgeschickt. Sie ist eine eifrige Patriotin und für Euer Wohlgeboren wäre sie bereit, jedes Abenteuer zu wagen ...«
»Und die Überfahrt über den Njemenfluß?« fragte er, nicht sehr über die Wendung des Gespräches erbaut.
»Alles ist fertig. Der Trojakowski, dieser Schlaukopf, ist mit seinen Schuten voll Korn und Ochsen unterwegs nach Preußen und gerade bei Merecz hat er Aufenthalt nehmen müssen. Sollte es die Lage fordern, wird er alle in einem Nu ans andere Ufer hinüberbefördern, und dann mag der Hauptmann Kaczanowski seinen Kopf anstrengen, wie er sich aus der Schlinge zieht, falls sie ihn verfolgen sollten.
»Vom Njemen her hat jemand gerufen, da stehen unsere Reiterposten!« er sprang auf und begann ängstlich aufzuhorchen.
»Es ist nur das Rufen der Flößer,« beruhigte ihn Pater Seraphim: »sie übernachten hier wohl irgendwo am Ufer. Seit einigen Tagen wimmelt es auf dem Njemen vor allerhand Fahrzeugen. Es sollen einige große Herren von Buchholtz Erlaubnis für eine freie Durchfahrt mit Korn und Ochsen nach Preußen erhalten haben, darum beeilen sie sich so und betreiben ein reges Geschäft.«
»Er hat sich dadurch ihre Gefügigkeit bei der Abstimmung für den Vertrag mit Preußen erkauft. Wo haben Hochwürden heute den Hauptmann Kaczanowski gesehen?«
»Im Quartier von Iwanow Iwanowicz, den er, wie man zu sagen pflegt, ganz in seine Stiefel gesteckt hat, er macht mit ihm was er will. Die sind schon wahre Spundbrüder. Ich habe da hineingesehen, sozusagen als Almosenpater. Sie waren gerade mit den Freunden bei einem Trinkgelage. Der Hauptmann tat so, als sähe er mich zum erstenmal, machte allerhand Kurzweil und setzte mir ganz eklig zu, aber als ich mich anschickte fortzugehen, warf er mir einen Dukaten hin.«
»Der ist immer bereit, mit eigenem und fremden Gut um sich zu streuen.«
»Seine Geldkatze ist mächtig angeschwollen, weil er sich doch bereit erklärt hat, zum Dienst der Imperatorin überzutreten. Der Fürst Cycyanow hat ihm die Charge eines Obersten versprochen und ihm eine ganz gehörige Löhnung zukommen lassen. Von seinen neuen Kameraden muß er beim Kartenspiel auch nicht wenig gewonnen haben. Er sagte mir, es ziemte sich, den Feind auf jegliche Art und Weise zu quälen und zu hintergehen, um ihn um so wirksamer bekämpfen zu können ...«
»Der Mann setzt sich zu großen Gefahren aus, er kann dabei noch an seiner Ehre Schaden nehmen.«
»Scher' dich den Teufel, laß' Gerüchte hinken!
Wenn du Knoblauch issest wirst du danach stinken ...
das kann er mit Recht von sich sagen, aber unserer Sache wird er nicht geringen Nutzen bringen. Der wird schon aus diesen Nöten glatt herauskommen, an Listen wird es ihm nicht fehlen. Der Herr Lieutnant kehren später nach Grodno zurück?«
»Um jeden Verdacht abzulenken, muß ich mich gleich wieder in der Gesellschaft zeigen und hier und da in der Stadt umherschlendern. Ich habe außerdem eine Menge unerledigter Geschäfte; ich wollte gerade mit Lieutnant Hamilkar Kosinski das Reglement für die Freiwilligen aus Lipawa aufstellen, als mir diese unglückselige Geschichte mit dem Kasper in den Weg kam ...«
»Ich bewundere die Gefühle von Euer Wohlgeboren!«
»Der Junge steht mir näher als ein eigener Bruder. Ich befürchte nur, daß man ihn vielleicht unter Sonderbedeckung auf einer der Nebenstraßen fortgeschafft haben könnte.«
»Ich habe ihn noch gestern im Lager von Lososna gesehen, er wurde meiner ebenfalls gewahr. Unglücklicherweise ließen die Wachen eine Annäherung nicht zu. Ich möchte aber den Kopf dafür wetten, daß man ihn mit den anderen zusammen abführen wird. Wenn es gelänge, den Transport ganz plötzlich zu überfallen, den Kasper zu befreien und dann auf und davon ...! Ich kenne jede Furt über den Njemenfluß ...«
»Hochwürdens ritterlicher Geist ist sehr lobenswert, wir haben aber die Pflicht, alle diese Unglücklichen mit jenen zusammen, die in Merecz sind, zu befreien. Der Rittmeister Hlasko wartet gewiß schon vor der Stadt mit seinen Gardisten auf uns ... Mathies!« er erhob seine Stimme etwas: »steig einmal auf den Baum und sieh in der Richtung von Grodno aus. Jetzt ist nicht der richtige Augenblick zum Dreinschlagen,« begann er wieder mit dem Mönch zu flüstern: »sie würden uns bis zum letzten Mann niedermachen. Und außerdem soll unser Überfall so aussehen, als ob die Rekruten rebelliert hätten, die Wachen erschlagen und geflohen wären. Das soll ja gerade die Kunst Kaczanowskis zuwege bringen, uns eine günstige Gelegenheit zum Überfall zu verschaffen.«
»Darum also haben sich die Mirower Gardisten zu diesem Überfall wie Wegelagerer ausstaffiert ...«
»Melde gehorsamst: man sieht schon das Feuer von ihren Fackeln,« berichtete Mathies im Flüsterton.
