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Am nächsten Morgen suchte Hermine Herrn Saß in der Concordia, fand ihn aber nicht, weil Saß sie zu gleicher Zeit beim Hilfsausschuß des Bahnhofs suchte, wo er sie gleichfalls nicht fand. Er wollte erkunden, warum die sonst so menschenfreundliche Dame die Schauspieler so schroff abgewiesen, während Hermine dagegen in wahrer Gewissensangst zu erfahren begehrte, warum sie die armen Leute eigentlich nicht hätte abweisen sollen.
Um zum Ziele zu kommen, ging Hermine am Nachmittag um vier Uhr zur Stadt; sie wollte Saß in seiner Wohnung aufsuchen. Und Saß ging zur selben Zeit hinaus nach dem Rohdaschen Hause, um Hermine zu sprechen.
Mitte Wegs, beim Haderturm, begegneten sie sich, ja man kann sagen, sie prallten aufeinander: Eines war so überrascht wie das Andere, und Beide mußten lächeln, als sie sich gegenseitig begrüßten und sich mitteilten, daß sie sich von Nord und Süd in Bewegung gesetzt hätten und nun hier in der Mitte zusammengetroffen waren, um über die hilflosen Schauspieler zu sprechen.
Da aber die Straße hierfür doch nicht der ganz geeignete Ort zu sein schien, so erbat sich Saß die Ehre, daß Fräulein Aweling gleich rechts in sein Museum eintreten möge, wo sich die stillen Räume der »Gotik« trefflich eigneten zum Bereden und Beraten.
Hermine folgte willig.
Sie schaute sich nur flüchtig in dem ersten gotischen Zimmer um, wo im Vordergrunde das romanische Rauchgefäß auf einem mit dunkelrotem Samt verhängten Sockel prangte. Saß deutete mit leichter Handbewegung auf das seltene Stück, ohne ein Wort zu sagen, und Hermine antwortete, indem sie ihm, gleichfalls schweigend, einen wohlgefälligen Blick zuwarf.
Nachdem Hermine auf einem gotischen Bischofsessel Platz genommen und Saß auf einem alten Bauernstuhle, der aber keineswegs gotisch war, bat Letzterer beginnen zu dürfen, da er sich zu entschuldigen und zu rechtfertigen habe.
Einfach, aber bewegend erzählte er, wie die Schauspieler durch den Krieg in unverschuldete Not geraten und furchtbar rasch von Stufe zu Stufe heruntergekommen seien. Für solche Leute lasse sich weit schwerer passende Beschäftigung finden als für Handarbeiter, und doch müsse geholfen werden. Seine Erkundigungen über die Persönlichkeiten hätten nur Günstiges ergeben. Die Kunst verliere freilich nichts, wenn die Herren und Damen Schneider, Schuster und Zwiebelmann nicht mehr vor die Lampen träten. Nur ein Mitglied sei ein verheißungsvolles, ja schon erprobtes Talent: die jugendliche Liebhaberin, Frau von Landfried – –
»Also hat mich mein Ohr doch nicht getäuscht!« rief Hermine, jäh auffahrend dazwischen. »Wer gibt dem Frauenzimmer das Recht, diesen Namen eines edeln Geschlechtes als Bühnennamen zu führen?«
Nachdrücklich entgegnete Saß: »Das Recht ist bekundet in ihrem Trauschein, den sie bei sich trägt, den sie wie ein Heiligtum verwahrt, und welcher besagt, daß Fräulein Marie Armgard am 1. März 1869 mit dem Freiherrn Hugo von Landfried in Magdeburg getraut worden sei.«
»Hugo? – So hieß Wolfgangs Neffe,« sprach Hermine sinnend. »Er war ein vierzehnjähriger Knabe, als ich mit seinem Oheim verbunden – –;« ihre Stimme verlor sich und sie blickte stille vor sich hin. Dann schien sie plötzlich zu erwachen und sprach: »Fräulein von Rohda hat Ihnen, Herr Saß, so viel von meiner Lebensgeschichte berichtet, daß Sie wohl wissen, wie sehr mich der Name Landfried berührt, den ich selber sogar zu führen berechtigt wäre. Können Sie mir Genaueres von jener Heirat erzählen?«
»Es ist eine kurze Geschichte,« entgegnete Saß, »und rührend wie eine Sage aus alter Zeit. Hören Sie an!
