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VII. Musikalische Reise durch Europa im 18. Jahrhundert

1. Italien

Im 18. Jahrhundert, wie im vorangegangenen, war Italien das gelobte Land der Musik. Seine Musiker genossen in ganz Europa eine Autorität, vergleichbar der der französischen Philosophen und Schriftsteller. Italien war der große Markt für Sänger, Virtuosen, Instrumentalisten, Komponisten und Opern. Es führte sie zu Hunderten nach England, Deutschland und Spanien aus, nach der Befriedigung seines eignen unglaublich großen Bedarfs: denn es war unersättlich in musikalischen Dingen, und es brauchte Neues, Neues, immer wieder Neues. Die berühmtesten Meister Deutschlands, Händel, Hasse, Gluck, Mozart, gingen in Italien zur Lehre, und einige von ihnen wurden dort intransigentere Italiener als die Italiener selbst. Die englischen Musikenthusiasten überschwemmten Italien, wanderten von Stadt zu Stadt hinter den Sängern und den Operntruppen her, verbrachten den Karneval in Neapel, die Heilige Woche in Rom, das Himmelfahrtsfest in Venedig, die Sommermonate in Padua oder Vicenza, den Herbst in Mailand, den Winter in Florenz; jahrelang, ohne zu ermüden, zogen sie immer im gleichen Trott. Indessen hätten sie sich nicht so weit zu bemühen brauchen, um italienische Opern zu hören, denn sie hatten Italien in London. England war seit dem Beginn des Jahrhunderts von dem italienischen Geschmack so völlig erobert, daß der Historiker Burney darüber eine sonderbare Bemerkung macht, die in seinem Munde ein Lob für sein Land darstellt:

»Ich konnte nicht umhin zu bemerken, daß unsere jungen Komponisten in England, die ausdrücklich die italienische Musik nachahmen wollen, weit seltener in die bloß englische Musik verfallen als die jungen Franzosen, selbst wenn sie jahrelang in Italien waren.«

Mit einem Wort, er ist entzückt, daß es den englischen Musikern besser glückt, sich zu entnationalisieren, als den Franzosen. Sie verdankten das den ausgezeichneten italienischen Opern- und Opera-buffa-Häusern in London, mit Meistern wie Händel, Buononcini, Porpora und Galuppi an der Spitze. In seiner Vorliebe für Italien behauptet Burney, daß »England eine bessere Schule junger Komponisten sey als Frankreich«.

Diese Bemerkung ist wider Burneys Willen eher schmeichelhaft für Frankreich, das alle Nationen der Zeit in der Zähigkeit seines Widerstandes gegen den Einfluß der Italiener übertraf. Dieser Einfluß machte sich aber doch in der Gesellschaft und unter den Künstlern von Paris sehr fühlbar; und der italienische Stil, der eine feste Stütze an den Philosophen der Enzyklopädie, Grimm, Diderot und namentlich Rousseau, fand, war der Gegenstand förmlicher musikalischer Kämpfe und siegte schließlich teilweise; denn die französische Musik ist, in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts, ein herrenloses Gut, in das sich, wie in eine eroberte Provinz, drei Fremde teilten: ein Italiener, Piccini, ein verwelschter Deutscher, Gluck, und ein verwelschter Belgier, Grétry.

Die andern Nationen hatten nicht so lange gebraucht, um zu erliegen. Spanien war musikalisch eine italienische Kolonie, seit sich 1703 dort eine italienische Operntruppe niedergelassen hatte und namentlich seit der 1737 erfolgten Ankunft des berühmten Virtuosen Farinelli, der der allmächtige Liebling Philipp V. war, dessen Wahnsinnsanfälle er mit seinem Gesang beruhigte. Die besten spanischen Komponisten änderten ihre Namen italienisch ab und wurden Kapellmeister in Rom, wie Terradellas, oder Gesanglehrer an den Konservatorien in Neapel, wie Avossa (Abos), wenn sie nicht wie Martini (Martin y Soler) für die italienische Musik in andern europäischen Ländern wirkten.

Selbst den Norden erreichte die italienische Invasion in Rußland ließen sich Galuppi, Sarti, Paesiello, Cimarosa nieder und gründeten dort Schulen, Konservatorien, Opernbühnen.

Es ist begreiflich, daß ein Land, das seine Kunst über ganz Europa ausstrahlte, von diesem als das gelobte Land der Musik angesehen werden mußte. So wurde Italien im 18. Jahrhundert eine Wallfahrtsstätte für die Musiker aller Nationen. Viele haben ihre Eindrücke aufgezeichnet, und manche dieser Reiseberichte von Männern wie Montesquieu, dem Präsidenten de Brosses, Pierre Jean Grosley de Troyes, dem gelehrten Lalande, Goethe, dem spanischen Dichter Don Leandro di Moratin, enthalten geistvolle und tiefe Beobachtungen im Überfluß. Vielleicht die merkwürdigste dieser Arbeiten ist die des Engländers Charles Burney, der Europa mit unermüdlicher Geduld in kurzen Etappen durchstreifte, um das nötige Material zu seiner großen Musikgeschichte zu sammeln. Er war sehr italienisch in seinem Geschmack, aber aufnahmefähig und unparteiisch, und hatte das Glück, die größten Musiker seiner Zeit persönlich zu kennen: in Italien Jommelli, Galuppi, Piccini, den Padre Martini, Sammartini; in Deutschland Gluck, Hasse, Kirnberger, Philipp Emanuel Bach; in Frankreich Gretry, Rousseau und die Philosophen. Einige der Porträts, die er gezeichnet hat, sind die lebendigsten geblieben, die wir von diesen Menschen besitzen.

Ich will versuchen, in der Gefolgschaft Burneys und der andern großen Reisenden um die Mitte des 18. Jahrhunderts, noch einmal, ein Pilger wie sie, den Weg nach Italien zu nehmen. Montesquieu reiste in Italien von 1728-29 (»Voyages«, Bordeaux 1894) der Präsident de Brosses 1739-40 (»Lettres familières écrites d'Italie«), Grosley 1758 (»Beobachtungen über Italien«) Lalande 1765-66 (»Voyage en Italie«, 8 Bde., Venedig 1769), Goethe 1786-87 (»Italienische Reise«), Moratin 1793-96 (»Obras postumas«, Madrid 1867).
Burneys Reise datiert von 1770-72 und wurde von ihm in zwei Werken geschildert: »The present State of Music in France and Italy«, 1771 und »The present state of Music in Germany, the Netherlands and United Provinces«, 1773, die gleich nach ihrem Erscheinen ins Französische übersetzt wurden.
Lesenswert sind auch die Briefe Mozarts, der drei italienische Reisen machte (1769-71, 1771, 1772-73), Grétrys Memoiren, der acht Jahre in Rom blieb von 1759-67, die Selbstbiographie von Karl Ditters von Dittersdorf, der Gluck begleitete – nicht zu sprechen von den zahlreichen Aufsätzen über deutsche Musiker, die in Italien waren, wie Rust, Johann Christian Bach usw.
Eine interessante Arbeit von Guiseppe Roberti: »La musica in Italia nel secolo XVIII secondo le impressioni di viaggiatori stranieri« (Rivista mus. ital., 1901) ist mir ein wertvoller Führer gewesen.

An der Schwelle Italiens werden die Reisenden von der musikalischen Leidenschaft erfaßt, welche die ganze Nation verzehrte. Sie war im Volk um nichts geringer als bei den Vornehmen.

»In den Straßen werden wir von Geigen, Instrumenten und Gesang aufgehalten«, schreibt der Abbé Coyer 1763. »Man hört auf öffentlichen Plätzen Schuster, Schmiede, Tischler mehrstimmige Arien mit einer Genauigkeit und einem Geschmack singen, die sie sowohl der Natur als auch dem Umstände verdanken, daß sie beständig künstlerisch ausgebildete Musiker hören.«

In Florenz und Genua vereinigen sich die Kaufleute und Handwerker an allen Sonn- und Feiertagen zu verschiedenen Gesellschaften von Laudisti oder Psalmensängern. Sie gehen zusammen auf dem Lande spazieren und singen dreistimmige Gesänge.

Wo nur in Venedig »zwei Menschen Arm in Arm spatzieren gehen«, sagt Burney, »scheinen sie sich im Gesange zu unterreden ... Alle Lieder auf den Gassen werden als Duette gesungen.« Auf dem Markusplatz hört man häufig, wie Grosley sagt, »irgendeinen Mann aus dem Volke in Arbeitstracht, einen Schuster oder einen Schmied, eine Arie anfangen; andere Leute seines Standes vereinigen ihre Stimme mit der seinen und singen diese Arie mehrstimmig mit solcher Richtigkeit, Präzision und solchem Geschmack, wie man sie kaum in der besten Gesellschaft unserer nördlicheren Länder finden würde.«

Seit dem 15. Jahrhundert gab es alljährlich musikalische Volksaufführungen im toskanischen Lande; das Genie des Volkes in Neapel und Kalabrien drückte sich in Liedern aus, welche die Musiker nicht gleichgültig ließen: Piccini und Paesiello verstanden sie zu verwerten.

Aber das schönste war die leidenschaftliche Freude, die dieses Volk bezeugte, wenn es der Musik zuhören konnte.

»Sie werden auf eine ihnen eigne Art entzückt; sie scheinen unter dem Vergnügen zu erliegen, das zu groß für ihre arbeitende Sinne ist«, schreibt Burney. Bei einem Symphoniekonzert in Rom unter freien Himmel 1758 soll das Volk, wie der Abbe Morellet sagt, »sich vor Entzücken förmlich gewunden haben. Man hörte ächzen: O benedetto, o che gusto, piacer di morir! (Himmel! welches Glück! Zum Sterben schön!)« Ein wenig später bemerkt der Engländer Moore, wie bei einer musikalischen Veranstaltung in Rom »das Publikum mit gefalteten Händen, halbgeschlossenen Augen, angehaltenem Atem dasitzt. Ein junges Mädchen beginnt mitten im Parterre aufzuschreien: O Dio! Dove sono? II piacere mi fa morire! (Gott, wo bin ich? Ich sterbe vor Freude!)« Manche Vorstellungen wurden von dem Schluchzen des Auditoriums unterbrochen.

Die Musik galt in Italien so viel, daß sogar der Musikfanatiker Burney in dieser Leidenschaft eine Gefahr für die Nation erkannte. »Vielleicht mögte man wegen der Menge musikalischer Institute und der aufgeführten Musiken, die Italiäner beschuldigen, daß sie die Musik bis zur Ausschweifung liebten.«

Die musikalische Überlegenheit Italiens war nicht allein in seiner natürlichen musikalischen Veranlagung, sondern auch in dem auf der ganzen Halbinsel ausgezeichneten musikalischen Schulwesen begründet.

Der glänzendste Schauplatz dieser künstlerischen Kultur war Neapel. Allgemein herrschte zur Zeit Burneys die Ansicht, daß der musikalische Geschmack sich verfeinere, je mehr man nach Süden gelange. »Italien«, sagt Grosley, »gleicht einer Stimmenführung, in der Neapel die Oktave hat.« Der Präsident de Brosses, der Abbé Coyer und namentlich Lalande sind derselben Ansicht. »Die Musik«, schreibt Lalande, »ist vorzüglich der Triumph der Neapolitaner. Es scheint, als wenn das Trommelfell in diesem Lande schärfer gespannt, harmonischer und empfindlicher gegen die Töne wäre, als in dem übrigen Europa. Die ganze Nation singt, jede Gebärde und jede Biegung der Stimme, ja sogar die Prosodie ihrer Sylben im Umgange, sind voll. Harmonie und Musik. Daher kömmt es, das Neapel die vornehmste Quelle der italiänischen Musik, großer Komponisten und vortreflicher Opern ist.«

Burney wendet sich gegen diese Auffassung, die offenbar zu seiner Zeit nicht mehr ganz richtig und vermutlich auch vorher schon etwas übertrieben war. Die Neapolitaner, sagt er, genießen »mehr Ruhm, als sie itzt verdienen, ungeachtet sie in vorigen Zeiten gegründeten Anspruch auf diesen Ruhm machen konnten«. Seiner Ansicht nach gebührt der Vorrang Venedig. Ohne die Frage über die Bedeutung dieser beiden Städte entscheiden zu wollen, kann man sagen, daß Venedig und Neapel im 18. Jahrhundert die großen Schulen der Vokalmusik waren, nicht nur für Italien, sondern für Europa. Jede von ihnen war der Sitz einer berühmten Opernschule: die ältere in Venedig, von Monteverdi begründet, wies Namen auf wie die von Cavalli und Legrenzi im 17. Jahrhundert, wie Marcello und Galuppi im 18.; die von Neapel, etwas später am Ende des 17. Jahrhunderts durch Francesco Provenzale entstanden, hatte im 18. ihre unbestrittene Überlegenheit in der dramatischen Musik durch die zahllosen Schüler von Scarlatti und Pergolesi begründet. Venedig und Neapel hatten auch die bekanntesten Konservatorien Italiens.

Neben diesen zwei Hauptstätten der Oper war die Lombardei ein Zentrum der Instrumentalmusik, Bologna Sitz der Theorie und Rom die Hauptstadt dieses Kunstreichs, weniger durch seine eigene Produktion als durch die Überlegenheit des kritischen Urteils, das es in künstlerischen Angelegenheiten beanspruchte. »Rom«, sagt Burney, »ist der gefährlichste Posten für einen Komponisten, weil die Römer die eigensinnigsten Richter der Musik in Italien sind ... Man glaubt gewöhnlich, daß ein Komponist oder Spieler, der in Rom glücklich ist, von der Strenge der Kritiker in andern Städten nichts zu fürchten habe.«

Der erste Eindruck neapolitanischer Musik auf Fremde war eher überraschend als genußreich. Die ehrlichsten oder feinsten Kenner waren zu Beginn sogar enttäuscht. Sie fanden, wie Burney, ungepflegten Vortrag, sorglose Phrasierung, rauhe Stimmen, eine natürliche Brutalität, etwas Ungeregeltes, »einen ausgesprochenen Geschmack«, mit Grosleys Worten, »für das capriccioso und das stravagante«. Die Mitteilungen darüber aus dem 17. und 18. Jahrhundert stimmen überein. Folgende Bemerkung stammt aus dem Jahre 1632 von einem französischen Reisenden, J. J. Bouchard: »Ein Pariser in Rom und Neapel im Jahre 1632«, nach einem ungedruckten Manuskript von J. J. Bouchard von Lucien Marcheix. Paris, Leroux.

»Die neapolitanische Musik überrascht besonders durch ihre bizarren und raschen Bewegungen. Ihre Gesangsart ist ganz im Gegensatz zu der römischen schmetternd und förmlich hart; übrigens nicht zu lustig, sondern eher launenhaft und ganz impulsiv, nur durch ihre rasche, wirbelnde und bizarre Bewegtheit Gefallen erregend; es ist ein Gemisch von französischer und sizilianischer Art, D. h., nach Bouchard, von galantem und dramatischem Stil. im übrigen äußerst extravagant für einen, der Folgerichtigkeit und Einheitlichkeit liebt, wovon sie gar nichts hat, da sie bald läuft, bald plötzlich stillesteht, von oben nach unten und von unten nach oben springt, plötzlich alle Stimmkraft aufbietet, dann wieder sie zurückhält; gerade an diesem Wechsel von Hoch und Tief, von piano und forte erkennt man den neapolitanischen Gesang.«

Burney schreibt 1770:

»Der Gesang in den Straßen ist weit weniger angenehm, obgleich originaler, als an andern Orten ... Diese sonderbare Art von Musik ist so wild in ihrer Modulation, und so verschieden von aller übrigen Europäischen, als die Schottische ...« In der Kunstmusik aber »herrscht ein Nachdruck und Feuer, dergleichen man vielleicht in der ganzen Welt nicht findet: sie ist so hitzig, daß sie beynahe zur Wuth übergeht; und diese Heftigkeit des Genies macht, daß ein neapolitanischer Komponist in einem Stücke, welches ruhig und in einem mäßigen Feuer anfängt, das Orchester, ehe es geendigt ist, in lichte Flammen setzt ... Die Neapolitaner können gleich muthigen Pferden den Zügel nicht leiden. Das Rührende und Anmuthige sucht man in den Conservatorien selten zu erreichen, und um die feinen ausgesuchten Manieren ... bemühen sich die meisten Spieler zu Neapel weniger, als in dem übrigen Italien.«

Aber wenn der Charakter des neapolitanischen Gesanges im 17. und 18. Jahrhundert sich gleichgeblieben ist, so hat sich sein Wert sehr verändert. Zu Bouchards Zeit war die neapolitanische Musik hinter der übrigen italienischen zurückgeblieben. Zu Burneys Zeiten waren die neapolitanischen Komponisten berühmt, nicht nur wegen ihres natürlichen Genies, sondern auch wegen ihres Wissens – ein Beweis für die Bedeutung des Bildungswesens für die Kunst, das zwar eine Rasse nicht verändern kann, das aber alles aus ihr herausholt, was sie in sich hat und was sonst nie zutage getreten wäre.

Solche Bildungsanstalten waren in Neapel die berühmten Konservatorien zur musikalischen Ausbildung armer Kinder – eine bewunderungswürdige Idee, welche unsere modernen Demokratien weder gehabt noch aufgenommen haben.

Die vier vornehmsten dieser Konservatorien oder Collegii di musica waren Siehe die Vorrede des Marquis de Villarosa zu seinen »Memorie dei Compositori di musica del Regno di Napoli« (Neapel 1840).:

1. Das Kollegium der Armen Jesu Christi (Collegio de' poveri di Gesù Cristo), 1589 von einem Kalabresen vom Dritten Orden des hl. Franz von Assisi, Marcello Fossataro di Nicotera, begründet, welcher hier arme, vor Kälte und Hunger zugrunde gehende Kinder aufnahm. Kinder aller Nationen zwischen sieben und elf Jahren konnten Aufnahme finden. Es waren ihrer etwa hundert, und sie trugen eine rote Soutane mit himmelblauem Talar. Aus diesem Kollegium – und das sagt genug – ging Pergolesi hervor.

2. Das Kollegium von San Onofrio a Capuana, gegen 1600 von den Brüdern von San Onofrio für die kapuanischen Waisen begründet. Die Schülerzahl schwankte zwischen neunzig und hundertfünfzig. Sie trugen die weiße Soutane mit grauem Talar.

3. Die Schule von Santa Maria di Loreto, 1537 von einem Protonotar des Apostolischen Stuhles, Giovanni di Tappia, einem Spanier, begründet, »um die Kinder der ärmsten Bürger aufzunehmen und sie im Glauben und den schönen Künsten zu erziehen«. Dieses sehr große Institut zählte zuerst bis zu achthundert Kinder, Knaben und Mädchen. In der Mitte des 18. Jahrhunderts schloß man die Mädchen aus und unterrichtete ausschließlich Musik. Als Burney es besuchte, hatte es zweihundert Schüler. Sie trugen ganz weiße Kleidung und ebensolchen Talar.

4. Die Anstalt della Pietà de' Turchini, am Ende des 16. Jahrhunderts von einer Brüderschaft gegründet, welche die armen Kinder des Viertels aufnahm. In der Mitte des 18. Jahrhunderts hatte es hundert Schüler, die blaue Soutanen und Talare trugen. Die berühmtesten neapolitanischen Komponisten unterrichteten in diesem Kollegium. Francesco Provenzale war einer der ersten Lehrer.

Jedes dieser Konservatorien hatte zwei Hauptlehrer, einen zur Korrektur der Komposition, einen für den Gesang. Ferner gab es Assistenten (maestri scolari) für jedes Instrument. Die Kinder blieben gewöhnlich acht Jahre dort. Zeigten sie nach einigen Schuljahren keine genügenden Anlagen, so wurden sie entlassen. Eine gewisse Anzahl wurden als zahlende Zöglinge aufgenommen. Die besten Schüler wurden nach ihrer Ausbildungszeit als Lehrer zurückbehalten.