»Schön! Den Pferden Stroh um die Hufe tun, die Mäuler zubinden, die Wachen von der Flußseite einziehen, dann zurück auf eine halbe Schußweite und auf das Zeichen warten.«
Der Schatten von Mathies verschwand geräuschlos, Zaremba aber legte sich zu Boden, um zu lauschen – man konnte schon deutlich das Knarren der Wagenräder und die fernen Pferdetritte unterscheiden.
»Einen offenen Kampf würde ich einer solchen Warterei vorziehen,« knurrte Pater Seraphim.
»Ich muß daran erinnern, daß es nur angesichts einer wirklichen Lebensgefahr erlaubt ist zu töten.«
»Gewiß, wenn der Befehl so lautet ...« brummte der Pater in den Bart und machte sich daran, seinen Rosenkranz zu beten.
Die Stille verschlang des Geflüster, der Forst stand über ihnen in Nacht versunken, stumm und wie im Schlaf erstarrt, die harzigen Düfte erfüllten die Lungen mit Wohligkeit, hin und wieder rieselten Kiefernnadeln zu Boden oder ein unsichtbarer Zweig streifte wie liebkosend ihre Gesichter. Sie saßen zusammengeduckt unter krüppeligem Birkengestrüpp, die breite Landstraße dämmerte vor ihnen wie ein langer Streifen bleicher Sackleinwand, die darübergebeugten Kiefern schienen vorgeneigt in der Richtung zu spähen, aus der immer lauteres Wagenrollen und das Gesumm von Musikinstrumenten vernehmbar wurde.
»Iwan Iwanowicz beschließt mit seiner Kompagnie den Zug!« murmelte der Mönch.
»Ich dachte, daß er an der Spitze sein würde. Zählen Hochwürden die Begleitmannschaft. Zurück! wir sind der Straße zu nah! ...« Sie krochen noch einige Schritte tiefer ins Walddickicht hinein und fielen bewegungslos zu Boden, denn schon begann aus der Nacht ein grauer, kaum erkennbarer Zug aufzutauchen. An der Spitze ritt eine Kosakenpatrouille, die die ganze Breite des Weges einnahm, sie kamen im langsamen Trott daher und nickten schlaftrunken in ihren Sätteln; erst eine Weile später schwankten die vierspännigen Leiterwagen vorüber, die mit Stroh ausgepolstert und mit liegenden Menschen angefüllt waren; sie wurden von Dragonern eskortiert, die an beiden Seiten des Zuges in langgezogener Linie ritten. Der Transport kam nur langsam vorwärts, trotz der häufig niedersausenden Peitschenhiebe und des Fluchens der Kutscher, denn die Pferde hatten es schwer in dem sandigen Weg, der obendrein auch etwas bergan ging. Ganz am Ende kamen zwei unförmige Landkutschen in Begleitung von Kosaken daher, welche Fackeln auf ihre Lanzen gesteckt hatten; eine lustige Gesellschaft, die sich damit unterhielt, einander zuzutrinken, und immer wieder in ein trunkenes Gröhlen und Kreischen ausbrach, saß dicht gedrängt in den Wagen; die Balabajkas fielen immer wieder mit ihrer Musik ein und zu ihrer Begleitung stiegen Juchzer und wüste Liedlein auf und ließ sich das Klirren der gegen die Wagenräder zerschellenden Flaschen vernehmen, so daß der ganze Forst wie von zänkischen Stimmen erfüllt schien und im vielfältigen Echo zurückhallte. Das Licht der trüben Fackeln umgab die Kutschen mit einem roten, rauchigen Glorienschein, so daß man unschwer die Gesichter der ganzen Gesellschaft unterscheiden konnte. Kaczanowski saß in der ersten Landkutsche, trank am meisten und lärmte am lautesten, als er aber an dem in der Dunkelheit auf der Lauer liegenden Zaremba vorüberkam, erhob er sich etwas, wie von einer Ahnung erfaßt, auf seinem Sitz und brüllte mit mächtigem Baß das verabredete Liedlein:
»In ein Kloster kam die Maid, kam die Maid:
Sagt dem Prior schnell Bescheid, schnell Bescheid
Muß gleich Beichte tun!« …
Lange noch hallte seine trunkene Stimme durch die Nacht, dröhnte Geschrei, klirrten die Balabajkas und lange noch konnte man den blutigen Schein der Fackeln sehen. Als erst alles in der Ferne verschwunden war, sprang Zaremba auf.
»Habt ihr den Kasper gesehen?«
»Pah, es war gar nicht möglich, etwas auf den Leiterwagen zu unterscheiden: sie lagen da nebeneinander wie lauter Tote.«
Zaremba ließ den Lockruf von einem Kibitz ertönen, und nach einer Weile wurde das vorsichtige Scharren von Schritten vernehmbar.