»Marie Armgard ist ein Schauspielerkind und ein echtes Theaterkind dazu. Gleichsam auf der Bühne aufgewachsen, entfaltete sie schon frühe ihre reizende Naturgabe für kindliche, neckische und doch auch wieder fein empfundene Rollen. Ihre zierliche Gestalt, ihre allzeit anmutige Beweglichkeit kam hinzu: die Zuschauer waren entzückt, weil sie sahen, mit welcher Lust das junge Ding Komödie spielte, so echt und natürlich, fein und rein, daß es gar keine Komödie mehr war. Schon mit achtzehn Jahren wurde sie Mitglied des Magdeburger Stadttheaters.
»Damals lag Lieutenant Hugo von Landfried dort in Garnison, gleichfalls noch ein junger Mann von dreiundzwanzig Jahren. Als eifrigem Theaterbesucher entging ihm die wunderbare Begabung der Armgard nicht. Anfangs gefielen ihm ihre Rollen ganz besonders, dann die Kunst ihrer Darstellung, dann das ganze Mädchen, welches er sich in ihrem häuslichen Leben gerade so kindlich naiv, so treuherzig, so neckisch, so fein empfindend dachte wie auf dem Theater.
»Schüchtern suchte er sich ihr zu nähern, was nicht leicht gelang. Ein echtes Theaterkind hat gar keine Zeit für Bekanntschaften außer der Bühne. Aber dem Beharrlichen glückte es zuletzt doch. Seine Neigung entzündete Mariens Neigung; sie liebten sich. Im hellen Feuer jugendlicher Schwärmerei setzte er sich über alle Bedenken hinweg und warb um ihre Hand. Lange zögernd, willigte sie endlich ein. Alles stand der Heirat entgegen, selbst Mariens Eltern mißbilligten sie. Landfried erkannte, daß er als Offizier seinen Abschied nehmen, daß er mit seiner Familie brechen müsse, um diese Frau zu gewinnen. Er that Beides. Er beschloß Schauspieler zu werden: vereint mit ihr wollte er fortan sein ehrlich Brot verdienen. Er nahm dramatischen Unterricht und machte beim brennendsten Eifer die schlechtesten Fortschritte; die Liebe ersetzt vieles, nur nicht die Kunstbegabung, und fürs Theater war Hugo von Landfried nicht geboren.
»Zwei Jahre vergingen. Die Verlobten blieben fest, und so wurde endlich die Ehe geschlossen. Marie, deren seltenes Talent inzwischen Aufsehen erregt hatte, erhielt einen günstigen Ruf zur Dresdener Hofbühne. Sie wollte ihn nur unter der Bedingung annehmen, daß ihr Mann zugleich mit ihr dort angestellt würde. Die Intendanz aber weigerte sich, den mittelmäßigen Kunstjünger mit in Kauf zu nehmen. Hierauf brach Marie die Verhandlungen ab, und es blieb ihr zuletzt nichts übrig, als bei der Truppe des Ignaz Gloska einzutreten, weil man sie sonst nirgends mit ihrem Mann zusammen haben wollte.
»Sie sprach: ›Er hat mir seinen Stand, sein Amt, den Frieden mit seiner Familie geopfert; das Opfer, welches ich ihm dagegen bringe, ist sehr klein: ich opfere ihm nur meinen künstlerischen Ehrgeiz.‹
»So lebten, liebten und schafften die Beiden glückselig miteinander, obgleich in den ärmlichsten, kleinsten Verhältnissen. Die Landfriedsche Familie bot dem ›Entarteten‹, wie sie ihn nannten, eine stattliche Summe, wenn er samt seiner Frau den Namen Landfried ablegte, wenn er ihn wenigstens nicht mehr auf den Theaterzettel setzen ließe. Hugo wies das Anerbieten schroff zurück und sprach: ›Das edle Weib, welches ich gewann, ist der Segen meines Lebens, und die Kunst, zu der ich aufstrebe, ist mein Stolz, ich werde diesen Stolz und diesen Segen nicht verleugnen, indem ich mir's abkaufen lasse, ihn mit meinem Namen überall und öffentlich zu bekennen.‹
»So verging Beiden ein Jahr des reinsten, stillen Glückes.