Burney gibt folgende anschauliche Beschreibung eines Besuchs in San Onofrio:

Auf dem Treppenabsatz im ersten Stock übt eine Klarinette; einen Stock höher schmettert ein Horn. In einem gemeinsamen Zimmer üben sieben oder acht Flügel und eine noch größere Anzahl von Geigen und Singstimmen, jede ein anderes Stück, während andere Schüler schreiben. »Die Betten, welche in eben dem Zimmer sind, dienen den Flügel- und andern Instrumentspielern zu Sitzen.« In einem andern Zimmer sind die Geigen vereinigt, in einem dritten die Flöten und Oboen. Klarinetten und Hörner haben nur auf der Treppe Platz. Ganz oben im Hause und völlig abgetrennt von den andern Kindern haben sechzehn junge Kastraten besonders warme Zimmer, wegen der Empfindlichkeit ihrer Stimmen. Alle diese kleinen Musiker arbeiten ununterbrochen von der Stunde des Aufstehens an (zwei Stunden vor Tag im Winter) bis zum Schlafengehen um acht Uhr abends. Sie haben nur anderthalb Stunden Mittagspause und einige Ferientage im Herbst.

Diese Konservatorien, die ganz Europa ihre Sänger und Komponisten lieferten, waren zur Zeit Burneys schon im Niedergang begriffen. Ihre glänzendste Zeit scheint die zu Lebzeiten Alessandro Scarlattis im ersten Drittel des Jahrhunderts gewesen zu sein.

In Neapel hielten sich ausländische Musikunternehmer auf, die nichts zu tun hatten, als Musiker und Soprane im Auftrage ihrer Regierungen zu gewinnen, unter anderm ein gewisser Herr Gilbert, dem Lalande begegnete und der im Auftrage Frankreichs arbeitete.

Man holte auch Komponisten von dort. Die beiden berühmtesten neapolitanischen Komponisten aus der Mitte des 18. Jahrhunderts, Jommelli und Piccini, wurden nach auswärts berufen: Jommelli nach Stuttgart, wo er fünfzehn Jahre blieb; Piccini nach Paris, wo man ihn gegen Gluck ausspielte. Er starb dort, nachdem er Professor an der Königlichen Schule für Gesang und Deklamation und Inspektor am Konservatorium geworden war. Die beiden Männer unterschieden sich im höchsten Grade. Der kleine, magere, bleiche Piccini mit seinen müden Zügen und seiner etwas steifen Haltung, dabei herzenswarm und höflich, zart und lebhaft zugleich, höchst empfänglich für jeden Eindruck, war vor allem unnachahmlich in der komischen Oper, und es ist ein Unglück für ihn, daß sich seine kleinen komischen Opern im neapolitanischen Dialekt nirgendwohin außerhalb seines Landes verpflanzen ließen, in dem sie Begeisterung erregten. Aber, wie der Abbé Galiani sagt, »es war unmöglich, daß dieses Genre bis nach Frankreich gelangte, da es nicht einmal bis Rom kam. Man muß Neapolitaner sein, um die Höhe der Vollkommenheit zu begreifen, auf die Piccini die neapolitanische komische Oper gebracht hat.« Jommelli dagegen fand im Auslande mehr Anhang als in Neapel. Die Neapolitaner grollten ihm, daß er sich in Stuttgart zu sehr germanisiert habe. Körperlich sah er wie ein deutscher Musiker aus. »Er ist außerordentlich korpulent«, sagt Burney, »und hat im Gesichte etwas Händeln ähnliches ..., doch ist er weit höflicher und sanfter in seinem Betragen.« Dieser vornehme, warme, etwas schwerfällige Künstler hatte die Vorliebe für eine schwere und reiche Harmonie und Orchesterbehandlung aus Deutschland mitgebracht; er hatte nicht wenig zu der Umwälzung beigetragen, die in jener Zeit in der neapolitanischen Oper begann, wo das Orchester sich vordrängte, auf Kosten der Sänger, die zum Schreien gezwungen wurden. Mit Burneys Worten: »In Ansehung der Musik ging viel von dem Helldunkeln verlohren, die Mezzotinten und der Hintergrund, und es blieb eigentlich nicht viel mehr übrig, als die kühnen und rauhen Pinselzüge des Komponisten.«

Venedig unterschied sich von Neapel durch die Feinheit seines Geschmacks. Mit den neapolitanischen Konservatorien konkurrierten die berühmten venezianischen Mädchenschulen, die Pietà, die Mendicanti, die Incurabili und das Ospedaletto di San Giovanni e Paolo.

Das waren lauter Findelhäuser unter dem Patronat der ersten aristokratischen Familien der Stadt. Man behielt die jungen Mädchen bis zu ihrer Heirat dort und gab ihnen eine vollkommene musikalische Ausbildung. »Die Musik«, sagt Grosley, »war der Hauptgegenstand in einer Erziehung, die besser dazu geeignet schien, eine Aspasia oder Lais hervorzubringen als Nonnen oder Familienmütter.« Indessen waren keineswegs alle Mädchen Musikerinnen; es gab deren nicht mehr als etwa siebzig von tausend in der Pietà und vierzig bis fünfzig in den andern Häusern. Aber alles geschah, um sich guter Musikerinnen zu versichern, und oft nahm man Kinder auf, die keine Waisen waren, vorausgesetzt, daß sie schöne Stimmen besaßen. Man brachte sie aus ganz Venetien, aus Padua, Verona, Brescia, Ferrara. Die Lehrer waren: Furlanetto in der Pietà, Bertoni bei den Mendicanti, Sacchini im Ospedaletto, Galuppi, der Nachfolger Hasses, bei den Incurabili. Die Rivalität dieser berühmten Komponisten spiegelte sich im Wetteifer der Schüler. Jedes Konservatorium hatte fünf oder sechs Hilfslehrer für den Gesang und die Instrumente; die älteren Mädchen unterrichteten die jüngeren. Die Schülerinnen lernten nicht nur singen, sondern auch alle Instrumente: Geige, Klavier, auch Horn oder Kontrabaß. Burney sagt, daß sie gewöhnlich mehrere Instrumente spielten und daß sie mit Leichtigkeit von einem zum andern übergingen. Diese Frauenorchester gaben jeden Samstag- und Sonntagabend öffentliche Konzerte. Sie waren eine Hauptanziehungskraft von Venedig, und kein fremder Reisender, der die Stadt besuchte, hat versäumt, diese Konzerte zu beschreiben, die dem Auge wie dem Ohr gleiches Vergnügen gewährten. »Man kann sich nichts Reizenderes vorstellen«, sagt der Präsident de Brosses, »als eine junge hübsche Nonne, ganz in Weiß, ein Granatblütensträußchen über dem Ohre, die das Orchester leitet und den Takt mit unbeschreiblicher Grazie und Präzision schlägt.« Er fügt hinzu, daß, »was großzügige Ausführung und die Fähigkeit anbelangt, an die Spitze eines Orchesters zu treten, die Töchter Venedigs hinter niemandem zurückzustehen haben.« Einige dieser Musikerinnen waren berühmt in ganz Italien; Venedig spaltete sich in feindliche Lager, um für diese oder jene Sängerin Partei zu ergreifen.

Dennoch könnten die ein wenig phantastischen Erzählungen galanter Reisender über den Ernst der Studien täuschen, die man an diesen Konservatorien trieb. Burney, der sie gründlich kennengelernt hat, bewundert ihren Unterricht. Den besten gaben, unter Galuppis Leitung, die Incurabili. Galuppi zählte damals siebzig Jahre – aber er war noch voll Temperament und Lebhaftigkeit und schien immer mehr in Feuer zu geraten, je älter er wurde. Er war ein winziges Männchen mit einem kleinen, intelligenten Gesicht; sein Gespräch blitzte von Geist; er hatte ein vornehmes Auftreten und Interesse für alle Künste: er selbst besaß schöne Bilder von Veronese. Sein Charakter war nicht weniger geachtet als sein Talent; er hatte eine zahlreiche Familie und lebte in den solidesten Verhältnissen. Als Komponist war er einer der letzten Vertreter der alten venezianischen Tradition, eines jener glänzenden und ursprünglichen Genies, in denen sich Phantasie, Natürlichkeit und Können zu hinreißender Wirkung verbinden. Als richtiger Italiener und Akademiker definierte er die gute Musik in seinen Gesprächen mit Burney als »Schönheit, Deutlichkeit und gute Melodie«. Trotzdem er in Venedig ausnehmend beschäftigt war, wo er zugleich als erster Kapellmeister der Markuskirche und bei den Incurabili, ferner als Organist in adeligen Familien und als Opernkomponist wirkte, vernachlässigte er doch keine seiner Obliegenheiten, und sein Konservatorium war ein Muster guter Zucht. »Das Orchester«, sagt Burney, »wird hier in der strengsten Ordnung gehalten; kein Spieler schien begierig zu seyn, auf Kosten der Singstimmen hervorzuglänzen, sondern alle schienen unter der Art von Unterwürfigkeit zu stehen, welche ein Untergebener seinen Obern schuldig ist.« Die Künstler besaßen eine große Virtuosität, aber ihr Geschmack blieb immer rein, und man fand die Kunst Galuppis in jeder Kadenz seiner Schüler wieder. Er übte alle geistlichen und profanen Kunstarten mit ihnen, und die Konzerte, die er dirigierte, wiesen die verschiedenartigsten Kombinationen von Vokal- und Instrumentalmusik auf. Es war in Venedig nicht selten, daß man in einer Kirche zwei Orchester, zwei Orgeln, zwei Chöre echoartig verwandte; Burney hörte in der Markuskirche unter Galuppis Leitung eine Messe mit sechs Orchestern; zwei große in den beiden Orgelgalerien und vier kleinere, von denen je zwei an den beiden Schmalseiten verteilt waren und von zwei kleinen Orgeln unterstützt wurden. Dies war eine venezianische Tradition, die von den Gabrielis im 16. Jahrhundert herrührte.

Außerhalb der Konservatorien und Kirchen veranstaltete man zahlreiche Konzerte oder »Akademien« in Privatgesellschaften. Der Adel beteiligte sich daran, und seine Damen spielten Klavier und brachten Konzertstücke zum Vortrag. Zuweilen gab es Feste, einem Musiker zu Ehren: Burney wohnte einem Marcello-Konzert bei. Diese musikalischen Abende dauerten bis spät in die Nacht. An einem Abend stellt Burney vier Konservatoriumskonzerte und einige private »Akademien« fest.

Dabei beeinträchtigten die Konzerte nicht im geringsten das Theaterwesen; in Venedig wie in Neapel galten die Theater als die ruhmreichsten Stätten der Musikpflege. Lange waren sie die ersten Italiens gewesen. Im Karneval 1769 wurden sieben Opernbühnen zugleich eröffnet: drei für die Opera seria und vier für die Opera buffa, ohne der vier Komödienhäuser zu gedenken; jeden Abend waren sie alle voll.

Ein letzter Zug zeigt die Freiheit und den wirklich demokratischen Geist, der in diesen italienischen Städten herrschte: die Gondoliere hatten freien Eintritt ins Theater, und wenn die Loge einer vornehmen Familie leerstand, so erlaubte der Operndirektor, daß die Gondoliere sie benutzten. Burney sieht hier ganz richtig eine der Ursachen, »warum die Leute aus dem Volke in Venedig eine so vornehme Art zu singen haben, im Vergleiche mit Leuten derselben Klasse anderwärts«. Nirgends gab es bessere Musik als in Italien, und nirgends war sie so verbreitet unter dem Volk.

Neben diesen zwei Hauptstädten, Venedig mit seinen sieben Theatern, Neapel mit seinen vier oder fünf, unter denen San Carlo, das größte in Europa, ein Orchester von achtzig Musikern hatte Marquis d'Orbessan: »Voyage d'Italie en 1749-1750 Mélanges historiques et critiques« (Toulouse 1768)., blühte die Oper in allen italienischen Städten: in Rom und seinen berühmten Theatern, der Argentina, dem Aliberti, dem Capranica, in Mailand und Turin, deren Opernhäuser alle Tage mit Ausnahme des Freitags während der Saison geöffnet waren und wo man riesige Schaustücke mit Kavallerieschlachten aufführte Edmund Rolfe, 1761: »Continental Diary«, veröffentlicht von E. Neville Rolfe. Neapel 1897.; in Parma, wo das Farnese-Theater, das prunkvollste Italiens, stand; in Piacenza, Reggio, Pisa, Lucca, welches nach Lalande, »das vollkommenste Orchester besaß«, in ganz Toskana, in ganz Venetien, in Vicenza, in Verona, das, wie Edmond Rolfe schreibt, »operntoll war«. Ohne von den kleinsten Städten zu sprechen, wo man immer gute Orchester und gute Truppen finden konnte. Siehe Mozarts Briefe. Sie war die große italienische Leidenschaft. Der Abbé Coyer befand sich 1763 zur Zeit einer Hungersnot in Neapel: die Gier nach dem Theater hatte darum nicht abgenommen.

Treten wir in eins dieser Opernhäuser ein. Die Darstellung beginnt in der Regel um acht Uhr und endet eine halbe Stunde nach Mitternacht. Lalande, Reise nach Parma im Jahre 1765. Der Eintrittspreis im Parterre beträgt einen paolo (sechs englische Pence oder sechs Groschen) Burney. – Die italienischen Operntheater waren in der Regel an eine Gesellschaft vornehmer Leute verpachtet, die auf die Logen subskribierten, jeder auf eine, und das übrige jährlich vermieteten, Parterre aber und Galerie für Fremde reservierten (so in Mailand und Turin)., wenn nicht der Eintritt frei ist, was in Venedig und Neapel oft vorkommt. Das Publikum ist lärmend und unaufmerksam; es scheint, daß es den eigentlichen Zweck des Theaters, die Hingabe an das Drama, nicht sehr hoch einschätzt. Während eines Teils der Vorstellung plaudert man ungeniert. Man macht einander Besuche von einer Loge zur andern. In Mailand »sind besondere Zimmer für jede Loge, worin Kamine und gute Anstalten zu Erquickungen und zum Kartenspiele sind. In der vierten Reihe sind Pharaotische, auf jeder Seite des Hauses einer, welche während der Vorstellung der Oper gebraucht werden.« Burney. – In Bologna machen es sich die Damen sehr bequem; sie plaudern oder, besser gesagt, schreien während des Stückes von ihrer Loge zur gegenüberliegenden, stehen auf und klatschen in die Hände, während sie Bravo rufen! Die Männer sind gemäßigter; wenn ein Akt zu Ende ist und ihnen gefallen hat, begnügen sie sich damit, zu brüllen, bis er wiederholt wird! Briefe des Präsidenten de Brosses, 1739. In Mailand, nicht genug, daß jeder sein Gespräch führt, so laut er nur kann, und daß man unter Geheul nicht allein den Gesängen, sondern auch den Sängern, sobald sie erscheinen und während sie singen, seinen Beifall bezeigt, haben die Herrschaften im Parterre auch noch lange Stöcke, mit denen sie, soviel sie nur können, auf die Bänke schlagen, zum Zeichen ihrer Bewunderung. Sie haben Mitverschworene in den Logen im fünften Rang, die auf dieses Signal hin Unmengen von Papierblättern hinunterwerfen, auf denen Sonette zum Ruhme der Signora oder des Virtuosen, die eben gesungen haben, gedruckt sind. Jeder beugt sich mit halbem Leibe aus der Loge, um sie aufzufangen, das Parterre springt auf, und die Szene endigt mit einem allgemeinen »Ah!« wie beim Johannisfeuer. Briefe des Präsidenten de Brosses, 1739.

Diese wohl etwas übertriebene Beschreibung ist gar nicht sehr weit von dem Charakter entfernt, den gewisse italienische Vorstellungen heute noch tragen. Ein französischer oder deutscher Zuschauer, der ihnen beiwohnt, mag geneigt sein, an der Echtheit der Empfindung des italienischen Publikums für das Kunstwerk zu zweifeln; er könnte annehmen, daß die Theaterliebhaberei für diese Leute nichts als das Vergnügen bedeutet, beisammen zu sein. Doch ist dem nicht so. Jeder Lärm schweigt sofort an gewissen Stellen des Werkes. »Man hört zu und begeistert sich nur für die Ariette;« sagt der Abbé Coyer, »vielmehr, ich irre mich: man wendet seine Aufmerksamkeit auch dem obligaten Rezitativ zu, das ergreifender ist als die Ariette.« In solchen Augenblicken »entgeht keine Nuance, wie zart sie auch sei, den italienischen Ohren, sie fassen sie auf, sie fühlen, sie schmecken sie mit einem Vergnügen, das wie ein Vorgeschmack der Paradiesesfreuden ist«.

Freilich darf man nicht glauben, daß es sich hier um Konzertstücke handelt, die nur durch ihre formale Schönheit Wert haben. Es sind meist ausdrucksvolle, mitunter sehr dramatische Stellen. Der Präsident de Brosses wirft den Franzosen vor, daß sie über italienische Musik urteilen, bevor sie sie in Italien gehört haben. »Man muß die Sprache ganz beherrschen und den Sinn der Worte ganz verstehen können. In Paris hören wir nur hübsche italienische Menuette oder große verzierte Arien, und wir glauben, daß die im übrigen sehr melodiöse italienische Musik nur auf den Silben herumtändelt und daß ihr der Ausdruck, der Gefühle charakterisiert, ganz abgeht ...« Das sei falsch. Sie vermag wundervoll Gefühle dem Geist der Sprache gemäß auszudrücken, und die Stellen, die man in Italien am meisten liebt, sind gerade die einfachsten und die ergreifendsten, »leidenschaftliche, zärtliche, rührende Arien, die sich für das Theater eignen und das Spiel des Darstellers zur Geltung bringen«, wie es deren bei Scarlatti, Vinci und Pergolesi gibt. Allerdings sind das auch gerade jene, die man am schwersten nach auswärts verpflanzen kann, »da der Wert dieser Tragödientorsi in der Treffsicherheit des Ausdrucks besteht«, die man nicht werten kann, ohne die Sprache zu kennen.

Wir finden bei dem italienischen Publikum des 18. Jahrhunderts eine nicht zu überbietende Gleichgültigkeit für die dramatische Fabel; bei dieser vollkommenen Unbekümmertheit um das Thema kommt man leicht dahin, den zweiten oder dritten Akt einer Oper vor dem ersten zu spielen, wenn irgendeine hochgeborene Persönlichkeit es so wünscht, die nicht den ganzen Abend im Theater verbringen kann. Der spanische Dichter Don Leandro de Moratin sah in einer Oper Dido auf dem Scheiterhaufen sterben; im zweiten Akt jedoch war sie wieder auferstanden und begrüßte Aeneas ... Und doch begeisterte dasselbe Publikum, dem das Drama gleichgültig war, sich gerade frenetisch an irgendeiner dramatischen Stelle, losgelöst aus dem Ganzen der Handlung.

Es ist nämlich vor allem lyrisch gestimmt, aber von einem Lyrismus, der gar nichts Abstraktes hat, der sich an ganz bestimmte Leidenschaften, an ganz besondere Fälle hält. Der Italiener bezieht alles auf sich. Weder die Handlung noch die Personen interessieren ihn; nur in die Leidenschaften wühlt er sich förmlich ein, als ob es seine eigenen wären. Daher kommt die heftige Exaltation, in die ihn die Oper in einzelnen Augenblicken versetzt. Bei keinem andern Volk hat die Liebe zur Oper diesen leidenschaftlichen Charakter, weil sie bei keinem andern von so ganz persönlicher und selbstsüchtiger Natur ist. Der Italiener geht nicht in die Oper, um die Opernhelden zu sehen, sondern um sich selbst zu hören und zu sehen, um seine eigenen Leidenschaften zu entzünden. Alles übrige ist ihm gleichgültig.

