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14.

Der Fürst sprang vom Pferde. Er stand vor dem Torbogen der Burg Eulenried.

» Nunquam retrorsum!« sagte er mit verhaltener Stimme zu seinem alten Diener, der ihn begleitete.

»Man möchte aber wohl rückwärts gehen, wenn man einem alten Vater anzeigen soll, daß der Sohn von Bubenhand erschossen wurde.«

Der alte Diener ging durch den Burghof in die Halle und meldete den Fürsten an. Da wurde die Burg lebendig.

Aber nur ein altes Dämchen erschien auf der Schwelle.

»Eure Durchlaucht selbst?« fragte Tante Hermine erstaunt und knixte tief wie in jungen Jahren.

Bewegt zog der Fürst ihre Hand an seine Lippen. »Grüß Gott, Baroneß Hermine. Ist Ihr Bruder wohl genug, mich und eine ernste Botschaft zu empfangen?«

»Wenn er nicht darniederläge, Durchlaucht, wäre mein Bruder zum Empfang gekommen. Er ist seit Tagen schwer krank.«

»Und die Frau Baronin? Ich rede mich hart. Soll ich Ihnen alles anheimgeben? Wollen Sie das Unfaßliche den Eltern bringen? Wildrich Eulenried ist tot. Von dem Wilddieb erschossen.«

Für einen Augenblick legte die alte Dame die Hand über die Augen. –

»Ich bitte Durchlaucht mit heraufzukommen. Meine kranke Schwägerin ist stark, meinem Bruder könnte es das Leben kosten.«

Der Fürst saß geraume Zeit am Fahrstuhl der Leidenden. Sie weinte nicht laut, es war nur, als sei sie plötzlich verfallen.

»Warum?« fragte sie. »Er war so gut. Und fröhlich konnte er sein, wenn ihn Schweres drückte. Damit wir anderen nicht darunter litten. Ach, ich habe ihn geboren, hatte ihn so lieb – und er ist ohne Abschied von mir gegangen.«

»Von uns allen«, sagte der Fürst. »Sie wissen wohl nicht, daß er meine Sybille lieb hatte und sie ihn. Es war eine so reine gute Liebe. Sie hat meinem Kinde die erste und letzte Freude gegeben.«

Jetzt weinte die Mutter auf.

»Wie geht man so unwissend neben den Kindern einher und hängt doch so eng mit ihnen zusammen.«

»Darf ich für seine Bestattung sorgen, Frau Schwester?« fragte unvermittelt der Fürst. »Die tapfere Tat unseres Wildrich wird ja durch alle Zeitungen gehn ...« Er stand auf. »Ich kann noch nicht ruhig darüber sprechen. Solch junges Leben. Und ich? Ich hätte viel eher abtreten können ...«

Hermine Eulenried wehrte ihm hastig. Die Mutter schwieg. Wer ist für ein Mutterherz wertvoll genug, einen guten Sohn zu ersetzen?

Der Fürst ging erregt auf und ab. Dann setzte er sich wieder. »Ich bitte um Verzeihung, daß ich aus den Fugen bin. Frauen können sich oft besser beherrschen ... Ich dachte daran, unsern Wildrich neben Sybille in unserer Gruft beizusetzen, bis eine schönere Stätte bereitet ist. Diese Kinder gehören in den Wald. Ihr Sohn Dankwart wird mit helfen, einen Platz zu suchen. Vielleicht hat auch Wildrich einmal einen Wunsch geäußert ...«

Die Tür wurde aufgerissen. Dankwart, – der ernste, besinnliche, Dankwart stürzte ins Zimmer. Er sah nichts außer dem Liegestuhl der kranken Mutter. Vor den warf er sich hin.

