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Der Herausgeber

Da Ritter, wie das Titelblatt der Erstausgabe zeigt, in der fingierten Rolle des Herausgebers auftritt, schreibt er in dieser Einleitung über seinen eigenen Entwicklungsgang in der dritten Person. – Alle weiteren Fußnoten stammen von Ritter.

Indem ich dem Publikum die gegenwärtige Sammlung von › Fragmenten aus dem Nachlaß eines jungen Physikers‹ übergebe, übe ich eine Pflicht, die bestimmt war, meine erste dieser Art zu sein. Der Verfasser derselben war, nahe seit 1796 schon, enger und vertrautester Freund meines Wissens, wie meines Lebens; Der Tag, wo ich ihn eigentlich erst völlig kennenlernte, war der 26. Oktober 1797. Wir feierten an ihm den Geburtstag seiner Mutter – und die ältesten Fragmente dieser Sammlung sind von jenem Tage. ich verdanke dem fast ununterbrochenen Umgange mit ihm unendlich viel – und sollte man die in diesen Fragmenten vorkommenden Gedanken und Ideen mit meinen eigenen Arbeiten vergleichen wollen, so wird man finden, daß viele ganz allein durch ihn begründet wurden, und zu den meisten der erste Gedanke von ihm mir zugekommen sein mußte. Aber ich hatte die vollkommenste Erlaubnis zu einem solchen Gebrauche seiner Mitteilungen an mich. Er selbst wollte nie öffentlich auftreten, und widerlegte uns jedesmal, wenn wir versuchten, ihn dazu zu bewegen. Seine Gründe mußten schlechterdings überzeugen; freilich aber waren sie eben damit von der Art, daß ihnen schwerlich jemand beistimmen würde, der nie Gelegenheit gehabt hatte, ihn ganz kennenzulernen. Dagegen aber beschwerte er sich nie, wenn jemand, was er, meist mündlich, seltener in Briefen, über diesen oder jenen Gegenstand äußerte, für eine weitere Ausbildung aufgegriffen; im Gegenteile versicherte er, daß ihn dergleichen freue, soweit es nämlich wirklich etwa nötig sei, daß einiges von den Resultaten, die er erhielte, allgemeiner werde, indem er so auf die beste Art einer Pflicht entbunden werde, deren Erfüllung, ihm selbst, allemal schwerfallen würde. Uns nämlich gab er schuld, alle unsere Schreib- und Druckseligkeit komme eigentlich nur davon her, daß wir ›Brot‹ brauchten – womit denn freilich noch ein anderes gemeint war, als etwa das aus Mehl gebackene. Ebensowenig stellte er selbst viele Versuche an, so reich er auch an Ideen und Vorschlägen dazu war. Für ihn, meinte er, seien ihrer längst genug da, und die von der Natur selbst angestellten seien ihm noch überdies die liebsten von allen. Mir und anderen Freunden ging er aber dennoch hülfreich an die Hand, wenn er uns, was eben nicht selten vorkam, in Verlegenheit sah, besonders darum, wie wir es anfangen sollten. Viele der Bemerkungen in seinen Tagebüchern sind unserer wegen entstanden; in den Zeiten, wo er weniger mit uns zusammenkam, blieben letztere zwar nicht leer, aber sie hatten meist sehr viel anderes zum Gegenstande, und auch auf andere Art, als wie es für uns bereits gut genug gewesen wäre. Er selbst übrigens liebte die Zurückgezogenheit im höchsten Grade, und nichts war ihm mehr zuwider, als zu hören, daß unter seinem Namen die Rede von ihm gewesen war. Ich vielleicht besonders verstand ihn hierüber; er hätte am liebsten gar keinen gehabt; und so nenne ich ihn billig auch selbst da noch nicht, wo er mich nun nicht mehr schelten kann.

Schon früher hatte mich unser Freund, doch immer noch erst mehr im Scherze – wenn ich ihn nämlich gar zu sehr darum bat – zum einstigen Erben aller seiner Tagebücher und anderer Papiere eingesetzt – bis endlich der 7. Mai 1809, früher, als wir irgend geglaubt, den heitern Scherz in finstern, herben Ernst verwandelte. Eigne Umstände traten zusammen, diesem Tage eine Feierlichkeit zu geben, die uns jedes kommende Jahr ihn mit besonderer Auszeichnung begehen lassen wird. Und soviel wissen wir ebenfalls, daß sein Geist uns nie verlassen wird; er war zu eng mit uns verbunden, als daß er jemals ganz von uns geschieden werden könnte. Ein eignes Denkmal forderte jener Tag durchaus, und es sei genug für mich, zu wissen, mit diesem Buche es ihm gesetzt zu haben, was irgend auch die Meinung anderer darüber sein könnte. Nicht alle kannten diesen Tag und können ihn kennen, noch weniger kannten sie den, der ihn feierlich machte; sei es erlaubt, einmal auch unverstanden öffentlich zu sein.

Ich hatte mir eine besonders schickliche und eingreifende Vorrede zu den nachfolgenden › Fragmenten‹ vorgenommen und wollte in ihr vor allem ihres Verfassers eigne innere Biographie, und vollständig, geben. Auch hatte ich, da ich es ziemlich imstande war, eine solche wirklich schon ausgearbeitet, und welche sicher interessiert haben würde – als es mir später doch bedenklich wurde, ob ich auch wirklich sie schon drucken lassen könnte. Nicht einer nämlich ist in der Welt, dessen Inneres von gar nichts Äußerem abgehangen hätte, und tausendmal mehr gilt dies von den widerlichen Schicksalen des erstern, als von seinen guten. Im gegenwärtigen Falle aber hatte ich so viel davon, wenn auch nicht eben allemal zu nennen, doch zu umschreiben, gehabt, daß, wie es alleweile steht, wenigstens ich mir, verschiedene Feinde unvermeidlich hätte machen müssen, die, wenn sie, nach dem Sprüchwort, auch als Freunde nicht nützten, doch allemal als Feinde schaden konnten. Denn sie würden sich doch herausgekannt haben; auch wären gerade die, die sich am ersten von der Wahrheit beleidigt gefunden hätten, solche gewesen, die unsereiner sich doch immer ›hegen‹ muß, weil sie a) bei fast jedermann in Ansehen stehen, und b) auch, weil, wie noch in diesem Sommer mich einer von der Mauth versicherte, ›man doch nicht weiß, wie man so ansehnliche Leute einmal noch brauchen kann‹. Somit besann ich mich, und nahm die ganze fertige Vorrede (die nun, bei besserer Zeit, einmal noch mit des Verfassers äußerer Biographie in eins verarbeitet, erscheinen soll) zurück – einen Gedanken, obschon mit Zwang, im großen beherzigend, welchen auch unser Verfasser zuweilen äußerte, den nämlich: ›daß diese ganze Welt zuletzt nichts weiter, als ein bloßes Mauthhaus vor der Ewigkeit sei, und daß man höchst darauf bedacht sein müsse, die Zöllner bei Güte zu erhalten, denn sonst visitierten sie gleich, und nähmen einem das beste weg von dem, was man in die Ewigkeit hätte mitnehmen wollen, oder könnten sie es nicht gleich finden, so arretierten sie einen gar, und das hielte denn vollends auf.‹ – Ich gebe nun sehr unvollkommen wieder, was unser Freund ausdrücken wollte, besonders haftet hier noch ein gewisser Anstrich von Gehässigkeit daran, der – in seinem Munde – völlig wegfiel. Wenn er eben bei Laune war, und andere, die sich mehr mit der Welt zu schaffen werden ließen, als er, um ihre bisweiligen Schicksale in ihr vexierte, lag allemal eine so reine Gutmütigkeit darin, daß selbst die es hätten anhören können, die am schlimmsten dabei wegkamen, ohne daß ihnen ein Arges daraus hätte entstehen können. – Überhaupt war sein Bestreben durchgängig dahin gerichtet, auch das Widrigste, sich Widersprechendste, in der Welt, in notwendige und zugleich erhabene Gesetzmäßigkeit aufzulösen. Er litt es zum Beispiel nie, daß man von etwas absolut Bösem oder Schlimmem sprach, beinahe so wenig, als auch von etwas absolut Gutem; zeitliche, beschränkte Rücksichten bloß machen etwas zu diesem oder jenem; von einem höhern Standpunkt aus löse alles sich wieder in Friede und Eintracht und gleich notwendige Mitgehörigkeit zum Allgemeinen Einen Organismus der Belebung unseres, und des Daseins überhaupt, auf; und stießen ihm in seinem eignen Leben zuweilen anfängliche Widerwärtigkeiten auf, deren Stelle im System der allgemeinen Ordnung ihm nicht sogleich klar war, so war das höchste, was er damit vornahm, aber auch nie unterließ, daß er, überall Physiker, eben bloß ganz ruhig suchte, bis er sie gefunden. Kein Mißverständnis, keinen Widerspruch, kein Widerstreben des anderen auch noch so feindlich unter sich Scheinendsten, duldete er in dem, was einmal seinem Gemüt als Kenntnis- oder Erfahrungsbestandteil, als Gegenstand usw. sich dargeboten hatte, und dieselbe Kühnheit, mit der er häufig in der Wissenschaft das Widerstrebendste dennoch auf Gleichungen glücklich zurückzuführen suchte, begleitete ihn auch im Leben und der Konstruktion seiner Verhältnisse, soweit sie von ihm abhing – wo er übrigens noch diesen Vorteil vorauszuhaben behauptete, daß er hier von Anfang an von einer, und einer ersten, Urgleichung ausgehen könne, die er dann, und recht eigentlich konstruktionsweise, immer bloß in gerader Richtung fortzuentwickeln habe; ja, für das sollizitierende Moment dazu sei ohnehin schon gesorgt, und so bleibe nichts übrig, als diese freie autonome Selbstfortentwickelung derselben bloß zu bewachen, daß sich ihr nichts in den Weg stelle, oder, was dies wirklich tue, nur immer dreist und kräftig wieder wegzuräumen. Freilich gab er begreiflich so selbst häufig Gelegenheit zu den mannigfaltigsten Mißverständnissen der Außen-, oft auch selbst der Innenseiten, seines Lebens; aber auch sie wußte er beständig voraus, selten war er einmal um die Rechnung betrogen, und traf das denn nun auch einmal, so suchte er die letzte Schuld davon allemal mehr bei sich selber, und sah nun andere Male nur um so schärfer nach. Von mehreren Entwickelungsrichtungen seines Lebens sah er ganz bestimmt voraus, daß sie den größten äußern Widerstand erfahren würden, lieber aber hemmte er so lange das dann unterdessen sehr leicht verhältnismäßig zu weit gehende Vorschreiten anderer, als daß er diese wieder zurückgenommen hätte, weil sämtliche Funktionen durchaus im Gleichgewicht bleiben sollten, und er Integrität des Lebens, auf wie niederer Stufe sie auch sich etwa nur behaupten könne, jeder noch so glänzenden Verzerrung und Verschneidung, als wozu man bloß sich der › Gesellschaft‹ oder der › Konvenienz‹ als Bildner, Pädagogen oder Gärtner zu überlassen brauche, vorzog. Die notwendig entstehenden Mißverständnisse seiner Bestrebungen und ihrer Produkte selbst aber überließ er meist ihrer eigenen Zurückkehr in Nichts, die, solange sie auch manchmal anstehen könnte, doch gewiß sei; denn, worin keine Wahrheit sei, das, meinte er, habe von sich selbst schon kein Prinzip einer Dauer in sich, und vergehe wieder, weil es nie bestanden habe. Es selber sei nichts, und so sei nicht einzusehen, wozu gegen Don-Quixotesche Windmühlengefechte von neuem solche Gefechte zu führen; das Ganze wäre ebenso eitel, als etwa die verschiedenen Potenzen von Null zu suchen.

Ich habe bei den zur Mitteilung gewählten Fragmenten, soviel es nötig, und interessant, oft auch nur möglich, sein konnte, allemal das Jahr, auch oft den Monat, und zuweilen selbst den Tag, in und an welchem sie niedergeschrieben waren, gelassen. Er fand sich in den Papieren unseres Freundes fast beständig beigezeichnet, und jeder wird sich auf Verlangen bei mir von der Richtigkeit der Angabe überzeugen können. Bloß wo weniger wissenschaftliche Rücksicht herrscht, habe ich die Zeitangabe weggelassen, und hier fehlte sie auch in den Papieren selbst häufig. Vielleicht, daß einige der Leser, besonders solche, die den Verfasser persönlich kannten, sich die kleine Mühe wirklich nehmen, sämtliche Fragmente sich einmal nach der Zeitfolge zu ordnen, soweit das nämlich möglich ist. Ich sollte nicht zweifeln, daß sich aus ihnen, schon so, interessante Resultate über seine innere Geschichte ergeben würden. Welcher ungemeine Unterschied zum Beispiel ist nicht zwischen den Jahren 1799 bis 1802, und sodann der frühern, wie der spätem Zeit, zu finden. Hätte ich sie in diesem Augenblicke noch vor mir, so würde ich noch verschiedene andere gleich auffallende Unterschiede bemerklich machen können. Aber jene Zeit war auch eine vorzüglich eigne für den Verfasser. In ihr trugen sich Erfahrungen in seinem Gemüte zu, die auf die ganze folgende Zeit von Einfluß waren. Nur einigermaßen sei es mir erlaubt, sie zu bezeichnen, überzeugt, daß keiner ohne Teilnahme bleiben wird, der in jener Zeit ihn näher kannte.

So finde ich aus dem Sommer 1799 ein Bruchstück von ›Nachtgedanken‹ (von ihm selbst so überschrieben) vor, was er einmal aufgesetzt hatte, als er, wie er damals oft zu tun pflegte, spät abends noch an einem einsamen Platze an der Saale vor Jena der Stadt gegenüber gesessen, wohl bis ein Uhr in stiller Betrachtung dort geblieben, und dann nach Hause zurückgekehrt war.

 

›So ist es endlich kühle, und mein Geist fühlt sich gestärkt. Das heiße Getümmel des Tages hat sich gelegt, der Schlaf hat sie alle besänftiget. Nur ich allein ging dir voll Hoffnung entgegen, stille freundliche Nacht, und du hast mich nicht getäuscht. Dir gab der Herrliche die Macht, der Erde den Frieden zu geben, den sie selbst sich nicht erlauben wollte. Und hätte sich alles gegeneinander entzündet, siehe, da kommst du, und löschest den Brand, daß er nicht um sich greife. Gern, Allgegenwärtiger! möcht ich dich preisen dafür, aber du weißt die Schwäche des Sterblichen, und verkennest im Willen die Tat nicht. Ich trete vor dich mit reinem Gewissen, denn nichts hat mir den Tag getrübt; ich breite mein Leben aus vor dir, laß es dir gefallen, sieh herab, und sei mir gnädig. Ernst war dein Antlitz zur Zeit des Tages, denn gütlich gab sich keiner zur Ruhe. Die Furcht vor dir hat sie zum Schweigen gebracht, und nun erst sind sie, wie sie dir gefallen. Jetzt darfst du auch dem Sünder lächeln, auf daß er's wisse, auch mit ihm habest du's gut gemeint. – – –

Hier war das Papier abgerissen, der Zusammenhang schon aber gibt es fast, daß es weiterging. Ich habe die Fortsetzung indes nicht finden können.

Schwerlich kann etwas besser Zeugnis geben von der innern Ruhe und dem Frieden mit sich selbst, in welche, ohngeachtet so manchen Störungen am Tage, unser Freund doch so bald wieder zurückeilte, als ihm Zeit, und gleichsam die Erlaubnis, dazu wurde. Ich weiß bestimmt, daß er um diese Zeit (1799 und 1800) sich mit sich selbst unter seiner Umgebung völlig allein befand, und niemand unter ihr war, dem er in solchen freien Stunden sich dann ohne allen Rückhalt hätte hingeben können. Ich selbst lebte damals unter der völlig gleichen Umgebung, und kannte sie; vieles aus ihr wird mir unvergeßlich bleiben, und ich allein vielleicht bewahre das meiste noch auf, da teils der sogenannte, teils der wirkliche Tod, nacheinander fast alles hinweggenommen, was damals unsern jugendlichen Kreisen ein seltenes Leben gab. Unser Freund war mit beständiger Teilnahme dabei, wenige aber haben vielleicht bemerkt, mit welcher wirklichen er es war. Indessen hat er mir oftmals geäußert, daß er nicht wissen könne, was auch in ›ihnen‹ schweige, und warum es schweige; er aber, von sich, er wisse es wohl! – Immer dachte er nachmals an diese Zeit mit besonderer Liebe zurück.