Es ist ein ungeheurer Kraftspender für die Kunst, sich so von entflammten Herzen erwärmt zu wissen, aber auch eine große Gefahr. Alles, was in der Kunst nicht an die Nachahmung oder die Kontrolle der Natur gebunden ist, alles, was nur von der innern Eingebung oder Erschütterung abhängt, alles, was, mit einem Wort, das Genie oder die Leidenschaft voraussetzt, ist unbeständig, weil Genie oder Leidenschaft immer nur Ausnahmezustände sein können, selbst bei dem genialen oder leidenschaftlichen Menschen. Eine solche Flamme verflackert, oder erlischt, zu ihrer Zeit; wenn nun, sobald das Herz nicht mehr wacht, die fleißige und gewissenhafte Begabung, die Beobachtung und die Vernunft nicht an die Stelle des Genies treten, so entsteht das vollständige Nichts. Man kann nicht oft genug die Bemerkung bei den Italienern aller Zeiten machen: selbst ihre mittelmäßigen Künstler haben mehr Genie als viele berühmte und begabte Künstler nördlicherer Länder; aber dieses Genie verpufft in Nichtigkeiten, schlummert ein oder vagabundiert; und wenn es nicht mehr da ist, bleibt nichts zurück ...

Das Heil für die italienische Oper des 17. Jahrhunderts hätte in einem Genre gelegen, das sie zu dieser Zeit eben erschaffen hatte: in der Opera buffa, dem Intermezzo, die in ihren Anfängen bei Vinci und Pergolesi aus der humoristischen Beobachtung des italienischen Naturells flossen. Die Italiener, die große Spötter sind, haben hier unnachahmliche Meisterwerke hinterlassen. Der Präsident de Brosses begeisterte sich mit Recht für diese kleinen Stücke. »Je weniger ernst das Genre ist«, sagt er, »desto besser gelingt es der italienischen Musik; denn sie atmet Heiterkeit und ist hier in ihrem Element.« Er schrieb, nachdem er die »Serva padrona« gesehen: »Es ist nicht wahr, daß man vor Lachen sterben kann, sonst wäre ich vor Lachen gestorben, trotzdem meine Schmerzen in der Milz mich hinderten, der himmlischen Musik dieses lustigen Stückchens zu folgen, wie ich wollte.«

Wie es aber immer geht, schätzten die Leute von Geschmack, die Musiker, diese Werke nicht nach ihrem vollen Wert ein; sie hielten sie für belanglose Amusements, und sie hätten sich geschämt, ihnen den gleichen Rang wie den musikalischen Tragödien zuzusprechen. Seit jeher hat diese unvernünftige Rangordnung der Gattungen die mittelmäßigen Werke des erhabenen Stils höher eingeschätzt als ausgezeichnete Arbeiten eines weniger großartigen Genres. Zur Zeit des Präsidenten de Brosses gaben die preziösen Herren und Damen Italiens vor, die komische Oper zu verachten, und bespöttelten »die närrische Vorliebe des de Brosses« für solche Possen. So wurden denn diese ausgezeichneten kleinen Werke rasch vernachlässigt; ähnliche Mißstände wie in der Oper schlichen sich auch in das Intermezzo ein: die gleiche Unwahrscheinlichkeit und Unbekümmertheit um die Handlung. Burney muß sagen: Man nehme der komischen Oper der Franzosen die »Musik, so werden noch immer gute Komödien übrig bleiben, allein ohne Musik würden die Italiänischen unerträglich seyn«. Zu Ende des Jahrhunderts seufzt Moratin über die Absurdität dieser Gattung. Dennoch war das die Zeit, von Cimarosa, Paesiello, Guglielmi, Andreozzi, Fioravanti und vieler anderer. Was hätten alle diese kleineren Meister schaffen können mit etwas mehr Disziplin und gewissenhafteren Textdichtern!

Man hat gesehen, daß sich in Venedig die Passion für die Oper mit einem Hang zur Instrumentalmusik vereinigte, den Neapel nicht in dem Grade besaß. Das war seit der Renaissance immer so gewesen, und schon zu Beginn des 17. Jahrhunderts unterschied sich die Oper des Venezianers Monteverdi in dieser Hinsicht von den neapolitanischen, florentinischen und römischen Opern.

Man kann im allgemeinen sagen, daß Norditalien – Venetien, die Lombardei, Piemont – im 18. Jahrhundert das auserwählte Land der Instrumentalmusik war.

Es war das Land der großen Instrumentalisten, namentlich der Geiger. Die Geigenkunst war ureigentlich italienisch. Mit ihrem natürlichen Gefühl für die Harmonie der Linien, mit ihrer Vorliebe für die schöne Melodie, als Schöpfer des dramatischen Einzelgesangs, mußten gerade die Italiener als Geiger glänzen. »Niemand in Europa«, sagt Pirro Pirro: »Die Orgel Bachs« (Paris, Fischbacher, 1895)., »verstand wie sie, für die Geige mit der Klarheit und dem Ausdruck zu schreiben, die sie verlangt.« Corelli und Vivaldi wurden die Vorbilder der deutschen Meister. Das goldene Zeitalter der italienischen Geigenmusik fiel zwischen die Jahre 1720 und 1750 mit Locatelli, Tartini, Vivaldi und Francesco-Maria Veracini. Diese Männer, große Komponisten und Virtuosen, zeichneten sich durch strenge Reinheit des Geschmackes aus.

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Tartini, Giuseppe Nach einem Stich von C. Calcinoto

Der berühmteste war Tartini aus Padua. »Padua«, sagt Burney, »ist in neuern Zeiten durch den Aufenthalt des berühmten Komponisten und Geigers so bekannt geworden, als in alten Zeiten dadurch, daß der Geschichtsschreiber T. Livius hier geboren war.« Man besuchte sein Haus und später sein Grab »mit allem Eifer eines Pilgrims zu Mecca«. Ebenso berühmt als Komponist wie als Theoretiker und Virtuose, zugleich als Schöpfer der modernen Harmonielehre war Tartini eine musikalische Autorität seiner Zeit. Kein italienischer Virtuose hielt sich für berufen, ehe er nicht seine Anerkennung erworben hatte. Von allen Musikern seines Landes hatte er den ernstesten Geschmack und den offensten Sinn für die künstlerischen Verdienste aller Nationen. »Er ist höflich, gefällig, ohne Hochmut und ohne Launen«, sagt der Präsident de Brosses; »er spricht vernünftig und parteilos wie ein Engel über die verschiedenen Vorzüge französischer und italienischer Musik. Ich war von seinem Gespräch mindestens ebenso befriedigt wie von seinem Spiel.« – »Dieses Spiel hatte nur wenig Glänzendes«; dieser Virtuose haßte nichts mehr als leere Virtuosität. Wenn die italienischen Virtuosen ihm ihre Kunststücke vormachten, »so hörte er unbewegt zu und sagte dann: Es ist lebendig, es ist glänzend, es ist sehr geschickt, aber – indem er die Hand aufs Herz legte – es gibt mir nichts hierGrosley. Sein Stil bekundete »eine äußerste Genauigkeit des Tones, dessen feinster sich nie verwischte, und ein massiges Pathos«. Bis zu seinem Tode blieb Tartini bescheiden ein Orchestermitglied des Santo in Padua.

Neben diesem großen Namen haben auch noch andere ihren verdienten Ruf bis auf unsere Zeit bewahrt. In Venedig lebte Vivaldi, den der Präsident de Brosses gleichfalls kennenlernte und der alsbald einer seiner intimsten Freunde wurde, »um«, wie er sagt, »mir seine Konzerte sehr teuer zu verkaufen ... Er ist ein vecchio, von einer erstaunlichen Besessenheit in der Komposition. Ich habe gehört, wie er sich rühmte, er könnte ein Konzert mit allen Stimmen rascher komponieren als der Kopist es abschreiben könne.« Er war in seinem Lande schon nicht mehr recht geschätzt, »wo alles nach der Mode ging, wo man seine Werke schon seit zu langer Zeit gehört hatte und wo schon die Musik vom vorigen Jahr nichts mehr gilt.« Eine Entschädigung blieb ihm vorbehalten: die, ein Vorbild für Johann Sebastian Bach gewesen zu sein.

Die andern Geiger dieser Zeit: Tartinis bester Schüler Nardini, ferner Veracini, ein tiefer Komponist, in dem man einen Vorläufer Beethovens hat sehen wollen, dann Nazzari und Pugnani hatten alle dieselben Eigenschaften: Sachlichkeit, Ausdrucksfähigkeit und eher Abneigung gegen den Effekt als Vorliebe für ihn. Burney schrieb von Nardini, er errege »mehr Beyfall und Vergnügen, als Bewunderung«, und der Präsident de Brosses sagt von Veracini, daß »sein Spiel richtig, vornehm, studiert und präzis gewesen sei, aber fast ohne Grazie«.

Die Kunst des Klavierspiels zählte Meister wie Domenico Zipoli, den Schüler und Nebenbuhler Händels, und Domenico Scarlatti, einen genialen Vorläufer, welcher der Kunst neue Wege wies, auf denen Philipp Emanuel Bach ihm folgte. Auch Galuppi hat dem Klavier Ruhm gebracht. Zu Zeiten Burneys war indessen schon ein Niedergang zu verspüren. »Allein die Wahrheit zu sagen«, schreibt er, »so habe ich in ganz Italien noch keinen großen Flügelspieler, noch irgend einen originalen Komponisten für dies Instrument gefunden. Ich weiß keine Ursache davon anzugeben, als weil dies Instrument hier, außer zur Begleitung der Singstimmen, so wenig gebräuchlich ist. Jetzt wird es von Instrumentmachern und Spielern so vernachlässigt, daß es sich schwerlich bestimmen läßt, ob die Instrumente oder die Spieler elender sind.« – Die Orgelkunst hatte sich seit der Zeit des alten Frescobaldi besser gehalten. Indessen kann man trotz der Lobsprüche von Grosley und Burney für die italienischen Organisten annehmen, daß das Urteil Rusts richtig ist, welcher sagt, daß »es den Italienern unmöglich scheint, mit einem Tasteninstrument großes Vergnügen hervorzurufen«. Man merkt da ihre am Ausdruck haftende Begabung, die in der menschlichen Stimme und in der Geige ihre Lieblingsinstrumente sieht. Die Blasinstrumente wurden ziemlich vernachlässigt. Alessandro Scarlatti, der auf Hasses Fürbitte dem berühmten Flötenspieler Quantz 1725 recht ungern eine Unterredung gewährte, sagte ihm: »Mein Sohn, Sie wissen, daß ich die blasenden Instrumente nicht leiden kann; denn sie blasen alle falsch« (Quantz selbst erzählte diesen Ausspruch Burney.) – 1771 konstatiert Mozart, daß man für das große Fest von San Petronio in Bologna Trompeten aus Lucca kommen lassen mußte und daß sie abscheulich waren. – Mau fand nur in Venedig und Norditalien gute Blasinstrumente. In Turin waren zwei Brüder Besozzi, ein Oboist und ein Fagottist, die in ganz Europa bekannt waren.

Wichtiger als die in Norditalien so häufigen Virtuosen war das weitverbreitete Interesse an symphonischer Musik. Die lombardischen und piemontesischen Orchester waren berühmt. Das anerkannteste war das in Turin, in dem Pugnani, Veracini, Somis, die Besozzi spielten. In der Königlichen Kapelle war jeden Vormittag von elf bis zwölf »Symphonie«: das Königliche Orchester war in drei Gruppen geteilt, die auf verschiedenen, ziemlich weitentfernten Galerien postiert waren. Sie waren so gut aufeinander eingespielt, daß sie niemanden nötig hatten, der Takt schlug. Diese in Italien ständige Einrichtung überraschte natürlich die fremden Reisenden. »Der Komponist«, sagt Grosley, »hat nichts zu tun, als mit der Stimme oder Geste anzufeuern, wie ein General stürmende Soldaten. Diese ganze Musik wird trotz der Verschiedenartigkeit und Komplikation ihrer Stimmen ohne ein Erheben des Taktstockes ausgeführt.« Was allerdings beweist, daß die Verschiedenartigkeit und die Komplikation dieser Musik noch nicht sehr groß war, da sie mit solcher Freiheit behandelt werden konnte; aber es ist dennoch ein Beweis für die Übung und den musikalischen Geist des italienischen Orchesters. Es scheint, daß diese Gewohnheit sich gegen Ende des Jahrhunderts verlor. Goethe beklagt sich in Vicenza 1786 über das abscheuliche Taktschlagen des Maestro, eine Gewohnheit, die er Frankreich vorbehalten glaubte. Man braucht nur an das damalige französische zu denken, das auch keine schwierigere Musik spielte und dennoch sehr energischer Bewegungen des Taktstockes – und der Füße bedurfte. »Diese Leute«, schrieb de Brosses, »haben das Gefühl für Richtigkeit und Präzision in ganz anderm Maße als bei uns. Ihre Orchester haben ein starkes Gefühl für Steigerungen und Halbdunkel. Hundert Blas- und Saiteninstrumente können begleiten, ohne die Stimme zu verdecken. Es war nicht mehr ganz so zu Burneys Zeit, wo das Orchester dazu neigte, die Stimmen zu übertönen.

Besonders in Mailand genoß die symphonische Musik hohe Ehren. Man kann sogar sagen, daß sie dort begründet worden ist; denn dort lebte einer von den zwei oder drei Menschen, welche den Ruhm für sich in Anspruch nehmen dürfen, die Symphonie im modernen Sinne des Wortes erschaffen zu haben – und, wie ich glaube, derjenige, der den meisten Anspruch auf diesen Ruhm hat Die beiden anderen sind Gossec für Frankreich und Stamitz für Deutschland.: G. B. Sammartini, der Vorläufer und das Vorbild Haydns. Er war Kapellmeister an fast der Hälfte aller mailändischen Kirchen und schrieb für sie zahllose symphonische Stücke. Burney, der ihn kennenlernte und einige Konzerte unter seiner Leitung hörte, sagt, daß »diese Symphonien voll waren von dem Geiste und Feuer, welches dem Verfasser eigen ist. Die Instrumentstimmen sind gut ausgearbeitet; er läßt keinen von den Spielern lange müßig gehen, und vornehmlich haben die Violinen keine Ruhe«. Burney macht ihm den gleichen Vorwurf, der später gegen Mozart erhoben wurde, daß seine Musik zu viele Noten und zu viele Allegros aufweise. Er scheint immer im Galopp zu rennen. »Die Heftigkeit seines Geistes treibt ihn an, in einer Folge von schnellen Sätzen fortzulaufen, welche zuletzt den Ausführer sowohl als den Zuhörer ermüden«. Dennoch bewundert Burney »die wirklich himmlische Schönheit« einiger seiner Adagios.

Die Mailänder zeigten sehr viel Neigung für diese symphonische Musik. Mailand hatte sehr viele Konzerte, nicht nur öffentliche, sondern auch private, wo Dilettanten kleine Orchester bildeten: man spielte dort die Symphonien von Sammartini und Johann Christian Bach, dem jüngsten Sohne Johann Sebastians. Es kam sogar vor, daß eine Opernvorstellung durch ein Konzert ersetzt wurde. Selbst in der Oper geschah es bisweilen, daß infolge dieser Vorliebe für die Instrumentalmusik das Orchester zum Entsetzen der alten Gesangsliebhaber zu stark besetzt und zu laut wurde; die komplizierten Begleitungen hatten die Tendenz, die Melodie zu verhüllen und die Stimme zu übertönen.

So hatte die Instrumentalmusik Mailand und Turin zu Hauptstätten; die vokale Venedig und Neapel.

Bologna war das Haupt der italienischen Musik, das Hirn, das bedenkt und leitet, die Stadt der Theoretiker und Akademiker. Dort lebte die größte musikalische Autorität des 18. Jahrhunderts, eine Autorität, die zugleich von Italien, von ganz Europa, von Gluck, Johann Christian Bach und Mozart anerkannt wurde: der Padre Martini. Dieser Franziskaner, Kapellmeister an der Kirche dieses Ordens in Bologna, war ein gelehrter und liebenswürdiger Komponist von ein wenig rokokohafter Grazie, ein gründlicher Historiker, ein Meister des Kontrapunkts und ein leidenschaftlicher Sammler, der die ganze musikalische Wissenschaft der Zeit in seiner Bibliothek von siebzehnhundert Bänden vereinigt hatte. Er ließ alle, die sich an ihn wandten, großmütig daran teilhaben, denn er war voll Güte; seine Seele war so klar und heiter, wie man es bei alten italienischen Künstlern findet. Auch wurde er sehr geliebt, und beständig wurde an seine Talente appelliert, indem man ihm schrieb oder ihn in Bologna aufsuchte. Burney spricht mit großer Zuneigung von ihm:

»Es ist sehr zu bedauern, daß er schon so alt und so schwach ist, indem er einen sehr schlimmen Husten, geschwollene Beine hat, und überhaupt kränklich aussieht ... Es ist unmöglich, wenn man sein Buch liest, ein Urtheil von dem Charakter dieses guten braven Mannes zu fällen; ... Er verbindet mit einem unsträflichen Leben und edler Einfalt der Sitten, eine natürliche Gefälligkeit, Sanftmut und Menschenliebe, (welche nicht nur Verehrung, sondern auch Liebe einflößte). Nie habe ich, nach so kurzem Umgange, einen Mann mehr lieb gewonnen. Ich fühlte nach Verlauf weniger Stunden so wenig Zurückhaltung bey ihm, als bey einem alten Freunde oder geliebten Bruder.«

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Martini, Giambattista

Bologna besaß auch die wichtigste Musikakademie Italiens, die Philharmonische Gesellschaft, 1666 begründet, in die zugelassen zu werden der Stolz italienischer und auswärtiger Meister war. Der kleine Mozart wurde dort nach einer Prüfung aufgenommen, doch die Legende verschweigt, daß ihm der gute Padre Martini heimlich zu Hilfe kam. Ebenso geschah es bei Grétry, der dies in seinen Memoiren nicht verbirgt. Die Philharmonische Gesellschaft behandelte theoretische und wissenschaftliche musikalische Fragen und gab jedes Jahr ein Fest, bei dem neue Werke bolognesischer Meister zur Aufführung kamen. Dieses Fest, das einen feierlich-ernsten Charakter trug, fand in der Kirche von San Giovanni in Monte statt, wo sich damals Raffaels Heilige Cäcilie befand. Orchester und Chöre zählten gegen hundert Musiker; jeder Komponist dirigierte sein Werk. Alle Musikkritiker Italiens wohnten dieser Probe bei, welche über den Ruhm in bezug auf Kirchen- und Instrumentalmusik entschied. Burney traf auf einem dieser Feste mit Leopold Mozart und seinem Sohn zusammen, »dem kleinen Deutschen, dessen frühzeitige und stets übernatürliche Talente uns vor einigen Jahren zu London in Erstaunen setzten, als er kaum über seine Kinderjahre hinaus war«. Man habe ihm berichtet, fügt er später hinzu, »daß dieser junge Mann, der durch seine Wissenschaft in der Musik und Kunst im Spielen als Kind ganz Europa in Verwunderung setzte, noch immer ein großer Meister auf seinem Instrument ist«. An einer andern Stelle sagt Burney – der erste Satz bezieht sich auf Mozarts Schwester Maria Anna: »Allein sie ist itzt schon auf ihrer höchsten Spitze, und das ist kein Wunder und ... wenn ich nach der Musik, die ich von seiner Komposition im Orchester hörte, urtheilen darf, so ist er ein Beweiss mehr, dass frühzeitige Früchte mehr ungewöhnlich als vortrefflich sind.«

Rom endlich übte eine Diktatur über die ganze italienische Musik aus.