»Mutter! Mutter! Ich habe es eben erst gehört.« Er schluchzte. »Unser Wildrich! Der Beste von uns!«

»Ihr seid alle meine geliebten Jungen ... Aber Dankwart, dort steht der Fürst.«

Dankwart erhob sich mühsam. Straffte sich dann. »Verzeihung, Durchlaucht. Ich wußte nicht ... Und ich dachte nur an die Mutter – – –«

»Die Treue der Brüder Eulenried zueinander ist sprichwörtlich«, sagte der Fürst bewegt. »Und ich bin die unschuldige Ursache dieses Geschickes Ihrer Familie – – –«

»Das einzige, was mich mit dem Tod des Bruders versöhnt: Dem Wohltäter vieler Menschen hat er das Leben gerettet ...«

Der Fürst trat an den Stuhl der Kranken. »Entlassen Sie mich verehrte Baronin. Ich will an Ihren Thassilo telegraphieren, habe so viele Leute zur Verfügung. Will ihm auch schreiben. Wir Nachbarn gehören eng zusammen.«

Er winkte mit der Hand zurück. Dankwart begleitete ihn stumm bis zur Burgpforte. Auch oben im Zimmer der Mutter saßen sie ohne erneuten Schmerzausbruch still beisammen.

»Ich brauche alle meine Kräfte für Euren Vater«, sagte still die alte Dame. »Und ich fürchte mich ein wenig vor ihm. Aber nur ich kann ihm die Botschaft überbringen.«

»Schick mich hin, Mutter. Ich will ganz gute, demütige Worte sagen, wenn er aufbraust. Für dich ist das ja alles zuviel.«

»Und mich laßt ihr sitzen wie Trumpf Sechs«, grollte Tante Hermine. »Er ist mein Bruder. Aber ich will gar nicht zu ihm, laßt ihn jetzt schlafen. Wir wollen alles Traurige in Ruhe erst besprechen.«

»Weißt du Näheres, mein Junge? Und wo ist deine liebe Frau?«

Er lächelte ein wenig. »Sie ist echtes Bauernblut, Mutter, und sie ist praktisch. Sie sagte: ich braue Euch einen guten Kaffee, das ist jetzt das Nötigste. – Haltet sie nicht für teilnahmlos, sie ist für praktisches Christentum. Nachher will sie euch alles bringen, und ihr Frauen werdet euch gegenseitig trösten, gelle, Mutterle?«

»Willst du schon gehen, Dankwart?« Denn er hatte sich erhoben und abschiednehmend ihre Hand gedrückt.

»Ja, Mutter! Ich brauche Arbeit. Und es ist Erntezeit. Vater Kreihorst hat mir versprochen, keine Rücksicht auf mich zu nehmen. Sie arbeiten alle wie treue Knechte, Vater an der Spitze ...«

»Geh, Dankwart. Wir trauern alle am besten in der Arbeit.«

»Dank dir, Mutterle!«

Einen kurzen Aufschub schien er draußen zu haben, dann öffnete seine Hand ritterlich die Tür, und Elisabeth Eulenried brachte ruhig und geschäftig zugleich die belebende Atzung herein.

»Braves Kind«, sagte Tante Hermine anerkennend und schenkte gleich ihre Tasse voll. »Du bist der Tischler, der uns leimt.«

Nun klopfte es mehrmals an die Tür. Die Mamsell erschien zuerst, wortreich und doch trostbedürftig. Dann kamen die Knechte, die Frauen, – – sie hatten alle den »freundlichen jungen Herrn« geliebt auf ihre Art. Als sie anfingen auf den Mörder zu schimpfen mit harten Augen und derben Worten, schob Tante Hermine sie energisch hinaus. »Erntezeit! Tut eure Pflicht, wie es unser Wildrich tat. Einem guten Vorbild nachzueifern ist das beste, was einer tun kann. Wir danken euch herzlich für die Teilnahme. Aber randaliert wird hier nicht. Schert euch hinaus!«

»Das gnädige Fräulein weiß immer gute Worte«, der Oberknecht. Und schönen Dank, daß Sie draußen nach Feierabend ein so scheenes Abendbrot haben auffahre lassen. Das hält Leib und Seele zusammen. – Hatje für heute!«

»Warst du nicht zu hart, Hermine?«

»Hart? Denk nicht dran. – Ich wollte nur nicht heulen. Hast ja gehört, wie der Oberknecht mich versteht. Vierzig Jahre ist der Andres bei uns. Der ›kennet mich und meine Schwächen, und weiß, was Gutes in mir lebt und glimmt.‹ – Kind, der Kaffee ist gut!«

Brief von Illo Eulenried!