»Die Pferde kurz halten und im Gänsemarsch mir nach, vorwärts!« befahl er, durchquerte als erster die Landstraße, und nachdem er einen Nebenpfad nach Merecz aufgestöbert hatte, schlug er ein rasches Marschtempo ein. Sie marschierten schweigend und so vorsichtig, daß nicht einmal ein Hufeisen aufklirrte, kein Pferdeschnauben hörbar wurde und keiner über die Wurzeln des Weges stolperte; wie ängstliche Schatten bewegten sie sich vorwärts, denn hin und wider brachte noch ein Luftzug hoch oben den Widerhall des Singens und der Musik mit sich. Sie erreichten einen Weg, der sich am Rande des Waldes hinzog, und nachdem sie sich allesamt in die Sattel geschwungen hatten, jagten sie davon, was die Pferde halten konnten, ohne sich darum zu kümmern, daß ihnen die Zweige ins Gesicht peitschten. Sie galoppierten so wohl eure gute Stunde, indem sie an sandigen Feldern, kaum aus der Dunkelheit sichtbaren Dörfern, über nackte Hügel und durch sumpfige Bächlein watend dahinritten und dabei immer wieder einen Schlängelpfad einschlugen, als suchten sie eine verlorene Fährte, denn obgleich von der Stelle, wo sie auf der Lauer gelegen hatten, vielleicht nur eine kleine Meile Wegs nach Mereez war, mußten sie, der Sicherheit halber Umwege machend, mindestens noch zwei Meilen zulegen. Sie hielten dennoch zur rechten Zeit vor der Stadt, gerade als die lärmende Kavalkade von Iwan Iwanowitsch den städtischen Schlagbaum passierte. Jetzt übernahm Pater Seraphim als genauer Kenner der Umgegend das Kommando, und nachdem er ihnen befohlen hatte abzusitzen, führte er sie hinter den Häusern herum an den Gärten entlang vorwärts, indem er vorsichtig auf den Njemenfluß zu ein umzingelndes Manöver ausführte.
Trotz der späten Stunde herrschte noch nicht die übliche Ruhe in Merecz; vom Marktplatz her leuchtete es wie Feuerschein von Biwakfeuern und zahlreiche Stimmen hallten herüber. Als sie an den Ausgang einer dunklen Gaffe gelangt waren, die durch einen Graben und eine Palisade abgesperrt war, ahmte Pater Seraphim den Ruf einer Eule nach, worauf plötzlich eine Gestalt wie aus dem Boden aufgeschossen vor ihnen auftauchte und ziemlich deutlich die Worte eines Gebetes vor sich hinzumurmeln begann: Ave Maria ...
... voller Gnaden ... und gebenedeit ...
»... unter den Weibern ...« antwortete Zaremba, als er den Rittmeister Hlasko erkannt hatte, welcher sie nach einer benachbarten Scheune hingeleitete und schnell zu erzählen anhub:
»Sie lagern auf dem Markt, zweiundfünfzig Mann; dreißig davon allein sind Fahnenflüchtige aus verschiedenen in der Ukraina von den Russen beschlagnahmten Regimentern, die unter Peitschenhieben zum Dienst der Imperatorin gezwungen wurden, die Spione haben diese Deserteure bei den Njemenüberfahrten aufgestöbert und haben sich ihrer mit Gewalt bemächtigt; diese sind zu jedem Abenteuer bereit, wenn sie sich nur ihrem furchtbaren Schicksal entziehen können, denn es harrt ihrer Spießrutenlaufen und das Rad. Sie werden in Fesseln gehalten und streng bewacht. Ich habe mich mit ihnen verständigt und sie für alle Fälle mit Messern und Terzerolen bewaffnet. Der Rest, das ist allerhand Gesindel, Räubervolk und Soldaten aus den entwaffneten Regimentern, die man durch Versprechungen ungewöhnlich hoher Löhne und mit Schnaps angeworben und dann mit Stockhieben ins russische Lager getrieben hat. Auch diese werden sich bereitwillig empören, denn die Freiheit hat sie wieder gestochen. Ich habe ihnen allen je einen Dukaten gegeben und den Marketender bezahlt, daß er ihnen ordentlich zu essen gibt. Die Eskorte ist nicht groß, vierzig Jäger und eine Abteilung Kosaken, aber der Zugoffizier ist sehr gerissen und kein Saufaus. Sie führen auch Wagen mit sich, die ganz mit Kisten vollgepackt sind und mit allerhand Schätzen angefüllt sein sollen, die sie im vorjährigen Krieg geraubt haben und jetzt ins Innere von Rußland schaffen wollen; unter einer besonderen Bewachung von Pferdeknechten transportieren sie auch einen ganzen Haufen artiger Pferdchen. Die Wagen und die Pferde sind in der Scheune des Pfarrhofes an der Kownoer Landstraße untergebracht. Meine Soldaten habe ich bei verschiedenen Bürgern der Stadt einquartiert und die Pferde in der Nähe des Flusses. Trojakowski hält die Kähne in Bereitschaft, denn gegebenenfalls wird es nötig sein, daß wir auf die andere Seite des Njemens flüchten. Sie sollen beabsichtigen, auf Wilno zu weiterzuziehen und zwar sogleich nach Empfang des Tagesbefehls,« berichtete er ausführlich.
