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Nach dem Ungarischen des L. Nógrádi.
Der Schilfrohrwald am Plattensee-Ufer säuselt und raschelt. In stillen Nächten ertönt daraus zuweilen lautes Geschrei. Geschrei und noch etwas, das wie Gelächter klingt. Silberhelles Gelächter. Das Wasser plätschert und das Lachen lockt so wunderbar. In mondklaren Nächten hört man nur das Plätschern des Wassers und von Zeit zu Zeit geht ein Krachen und Knistern durch den Schilfrohrwald, wie unter schweren Tritten. Dann taucht plötzlich etwas Weißes auf. Ists der Spiegel des Sees? ... Nein, nein, es ist der wundersame, weiße Körper der Plattensee-Nixe.
*
Tag für Tag führte der Schäfer seine Herde auf den mit Büschen und Sträuchern bestandenen Abhang des alten Szigliget-Berges zur Weide; aber wenn der Abend kam, kehrte der Schäfer heim zu seiner Lebensgefährtin. Sie war ein schönes, stattliches Weib und die beiden liebten einander sehr. Abend für Abend erwartete die Schäfersfrau ihren Mann vor dem Tore des Gehöftes und wenn in der Ferne das Glöcklein des Leithammels erklang, lief sie ihm entgegen. Sie umarmte und küßte ihren schönen Schäfer und wenn die beiden in der Küche sich vor dem lustig prasselnden Herdfeuer niederließen, fanden sie sich kaum etwas zu sagen. Sie begnügten sich damit, einander zu betrachten.
Eines Abends sprach die Frau zu ihrem Manne:
»Ich muß euch eine große Neuigkeit melden. Das Schloß ist nicht mehr unbewohnt. Die Herrschaft ist heimgekehrt.« »Die Herrschaft ist heimgekehrt?« fragte der Schäfer verwundert. »So werden wir denn endlich einmal den Mann zu sehen bekommen, dessen Brot wir essen. Und wie sieht die Herrschaft denn aus?«
»Der Herr ist schon ein alter Mann, ich sah es deutlich, als die Kutsche auf den Weg zum Schlosse einlenkte. Auch ein Frauenzimmer saß an seiner Seite. Sie, ist schön, mag sie nun Frau oder Maid sein.«
»Sie kann nicht schöner sein als du,« sprach der Schäfer und küßte sein Weib. »Mir bist du doch die Allerschönste, geliebte Anna.«
Die Schäfersfrau erwiderte die Liebkosung ihres Mannes. In der kleinen Schäferhütte wohnte das Glück, wie es weit und breit nicht schöner und reiner zu finden war. Und doch war das Ehepaar so arm! Die Frau hatte nichts mitgebracht als ihre zwei liebenden Arme. Aber sie klagten nicht. Wenn sie sich ihrer Armut erinnerten, schauten sie nur einander an.
»Es gibt kein schöneres Weib als das meinige,« dachte der Schäfer.
»Es gibt keinen strammeren, schöneren Mann als den meinigen,« dachte die Frau.
Und sie lachten laut und vergnügt dazu.
Die Frau an der Seite des Herrn in der Kutsche war seine Gemahlin. Gelangweilt schaute sie auf die weithin gestreckten Äcker und Wiesen, als ihr Gemahl ihr sagte:
»Alldas ist mein, alles, alles.«
Was galten der schönen Frau die vielen Äcker und Wiesen, wenn sie sich langweilte? Was galt ihr aller Reichtum, wenn ihr Gemahl fahle Lippen und schlotternde Beine hatte?
»Was werde ich hier anfangen?« dachte sich die junge Frau. »Ich werde mich zu Tode langweilen.«
Sie liebte ihren Gemahl nicht. Was hätte sie auch an ihm lieben können? Er hätte ihr Vater sein können und war ihr Gemahl. Unstet ging und ritt sie den ganzen Tag umher und dabei erblickte sie eines Tages den Schäfer.
Die schöne Frau saß auf der Wallmauer des Schlosses Szigliget, der Schäfer weidete unten am Bergabhang seine Herde. Sie schaute und schaute nach dem Schäfer. Und fortan harrte sie so Tag für Tag, bis der Schäfer mit seiner Herde käme.
Der Schloßherr klatschte seiner Gemahlin Beifall, als sie ihm ihr Vorhaben mitteilte, die Kleidung einer Bäuerin anzulegen und so durch Wald und Feld herumzustreifen. Und als die schöne Frau gar in dieser Kleidung vor ihm erschien, rief er entzückt aus:
»Herrlich! Sie sind die schönste Bäuerin im ganzen Ungarlande!«
Die Schloßherrin aber blieb bei diesen Lobsprüchen ihres Gemahls kalt und dachte nur daran, was der Schäfer sagen werde. Sie eilte hinaus und den Szigligeter Bergrücken hinab. Sie trug ein Körbchen am Arm, das sie mit Feldblumen füllte.