»Da steigerte sich ein Lungenleiden, welches schon lange an Hugos Gesundheit tückisch genagt hatte, plötzlich zu tödlicher Kraft. Im dreizehnten Monat ihrer vor Gott geschlossenen und von Gott gesegneten Ehe stand die arme Marie am Sarge ihres geliebten Mannes mit dem dreimonatigen Kind auf dem Arme, welches sie ihm geschenkt hatte. Die Geschichte ist zu Ende.«
Hermine hatte mit wachsender Spannung zugehört. Aber all die Gedanken und Gefühle, welche in den wenigen Minuten kämpfend durch ihre Seele zogen, gipfelten zuletzt in dem Ausruf: »Das Leid der Unglücklichen muß gelindert, das Los der Aermsten verbessert werden! Ich will sie zu mir nehmen, ich will für sie sorgen, sie darf keinen Tag mehr in dieser unwürdigen Gesellschaft bleiben.«
Saß stimmte der edeln Absicht bei, widerriet jedoch die Art der Ausführung. Man dürfe die Pflanze nicht dem Boden entreißen, darin sie gewurzelt sei. Marie habe ihre hellsten Glückstage und ihre dunkelsten Schmerzensstunden bei der Truppe verlebt. Das Wirken für dieselbe sei ihr ein schmerzlich süßer Trost. Sie werde sich von den guten Leuten, die ihre und ihres Mannes treue Genossen gewesen, jetzt nicht trennen wollen. Fräulein Aweling könne ihr ja unter der Hand näher treten, sie beobachten und kennen lernen, und ihr manche nützliche Aufmerksamkeit erweisen. Nur dürfe Marie dabei niemals erfahren, wen sie eigentlich vor sich habe. Dann werde sich's allmählich klar ergeben, was für die Zukunft zu thun sei.
»Wo ist denn das Kind der armen Witwe?« fragte Hermine.
»Sie konnte es nicht mitnehmen auf ihre Wanderfahrten und hat die Kleine bei einer hessischen Bäuerin in Kost gegeben. Dort wird sie elend genug verpflegt sein, und dies ist der stets nagende Jammer der Mutter.«
»Hier muß unbedingt und sofort geholfen werden!« rief Hermine fast gebieterisch, und Saß versprach, noch heute abend die nötigen Erkundigungen zu diesem Zwecke einzuziehen.