Pater Seraphim fragte ihn noch um allerhand Einzelheiten aus, Zaremba aber sagte leise, nachdem er den Schafpelz von Mathies übergezogen und sich dessen Pelzmütze tief über die Augen gedrückt hatte:
»Jetzt haben wir nur noch auf das Zeichen von Kaczanowski zu warten. Ich gehe hin, die Lage auszukundschaften. Euer Wohlgeboren bitte ich, mich zu führen.«
Sie wandten sich durch eine schmutzige, elende Gasse einem geräumigen Marktplatz zu, der dicht mit Läufern umstellt war und in dessen Mitte unter hohen Bäumen Biwakfeuer lohten, an denen ringsum die Gefangenen lagen. Eine Wagenburg umgab sie mit einer zur Verteidigung gut geeigneten Schanze, an den Durchgängen standen die mit Karabinern bewaffneten Jäger, der Rest der Soldaten aber hatte die Gewehre in Pyramiden aufgestellt und schlief unter dem Schutz der Wagen.
In den Fenstern der Häuser, die mit ihren auf Säulen gestützten Giebelseiten dem Marktplatz zugewandt standen, schimmerte Licht, man sah viele Menschen sich in den Lauben hin und her bewegen und konnte von dorther das Stimmengemurmel der Juden hören.
»Wir wollen zuerst mein Quartier aufsuchen,« schlug Rittmeister Hlasko vor, während er Zaremba durch einen niedrigen Flur in eine große, dunkle Stube führte, deren Fenster nach dem Markt zu lagen. An der entgegengesetzten Marktseite, ihnen gegenüber, stand ein weißgetünchter untersetzter Bau, in dem sich der Gasthof befand. Vor diesem Hause war jetzt ein lauter Stimmenlärm und ein lebhaftes Durcheinander entstanden, alle Fenster erhellten sich plötzlich; der Transportzug von Iwan Iwanowitsch hatte davor soeben Halt gemacht, die Landkutschen wurden in den Hof geschoben und die Leiterwagen stellte man unter Bewachung abgesessener Dragoner in einer langen Reihe vor den benachbarten Häusern auf. Es ließ sich dabei die befehlende, zornige Baßstimme von Kaczanowski häufig hören.
»Der muß bei jeder Gelegenheit das Kommando für sich in Anspruch nehmen,« lächelte Zaremba.
»Würden der hochmögende Herr erlauben, die neuen Ankömmlinge auch zu laben?« fragte eine Stimme aus dem Hintergrund der Stube.
»Gib ihnen so viel sie nur essen und trinken wollen. Das ist mein Wirt, ein ganz sicherer Mann, ein Verwandter von Borysowicz aus Grodno,« erklärte Rittmeister Hlasko.
»Das wäre eine vorzügliche Gelegenheit,« dachte Zaremba, indem er auf den Hauswirt zuging. »Warte Er doch, ich will ihm bei der Arbeit helfen.« Und er folgte dem Mann, um mit seinem Knecht gemeinsam die schweren Mulden zu schleppen, die mit Brotlaiben und Würsten angefüllt waren. Rittmeister Hlasko, seinen Stolz beiseite lassend, trug ihnen ein artiges Fäßlein Schnaps nach.
Die Dragoner verwehrten zunächst den Zutritt zu den Gefesselten, nachdem man sie jedoch durch eine reichliche Bewirtung geneigt gemacht hatte, taten sie, als sähen und hörten sie nichts und marschierten im gemessenen Tritt an den Wagen auf und ab, nur hin und wieder zur Eile mahnend.
Eine starke, freudige Bewegung machte sich in den Wagen bemerkbar, über deren Rändern nach und nach die strahlenden Gesichter der Gefangenen auftauchten. Hände streckten sich aus und Zungen begannen, angesichts des leckeren Schmauses und des in Aussicht stehenden Schnapses begehrlich zu schnalzen und zwar um so eifriger, da kein Mensch die Land ausstreckte, um dafür eine Bezahlung zu verlangen. Sie machten sich wie die ausgehungerten Wölfe über das Essen her.
Zaremba, der Wagen nach Wagen abspähte, hatte plötzlich Kasper entdeckt. Er lag mit Stricken gefesselt wie ein Schaf da, auf die bekannte Stimme versuchte er sich etwas zu erheben und erstarrte, vor Staunen seinen eigenen Augen nicht trauend.
»Keinen Ton! Iß etwas,« flüsterte ihm Zaremba zu und begann ihn wie ein Kind zu füttern und zu tränken.
Der Bursche konnte nur schwer das Essen hinunterzwingen; Tränen der Rührung tropften immerzu auf die Wurst herab, die Zaremba ihm reichte.
»Warte auf den Eulenschrei ... Dann sofort die Wachen binden ... Sammelt euch am Fluß ...« flüsterte er ihm eindringlich zu, und den Augenblick benutzend, daß der Wachtposten ihnen den Rücken drehte, schnitt er Kasper die Handfesseln durch und steckte ihm einen Dolch und ein Terzerol zu. »Verrate dich nicht!« mahnte er im Flüsterton. Er warf eine große, runde Wurst auf den Wagen und sprang zurück, denn der Wachtposten kam auf sie zu; ein Offizier war vor die Wagenreihe getreten. Zaremba mischte sich darauf unter einen Haufen Juden und einfachen Volks, der sich um die Fenster des Wirtshauses drängte. Das Gelage hatte schon begonnen, das Spiel der Balabajkas ließ sich aus der Gaststube vernehmen, wo man trank, sang und lärmte.