Völlig aus sich selbst hatte unser Freund sich zu dem gebildet, was er etwa war und wurde, und früh schon war er dazu genötiget. Später erzeugte dies mitunter ein wahres Abstoßen dessen, was sogenannt bildend, und meist wirklich bei recht guter Meinung, auf ihn einwirken wollte, und ich selber auch glaube, daß er Recht dazu hatte, denn widerliche Erfahrungen waren ihm vorgekommen. Zwei indessen hat er vorzüglich genannt, denen er unendlich viel zu danken habe, und um so mehr Wahrheit muß darin enthalten sein, als seine laute Bezeugung desselben fast erst mit ihrem Tode begann. Auch ich habe ein Recht, sie zu nennen: es waren Novalis – und Herder.

Oftmals hat er sich an Novalis' ersten Besuch bei ihm mit sichtbarer Rührung erinnert. Er lebte damals in der größten Zurückgezogenheit in einer abgelegenen Gasse, in einem kümmerlich ausgestatteten Zimmer, und welches er oft vier Wochen lang nicht verließ; im Grunde, weil er nicht wußte, warum, und zu wem es übrigens auch der Mühe wert sei, zu gehen. Seine ganze Gesellschaft waren lange Zeit seine wenigen, aber guten, Bücher, dann sein alter wunderbarer Hauswirt, und er selbst, gewesen. In solcher Einsamkeit, und wo unser Freund gewiß nicht glaubte, daß jemand Ursache finden könne, sich um ihn zu kümmern, war es, daß einst ein Mann in sein Zimmer trat, der äußerlich äußerst unbedeutend aussehen konnte, aber kaum noch zu sprechen anfangen durfte, um jedem gleich wie ein uralter Bekannter, der alles um einen wüßte, und mit dem man im geringsten nicht Umstände nötig habe, zu erscheinen. Novalis und unser Freund verstanden sich den Augenblick; fürs erste lag auch nicht die geringste Merkwürdigkeit in ihrem Zusammenkommen; letzterem war schlechterdings nur eben, als wenn er einmal laut mit sich selber sprechen könnte. Solches aber war von jeher das Zeichen völliger Gleichgesinntheit, und einer Freundschaft von Echtheit und Dauer. Wo zwischen zwei Freunden viel Wesens zu bemerken ist und eine ganz besondere Lebendigkeit in ihrem Verkehr, da ist sicher selten viel dahinter; entweder haben sie Not, zu früh antizipierte Urteile über ihr Verhältnis zueinander mit Ehren zu behaupten, oder es ist überhaupt an der ganzen Freundschaft nichts, und jeder ist bloß froh, bei dieser Gelegenheit sich einmal laut recht geltend machen zu können. Werden sie zusammen gar sentimental, so ist vollends alles vorbei: es bedeutet dann, daß jeder Krautstrunk schon die zweite Person vertreten könne.

Novalis, der unsern Freund nun öfters besuchte, sah bald, in welcher auch äußerlich verlassenen Lage er sich damals befand, die dieser indessen kaum empfand, vielmehr sie seinem ganzen Treiben höchst natürlich, und auch, in seinem Abstand von den übrigen Menschen, für gar nicht besser verdient, hielt. Novalis bot ihm Unterstützung nicht an, sondern drang sie ihm auf. Daß sie durchaus reines Geschenk bleiben sollte, setzte diesen in große Verlegenheit; es war die erste Hülfe, die er nicht suchte, sondern fand; Novalis aber war schonend genug, ihn jener Verlegenheit nicht eher auszusetzen, als bis von einer Zurückgabe im Ernste die Rede entstand.

So wurde Novalis von allen Seiten Stütze und Bestätigung unseres Freundes – und ohne einiges Geräusch! – Auf letzteren aber machte es, äußerlich, nie mehr Wirkung, als die einer bloß etwas größern äußern Lebensfreudigkeit. Er hing gewiß aufs zärtlichste an ihm; wer indes nicht wirklicher Herzenskündiger war, würde dies nie geschlossen haben, wenn er beide zusammen sah. So pflegt man auch dem Höchsten ergeben zu sein; ohne daß es äußerlich merkbar würde; bloß an dem Segen, der sich über das Leben und das Angesicht ergießt, erkennt der Eingeweihte, wohin das Herz des Sterblichen gerichtet sei. Kann es doch nie der Freund um dieses selber wegen suchen, immer tritt es mit ihm nur um das Höhere zusammen.

Novalis' Bekanntschaft mit unserm Freunde blieb nicht verborgen, und verschiedene wollten nun sehen, was das wohl eigentlich wäre. Einer darunter gab sich ganz besondere Mühe, ihn näher kennenzulernen, und – dieweil es überhaupt gern seine Art so war – den noch sehr einfach scheinenden, und nur im tiefsten Innersten erst, jedoch hier allerdings schon ziemlich weit entwickelten, Jüngling auch nach andern Richtungen fortzubilden. Unser Freund hat immer mit der größten Achtung von diesem menschenfreundlichen Manne und seinen vielen Verdiensten um ihn gesprochen; zu jener Anhänglichkeit an ihn aber wollte es, was auch die Gründe sein mochten, hier nie kommen, die ihm früher gegen einen Novalis so bald, und ohne, daß es gleichsam merklich wurde, entstand. Er fühlte sich von ihm vielleicht ebenso durchkannt, wie von diesem, aber nicht sowohl stille Einstimmung in das verstandne Weiterstreben, und eine aus solcher Bestätigung allemal entstehende ungemeine innere Freudigkeit und Heiterkeit dafür, fand hier statt, sondern mehr ein fast zu heftiges, zu übereiltes, Anschließen an und Bemühen um ihn; Vorausverkündigungen und Versicherungen über das, was schon wirklich da sei, die unsern jungen Freund mehr drückten, als hoben, und als er ihrer gewohnter war, sogar verschiedene kleine Eitelkeiten zu erzeugen begannen, deren Unnützlichkeit ihm doch recht gut bewußt war, die aber immer gleich in der Geburt wieder zu ersticken, ihm zuletzt die Zeit fast nicht mehr bleiben wollte. Die, seinem bisherigen einfachen Gange, in welchem Novalis ihn nur überall bestärkt, fremdesten, oder eigentlich zur Seite, an den Grenzen des Details liegendsten, Gegenstände wurden ihm geboten, und immer hatte er die Pflicht über sich, sie mit Urteilen darüber zurückzuliefern, wo er doch unendlich überdachtere längst vorhanden wußte, es also bloße ›Schulübungen‹ waren, zu denen er doch eigentlich es jetzt am wenigsten schon Zeit für sich glaubte. Er wagte indessen die vielfache Verlegenheit, in die er hierbei kam, im geringsten nicht zu äußern; selbst eine wahre Furcht um sich entstand ihm bisweilen; aber er fühlte sich, zum Teil aus anfänglichem eigenem Versehen der Zulassung desselben, von einer Art von wahrem magischen Netze umstrickt, in welches jeder Versuch, sich aus ihm loszuwinden, ihn nur immer tiefer zu verwickeln drohte; ein rechter Segen dieser Art von Bildung, wobei er jedoch endlich Zweck und Mittel allemal unterschied, wollte ihm durchaus noch nicht einleuchten, und recht sehnlichst verlangte er im Tiefsten und Geheimsten seines Innern nach einer Erlösung, einer Zurückgabe seiner an sich selbst, die selber aber aufzufinden, ihm nicht mehr möglich schien. Er hatte seinem so überaus wohlwollenden Gönner unendliche Verbindlichkeiten, die er um keinen Preis jemals verletzen wollte, aber sie von der ihm lästigen Nebenbegleitung zu reinigen, war er nicht stark und geschickt genug, zumal sie fortfuhr, unwillkürlich von ihm ebenfalls noch mit gefordert zu werden, und es so gleichsam schon zu einer schuldigen Höflichkeit wurde, zu folgen.

Unter solchen Umständen konnte nur die gütige Natur selbst Hülfe versprechen, und unser Freund, sonst von ihr nie verlassen, erfuhr sie auch, und diesmal ganz besonders – nur daß die Lösung freilich ebenso zusammengesetzt wurde, als die zu lösende Verwickelung es war, und auch, daß allerhand Strafen zu ertragen waren – Das bisherige Erziehungsgeschäft dauerte im Grunde fort, ging aber unvermerkt allmählig in ganz andere Hände über, und bekam auch damit selbst ganz andere Gestalt und Gegenstände. Statt des Kopfes hatte jetzt das Herz in die Schule zu gehen, und da dieses, sobald nur überhaupt eines da ist, in der Regel ungemein gelehriger zu sein pflegt, als jener, und hier es sich mit Leben zahlt, wenn dort mit bloßem Wissen (was auch angenehm, und selbst im Schmerze noch mit Wollust verbunden, ist): so kam hier unser Freund in kurzer Zeit ganz außerordentlich weit – fast zu weit, wie er mir nachmals ganz ehrlich vertraute. Ein Extrem aber sucht überall das andere, und nach und nach erst kommt ein einmal in Schwingung versetztes Pendel wieder zur Ruhe; eins wie das andere nach unverbrüchlichen Naturgesetzen. – Es ist hier weder meine Zeit, noch meine Absicht, einen Roman zu schreiben; es wird genug sein, anzuführen, daß unser Freund, dem in der frühern Periode seiner diesmalen Edukationsgeschichte lange Zeit Meisters Lehrjahre die liebste Unterhaltung war, jetzt plötzlich schon nach wenig Wochen den Don Quixote allen andern Büchern vorzog, (welchen er nämlich vorher schlechterdings nicht hatte leiden können), und bald darauf auch an diesem nicht mehr recht genug hatte, sondern dem Buche lieber die wahre Sache selbst vorzog. – Oft hat er, wie er endlich wieder in Freiheit war, noch mit mir darüber gescherzt: – ›wie die genannten beiden Bücher recht dienen könnten, zu erfahren, auf welchem Pole des Normals des Lebens man als junger Mensch von Fülle und Sinn sich soeben eigentlich befinde, und wie hoch oben an ihm. Für ihn zum Beispiel sei es eine bare Unmöglichkeit, früh nach dem einen auch dem andern viel abzugewinnen (sie ›in einem Zuge‹ nacheinander bis zu Ende zu lesen), sofern er überhaupt das eine oder andre ordentlich, und mit wirklichem Genusse und Verstände, gelesen, während er zur selben Zeit das gegebene eine fast unaufhörlich von neuem vornehmen könne, und jedes neue Mal zu neuem Vergnügen. Befinde man sich dagegen, und übrigens freilich am glücklichsten, in einer Periode, wo Leben und Wissen, Herz und Kopf, so eben in möglichst inniger Vereinigung und gegenseitiger Durchdringung wären, genössen, und wirkten: dann hören beinahe beide jene Bücher auf, das vorige Interesse zu haben, oder, und eher, sie wechselten ordentlich die Rollen, und Meisters Lehrjahre würden es, die einem höchst komisch und drollig vorkommen könnten, während einem dagegen aus dem Don Quixote überall der dumpfste, finsterste, schneidendste Ernst entgegenkäme. Man werde dann beinahe bis zu einer Art von Mitleid, man wisse selber nicht so recht, mit was, wem, und warum, bewegt, die ihm bei Shakespeare zum Beispiel nie begegnet sei, als den er überhaupt zu solcher Zeit wohl allem andern Neueren vorziehe. Doch könne er keinesweges behaupten, daß, was er da sage, von allgemeiner Gültigkeit sei; es komme sicher auch außerordentlich viel auf Gewohnheit, Jahre, individuelle Bildung, und besonders auf die Absicht, in der man lese, an. Er, seinesteils, gehe eigentlich nie mit einer solchen an dergleichen Werke; ihm sei es genug, zu wissen, daß es ihn jetzt nach diesem, jetzt nach jenem, gleichsam ziehe; selten irre er sich in dem, was er bedürfe, und dann lebe er gleichsam das Buch, indem er es lese. Was ihm überbleibe, wenn er so gelesen und fertig sei, würde ihm abermals schwer zu bestimmen sein; es wäre etwas ins Gemüt und Leben selbst Eingegangenes und mit ihm bereits Verwobenes; seine Gegenwart und Wirkung spüre er wohl, aber er habe sich gewöhnlich wieder um den besten Teil davon gebracht, wenn er es hinterher zu einer strengern Analyse mit Gewalt hervorgerissen habe. Nur bei wenigen Dichterwerken falle es ihm ein, sie wirklich zu studieren, dann geschehe es aber als Physiker; Werke dieser Art seien zum Beispiel der Prometheus von Aeschylus, dessen Eumeniden, Shakespeares Sommernachtstraum, und dergleichen; von solchen habe er dann ungemein viel gelernt, und – um was gewöhnliche Physiker ihn freilich am meisten belächeln würden, womit es aber doch völliger Ernst sein könne – besonders, wie gar sehr weit unser wirkliches bißchen Physik, auch nur schon ihrem Vorwurf in seinem bloß ersten Detail, und dann überhaupt ihrer ganzen Richtung nach, hinter der wahren, in sich ganzen, und doch schlechterdings möglichen, weit von Zeit zu Zeit in Wahrheit und ganz unverkennbar schon von Menschen begriffenen und eingesehenen, zurückstehe.‹

Doch, wie weit komme ich ab: – beinahe so weit, als unser Freund, wie er den Don Quixote so schnell lesen lernte – und so vieles andere noch dazu, daß er fast seinen sämtlichen früheren Bekannten verschwunden war, und wie in einer neuen Welt lebte. Gewohnt, sich entweder gar nicht, oder unbedingt, hinzugeben, hatte es diesmal sein Herz, und mehr wie je, getan; dessen Forderungen selbst auch hatten sich vergrößert, und ihre Form hatte vielleicht manches noch aus der vorhergegangenen Zeit mit herübergenommen, was hier ganz und gar nicht hergehörte. Ja, es ist zu behaupten, daß dies letztere schuld daran gewesen, daß überhaupt gesamte diese Forderungen sich verleiten ließen, ihrer Befriedigung dahin entgegenzugehen, wo der Schein sehr lange auf ihr Dasein täuschte, der höchste Rat der Herzen sie aber zuletzt als gültig doch nicht anerkennen konnte. Bei mehr Ruhe ergaben sich die mannichfachsten Entdeckungen – lange genug gefürchtet, aber eben darum vermieden. ›Lehrer und Schüler‹ bekannten, sich geirrt zu haben, und mehr, als hier bezeichnet werden kann, forderte auf, das ganze lehrreiche und so vielseitig kostspielig gewesene Verhältnis aufzuheben. Es gelang; herrlich war auch hier das Herz stärker als der Kopf, obschon es scheinbar gegen seine Interessen zu verfahren hatte, die indes auf niedere herabgekommen waren. Eine eigne Verbindung der Dinge, die oftmals alle unsere Scharfsicht übersteigt, brachte selbst noch mehr zustande: der Gefesselte wurde gänzlich frei. Die verschiedensten und verschiedenartigsten Personen (zum Beispiel vier Herzöge, ein Famulus, ein Buchhändler, ein geheimer Rat, ein Numismatikus, ein Schornsteinfeger, ein Historikus, ein Knabe, Voltas Säule, eine chemisierende Französin, und noch viele andere) waren in diese Erlösungsgeschichte auf das wunderbarste, und meist selbst unwissendste darum, verflochten, binnen wenigen Monaten aber war sie – glücklich beendigt. Unsers Freundes bitterste Erinnerung an die überstandne Zeit nur blieb, besonders in ihrer letzten Hälfte Novalis nicht mehr so wie früher im Auge behalten zu haben. Dieses Andenken, versicherte er mich mit Rührung, hätte ihm ein äußerst kostbares Jahr seines Lebens erhalten können! – Sein Gemüt wandte sich völlig wieder zu ihm zurück, aber Novalis – starb. Er wurde ruhiger, als ihm aus dessen hinterlassenen Papieren ein Brief zugestellt wurde, den dieser noch wenige Tage vor seinem Tode an ihn angefangen, aber nicht mehr hatte vollenden können. Er enthielt Ermunterungen an ihn, seinem bisherigen Streben treu zu bleiben, und mehrere Aussichten, die dann ihm ganz notwendig in Erfüllung gehen müßten. Über beide war hier ein Wort von außerordentlicher Bedeutung gesagt, und wie ein Heiligtum hat unser Freund dasselbe verwahrt und gepflegt.