Hermine atmete auf und dachte – mit freundlichem Blicke auf Saß –: »Wie rasch rücken sich doch zwei Menschen näher, wenn sie gemeinsam Andern wohlzuthun beflissen sind!«
Dann aber sprach sie laut: »Ich bin unersättlich in meinen Bitten an Sie. Wir müssen jetzt schon die weitere Zukunft des kleinen Geschöpfes ins Auge fassen. Der Tod hat gesühnt, was Hugo nach den Vorurteilen seiner Familie gefehlt haben mag, und das unschuldige kleine Kind darf nicht unter der Verwünschung leiden, die seinen Vater traf. Es muß von den Landfrieds anerkannt, es muß in die Rechte seiner Geburt eingesetzt werden. O wie beklage ich, daß ich nicht selber vor das Haupt des Hauses treten und ihm ins Gewissen reden kann! Ist es doch jener Wolfgang von Landfried, dem ich einst meine Hand gegeben und wieder entzogen habe. Es zerreißt mir das Herz, daß ich hier nichts zu thun vermag: mein Fürwort würde Alles erst recht verderben. Ich lege Ihnen, Herr Saß, eine große Bitte ans Herz. Sie sind ein kluger, erfahrener Mann, Sie stehen den Landfrieds ganz fern und kein Mensch von der Familie weiß, daß Sie mir – bekannt sind. Sie besitzen die Kunst der Ueberredung: das erfahre ich ja jedesmal, wenn Sie mir widersprechen. Hugos Vater ist tot, seine Mutter, eine kranke, schwache Frau, welche nicht viel weiteres mehr besitzt als drei Töchter, die vergebens auf einen Mann warten. Man nennt sie nur die armen Landfrieds. Aber der Majoratsherr, Wolfgang, der Bruder von Hugos Vater, ist der reiche Landfried, und als Haupt des Hauses entscheidend in allen Familienangelegenheiten. Gehen Sie, lieber Saß, zu diesem nicht unedeln Manne, wenden Sie sein Herz zu gunsten Mariens und ihres Kindes. Thun Sie's mir zu lieb!«
Saß staunte! Wie leicht legen doch vornehme Damen Ritterpflichten auf! Das haben sie vermutlich noch von den Burgfräulein des Mittelalters überkommen. Hermine – so dachte Saß – fordert einen schweren Dienst von mir: ist das nicht entzückend und beglückend? Er ließ sich's nicht merken, daß dieser Auftrag wie ein aufs neue zündender Funke in sein Herz fiel, und versprach nur nach kurzem Besinnen fest und ruhig, daß er den Auftrag erfüllen wolle; nur heische die Sache reife Ueberlegung, heische Zeit, und er könne jetzt nicht an den Rhein reisen. Er werde Alles thun, was er vermöge, das sei ihm heilige Pflicht.
Hermine dankte mit feuchten Augen. Welch ein anderer Mann dünkte ihr Saß heute als gestern abend!
Nach langer Pause nahm dieser wieder das Wort und erinnerte daran, daß es zunächst doch gelte, den fünf Schauspielern eine Beschäftigung zu finden.
Beide suchten und berieten lange, fanden aber nichts Rechtes.
Da sah Saß durchs Fenster den Oberst Sickenwolf über die Straße schreiten: er ging geradenwegs aufs Portal des Haderturmes los: »Der Oberst weiß Bescheid in allen städtischen Dingen, er wird uns helfen.« Und kaum hatte Saß dies gesagt, so trat der Oberst ins Zimmer, sehr erfreut und überrascht, nicht bloß seinen Freund zu finden, den er suchte, sondern auch Fräulein Aweling, die er hier am wenigsten erwartet hatte.
Saß trug ihm sofort die Frage vor, welche sie Beide nicht zu lösen vermocht, und bat um Mithilfe.
Der Oberst ergriff den »Stadt- und Landboten«, welcher auf dem Tische lag, und überflog laut lesend die letzte Seite.
»Gesucht werden: erstens: Erdarbeiter für den Bau der Landstraße beim Heiligenstock,« und fügte dann hinzu: »Das wäre wohl ausgiebige Arbeit für die Herren Schneider und Zwiebelmann. Doch nein! Schon zur Zeit der Februarrevolution richteten die brotlosen Pariser Schriftsteller, welchen man von Staats wegen Arbeit gab, ein Gesuch an die provisorische Regierung, daß man Schriftsteller weiterhin nicht zu Erdarbeiten verwenden möge. Und was den Schriftstellern recht ist, das ist den Schauspielern billig.
»Zweitens: Auf die Domäne Bachern werden zwei tüchtige Melkerinnen gesucht. – Das wäre wohl etwas für die Edeltraut und Montmorenci. Doch nein! Sie würden in zwei Tagen die besten zwölf Milchkühe verderben: Melken ist eine feine Kunst und will gelernt sein.«
Saß riß dem Spötter das Blatt aus der Hand und warf es in die Ecke. Der Oberst sah zuerst erstaunt dem Blatte nach; dann wandte er seine Augen aufwärts gegen die Zimmerdecke, als ob er von dort eine höhere Eingebung erwarte, besann sich eine Weile und rief: »Ich habe das Ei des Columbus gefunden!« und schlug mit der geschlossenen Faust auf den Tisch, als wolle er so das Ei aufsetzen nach dem Vorbild des großen Genuesers.