»Ich glaube jetzt wirklich an einen Erfolg,« murmelte Hlasko, der sich ihm genähert hatte.
»Ein Soldat darf nicht zweifeln,« gab er im Flüsterton zurück und lugte eifrig in die Fenster, hinter denen die Gestalt von Kaczanowski ab und zu vorüberglitt. Er schien ihm besorgt und unruhig; Kaczanowski machte sich indessen unaufhörlich in der Stube zu schaffen und warf hin und wieder einen heimlichen Blick nach den Fenstern hin, als er jedoch vors Haus getreten war, um seine Notdurft zu verrichten, hörte man ihn lustig vor sich hinpfeifen. Zaremba antwortete mit dem verabredeten Pfiff, was zur Folge hatte, daß das Gesicht Kaczanowskis in plötzlicher Zufriedenheit erstrahlte, und als er wieder in die Stube zu seinen Kumpanen zurückgekehrt war, begann er ihnen etwas derartig Lustiges zu erzählen, daß die anderen sich vor Lachen die Bäuche hielten und mit lautem Geschrei auf seine Gesundheit tranken.
Nach einer gewissen Zeit wurde eine große Tonne Bier für die Begleitmannschaft herausgerollt und die Wirtshausknechte, die den Spund herausgeschlagen hatten, begannen die Maßkrüge zu füllen und sie herumzureichen. Die Soldaten, die scheinbar in strenger Zucht gehalten wurden, rührten den Trank nicht an und schielten ängstlich zu den Fenstern und den Vorgesetzten hinüber. Sie warteten, bis man ihnen ausdrücklich die Erlaubnis dazu erteilen würde; erst auf Kaczanowskis gnädigen Zuspruch begannen sie, nachdem sie sich etwas weiter in den Hintergrund des Marktplatzes zurückgezogen hatten, auf ihre Weise zu schmausen, umsomehr, da Hlasko befohlen hatte, ihnen ein Achtel Schnaps, ein kleines Fäßlein Met und ein Tönnchen Salzheringe hinzuzutun.
Mittlerweile unterhielt sich im Gasthof die Offiziersgesellschaft immer lustiger und lärmender. Man sperrte die Fenster infolge der innen herrschenden Schwüle auf, warf die Waffenröcke ab und tanzte und trank dazwischen unmäßig, während die Balabajkas unermüdlich aufspielten. Irgendwelche Grodnoer Fräulein, bis auf die Hemden entkleidet, mit aufgelöstem Haar, barfuß und betrunken, wanderten von Hand zu Hand unter wildem Gelächter, Gekreisch und verwegenen Küssen. Jeden Augenblick wurde ein neues unzüchtiges Liedlein angestimmt, dem zur Begleitung die Scheiben eingeschlagen, Flaschen zertrümmert, die Tische mit den Stiefelabsätzen bearbeitet und die Möbel kurz und klein gehauen wurden. Es hatten sich in der Gesellschaft auch einige schmutzige, zerlumpte und barfüßige Dirnlein hinzugefunden, die zur Unterhaltung aus dem Städtchen herbeigeschafft worden waren, man zwang sie zu trinken und unter Peitschengeknall laut juchzend possierliche Sprünge und Tänzlein zu vollführen. Die ganze Gastwirtschaft erbebte unter diesem Lärm, diesem Getrampel und wahnsinnigen Toben.
Kaczanowski leitete unermüdlich das Gelage; er trank für zehn, schrie am lautesten, und indem er immer wieder die gefährlichsten Mischungen aus Wein, Schnäpsen und Met zusammenbraute, verstand er es, jeden Augenblick einen neuen Toast ausfindig zu machen, wodurch er alle dazu zwang mitzutrinken; wenn aber einer von seinen »Spundbrüdern« schwach wurde und besinnungslos zu Boden sank, befahl er den Kosaken, ihn auf seinen ausgebreiteten zottigen Krimmermantel zu legen, stimmte den Totenchoral der Säufer an, und die reichlich mit Weinhefe begossene Leiche wurde unter unzüchtigen Liedern und Gläserklang, vom Wimmern der Balabajkas begleitet, in eine dunkle Nebenstube geschafft.
In kurzer Zeit war schon der größere Teil der Gesellschaft sinnlos betrunken und torkelte mit immer lauter werdendem Geschrei in den Stuben umher. Einer übergab sich über den Tisch, gerade wie ihm die Not angekommen war; ein anderer hatte sich mitten in der Schankstube stramm ausgerichtet und begann laut zu kommandieren, als hätte er eine ganze Kompagnie vor sich, worauf er dann auf der Stelle mit den Füßen im Paradeschritt zu trampeln anfing, bis er über ein hervorstehendes Dielenbrett stolperte und auf den Fußboden niederpurzelte; ein dritter im Hemd und Pluderhosen mit einer Flasche Schnaps in der Land verbeugte sich wie im Gebet gegen die Wand und trank immer wieder einen hinterdrein; ein Milchbart säbelte mit seinem Degen verbissen die Kerzen eine nach der anderen ab; zwei ältere mit Gesichtern, die voll mächtiger Schmisse waren, umarmten sich ununterbrochen und zerflossen, einander ihre Sünden beichtend, in Tränen.
»Sag«, daß ich ein Schwein, ein Lump und ein Dieb bin!« lallte der eine unter unaufhörlichem Rülpsen.