Um völlig sich selbst sicher zu bleiben, entfloh unser N. auf einige Zeit dem Orte, der ihm in äußerst mannichfacher Hinsicht bisher teuer geworden, und ich begleitete ihn. Nach kurzer Zwischenzeit führte ihn ein an sich höchst gleichgültiger Zufall zu Herder – und was hochsitzende Rezensenten auch auszusetzen hätten: – es wurde gewissermaßen der Gegenbesuch bei Novalis, fast mit dem einzigen Unterschiede, den das Alter des Würdigen machte, welcher indessen durchaus vorteilhaft war. Wohl wußte Er, wo jener herkam und gewesen sei, nie aber fielen Ihm Fragen darüber ein, und der Verdacht war ungerecht, den man ihm nachtrug, frühere Wohltäter verleugnet zu haben. Bald wurde unser N. Bekannter des Hauses. Wöchentlich, und täglich fast, stand es ihm offen, ihm selbst gedieh eine bisher noch ungekannte Offenheit, die der herrliche Greis mit orientalischer Zartheit pflegte; es entstand im stillen das Verhältnis des Sohnes zum Vater, so treu und reich es gedacht werden kann. – Wozu indessen suche ich den Verewigten noch zu verherrlichen! – ich, der ich schlechterdings nicht imstande bin, ein Wort zu sagen, was neben so vielem zu Seinem Preise auch seine Stätte verdiente! – Wer unsern N. in jener Zeit gesehn, mit ihm gelebt, ist ohnedem Zeuge jener glücklichen Tage gewesen, die, in dieser Art, für ihn wohl niemals wiederkehrten. – Er hatte einen großen Vorteil, als er Ihn kennenlernte, und ziemlich noch lange während seiner Nähe um Ihn, voraus: er hatte nie etwas von Ihm gelesen, und auch unter dem, was man zu seiner Bildung ihm gegeben, war nichts von seinen Schriften gewesen. – Somit hatte er nicht den Schriftsteller, sondern den Menschen Herder – Ihn, wie Er war – vor sich, – und es wird etwas sein, das Tausende zu bestätigen haben, wenn er meinte, auch die besten Werke dieses Autors werde niemand ganz verstehen, der nicht auch ihren Verfasser kenne, und indem er sie lese, sie von Ihm sprechen höre. Auch als bloßer Schriftsteller sei Herder häufig zu treffen gewesen, besonders in der Woche; als Menschen aber, weit über alle seine Werke erhaben, habe man ihn sonntags finden können, wo Er, seinem Schöpfer folgend, ruhte, und den Tag im Schooße seiner Familie verbrachte; nur ›Fremde‹ durften nicht bei Ihm sein. Gleich herrlich und göttlich sei Er erschienen, wenn Er, was Er sehr liebte, an einem schönen Sommertage eine ländliche Gegend, zum Beispiel das schöne Wäldchen an der Ilm zwischen Weimar und Belvedere, besuchte, wohin dann aber, außer Seiner Familie, Ihm nur folgen durfte, wen Er ausdrücklich einlud. An solchen Tagen dann, den einen oder andern, sei Er wirklich wie ein Gott erschienen, der von seinen Werken ruhe, nur doch als Mensch, die seinigen nicht, sondern die des Gottes selbst, erhebend und preisend. Mit Recht dann habe über Ihm der Himmel zum Dome sich gewölbt, und selbst des Zimmers starre Decke habe nachgegeben; aber der Priester darin sei nicht aus diesem Land noch dieser Zeit gewesen; Zoroasters Wort stand auf in ihm, und strömte Andacht, Leben, Friede und Freude in die ganze Umgebung; so ward in keiner Kirche Gott gedient, wie hier, – wo sich erwies, daß nicht das Volk, sondern der Priester, sie fülle. Hier, – wiederholte N. unzählige Male, – hier habe er gelernt, was die Natur, der Mensch in ihr, und eigentliche Physik, sein, und wie die letztere Religion unmittelbar. Sehr große Verkennung sei es, zu wähnen, diese bleibe dann ›nicht mehr heilig genug‹; auch die Natur erlange nur Wesen und Bedeutung durch den Gott, den wirkenden, in ihr, und schon von selbst ja rechne man bereits nicht bloß mehr, was man sähe, zu ihr. Mit einem gemeinen Kohlenbrenner aber sei freilich nicht viel über das Ganze zu rechten, und dieser tue außerordentlich wohl, an festgesetztem Tag und Stunde in die Kirche zu gehen, wie zuvor, damit er hinterher darin gewesen, und möglicherweise auch erbaut geworden, es sei, einerlei für ihn, zu wissen, was es getan, wenn's nur geschehe. Überhaupt war seine Klage, daß die Physiker jetzt ›so wenig mehr in die Kirche gingen‹; sie hätten es doch wahrhaftig nötig, meinte er, an den meisten spüre man gar keine Gottesfurcht mehr.

Von diesem Jahre des nähern Umgangs unsers Freundes mit Herder an datiert sich unendlich viel Neues in seinem Gemüt, und selbst in seinem Leben, und dieses ganze letztere schien wieder in seine ursprüngliche, ihm natürlichste, Richtung eingesetzt. Gelesen hatte er in dieser Zeit wenig, aber viel: das Hauptwerk in derselben war ihm die älteste Urkunde des Menschengeschlechts, – wobei er den ausnehmenden Vorteil genoß, den Verfasser selbst zum Kommentator derjenigen Stellen zu haben, die ihm schwerer zu verstehen waren. Dieser selbst wurde hierdurch wieder ganz in jene Zeit, wo sie Ihm entstanden, und die Er immer als eine vorzüglich selige in Seinem Leben pries, zurückversetzt, und jede Mühe wäre vergebens, die Feuerhimmel der Vorwelt, die dann sich ihm, und wer ihn sah und hörte, auftaten, zu schildern. Er selbst beschrieb und schilderte nicht; Er führte bloß zur Stätte hin, und zeigte; es auszusprechen, vermochte er nicht und unternahm es auch nicht. Aber Er selbst in diesem Augenblicke, Sein ganzes Wesen, Sein Auge, Angesicht und Sein, wurde zur lebendigen Hieroglyphe des Worts, für welches die Zunge das zureichende Organ nicht mehr war.

So mußte man Herder sprechen sehen, um Ihn überhaupt zu hören und zu verstehen; so mußte man Ihn gehört – und schweigen gesehen – haben, um sagen zu können, man lese ihn. Man liest ihn aber schwerlich wo noch so, wie im vorhingenannten Werke. – Den zweiten Band der Urkunde bekam unser N. erst geraume Zeit nach dem ersten in die Hände, und als er ihren Verfasser nicht mehr zur Seite hatte. Dennoch setzte er ihn in mehrerer Hinsicht noch über den ersten, und meinte hier erst Herder vollständig wiedergefunden zu haben. Aus den Randnoten zu seinem Exemplar ergibt sich, daß er eine wahre Art von Übersetzung und weiterer Entwicklung vieler hier noch wie im Keime schlummernden Ideen zur kosmischen Geschichte des Menschen und der Erde, dabei in Gedanken hatte. Vielleicht, daß ich es bei gehöriger Muße einmal wage, einige solche Übersetzungen nach seiner Verzeichnung dazu auszuarbeiten. Ich bin dann überzeugt, Ansichten aus der Natur- und Menschengeschichte von einer Fülle, Vielseitigkeit, Lebendigkeit und Neuheit, als durch jenes Werk begründet und angezeigt, aufstellen zu können, wie sie noch kein naturphilosophisches Werk seit jener Zeit geliefert hat; Was wird zum Beispiel nicht schon ziemlich aus dem ganzen Buche selbst, sobald man die einzigen paar Zeilen am Schlusse des zweiten Abschnitts des zweiten Bandes (Quartausgabe, 1776, S. 154), und die wohl Tausende überlesen haben mögen, zurückanwendet! – Wer gar nichts damit anzufangen weiß, hat bestimmt das Buch noch nicht verstanden gehabt, am wenigsten den so ganz besonders reichen gedachten zweiten Abschnitt. Bloß das, was hier gesäet ist, zur Frucht gepflanzt, könnte alle unsere kurrenten Physiologien und Psychologien überflüssig machen. nur einer der mir bekannten Philosophen, und der selbst vielleicht am wenigsten daran denkt, nähert, zu seiner größten Unterscheidung von fast allen übrigen, sich einigermaßen der Herderschen Art und Tiefe und inneren Lebendigkeit der Erfassung entfernterer Gegenstände, erreicht ihn aber an Organ zu dieser Erfassung, an Zartheit der Behandlung des Gegenstandes, die oft nur aus Sorgfalt, ihn nicht zu verletzen, bloße Berührung bleiben zu wollen scheint, und an Umfang des Erfaßten selbst, bei weitem noch nicht, so sehr er ihn auch andrerseits an Strenge und Klarheit der Reflexion und an Positivität der Darstellung übertrifft. Bei Herder war es mehr das Herz, was sich der Welt erschloß und diese ihn, während man, Ihm gegenüber, gerade erst recht inne wird, wie arm diejenigen so vielen, sich und andern bleiben, die nichts, als einen Kopf, daranzusetzen haben, obschon sie, weil es ihr alles ist, vermeinen, das Herz, von dessen Gegenwart etwa ein paar sehr unschuldige Begegnisse ihres Lebens ihnen die ganz evidenten Beweise gegeben zu haben scheinen, sei schon von selber ebenfalls dabei. Wenige aber kennen das Herz! – und haben's auch nicht nötig, denn es ist genug, daß Gott es kenne. Wer aber in seinem Busen kein Geheimnis trägt, was ihn von seinem ersten Bewußtgewordensein durch sein ganzes Leben ununterbrochen, selbst noch im Traume, begleitete; wer nicht sich einer Treue bewußt, die er von seinem ersten Erwachen an bis zum letzten Augenblicke gegen irgend etwas, dessen Name fehlen, aber verschieden sein kann, übte, und zu deren Gültigkeit für ihn er niemals Menschenzeugnis bedurfte; wer Gott in seinem Innern nicht erfahren, und nur aus Treue gegen diesen eine jede andere, und unter Seinem Angesicht nur, übt: – der unterlasse, von etwas zu sprechen, was er dann bloß der Figur nach hat; außerdem versündiget er sich. Ein anderes, als ein sich so bestätigendes Herz, wird ihm auch für die Welt und die Natur nicht dienen können, denn Gott selbst ist dieses Herz, und nur in Ihm kann etwas ganz erfaßt – und verstanden werden. – Übrigens wird hiermit gar nicht behauptet, daß nicht schon ein solches, was zum Beispiel ein Korporal, ein Bettler, ein Spitzbube, oder ein Mädchen, so nennt (vier bloße Modifikationen dessen, beim Anatomen), hinreiche, in Zeiten, wo es beschäftigt oder nicht beschäftigt ist, zu erlauben, köstliche Versuche und Beobachtungen, die alle Welt, nur die Welt selbst nicht, interessieren, anzustellen, als zum Beispiel sind: mikro- und makroskopische über Himmel und Erde und das allerhand Gewürm, was auf beiden kreucht; andere über Branntwein, Bier, und Aerometer; exzellente optische, besonders, wenn dabei zu rechnen ist; verwundernde galvanische über 5000 verschiedene Klassen von Leitern; erhebende, wie schnell der Blitz einen treffen kann, und wenn man höchst wahrscheinlich, aber bestimmt nie, stirbt; dann wieder recht ernsthafte über die Lebensluft, wie hell Phosphorus in ihr brennt, und über die Zeugung; über Schießpulver, Äther, und Erd-Magnetismus; über die neuen Metalle, die Fragmente dieses Büchelchens, usw. So was zusammen kann allerdings Physik genannt werden, und wird es auch, und noch dazu schon eine in recht weiter Bedeutung; was und wieviel ›sie‹ aber damit besessen haben, wird ›ihnen‹, wenn nicht eher, in der Todesstunde klarwerden.

Herder hatte unsern Freund völlig geheilt; sein Inneres aber wurde verschlossener, um, wie es schien, gesicherter zu sein, sein Äußeres dagegen tätiger. Er war in und nach dieser Zeit außerordentlich fleißig, und bis in die speziellsten Details physikalischer Gegenstände hinein; daß währenddessen aber auch sein Herz nicht ohne Beschäftigung, ohne direkte, blieb, darüber haben mir Papiere aus dieser Zeit, die ich erst später in meine Hände bekam, Zeugnis gestellt. So fand ich unter andern eine Reihe einer Art von Briefen, die auf zusammengehörigen Blättern fortliefen, deren ganzer Zusammenhang aber verriet, daß er sie nie abgeschickt, sondern daß sie unter einer gewissen Bedingung zu einstiger Überlieferung im Ganzen bestimmt gewesen waren. Über jedem stand das Datum, fast von jedem Tage war einer, und alle waren erst des Abends spät geschrieben. Nie habe ich erfahren, noch erfahren können, an wen sie gerichtet waren, denn, ob ich schon auch in jener Zeit fast immer um ihn war, so hat er mir doch nie auch nur das geringste von ihnen und ihrem Gegenstande entdeckt, und auch mich selber mußte er außerstand gesetzt haben, etwas zu entdecken. Noch in den Briefen selbst fand ich statt des Namens nur Sterne.

Gleich der erste Brief, vom 22. Jun. 180*, fängt an: – ›An Dich, himmlische ***! sind diese Blätter gerichtet. Täglich abends, wenn ich ausruhen darf von dem Geschäft des Tages, will ich sie vor mich nehmen, Deiner allein gedenken, und etliche Worte an Dich schreiben. Wenn Du sie lesen wirst, ob Du überhaupt sie jemals lesen werdest: ***! dies Geheimnis ist noch nicht gelöst. Aber ich warte nicht darauf, denn ich liebe Dich, und würde Dich lieben, was ich auch wüßte. Usw.‹ –

Von den vielen folgenden schreibe ich den vom 27. Jun. ganz ab.

›Zwei Abende konnte ich nicht bei Dir sein, himmlisches Wesen! den dritten endlich kann ich, muß ich es. So heiter ist der Abend, so schön und erquickend; die Luft hält Geister aufgelöst, und mit jedem Atemzug füllt freies Leben die dürstende Brust. Die Seele fühlt sich losgebundener; sie hebt die Schwingen, möchte gern dem rauhen Boden entsagen, und in den Höhen ihrem Bestimmungsorte näher sein. Du bist nicht hier unten, wo man Dich sucht, und bei Namen ruft. Du liehst der Erde Deine Hülle, aber zu Hause ist sie hier nicht. Dich finde ich in des Äthers blauen Regionen; wo die Sterne funkeln, sprichst Du leuchtende Worte aus seliger Seele; des tiefen Himmels ungemessenes Gebiet umfaßt Dein Gottesgemüt. Unendliches Leben lächelt voll Liebe das All hindurch. Jegliches Wesen, das dem Tod entsteigt, dankt Dir dafür; Du bist die Angebetete, welche die Schöpfung preist. Auch ich bin Dein, Du gabst mir Leben, Deine Liebe erhält es mir. Wen sollte ich suchen, wen sollte ich finden, wenn ich in einsamer Nacht, vergessen der Unnützlichkeiten des ermüdenden Tages, die letzte Kraft, die edlere, zusammenfaßte, und mich mit Sehnsucht, glühender Sehnsucht, hinunterstürze in der Welten geheimen Bau; den Wohnsitz Deiner Allgegenwart. Ich weiß nicht, was und warum ich das will, was ich in solchen Augenblicken will; nur Du stehst vor mir unwandelbar, ich möchte Dich umarmen, und ganz Dein sein. Dann kommen Momente hoher Entzückung, ich verliere mich in unendlicher Wonne; Du hast mich erraten, Du hast mich gehört; ich fühle ganz die Gewalt Deiner liebenden Seele; ich erwache, und matt von der zu seligen Last strecke ich die Hände von neuem zu Dir hinan. O! in solchen göttlichen Träumen verstehe ich alles, ich weiß alles; ich könnte hinsterben in dem Augenblicke und fühlte den Tod nicht, des Lebens Pflichten wären alle erfüllt, nur Du wärst mein. – – – Ach, was weckt mich! – Kalter Umgebung höhnendes Gezisch! Ich zittere! Was ich früher eine Welt nannte, ist ein Dornengebüsch auf steinigtem Fels. Eine neidische Notwendigkeit treibt mich gewaltsam hindurch, mein blutiger Schmerz wird ihr zum ergötzlichen Farbenspiel, aber sie flucht, daß ich es stumm ertrage. – O, diese Wege waren mir längst schon bekannt; oft waren sie Prüfung meiner Beharrlichkeit und meines Glaubens. Der Glaube bestand, die Gewißheit wird vollends nicht zweifeln. Mit helfendem Zuruf stehst Du jenseits, den Lohn in der Hand, und – gibst mir ihn. O,***! Götterkind! Ja! ich litt viel um Dich; aber nun ist es vorüber, und ich bin wieder ganz bei Dir. In Deiner Liebe wird der Kranke ruhen, bis Deiner Morgensonne Gebot ihn zurückruft ins Licht, das Dich verbirgt. Der morgende Tag ist Dir gewidmet. Es ist ein Sonntag, der **te seit jenem, der mich Dir auf ewig verband. O, meine ***! sei mit mir, bei mir, in dieser Nacht, daß ich stark werde zum neuen Leben. – Schlaf, wohl, es ist Mitternacht!‹ –