Seine Stimme stärker erhebend, sprach er dann: »Will man Schauspieler beschäftigen, so lasse man sie schauspielen!«
Die Beiden mußten ihm lachend recht geben, und der Oberst stellte nun sehr sinnig dar, wie lange man schon in Frankenfeld anziehender Abendunterhaltung entbehre, die doch auch in Kriegszeiten nicht zu verachten sei, und wie man unschwer die kunstsinnige Einwohnerschaft bewegen könne, in einem Dutzend Theatervorstellungen als zahlende Besucher zu erscheinen. Im Saale der »Schwedischen Krone« stehe ja noch eine kleine Liebhaberbühne; – zur Feststellung eines Spielplanes, der dem guten Geschmack und den Kräften der Künstler entspreche, wolle er schon mitwirken, er sei überhaupt bereit, eine Art Hoftheater-Intendanz zu übernehmen, und Fräulein Aweling müsse dann noch über ihm stehen, wie der Fürst über dem Intendanten, wenn er die Weisungen an seine Hofkasse gibt.
Hermine lächelte und nickte bejahend, und alle Drei waren entzückt über den glücklichen Einfall und beschlossen, morgen schon mit den Vorarbeiten zu beginnen.
Nur müsse man doch zu allernächst dafür sorgen, daß die Schauspieler schon jetzt etwas zu essen bekämen, bemerkte trocken der Oberst.
»Ich lade alle Fünfe auf morgen bei mir zu Tisch,« rief Hermine.
»Bei Fräulein von Rohda?« fragte erstaunt der Oberst.
Hermine biß sich in die Lippen. »Wie konnte ich vergessen, daß ich selber nur der Gast meiner Freundin bin und ihr nicht fünf weitere Gäste mitbringen darf! Doch da kann geholfen werden. Ich lade die Schauspieler auf morgen zu einem diner-à-part in der ›Schwedischen Krone‹, bitte die beiden Herren, gleichfalls meine Gäste zu sein und werde mit Fräulein von Rohda die Honneurs machen.«
Der Oberst sagte freudig zu, aber Saß besann sich.
»Schon wieder will er widersprechen!« dachte Hermine.
Und in der That, – er setzte ihr auseinander, daß so jähe Sprünge wie von der Milchdiät des Hopfenbauern zu einem hochfeinen Mahl im ersten Gasthofe der Stadt den Schauspielern nur den Kopf verdrehen könnten. Später, nach irgend einer hervorragenden Leistung möge ihnen Fräulein Aweling einen Festschmaus geben, nicht jetzt, wo es vorerst gelte, sie aus der äußersten Not zu erretten. Er schlage vor, daß man den Fünfen eine Unterkunft schaffe im »Grünen Baum« –
– »ein Haus vierten Ranges,« erläuterte der Oberst Herminen, »es steht aber noch um zwei Stufen höher als das Hotel ›Zum letzten Heller‹ vor dem Steinthor –«
»Der Wirt ist ein Ehrenmann,« fuhr Saß fort, »die Leute werden dort höchst einfach, aber gut verköstigt sein« –
– »Suppe, Gemüse und Fleisch, in Einem Kessel gekocht und auf Einer Schüssel aufgetragen,« ergänzte der Oberst, – »die echte Soldatenmenage.«
»Wir eröffnen ihnen beim Wirte einen Kredit für Tisch und Bett,« sprach Saß unbeirrt weiter, »und sie werden die vorgestreckte Zeche später zurückerstatten aus ihren Kassenerfolgen.«
»Vortrefflich!« rief der Oberst. »Künstler nehmen kein Almosen, aber Künstler dürfen pumpen und zuletzt die Rückzahlung vergessen.«
Hier öffnete plötzlich Kaspar Zuckmeyer die Thüre, stürzte ins Zimmer und rief: »Herr Saß! sie haben ihn! – sie haben ihn!«
»Wen? Wer?« fragte Saß ärgerlich über die Unterbrechung.