»Du sollst mir ins Gesicht spucken und mich aufs Maul schlagen, du! wenn du mein Freund bist!« wiederholte der andere eigensinnig.
Ein junges, zu einem Knäuel zusammengekauertes Frauenzimmer in einem von Wein ganz durchnäßten Hemd schlief auf einem Haufen von Militärröcken und Offiziersmontage, etliche lagen betrunken auf den Bänken herum und aus dem Nebenzimmer hörte man das wollüstige Aufkreischen ihrer Genossinnen; die Stube bot ein widerliches Bild. Nur der einzige, Iwan Iwanowitsch, obgleich er ebenso wie die anderen getrunken hatte, hielt sich noch stramm aufrecht und zerdrückte mit Küssen die Lippen seiner »Duschka«, Russisch »Seelchen«. die er auf dem Schoße sitzen hatte und der er immer von neuen: die zärtlichsten Beschwörungen zulallte.
»Ein starker Kopf,« dachte Zaremba, der draußen ganz ruhig auf das Ende des Gelages wartete.
Er entfernte sich, um den Erfolg der Sauferei bei der Mannschaft zu ermitteln. Sie schliefen schon, die einen unter den Wagen, die anderen wie der Schlaf sie gerade befallen hatte; nur noch die Wachen erweckten den Anschein, nüchtern zu sein, denn man sah noch hier und da einen Soldaten auf seinen Karabiner gestützt aufrecht stehend nicken oder mit bleischweren Schritten und geschlossenen Augen auf und ab gehen, sich nur aus Angst immer wieder zusammenreißend.
Die Biwakfeuer waren erloschen, die Gaffer nach Hause gegangen, die Fenster in den Läufern gähnten schwarz und der ganze Marktplatz lag in undurchdringliche Dunkelheit, Stille und Schlaftrunkenheit gehüllt.
Bei der Wagenburg und unter denen, die gefesselt an den schwach glimmenden Feuerstellen lagen, war indessen eine gedämpfte, vorsichtige Bewegung entstanden, die sich wie ein Scharren, Geflüster und Strohknistern anhörte.
Zaremba ließ sich vor dem Quartier Hlaskos nieder und beobachtete aufmerksam die Gastwirtschaft, in der es schon bedeutend stiller geworden war, selbst die Stimme von Kaczanowski klang immer dumpfer von dort herüber.
Dunkle Nacht lag noch über der Erde, nur am östlichen Himmel begann perlgraues Frühlicht zu schimmern, die Sterne erloschen wie Augen, die der Schlaf überwältigt hatte, die Hähne stimmten ihren Morgenruf an und vom Njemen her erhob sich ein kühler Luftzug.
»Die Leute beben vor Ungeduld,« hörte er das Geflüster Hlaskos, der mit einemmal wieder neben ihm erschienen war.
»Im Augenblick werden wir über sie herfallen können, die Lichter sind bald niedergebrannt und alle sind sie schon betrunken,« er wies nach der Gastwirtschaft. »Ist die Landstraße nach Grodno zu abgegraben?«
»Soeben habe ich Meldung erhalten, daß die Arbeit fertig ist.« Er trat auf seinen Posten zurück.
»Mathies!« Der Bursche saß in hockender Stellung und benagte einen Knochen, »schiebe dich an Kasper heran und stehe ihm bei, wenn etwas vorkommen sollte. Hier hast du Schnaps ...!«
Die Zeit schleppte sich langsam dahin, das Frühlicht war zu einem Meer hellgrünen Schimmers angewachsen, so daß die Dächer der Läufer und die Kirchturmspitzen immer deutlicher aus der Dämmerung hervorwuchsen und sich dunkel auf dem zart schimmernden Himmelsgrund abzuzeichnen begannen.
Plötzlich ließ sich durch die Stille dreimal die Stimme eines Uhus vernehmen.
Zaremba stürzte in der Richtung Kaspers fort, welcher auf das Zeichen Kaczanowskis mit seinen Kameraden die Wachen überfallen hatte, um ihnen die Waffen zu entreißen und die Überwältigten zu binden.
Es erhob sich ein wildes Geschrei, Schläge erdröhnten, denen ein wüstes Handgemenge folgte. Die Mirower Gardisten überfielen indessen wie hungrige Wölfe den Rest der Reiterposten, und ein allgemeiner Kampf entspann sich. Furchtbares Schreien, klägliches Röcheln und dumpfes Stöhnen der Gewürgten entrang sich dem Dunkel, das über dem Platz lag; unter den Wagen hervor und an den Häusern entlang wurden die Stimmen der Kämpfenden hörbar, hier und da ließ sich selbst schon ein greinendes Flehen um Gnade vernehmen. Leicht fiel die Überwältigung der Jäger nicht, denn viele von ihnen, die nicht so stark betrunken waren, wie es vorher den Anschein hatte, sprangen beim ersten Schrei zum Kampf auf und verteidigten sich, nachdem sie das Fehlen ihrer Karabiner festgestellt hatten, voll düsterer Entschlossenheit und erstaunlicher Zähigkeit mit den bloßen Fäusten. Auf dem Marktplatz brodelte es auf wie in einem Hexenkessel. Sie balgten sich wütend und versuchten einander unter Fluchen und wütendem Geheul zu Boden, gegen die Wagen und Häuserwände, oder wie es gerade kam zu schleudern. Das Städtchen war voller Entsetzen erwacht, Fenster klappten hier und da, Lichter blitzten auf, Menschen stürzten in Hemden vor die Häuser, Weiber erhoben ein Klagegeschrei, Kinder weinten und die Hunde begannen zu kläffen und wie besessen hin und her zu jagen.