Rom hatte die Spezialität seiner religiösen Musik und seiner Sixtinischen Kapelle; diese befand sich übrigens bereits im Niedergang infolge der Konkurrenz, welche die Theater ihr machten, die durch hohe Gagen die besten Künstler anzogen »Itzt werden Sänger von außerordentlichen Verdiensten nur wenig bemerkt und aufgemuntert, so daß die Musik hier, wie es scheint, sehr abnimmt und zu verfallen anfängt ... Allmählich werden sowohl die Auszierungen und die feine Ausführung der alten Musik, als auch die elegante Simplicität, weswegen diese Kapelle so berühmt ist, ganz verloren gehen.« (Burney.) – Schon hatte ein Freund Burneys, der zwanzig Jahre in Rom verbracht hatte, diesem mitgeteilt, daß die päpstliche Kapelle nicht mehr die Vortrefflichkeit von früher besäße. Früher waren die Musiker im päpstlichen Dienst die bestbezahlten. Jetzt »ist das der Fall nicht mehr ... Die Lebensart ist kostbarer; das Geld von geringerem Werthe ... Man ergreift, um zu leben, noch ein anderes Geschäfte neben dem Singen, und die Kirchenmusik geräth also in Verfall, und wird immer schlechter, indem die theatralische durch die vermehrten Belohnungen täglich mehr und mehr emporkommt.«. Rom hatte seine großen Sammlungen alter Musik. Rom hatte ferner sieben oder acht berühmte Theater, darunter die Argentina und das Aliberti für die Opera seria und das Capranica für die Opera buffa.

Rom hatte vor allem durch die Anziehungskraft, die seine Erinnerungen und sein ewiger Reiz von je auf erlesene Geister ausgeübt haben, eine Gesellschaft von seltener musikalischer Kompetenz, ein wirklich überlegenes Publikum, das seinen Wert vielleicht allzugenau kannte und gegen dessen Urteile es keine Berufung gab.

»Es gibt in Rom«, schreibt Grétry, »eine Anzahl von Musikliebhabern, von alten Abbés, die durch ihre weise Kritik den jungen Musiker davor zurückhalten, sich über die vernünftigen Grenzen seiner Kunst hinreißen zu lassen. Man sagt auch, wenn ein Komponist in Neapel, Venedig oder selbst in Bologna Erfolg gehabt hat: ›Erst muß man ihn in Rom hören!‹«

Die Vorstellungen neuer Opern in Rom waren für ihre Autoren die schwerste Prüfung; man urteilte, als wäre man die letzte Instanz, und die Richter brachten die Leidenschaftlichkeit ihres italienischen Temperaments mit. Vom Beginn des Abends an tobte der Kampf. Wurde die Musik verdammt, so verstand man, einen Unterschied zwischen dem Komponisten und den Sängern zu machen; man pfiff den Maestro aus und zollte den Künstlern Beifall. Oder es waren die Sänger, die man auspfiff, und man trug den Komponisten im Triumph auf die Bühne.

»Die Römer«, sagte Grétry, »haben die Gewohnheit, während eines Stückes, wo das Orchester die Hauptrolle spielt, zu schreien: Brava la viola, brava il fagotta, brava l'oboè! Wenn ihnen ein poetischer und melodischer Gesang gefällt, so wenden sie sich an den Autor, oder sie seufzen und weinen; sie haben aber auch die infernale Gewohnheit, abwechselnd: Bravo Sacchini, bravo Cimarosa, bravo Paesiello bei den Vorstellungen eines anderen Autors zu schreien, eine geziemende Strafe für Plagiatoren.«

Aus der Lebensgeschichte des armen Pergolesi, der, wie man sagt, bei der Erstaufführung seines »Olimpiade« unter lautem Geschrei eine Orange mitten ins Gesicht geworfen bekam, wissen wir, mit welcher Brutalität sich mitunter dieses öffentliche Urteil vollzog. Gerade diese Tatsache zeigt aber, daß das römische Publikum keineswegs unfehlbar war. Es erhob nur Anspruch, es zu sein. Seinen Traditionen treu, maßte es sich über die Musik eine Herrschaft an:

Tu regere imperio populos, Romane, memento ...

Niemand wunderte sich darüber; man gestand ihm dieses Recht zu: »Rom, die Hauptstadt der Welt«, schrieb 1770 in einem seiner Briefe »Amadeo« Mozart.

Dieses war, in seinen Hauptlinien, das Gebäude der italienischen Musik im 18. Jahrhundert. Man sieht ihren Reichtum und ihr Leben. Die größte Gefahr für diese Kunst – und die, der sie unterlag – war gerade ihr Übermaß. Sie hatte nicht Zeit, sich zu sammeln, über ihre Vergangenheit nachzudenken. Sie wurde verzehrt von ihrer Wut nach Neuem.« Ich spreche vom Publikum. Der Kult der Vergangenheit erhielt sich bei wenigen Auserwählten. Außer dem Padre Martini mit seinen siebzehntausend Bänden fehlte es Italien auch an andern Sammlern nicht, wie z. B. Professor Campioni in Florenz, der die Madrigale des 16. und 17. Jahrhunderts sammelte; der Sänger Mazzanti in Rom, der alles auf Palestrina Bezügliche zusammenbrachte; der Abbé Orsini und der Päpstliche Kapellmeister Santarelli in Rom, die alle auf alte Opern und Oratorien bezüglichen Dokumente sammelten. (Burney.) Der alte Stil wird auch teilweise in der Kirche festgehalten. Burney schreibt in Mailand, Brescia, Vicenza, Florenz usw. öfters, daß die Musik im »alten Stil voller Fugen« war.
Sicherlich aber führte man in italienischen Kirchen viel weltliche Musik auf, wie jene, von der der Chevalier Goudar in einer unterhaltenden Erzählung schreibt (»L'espion chinois«, 1765):
»Ich ging kürzlich in Bologna zu dem, was man dort eine große musikalische Messe nennt. Als ich in die Kirche trat, glaube ich zuerst, ich wäre in der Oper. Entrées, Symphonien, Menuette, Rigaudons, Arien für eine Stimme, Duette, Chöre, Begleitung von Trommeln, Trompeten, Pauken, Jagdhörnern, Oboen, Geigen, Querpfeifen, Flageolotts, mit einem Wort, alles, was zum Theater gehört, fand sich hier vereinigt. Es war ein Meisterwerk an Pietätlosigkeit. Wenn der Komponist eine Messe für die Göttin der Wollust hätte schreiben wollen, hätte er nicht zärtlichere Klänge und sinnlichere Modulationen verwenden können.«
Aber Burney versichert, daß man nur an Festtagen diese Art moderner Musik in der Kirche hören konnte. An gewöhnlichen Tagen herrschte in den Kathedralen der alte, feierliche Stil; in den Gemeindekirchen gab es nur einfachen Gesang, zuweilen mit, aber meistens ohne Orgel.
Trotz alledem konnte in einem Lande und in einer Zeit, die so wenig religiös war wie das Italien des 18. Jahrhunderts, die Kirchenmusik kein genügendes Gegengewicht für die weltliche Musik darstellen, die von dem Fieber nach Neuem beherrscht wurde.

»Sie erwähnen Carissimi«, schreibt der Präsident de Brosses. »Um Himmels willen! Hüten Sie sich, hier von ihm zu sprechen, sonst wird man Sie für einen alten Zopf ansehen; es ist schon lange her, daß sogar seine Nachfolger aus der Mode gekommen sind!«

Der gleiche merkte mit Erstaunen, als er in Neapel voll Entzücken einen berühmten Sänger, den Senesino hörte, »daß die Leute dort nicht zufrieden waren. Sie beklagten sich, daß er in einem ›stile antico‹ sänge. Man muß hierzu sagen, daß der musikalische Geschmack hier alle zehn Jahre wechselt.«

Burney erklärt das noch entschiedener:

»In Italien behandelt man eine schon gehörte Oper wie den Kalender vom vergangenen Jahr ... Es ist eine Gier nach Neuheiten; aber eben die Neuheitssucht, welche in der italiänischen Musik solche plötzliche Veränderungen hervorgebracht hat, bringt manchmal sonderbare Concetti zur Welt. Sie bringt die Komponisten dazu, Neues um jeden Preis zu suchen. Die Einfachheit der alten Meister gefällt dem Publikum nicht mehr. Sie schmeckt dem müden Gaumen dieser verwöhnten Kinder nicht, die ihr Vergnügen nur noch in der Überraschung suchen.« Burney spricht hier hauptsächlich von den Neapolitanern.

Diese Unbeständigkeit des Geschmacks, dieses beständige Schwanken war schuld, daß man fast keine Musik mehr in Italien druckte.

»Die musikalischen Kompositionen sind in Italien so kurzlebig, und die Wuth nach Neuigkeiten ist so arg, daß es in Betracht der wenigen Exemplare, die gefordert werden, der Mühe nicht werth ist, die Kosten auf den Stich und Kupferdruck zu verwenden ... Überhaupt ist nichts einem Musikladen ähnliches, so viel ich habe entdecken können, in ganz Italien zu finden.« Burney, Venedig.

Burney sieht inmitten dieses künstlerischen Glanzes, der ihm lieb ist, das baldige und völlige Verschwinden italienischer Musik voraus. Er glaubt, daß die große Kraft, die ihr innewohnt, sich verwandeln, daß sie andere Künstler erschaffen wird:

»Die Sprache und das Genie der Nation sind so reich, daß eben die Sucht nach Neuigkeiten, welche sie mit solcher Schnelligkeit von einer Schreibart in der Komposition zu der andern fortgejagt hat, wobey sie oft vom Guten zum Schlimmen übergiengen, sie antreiben wird, theatralische Schauspiele ohne Musik zu suchen, sobald sie der Musik herzlich überdrüssig werden, welches wegen des Übermaßes darin vermuthlich bald geschehen wird.« Burney, Bologna.

Burneys Voraussage ist nur teilweise wahr geworden. Italien hat seither nicht ohne Erfolg versucht, sich »ein Theater ohne Musik« zu schaffen. Es hat hauptsächlich seine Kräfte außerhalb des Theaters und der Musik verausgabt, in politischen Kämpfen, in der bewunderungswürdigen Epoche seines Risorgimento, wo sich alles, was in dieser Nation groß und großmütig war, mit Begeisterung hingab und oft zum Opfer brachte. Aber Burney hat dennoch das innere Gesetz dieser italienischen Musik richtig erkannt, das Prinzip ihres Lebens, ihrer Größe und ihres Todes: Das Italien des 18. Jahrhunderts lebt ganz im Moment, ohne Vergangenheit und ohne Zukunft. Reserven hat es nicht. Es verbrennt in seinem eignen Feuer.

Welcher Unterschied zwischen diesem sich verschwendenden Italien und der weisen Ökonomie Frankreichs und Deutschlands zu der gleichen Zeit – dieses häufte in aller Stille seine Speicher voll mit Wissenschaft, mit Poesie, mit künstlerischem Genie, jenes legte langsam, geduldig, sorgfältig seinen musikalischen Besitz zusammen, wie der französische Bauer, der seine Taler in dem berühmten Wollstrumpf sammelt! Auch sollten sie jung, kraftvoll und wie neu dastehen, als Italien durch seine wilde Kraftausgabe erschöpft am Boden lag!

Wer will, mag es darum tadeln! Wenn auch die Tugenden häuslicher Sparsamkeit aller Achtung wert sind, stehen meine Sympathien auf der Seite der Kunst, die sich hingibt, ohne zu rechnen. Es ist der Reiz der italienischen Musik des 18. Jahrhunderts, daß sie sich mit vollen Händen verausgabt, ohne Sorge für die Zukunft. Wenn auch die Schönheit nicht verweilte, sie war doch so schön! Von dem flüchtigen Schimmer entschwundener Jahrhunderte voll Schönheit bleibt in den Herzen für immer Freude und Licht. s

2. Deutschland

Obwohl Deutschland seit anderthalb Jahrhunderten große Musiker besaß, war es 1750 noch sehr weit davon entfernt, im musikalischen Urteil Europas den Platz einzunehmen, den es heute hat. Es war in Wahrheit nicht mehr die Zeit, wo ein römischer Chronist von den Zöglingen des germanischen Seminars in Rom sagen konnte:

»Wenn sich diese Zöglinge zufällig in der Lage befänden, öffentliche Musik zu machen, so wäre es eine teutonische Musik, die nur Lachen und Heiterkeit des Auditoriums erregen würde.« Chronik des Pater Castorio (1630), zitiert von Henri Quittard in seiner Vorrede zu den Sacri concerti von Carissimi, veröffentlicht von der Schola cantorum.

Selbst jene Zeit war vorbei, wenn auch noch nicht sehr fern, in der Lecerf de la Viéville von den Deutschen nachlässig sagte, »daß ihr Ruf in der Musik nicht sehr groß sei« Lecerf de la Viéville: »Comparaison de la musique française et de la musique italienne« (1705)., und der Abbé de Châteauneuf einen deutschen Hackbrettvirtuosen um so mehr beglückwünschte, als er »aus einem Lande kam, das so wenig geeignet ist, Männer von Feuer und Genie hervorzubringen« Abbé Châteauneuf: »Dialogue sur la musique des anciens« (1705).

Im Jahre 1750 hatte Deutschland Händel und Sebastian Bach gehabt. Es hatte noch immer Gluck und Philipp Emanuel Bach. Dennoch mußte es das erdrückende Joch Italiens ertragen. Obwohl ein Teil seiner Musiker sich seiner Kraft bewußt wurde und gegen den Stachel löckte, waren sie nicht einig genug, um sich zu befreien. Zu groß waren die verführerischen Gaben ihrer Rivalen, zu vollkommen war die Kunst der Italiener, wie leer sie gedanklich auch sein mochte. Neben ihr traten die linkische Art, die Schwere, die Geschmacksfehler doppelt hervor, die den deutschen Meistern nicht fehlen und heute noch von den Arbeiten der Künstler zweiten Ranges abschrecken.

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Bach, Carl Philipp Emanuel Nach einem Stich von A. Stöttrup

Obwohl der englische Reisende Burney in seinen Aufzeichnungen über Deutschland Charles Burney: »The present State of music in Germany, the Netherlands and United Provinces«. Französische Übersetzung zur gleichen Zeit (1773). der germanischen Kunst schließlich eine sehr schöne Huldigung darbringt, ist er überall von einer gewissen Roheit des Vortrags abgestoßen; er knirscht mit den Zähnen beim Anhören der schlecht gestimmten Instrumente, der falschspielenden Orgeln, der schreienden Stimmen.

»Man findet bei den deutschen Straßenmusikanten«, sagt er, »niemals jenes feine Ohr, das ich bei derselben Menschenklasse in Italien angetroffen habe.« Burney, Wien.

In Leipzig haben die Sänger »gerade den kreischenden Hauch, wenn sie die hohen Noten angeben, und stoßen ihn mit der vollen Stärke heraus, anstatt ihn mit einer Messa di voce oder Schweller aufzunehmen«.

Von den Berliner Kapellen, »welche wenig Aufmerksamkeit auf die Piano's und Forte's verwenden, und wo jeder Spieler auf nichts so sehr zu sinnen scheint, als seinen Nachbarn im Lautspielen zu übertreffen«, sagt er: »Die Hauptübung des Berliner Musikers ist die, gehört zu werden ...« Keine Abstufungen ... Keine Rücksicht »auf den Grad der Stärke, dessen die Instrumente, wofür sie gemacht worden, fähig sind. Der Ton kann nur bis zu einem gewissen Grade verstärkt werden, übersteigt er den, so wird er Geräusch.«

In Salzburg wird der stark besetzten Kapelle des Fürsterzbischofs »der Vorwurf gemacht, daß ihre Execution mehr rauh und rauschend, als delikat und in bestem Geschmacke wäre«. Mozart spricht mit Ekel davon: »Das ist auch eins von den Hauptsachen, was mir Salzburg verhaßt macht – die grobe, lumpenhafte und liederliche Hof Musique – es kann ja ein honetter Mann ... nicht mit ihnen leben!« Brief Mozarts an seinen Vater vom 9. Juli 1778. – Der beste Musiker Salzburgs, ein fast genialer Mann, Michael Haydn, spielte zuweilen Orgel, wenn er völlig betrunken war

Selbst in Mannheim, das das vollkommenste Orchester in Deutschland besitzt, spielen die Blasinstrumente, Oboe und Fagott, falsch.

Was die Orgel anlangt, so war es eine Qual, sie in Deutschland zu hören. In Berlin sind »die Orgeln groß, rauh von Ton und mit rauschenden Stimmen überladen«. In der Wiener Stefanskirche »sind die Orgeln sehr verstimmt«. Selbst in der geheiligten Stadt der Orgel, der Stadt des großen Johann Sebastian Bach, in Leipzig, gibt es zwar in einigen Kirchen gute Orgeln, »gute Orgelspieler aber fand ich in keiner«.

Ja, es scheint, daß mit Ausnahme einiger Höfe – »wo die Künste«, schreibt Burney, »die fürstliche Macht weniger unerträglich machten und es vielleicht ebenso nötig war, die Gedanken der Menschen wie ihren Thatendrang abzulenken« – die Freude an der Musik in Deutschland nicht halb so feurig und so allgemein war wie in Italien.

Während der ersten Reisewochen ist Burney enttäuscht:

»Auf meiner Reise längst dem Ufer des Rheins, Burney kam kurz nach der Geburt Beethovens durch Bonn. von Cölln nach Coblenz, wunderte ich mich, ich gesteh' es, daß mich meine Erwartung betrog, und ich keine Beweise von dem starken Hange zur Musik fand, den man den Deutschen, besonders in diesem Striche, zuschreibt; denn selbst zu Coblenz, ob es gleich ein Sonntag war, als ich daselbst ankam, und die Gassen und die Nachbarschaft voller Menschen waren, welche spatzieren gingen, hörte ich keine einzige Stimme, oder ein einziges Instrument, wie sonst in andern römisch-catholischen Ländern zu geschehen pflegt.«

Hamburg, einst berühmt durch seine Oper, die erste und ruhmreichste Deutschlands, ist ein musikalisches Böotien geworden. Philipp Emanuel Bach fühlt sich hier wie verloren. Als Burney ihn besucht, sagt er ihm: »Fünfzig Jahre früher, da hätten Sie kommen sollen!«

Und in spöttischem Tone, hinter dem sich ein wenig Bitterkeit und Beschämung verbergen, fügt er hinzu:

»Wenn auch die Hamburger nicht alle so große Kenner und Liebhaber der Musik sind, als Sie und ich es wünschen möchten: so sind dagegen die meisten sehr gutherzige und umgängliche Personen, mit denen man ein angenehmes und vergnügtes Leben führen kann; und ich bin mit meiner gegenwärtigen Situation sehr zufrieden: freylich möchte ich mich zuweilen ein wenig schämen, wenn ein Mann von Geschmack und Einsicht zu uns kommt, der eine bessre musikalische Bewirthung verdient, als womit wir ihm aufwarten können.«

Burney kommt schließlich zu der Anschauung, daß die Deutschen ihre musikalischen Kenntnisse nicht der Natur, sondern dem Studium verdanken. Burney, Dresden.
Man beachte die Roheit öffentlicher Schauspiele zu jener Zeit in Deutschland, selbst in Wien, wo Burney barbarische Vergnügungsprogramme wie das folgende aufzeichnet:
»1. Wird ein wilder ungarischer Ochs, in vollem Feuer (das ist mit Feuer unterm Zügel und mit Schwärmern an den Ohren, Hörnern und andern Theilen des Leibes) mit Hunden gehetzet werden. – 2. Wird ein wilder Bär auf eben diese Art gehetzet werden. – 3. Wird gleich darauf ein großer Bär von Hunden zerrissen werden. – 4. Werden die schnellesten Hunde einen Wolf jagen. 5. Wird man starke und hungrige Hunde auf einen sehr wilden und wüthenden ungarischen Ochsen hetzen. – 6. Ein frischer Bär wird vor die Hunde gelassen werden. – 7. Wird ein eben gefangener starker wilder Bär erscheinen, und zum Erstenmale von Hunden gehetzet werden, die mit eisernen Waffen versehen sind. – 8. Ein sehr schöner afrikanischer Tyger ... 11. Und zum Beschluß soll ein wüthender hungriger Bär, der seit acht Tagen keine Ätzung bekommen hat, einen jungen wilden Ochsen anfallen, und auf der Stelle lebendig fressen; und wenn er nicht ganz damit fertig werden könnte, so stehet ein Wolf bereit, der ihm zu Hülfe kommen soll.«
Zwei- bis dreitausend Personen, darunter Damen der Gesellschaft, wohnten diesen Kämpfen bei, die häufig in einem Amphitheater in Wien stattfanden. Solcherart waren die Vorführungen, welche die Augen der Hörer Haydns und Mozarts entzückten!