In einem der spätem Aufsätze fängt unser N. an, Besorgnis um sie zu äußern. Sie drückt sich so aus: – ›O, ***! was möcht ich entbehren, vermöchte ich nur eine einzige Stunde mit Dir allein zu sein. Wie unendlich viel habe ich Dir zu sagen, wie unendlich viel ist's, was Du wissen mußt. Himmlisches Mädchen, ich traure um Dich, Du bist's, die mich daniederdrückt. Du stehst daran, zugrunde zu gehen; die Welt soll für Dich verloren sein, Du sollst nicht wissen, welchen Sinn Leben und Liebe hat. Ach und das Schlimmste, liebe, unendliche liebe ***! ist, daß dies nicht eben jemand mit Absicht will; aber alles um Dich hat gleichsam bewußtlos, unwillkürlich, sich dazu vereinigt. Selbst hast Du das Leben noch wenig gesehen, und die Liebe hast Du nur geahnet. ***! eine unendliche Welt ist Dir noch verschlossen; es ist nur* ein Kleines, und sie bleibt es Dir ewig. Göttliches Mädchen, werde aufmerksam; laß es niemand merken, aber sei stark, sammle die Kräfte und traue Dir. Ich weiß, wer Dein Retter sein könnte, sicher sein würde. Aber, ***! ist es denn möglich? – Darf ich's denn? – Und doch werde ich nicht ablassen, mutig zu sein; ich verzweifle noch nicht.‹ –

Vermutlich hätte eine einzige Stunde, wie unser Freund sie sich von der zärtlich Geliebten erbat, sie und ihn für immer glücklich machen können, aber sie scheint – nicht ›möglich‹ gewesen zu sein. Ihrer Zuneigung war er bestimmt versichert, und selbst ihrer Erlaubnis dazu, wie es schien. Ein früherer, ganz kurzer, Abendbrief heißt: – ›Schnell noch die zwei freundlichen Worte. Gestern erschienst Du als täuschender, heute als wahrer Geist. Ich glühte voll Andacht an Dich, da trat der Engel zur Tür herein; ich stammelte in Gedanken, womit ich zu Dir reden wollte, wenn Du wieder gingst, aber Du schwandest dahin, und ich hatte nicht gesprochen. O, denk in diesem Augenblick an mich. Du darfst ja. Vater – Mutter – erlauben Dir's. – Ich habe heute den W. angefangen. Das war ein guter Gedanke, den ich der ***** verdanke. – O, jetzt habe ich nur einen Gedanken, und den verdank ich Dir. Du bist es selbst. Engel! Schlaf wohl. Ich küsse Dich innig. Schlaf wohl!‹ –

Ein Zufall, der sich aus der Folge der Papiere verrät, hatte die Geliebte mehrere Monate von ihm gänzlich entfernt gehalten, denn sie war überhaupt nicht am Orte. Sie kam zurück; – er sah sie wieder; – seine schon frühere Ahnung schien, Täuschung, oder nicht, wahr geworden zu sein: – er kannte sie nicht mehr. Wer noch derselbe war, mag folgendes Blatt der mir gänzlich Unbekannten, sofern sie lebt und liebet, ausweisen helfen, was sich jenen Briefen ...., die bis den letzten Augenblick, doch unterbrochner, fortgesetzt waren, beigelegt fand:

›Trauer erfüllt die Brust:
Verschwunden ist des lieben Wesens himmlische Verklärung –
Wo ist sie hin? –
War es einen Augenblick nur,
Daß der große herrliche Gott sich Dir verkündigte,
Durch Dich mit dem leuchtenden Licht anderen? –
Einen allereinzigen nur,
Daß Du er selbst warst;
Daß, was sich Dir nahte,
Du mit labendem Segen bis ins Tiefste erquickend erschüttertest.
Erschüttern konntest?
O! Traure tief meine Seele!
Hülle Dich ein, mein Herz! in Asche der Nacht,
Und weine! – –
Gewelkt ist Deiner Hoffnung letzte Blume;
Gift hat ihren Kelch heimlich beschlichen,
Den zarten Stengel der Wind geknickt,
Ihre Blätter verweht – – –‹

Dennoch konnte dies sein Andenken an sie so schnell nicht verlöschen. Noch vor sichtbar sehr viel späterer Zeit findet unter diesem Blatte sich zugeschrieben: ›Gute Seele, ruhe sanft! ich denke Dein!‹ –

Herder starb. Einer seiner Söhne hatte unserm Freunde schon früher Novalis' getroffenes Bild geschenkt. Es ist das einzige gewesen, was er sorgfältig verwahrte, – und mir ein teures Vermächtnis von ihm. Von Herder aber wünschte er sich gar kein Bild; er meinte, niemand könne Ihn treffen.

Einst befand sich unser N. in einer äußerst mißlaunigen und aufgelösten Stimmung, in welcher ihm alles, was er schon wußte oder kannte, überdrüssig, und beinahe zuwider, war. Er kannte indes ein Mittel, sich in solchen Fällen zu helfen; es war ein Haupt-Werk über einen ihm völlig neuen, seinem letzten Treiben aufs möglichste heterogenen, Gegenstand, – was er dann gewöhnlich bis zur völligen Durchdringung studierte. Er selbst wählte es nie. Auch diesmal half er sich auf solche Art; er wandte sich an Herder, – der ihn natürlich verstand; Er schickte ihm Winckelmanns Geschichte der Kunst. Früher hatten seine Bildner wahrscheinlich dieses Werk noch zu hoch für ihn geachtet, denn allerhand hatten sie ihm in die Hände gegeben, in der Regel aber bloß ›Tikes‹; für das Antike, war die Klage, fehle ihm der Sinn noch. Er fragte mehrere Male, worin der Sinn dafür denn eigentlich bestände, bekam aber nie eine Antwort, die er verstehen konnte. – Winckelmann machte ihn wie neu geboren. Ich habe eine lange Reihe von Anmerkungen zu ihm vorgefunden, aus denen zu sehen ist, daß gleich das erste Blatt, die erste Seite, ihn sehr beschäftigt, und er besonders lange bei ihm verweilt hatte. Er behauptete durchaus, es sei ein Werk, zu dem ein zweiter Band fehle, ohngeachtet ihn niemand so möglich gemacht haben könne, als eben Winckelmann selbst. Wenn mir einmal Gelegenheit erlaubt ist, jene seine Anmerkungen mitzuteilen, wird man finden, wie er das verstand, und daß allerdings Verstand darinnen war. Nur eins zu erwähnen, verband er gleich bei der ersten Seite die Winckelmannische Kunst, oder auch die Kunst im engern oder engsten Sinne, mit der viel allgemeineren der Erde und der Welt, und ihren Hauptcharakter, von dem er meinte, W. habe ihn verraten, er wisse selber nicht wie; den, daß sie ›monumentierte‹, verfolgte er bis zur großen gesamten Welt selbst herauf, und wieder herab bis zur Schaale des Wurms, die doch nicht liegen bleibe, sondern vom Künstler, den dieselbe Natur besorgt, zuletzt der. Erde schönste Form, die menschliche, noch, erhalte, gleichsam um anzudeuten, zu wem auch sie einst beigetragen hätte, und wer in ihr wirkte, ehe er geboren war. Und so weiter. – Nichts wünschte er mehr, als ein ähnliches Werk auch über die Baukunst, die ihn noch viel mehr interessierte, als die Plastik, und über die er sich eine Skizze ihrer Geschichte und Bedeutung entworfen hatte, von den ältesten und größten unterirdischen Werken bis zu den höchsten, spitzigsten, oberirdischen, und bis zum Kleidungsstück, der wechselnden Mode, und dem Ring am Finger, herab. – Auch hier blieb er im Grunde, was er war: Physiker; von Magnetismus, Elektrizität, und Hydrogen und Oxygen, indessen, hat man ihn eigentlich nie dabei sprechen hören.

Während, oder doch bald nach, jener Lektüre, muß er sich auch noch einmal besonders lebhaft an Novalis, und anderes kürzer zuvor sich Zugetragenes, zurückerinnert haben. Wenigstens fand ich ein Gedicht unter seinen Papieren, was ziemlich nur diese Beziehung haben kann. Ich setze es her, ohne seinen Wert beurteilen zu können. Er selbst schien kein Gedicht als solches dabei im Sinne gehabt zu haben, einzig nur dankbare Erinnerung; der ziemlich flüchtig hin geschriebene Brouillon ist ganz ohne Korrektur.

»Freunde schien der Himmel mir zu geben,
Einen gab er endlich wirklich mir;
Aber kaum, daß er ihn mir gegeben,
Nahm er wieder ihn hinweg von mir.
Traurig Loos! wenn alles nur beginnet,
Daß es fast beginnend noch zerrinnet.

Liebe schien der Himmli mir zu geben,
Liebe gab er endlich wirklich mir;
Aber kaum, daß er sie mir gegeben,
Nimmt er wieder sie hinweg von mir.
Traurig Loos! wenn alles nur beginnet,
Daß es fast beginnend noch zerrinnet.

Rings verlassen seufz ich meine Klagen,
Aber höret eine Seele sie? –
Niemand höret, ich muß fast verzagen,
Ausgestorbner war die Welt noch nie!
Traurig Loos! wenn alles nur beginnet,
Daß es fast beginnend noch zerrinnet! –

Aber nein! ich will nicht fürder zagen;
Einer hört die Klage wirklich noch!
Er ist tot; dem Leben zu entsagen,
Lebt er tot im höhern Leben noch.
Seinem Geist allein war ich verbunden,
In der Kunst hab ich ihn wiederfunden.

Fahre, Leben, denn nur fort zu toben,
Tot vernehm ich deine Plage nicht;
Eins mit meinem Freund leb ich dort oben,
Tu aufs Irdische fortan Verzicht,
Meinem Freund allein war ich verbunden;
In der Kunst hab ich ihn wiederfunden.

Kunst allein ist wahrhaft echte Liebe,
Sie bleibt treu, solang wir ihr nur treu;
In der Kunst sei einzig, was ich liebe,
Und die Kunst ist ewig, ewig, neu. –
Freundschaft, Liebe, alles war verloren,
Doch die Kunst hat alles wiederboren!‹ –

Nach der schönen Zeit von Weimar, die noch vor Ende 1801 wieder aufhören mußte, verschloß sich unsers Freundes Inneres in dem Grade um so mehr, als er auch unter immer mehr Menschen der höchst verschiedensten Art geworfen wurde. Was bis etwa 1803 in ihm vorgegangen, können bloß einige seiner Fragmente bis zu dieser Zeit verraten. Daß er ernster und strenger gegen alle seine Verhältnisse wurde, war klar; daß er unbedeutende noch ebenso vernachlässigte, wie zuvor, gleichfalls; – indessen spricht ein Fragment, schon mit dem März 1802 angemerkt, sehr gut aus, in welcher Restriktion sein Gemüt sich bereits damals befand. Es scheint aus einem Briefe an jemand zu sein; eben aber, daß unser Verfasser es sich zurückbehielt, bedeutet, daß es ihn selber aussprach, denn so etwas bewahrt noch der Uneigennützigste gern. Verzeihe der mir gänzlich fremde Mann, der jenen Brief damals schon las, daß ich eine Stelle daraus drucken lasse, die eigentlich noch immer ihm gehört. Es mußte um eine eigene Verlegenheit die Rede sein, denn die Worte sind diese:

›– Gibst Du Dich doch wieder in Pension? – Wahrhaftig? – – Nein! – Ehre! – Achte! – Aber tue Deine Tat. Laß aufs naivste Dich gewähren. – Gehöre niemand! – Entschlage Dich sogar des Bewußtseins, Dir selbst zu gehören. Dann sei! – Dann lebe! – und in aller Bedeutung! – – Fürchte nichts! – Hoffe die Gegenwart!Erwarte nichts! – Dann findest Du, daß Du alles hast. Es zu erhalten, hast Du in dem Augenblicke schon gelernt. – Bist Du nun, was Du bist, so findet sich Dir, was Du besitzen sollst. – Ich spreche von Liebe!Uns erwartet alles. Sind wir da, so ist es auch da. Alles ist wirklich, was möglich war. Möglich ist etwas nur im Augenblick des Wirklichwerdens. – Aber vergiß auch dies! – – Schaue!Sei! – Eins gibt das andere! Du bist ein Sprosse, den die Welt treibt; Blüten – Früchte – besorgt sie. – Dir kommt es nicht so vor? –, aber ihrer Tat entwehrst Du Dich nicht. Diese Tat ist Dein. Eine andre fürchtet sich vor Dir. – O! Du bist geborgen: die Welt verdirbt nicht! – Ist sie verdammt, so kannst Du stolz sein: Du bist es auch. Ist sie selig, o so werde wahnsinnig, denn Du bist es auch. Und das hat die Welt von einer Katze, daß sie sich mit dem Besten bedenkt!‹ – –

Im Sommer und Winter 1802 war ich weniger um unsern Freund N. Er lebte und wohnte damals mit einem Freunde zusammen, der an Reichtum, Vielseitigkeit und innigster Redlichkeit oft mühsam und für Kopf und Herz gleich kostbar gewesener völlig eigner Bildung vielleicht der erste war, mit dem er in so vertrauten, beständigen, und recht eigentlich brüderlichen, Umgang kam; sie hatten sich schon früher von Person gekannt, lange aber ordentlich abgestoßen, – woran ein äußerst mißlungener Scherz eines sonst braven Mannes, der es auf seine Art mit beiden gut meinen wollte, nicht wenig schuld war, und dann auch der schlimme, böse Ruf, in welchem unser N. damals in einem achtungswürdigen Hause, vermutlich bloß seiner früheren Verbindungen wegen, die übrigens niemand angingen, als vielleicht die Magd darin, stand, Vergl. zu so etwas schon 1. Korinther I, 12, 12, der Lutherschen Übersetzung. – und in welches Haus N.s Freund damals noch viel hinein-, und wieder herausging. Ein Zufall, der indes notwendig verwunden werden mußte, brachte ihre Wohnungen dicht nebeneinander, und keiner wußte so ziemlich darum, bis einer einmal die Tür aufmachte, um zu sehen, was in den andern Zimmern wohl sei. Es schien, sie sollten sich näherkommen, und es fand sich auch, daß es nicht unrecht gewesen war. Sie machten, – anfangs von der Seite, – immer mehrere Entdeckungen aneinander, endlich traten sie sich einander gerade gegenüber, und eine Freundschaft entdeckte zwischen beiden sich begründet, die in das engste Vertrauen jeder Art, bis zur gemeinschaftlichen Andacht herauf, überging. Wirklich ging die Innigkeit ihres Übereinstimmens so weit, daß sie kein Geheimnis mehr voreinander haben konnten, selbst wo sie auch wollten. Jener Freund N.s wird, wenn ihm dieses anders zu Gesichte kommt, sich noch jetzt erinnern, wie dieser ihm einmal ein äußerst, und auch ein äußerst sonderbar, zusammengesetztes Geheimnis, was seinem Herzen unendlichen Kummer machte, und er schlechterdings niemand entdecken wollte, aus bloßer Teilnahme bis in die kleinsten Details, nicht erriet, sondern fast divinatorisch nach der Reihe offen vorlegte, – und ihn tröstete. Überhaupt hatte unser N. die Eigenschaft in hohem Grade, doch seit etwa 1801 erst mehr, um Personen, mit denen er im wahrhaft innigsten Verkehre stand, auch in der Ferne, und größer noch, fast jede Stunde, jeden Augenblick, wissen oder fühlen zu können, was ihnen Besonderes widerfuhr, und diesen ging es dann, wie durch Mitteilung gleichsam, mehr oder weniger gleichfalls so. – Nicht immer war dieses Mitgefühl gleich deutlich und klar, bei Hauptvorfällen aber fast jederzeit, und noch bis auf die letzte Zeit ist es ihm geblieben gewesen. Denn in welcher Zerstreuung sich auch sein Kopf und seine Reflexion befinden mochten: sein Herz, sein Inneres, blieb doch immer klar und ruhig, und er nicht fern von ihm. Eines von seinen Fragmenten über tierischen Magnetismus, was ich in dieses Buch mit aufgenommen habe, kann vielleicht mehr Aufklärung über seine Vorstellungen von solchem Mitgefühl und Mitwissen geben. – Auch mit dem sogenannten ›Wolf in der Fabel‹ war er äußerst bekannt; er behauptete es aber als Gesetz darüber, von dem ihm auch nicht eine Ausnahme vorgekommen sei, daß, sobald man über den hierher gehörigen Einfall .... zur Reflexion komme oder kommen könne (gleichsam, wenn man wisse, und es sich merke, daß man ihn habe, und dann also auch sehen wollen könne, ob er etwan eintreffen werde), er ganz sicher nicht echt, das ist nicht von Wahrheit, sei oder gewesen sei. Mit dem wirklich wahren gehe es nahe wie mit dem Traume; man wisse allemal erst um ihn, indem er sich bestätige, – wie dort, nachdem er (der Traum) einem im Wachen wieder einfalle –, wobei man aber, im einen, wie im andern Falle, ganz bestimmt wisse, daß er jetzt zum zweiten Male, also ein erstes Mal früher, da gewesen sei, und auch zu der und der Zeit. – Überlasse man sich seinem Gedankengange mit der Feder in der Hand, und wo man nun eben wahrhaftig nicht sonderlich über das reflektiere, was man schreibe, weil man ganz nur den Ergüssen seines Herzens und Gemüts, und mit möglichstem Wunsche nach Vollerhaltung derselben, folge, wie zum Beispiel in Briefen an eine zärtlichst geliebte Mutter, an den innigsten Freund, an die innigst Geliebte, – wo also nicht die Feder, sondern der Gedanke selbst, schreibe, und gleichsam erst geschrieben gedacht sein wolle, weil diesmal überhaupt nicht anders gedacht werden könne: – so sei es dann außerordentlich möglich, und ihm selbst sehr oft begegnet, daß auch das Papier dann Mitgefühle, Ahnungen, und ganz bestimmte Aussprüche von in demselben Augenblicke, in welcher Ferne auch, Geschehenem enthielte; aber hier käme es doch auch ebensowenig zu einer nachmaligen Reflexion darüber, als wo man nicht schriebe, denn auch innigster und wahrster Freundschaft oder Liebe unfehlbarstes Zeichen sei, daß sie für ihre Äußerungen keiner Kritik, also auch keiner Reflexion darüber, die ja überall nur der ›Kritik‹ wegen entstehe, und die nur das Unvollkommene fordere, bedürfe. – Vom sogenannten ›Lupus in fabula‹ bot sich ihm übrigens ein eigener, wohl weniger bekannter, Gebrauch desselben an. Der direkte verbietet sich von selbst, wie wir gesehen haben; interessant aber wurde es ihm, wie die Ferne, bis in die er, einen Tag um den andern, galt, oder auch, und eigentlicher, nicht die im Raum sowohl, als mehr die in der Zeit, allemal recht genau mit dem Grade der Ruhe, des Friedens, und des Wohlbefindens seines eignen Innern zusammenfiel, – obschon er das letztere nie, wie manche ihm, halb im Scherze, halb im Ernste, schuld geben wollten, allaugenblicklich mit Lackmus ›Kurkumäpapier‹, oder Schwefelleber, probierte, oder es sonst besah, ob es noch ›gut‹ sei, sondern erst abends, nach vollbrachtem Tageswerk, Gott für seine Gegenwart dabei dankte.

