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13.

Am dritten Tage redeten die Glocken der Thüringer Dorfkirchen eine ernste, hallende Sprache über die Vergänglichkeit alles Irdischen bis hinauf in die einsame Jagdhütte.

Wildrich nahm den Jägerhut ab. Drunten im Tal stellte man jetzt den schweren, prunkvollen Schrein der Prinzessin in die dunkle Gruft ihrer Ahnen, und er selbst durfte sich hier oben in Sonne und Waldluft baden. Grausam erschien ihm die Ungerechtigkeit des Geschehens. So wenig hatte er der Welt geben und in ihr leisten können, während der Name der Dahingeschiedenen als Wohltäterin in allen Herzen der Thüringer Waldleute lebte. Jetzt hätte er wohl hinabsteigen mögen, sich neben ihr letztes Bette stellen mögen: »Wir gehören zusammen.« Aber hier war es schöner. Und hier hätte sie schlafen müssen in der reinen Höhenluft, das sonnige Kind. Er stand und schaute, während die Glocken verhallten. Es hatte leicht geregnet, und die Sonne schien hinein in die Tropfen, daß der ganze Wald smaragden glänzte. Nun spannte sich ein Regenbogen über den Thüringer Wald. Man hätte wohl auf ihm hinaufsteigen können nach Walhall.

Wildrichs Waldandacht war beendet. Er ging in die Jagdhütte, reinigte Gewehr und Revolver und warf sich hinterher in seine beste Montur. Dann wollte er zum Fürsten gehen, die Gräfin Wartberg begrüßen und sich beim Oberförster melden. Als er wieder aus der Hütte trat, kam ihm der Fürst entgegen. Sybilles schöner Hund ging ihm zur Seite. Man sah es dem Fürsten an, daß ein Sturm über ihn hingegangen war. Es zuckte in seinem Gesicht, als er Wildrich die Hand reichte.

»Weidmannsheil, Eulenried! Sie waren ungesellig und haben mich allein gelassen. Allein unter hundert Menschen. Ich bin aber nicht nachträglich, – deshalb habe ich Ihnen ein Andenken mitgebracht. Grüße deinen Herrn, Waldo. Sybille hat Sie mir sozusagen vererbt. Man findet bei Frauen viel häufiger »nachgelassene« Briefe als bei Männern. – Mein Kind hat Sie sehr lieb gehabt, Eulenried.«

Wildrich vermochte nicht zu sprechen. Der Hund stand neben ihm und wedelte. Da kraute ihm Wildrich den Kopf, die Freundschaft war geschlossen.

»Ich hätte öfters hier heraufkommen sollen«, begann der Fürst wieder, »hier oben ist man wahrlich dem Weltgeist näher noch als sonst. Diese Tannenschonung ist wie ein trauliches Wohnzimmer. Wie einladend die grüne Bank dort steht!«

Er schritt darauf zu, um sich auszuruhen, blieb aber wieder stehen, denn der Blick über das liebliche Gebirge und das Tal zu seinen Füßen war überwältigend schön. Hoch atmete seine Brust in starkem Heimatgefühl. Dann setzte er sich.

In diesem Augenblick sah Wildrich etwas Entsetzliches. Ein Gewehrlauf blitzte im Gebüsch. Zwei haßerfüllte Augen sahen durch die Stämme, auf den Fürsten ... Was nun kam, geschah in einer Minute. Wildrich deckte mit dem Rücken den Fürsten. Er hob den Revolver. Zwei Schüsse krachten zu gleicher Zeit. Im Gebüsch knackten Zweige – – Wildrich fiel zu Boden. –

»Steh auf Junge, – mein Junge !!!« Der Fürst beugte sich über ihn. Wildrichs Mundwinkel füllten sich langsam mit Blut ...

Ein Pfeifchen gellte auf: »Wald in Not.« – Schwer ließ sich der Fürst neben Wildrich nieder. »Herrgott, warum?« stöhnte er. »Wildrich, mein Junge, – dein junges Leben – warum? Man braucht dich!«

Wildrichs Worte erstickten im neu hervorquellenden Blute.