Nach und nach sollte er seine Überzeugung ändern, als er die versteckten Reichtümer, das gewaltige Leben der deutschen Kunst erkannte. Er begann die Überlegenheit deutscher Instrumentalmusik zu fühlen. Er fand sogar Freude an dem deutschen Lied, das er am Ende jedem andern, mit Ausnahme des italienischen, vorzog. Aber seine ersten Eindrücke lassen es begreiflich erscheinen, daß die Elite, die Fürsten und Musikliebhaber Deutschlands, den Italienern vor ihren Landsleuten den Vorzug gaben, und zwar mit einer Übertreibung, die sogar der Italien liebende Burney erkennt.

Die italienische Musik hatte im Herzen Deutschlands mehrere Heimstätten, im 17. Jahrhundert München, Dresden und Wien. Die größten italienischen Meister, Cavalli, Cesti, Draghi, Bontempi, Bernabei, Torri, Pallavicino, Caldara, Porpora, Vivaldi, Torrelli, Veracim, hatten dort gelebt und geherrscht. Namentlich Dresden erlebte eine Glanzzeit italienischer Kunstpflege in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, zur Zeit, wo Lotti, Porpora und Hasse, der italienischeste Deutsche, dort die Oper leiteten.

Aber 1760 wurde Dresden rücksichtslos verwüstet; Friedrich II. gab sich Mühe, seine Pracht für immer zu vernichten. Er ließ während der Belagerung durch seine Artillerie methodisch alle Denkmäler, Kirchen, Statuen, Paläste und Gärten zerstören. Als Burney durch die Stadt kam, war sie eine Trümmerstätte. Sachsen war ruiniert und spielte auf lange hinaus keine Rolle mehr in der Musikgeschichte. »Voritzt bleibt dies Theater aus ökonomischen Gründen verschlossen.« Die in ganz Europa berühmte Instrumentistengruppe war in fremde Städte zerstreut. »Die Not war allgemein. Die Künstler, die nicht entlassen worden waren, wurden kaum bezahlt. Der größte Teil des Adels und der Bürgerschaft war so arm, daß er seinen Kindern keinen Musikunterricht erteilen lassen konnte ... Außer einer miserablen komischen Oper gab es in Dresden kein anderes Schauspiel als das Elend.« Burney fügt hinzu, daß man kein Schiff auf der Elbe sah, daß die Pferde keinen Hafer und die Soldaten keinen Haarpuder bekamen. Der gleiche Ruin in Leipzig.

Die Hochburgen des Italienertums in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts waren Wien, München und die Städte am Rheinufer.

Zur Zeit der Durchreise Burneys war in Bonn die Truppe des Kurfürsten von Köln fast ganz aus Italienern gebildet, unter der Leitung des Kapellmeisters Lucchesi, eines in Toskana sehr bekannten Komponisten.

In Koblenz, wo man häufig italienische Opern spielte, war der Kapellmeister Sales aus Brescia.

Darmstadt hatte seinerzeit die Ehre genossen, der Aufenthalt des Hofgeigers Vivaldi zu sein.

Mannheim und Schwetzingen, die Sommerresidenz des Pfalzgrafen, hatten italienische Operntheater. Das Mannheimer faßte fünftausend Personen: die Bühnenausstattung war prunkvoll, die Figuranten zahlreicher als an den Opern von Paris und London. Fast alle Darsteller waren Italiener. Von den beiden Kapellmeistern war der eine, Toeschi, Italiener, der andere, Christian Cannabich, war auf Kosten des Kurfürsten nach Italien geschickt worden, um unter Jommelli zu studieren.

In Stuttgart und in Ludwigsburg, wo der Herzog von Württemberg wegen seiner übertriebenen Vorliebe für die Musik mit seinen Untertanen in Fehde lebte Die Württemberger hatten den Reichstag gegen die Verschwendung ihres Souveräns angerufen. Sie beschuldigten ihn, das Land durch die Musik zu ruinieren. Man verglich seinen Musikwahnsinn mit dem Neros. In seiner Versessenheit auf alles Italienische ließ sich der Herzog durch zwei Stuttgarter Chirurgen Kastraten herstellen. – Burney spricht mit verächtlichem Mitleid von diesem Fürsten, dessen Untertanen sich zur Hälfte aus Theatermusikern, Geigern und Soldaten zusammensetzen und zur andern aus Bettlern und Lumpen., blieb Jommelli fünfzehn Jahre als Kapellmeister und Direktor der italienischen Oper Ein anderer Italiener, Borconi, folgte ihm.. Das Theater war riesig, man konnte, indem man es rückwärts nach Belieben öffnete, eine große freie Arena daraus machen, »welche zuweilen mit Leuten angefüllt wird, um Wirkungen in der Perspektive zu thun«. Alle Sänger der Opera buffa waren Italiener. Auch das Orchester zählte viele solche, namentlich die berühmten Violinspieler Nardini, Baglioni, Lolli, Ferrari. »Ich sehe die ganze Sache als ein Werk des h: Jommelli an«, schreibt Leopold Mozart, »der sich alle Mühe gibt, die Teutschen an diesem Hofe auszurotten, und nichts als Italiäner einzuführen. Es hat ihm auch schon fast gelungen, und wird ihm auch gänzlich gelingen, da er nebst 4000 f. jährlichen Gehalt, Portion für 4 Pferde, holz und licht, einem Hause in Stutgard und einem Hause in Ludwigsburg noch die gnade des Herzogs im ersten Grade besitzet ... Wie sehr aber Jommelli für seine Nation eingenohmen ist können sie daraus schlüßen, weil er und andere seine Landsleute, deren sein Haus immer voll ist, um ihm aufzuwarten, sich vernehmen ließen, daß es zu verwundern und kaum glaub: seye, daß ein Kind teutscher Geburt Der kleine Mozart. so ein Musik: genie und so viel geist und teuer haben könne!« 11. Juli 1763. Brief Leopold Mozarts an Hagenauer in Salzburg, veröffentlicht von Nissen, zitiert von Theod. v. Wyzewa.

Augsburg, das seine Verbindungen mit Venedig und Oberitalien niemals ganz abgebrochen hatte, Augsburg, wo der italienische Geschmack in die Architektur und die bildenden Künste eingedrungen war, die Heimat Hans Burgkmairs und der Holbeins, war auch die Wiege des Hauses Mozart. Allerdings hatte sich Leopold Mozart in Salzburg niedergelassen, aber 1763 machte er mit seinem kleinen siebenjährigen Jungen eine Reise nach Augsburg; Theodor von Wyzewa hat gezeigt, daß es höchstwahrscheinlich dort war, wo Mozart anfing, »die große und freie Schönheit Italiens kennenzulernen«. Ein Herausgeber musikalischer Werke, J. J. Lotti, ließ damals in Augsburg viele italienische Werke erscheinen; Wyzewa bemerkt, daß eins davon, die »Dreißig Arien für Orgel und Klavier« von Gius. Antonio Paganelli, sehr viel Ähnlichkeit mit der ersten Sonate hat, die Mozart einige Wochen nach seinem Augsburger Aufenthalt am 14. Oktober 1763 in Brüssel niederschrieb. (T. v. Wyzewa: »Die ersten Reisen Mozarts«. Revue des Deux Mondes. 1. November 1904.)

München war eine fast italienische Stadt mit italienischen komischen Opern, italienischen Konzerten, hochberühmten italienischen Virtuosen und Sängern. Die Schwester des Kurfürsten von Bayern, die Kurfürstin-Mutter von Sachsen, war eine Schülerin Porporas und hatte italienische Opernmusik und Texte verfaßt. Der Kurfürst war selbst ein vortrefflicher Virtuose und ein ziemlich begabter Komponist.

Kaum in Österreich angelangt, bemerkte Burney die »verfälschte, verderbte und italiänisirte Melodie, die man in den Hauptstädten dieses weitläufigen Reiches zu hören bekömmt.«

Salzburg, dessen Leben in musikalischer Hinsicht Theodor von Wyzewa in den reizenden Schilderungen der »Jugend Mozarts« beschreibt, war halb italienisch, in der Musik sowohl als auch in der Architektur. Um 1700 war ein ziemlich unerfreulicher Verfasser komischer Opern, Fischietti aus Neapel, dort Kapellmeister.

Aber die deutsche Metropole des italienischen Stils war Wien. Hier thronte der König der Oper, die menschgewordene Oper: Metastasio. Als Verfasser einer unübersehbaren Reihe von Operndichtungen, von denen jede nicht einmal, nein, zwei-, drei-, zehnmal in Musik gesetzt wurde, und zwar von den berühmtesten Komponisten des Jahrhunderts, wurde Metastasio als einzigartiges Genie angesehen. »Er hat«, sagt Burney, »allen Pathos und alles das Korrekte eines Racine, und dabey mehr Eigenthümliches.« Er war für die musikalische Bühne die erste Autorität der Welt. »Dieser große Dichter«, sagt Burney ferner, »dessen Schriften vielleicht mehr zur Verfeinerung der Vokalmusik, und also der Musik überhaupt beygetragen haben, als die vereinten Kräfte aller großen Komponisten in Europa«, ließ durchblicken, daß er den Musikern nicht selten das Motiv oder den Inhalt ihrer Arien gab, und er beanspruchte ihnen gegenüber den Rang eines Protektors. Nichts zeigt die Italienisierung Deutschlands mehr als diese Tatsache: der glänzendste Vertreter der italienischen Oper wählt als seinen Wohnsitz nicht Rom oder Venedig, sondern Wien, wo er seinen Hof hatte. Als gekrönter Dichter des Kaisers war er nicht so gnädig, die Sprache des Landes zu erlernen, in dem er lebte; er kannte nur zwei oder drei Worte, gerade so viel, um, wie er sagte, »sich am Leben zu erhalten«, d. h. um von seiner Dienerschaft verstanden zu werden. Er verbarg Deutschland, das ihn umschmeichelte, nicht seine Verachtung.

Seine rechte Hand in Wien, der Übersetzer seines Gedankens in die Musik, war der Komponis: Hasse Johann Adolf Hasse wurde in Bergedorf bei Hamburg 1699 geboren und starb 1782 in Venedig. Er war der größte Meister der Oper in Dresden, die er reorganisierte und von 1731-1763 leitete. Er schrieb mehr als hundert Opern., der italienischeste unter den deutschen Komponisten. Von Italien adoptiert, von ihm als der Sassone (der Sachse) bezeichnet, ein Schüler von Scarlatti und Porpora, war Hasse in eine Art von italienischen Chauvinismus verfallen, der den der Italiener überbot. Er wollte von anderer Musik nichts hören, und er erschlug beinahe den Präsidenten de Brosses, als ihm dieser in Rom die Überlegenheit des Franzosen Lalande in der Kirchenmusik rühmte.

»Ich sah«, schreibt der Präsident de Brosses, »den braven Mann fast ersticken vor Zorn über Lalande und seine Gönner. Sein Gesicht fing an, mir chromatisch vorzukommen, und wenn Faustina Hasse hatte die berühmteste italienische Sängerin ihrer Zeit, die Faustina (Bordoni), geheiratet., seine Frau, nicht dazwischengetreten wäre, hätte er mich an einer Sechzehntelnote aufgespießt und mich mit sämtlichen Kreuzen niedergestreckt!«

Man kann wohl sagen, daß der Deutsche Hasse gegen die Mitte des Jahrhunderts der beliebteste italienische Komponist der Opera seria in Deutschland, in England und sogar in Italien war. Er hatte alle Opernlibretti Metastasios mit Ausnahme eines einzigen in Musik gesetzt, einige sogar drei- oder viermal, alle mindestens zweimal. Und obwohl man gewiß nicht sagen konnte, daß Metastasio langsam arbeite Metastasio rühmte sich, sein bestes Drama »Hypermnestra« in neun Tagen geschrieben zu haben. »Achilles in Scyros« wurde in achtzehn Tagen gedichtet, komponiert, einstudiert und aufgeführt., fand Hasse, daß jener nicht schnell genug schreibe; um seine Zeit hinzubringen, hatte er auch die Musik zu verschiedenen Texten von Apostolo Zeno geschrieben. Die Zahl seiner Werke war so groß, daß er eingestand, es wäre möglich, daß er »manche davon nicht mehr kennen würde, wenn sie ihm wieder zu Gesicht oder zu Ohren kommen sollten«. Er hatte mehr Vergnügen »in der Zeugung als in der Erziehung seiner Abkömmlinge« und verglich sich »mit den fruchtbarsten Thieren, deren Junge entweder gleich in der Kindheit wieder umkämen, oder dem Zufalle überlassen wurden«. Burney gibt ein schönes Bild dieses großen Komponisten, dessen Ruhm im 18. Jahrhundert den Johann Sebastian Bachs weit überstrahlte. Er wurde überall als der Komponist angesehen, »der von allen itztlebenden Komponisten der natürlichste, eleganteste und einsichtsvolleste sey, und dabei am meisten geschrieben habe. Er ist lang von Person und fast ein wenig dick von Körper, man siehts ihm aber noch an, daß er in seiner Jugend von dauerhafter Gesundheit und angenehmer Figur gewesen seyn muß. Aus seinen Blicken und Betragen leuchtet viel Edelmuth und gutes Herz hervor. Die Zeit scheint gegen ihn nicht so schonend gewesen zu seyn, als gegen die Faustina. Er war ungezwungen, vernünftig und gar nicht zurückhaltend. Er sprach von keinem Menschen Böses; vielmehr ließ er den Geschicklichkeiten verschiedener Komponisten Gerechtigkeit widerfahren.« Er bewunderte Philipp Emanuel Bach, sprach beständig mit vieler Ehrerbietung von Händel, »sagte aber, daß er dafür hielte, er habe zu sehr nach dem Ruhme gestrebt, daß er seine Partituren vollstimmig und seine Subjekte künstlich ausarbeitete, dabey habe (er) zu sehr das Geräusch geliebt; und Faustina setzte hinzu, daß seine Cantilena oft unbiegsam gewesen sey. Er versicherte auch, nach seinen Begriffen wäre Keiser einer der größesten Tonkünstler gewesen, die jemals auf der Welt gelebt. Er war der Meinung, es wäre der alte Scarlatti, den (man) le plus grand Harmoniste d'Italie, c'est à dire du monde hätte nennen sollen, und nicht Durante, welcher nicht allein trocken, sondern auch baroque gewesen.« Als Burney Hasse kennenlernte, waren alle seine Manuskripte und sein Besitz 1760 bei dem Bombardement von Dresden durch den König von Preußen verbrannt, gerade in dem Augenblick, wo der Komponist die vollständige Ausgabe seiner Werke auf Kosten des Königs von Polen stechen lassen sollte. Aber dieses Unglück hatte seine Heiterkeit nicht beeinträchtigt. »Er ist so sanft und ungezwungen in seinem Betragen, daß ich mich in dieser einzigen Viertelstunde eben so bekannt mit ihm fühlte, als ob wir schon zwanzig Jahre miteinander umgegangen wären.« Burney der »seinen Arbeiten einen großen Teil der Freude verdankt, den ihm die Musik seit seiner Kindheit gewährte«, vergleicht ihn mit Raffael und seinen Rivalen Gluck mit Michelangelo. – In Wahrheit gibt es keine schönere melodische Zeichnung als die bei Hasse – nur Mozart ist ihm darin noch vergleichbar. Daß dieser bewunderungswürdige Künstler so vergessen werden konnte, ist eine der schlimmsten Ungerechtigkeiten der Geschichte; wir wollen uns bemühen, sie eines Tages gutzumachen.

Dieser berühmte Repräsentant der italienischen Oper in Deutschland wurde allerdings zu Beginn viel umstritten. Um 1760 bildete sich in Wien gegen Metastasio und Hasse eine andere, sehr temperamentvolle Partei. Wer aber waren ihre Führer? Raniero da Calsabigi aus Livorno – wieder ein Italiener –, der Dichter des »Orpheus« und der »Alceste«, und Gluck, nicht weniger verwelscht als Hasse, der Schüler von Sammartini in Mailand und der Verfasser von etwa vierzig dramatischen Werken, der sein Leben lang darauf Anspruch machte, italienische Opern zu schreiben. Burneys Darstellung von Gluck ist eine der besten, die wir von diesem großen Manne besitzen.
Burney wurde ihm durch den außerordentlichen englischen Gesandten Lord Stormont, vorgestellt, was nicht überflüssig war, denn »Gluck ist ein eben so fürchterlicher Mann, als Händel zu seyn pflegte. Er wohnt recht gut. Madame Gluck und seine Nichte, welche er bey sich hat, kamen sowohl als der alte Komponist selbst, bis an die Thüre uns zu empfangen. Sein Gesicht ist stark von den Blattern gezeichnet, seine Figur und sein Blick sind ziemlich widrig«. Aber Burney hatte das Glück, ihn bei ungewohnt guter Laune anzutreffen. Gluck sang; und »mit so wenig Stimme als möglich, wußte er die Gesellschaft zu unterhalten ..., denn er ersetzte den Mangel an Stimme durch Reichthum des Accompagnements, durch Nachdruck und Heftigkeit in den Allegros und durch seinen treffenden Ausdruck dergestalt, daß es ein Fehler wurde, den man bald gänzlich vergaß. Er war so gut aufgeräumt, daß er seine Oper Alceste fast ganz durchging; auch verschiedne andre vortrefliche Stellen, aus einer neuern Oper von ihm, Pande ed Elena genannt, und aus einer französischen Oper, nach Racinens Iphigenie, die er eben komponiert hatte ... Er hatte sie schon in seinem Kopfe so völlig ausgearbeitet, und sein Gedächtnis ist so bewunderungswürdig, daß er sie fast von Anfang bis zu Ende eben so fertig hersang, als ob er eine rein abgeschriebene Partitur vor sich gehabt hätte ...«
Burney traf ihn bei einem Diner bei Lord Stormont wieder, wo er ihn zum Tischnachbar hatte. Gluck, den die Langeweile gesprächig machte, erzählte, daß er eben ein Faß vortrefflichen Weins vom Pfalzgrafen bekommen habe, als Dank für eine seiner komischen Opern; der Fürst sei entzückt gewesen, daß diese Musik von einem ehrlichen Deutschen stamme, der guten Wein liebe. – Er rühmte sich gern seiner Art, ein Orchester zu dirigieren, in der er ebenso gefürchtet war wie Händel. Er sagte, daß er seine Musiker nie rebellisch gefunden hätte, obgleich er sie zwang, zugunsten der Oper jede andere Beschäftigung aufzugeben und sie Stellen seiner Opern oft zwanzig- bis dreißigmal proben ließ. – Er sprach zu Burney von seinem Aufenthalt in England, der ihn gelehrt habe, »bey seinen dramatischen Kompositionen sich auf das Studium der Natur zu legen«. Er war zur Glanzzeit Händels dort gewesen; für ihn aber war kein Platz da, und das Volk war sehr gegen die Fremden eingenommen. Mit Mühe und Not führte man Glucks »Caduta dei Giganti« auf, die durchfiel. Gluck war überrascht zu sehen, daß »die planen und simplen Stellen die meiste Wirkung (auf die Hörer) thaten: so hat er sich seit der Zeit ständig beflissen, für die Singstimme in den natürlichen Tönen der menschlichen Empfindungen zu schreiben ... und es ist anmerkenswerth, daß die meisten Arien in seiner Oper Orpheus so plan und simpel sind, als die Engländischen Balladen«.
Dies waren die beiden Lager; es handelte sich hier nicht um einen Streit über die Vorherrschaft der italienischen Oper; sie wurde weder hüben noch drüben angefochten; es handelte sich nur darum, ob man in die Oper die nötigen Reformen einführen sollte oder nicht. »Die Schule von Hasse und Metastasio«, sagt Burney, »betrachtet alle Neuerungen als Schwärmerey, und hängt fest an der alten Form des musikalischen Drama, in welchem Dichter und Komponist gleich viel Aufmerksamkeit von dem Zuhörer fordern, der Poet in den Recitativen und den erzählenden Theilen, und der Musikus in den Arien, Duetten und Chören.« Die Schule von Gluck und Calsabigi »hält mehr auf theatralische Wirkungen, richtig gehaltene Charaktere, Einfalt in der Diktion und musikalischen Ausführung, als auf das, was sie blumenreiche Beschreibungen, überflüssige Gleichnisse, spruchreiche und frostige Moral auf der einen, mit langweiligen Ritornellen und gedehnten Gurgeleyen auf der andern Seite nennen«. – Hier liegt der ganze Unterschied; im Grunde handelt es sich um Fragen des Alters und nicht der Passe und des Stils. Hasse und Metastasio waren alt; sie beklagten sich, daß es keine gute Musik seit ihrer Jugendzeit mehr gäbe. Indessen hatten weder Gluck noch Calsabigi die Absicht, die italienische Musik zu entthronen und sie durch eine andere zu ersetzen. In seiner Vorrede zu »Paris und Helena«, 1770 nach der »Alceste« geschrieben, spricht Gluck nur davon, »die Mißbräuche, die sich in die italienische Oper eingeschlichen haben und sie schädigen, zu vernichten«