»Darf ich hier ausruhen?« fragte sie den Schäfer, als sie bei ihm eintraf.
»Warum sollten Sie nicht dürfen?« entgegnete der Schäfer.
Sie ließ sich neben dem Schäfer nieder. Ihre schöngeformten, mit feinen Schuhen bekleideten Füße blieben frei, die weiten Ärmel ihres Brustleibchens zog sie an den vollen weißen Armen hoch hinauf. Wenn sie lachte, schimmerten ihre weißen Zähne. Ihre Augen ruhten mit verführerischem Gefunkel auf dem Schäfer.
»Wohin? wohin?« fragte der Schäfer.
»Ich gehe nach der Szentgyörgyer Pußta, aber ich will hier gern ausruhen.«
Der Schäfer blickte auf. Und als er sah, daß das sinnliche Antlitz der Frau ihm verführerisch zulächelte, überlief ihn tiefe Röte. Die Röte des Zornes und nicht der Scham.
»Es ist ja gut hier auszuruhen,« sagte er.
Nicht wahr, es ist gut?« wiederholte die Frau und rückte noch näher an den Schäfer heran.
Da verließ den Schäfer die Geduld.
»Der Bergrücken ist breit genug,« sagte er. »Ich mag nur neben meinem Weibe sitzen.«
Mit diesen Worten erhob er sich unwillig und ließ die Frau sitzen.
»Du wirst dennoch mein sein,« murmelte die Frau nach einer Weile.
Dann erhob sie sich gleichfalls und ging ihres Weges.
Der Abend dämmerte heran. Die Sonne senkte sich in die glatte Keßthelyer Bucht des Plattensees hinab. Eine endlose Kette von Goldringen wiegte sieh auf der Wasserfläche, die allmählich eine graue Färbung annahm. Der Schäfer stand am Fuße des Berges. Der Tag war erstickend heiß gewesen. Der Schäfer erwartete den abendlichen Tau, um seine Herde ein wenig weiden zu lassen. Er starrte auf den See hinaus und beobachtete, wie hinter der Fonyóder Bergkuppe der Mond hervorkam.
Langsam, langsam schwebte das Silbernetz wie ein schwimmender Nebel über die weite Fläche des Plattensees, bis es schließlich den ganzen See zugedeckt hatte. Nur das Ufer und am Ufer das Röhricht dunkelte herüber.
Dem Schäfer wars, als hörte er aus dem nahen Röhricht lautes Lachen. Er schaute hin. Das Röhricht wich auseinander und der Schäfer konnte im silberhellen Mondlichte eine gar seltsame Sache sehen. Ein wundersam schönes Weib erhob sich aus dem Wasser. Lang floß ihr rabenschwarzes Haar herab, weiß blinkte der herrliche Leib, die Augen aber funkelten wie Sterne. Und das wundersam schöne Weib winkte dem Schäfer.
Der Schäfer stand da, als wären seine Beine in den Boden eingewurzelt.
»Das ist die Plattensee-Nixe,« flüsterte er und er konnte seine Blicke nicht von der Wundererscheinung wenden.
Die Nixe kam aus dem Wasser heraus und betrat die taubenetzte Wiese. Der Abendwind spielte mit ihrem langen feuchten Haar. Ihr weißer Leib leuchtete gar wundersam. Der Schäfer verfällt dem Zauber. Die Herde weidet schon weit von da; sein Hund mahnt ihn von Zeit zu Zeit durch ungeduldiges Bellen. Aber er merkt nichts, betrachtet nur die Nixe. Dort steht sie auf der Wiese und neckt ihn und winkt ihm mit ihrem schönen langen Haar. Dann wendet sie sich um und legt sich in das grüne Gras. Sie hat keine andere Decke als den Silberschleier des schimmernden Mondes.
Alldas dauert nur einen Augenblick, dann verschwindet die Nixe wieder im Röhricht. Tiefe Stille ringsumher, nur das Röhricht raschelt und flüstert so geheimnisvoll. Der Schäfer wagt sich jetzt näher zum Ufer des Sees.
»War das nicht ein bloßes Blendwerk meiner Augen?« murmelte er und lauscht.
Das Röhricht raschelt und flüstert, das Wasser plätschert, der Schäfer aber steht da und wartet. Er weiß es selbst nicht, weshalb er dasteht, was er erwartet und weshalb er nicht heimkehrt. Daheim harrt seiner sein Weib mit dem Abendbrot.
Er aber denkt nicht mehr an sein Weib; er sieht nur die Plattensee-Nixe. Er sieht das zauberisch schöne Antlitz der Nixe und trägt Begehr nach ihrem weißen Leibe. Alles Blut ist ihm zu Kopf gestiegen und in seinem Schädel wirbelt und braust es wie in einer Mühle.