Meine Lieben auf der Burg, ich höre immer Eure guten Stimmen: »Wie mag es im Illo aussehen, der seinen besten Freund verlor?« Ja, das war mein Wildrich. Und ich finde nicht das geringste Trostwort, weder für Euch, noch für mich. Wildrich tot. Wie das brennt! Unerträglich. Das Brieftelegramm des Fürsten – so väterlich gut ... Mutter – ich kann jetzt nicht zu Euch kommen. Hörst Du, Mutter? Wenn mein Wildrich zu Grabe getragen wird, kann ich ihm nicht die letzte Ehre geben. Mutter, hörst Du? Und verstehst Du mich? Ich kann den Meister nicht verlassen. Das ganze Haus ist krank, außer der Muhme Konkordia und mir. Der Meister in hohem Fieber, das Englein desgleichen, der Kaspar schon im Krankenhaus. Diese unersetzliche Kraft. Mutterle, lieber Vater, meine Pflicht ist hier. – Was heißt das viel: »Die letzte Ehr antun?« Mancher hat seinem lebendigen Bruder niemals eine Ehr angetan, aber zum Toten läuft er. Wir Eulenriedbrüder aber haben allzeit füreinander eingestanden. Eine Handvoll Erde wirf ihm, mein Dankwart, auf den Sarg und sagt still: »Vom Illo!« Wie oft haben wir uns als »Jungs« mit Steinen geworfen, – – aber die Erde ist leicht, wenn auch unser Thüringen schweren, fruchtbaren Boden hat, – sie wird ihm nicht weh tun. – – –

Herrgott, der Wildrich!!!

Meister Distelfink ist auf den Tod krank. Aber er lacht über das ganze Gesicht und verzerrt es zum Bangewerden, wenn er mich sieht. Das heißt soviel wie: »Das ist ja mein Illolehrling, der verläßt mich nicht!« Angina hat er, und die Grippe, die sich in Eisenach als »Frau Epidemie« niedergelassen hat. – Und das »Englein« – so erzählt mir Muhme Konkordia, hat im Fieber phantasiert:

»Illo, geh nicht fort, bleib bei mir!«

Die Muhme setzte tröstlich hinzu: »Da, das hat nichts auf sich, weil sie nicht bei Verstand ist.«

Meine liebe Burg Eulenried mit allen geliebten Eulen drin, ich grüße Euch zu tausendmalen. Und setze mich zu meiner Erbuhr, deren einzelne Teile vor mir liegen. Nunquam retrorsum steht an unserm Tor.

Ihr wißt, was ich damit meine.

Gott befohlen!

Euer Illo.

Da war ein wunderguter Platz im Thüringer Walde, nahe der fürstlichen Waldkapelle. Ein Granit-Kreuz erhob sich. »Ich will Dich segnen, und du sollst ein Segen sein.« Hohe Tannen standen rings im Kreise. Zwei zusammengewachsene Birken schirmten mit tief herniederhängenden Zweigen zwei frisch ausgehobene Gräber. – Viele Menschen wallfahrten vorüber. Neugierige Menschen und tieftraurige. Manche saßen auch auf der grünen Bank und weinten schwer. Nur die aberhundert Vögel in den Zweigen ringsum jubilierten und sangen aus voller Kehle. Weil sie wissen, wie gut es sich im Thüringer Walde ruht.


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