Zwischen diesen beiden italienischen Parteien, die sich nur durch eine einfache Nuance voneinander unterschieden, teilte sich die Wiener Gesellschaft. Die gesamte kaiserliche Familie war musikalisch. Die vier Erzherzoginnen sangen und spielten die Opern von Metastasio, die abwechselnd von Hasse und Gluck in Musik gesetzt worden waren. Die Kaiserin sang und hatte sogar auf dem Hoftheater gespielt. Salieri war eben zum Kammerkompositeur und Direktor der italienischen Oper ernannt worden; er blieb bis 1824 Hofkapellmeister, ein Hemmschuh für die deutschen Meister, für Mozart vor allen.

So blieb Wien bis zum 19 Jahrhundert ein Mittelpunkt italienischer Kunst in Deutschland. Zur Zeit Beethovens und Webers genügte der »Tankred« von Rossini, um das mühsam errichtete Gebäude deutscher Musik wieder umzustürzen. Man weiß, mit welcher ungerechten Heftigkeit Wagner von dieser Stadt gesprochen hat, die, nach seiner Meinung, dem germanischen Geist treulos war: »Wien: das sagt genug ... Nach der Ausrottung jeder Spur des deutschen Protestantismus ...« hatte es »selbst den richtigen Akzent für seine Sprache verloren, welche ihm jetzt ... nur noch in undeutscher Verwelschung vorgesprochen wurde ...« Richard Wagner: »Beethoven«, 1870.

Gegenüber Süddeutschland und der einstigen Hauptstadt des Heiligen Römischen Reiches erhebt sich schon die neue Hauptstadt des künftigen deutschen Kaiserreiches: Berlin.

»Die Musik hierzulande«, sagt Burney, »ist deutscher als in irgend einer andern Gegend des deutschen Reiches.« Friedrich II. hatte es als eine Herzenssache betrachtet, sie zu germanisieren; er gestattete keine andern Opernaufführungen in seinem Lande als die seines Lieblings Graun, des Sachsen Agricola und einige wenige von Hasse. Indessen ist es überraschend, wie schwer es dem deutschen Geist wurde, sich zu befreien: diese Opern waren italienisch; der König selbst konnte sich nicht vorstellen, daß man vernünftigerweise in einer andern Sprache singen könne.

»Eine deutsche Sängerin?« sagte er. »Ich könnte eben so leicht erwarten, daß mir das Wiehern meines Pferdes Vergnügen machen könnte!« Friedrich II. hatte überdies eine heftige Abneigung gegen religiöse Musik, ja er glaubte, wie Agricola Burney erzählte, »ein Komponist verderbe sich den Geschmack, wenn er Kirchenstücke oder Oratorios schreibe«, und habe von andern Arbeiten solcher Männer gesagt: »Das schmeckt nach der Kirche.«

Wer waren nun diese deutschen Komponisten, zu deren ausschließlichem und unduldsamem Schutzherrn er sich aufwarf, so daß Burney schreiben konnte: »Die Namen Graun und Quantz sind zu Berlin heilig, und wird mehr darauf geschworen, als auf Luther und Calvin. Unterdessen giebt es zu Berlin so gut, wie anderwärts, Spaltungen, nur sind die Ketzer genöthigt, ihre Meynungen geheim zu halten ... Denn obgleich hier in Ansehung der verschiedenen christlichen Religionsmeynungen eine völlige Toleranz herrschet, so ist doch derjenige, der nicht graunisch und quantzisch ist vor Verfolgung nicht sicher.«

Johann Joachim Quantz, Komponist, Kammermusiker und Flötenlehrer des Königs, hatte den italienischen Geschmack, »wie vor vierzig Jahren«. Wohlgemerkt: den italienischen Geschmack. Er war lange in Italien gereist. Er hatte Beziehungen zu Vivaldi, Gasparini, Alessandro Scarlatti, Lotti angeknüpft; für ihn war das goldene Zeitalter in der Musik die Zeit jener Alten. Wie Burney sagte: »Seine Meinungen waren frey und uneingeschränkt – vor länger als zwanzig Jahren!«

Es verhielt sich so ähnlich mit Graun. Carl Heinrich Graun war neben Hasse der ruhmreichste Name der deutschen Musik zur Zeit Bachs und Händels. Carl Heinrich Graun 1701 zu Wahrenbrück in Sachsen geboren, 1759 gestorben, war 1735 in die Dienste Friedrichs II. getreten. Er war der Organisator der Berliner Oper, für die er siebenundzwanzig Werke schrieb. Friedrich II. war einige Male sein Mitarbeiter; er lieferte die Textbücher zu »Fratelli Nemici« nach Racine (1756), »Merope« nach Voltaire (1756), »Coriolano« (1749), »Silla« (1753) und »Montezuma« (1755). Diese letztere Oper, die antiklerikal war und in der Friedrich, wie er an Algarotti schrieb, zeigen wollte, »daß selbst die Oper dazu dienen kann, die Sitten zu reformieren und die Vorurteile zu zerstören«, ist kürzlich von Albert Mayer-Reinach in der Sammlung der »Denkmäler deutscher Tonkunst« (Leipzig, Breitkopf, 1904) neu herausgegeben worden. Marpurg nennt ihn »den Schmuck der deutschen Musen; den Meister des schönen, des edlen Gesanges ..., den Mann, der sich mit nichts als unserm Herzen unterhalte, zärtlich, sanft, mitleidig, erhaben, prächtig, donnernd ..., einen unerschöpflichen Geist ... Sie können versichert seyn, daß der Verlust eines großen Mannes vielleicht nie allgemeiner und aufrichtiger in Berlin bedauert worden ist, als der Verlust unsers unvergleichlichen Grauns.«

»Graun«, sagt Burney nüchterner, »war vor dreißig Jahren elegant und simpel, denn er war einer der Ersten unter den Deutschen, welche die Fugen und andre dergleichen schwerfällige Arbeiten bey Seite setzten.«

Ein ziemlich mäßiges Lob für uns, die wir seither wieder von einer merkwürdigen Liebe für alle diese »schwerfällige Arbeiten« erfaßt worden sind! Aber für einen Mann der italienischen Schule gab es kein schmeichelhafteres Kompliment. Tatsächlich hatte sich Graun sehr bemüht, in Berlin den Stil der italienischen Oper einzubürgern und namentlich den von Leonardo Vinci, dieses hochbegabten Komponisten, der einen zweifach ruhmvollen Namen trägt. Damit ist schon gesagt, daß er den Geschmack der italienischen Generation hatte, die zwischen Alessandro Scarlatti und Pergolesi lag. Auch er stammte, wie Quantz, als Künstler aus der Zeit von 1720.

Mit seiner Protektion für Graun und Quantz war Friedrich II. also nichts als ein italienischer Reaktionär, der gegen die Tagesmode »die Produkte eines Zeitalters verteidigen zu müssen glaubte, das man für das augusteische der Musik hielt: das eines Scarlatti, Vinci, Leo, Porpora, ebenso wie der größten Sänger, seit denen, wie er dachte, die Musik heruntergekommen war«. Die Betonung dieser angeblich deutschen Kunst gegenüber dem entnationalisierten Wien lohnte also gar nicht. Friedrich II. war im Grunde gar nicht so weit davon entfernt, sich mit der italienischesten Partei in Wien, der von Hasse und Metastasio, zu verständigen. Er ließ in Berlin Hasses Opern aufführen, aber er war Glucks erklärter Feind; er kritisierte die »Alceste« aufs schärfste, ebenso wie es Agricola, Kirnberger, Forkel und das ganze Regiment preußischer Theoretiker taten, die auf seinen Wink einschwenkten. Es war nur ein Unterschied zwischen seinem Geschmack und dem jener Partei: nämlich, daß seine Lieblinge nicht an Hasse und Metastasio heranreichten. Burey sagt: »Denn, müßte es auch zugegeben werden, daß Se. Majestät den goldnen Zeitpunkt des Augustes in der Musik gewählt hätten, so scheint es doch nicht, daß dieselben den besten Komponisten aus diesem Zeitpunkte dero Gunst geschenkt haben.«

Oder vielmehr, es gab einen Unterschied. In Wien hatte die Musik auf die Mode Rücksicht zu nehmen, aber sie war frei. Die Regierung, in allen andern Dingen wenig liberal, ließ Künstlern und Dilettanten ihren Geschmack. In Berlin mußte man gehorchen. Kein anderer Geschmack war gestattet als der des Königs.

Man kann sich kaum vorstellen, wie weit die kleinliche Tyrannei Friedrichs II. sich in der Musik erstreckte. Es war der gleiche Despotengeist, der über der ganzen preußischen Organisation herrschte. Folgendermaßen wurde ein Ausländer, selbst ein gut empfohlener, in der Preußenhauptstadt empfangen. Bei Burney ist die Geschichte seiner Ankunft in Berlin zu lesen: Trotz seines Passes und einer ersten Zollrevision an der Grenze wird er wie ein Gefangener zum Berliner Zollgebäude geführt, dort zwei Stunden zähneklappernd im Regen im Hofe stehengelassen, während man aufs genaueste seine Habseligkeiten durchsucht. Dies hat wenig Ähnlichkeit mit der österreichischen Zollrevision, wo der siebenjährige kleine Mozart die Beamten besänftigt, indem er ihnen ein Menuett auf seiner kleinen Geige spielt. – Das Unglaublichste aber ist Burneys Besuch in Potsdam. Beim Haupteingang ebenso wie bei jeder folgenden Tür unterzieht man ihn einem Verhör, von dem er sagt, es sei »das Merkwürdigste gewesen, was mir auf allen meinen Reisen passiert ist. Es hätte nicht strenger am Tor einer belagerten Stadt sein können«. Eine inquisitorische und drückende Bevormundung lastete auf dem Musiktreiben, den der König selbst war, wie allgemein bekannt, Flötenvirtuose und Komponist. Er gab jedoch Abend in Sanssouci zwischen fünf und sechs Uhr ein Flötenkonzert. Der Hof war befohlen und lauschte andächtig den drei oder vier »langen und schweren Konzerten«, die der König vorzutragen geruhte. Es fehlte an solchen Konzerten nicht: Quantz hatte deren dreihundert ausschließlich für diesen Zweck komponiert; er durfte nichts davon veröffentlichen, kein anderer durfte sie spielen. Burney bemerkt mit Sanftmut, daß diese Konzerte vermutlich zu einer Zeit komponiert waren, »da der König noch nicht so öfter Gelegenheit brauchte, Athem zu nehmen, als itzt; denn in einigen von sehr sehr schweren und langen Solosätzen sowohl, als in den Cadenzen, war das Athemnehmen nöthig, ehe die Passagen zu Ende gebracht worden«. Burney anerkennt im übrigen bei ihm »große Präzision. Seine embouchure (Ansatz) war klar und eben, seine Finger brillant und sein Geschmack rein und ungekünstelt ... Die Cadenzen, welche Se. Majestät machten, waren gut, aber lang und studirt«. Der Hof hörte resigniert zu; das kleinste Beifallszeichen war ihm untersagt (das Gegenteil wurde nicht für möglich gehalten). Nur der riesige Herr Quantz, schon durch seine Gestalt würdig, in allen Regimentern des Königs von Preußen zu figurieren, Die Gestalt dieses alten Musikers war von ungewöhnlicher Größe.
»The son of Hercules he justly seems
By his broad shoulders and gigantic limbs.«
(»Er scheint bey seinen breiten Schultern und gigantischen Gliedmassen ein wahrer Sohn des Herkules zu seyn.«)
»hatte das Privilegium, seinem königlichen Schüler am Ende der Solosätze und Cadenzen Bravo zuzurufen«.

Ohne sich bei diesen bekannten Tatsachen aufzuhalten, mag man sehen, wie der königliche Flötenspieler die ganze Musik und namentlich die Berliner Oper mit Rutenhieben zu lenken bemüht war.

Sicherlich verdankt sie ihm mancherlei. Vom Tode Friedrichs I. (1713) bis zum Jahre 1742 besaß Berlin keine Oper Friedrich Wilhelm I. hatte Orchester und Theater aufgehoben mit der schlichten Anmerkung: »Zum Teufel damit!«. Sofort nach seinem Regierungsantritt ließ Friedrich II. eines der größten Opernhäuser der damaligen Zeit erbauen mit der Inschrift: Fredericus Rex Apollini et Musis. Er schuf ein Orchester von fünfzig Musikern, engagierte italienische Sänger und französische Tänzer und setzte seinen Ehrgeiz darein, eine Truppe zu besitzen, die man in Berlin als die beste Europas bezeichnete. Der König trug alle Kosten selbst, und der Eintritt war frei für »jederman, der nur anständig gekleidet« – was den Schluß zuläßt, daß keine Elemente aus dem Volke Zutritt hatten, auch im Parterre nicht. In Mannheim und in Schwetzingen waren alle Untertanen des Pfalzgrafen in der Oper und selbst in seinen Konzerten zugelassen, was, nach Burney, nicht wenig dazu beitrug, ihr Urteil zu formen und die ausgesprochene Liebe für Musik zu festigen, welche man im ganzen Kurfürstentum findet.

Wenn aber die Gehälter der Künstler auch königlich ausbezahlt wurden, nehme ich an, daß sie nicht leicht verdient waren. Ihre Stellung war nicht gerade ein Ruheposten.

»Der König«, erzählt Burney, »steht fast beständig hinter dem Kapellmeister, welcher die Partitur vor sich hat, er sieht fleißig mit hinein, und ist wirklich eben ein so guter Generaldirektor hier als Generalissimus im Felde. – Und der König hält in dem Opernhause eben sowohl auf gute Mannszucht als im Felde, und wenn an beyden Orten der geringste Fehler in einer einzigen Bewegung oder Evolution vorfällt: so wird er bemerkt und der Fehlende zurecht gewiesen. Und wenn einer unter den italiänischen Truppen sich unterstände, von der genauesten Subordination abzuweichen, und eine einzige Passagia in der vorgeschriebenen Rolle zu vergrößern, zu ändern, oder zu vermindern; so würde er eine Ordre empfangen, sich genau an die vorgeschriebenen Noten zu halten.«

Dieser Zug bezeichnet das Maß von musikalischer Freiheit, das man in Berlin genoß. Ein italienischer Pseudoklassizismus dominierte tyrannisch und duldete weder Veränderungen noch Fortschritt. Burney ist darüber entsetzt:

»Die Musik«, sagt er, »ist in diesem Landet vollkommen im Stillstehen, und sie wird es so lange bleiben, als Seine Majestät den Künstlern so wenig Freiheit in der Kunst läßt, wie den Bürgern im öffentlichen Leben, da er zu gleicher Zeit Herrscher über das Leben, das Vermögen und die Geschäfte seiner Untertanen sein will und der Regulator ihrer kleinsten Vergnügungen.«

Dazu kommt, daß Berlin hauptsächlich eine Stadt von Musikprofessoren und Theoretikern war, welche sich vermutlich nicht erlaubten, den Geschmack des Königs zu kritisieren, da sie alle mehr oder weniger offizielle Stellungen einnahmen, wie der bedeutendste unter ihnen, Marpurg, Direktor der Königlichen Lotterie und Kriegsrat. Sie entschädigten sich aber für diese Zurückhaltung, indem sie untereinander in heftiger Fehde lebten; diese Streitigkeiten machten das musikalische Leben nicht gerade freier und angenehmer.

»In Berlin«, sagt Burney, »sind mehr musikalische Streitschriften und mit mehr Hitze und mehr Eifer gewechselt worden, als anderwärts. Es gibt in dieser Stadt auch wirklich mehr theoretische als praktische Tonkünstler, und das hat vielleicht«, fügt er nicht ohne Impertinenz hinzu, »weder den Geschmack verfeinert noch die Phantasien begeistert.«

Freiere Geister hielten das nicht aus; wenn Philipp Emanuel Bach von 1740-1767 hier blieb, so geschah das durchaus gegen seinen Willen. Der arme Teufel konnte Berlin nicht verlassen, weil man es ihm nicht gestattete. Er litt hier an seinem Geschmack und seinem Selbstbewußtsein. Er hatte eine untergeordnete Stellung und ein geringes Einkommen; tagtäglich mußte er den königlichen Flötenspieler am Klavier begleiten; man zog ihm Graun und Quantz bei weitem vor, »deren Stil absolut dem entgegengesetzt war, den er einführen wollte«. Das erklärt die Freude, die er später empfand, als er in der guten Stadt Hamburg leben durfte, wo weder Geschmack noch Interesse für Musik, aber Gastfreundschaft, Wärme und Freiheit war. Mit allem, selbst mit dem Unverstand, kann sich ein Künstler leichter abfinden als mit dem Zwang in der Kunst.

Das ist, in großen Zügen, das Musikleben in den großen deutschen Städten. Die italienische Oper war absolute Herrscherin; Burney konnte seine Aufzeichnungen über Deutschland mit diesen Worten beschließen:

»Den itzigen Schwung der deutschen Melodie kann man aber leicht aus den italiänischen Opernarien herleiten; sowie den Geschmack der meisten Deutschen Komponisten und Spieler, von dem Geschmacke der besten italiänischen Sänger. In der That sind auch manche günstige Umstände zusammen gekommen, die es ihnen erleichtert, diesen Geschmack zu erwarben, besonders da viele deutsche Herren jenseits den Alpen Güter besitzen ..., und im deutschen Reiche selbst haben die Einwohner von Wien, München, Dresden, Berlin, Manheim, Braunschweig, Stutgard und Cassel, woselbst seit so langer Zeit italiänische Opern gewesen und zum Theil noch sind, dem italiänischen Singen nicht vergebens zugehört.«

Wie seltsam! Hatte denn Deutschland nicht das deutscheste aller Genies, das ungeheure und tiefe Werk Johann Sebastian Bachs hervorgebracht? Wie soll man sich erklären, daß sein Name so wenig Platz in den Aufzeichnungen Burneys und in diesem ganzen Bilde Deutschlands einnimmt?