So fanden die herbeieilenden Dörfler ihren Fürsten und seinen Retter. Wildrich war tot. Der Fürst hatte ihm die Augen zugedrückt und sein eigenes Halstuch über das junge Gesicht gebreitet. Er hob es jetzt fort, und die Männer zogen die Hüte. »Er war mein Sohn«, sagte laut der Fürst. »Der Verlobte meiner Tochter Sybille. Tragt ihn in mein Haus! Er hat sein Leben für meins gegeben. Ich muß erst die traurige Nachricht nach dem Eulenried bringen.«

So nahe war der Gutsherr noch nie seinen Leuten gewesen. Sie kamen alle zu ihm heran und getrauten sich, ihn mit guten Worten zu trösten.

»Der Jagdgehilfe ist nicht umsonst gestorben«, sagte bedächtig ein alter Kätner. »Was sollten mir denn ohne Ihnen anfangen, Dorchlaucht?«

Nur der Landjäger hatte sich nicht an den Vorgängen beteiligt. Der hatte mit einem Bauern das Gebüsch ringsum durchsucht. Bauer Kern war nicht der Gescheiteste, aber der Landjäger hatte ihn gern um sich, weil er verschwiegen war gegen andere, wenn er auch gern schwatzte, wo es nichts schadete. –

Nach kurzer Suche fanden auch sie einen toten Mann. Mergels Gesicht war häßlich verzerrt. Als der Landjäger sich zum Gehen anschickte, weil der Bauer sich erbot, Wache bei der Leiche zu halten, sahen sie, daß sie nicht allein waren. Anne hatte sich zu ihnen gesellt: Sie hob das Tuch nicht von dem entstellten Gesicht. »Dem Kind bin ich's schuldig, daß ich mich nicht verseh! Trag schwer genug dran, daß mein Kind einen Mörder zum Vater hat. Einmal hätt' man ihn ja doch von mir fortgeholt; schon wegen dem Steinkreuz an der Wegscheide.«

Der Landjäger faßte hart ihr Handgelenk.

»So weißt du, daß er's war?« fragte er dringend.

»Lassen Sie mich, Landjäger! Ich weiß nichts. Ich will mein Kind in Ruhe tragen ... wie man ein Kind trägt, so wird es.«

Der Landjäger ging.

»Ich schicke sofort Leute«, rief er zurück.

»Nante Kern«, sagte Anne, ich lasse dich nicht allein Wache halten. Und ich will treuer sein als der Tote und bei ihm bleiben, bis sie ihn holen.«

Bauer Kern zündete sich eine kurze Pfeife an und paffte behaglich.

»Das ist auch das erstemal, daß der Mergel still ist«, sagte er. »Und eigentlich ist's schade. Wenn er noch lebte, könnte er uns die Stunden verkürzen mit seinen Schnozeln, bis der Sarg kommt.«

Anne erschrak über diese Logik.

»Bist nicht recht gescheit, Nante Kern. Wenn der Mergel lebte, käme ja kein Sarg.«

»Da hast du sehr recht, Maidli, du warst aber auch immer die Gescheitest' in der Schul im Rechnen.«

Anne verstaunte sich wieder, aber Nante Kern, der sich ein wenig vor Toten fürchtete, wenn sie nicht im Bett lagen und man sich bei einem Glas Kranewittern in der Stube was erzählen konnte, was allemal Gespenster verscheucht, hub wieder an. »Es ist schlimm mit uns dreien hier ... Ich kann nicht zur Roggenernte, du kannst nicht zu Tanz, und der Mergel kann keinen Bock schießen.

Hör auf, Kern. Sprich lieber ein Vaterunser. Ich würd' es gern sagen, aber mir verschlägt's die Stimme. Bang ist mir.«

»Zum Vaterunser brauch ich meine Brille und den Katechismus.«

»Kannst es nicht auswendig?«

»Nein, der Pfarrer hat gesagt, es wär besser, man hätt's inwendig, als auswendig.– Aber Geschichten kann ich dir erzählen. Zum Vergraulen. Man erlebt manches, wenn man mit dem Landjäger auf Streife geht.«

Anne erhob abwehrend beide Hände, und dann ging sie davon, weil sie in der Ferne mehrere Dörfler herankommen sah, die etwas Dunkles auf ihren Schultern trugen.


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