Unser N. verlebte mit seinem Zimmerfreunde nach und nach ungemein fördernde Tage. (Man vergleiche auch diese Fragmente.) Allerhand drängte sich um diese Zeit wieder zu ihnen herbei; mehrere glaubten sich für ihre absoluten Freunde gehalten; aber sie speisten jeden mit dem, wonach er hungerte, und oft fiel ihnen die Geschichte mit den fünf Broten unter fünftausend Mann dabei ein. Überhaupt besaß unser Freund das leicht falschen Deutungen unterworfene Talent in ziemlichem Grade, Personen, die sich ihm näherten, sonst aber von mittelmäßiger Beschaffenheit waren, gleich das erste Mal so zu befriedigen, daß sie vermeinten, der engste ›Freundschaftsbund‹ sei nun geschlossen. Auch ließ er sie dabei, solange sie selbst keinen Anlaß zum ›Bruch desselben‹ gaben, und oft dauerte dies sehr lange an, obgleich sie sich dann nur um so bitterer, im Grunde aber über sich selbst, beklagten. Was ihn selbst dabei unterhielt, war, sie bis aufs letzte durchzukennen, und dann, was ihm ein innres Band war, doch meistenteils ganz unmöglich blieb, sie eigentlich nur immer zu berechnen, zur Probe nämlich, ob er den gegebenen Charakter auch völlig aufgefaßt habe. Zum wahren Werte angeschlagen waren sie dann bei ihm nur immer nach dem Grade von Ehrlichkeit und Redlichkeit, der sich an ihnen und ihrem Streben äußerte, oder dessen, wovon sie dann, selbst, das wenigste wußten, und auch nicht zu wissen brauchten, was aber meistens wegfiel, je mehr sie darum wußten, und vor Anstrengung gleichsam schwitzten, etwas Originelles, Großes, oder Dummes, zu sagen. Vorzüglich gefunden waren ihm Charaktere und Karikaturen, die als Extreme Tausende ihrer Art repräsentierten, selbst ›steinerne Gäste‹ waren ihm in diesem Fall gelitten; – die, mit denen er erst nach Jahren fertig werden konnte, versicherte er, seien ihm in der Regel die liebsten gewesen, Tremellen aber schaffte er sich den Augenblick wieder vom Leibe. So lernte er nach und nach fast alle Elemente menschlichen Bestands und menschlicher Entstellung kennen, und in vertrauten Zirkeln wußte er die Kompositionen von Menschen, die er auch nur ein einziges Mal gesehen und gesprochen, so treffend und einleuchtend darzustellen, daß man hätte glauben mögen, er rezitiere Analysen von Klaproth oder Vauquelin; nie aber duldete er beleidigenden Gebrauch davon. Auffallend war es, daß er mit den Vornehmeren immer viel eher fertig wurde, als mit den Geringern; er meinte aber, es käme davon her, daß Leute, die so recht sich zum Bewußtsein von sich selbst erhoben, besonders wenn sie es bis zu Grundsätzen gebracht hätten, zwar an sehr viel mehrern litten, aber von unendlich wenigem geleitet würden, als solche, die noch gar nicht im Sandbade gewesen, sondern hätten bleiben können, wie sie Gott geschaffen, und höchstens etwa die ›Umstände‹ sie verändert hätten, die also noch ganze Organismen, keine bloße Parasiten von sich schon, wären. Er wußte hier manchmal komische Betrachtungen anzubringen –: von Misteln, hohlen Weiden, und Eingeweidewürmern, von fliegendem Sommer, gefüllten Levkojen und Gänseblümchen; Wasserjungfern, Rosenkönigen, und selbst von geheimen Räten. Es war gut, daß er nicht gleich alles drucken ließ, und überhaupt gar nichts; die respektiven Interessenten hätten es so nicht verstanden, ohngeachtet es ungemein richtig, und folglich gut gemeint, war; sie hätten sein Leben bis zum Jahr 1809 nicht kommen lassen. –

Im Winter 1802–3, nach einer Resignation, die wenig Scherze zu ihrer Ruhe bedurfte, und durch drollige Zumutungen ebensowenig gestört werden konnte, – denn man war ihm gut, und hätte ihn gern einmal mit etwas Schicklichem bedacht gehabt, – in diesem Winter also wurde unser Freund, des Schnees und der großen Kälte ohngeachtet, ein – Mädchen gewahr, bei deren ersten Erblicken, und noch ehe er sie gesprochen, ihm – höchst unschicklich – einfiel, was ihm nirgends so noch eingefallen war, sie zu heiraten. Er wußte, daß er es der ganzen Welt nicht sagen dürfe, und hatte auch selbst nicht große Lust dazu; aber seinem Freunde sagte er es. Dieser freute sich, ohne zu staunen, und drohte bloß, ihn beim Worte zu halten. Eine lange Zeit hielt er seine Bekanntschaft mit ihr außerordentlich geheim, selbst seinem Freunde hatte er alles wieder ausgeredet (wenn es nämlich wahr ist), und schon wollte dieser ordentlich böse werden – bis er endlich einmal unversehens hinter die ganze Geschichte, wie sie war, kam, und nun auf drei Minuten im Ernste böse wurde, anders aber, und auch nicht länger. – Schönere Zeit war unser N. mit seinem Freunde nie zusammen gewesen, als von hier an, und mit aller seines Wesens Herrlichkeit und Tiefe erschien ihm letzterer jetzt. Hier wurden Dinge gesprochen und versprochen, die wohl von wenigen bei solchen Gelegenheiten so besprochen wurden; wer zugehört hätte, hätte unsere Freunde zuweilen für wahnsinnig gehalten, denn wenig würde er verstanden haben; dagegen aber hatte N. auch selbst noch gegen keine Geliebte so offen sein können, als gegen diesen seinen Freund; es war eben, als wenn es Gott bloß hörte, und selbst mitspräche, – und was in diesen einzigen Stunden gut und wahr erschien, war der Art, daß es selbst in schlechteren behauptet werden mußte; dann war es möglich, in den bessern sich wiederzufinden. Auch blieb es dieses unserm Freunde, und spät noch dankte er ihm für Zeiten, die er, in dieser Art, noch mit keinem Manne gelebt, für treuen Zuspruch, wie er ihn von keinem Menschen noch erfahren. Verständigen erfuhr er zwar späterhin von jemand noch, aber er war auch so verständig, daß darin auch keine Ahnung davon lag, daß, über was das Herz aus seiner Tiefe entschieden, vom Verstand nicht mehr gerichtet werden könne. Und so wurde auch unser Freund immer unverständlicher, besonders, je mehr sein neues Verhältnis ›bekannter‹ wurde, wozu er nachmals die Gelegenheit immer weniger verhinderte, und man hätte ihn, ich weiß nicht, wohin, gegeben, wenn er nicht doch andrerseits in dem, was er wirklich bloß Verständiges in dieser Zeit trieb, und dessen viel war, noch einigen Verstand verraten hätte. Außer an jenen seinen Freund, der ihn indessen im Jahre 1803 verlassen mußte, vertraute er sich jetzt keiner Seele mehr, und seinen besten nachherigen Freunden, wenn sie ihn um die Ursache fragten, antwortete er bloß, daß es schlimm stehen würde, wenn er es nötig hätte. Gegen seine Freunde selbst wurde er anders; man konnte sagen, für alle sei er verloren gewesen, oder auch, gegen keinen sei er mehr ehrlich; die vertrautesten blieben es in der Regel bloß für wissenschaftliche Gegenstände, oder muntern Scherz. Diesen brauchte er aber jetzt mehr als je, um Zumutungen von sich abzuhalten, die, schon zu sagen, daß er sie nicht erfüllen könne, ihn in Verlegenheit gesetzt haben würden, und je mehr er sich ihm überließ, ein desto gewisseres Zeichen war es, daß er ihm bloße Maske innern tiefen Ernstes sei. Niemand also hatte jetzt mehr Zugang in sein Inneres; bloß in Briefen äußerte er etliche Male, daß er nicht mehr ›liebe‹, und noch weniger, verliebt sei; es sei etwas sehr viel und ganz anderes, und was er niemand nennen könne, der es nicht von selbst errate oder es selbst kenne; ebensowenig könne es ihm etwas helfen, es anerkannt zu sehen, oder nicht, denn es bestehe in sich selber, und werde bestehen, so wahr er überhaupt etwa so glücklich gewesen sei, seiner teilhaftig zu werden.

Und hier, da es an allen weitern Akten und Mitteilungen fehlt, müssen wir überhaupt die innere Geschichte unseres Freundes, soweit sie diejenige seines Herzens ist, verlassen, als von der wir ohnehin nur Fragmente liefern konnten. Bloß äußere Beobachtung blieb denen übrig, die sich ferner um ihn interessierten. Man sah in großen Kämpfen mit einer verworrenen Umgebung, ihn, niemand zur Hülfe, allemal bis zum Siege beharren; dagegen sah man ihn nicht achten, und sogar verachten, was Tausenden genug gewesen wäre, nicht zu beharren, – und man begriff ihn auch nicht. Endlich ließ er sich förmlich trauen, und seine Gattin soll erst wenige Wochen zuvor erfahren haben, was einst bereits bei ihrem ersten Anblick schon sein erster Gedanke und eiserner Vorsatz war, – und dieses begriff man vollends nicht. Sein treuer Freund war der einzige, der, aus der Ferne noch, dem neuen Paare ein Hochzeitgeschenk sandte, und nichts wünschte er so sehr, als diesen noch einmal zu sehen: sie wollten sich ihre Kinder zeigen.

Zweierlei hatte ihn beim Trauungsakte vorzüglich affiziert. Das eine war der Augenblick, wo ihnen der Priester die Hände auflegte. In diesem Augenblicke sei es gewesen, als habe der Himmel sich erschlossen, und die Zeit die Tore aufgetan; als sei erschienen, den er gesucht, wenn er die ›Urkunde‹ befragt; von diesem Augenblicke an erst sei er bestätigt worden, von diesem an erst wisse er, daß er es bleiben werde. Wie ein Metall, das lange auf der Kapelle gestanden, doch endlich, und nun schnell, zur Klarheit komme, so habe auch er den Blick nicht ertragen können, der wie ein Blitz sein Innerstes durchfahren habe. Seine Klarheit aber sei mit ihm vermählt geblieben, und er habe empfunden, daß der Welterlöser sein Werk verrichtet. – Das zweite, was aber einen ganz andern Eindruck machte, und dem er erst den Tag darauf die Äußerung erlaubte, war die, freilich etwas sonderbare, Klausel, die der gute Priester, ohne zu stottern, aus seinem Formular in geradem Zuge mit ablas, wo er an die Stelle kam: ›Was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden.‹ Die letzte Zeile nämlich hieß bei ihm: – »soll der Mensch, ›es sei denn aus wichtigen Gründen‹, nicht scheiden.« – Als ob es Fälle gäbe, wo der Mensch gescheuter sein solle, als Gott, meinte unser Freund. Die Schlange selber habe doch nur versichert, daß man höchstens ebenso klug werden könne, als Er. Er war entsetzlich böse, und verfluchte die neue Aufklärung; es war das einzige Mal, daß ich ihn fluchen hörte, er entschuldigte sich aber damit, daß Gott selbst einmal bei ähnlicher Gelegenheit geflucht habe.

Gäste hatte er sich zu diesem Tage gar nicht gebeten, und überhaupt wußte noch den Mittag kein Mensch davon, was Nachmittag geschehen sollte. Er wollte diesen Tag mit seiner Frau am liebsten allein sein, und war dazu schon früher mit ihr aufs Land, in eine der schönsten Gegenden an der Saale, gegangen. Sein alter treuer Diener aber, der unterdes in der Stadt das Haus bewachte, hatte, völlig gegen seine sonstige Gewohnheit, an diesem Tage weder Ruhe noch Rast; es › müsse was mit seinem Herrn passieren‹ – und mich machte er gleichfalls bedenklich. Wir und ihr Hauswirt waren die einzigen, die sie zur Kirche begleiten durften. Es war ein ungemein schöner Sommersonntag; erst als sie in der Kirche waren, wußte das Dorf, schon lange gespannt, was geschehe. Einem Triumphzug gleich nunmehr des neuen Paares Rückfahrt nach ihrer Wohnung; an der Brücke empfing sie Musik, Kinder streuten Blumen, und brachten Früchte ins Haus; – und der Zolleinnehmer forderte den Brautzoll. Wie an diesem Tage habe ich unsern Freund nie wiedergesehen; er war nicht gerührt, – nicht entzückt, – aber tief bewegt, und still, und heiter. Seine Frau schwieg, küßte ihn, und weinte, aber bald erheiterte er auch sie. Abends, nachdem alles zur Ruhe, und nur noch der Mond sich über die Saale in seinem langen bewegten Strahl ins kleine Zimmer herüber spiegelte, hub unter den Fenstern, völlig ungedacht, ein uralter Mann mit kräftiger Stimme das Lied zu singen an: ›Mit Gott ist alles angefangen, mit Gott ist alles wohlgetan; etc.‹ Sie konnten der Träne nicht mehr gebieten, und baten uns, sie zu verlassen. Noch acht Tage wiederholte der brave Nachtwächter alle Abende sein vernehmliches Lied, – und unser Freund dankte Gott, daß er sich nicht in der Stadt hatte trauen lassen, wenigstens hätte er da schon keinen so guten Nachtwächter gefunden.