»Ei, sie haben ihn!« wiederholte Zuckmeyer, »den Napoleon; – unsere Soldaten haben ihn: – Napoleon ist gefangen!«
»Unmöglich!« rief Saß; »dummes Zeug!« der Oberst. »Von wem haben Sie die Nachricht?«
»Der Holzhacker hat mir's gesagt, der vor des Webers Matthes Hause Klötze spaltet.«
»Und von wem hat es der Holzhacker?«
»Dem wird es ein Anderer erzählt haben, der es wieder von einem Anderen hat: so laufen die Nachrichten durch die Welt.«
Saß hatte inzwischen durchs Fenster auf die Straße gesehen: es war dort so still wie immer und die Leute gingen friedlich ihres Wegs.
»Lassen Sie sich ein andermal nicht so leicht einen Bären aufbinden, Zuckmeyer,« sagte er dann, »und stören Sie uns nicht wieder.«
Kaspar ging brummend ab und die Drei berieten fort über die Unterbringung der Schauspieler im »Grünen Baum«. Auch Hermine stimmte jetzt zu und meinte nur gegen den Oberst, sein Freund Saß sei ein gefährlicher Mann, er fahre ihr überall in die Quere, worüber sie sich zuerst ärgere, um ihm hinterdrein doch recht zu geben und zu folgen.
Saß schlug vor, daß sie selb Drei sich beim Wirt verbürgten für die kontraktliche Tageszeche der Schauspieler. Der Oberst fragte, ob denn auch er der Dritte im Bunde sein müsse? Den Bürgen soll man würgen. Er bürge für Niemand.
Allein Hermine setzte ihm in der liebenswürdigsten Weise auseinander, daß seine Bürgschaft besonders wichtig sei. Denn da er nun auch finanziell in das Theaterunternehmen verflochten, so werde er, der feinste Kenner der Bühne und als solcher die erste Autorität der Stadt, jeden Frankenfelder unwiderstehlich für das neue Theater und zu klingender Beisteuer begeistern, so daß ihm seine Bürgschaft nicht den mindesten Schaden bringe.
Der Oberst als artiger Mann konnte der Dame nicht widersprechen und so plauderten sie denn gemütlich und neckisch weiter über ihren Plan.
Da wurden sie zum zweitenmal durch Kaspar Zuckmeyer unterbrochen. Ungestümer noch als vorher riß er die Thüre auf, stürzte herein und rief: »Herr Saß! sie haben ihn doch! Ich war auf dem Bahnhof; – Napoleon ist gefangen, – samt seiner Armee, – bei Sedan; – der König hat's der Königin telegraphiert: – – und der Holzhacker hatte doch recht! Bei dem Postzug, der eben abgehen soll, haben die Schaffner auf jeden Wagen hüben und drüben groß mit Kreide geschrieben: ›Napoleon ist gefangen‹, – damit es auch die Bauern auf dem Feld erfahren. Hurrah! der Krieg ist aus!«
Saß sprang ans Fenster. Auf der Straße liefen die Leute zusammen und jubelten; die Ratsapotheke zog schon ihre Fahne auf. Das märchenhafte Ereignis war nicht mehr zu bezweifeln.
Die Drei, Zuckmeyer als Vierter voran, tummelten sich, hinunter und hinaus zu kommen, um Näheres zu erfahren. Saß schickte den Ratsdiener hinauf ins Wächterstübchen, daß der Haderturm nicht wieder zu spät flagge wie bei Wörth.
Neben der Turmthüre wurde bereits das Telegramm angeschlagen. Nachdem Hermine, Saß und der Oberst es gelesen und wiedergelesen und Deutschland und sich selbst beglückwünscht hatten, trennten sie sich.
Hermine aber rief Saß noch nach: »Vergessen Sie über all dem Glück die armen Schauspieler nicht! Sorgen Sie, daß der Festtag der Nation auch ihnen zum Festtag werde. Sie sollen heute noch siegreich einziehen – – in den ›Grünen Baum‹!«