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Die Wünschelrute.

Auf einer paradiesischen Insel im Weltmeere blühte einst ein Geschlecht von Menschen, die nicht größer waren als wir, aber wunderbar schön von Gestalt und Antlitz. Die Götter wurden schließlich neidisch ob dieser Meisterwerke der Schöpfung und beschlossen, dieses Geschlecht, das zu schön war für diese Welt, aussterben zu lassen. Und wie fingen sie das an? Mit wahrhaft göttlicher Pfiffigkeit. Sie erließen einfach ein Gebot, daß niemand – bei Höllenstrafe – bekleidet gehen dürfe. Und weil fortan Jungfrauen und Jünglinge auf jener Insel splitternackt zwischen den Lilien wandelten, weil sie die Geheimnisse und die intimsten Reize ihres Körpers wie etwas Gewöhnliches dem Sonnenlichte preisgaben, stumpften sich ihre Blicke für das Schauen entblößter menschlicher Schönheit gar bald ab; sie gewöhnten sich an diesen Anblick und hörten auf zu begehren.

Da war es wieder der kleine Spitzbube Kupido, der den Neidhammeln von alten Göttern einen Strich durch die Rechnung machte. Auf seinen Libellenflügeln schwebte er zur Wunderinsel hernieder. Da mußte er die betrübende Entdeckung machen, daß er das Schießen mit dem zierlichen vergoldeten Bogen verlernt hatte. Die mit Kolibrifedern geschmückten Pfeile verfehlten ihr Ziel stets um mehr als zwei Herzbreiten. Der kleine Gott mußte sich daher erst wieder einüben und begann ein regelrechtes Scheibenschießen zunächst auf Birkenstämme, in deren weiße Rinden er mit der Goldspitze seiner Pfeile Herzen einschnitt, daß der hervorquellende Saft ihm das Gesicht benetzte; dann auf Lilienkelche, die im Sommerwinde schwankten.

Bei solchem Unfug betraf ihn eines Tages Stella, die Königstochter. Sie ergriff den heftig zappelnden Götterknaben bei den Libellenflügeln und züchtigte ihn mit einer Birkenrute, bis sein göttliches Gesäß sich rötete, wie die Wange eines in Liebe erglühenden Mädchens. Dann lief sie lächelnd davon und ließ die kleine Gottheit in Tränen gebadet und sich das Hinterteil reibend zurück.

Die Wünschelrute

Prinzessin Stella kam aber auf ihrem Laufe nicht weit. Als Kupido ihr ein Schimpfwort nachrief, hatte sie den unglücklichen Einfall sich umzuwenden und mit ihren rosigen Fingern ihm eine lange Nase zu drehen. Im nächsten Augenblicke zitterte ein Pfeil in der straff gespannten Haut ihrer Flanke, kaum eine Handbreit unterhalb der Knospe ihrer schneeweißen Brust. Der Knabe aber entschwand in einer regenbogenfarbigen Wolke – auf Nimmerwiedersehen. Um die Königstochter zu bestrafen, beschloß er, von seinem Schießzeug auf jener Insel keinen Gebrauch mehr zu machen. Ohne Gegenliebe zu finden, sollte Stellas Herz sich in vergeblichem Verlangen verzehren.

Nach kurzer Zeit trat das Wundfieber auf. Die Prinzessin litt Höllenqualen, einen unauslöschlichen, brennenden Durst. In diesem trostlosen Zustande erblickte sie Syrinx, den jungen Schäfer, der am nahen Berghang seine Lämmer weidete, jenseits des silberhellen Baches, an dessen Ufern Iris, Krokus und Lilien blühten. Sie wagte kaum ein Auge zu ihm zu erheben – das war auch eine Folge ihrer schweren Krankheit – und sie schielte nur errötend und verstohlen nach seinem Spiegelbild im Bache. Dort erblickte sie auch sich selbst, das auf den Wellen sich wiegende Ebenbild ihres schneeweißen jungfräulichen Körpers und die Züge ihres holden, keuschen Antlitzes. Doch Syrinx der Schäfer hatte keinen Blick für die Prinzessin; er war ein rechter Flegel, den weder die hohe Abstammung, noch die Schönheit der Jungfrau berührte. Er grüßte sie nur gleichgültig, wie ein Bruder die jüngere Schwester. Zumeist aber schlief er.