Als der Mond sich hinter den Wolken verbarg, teilte das Röhricht sich wieder und die Nixe hüpfte ans Ufer. Rasch wie ein Blitz. Ehe der Schäfer noch Zeit hatte zu erschrecken, hatten die Arme der Nixe ihn schon umfangen. Die weißen Arme der Nixe hielten ihn fest umschlungen. Und durch ihre feuchte Haut fühlt er die Wärme ihres Körpers. Und der Schäfer vermag nicht Widerstand zu leisten: die Nixe entführt ihn, tief in das Röhricht. Dort liegt ein Kahn und aus zahllosen duftigen Blumen aller Arten ist ein herrliches Lager in dem Kahn bereitet. Auf dem Lager lassen sie sich nieder. Dem Schäfer wollen schier die Sinne schwinden; die Nixe hüllt ihn in ihre langen, schwarzen Haare ein und lacht und lacht so verführerisch. Der Kahn mit seinem Blumenlager wiegt sich auf den Wellen des Sees und das Röhricht raschelt und flüstert so wundersam.
Frau Anna wartete vergebens auf ihren Mann. Der Schäfer kehrte erst gegen den Morgen ganz müde und matt heim. Er war bleich und als sein Weib ihn fragte, wo er so lange geblieben, schlug er die Blicke nieder und wagte nicht seinem Weibe in die Augen zu schauen.
»Liebst du mich nicht mehr?« fragte das Weib.
»Ich liebe dich,« sagte der Schäfer.
»Ist etwa deiner Herde ein Unglück zugestoßen?«
»Ja, ja; fünfzig Schafe sind verloren; diese suche ich.«
So log der Schäfer. Er wagte nicht, seinem Weibe zu sagen, daß er mit der Plattensee-Nixe im blumengeschmückten, schaukelnden Kahne gebuhlt habe.
Und der Schäfer kehrte auch am nächsten Abend nicht heim und auch am dritten Abend nicht. Wenn der Abend dämmerte, streichelte er seinen treuen Hund und vertraute seiner Hut die Herde an. Er selbst aber stellte sich zum Röhricht und wartete, bis das Wasser im Röhricht in Wellenbewegung geriet und zu plätschern begann. Und er wartete auf das Lachen der Nixe. Und wenn dann ihr weißer, schöner Leib im Wasser auftauchte, ward der Schäfer von einem Taumel ergriffen und er folgte dem lockenden Rufe der Nixe und buhlte mit ihr. Dabei verkümmerte der arme Schäfer immer mehr. Er aß nicht mehr und fand keinen Schlaf. Sein Weib ermahnte ihn:
»Suche doch nicht länger, was verloren ist. Und härme dich nicht ab.«
Doch das war vergebens; der Schäfer schenkte seinem Weibe kein Gehör. Wenn der Abend kam, erwartete er die Nixe.
Auch am Abende des achten Tages stand er am Seeufer und wartete. Er wartete, daß das Röhricht zu rascheln und zu flüstern begänne und aus dem Wasser die Nixe auftauche. Doch er wartete vergeblich. Mitternacht war vorüber und die Nixe kam nicht. Und der Schäfer wartete in heißer Sehnsucht; er hatte Begierde nach ihrem weißen Leib, nach ihren glühenden Umarmungen. Die Nixe aber kam nicht. Der Morgen dämmerte und sie kam nicht. Und der Schäfer stand den ganzen Tag da; vielleicht kommt die Nixe lieber im glühenden Sonnenbrande. Doch sie kam nicht. Und abermals brach die Nacht herein. Ein heißer, erstickender Wind strich durch das Röhricht am Ufer. Das Wasser zischelte und plätscherte so seltsam.
»Sie wird weiter drinnen im Röhricht sein,« dachte der Schäfer und stieg in das Wasser mit dem sumpfigen, von Schlingpflanzen durchzogenen Grunde. Und er ging und ging, immer weiter, immer tiefer.
»Nixe, hier bin ich! hebe mich auf dein schaukelndes Blumenbett,« flüsterte er. Und er ging immer weiter. Das Wasser reichte ihm jetzt schon bis zur Schulter. Jetzt schien ihm, als schwebte die Nixe vor ihm her, so nahe, daß er sie mit der ausgestreckten Hand erreichen könnte. Er ging immer weiter, immer tiefer in den See hinein. Das Wasser reichte ihm jetzt schon bis zu den Lippen. Und der Schäfer wähnte, die Nixe küsse ihn mit ihren glühenden Lippen und umfange ihn mit ihren weißen Armen.
Der Schäfer war selig ... er breitete die Arme aus und umschlang lächelnd die Wellen, die mit schaukelndem Plätschern über seinem Kopfe zusammenschlugen.
Frau Anna wartete vergeblich auf ihren Mann, er kehrte nicht mehr heim. Zwei Tage später fanden ihn die Badacsonyer Fischer. Er schwamm auf dem Wasser. Die Arme waren auf der Brust geschlossen, als würde er die Nixe umfangen.