Wahrlich auch! Wer damals näher um alle äußeren Verhältnisse unseres Freundes wußte, und unbefangen sie mit dem zusammenhielt, was man ihm dem ohngeachtet doch zutrauen konnte, dem wird der ganze beschriebene Tag sein Ende, und der ganze Eindruck desselben auf ihn, gewiß verzeihlich erscheinen, – wenn er auch keine Spur vom einstigen Verehrer des Don Quixote, und selbst noch vom Verfasser der oben mitgeteilten Briefe, mehr in ihm finden können sollte, – und vielleicht – nur um so eher. Den Verfasser der ›Nachtgedanken‹ aber wird man wiedererkennen. –

In seinen Tagebüchern bemerkt man um diese Zeit keinen sonderlichen Stillstand, wohl aber einen besonderen Ernst und Bezug in der Wahl und Behandlung der Gegenstände, und eine deutliche Vorliebe zu sogenannt ganz allgemeinen, mehr kosmischen, oder vieles, zumal geschichtlich, umfassenden. Mehrere dieser Fragmente habe ich gar nicht aufnehmen mögen, da sie, so wie sie dastehn, allzu kühn und anstößig erscheinen würden, – vollends eines, das ganze wenige Wochen vor seine Verheiratung fällt, und nach welchem man es gradezu für unmöglich halten würde, daß ein Mann von solchen Überzeugungen je heiraten konnte. Es enthält die Skizze einer Geschichte der Liebe und des Verhältnisses beider Geschlechter zueinander von den ältesten Zeiten herauf, und gibt namentlich für unsere Tage ein Durchschnitt eine Armut und Zerrissenheit des letzteren, dagegen aber eine Schilderung des Ideals seines Bestandes und der dann ihm von selbst zukommenden Formen, die beide, auch vor den liberalsten Richtern, gleich wenig Gnade finden würden, so streng auch die Beweise dafür zu führen wären. Man sieht deutlich, daß er einen großen Kummer, der gerade diejenigen am meisten drückt, die eben zu seiner Erhebung am meisten Anlaß geben, und der gleichsam nur im Namen des ganzen Geschlechts, in seiner Geschichte, erhoben werden kann, auch als Person noch mit sich teilte, und sich erst nochmals mit dem notwendigen Gesetze jener abfinden wollte, bevor er einen, sonst ja absolut nur von ihm abhängenden, Schritt tat, auf den er zwar längst vorbereitet und den er längst gewollt, der ihm doch aber in jeder Hinsicht als der wichtigste im Leben erschien, und den er nicht ohne das vollste, umfassendste, Bewußtsein seiner wagen wollte, weil er ihn, nach seiner Gesinnung zu schließen, nie wieder würde zurückgenommen haben. Daß übrigens hier nicht so sehr von ›Essen und Trinken‹ die Rede dabei war, versteht sich wohl von selbst. Es war die Anerkennung einer mit höchster Notwendigkeit allmählig herbeigekommenen, Schwäche oder Lahmheit des Verhältnisses beider Geschlechter zueinander (und damit auch ihres Verkehrs mit der Natur – Gott), die gegenwärtig, bis in fernen Zeiten einst sie mit der nämlichen Notwendigkeit sich, und von selbst, wieder heben werde, durchaus keines andern, vor der allgemeinen Ordnung der Natur gültigen, interimistischen Äquivalents des einst bestandnen und einst wiederkehrenden Ideals von Stärke und Wahrheit desselben fähig sei, als jenes durch das Gesetz gegebenen, und eine bloße Abbreviatur vom Ganzen, Vollen, und Erfüllten, ausmachenden: – der Ehe. Der gültigste Beweis dafür wurde ihm der überall gleichzeitig gewesene Eintritt eines Gesetzes, was Religion, was einen Gott, befohl, mit dem der Ehe, – oder mehr die eigentlich unmittelbare Verbundenheit beider, so daß sie zusammen ein bloßes Doppelgesetz ausmachen. Schon dieses zeigte, daß ungeheuer viel fehlen mußte, damit die Ehe, oder auch die Liebe im reinem Sinne, ein Vollkommenes, in sich Ganzes sei. Überhaupt könne diese unter keiner Bedingung je ein solches in sich Ganzes werden, obschon ein solches an sich allerdings gedacht werden könne, und einmal auch ganz notwendig schon dagewesen sein müsse; seine Form indessen sei eine sehr viel andere, zwar auch jetzt noch gekannt, aber zu einer Zeit im Fortgange der Menschennatur gemißbraucht, wo sie das Unheiligste, Verwüstendste und im strengsten Sinne Widernatürlichste gebe, was bei menschlichen Verhältnissen möglich sei. Es schütze nicht, daß ihre Verehrer ein außerordentliches Wohlbefinden dabei vorgeben; dann erst werden sie es in die Länge rühmen können, wenn der Gott so gut dabei sei, als in der Ehe, und zwar noch inniger und wahrer, nämlich nicht mehr äußerlich, als Gegenstand, sondern innerlich, als Mitbestand. Wie aber ein Verwegener, und im Grunde vielleicht nicht mit allzuviel Unrecht, alle Laster als bloße zur Unzeit geübte Tugenden zu behaupten imstande sein könnte, so sei der Fall es auch hier; man fordre, was die Zeit noch nicht leiste (oder auch nicht mehr, – denn alles, wer da war, kommt einmal wieder, – und eine echte Säkulargleichung gibt es in der höhern Menschengeschichte ebensowenig, als in der höhern Astronomie –), wozu es also in der Tat Unzeit sei; allerdings vermöge dies eine Art von äußerst reizendem Vorgeschmack zu geben, – (man könnte sagen: wenn das Falsche schon so ist, wie muß erst das Wahre sein?), indem man aber nie gesättigt werde, weil man im Grunde noch gar nichts genossen habe, bleibe hinterher zur Strafe ebensowenig zurück, als je dagewesen sei, das ist nichts, und nicht einmal man selbst; man habe sich also durch das zu frühe Gelüst um alles gebracht, sowohl um die Frucht, als um den Genießer. Wogegen man im gesetzlichen Verhältnis, und seiner Bewahrung, beider sicher bleibe, und wenigstens versprochen behalte, was man gern entbehrte, solange man es zu einer Zeit genossen hätte, wo es noch Gift war; – wie ja schon der gewöhnlichen Früchte mancherlei die Eigenschaft haben, unzeitig giftig, und erst völlig zeitig nährend, zu sein. – Außerordentlich bedeutend sei bereits jenes schreckliche körperliche Übel, welches so leicht schon früh die auch den Rohesten noch fühlbar peinigende Strafe jener unglücklichen Antizipation werde, und welches seinen Ursprung einst ganz sicher nur aus dem allmähligen Unnatürlichwerden einer früher allerdings natürlich gültigen, aber, wohl zu merken, dazu auch von der Natur selbst noch mit Kraft und Gehalt erfüllt gewesen, organischeren Form des allgemeinen Geschlechtsverkehrs gehabt haben könne; – welche Betrachtung übrigens, wenn man sie weiter fortsetze, zugleich die einzig möglich wahre Konstruktion und Bedeutung dieses fürchterlichsten aller Gifte gewähre, die durch dasselbe hervorgebrachte Krankheit zu der wichtigsten und ersten aller körperlichen erhebe, und es wahrscheinlich mache, daß alle übrigen Krankheitsgifte zuletzt bloße Abkömmlinge und Modifikationen dieses ersten Einen sein. – Schon gesund zu bleiben, also, werde unwillkürlich dem Schwächern kein ganz überflüssiger Hülfsgrund, verlassen von der Natur am Gesetze zu halten, was nun freilich ihn selbst noch wenig fördre, indessen doch schon in die Anstalt der Natur mit gehöre, äußres gutes Beispiel zu vermehren; erst der aber werde sich wahre Gesundheit jeder Art und Ranges, des Körpers, wie des Kopfes und des Herzens, sichern, der dem Gesetz sich nirgends mehr aus Furcht, sondern aus innerstem Glauben, und damit eigner natürlicher Neigung dazu, füge, welche beide der völlig Besonnene allemal bei sich schon vorfinden, und um so lieber ihnen bleiben werde, als er sehr bald erfahre, wie unendlich Liebe von Treue übertroffen werde, und wie göttlich die Wiedergeburt und das völlig neue Leben sei, zu welcher durch diese dann auch jene wieder gelange. Mit nichts Besserem von dieser Welt lasse sich der auf der Stelle erfolgende Segen davon vergleichen, als mit der gewissen Zuversicht eines heitern und glücklichen Alters, während der Verächter desselben nur Tage voraussehe, die er fürchten müsse, nicht einmal mehr verfluchen zu können, sondern, wenn es noch sehr gut werde, in Verzweiflung, gewöhnlicher aber in bloßer trockener Verkümmerung, dahin zu bringen, bis der Augenblick dennoch komme, wo er, aller früheren Gegenanstalten ohngeachtet, doch noch einmal vor sich zurückgerufen werde, um kurzer ›Lust‹ Erinnerung fortan als ewige Last zu tragen. – Als Mensch indessen solle keiner sich zum absoluten Richter anderer, wie weit sie dem Gesetz gehören, und es halten, aufwerfen wollen; nichts sei so schwer, als hier der Sicherheit gewiß zu sein. Wohl könne man das System der möglichen Fälle, das Differentiat der Geschichte zu Hülfe, konstruktionsweise – der Natur gleichsam nach: – entwickeln, aber diese Natur pflege, ihres ewigen Wechsels ungeachtet, doch nie bis zu wirklichen Extremen zu gehen, vielmehr sei in allem Schwanken bloß ein relatives Übergewicht dieses oder jenes Pols .... zu bemerken, und zu jeder Zeit, in jedem Augenblicke, bleibe das System der unendlichen Formen ein Ganzes, alle Begreifendes, bloß zur einen Zeit diese, zur andern jene, hervorhebend, – und selbst dieses nur ›örtlich‹, denn zuletzt sei gar kein Wechsel in ihr, bloß in den Teilen. Auch projiziere sie anders, als wir, und ihre ›Geographie‹ sei von der unsern oft sehr verschieden. Richter also bleibe bloß jedem ›er selbst‹, und glücklich sei, wer früher, als ihn Zwang dazu getrieben, es schon gewesen sei. – – Doch, wozu weiter, da schon dieses übrig genug, die Sorge oben, aus der ich sagte, daß ich mehrere Fragmente ähnlichen Inhalts absichtlich weggelassen hätte, zu rechtfertigen, und, in solcher Kürze, und unvollkommener Erörterung der Prämissen, ich ohnedem schwerlich schon verstanden, eher mißverstanden, werden würde (ja, selbst noch mißverstehen könnte), obgleich unser Freund, bloß sich selbst zum Notat, noch viel kürzer schrieb. –

Über die im folgenden wirklich mitgeteilten Fragmente habe ich nun noch einige Worte zu sagen.

In den Papieren des Verfassers folgten sie sich gewöhnlich in der buntesten Reihe, und zuweilen schien es, als habe er an einem Tage die ganze Schöpfung bedenken wollen, und keinesweges nach der Ordnung, sondern wie es ihm eben ein-, oder die Gegenstände in der Natur, selbst durcheinander liegend, ihm, menschlicherweise, eben auf-fielen; selbst Possen kamen mitunter vor, die indes bloß die Stelle von Punkt und Komma vertreten zu wollen schienen. Manchen Tag muß die Feder ihm gar nicht aus der Hand gekommen sein, denn vier und fünf, ja bis sieben Bogen, finde ich zuweilen an einem geschrieben, – die ich nun freilich nicht alle aufnehmen konnte. Es wird überhaupt bloß der fünfzehnte oder auch nur der zwanzigste Teil des gesamten vorgefundenen Vorrats sein, den ich hier mitteile, und ich muß gestehen, daß ich bei der Auswahl eben nicht sehr strenge war, und manche Fragmente aufnahm – ich weiß selbst nicht, warum.

Nur um Ähnliches und Verwandtes etwas zusammenzubringen, habe ich alle 700 Fragmente unter 15 Abteilungen gebracht, aber auch diese Scheidung ist keinesweges scharf, und war auch so nicht möglich, da ein Fragment oft in die Gegenstände mehrerer Abteilungen überschweift, zerrissen aber der Zusammenhang verlorengegangen wäre. Am mindsten scharf sind die Grenzen der vorletzten Abteilung gehalten, und manchmal kann es wohl kommen, daß man dort manche Nachbarschaft ganz unverständlich findet; man verliert aber damit nicht viel; es kommt im Grunde bloß daher, daß ich nicht noch mehr Abteilungen machen wollte.

Aber, manche Fragmente selbst wird man nicht verstehen. Mit mehrern ist es mir selbst so gegangen. Nicht, als ob Zusammenhang darin fehlt, sondern, um des Gegenstandes, und der Höhe und Art seiner Ansicht wegen. Auch kamen Worte und Ausdrücke darin vor, die ich weder bei Gehler, noch Fischer, zu finden imstande war. Aber gleich vor- und nachher standen oft wieder verwandt, die vollkommen klar waren, und so dachte ich, müßten es ihm wohl auch jene in der Mitte gewesen sein, und ich befände mich nur gerade nicht auf der Höhe der Prämissen, und in der sie von selbst herbeibringenden Stimmung des Gemütes, auf und in welcher der Verfasser war, als er sie schrieb. Mehrere zum Beispiel werden sicher nur, wenn man verliebt ist, andere, wenn man liebt, verstanden, andere bei der höchsten, einfachsten Naturandacht, wieder andere, wenn man eben, wie man spricht, philosophiert, usw. Von manchen sehr langen der einen oder andern Art lieferte ich auch nur Teile, Proben gleichsam. Dagegen habe ich wieder viele weggelassen, die zu verständlich, oder deren Gegenstände schon zu gemein geworden waren. Denn man kann denken, daß die eben kurrenten Gegenstände der praktischen Physik häufig am meisten, oder doch am umständlichsten, bedacht waren. Hier würde es öfters vorkommen, als bekäme man Abhandlungen wieder zu lesen, die man schon längst einmal gelesen hätte, und ohngeachtet überall noch Punkte, Rücksichten, darin vorkamen, die bis jetzt noch nicht beachtet waren, so sind sie doch mit dem anderen zu verwoben, und sie herausheben mochte ich darum nicht, weil ich diesmal schlechterdings kein Wort anders geben wollte, als wie es beim Verfasser geschrieben stand.

Denn – der ganzen Sammlung gegenwärtiger Fragmente sollte auf das sorgfältigste eine Eigenschaft erhalten werden, die sie von vielen ähnlichen ins Publikum gekommenen unterscheiden wird. Kein Wort derselben war mit Bestimmung für den Druck verfaßt, oder für irgendeine einstige allgemeinere Mitteilung. Alles sind schlechterdings nur Privatstudien und Notate, einzig wie sie dem Verfasser selbst genügten, selbst da noch, wo sie in Briefen vorkommen. Er selbst auch hatte häufig nicht einmal den Zweck dabei, sie geschrieben zu haben; in den meisten Fällen kamen sie auf ein bloßes Denken auf dem Papiere zurück, was immer zu größerer Klarheit der Idee, ihrer Förderung und ihrer Durchführung, verhelfe, als das im bloßen Kopfe; auch fixiere das Resultat sich so besser, indem man es so wenigstens dreimal nacheinander vor sich bekomme. Selten las er daher auch solche Ausarbeitungen einst wieder nach, schon, weil er es nicht nötig hatte. Oft kam es ihm auch gar nicht auf das Resultat, sondern auf die bloße Übung in der Methode, es zu erhalten, an, denn nur letztere bereichere wahrhaft, vollends den Physiker. Es komme dann nur auf die gute Gelegenheit an, und jeden Augenblick entwickele sich das ganze System unseres Erfahrungsbesitzes wieder von selbst, und ohne eine Vorbereitung dazu, stehe wieder neu vor uns, und nicht einmal, ohne seine Entwickelung fortzusetzen. Man konnte ihn daher auch zuweilen in Stunden treffen, wo er fast nichts von dem, worüber man mit ihm sprechen wollte, gegenwärtig hatte, vielmehr ganz dumm schien, besonders, wenn der Frager recht konfus im Detail herumsprang, und um das Allgemeine sich gar nicht kümmerte. Sollte aber unter einer eigentlichen Bedeutung davon die Rede sein, so fehlte er nie; mit Blitzesschnelle stand das ganze hierhergehörige Gebiet da vor ihm und dem Freunde, und fand ebensoschnell gleich weiter, was zu ihm gehöre – vermöge reiner Forderung durch das Prinzip, die Grundgleichung, des Ganzen. Auf diese Art hatte er ein sehr glückliches Gedächtnis, einzelne Raritäten aber, vollends falsche Fakten, oder überhaupt, wo kein Zusammenhang darin war, zum Beispiel Zeitungsartikel, blieben ihm äußerst schwer. – Andere Fragmente waren schon mehr für ein einstiges Wiedernachsehen geschrieben, besonders, wo das Resultat sehr komponiert war, und ihm Mühe gemacht hatte, oder, wo zu viel Benanntes darin vorkam. Weiter aber ging ihre Bestimmung durchaus nicht, und meist war auch diese noch eine überflüssige für ihn geworden.