Plötzlich ratterte irgendwo wie vor der Gastwirtschaft am Markt ein wütender Trommelwirbel los, und aus dem Flur stürzte Iwan Iwanowitsch mit dem Säbel in der Rechten und einer Pistole in der Linken.
»An die Gewehre! formiert euch!« brüllte er aus allen Kräften und gab einen Schuß ab.
Kasper sprang auf ihn zu, doch ehe er ihn mit den Händen greifen konnte, erhielt er einen Säbelhieb über den Kopf und sank zu Boden, jenem aber gelang es, so wie er ging und stand, in Hemd und Pumphose, die Dragonerpferde, die neben dem Gasthof untergebracht waren, zu erreichen. Er schwang sich in den Sattel und jagte mit einigen Kosaken in der Richtung des städtischen Schlagbaums davon, daß die Funken unter den Hufen stoben.
Zaremba schoß auf ihn. Iwan Iwanowitsch griff nur nach seinem Hinterteil, und sein Pferd mit den Füßen und dem flachen Säbel bearbeitend, verschwand er in der Dunkelheit.
»Wachtmeister Grodzicki, Er nehme sofort zehn Gardisten und jage hinterdrein, was die Gäule herhalten, quer auf die Grodnoer Landstraße zu und wenn Er ihn nicht in einer halben Stunde einholt, dann kehr' Er sofort zurück,« befahl Zaremba, und nachdem er sich überzeugt hatte, daß alle gefangengenommenen Soldaten schon gefesselt und in eine Scheune gebracht worden waren, wandte er sich erst Kasper zu. Sie schafften ihn nach dem Brunnen am Markt, wo er auf den erbeuteten Mänteln zurechtgelegt wurde; sein Kopf wies eine gewaltig klaffende Wunde auf, das Blut quoll reichlich und die Besinnung war geschwunden. Zum Glück hatte ihn Pater Seraphim, der ein Meister in der Kunst der Wundenbehandlung war, schon verbunden und bald darauf auch zur Besinnung gebracht.
»Er wird davonkommen. Aber wenn das nicht so nahe gewesen wäre, dann hätte er ihm den Kopf wie einen Kürbis aufgeschnitten. Das ist ein Mordskerl, dieser Iwan Iwanowitsch! Wie fühlst du dich denn jetzt?«
»Gott bezahl's, nicht schlecht. Nicht einmal einen Stock hatte ich in der Hand,« stöhnte er beschämt auf.
»Sei ruhig, was geschehen ist, ist geschehen,« murmelte Zaremba, indem er ihm das mit Schweiß und Blut bedeckte Gesicht abwischte. »Vielleicht bietet sich eine Gelegenheit, dann kannst du es ihm heimzahlen. Mathies, die Pferde her! Brauchst keine Angst zu haben, Kasper, hier lasse ich dich nicht zurück! Euer Gnaden, Herr Rittmeister Hlasko, bitte ich, sobald die zur Verfolgung abgesandten Leute zurückgekehrt sind, die Mirower Gardisten zu sammeln und sie zurückzubringen, woher sie gekommen sind, jeder soll drei Dukaten haben, sie haben ihre Sache gut gemacht. Ich überlasse es der Geschicklichkeit Eurer Wohlgeboren, der voraussichtlichen Verfolgung auszuweichen. Wir treffen uns in Grodno. Wird er den Weg auch aushalten können?« fragte er Pater Seraphim im Flüsterton, dabei auf den Verwundeten weisend.
»Er muß es, ich komme mit Euch. Wir werden allerhand Umwege machen müssen, der Sicherheit halber.«
Mit einemmal tauchte Kaczanowski auf, der nach dem gegebenen Zeichen zum Überfall irgendwohin verschwunden war, um seinen Trinkkumpanen aus den Augen zu kommen, er erkundigte sich, was man jetzt mit ihnen anfangen sollte.
»Man soll sie alle so wie sie geknebelt daliegen in die Gasthauskammer bringen, die Waffen abnehmen, aber das ganze Gepäck dalassen. Dem Schankwirt unter Todesandrohung einschärfen, daß er sie erst zu Mittag befreit. Sie werden nicht sehr gern nach Grodno heimkehren. Aber dieser Iwan Iwanowitsch wird uns hier eine schöne Suppe einbrocken, wenn es ihm gelingt, der Verfolgung zu entwischen, in drei vier Stunden haben wir hier die Russen.«
»Ich werde nicht erst darauf warten; meine Leute laß' ich die erbeuteten Pferde besteigen und dann können mir die Herren Allianten nach Kuckucksheim schreiben,« er schwankte und wäre fast hingefallen. »Hundsverdammt, ganz schwindlig bin ich mit einemmal geworden.«
»Die Beine sind voll Wankelmut, wenn nicht der Kopf das seine tut!« lachte der Mönch anzüglich.