Für die Verschiedenheit, mit der Zeitgenossen und Nachwelt einen großen Mann beurteilen, ist das ein Musterbeispiel. Uns, nach zwei Jahrhunderten, scheint es unfaßbar, daß Johann Sebastian Bach nicht die ganze Kunst seines Jahrhunderts beherrscht haben sollte. Man kann sich zur Not vorstellen, daß ein großer Mann völlig unbekannt bleibt, wenn die Umstände seines Lebens ihn so isolieren, daß er nicht einmal seine Werke herausgeben oder sich beim Publikum Gehör verschaffen kann. Aber wie sollen wir begreifen, daß ein Mann von diesem Rang bekannt und doch nicht anerkannt war, daß man eine mäßige und höchstens wohlwollende Meinung von ihm hatte, daß man keinen Unterschied zwischen ihm und den Künstlern zweiten Ranges in seiner Umgebung machen konnte? Dennoch spielt sich dergleichen fortwährend ab. Shakespeare war niemals vollkommen unbekannt oder verkannt. Jusserand hat bewiesen, »Shakespeare et l'Ancien Régime.« daß Ludwig XIV. ihn in seiner Bibliothek hatte und daß man ihn im 17. Jahrhundert in Frankreich las. Das Publikum seiner Zeit schätzte ihn, aber nicht mehr als viele andere dramatische Schriftsteller und sicherlich weniger als manche andere. Addison, der ihn kannte, vergaß 1694 ihn in seiner »Übersicht der besten englischen Schriftsteller« zu erwähnen.

Ähnlich verhält es sich mit Johann Sebastian Bach. Er hatte einen gefestigten Ruf unter den Musikern seiner Zeit, aber dieser Ruf reichte nicht über eine bestimmte Grenze. Sein Leben in Leipzig war mühevoll, beengt, gedrückt, beständig den Quengeleien der Thomasschule ausgesetzt, deren Rat seinen Tod nicht sehr beklagte, ihn in der alljährlichen Eröffnungsrede so wenig erwähnte, wie es die Leipziger Zeitungen getan hatten, und der der Witwe Bachs die übliche kleine Pension entzog, so daß sie 1760 im Armenhause starb. Zum Glück hatte Johann Sebastian Bach viele vortreffliche Schüler erzogen, von seinen Söhnen nicht zu sprechen, die eine pietätvolle Erinnerung an seine Lehre bewahrten. Aber als was wurde er zwanzig Jahre nach seinem Tode genannt? Als großer Organist und gelehrter Professor. Burney gedenkt seiner zwar, als er durch Leipzig kommt, aber nur um das Urteil von Quantz zu zitieren, der von Bach sagte, daß dieser vortreffliche Meister die Kunst, die Orgel zu spielen, bis auf den höchsten Grad der Volkommenheit gebracht habe. Er fügt hinzu:

»Außer verschiedenen vortrefflichen Kompositionen für die Kirche, hat er Ricercari herausgegeben, welche aus Preludien und Fugen für die Orgel, aus allen vier und zwanzig Tonarten, über zwey, drey und vier Themata, im Modo recto & contrario, bestehen. Alle itzt lebende Organisten in Deutschland, haben sich nach seiner Schule gebildet, so wie die meisten Flügel-, Clavier- und Fortepianospieler, nach der Schule seines Sohnes, des vortreflichen Carl Philip Emanuel Bach, der so lange unter dem Namen der Berliner Bach bekannt gewesen.«

Man beachte die Stellung des Wortes »vortrefflich«. 1770 ist der »vortreffliche« Bach Philipp Emanuel. Er ist der große Mann der Familie. Burney denkt angestrengt darüber nach, wie »dieser großartige Musiker« werden konnte. Obwohl es anmaßend wäre, ihn seinem Vater gegenüberzustellen oder gar vorzuziehen, ist Philipp Emanuel doch ein genialer Musiker, dem nichts als ein Charakter oder wenigstens ein Wille von gleicher Stärke wie seine musikalische Inspiration gefehlt hat. Aber seine großartige Kraft war von einer Art geistigem Schlagfluß bis zur gänzlichen Mutlosigkeit gelähmt, und es ist traurig zu sehen, wie in ihm, für Augenblicke, die Seele eines Beethoven in den Fesseln eines beschränkten Lebens ringt, großartig aufblitzt und wieder in ihre Apathie versinkt.
Das Bild, das Burney von ihm gegeben hat, ist das beste, das wir besitzen. Ich kann mich nicht enthalten, einen Ausschnitt davon zu geben.
Philipp Emanuel hatte Burney eingeladen, bei ihm zu speisen. Man führte Burney in ein großes Musikzimmer, »welches mit mehr als hundert und fünfzig Bildnissen von großen Tonkünstlern, theils gemahlt, theils in Kupfer gestochen ausgeziert war. Ich fand darunter viele Engländer und unter anderm auch ein Paar Originalgemählde in Öl von seinem Vater und Großvater. Nachdem ich solche besehen hatte, war Herr Bach so verbindlich, sich an sein Lieblingsinstrument, ein Silbermannisches Klavier zu setzen, auf welchem er drey oder viere von seinen besten und schweresten Kompositions, mit der Delikatesse, mit der Precision und mit dem Feuer spielte, wegen welcher er unter seinen Landsleuten mit Recht so berühmt ist. Wenn er in langsamen und pathetischen Sätzen eine lange Note auszudrücken hat, weiß er mit großer Kunst einen beweglichen Ton des Schmerzens und der Klagen aus seinem Instrumente zu ziehen, der nur auf dem Clavichord, und vielleicht nur allein ihm, möglich ist hervorzubringen.
Nach der Mahlzeit, welche mit Geschmack bereitet, und mit heiterem Vergnügen (mit drey oder vier vernünftigen und wohlerzogenen Personen von seinen Freunden, außer seiner Familie, die aus Madame Bach, seinem Sohn, dem Licentiaten, und seiner Tochter bestund) verzehrt wurde, erhielt ichs von ihm, daß er sich abermals ans Clavier setzte; und er spielte, ohne daß er lange dazwischen aufhörte, fast bis um Eilf Uhr des Abends. Während dieser Zeit gerieth er dergestalt in Feuer und wahre Begeisterung, daß er nicht nur spielte, sondern die Miene eines außer sich Entzückten bekam. Seine Augen standen unbeweglich, seine Unterlippe senkte sich nieder und seine Seele schien sich um ihren Gefährten nicht weiter zu bekümmern, als nur so weit er ihr zur Befriedigung ihrer Leidenschaft behülflich war. Er sagte hernach, wenn er auf diese Weise öfter in Arbeit gesetzt würde, so würde er wieder jung werden. Er ist itzt neun und fünfzig Jahre alt, ist eher kurz als lang von Wuchs, hat schwarze Haare und Augen, eine bräunliche Gesichtsfarbe, eine sehr beseelte Miene, und ist dabey munter und lebhaft von Gemüth.«
Burney ist überzeugt davon, daß Philipp Emanuel nicht nur einer der größten Klavierkomponisten ist, »sondern auch, im Punkte des Ausdrucks, der beste Spieler. (Er ist) in jedem Style ein Meister, ob er sich gleich hauptsächlich dem Ausdrucksvollen widmet. Er ist, glaub ich, gelehrter als selbst sein Vater, so oft er will, und läßt ihn, in Ansehung der Mannigfaltigkeit der Modulation, weit hinter sich zurück ... In den Charakteren des jüngeren Scarlatti und Emanuel Bachs sind sich verschiedene Züge sehr ähnlich. Beyde hatten große und berühmte Komponisten zu Vätern, welche von allen ihren Zeitgenossen für das Panier der Vollkommenheit gehalten wurden, nur nicht von Ihren Söhnen, welche neue Wege zum Ruhme zu entdecken wußten. Domenico Scarlatti wagte schon vor fünfzig Jahren Noten von Wirkung und Geschmack ..., mit welchen das Ohr des Publikums sich erst seit kurzem vertragen hat. Emanuel Bach scheint gleichfalls sein Zeitalter hinter sich zurück zu lassen.«

»Schwer zu sagen, wie er seinen Stil ausgebildet hat. Er hatte ihn weder von seinem Vater geerbt noch übernommen, der sein einziger Lehrer gewesen war; denn dieser respectable Musikus, dem niemand in bezug auf Können und Erfindung gleich kommt, dachte, es sei nötig, mit beiden Händen so viel Harmonie zusammenzuraffen, als man packen könne; zweifelsohne hat er mit diesem System die Melodie und den Ausdruck geopfert.«

Nichts ist charakteristischer als die Raschheit, mit der die Söhne Johann Sebastians, obwohl sie ihn verehrten, seinen Geschmack und seine Grundsätze abschwuren. Philipp Emanuel spricht ironisch von der musikalischen Gelehrsamkeit, namentlich vom Kanon, »es wäre trocknes, elendes, pedantisches Zeug«. Er sieht es für einen Mangel an Genie an, »sich mit einem so knechtischen Studiren abzugeben«. Dieses Urteil bekommt einen besonderen Sinn, wenn man später hört, daß Johann Sebastian ihn die ersten Jahre seines Lebens unerbittlich bei solchen Arbeiten hatte verbringen lassen. Er fragt, ob Burney irgendeinen großen Kontrapunktisten in Italien gefunden habe. Burney verneint es.

»Nun«, sagt Philipp Emanuel, »es würde auch noch nicht viel sagen, wenn Sie auch hätten; denn wenn man den Contrapunkt auch recht gut versteht, so gehören doch noch viele andre wesentliche Dinge dazu, wenn man ein guter Komponist werden will.«

Burney stimmt ihm lebhaft zu, und beide kommen überein, daß die Musik keine große Gesellschaft sein soll, wo alle Leute auf einmal reden, so daß »das Gespräch verdirbt, und man anstatt Vernunft, Witz und muntern Scherz nichts zu hören bekommt, als Unsinn, Toben und Lärmen.« Ein weiser Mann muß im Gespräch immer warten, »bis er eine Gelegenheit findet, etwas Zweckmäßiges zu sagen, ehe er spricht«. Dies ist die Schule der deutlichen Melodie nach italienischer Art, welche die alte deutsche Polyphonie verpönt. Der italienische Stil herrscht in der Familie Bach!

Johann Sebastian selbst war vielleicht nicht ganz unempfänglich für den Charme der italienischen Oper. Sein Biograph Forkel behauptet, daß er für Caldara, Hasse, Graun etwas übrig hatte. Mit Hasse und der Faustina war er befreundet; zuweilen fuhr er mit seinem ältesten Sohn von Leipzig nach Dresden, um dort italienische Opern zu hören. Er verspottete sich selbst, wenn er sich wegen der Freude, die ihm diese kleinen Ausflüge machten, entschuldigte »Friedemann«, sagte er, »wollen wir nicht wieder in Dresden hübsche Liedlein anhören?« Ist es so schwierig, in einigen seiner Werke die Erinnerung an diese »hübschen Liedlein« herauszuhören? Wer weiß, ob er in anderer Lebenslage und mit einem Theater zu seiner Verfügung nicht ebenso vom Strom mitgerissen worden wäre wie die andern?

Seine Söhne jedenfalls leisteten keinen Widerstand. Die Italiener taten es ihnen so sehr an, daß einer von ihnen für einige Zeit unter dem Namen Giovanni Bacchi ganz zum Welschen wurde. Ich spreche von Johann Christian, dem Jüngsten der Familie. Er zählte fünfzehn Jahre beim Tode seines Vaters und hatte von ihm eine gediegene musikalische Erziehung empfangen; er besaß gute Anlagen zum Orgel- und Klavierspiel. Nach dem Tode Johann Sebastians kam er zu seinem Bruder Philipp Emanuel nach Berlin. Hier fand er die italienische Oper Grauns und Hasses. Der Eindruck, den er davon empfing, war so stark, daß er nach Italien ging. Er kam nach Bologna und wurde, der Sohn Bachs, Zögling des Padre Martini Einunddreißig Briefe von Johann Christian Bach an den Padre Martini geben uns Aufschluß über diese Bildung.. Acht Jahre lang arbeitete er daran, sich unter Martinis Führung eine italienische Bildung und eine italienische Seele zu erwerben. Dann begab er sich nach Neapel und wurde ein Führer der neapolitanischen Opernschule; er ließ eine Reihe italienischer Opern nach Dichtungen von Metastasio aufführen, »Catone in Utica« (1761), »Alessandro nelle Indie« (1762), die großen Erfolg hatten, denn sie waren, nach Burney, im besten neapolitanischen Geschmack. Das war aber noch nicht alles. Nachdem er die musikalische Richtung seines Vaters abgeschworen hatte, schwor er nun auch seinen Glauben ab: der Sohn des großen Bach wurde katholisch. Er wurde Domorganist in Mailand unter einem italienischen Namen. Siehe Max Schwartz: »Johann Christian Bach« (1901). Es ist schwer, ein vollkommeneres Beispiel für die Eroberung des deutschen Geistes durch Italien zu zitieren.

Hier handelt es sich nicht um mittelmäßige Menschen, die keinen andern Anspruch an unsere Aufmerksamkeit haben, als den, die Söhne eines großen Mannes gewesen zu sein Die Söhne Johann Sebastians sind selbst große Künstler, denen die Geschichte den ihnen zukommenden Rang versagt hat. Wie die meisten Musiker dieser Übergangsepoche hat man sie jenen geopfert, die vorangingen oder nachfolgten. Philipp Emanuel, der seiner Zeit sehr weit voraus war und, außer von einer ganz kleinen Anzahl, sehr wenig verstanden worden ist, ist von Vincent d'Indy als einer der direkten Vorläufer Beethovens bezeichnet worden. Johann Christian ist kaum weniger bedeutend: nicht Beethoven, aber Mozart kündet sich in ihm an. Max Schwartz zeigt den direkten Einfluß Johann Christians auf die Mozartsche Klavier- und Opernmusik und namentlich auf die ersten Symphonien. Mozart spricht in seinen Briefen oft von Johann Christian Bach. Er sagt, daß er ihn von ganzem Herzen liebe, daß er tiefe Achtung für ihn hege. Gewisse Arien Johann Christians ließen ihn nicht ruhen. Er versuchte, mit ihm zu rivalisieren, indem er neue Melodien auf die gleichen Worte schrieb.

Ein anderer Musiker von Rang, der mehr noch als Philipp Emanuel der Vorläufer, man könnte fast sagen, das Vorbild Beethovens für seine großen Sonaten und Variationswerke war, Friedrich Wilhelm Rust in Dessau, der Freund Goethes und Musikdirektor des Prinzen Leopold III. von Anhalt, wurde wie die andern von dem Zauber Italiens ergriffen. Siehe Wilhelm Hosäus: »Friedrich Wilhelm Rust« (1882) – Rust war ein Schüler des ältesten Sohnes von Johann Sebastian, Wilhelm Friedemans, der die Traditionen des Vaters am besten bewahrt hatte. Er nahm auch Stunden bei Philipp Emanuel. Seine künstlerische Bedeutung ist erst seit kurzem durch die Veröffentlichung einiger Werke durch einen seiner Nachkommen wieder bekannt geworden. Er reiste nach Italien, blieb zwei Jahre dort, besuchte eifrig die Operntheater, verkehrte mit den besten Meistern, mit Martini, Nardini, Pugnani, Farinelli und namentlich mit Tartini, von dem er sehr viel lernte, und dieser Aufenthalt wurde entscheidend für seine künstlerische Entwicklung. Noch dreißig Jahre später, 1792, klingen seine Reiseerinnerungen in einer seiner Sonaten, der »italiana«, wieder.

Wenn die Führer der deutschen Musik, wenn die Bach, Rust, Gluck, Graun, Hasse, in diesem Maße dem Einfluß italienischer Kunst erliegen Ich spreche nicht von den jungen Meistern der folgenden Epoche – von Haydn, dem Schüler Porporas und genialen Nachahmer Sammartinis, von Mozart, der in der ersten Zeit seines Lebens ein reiner Italiener war und dessen Opern in Italien gespielt wurden und Beifall fanden. Hasse, der der Feind Glucks war, weil er ihn der echten italienischen Tradition nicht treu genug fand, liebte und bewunderte im Gegenteil Mozart, in dem er seinen glücklicheren oder größeren Fortsetzer sah., wie soll da die deutsche Musik dem fremden Geiste Widerstand leisten? Wo liegt das Heil für ihren Genius?

Zunächst war es unvermeidlich, daß die Menge der kleineren Künstler, die musikalische Plebs Deutschlands, diejenigen, welche nicht die Mittel hatten, nach Italien zu gehen, um dort Italiener zu werden, unter ihrer demütigenden Lage und der Bevorzugung der Fremden schwer litten. Burney, der zugeben muß, daß man die Italiener in Deutschland meist viel besser entlohnt als heimische Künstler, selbst wenn sie ihnen überlegen sind, sagt, daß man aus diesem Grunde »es also den Deutschen nicht gar zu übel nehmen muß, wenn sie manchen italiänischen Meister zu gering schätzen, und ihnen mit solcher Verachtung und Strenge begegnen, als nur die plumpeste Unwissenheit und Dummheit verdient«. »Alle beneiden die Italiäner«, fügt er hinzu, freilich am Ende eines Satzes, in dem er erzählt, daß sie auch aneinander kein gutes Haar lassen. Jede Stadt ist in eifersüchtige Parteien geteilt. »Die Musiker fast einer jeden Stadt ... beneiden sich einer den andern, und alle beneiden einmüthiglich die Italiäner.« Dieser Mangel an Einigkeit sollte für die Deutschen in der Kunst ebenso verhängnisvoll werden wie in der Politik, sie wurden umso unfähiger, sich gegen die Fremden zu verteidigen, als ihre Häupter, wie Gluck und Mozart, zum Feinde übergegangen zu sein schienen.

Aber der Geschmack des Volkes blieb dem fremden Stil ziemlich fremd. Die Meßkataloge von Frankfurt und Leipzig im 18. Jahrhundert geben den Beweis dafür »Verzeichnis der in den Frankfurter und Leipziger Meßkatalogen der Jahre 1564-1759 angezeigten Musikalien, angefertigt und mit Vorschlägen zur Förderung dei musikalischen Bücherbeschreibung begleitet von Dr. Albert Göhler« (Leipzig, Kahnt, 1902. 8°). – Siehe über dieses Thema einen interessanten Artikel von Michael Bronet in der Tribüne de St. Gervais (Mai-Juni 1914).. Auf diesen großen europäischen Märkten, wo die Musik eine wichtige Stelle einnimmt, figuriert die italienische Oper fast gar nicht So wenig wie die französische oder die Werke von J. S. Bach.. Was im Überfluß vorhanden ist, das ist deutsche kirchliche Musik: Lutherischer Kirchengesang, geistliche Konzerte, Passionen und besonders Sammlungen von Liedern und Liedlein, unantastbare Heimstätten des deutschen Gedankens für immer.

Andererseits ist zu bemerken, daß es, mit wenigen Ausnahmen, nicht mehr die Italiener, sondern die Deutschen sind, welche die italienische Oper und die italienische Kunst in Europa repräsentieren, ein Gluck in Wien, ein Johann Christian Bach in London, Graun in Berlin, Hasse in Italien selbst. Wie sollte da nicht ein neuer Geist in diese italienisch-deutsche Musik einfließen? Bei diesen deutschen Meistern, die sich ihrer Überlegenheit bewußt waren, entwickelte sich langsam der eingestandene oder uneingestandene Wunsch, Italien mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Man ist überrascht von dem deutschen Stolz, den man bei Gluck und Mozart wachsen fühlt. Diese genialen Schüler Italiens sind die ersten, die sich im deutschen Lied versuchen. Gluck seit 1770 auf Klopstocksche Oden.