Der Leser findet sich also mit diesen Fragmenten durchaus in die geheimere Werkstätte des Physikers geführt, – und kann da Dinge vorgegangen sehen, die ungemein menschlich sind, bei denen allen es doch aber schon von selbst ehrlicher gemeint sein mußte, als so leicht es gemeint ist, wenn man bloß für das Publikum, also öffentlich, arbeitet. Denn so sieht also eigentlich niemand zu, als, wenn es erlaubt ist, ihn zu nennen, der liebe Gott, oder, ist's anständiger, die Natur. Andere ›Zuschauer‹ haben noch nirgends viel getaugt, und auch ich habe mit vielen andern empfunden, daß es Werke und Gegenstände gibt, die nicht gelungener ausgeführt werden, als wenn man tut, als schreibe man für gar niemand, auch nicht einmal für sich selber, sondern eben für den Gegenstand selbst. Sobald man mit ihm, daß er sich sehen lassen könne, erst zum Schneider oder zum Friseur muß, bleibt er gewiß nicht mehr recht, wie er war; besonders sind jetzt die Titusköpfe sehr Mode in der Physik, und Simsons Schicksal ist ganz vergessen. Ich hoffe, daß unter unserer Sammlung wenig solche Titusköpfe zu finden sein werden. – Unter die Menschlichkeiten, von denen ich sprach, gehört zum Beispiel, daß mehrere Fragmente vorkommen werden, die einander sich widersprechen; andere, wo erst während ihrem Verlaufe die Idee klarer wird, und sich oft mühsam durchzuwinden hat, und unterwegens nach dieser und jener Richtung abgleiten will, ehe sie zuletzt völlig erfaßt und festgehalten ist; einige Male fängt sogar eine falsche Annahme an, durchgeführt zu werden, zerstört sich aber nach und nach durch sich selbst, und das ganz Entgegengesetzte vom Anfang ist das Resultat des Endes. Letzteres ist dann das Allermenschlichste, weil man im Leben allaugenblicklich dergleichen trifft, und noch bei Elektrizitäts- und Magnetismus-Erregung der Prozeß mit dem Umgekehrten von dem anfängt, womit er endet; vielleicht aber läßt man es eben darum hingehen, – weil, so, ein allgemeines Naturgesetz dahinter sein muß. Möge aber nur jeder Forscher so bemüht sein, wie unser Verfasser, nicht zu ruhen, bis geendet ist, und so wird seine bisweilige Geschichte noch als Beispiel nützlich werden können, wie man das anzufangen hat. – Manchmal schrieb er auch ohne alle Rücksicht und Vorsatz, fast bloß wie zur Andacht, zur Erbauung, oder zum Zeitvertreib; diese Fragmente könnten dann etwa ›Sonntagskinder‹ heißen. Andere wieder habe ich bloß stehen lassen, weil sie zeigen, wie früh der Verfasser an nachher allgemein zur Sprache gekommene Gegenstände dachte, und wie er ihre Untersuchung entwarf; diese sind dem Historikus und dem Praktikus interessant. – Dann habe ich auch falsche Fragmente noch stehen lassen, zu denen gar keine Korrektur mehr vorkommt, vermutlich, weil der Verfasser nicht alles schrieb (oder auch, ich nicht alles zu lesen bekam), abgesehen davon, daß er auch die Feder nicht allemal bei sich haben konnte, zum Beispiel im Bette. Mitunter ist, außer dem Falschen, sogar etwas recht Ordinäres über den Gegenstand gesagt; aber ich ging hier nach meiner eigenen Erfahrung, daß einem recht schlechte Bücher über wichtige Gegenstände (und wie ich selber manchmal geschrieben), zu einer viel fruchtbareren Lektüre werden können, als die man in der Regel recht gute nennt. Hier ist man viel mehr in Gefahr, getäuscht zu werden, als dort, und wenns nicht anders ist, so ist's aus Bosheit, daß man oft einen gescheuteren Gedanken bekommt, als den man irgendwo gefunden hätte, und der Vorteil, auf den freilich viel ankommt, noch der, daß man ihn selbst gehabt hat. Das Katheder gibt die beste Erläuterung hierzu; der Professor muß, – es hilft nichts und ist absolut seine Schuldigkeit, – ein System vortragen, wo doch noch keines ist (weil sonst die Welt, und also auch der Professor, bereits zugrunde wären). Der junge Mann, der ein System wohl besser beurteilen kann, als sein älterer Professor, hätte er auch in seinem Leben noch von keinem gehört, merkt gleich, daß dieses nicht wahr sein könne, aber der Begriff von einem überhaupt ist ihm doch nun geweckt, und er selbst wird tätig. Je schlechter übrigens das vorgetragene System, desto nützlicher wird es dann sein; › gute‹ haben noch immer mehr Leute verdorben; sie lernen es, und gehn nicht von der Stelle, lieber bekommen sie das Ringeldrehen. Exempla sunt odiosa. Von den strengern Wissenschaften aber behaupten sie, die sie lehren, ohnedem, sie können nicht gelehrt werden.

Was die Fragmente des fünfzehnten Abschnitts betrifft, so würden viele meinen können, diese hätten nun wohl lieber ganz wegbleiben können; zumal sie einen Teil derselben schon im Morgenblatte gelesen, ich glaube, unter der Aufschrift: Funken, und daran bereits genug hätten. Auch viele aus den vorletzten Abschnitten schon hätten besser wegbleiben können; man sähe nicht ein, was sie unter und hinter so vielen ganz andern sollten. Das letztere lasse ich, ohne ein Wort zu sagen; sie sind einmal gedruckt, und können nicht wieder herausgedruckt werden; schneide man also heraus, was nicht gefällt oder stößt. Am Morgenblatte war unser Verfasser ganz und gar nicht schuld. Jemand hatte ihn einmal gebeten, sich einige dieser Fragmente, bloß um sie zu haben, abschreiben zu dürfen, und er erlaubte es ihm; dieser aber war nun gleich, schneller als einst der berühmte Hirsenbrei ging, damit ins Morgenblatt gelaufen, ohne ihm ein Wort zu sagen. Glücklicherweise erfuhr er nie etwas davon, und jener verriet es auch nicht weiter; er hatte dieses Blatt nie gelesen, und kannte es so wenig, daß er es einmal sogar für eine Literaturzeitung hielt. Überhaupt las er des Morgens wenig, und Literarzeitungen schon gar nicht. – Sonst kann man ziemlich die ganzen Fragmente der letzten Abteilung etwa ansehen, wie jene kleinen Bilderchen, die die Leute beim Bibellesen gebrauchen, sich die Evangelien und andere schönen Stellen damit zu zeichnen oder auch nicht, und wie ich auch in der meinigen habe. Zum Herausschneiden habe ich ohnehin schon geraten; man tue es also, und brauche auch jene Bilderchen so. – Daß diese Vergleichung übrigens passend sei, kann ich unter andern noch damit belegen, daß in den Tagebüchern des Verfassers die scherzendsten und ausgelassensten, oder auch barocksten und spottendsten, in der Regel gerade gleich nach recht ernsten und feierlichen Betrachtungen vorkommen, und die dann auf der Stelle wieder fortfahren, sobald der Spaß nur erst dasteht; oft hat er ordentlich gar nicht warten können, bis auch nur der Periode erst ausgeschrieben war, sondern man sieht deutlich, wie er abgesetzt, um auf dem Rande dem närrischen Einfall nur geschwind den Dienst zu tun, und er dann nun jenen erst vollendet hat, ohne daß jedoch die mindeste Störung im vorigen Ideengange selbst zu bemerken wäre. Ich habe bei weitem nicht alles dieser drolligen Art aufgenommen; oft hätte ich es geradezu mit den Aufsätzen vor und hinter selbst geben müssen, damit es ganz den Verstand und Unverstand gehabt hätte, wie dort; bloß von dem, was ganz für sich bestehen konnte, habe ich etliches herübergenommen. – Unser Freund klagte mir mehrmals, wie beim ernstesten Studieren ihn dergleichen necke, und auch nicht Ruhe werde, bevor er dem Schalk den Willen nicht freigegeben hätte. Zuweilen müsse er sich zusammennehmen, um nicht durch ihn ganz aus dem Gleise zu kommen, und dazu hätte er kein besseres Mittel gefunden, als nur geschwind den Schwank bis zur Vollendung und höchsten Lebendigkeit auszudenken; außerdem necke er kontinuierlich ohngefähr ebenso fort, als jenen Kantor der gotteslästerliche Streich des Chorbubens rechts neben ihm, der, als jener, im Glauben an die Strophe kam: ›Die ganze Christenheit auf Erden‹, ihm vorsang: ›D.g. Christ, zu Pferde‹, so, daß dieser vor der ganzen Gemeinde in lautes Gelächter ausbrach, und sich jeden Sonntag vertreten lassen mußte, wenn es an diesen so feierlichen Lobgesang kam; er hätte seine Stelle verloren, wenn der Pastor nicht gewesen wäre. Das Ganze, meinte unser N., müsse sich ziemlich auf das reduzieren, was in dem Sprichwort großes liege: ›Wenn die Katze nicht zu Hause ist, haben die Mäuse frei Tanzen‹, denn bei so recht ordinär verständigen Unterhaltungen und Arbeiten komme ihm dergleichen niemals vor; sondern allemal erst, wenn er einige Zeit in tieferen Betrachtungen fortgefahren habe. Am meisten plagte es ihn in der früheren Zeit, späterhin aber verlor es sich, und besonders vom Jahre 1803 an kommt wenig dergleichen mehr in seinen Diarien vor, oder wenn ja noch, anders. Er sagte, er sei es ziemlich in dem Grade losgeworden, als er in der Fertigkeit, das Lachen zurückzuhalten, weitergekommen sei, und wirklich konnte sich ihm später das absolut Lächerlichste, – etwa, was Lichtenberg so fand, – darbieten, ohne daß er gelacht hätte, wenn er nicht wollte. Er war froh darüber, und hatte Gelegenheit, großen Nutzen daraus zu ziehen, oder wenigstens doch großen Schaden zu verhüten.

Es wird auffallen, daß aus den letzten drei oder vier Jahren so wenig Fragmente in dieser Sammlung sind. Es ist nicht, weil seine Papiere um diese Zeit leerer gewesen wären, statt Fragmente aber fanden sich wahre Abhandlungen vor. Er selbst arbeitete strenger aus, – und wenn die gegenwärtige Sammlung gefällt, so bin ich erbötig, auch diese größern Aufsätze zu liefern. Daß sie belehren und nützen können, kann ich versichern; es kommt bloß darauf an, ob man mit der Manier des Verfassers zufrieden ist. Auch aus den frühern Zeiten kann ich dann noch in besonderen Abschnitten vieles folgen lassen, und wohl noch zehn Jahre wäre ich imstande, jährlich ein Büchelchen, ohngefähr wie gegenwärtiges, zu liefern. Einen andern besondern Abschnitt würde ich dann bestimmen, die dunkler gebliebenen und doch wichtigen Stellen des Verfassers aufzuhellen, denn fast könnte man sagen, so viel Fragmente, so viel Themata zu ganzen Abhandlungen, oft Predigten, seien es auch. Ich war mit seiner ganzen Gesinnungsart vertraut, bin selbst gewissermaßen nur ein Sprosse von ihm, und glaube mich hie und da imstande, ihn seiner würdig fortzusetzen. Hätte ich Ihn nicht gefunden, so wäre ich vielleicht heute noch, was ich Ostern 1796 noch war: Astronom und Apothekergeselle. Hätte Er mich nicht begleitet, und ich würde die rauhen Pfade durch ein mannichfach beschwertes Leben nicht bestanden haben, an deren Ende ich mich noch nicht befinde. Ihm verdanke ich ein Glück und einen Besitz im Innern, um die mich wenige beneiden, und die mir wenige stören können. Sie werden mir bleiben, und nie wird man sie nach dem, was äußerlich gleichzeitig ist, schätzen können. Vergönne man mir also, dankbar zu sein, und die Früchte zur Reife zu fördern, deren Samen, noch von Ihm gesäet, ich verwahre; ich habe gesehen, daß einige nicht jeder Garten trägt. –

Doch, ich habe nun lange genug zu denen gesprochen, für die die ganze folgende Sammlung von Fragmenten wohl zunächst am wenigsten bestimmt sein konnte, – denn nie doch würde ich genug mit ihnen sprechen können, um sie mit einem so wunderlichen Menschen, wie unserm Verfasser, auszusöhnen. Man wird es sehen. Sie werden ihn tadeln, vorn und hinten werden sie an ihm auszusetzen haben, und ich selbst werde einen sehr dummen Streich begangen haben, daß ich nicht wenigstens sehr viel strenger bei der Auswahl der Fragmente war, – und diese Vorrede wird nun vollends der dümmste sein. Allen aber konnte ich es nicht recht machen, – damit sie aber doch zu einem Teile für ihre Langeweile und den Verdruß dabei entschädiget sind, gebe ich noch einen längern Aufsatz, oder, wenn man will, eine ganze Reihe von Fragmenten, – der oder die etliche Extravaganzen in der Mitte abgerechnet, gewiß manches Gescheute enthält, was einleuchten kann, wenn anders vieles nicht zu kurz gesagt, und, was die ewige Klage sein wird, die Prämissen nicht zu unvollständig aufgeführt sind; indessen schrieb er ja nur immer für sich. Der Aufsatz selbst entstand auf Anlaß der Oerstedschen Tonabhandlung in Gehlens Journal, B. VIII. H. 2., und wird sich hinten am Ende, unter der Überschrift: Anhang, finden. Er kann zugleich ein Bild von der Ordnung geben, in welcher überhaupt in seinen Papieren die Fragmente sich folgten, wiewohl er diesmal nur in der Sphäre desselben Gegenstandes bald hier, bald dort, war. Das zu Spezielle habe ich ausgelassen. Er ist noch im März d. J. geschrieben, und zusammen binnen sechs Tagen. Erst vor kurzem bekam ich ihn und andere spätere Aufsätze in meine Hände, sonst hätte ich ihn gleich den übrigen Fragmenten, die sich auf Ton und Schrift beziehen, folgen lassen; auch zog ich ihn verschiednen andern vor, da auch der Verfasser, obgleich nie selber Musikant, mit großer Liebe an Schrift und Ton hing, und auch verschiedene darin aufgestellte Ansichten sogleich einer weiteren Ausführung und Verwendung fähig sind. –

Und so fahrt nun alle darüber, – und über das ganze liebe Buch selber, – her: – vor allem aber ihr, ihr Guten! denen etwa gerade einmal der Stoff ganz ausgegangen, und die ihr doch ohnmöglich stillesitzen könnt! – Hier findet ihr desselben die Hülle und die Fülle, – zur beliebigsten Auswahl, – und ihr dürft es halbweg klug anfangen, so merkt kein Mensch, daß es euch einmal wo fehlte. Nur verdreht mir nichts: dies einzige bitte ich euch! – wüßte ich nicht, wie ihr mir's schon gemacht: wahrlich, ich wollte so nicht sagen.

Nehmt nichts übel, und – lebt wohl!

 

Aber zu euch, Edle, Freie meiner Nation, zu euch, zu denen die Rede sich schon etliche Male erheben wollte, doch, wie ihr saht, beständig wieder zurückgefordert wurde, sei mir jetzt noch ein kurzes, und nun ruhiges, Wort erlaubt. Euch habe ich dies Buch und den Verfasser anders vorzuführen, als denen, die nun weg sind, und mir vielen Kummer seinetwegen machten; euch aber zeige ich ihn, wie er war. Auch er war ein Deutscher. – Seht ein tiefes weiches Gemüt, bis weit noch in die Jahre des Jünglings herauf vor sich verschlossen geblieben, dann plötzlich sich öffnen, und von nun an mit der erdenklichsten Redlichkeit ununterbrochen nach einem Ganzen von Erkenntnis und Wahrheit ringen, dem kein kleinstes Glied fehle; seht es in schweren Kämpfen gegen seine eigne Unbehülflichkeit und Trägheit nicht ruhen, bis es sie besiegt, während es nach immer mehrern Seiten hin sich zu öffnen und offen zu erhalten in beständiger Sorge bleibt; seht es mit Kühnheit, die an Verwegenheit grenzt, entgegengehen, wo nur eigene Erfahrung Aufschlüsse geben kann, und es keine Gefahr für so groß achten, daß es nicht unversehrt, und der Beute allemal sicher, aus ihr zurückzukehren vermöge, eben weil es selbst sich in dieselbe begab. Bemerkt, in welchen fürchterlichen Stürmen einer rauhen von fast allen Seiten widrigen Umgebung es dennoch stand, und sich Fragen beantwortete, die schwerlich noch oft wieder so beantwortet werden, schon weil die Umstände selten so wiederkehren können, und es mit Vorbewußtsein der Folgen war, daß es ihnen, und aus eigener Bewegung, sich aussetzte. Gewahrt die fast nicht einmal wankend gewordene Überzeugung, einst doch glorreich am Ziele anzulangen, indessen viele Wege länger wurden, als sie anfangs schienen, das Ende einiger aber dennoch erreichen – freilich wie erste Nationen gleichsam nur. Seht Ihn beständig die im Tiefsten seines Wesens ihm entstandene Versicherung zum Grunde legen, daß nur ein völlig naturgerecht und frei entwickeltes Leben das zuverlässigste und allein ganz glückliche Organ zur Erfassung und Begreifung der Natur in jeder ihrer Größe sei, und daher keine Verbitterung und Verkümmerung achten, die man dem ersten, oft unwillkürlich und aus fast guter Meinung, bereitete, im Gegenteile als recht von ihm erfundne und somit fest gehaltene Beschlüsse dafür, mit einer Beharrlichkeit und Notwendigkeit behaupten und realisieren, die, da, aus bloßer Widersetzlichkeit zu handeln, ihm nie lohnen konnte, sich einzig aus dem Rang der Quelle, aus welcher sie ihm wurden, erklären lassen kann. Aber – seht dies ganze, an sich zwar höchst einfache, dennoch aber außerordentlich vielgliedrige Streben, von Zeit zu Zeit doch aufgehalten, ja hier und da zuweilen es sogar zurückgedrängt. Fast rühren kann es euch, wenn ihr die Sammlung der folgenden Fragmente durchgeht und findet, wie verschiedene Male er wieder auf eine niederere, beschränktere, Ansicht dieses oder jenes Gegenstandes, als der früheren, dieser wie vergessen, zurückkommt, und erst später wieder sich hebt, und er sie nun erst wie zum zweiten Male entdecken muß; seid dann allemal sicher, daß schwere, seinem Streben völlig fremde von ihm nicht verdiente, Kämpfe inzwischen vorfielen, die den Kämpfer, obschon Sieger, dennoch matt und der Erholung bedürftig zurücklassen mußten, wenngleich er nach und nach zu einer bedeutenden Fertigkeit gelangte, sie den Augenblick vergessen zu haben, daß sie vorüber waren.