»Sodbrennen hab' ich, pfui Teufel, bin ich denn wirklich besoffen oder was soll das? ... Heda, du Lümmel, spring mal nach dem Gasthaus und hole mir eine Schüssel Sauerkraut, das ist das sicherste Mittel.«
»Euer Wohlgeboren haben da ordentlich was hinter die Binde gegossen, selbst eine Tonne hätte nicht mehr fassen können.«
»Aber unser Ziel haben wir erreicht und den Iwan Iwanowitsch habe ich zum Narren gehalten, wie es sich gehört.«
»Der wird an Euer Gnaden mit Zähneknirschen zurückdenken!« ließ sich Rittmeister Llasko vernehmen.
»Hat sich der Danziger Vogt auf den König von Polen erzürnt« ... er machte eine verächtliche Gebärde mit der Land. »Laß ihn dem Wind im Feld nachjagen. Wollen nicht Euer Wohlgeboren eine Revue dieser Strauchdiebe machen?«
Zaremba als der Anführer der ganzen Expedition trat an die Leute heran, die sich an den wieder angefachten Biwakfeuern zu schaffen machten.
»Formiert euch! Front geradeaus! Marsch!« schrie Kaczanowski wie bei einer Parade. Der Haufen schloß sich reihenweise zusammen und trampelte los, daß der Boden erdröhnte.
»Eins, zwei! Eins, zwei! Halt!« sie hielten plötzlich vor Zaremba, als wären sie am Boden festgewachsen. Er mußte lachen, denn die meisten hatten sich in die russischen Uniformen gesteckt und mit den Waffen versehen, die den gefangenen Soldaten abgenommen worden waren, und wem ein Karabiner fehlte, der trug eure Kosakenlanze geschultert, selbst die Trommler standen an den Flügeln.
»Eine solche Parade wird nur die Aufmerksamkeit auf sich ziehen.« Er war unzufrieden.
»Die Burschen waren doch ganz in Lumpen und ohne Stiefel, außerdem verlaust von oben bis unten,« verteidigte sich Kaczanowski, verdrießlich über den Tadel. »In dem ersten Städtchen lasse ich ihnen von den Schneiderseelen andere Beschläge in unseren Farben aufnähen, dann kommt kein Mensch dahinter. Eine neue Montur für hundert Mann nahezu das ist keine Kleinigkeit! Die Pferde und Wagen habe ich nach der Überfahrt geschickt. Ich möchte mich noch vor Tagesanbruch in die Wälder jenseits des Njemen vergraben. Es ist für mich die höchste Zeit, daß ich fortkomme.«
Nachdem er seine Leute nach der Flußüberfahrt dirigiert hatte, empfing er von Zaremba Geld für die bevorstehenden Ausgaben, die nötigen Anweisungen und die Pläne der Gegenden, durch die er zu ziehen hatte, um sich der Brigade von General Madalinski anzuschließen, welche irgendwo am Narewfluß in der Nähe von Ostrolenka stationiert war. Er verabschiedete sich herzlich von den Kameraden und entfernte sich schwankenden Schrittes.
»Ein toller Kerl. Ich möchte nicht in seiner Haut stecken«, sagte Rittmeister Hlasko und wandte sich zum Gehen, um seine Gardisten aufzusuchen, die auf ihn irgendwo in den Wintergärten des Städtchens warteten.
»Den Kasper nehmen wir aufs Pferd zwischen uns,« meinte Zaremba.
»Es scheint mit ihm nicht ganz gut zu stehen, ich bitte Euer Wohlgeboren, ihn sich anzusehen,« murmelte der Mönch ängstlich.
»In Merecz lasse ich ihn auf keinen Fall, sie werden hier alles auf den Kopf stellen. Ich nehme ihn vor mich aufs Pferd und bringe ihn schon irgendwie fort. Kasper!« er beugte sich über ihn, aber der Verwundete gab keinen Laut von sich, nur seine Lippen bewegten sich, er machte den Eindruck eines, der das Bewußtsein verliert.
»Barmherziger Gott! Helft doch, Hochwürden!« Verzweifelt griff er nach seinem Kopf.
»Ich nehme ihn auf mein Wägelchen, das hier seit gestern auf mich wartet und bringe ihn ins Quartier der Frau Vizekämmerin. Man müßte ihr nur davon Mitteilung machen.«
»Mathies kann gleich zu ihr hinreiten, ich fahre mit Euch.«
»Der Sicherheit halber führe ich lieber allein, ich muß einen beträchtlichen Umweg machen, aber heute abend bin ich in Grodno. Fahren Euer Wohlgeboren in Gottes Namen allein ohne langes Reden.« Er schlug zum Abschied das Zeichen des Kreuzes über ihn. Kurz vor Sonnenaufgang sah man den Wagen eines Almosenpaters aus Merecz hinausfahren. Wie üblich, gingen die Leithammel an der Spitze, die ein ziemlich ansehnliches Häuflein rasch unter der Hand erstandener Schafe beisammenhielten; der Kutscher nickte auf seinem Bock, die Gäule trotteten träge vorwärts und Pater Seraphim, der seine Gebete murmelte, warf besorgte Blicke auf den unter dem Plandach liegenden Kasper, dem er hin und wieder Nasenlöcher und Gesicht mit Schnaps befeuchtete. Der Wagen bog gerade von der Grodnoer Landstraße links auf einen Feldweg ab, der auf die Wälder zulief, als die große, rote Sonnenkugel am Himmel aufging.