Mit der Zeit wurde Stella allerdings kühner. Das machte die Flamme, die in ihrem Herzen brannte, wo die durch Kupidos Pfeil geschlagene Wunde sich entzündet hatte. Einmal ging sie in ihrer Kühnheit so weit, ihre schwellenden Lippen auf den Mund des schönen Schläfers zu drücken. Der junge Hirt erwachte; aber anstatt die holde Jungfrau in seine Arme zu schließen, in heißer Liebe zu umfangen, anstatt sie unter seinen glühenden Küssen zu ersticken, wie ein Feuer unter taufeuchten Rosen ersticken müßte, wandte er sich unwillig um, fuhr sich mit dem Handrücken übenden Mund und – schlief weiter.

Da fuhr es der Prinzessin wie ein Stich durch das Herz, daß ihr die Tränen in die Augen traten und sie in ihrem unsagbaren Leid die Hände auf den Busen preßte. Und sie ahnte, daß der Knabe, den sie so unvorsichtig mißhandelt hatte, ein wundersames Wesen sein müsse, und wie im Traume wandelte sie nach der Stelle zurück, wo sie die grausame Wunde erhalten hatte. Kein Blutstropfen bezeichnete die Stelle, nur die Birkenrute lag noch im Grase und schimmerte, von Sonnenlichtern umspült, wie flüssiges Silber. Als sie diese Rute aufhob, um sie als trauriges Andenken mitzunehmen, da begann die Rute zu Stellas höchster Verwunderung zu sprechen, in etwas hagebuchenem Dialekt, aber doch deutlich genug:

»Ich war eine ganz gewöhnliche Rute. Seitdem ich aber das Hinterteil eines Gottes berührt habe, bin ich eine sogenannte Wünschelrute geworden. Alles was du mit mir berühren wirst, wird dir zu eigen werden. Und jeder Wunsch, den du aussprichst, indem du mich schwingst, wird dir in Erfüllung gehen«.

Da nahm die Prinzessin die Rute mit und machte sich auf den Weg nach dem Hürdenplatz, wo der schöne Schäfer seine Lämmer hütete. In paradiesischer Nacktheit und Unschuld lag er wieder in tiefem Schlafe, wie der Stammvater des Menschengeschlechtes, als der allmächtige Schöpfer ihm eine Rippe nahm. Noch holder als das Weib, das aus jener Rippe hervorblühte, war die jungfräuliche Stella, als sie, das verkörperte Verlangen, mit hochgeröteten Wangen vor dem schlafenden Jüngling stand. Und doch wußte sie nicht, welchen Wunsch sie aussprechen, welchen Teil seines Körpers sie mit der Rute berühren sollte. Und wie sie so zögernd dastand, wurde die Wünschelrute ungeduldig und zuckte in ihrer Hand gleich einer kleinen silberschimmernden Schlange. Und als Stella sich endlich entschloß, war es mehr ein Schlag denn eine Berührung, was den schönen Schläfer traf.

Ach, welch ein Schrecken befiel da plötzlich die Königstochter! So war es nicht gemeint! War das eine böse Rute! Die getroffene Stelle des Körpers des schlafenden Hirten rötete sich plötzlich und schwoll sichtlich an, immer mehr und mehr ... Niemals hatte die Jungfrau Ähnliches gesehen ...

Da warf die Prinzessin die Rute von sich und wollte fliehen. Doch es war zu spät. Mit einem Lächeln des Entzückens erwachte der junge Hirte und er streckte begehrlich die Arme nach der zitternden Jungfrau aus. Und er drückte sie an sich und gebärdete sich schier wie ein Wahnsinniger. Von unsagbarem Mitleid für seinen Zustand ergriffen, überließ sich ihm Stella in schämiger Seligkeit und bald erkannte sie, was sie gewünscht hatte, indem sie die Wünschelrute schwang.


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