Ihr habt gesehen, wie er, nach mehr Kummer, als vorhin die Gesellschaft zu billigen imstande gewesen wäre, endlich dahin kam, dem Leben die letzte Versöhnung mit ihm und für immer abzugewinnen, und ungemein segenreich wirkte sie auf ihn zurück. Als Gatte und Vater, in der Familie erst, behauptete er mehrmals, für die Natur und ihre Wissenschaft sich vollkommen integriert zu fühlen, und versprach sich nun von Stund an ein völlig neues Leben für sie. Selbst die Ehe als solche war ihm in einem Sinne heilig dafür, mit dem wenige vertraut sein mögen; noch in der letzten Zeit schrieb er an einen ihm sehr verehrungswürdigen Mann, gegen welchen er gern offner war, wenn dieser Zeit dazu hatte: – ›daß mit ihr sich uns auch zu der Wissenschaft, und damit der Natur selbst, ein echt eheliches Verhältnis, statt jedes frühern (andern) leichtern, ja fast liederlichen, ergebe‹, – und vielleicht ist die hiermit gewollte, große, den höhern Geschichtsordner der Wissenschaft ungemein orientierende, und ihm oft seltene Überraschungen gewährende, Wahrheit in diesen paar Zeilen nicht jedem unverständlich ausgedrückt, – besonders, wenn man, was ich schon oben aus den Papieren unsers Verfassers über die Ehe unvollkommen wiedergab, dazunehmen, und es für diesen Bezug in noch besondre Übersetzung nehmen will, – als was ihn dann zusammen gewiß zu sehr ernsthaften und höchst beachtungswürdigen Betrachtungen führen wird. – Alles also versprach von da sich unser Verfasser, und einer Vollständigkeit seiner, die er früher selbst so nicht geahnet hatte, war er nun gewiß; aber noch verließen ihn die Kämpfe des äußern Lebens nicht, und sogar neue, eigner Art, gesellten sich hinzu, – an welchen letztern freilich auch bloß das veränderte Klima schon mit teilhaben mochte. Er war oft außerordentlich niedergedrückt, sich so von allen Seiten, deren Besorgung von ihm abgehangen hatte, zur Fortarbeit am Werke seines Lebens gerüstet zu wissen, und dennoch nur so langsam und so bruchstückweise noch es wirklich fördern zu können. In der Tat unterwarf er, einzig dieserwegen, in der letzten Zeit noch einmal sein ganzes innres Leben und Streben einer strengen Prüfung, ob er da vielleicht den Grund entdecken, und ihn also heben, könne, aber – fand ihn nicht. Ich habe große Ursache zu glauben, daß er fortan an äußerste und neue Mittel dachte, ihn, der nun anderswo liegen mußte, zu beseitigen, und kühnere Aufopferungen dafür beschloß, als er je geübt, aber die Gelegenheit – brach ab für mich, ihn ferner darüber zu hören. An Intensität stand seine Tätigkeit für die Wissenschaft zwar der in frühern und den besten Zeiten nie nach; ich habe eine ungemeine Menge oft sehr ausgeführter Studien, noch aus den letzten drei und vier Jahren, in seinen Papieren vorgefunden, aber die ›Disjecti membra Poëtae‹ zu sammeln, sie nach jenem organischen Urgesetz, was noch kein Buch gelehrt, sondern das überall nur schaffend, im Werke selbst, sich offenbaren mag, und in dessen Besitz er so bestimmt sich wüßte, zu ordnen, sie zum einen ›Tempel mit dem Gott darin‹ aufzuerbauen:dazu gebrach ihm die würdige Ruhe und Muße; – und auch konnte er sich nicht etwa überzeugen, daß, was er wolle, und wie, unterdes durch andere geschehe, – sosehr er auch verschiedne interessante Regungen in der neuern Zeit geschichtlich zu schätzen verstand; er kannte so ziemlich, was um ihn herum geschah, und würde dann gern den Verlust desselben für ihn selbst (– denn nur selbst Geschaffenes besitzt man –) ertragen haben, wenn er überzeugt gewesen wäre, daß es überhaupt da sei.

Und so erhaltet ihr mit gegenwärtigem kleinen Buch, und seiner Geschichte, im Grunde nichts, – als zu den vielen alten, – ein neues Bild des gewöhnlichen Schicksals alles Größeren auf Erden, was der schwache Mensch, der einzelne, sich zwar zur Sache seines Lebens machen, aber, wenn nicht alles ihn unterstützt, doch nie vollenden, höchstens kaum anfangen kann, – nur etwa, daß das diesmalige von besonderem Interesse sein kann, denn die Vorbereitung zur Arbeit schien keine gemeine. Nichts weniger, als ein Ganzes, auch nur von niederem Grade, nicht einmal meist erste Anfänge dazu, kann dies Büchelchen euch gewähren, und soll es, – wie ihr wohl versteht, – auf keinen Fall auch nicht einmal. Nur wie eine unvollkommene und höchst unvollständige Sammlung der häufig schon halb wieder vertretenen Spuren, die ein nach vielen Richtungen beschäftigtes, und doch ewig dabei gestörtes und seitwärts abgezogenes, Gemüt, auf interessanten, oft ungewöhnlichen, Wegen hinterließ, soll es euch erscheinen, und öfters werden diese Wege selbst belehrender sein, als was auf ihnen, als Mark- oder Denkstein gleichsam, niederliegen blieb. Auch der Scherz, der oft nur diente, eine Träne, nicht vom Gegen-, sondern dem Entgegenstand dem Herzen entpreßt, im geheim verschlucken zu helfen, werdet ihr jetzt anders nehmen, und ihn leiden, denn obschon der Deutsche nicht weint, so wird das doch nur von den äußerlichen Augen verlangt, und das Herz blutet ihm eher, als vielen um ihn. Was es aber, daß ich eine völlig treffende Beschreibung gebe, eigentlich ist, was ich euch hier biete, wüßte ich selbst nicht in der Kürze zu sagen ..... Was es euch werden wird, wird es sein, – und vielleicht darf diese Vorrede auch dazu genommen werden. So viel nun weiß ich, daß ich es euch schuldig war.

Denn aus eurer Mitte sind diejenigen, und die vielen, gewesen, die, als den Verfasser noch niemand kannte, und wenn er von aller äußern Unterstützung verlassen war, sich seiner hülfreich annahmen, und die Förderer der ganzen glücklichern und fruchtbarern Seite seines Lebens wurden. Nicht allemal zwar gab er euch Rechenschaft von der Verwendung der von euch ihm dargebotenen Mittel, – schon darum aber, weil ihr ihrer nicht bedurftet; oft auch wollte er euch mit Überraschungen danken, vorzüglich einer, sicher allgemeinen; – aber ihr habt gesehn, was seine schönsten Wünsche kränkte. Keinen von euch hat er je vergessen gehabt; ich bin Zeuge, mit welcher Dankbarkeit er eurer erwähnte und euch nannte. Hattet ihr zuweilen geglaubt, er habe euch verlassen, so irrtet ihr; bloß dann ließ er euch allein, wenn er sah, daß ihr Geschäfte hattet.

Aber er nahm seine Verpflichtungen gegen euch noch höher; – er erklärte: die Nation sei seiner Tage Schöpfer gewesen. – Und in Wahrheit! Ihr werdet es verstehen, ihr! die ihr gewußt, daß seine frommen, rechtschaffenen Eltern, – echt deutschen Geblüts aus alter Zeit, – ihn einst bei seinem Eintritt in die Welt mit nichts, als ihrem Segen, begleiten konnten; daß er schon früh den liebsten Wünschen seiner Jugend durch die Fügung in eine völlig technische Laufbahn entsagen mußte, die ihn fünf beste Jahre seines Lebens kostete, und der er nur mit äußerster Verwegenheit sich wieder entwand; – und daß er hierauf untergegangen wäre, ohne euch zu finden; – aber er hatte auf euch gerechnet, und sich nicht getäuscht. Hätte die Welt bloß aus euch bestanden, und von einem Nachlaß seiner würden wir noch nicht zu sprechen haben.

Er hatte seiner Nation und euch einen Dank bereitet, der beider und seiner würdig war; – aber für die reifsten Jahre hatte er sich ihn aufgehoben, und auch, ›wenn wieder Friede in die Welt gekommen sein werde‹. – Wohl sah er ein, daß – er – allein – des vorgenommenen Werkes nicht mächtig sei, so zwar, daß es in Wahrheit als ein allgemeines Gut betrachtet werden könne, was überall, als auch im besten Falle erst bloß angefangenes Werk, sein ferneres Gedeihen finde. Er hatte den Gedanken, – verzeiht ihm, wenn er kühn erscheint, – euch, – was ihr noch nie gewesen, – als Nation zur Pflege der Wissenschaft einzuladen – euch einzuladen, – als solche zu einem festen Verein für sie zusammenzutreten, – und diesem Gedanken seit acht Jahren fast alle Ausbildung gegeben: so, daß er jeden Augenblick bereit gewesen wäre, wo es Zeit zu seiner Realisierung wurde, und die er allemal noch zu erleben hoffte. Obschon uralten Stammes, seiet ihr, in bezug zur Wissenschaft, im Grunde noch immer eine sehr junge Nation, und jünger, und vornehmlich kräftiger, noch, als alle eure Nachbarn; was Naturwissenschaft beträfe, nur diese meinte er hier auch eigentlich nur, wärt ihr deutlich noch in der Zeit derjenigen Studien, die man auch als einzelner erst abzutun pflege, ehe man die Hand selbst an die Arbeit lege: – gleichsam im Exzerpieren noch; – und ihr hättet dies länger, gründlicher, und tüchtiger, getrieben, als jemand vor euch. Der Augenblick indes sei nahe, glaubte er, wo ihr, auf eine völlig eigentümliche Weise, und dabei nicht minder für gleich eigentümliche Zwecke, praktisch in das große Werk der Natur eintreten wollen werdet, – um von ihr Entschädigungen zu genießen, die ihr von keiner weltlichen Macht mehr verlangen könnet, und die euch mit der höchsten in der Wissenschaft selbst krönen werden. Er hatte einen Plan entworfen, und oft mit mir sich über ihn unterhalten (weil er beständig an ihm bildete und nachtrug), der die Schicksale der Wissenschaft in Deutschland, und die von ihm mit größter Zuversicht gehoffte Wiedergeburt derselben durchaus, von allem Wechsel menschlicher Begebenheit und Laune unabhängig machte, und sie gänzlich in die Hände derer legte, die nie fielen, wo es wert war, zu stehen: in die eurigen. Dem Zufall wollte er die Herrschaft über das Gedeihen wahrer Wissenschaft, die er nunmehr Jahrhunderte genug geführt, ganz entreißen, und sie dahin zurückfordern, wo letztere nach neuen Gesetzen der Geschwindigkeit vorschreiten würde; er hatte in dieser Hinsicht die Geschichte um ihre ersten Geheimnisse belauscht. – Und war jener Plan organisch genug, damit die neue Anstalt einer dauernden Erhaltung und Erneuerung durch und aus sich selbst gewiß sei; da indes alles Menschenwerk, das höchste auch, nur eine Zeitlang zu bestehen vermag, so rechnete er mit Überzeugung darauf, daß schon doch zwanzig, vielleicht noch weniger Jahre, genügend sein würden, der Nachwelt ein Beispiel, und ein erstes seiner Art, zu hinterlassen, wie die Erforschung der Natur erfaßt und ausgebildet zu werden verlange, um überhaupt von beiden schon nur erst den ihrer würdigen Begriff zu wecken, – als wo damit schon ein Großes gewonnen sein müsse. Aber, wie gesagt: er selbst erst wollte legitimierter vor euch sein, ehe er jenen Plan euch vorzulegen wagte, erst von allen Makeln, die eine mitunter noch so kindische, auch falsche, Welt aus Spiel und Büberei von sich auf ihn hinüberwarf, der Sitte unserer Väter treu, gereinigt sein, eh er in eure Kreise träte. – Eures Beifalls übrigens dann völlig gewiß, hatte er, sich selber, bloß zu einem geringen Mitglied jenes neuen Bundes bestimmt, in dessen Mitte er aber sich einer Freudigkeit und eines Glückes des Wirkens versprach, die ohne allen Zweifel alle um ihn her ergriffen haben würde. – Erst von da an wollte er öffentlich aufgetreten zu sein glauben, – und so begreift ihr, was er damit meinte, es, bisher, noch nie gewesen zu sein. Denn seine Art war nicht, zu schmeicheln, am wenigsten sich selbst.

Werdet ihr Nachsicht mit ihm haben können? – Wird euch ganz mißfallen, was er euch beschloß? – Sicher nicht! – Aus einem Blut mit euch war er entsprossen; es für euch zu teilen, wie mit ihm ihr teiltet, war sein Wunsch und sein Gedanke. – Auch euch ohne ihn vereiniget zu sehen, wie er wollte, hätte ihm genügt; die alten zerbrochnen Flügel hätte er abgeworfen, – mit neuen hätte er sich aufgeschwungen, und kein listiger Jäger hätte ihn mehr erreicht. –

Verzeiht ihm seine Fehler, – und denkt an ihn!

 

Und nun ist mir niemand mehr übrig, zu dem ich noch spräche, als – du, teilende ungekannte Zeugin der schönen glücklichern Tage seines geheimeren Lebens, du ihr Stolz und ihre Segnerin! – Du vor allen sollst dies Büchelchen wohl bewahren, und jedem deiner Kinder eins mit goldenem Schnitte aufheben, bis sie es einst verstehen, wenn du ihnen sagst, das habe der Vater geschrieben. – Mit welchen Worten aber begleite ich es dir, und welche hätte ich nötig? – Was soll ich dir erzählen von ihm, das du nicht wüßtest, – fühlest, – im Innersten deines Herzens du trägst? – Hat er nicht immer mit dir geteilt, sich selbst mit dir? – Er, der der Welt dich weder entriß, noch gab; der dich besaß, indem er dich dir ließ, und dadurch glücklich war. – Der nie dir zugemutet, Kummer zu teilen, den du nicht verschuldet; der nie mehr forderte, als du selbst ihm gabst, – worauf du ihm mehr botest, als er je verstand, zu fordern; denn du schöpftest aus der Natur, und ihre Schätze hat noch keiner ergründet. – O! sei gewiß, so wahr ein Gott im Himmel lebt, er wird dich nie verlassen; du selbst kannst ihn nicht lassen. ... Fürchte dich nicht, Liebe! daß ich öffentlich spreche! Sie haben dich so wenig gekannt, wie ihn; sie verstehen uns nicht, sie denken es nur, – auch schlafen sie jetzt. .... Siehe! so sind wir ganz allein; auf! laß es uns nützen.

In dieser nämlichen Stunde, der ersten nach Mitternacht, ist dein jüngster Sohn, der herrliche Knabe, sein erstes Jahr alt; du weißt, du hattest ihn dem Vater zum Geburtstage geschenkt. Er schläft, der Engel! Du aber hast in solcher Stunde allemal treu über alle deine Kinder gewacht. Küsse ihn noch einmal, und sprich: das sei vom Vater. Er hört es nicht, aber er lächelte noch immer, wenn du im Schlafe ihn küßtest. Den Morgen hernach, wenn du ihn angezogen hast, – und heute putzest du mir ihn besonders! – erzähle ihm: der Vater sei dagewesen, und komme bald wieder; er wird lachen und dir aus den Armen springen; – er war so gern bei ihm. Du aber, lasse die Träne mich wegküssen, die du im Auge noch hast, daß sie den Kleinen nicht weckte; treu bewahr ich sie dir, du weißt, wenn du sie wiederbekommst.

Und so wollen auch wir nun ruhen; ich muß morgen früh aufstehen, denn heute hatte ich gar nichts getan, und es scheint, es will einen schönen Tag geben. Herze mir die Kinder zuvor noch einmal alle, dann schlafe, – und erwache, – wie sie!

 

Den 14. September 1809, früh nach Mitternacht.

 

›Da ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind, und war klug wie ein Kind, und hatte kindische Anschläge: da ich aber ein Mann ward, tät ich ab, was kindisch war.‹

 

›Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunkeln Wort, denn aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ichs stückweise: denn aber werde ichs erkennen, gleichwie ich erkennet bin.‹

 

›Nun aber bleibet Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei: aber die Liebe ist die größte unter ihnen.‹

St. Paulus
(I. Korinther, XIII, II–13)


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