Selbst im Theater beginnt die deutsche Sprache wieder ihren Platz einzunehmen. Die Hamburger Oper hatte am Ende des 17. Jahrhunderts Opern in deutscher Sprache gespielt. Allein in den ersten Jahren des 18. Jahrhunderts gaben Keiser und Händel das Beispiel, in den gleichen Opern deutsche und italienische Worte zu mischen; bald hatte das Italienische gesiegt. Burney, der die musikalischen Eigenschaften dieser Sprache erkannt und sich zuerst darüber gewundert hatte, daß sie im Theater nicht häufiger gebraucht wurde, mußte bald konstatieren, daß musikalische Theaterstücke in deutscher Sprache anfingen, sich in Sachsen und im Norden des Kaiserreiches zu verbreiten. Seit der Mitte des Jahrhunderts arbeiteten der Dichter Christian Felix Weiße und die Musiker Standfuß und Johann Adam Hiller nach dem Muster der englischen Singspiele und der Komischen Oper von Favart an deutschen Singspielen, deren erstem aus dem Jahre 1752: »Der Teufel ist los oder die verwandelten Weiber« Musik von Standfuß und Hiller. Das gleiche Stück war ohne Erfolg 1743 in Berlin gespielt worden, nach dem englischen Stück von Coffey mit englischen Originalmelodien. »Der Teufel ist los« hatte einen 2. Teil, der 1759 gespielt und unter dem Titel »Der lustige Schuster« sehr populär wurde. Diese Singspiele erregten zwanzig Jahre lang Begeisterung in Deutschland. Sie waren sozusagen die Oper des deutschen Kleinbürgertums. – Zu bemerken ist, daß Hillers bester Schüler, Christian Gottlieb Neefe, der Lehrer Beethovens war. sehr bald eine Menge ähnlicher Werkchen folgte. »Die Musik«, sagt Burney, »war so angenehm und natürlich, daß die Lieblingsweisen, wie in England jene des Doktor Arne, bald in allen Kreisen des Volkes und auf der Straße gesungen wurden.« Hiller gab den Leuten aus dem Volk in seinen Stücken einfache Lieder; diese Lieder wurden in Deutschland ebenso volkstümlich wie die Vaudevilles in Frankreich. »Heutzutage«, schreibt Burney, »ist die Vorliebe für die Burlette so allgemein und so ausgesprochen, daß man mit den klugen Leuten fürchten muß, ob dieser Geschmack den an der guten Musik und namentlich den für ein höheres Genre zerstören wird. Diese populären Lieder haben den guten Geschmack nicht nur nicht zerstört, sondern sie sind eine der Quellen der neuen deutschen Oper geworden.

Aber der entscheidende Anstoß, der die deutsche Musik befreien sollte, ging von der plötzlichen Entwicklung der Instrumentalmusik aus. Im Augenblick, wo Deutschland den alten deutschen Stil, seine eigene Persönlichkeit mit der vokalen Polyphonie und den unendlichen Hilfsquellen des Kontrapunktes verleugnen zu wollen schien – in diesem Augenblick, wo es aussah, als gäbe es den Versuch auf, seine ungefüge, grübelnde Seele auszudrücken, um sich dem Stil des lateinischen Gedankens zu vermählen, hatte es das Glück, in dem plötzlichen Aufblühen der Instrumentalmusik einen Ersatz und mehr als das für alles Verlorene zu finden.

Es mag seltsam scheinen, dort von einem Glücksfall zu sprechen, wo Klugheit und Willenskraft so starken Anteil hatten. Dennoch muß man hier, wie immer in der Geschichte, den Zufall, die Gunst der Umstände in Rechnung ziehen, die die Entwicklung eines Volkes; fördern oder hemmen. Zweifellos reißen die kräftigsten Völker schließlich immer das Glück an ihre Seite. Aber dieses Glück existiert, das kann man nicht leugnen.

Man sieht es in diesem Falle. Nicht allein die Deutschen hatten die Mittel ihrer Instrumentation vervollkommnet. Dieselben Tendenzen waren auch in Frankreich und Italien am Werk. Die Schulen Venedigs pflegten erfolgreich die Instrumentalmusik; italienische Virtuosen waren überall berühmt; in Mailand wurde die Symphonie geboren. Aber die symphonische Musik war kein günstiges Feld für den italienischen Genius mit seiner lichten Melodie und seinen scharfen Konturen. Und hätte man diese natürliche Veranlagung ändern und neuen Bedingungen anpassen können, dann nur durch eine Kraftleistung, zu der die überarbeitete, ermüdete, indolente italienische Kunst nicht mehr fähig war. In Italien wäre eine Revolution nötig gewesen, um das zu vollbringen, was in Deutschland nur die Folge einer ruhigen Entwicklung war. So sicherten die Fortschritte des Orchesters Deutschlands Sieg, während sie zum Niedergang italienischer Kunst beitrugen. Burney klagt, daß die Opernorchester Italiens zu stark besetzt sind, und daß ihr Lärm die Sänger geradezu zum Brüllen zwingt. »In Ansehung der Musik gieng viel von dem Halbdunkeln verlohren, die Mezzotinten und der Hintergrund ... Man konnte nichts deutlich hören, als die lärmenden und wüthenden Sätze.« So werden die italienischen Stimmen verdorben, und Italien verliert das Privileg des bei canto, auf den es mit Recht so stolz gewesen war. Vergebliches Opfer; denn wenn es auf seine eigenen unnachahmlichen Vorzüge verzichtet, konnte es sich doch nicht Eigenschaften und einen Stil aneignen, die ihm fremd waren. Hasse und Metastasio, die letzten Vertreter der reinen italienischen Tradition, hatten die Gefahr gefühlt. Metastasio beklagt sich in seinen Gesprächen mit Burney sehr über den Fortschritt der Instrumentalmusik in der Oper.

Dagegen sind die Deutschen in der jungen Symphonie vollkommen in ihrem Element. Die natürliche Vorliebe für Instrumentalmusik, die Notwendigkeit für viele kleine deutsche Höfe, sich mit dieser Musik zu begnügen, da ihnen das streng eingehaltene Gebot der reformierten Kirche ein Operntheater untersagte, der gesellschaftliche Instinkt, der die deutschen Musiker dazu trieb, sich in kleinen Gesellschaften, kleinen Kollegien zu versammeln, um gemeinsam zu spielen, statt dem Individualismus italienischer Virtuosen zu folgen – dies alles, die Mittelmäßigkeit deutschen Gesanges mit einbegriffen, sollte zu der universellen Entwicklung Deutschlands in der Instrumentalmusik beitragen. Nirgends in Europa gab es mehr Unterrichtsanstalten und mehr gute Orchester.

Eine der merkwürdigsten Institutionen Deutschlands war die der »Armenschüler«, die (wenigstens was die Großmut ihrer Gründer betrifft) den Konservatorien armer Kinder in Neapel entsprach. Diese Schüler, die Burney in Scharen in den Straßen Frankfurts, Münchens, Dresdens und Berlins begegnen, empfingen »allemal da, wo die römisch-catholische Religion herrschte, ihren Unterricht im Jesuitencollegio ..., wo junge Kinder auf Instrumenten und im Singen unterwiesen werden«. Die Münchener Schule umfaßte achtzig Kinder von elf bis zwölf Jahren. Bevor sie aufgenommen wurden, mußten sie schon ein Instrument spielen können oder ausgesprochene musikalische Anlagen zeigen. Man behielt sie bis zum zwanzigsten Jahre. Sie bekamen Wohnung, Nahrung, Unterricht, aber keine Kleidung. Sie mußten einen Teil ihres Lebensunterhaltes verdienen, indem sie in den Straßen spielten und sangen. Das war für sie eine Verpflichtung, »damit das Publikum, das für ihren Unterhalt sorgte, auch ihre Fortschritte kennenlerne«. In Dresden war die Stadt in Viertel eingeteilt. Die Armenschüler mußten, in Trupps von sechszehn, siebzehn oder achtzehn, nacheinander vor den Türen der Häuser jedes Viertels singen. Sie bildeten kleine Chöre und kleine Orchester: Geigen, Violoncelli, Oboen, Hörner und Fagott. Die reichen Familien abonnierten sich, damit sie ein- oder zweimal die Woche vor ihrem Hause spielten. Man bestellte sie zu privaten Festlichkeiten oder Begräbnissen; am sonntäglichen Gottesdienst wirkten sie mit. Das Handwerk war schwer, besonders hart die Verpflichtung, im strengen Winter auf der Straße zu singen. Aus diesen Armenschülern wählte man später die Gemeindeschullehrer, unter der Bedingung, daß sie leidliche Kenntnisse im Lateinischen, im Griechischen und im Orgelspiel besaßen. Die Besten wurden auf Universitäten wie Leipzig oder Wittenberg geschickt, wo mehr als dreihundert arme Studenten versorgt wurden. Sie konnten sich hier der Musik oder der Wissenschaft widmen.

An einigen Höfen gab es ebenfalls musikalische Institute für arme Kinder, wie die beiden Konservatorien für zweihundert Knaben und Mädchen, die der Herzog von Württemberg in Ludwigsburg und in der Solitude, einem seiner Sommerschlösser, eingerichtet hatte.

Außer diesen Armenschulen räumten die kommunalen Schulen der Musik, und namentlich der instrumentalen, einen bedeutenden Platz ein. So war es in der Regel in Österreich, in Sachsen, in Mähren und besonders in Böhmen. Burney konstatiert, daß es in jedem Dorfe Böhmens eine öffentliche Schule gab, in der die Kinder zu gleicher Zeit im Lesen, Schreiben und der Musik unterrichtet wurden. Er besuchte deren einige. In Czaslau bei Kolin fand er »eine Klasse voll kleiner Kinder von beyderley Geschlechtern ..., welche lasen, schrieben, auf der Geige, der Hoboen, dem Basson und andern Instrumenten spielten. Der Organist hatte in einem kleinen Zimmer seines Hauses vier Claviere, und auf jedem übte sich ein kleiner Knabe«. In Budin, in Lobositz hatten mehr als hundert Kinder, Knaben und Mädchen, musikalischen Unterricht und waren Kirchensänger und -musiker.

Unglücklicherweise verkamen die Talente, die sich hier entwickelten, im Elend. »Viele von denen, welche Musik in den Schulen lernen, gehen nachmals wirklich an den Pflug und andere mühsame Handarbeiten; und dann hilft ihnen ihre musikalische Kenntniss zu weiter nichts, als dass sie ... sich zu Hause ein Vergnügen machen können, welches vielleicht«, wie Burney philosophisch hinzufügt, »der würdigste Gebrauch ist, wozu man die Musik anwenden kann.« Andere gingen in die Dienste hochgestellter Herren über, die sich aus ihrem Gesinde ein Orchester bildeten, mit dem sie Konzerte gaben. Der böhmische Adel beging das Unrecht, dem eigenen, so anziehenden Volke den Rücken zu kehren und den größten Teil des Jahres in Wien zu verbringen. »Ich hatte oftmals sagen hören, daß die Böhmen unter allen Nationen in Deutschland, ja vielleicht in ganz Europa am meisten musikalisch wären; und ein berühmter deutscher Komponist, welcher gegenwärtig in London ist, hatte mich versichert, daß sie, wenn man ihnen nur gleiche Vortheile mit den Italiänern verschaffe, diese gewiss übertreffen würden.« Sie zeichneten sich besonders als Bläser aus: als Holzbläser auf der sächsischen, als Blechbläser auf der mährischen Seite. Aus solchen böhmischen Schulen ging der Reformator der Instrumentalmusik, der Schöpfer der deutschen Symphonie hervor, Stamitz, geboren zu Deutsch-Brod als Sohn des Kantors. In diesen selben Schulen erhielt Gluck seinen ersten musikalischen Unterricht. In Lukavec bei Pilsen schrieb Haydn 1759 seine erste Symphonie als Dirigent der Privatkapelle des Grafen Morzin. Der größte deutsche Geiger endlich, Franz Benda, der einzige Musiker außer Philipp Emanuel Bach, der in Berlin einen eigenen Stil für sich zu haben wagte und unabhängig von Graun und den Welschen war, stammte gleichfalls aus Böhmen.

Dank diesen Schulen und diesen natürlichen Anlagen wurde die Instrumentalmusik überall in Deutschland gepflegt, selbst in Wien und München, den Hauptstätten der italienischen Oper. Wir übergehen die fürstlichen Virtuosen: den Flötenspieler-König in Berlin, den österreichischen Cellisten-Kaiser, die fürstlichen Geiger, den Kurfürsten von Bayern oder den Fürsterzbischof von Salzburg, die fürstlichen Klavierspieler, den Herzog von Württemberg oder den Kurfürsten von Sachsen, von denen der letztere allerdings, wie Burney sagt, »so furchtsam wäre, in anderer Gegenwart zu spielen, daß selbst die Churfürstinn, seine Gemahlinn, ihn kaum einmal gehört hätte ...« Halten wir uns auch nicht bei dem übermäßigen Konzertverbrauch der deutschen Dilettanten auf – drei oder vier Instrumentalkonzertstücke innerhalb eines Konzertabends in Berlin, fünf bis sechs in Dresden! ... Aber die junge Symphonie wuchs nach allen Seiten. In Wien wimmelte es von Symphonikern: unter ihnen rühmte man Hoffman wegen seiner Natürlichkeit »Soviel Kunst, als Ihnen in Ihrer Musik beliebt, meine Herren«, sagte Hoffman zu seinen Landsleuten, »wenn sie nur mit der Natur vereinigt ist; und selbst in einer genauen Verbindung zwischen beyden möchte ich allemal wünschen, daß die ältere Schwester, Natur, die Regierung hätte.«(Burney.), die Phantasie Vanhalls, ferner Ditters, Huber Gassmann und den jungen Haydn, der eben hervortrat. Diese Musik fand in Wien ein enthusiastisches Publikum. Theodor von Wyzewa hat die Hof- und Tafelmusik des Erzbischofs von Salzburg beschrieben: drei Konzertmeister hatten abwechselnd die Programme auszuwählen und die Ausführung zu leiten. Das Lebenswerk Leopold Mozarts zeigt, welche Unmengen von Instrumentalmusik ein kleiner deutscher Hof Tag für Tag verbrauchte; dazu die Konzerte im engeren Kreis, die Serenaden im Freien auf Bestellung wohlhabender Bürger ...

Zentren der deutschen Instrumentalmusik waren Mannheim und, in den Sommermonaten, das kaum ein paar Meilen entfernt gelegene Schwetzingen, nach Burneys Wort eine Kolonie von Musikanten. »Da in einem Hause hört er einen schönen Geiger, dort in einem andern eine Flöte; hier einen vortrefflichen Hoboisten, dort einen Basson, eine Clarinet, ein Violoncell, oder ein Concert von allerley Instrumenten zugleich. Es sind wirklich mehr Solospieler und gute Komponisten in diesem, als vielleicht in irgend einem Orchester in Europa. Es ist eine Armee von Generälen.«

Diese Elitetruppe, die auch die Bewunderung Leopold Mozarts und seines Sohnes erregte, gab berühmte Konzerte. Hier hat Stamitz, seit 1745 erster Konzertmeister und Dirigent der kurfürstlichen Kammermusik, seine ersten Versuche in der deutschen Symphonie gemacht, hier »eben wars«, sagt Burney, »wo Stamitz (von dessen Feuer und Genie sich in großem Maaße der gegenwärtige Synfonienstyl herschreibt, der so voller großen Wirkungen, so voller Licht und Schatten ist) zuerst über die Gränzen der gewöhnlichen Opernouvertüren hinwegschritt, die bis dahin bey dem Theater gleichsam nur als ein Rufer im Dienste standen, um durch ein Aufgeschaut! für die auftretenden Sänger Stille und Aufmerksamkeit erhalten. Seit der Entdeckung, auf welche Stamitzens Genie zuerst verfiel, sind alle Wirkungen versucht worden, deren eine solche Zusammensetzung von inartikulierten Tönen fähig ist. Hier ist der Geburtsort des Crescendo und Diminuendo, und hier war es, wo man bemerkte, daß das Piano (welches vorher hauptsächlich als ein Echo gebraucht wurde, und gemeiniglich gleich bedeutend genommen wurde) sowohl als das Forte musikalische Farben sind, die so gut ihre Schattierungen haben, als Roth oder Blau in der Mahlerey.«

Ich muß es mir versagen, an dieser Stelle die Originalität und fruchtbare Kühnheit der Versuche dieses prächtigen Stamitz mehr als zu streifen; dieser Stamitz, der heute so wenig und so flüchtig gekannt ist, obwohl man in ihm seiner Zeit, wie Burney sagt, einen zweiten Shakespeare sah, der »durch alle Schwierigkeiten und Hindernisse hindurch brach, und so wie das Auge des Einen die ganze Natur durchschaute, so trieb der Andere, ohne von der Natur abzuweichen, die Kunst weiter als irgend jemand vor ihm gethan hatte. Sein Genie war sehr original, kühn und kraftvoll; Erfindung, Feuer und Contrast in den geschwinden Sätzen; – eine zärtliche, reizende und schmeichelnde Melodie in den Langsamen; verbunden mit Scharfsinn und Reichtum in der Begleitung, charakterisieren seine Werke; alle sind voll starken Ausdrucks, welchen der Enthusiasmus des Genies hervorgebracht, und die Cultur verfeinert hat, ohne ihn zu unterdrücken.« Erwähnen wir noch eine Form der Musik, in der die Deutschen Meister und für ganz Europa vorbildlich waren: die Militärmusik. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts waren nach Burney die Marschmusik und selbst die Musiker in vielen Garnisonen Frankreichs deutsch. Eine der besten Militärkapellen hatte Darmstadt, nach Burney bestehend aus 4 Oboen, 4 Klarinetten, 6 Trompeten, 4 Fagotten, 4 Hörnern und 6 Zinken.

Man sieht, daß der deutsche Genius sich trotz der Italienerherrschaft seine Unabhängigkeit strichweise zu bewahren gewußt hat, wo er im stillen gediehen konnte, bis er eines Tages, seiner Kraft bewußt, dem fremden Geist den Krieg erklären und das Joch abwerfen sollte. Aber es bleibt unbestritten, daß in der Mitte des 18. Jahrhunderts die italienische Oper in Deutschland dominierte, und daß die Häupter der deutschen Kunst, dieselben, die später die ersten sein sollten sich zu emanzipieren, ausnahmslos dem Fremden tief verfallen waren. So prachtvoll die Entwicklung der deutschen Musik bei Haydn, Mozart, Beethoven und ihren Nachfolgern ist, so mag es erlaubt sein, zu bezweifeln, ob die Entwicklung dieser Musik nicht eine andre gewesen wäre, wenn die deutsche Kunst nur mit ihren eigenen Mitteln gearbeitet und nur an der Quelle des eigenen Wesens geschöpft hätte.

Von dem überwältigenden Triumph der italienischen Oper über das Deutschland des 18. Jahrhunderts ist, für Jahrhunderte, die unverwischbare Prägung des italienischen Stils und Gedankens auf dem Werk der deutschesten Meister unserer Zeit verblieben. Es würde nicht schwer sein aufzuzeigen, wie vieles in Wagners Werken italienisch ist und wie die ausdrucksvolle und melodische Sprache von Richard Strauß im tiefsten aus Italien stammt. Eine Vorherrschaft wie die Italiens im 18. Jahrhundert hinterläßt unauslöschliche Spuren im Leben der Völker, die ihr unterworfen waren.


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