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Der Jakob flüchtete sich wieder und wieder zur Arbeit. Es war ein Glück, daß sie drängte und ihm nicht Zeit ließ für sein Herzweh. Das Feld mußte geackert, der Garten gedüngt, die Wiese bewässert werden. Das Schneewasser im Frühjahre schießt rasch ab, reißt manchmal ein Stück Erde mit sich, dann kommt auf die Lehnen der Sonnenbrand und so ist heute zu viel Wasser und morgen zu wenig. Auf die aperen Matten wurde das Vieh getrieben, kaum die ersten Halmchen sproßten, denn die winterlichen Futtervorräte waren fast allemal aufgezehrt, bevor der Lenz sein frisches Grün gab; da mußten die Rinder Reisig und Moos kauen und wenn sie endlich ins Freie kamen, waren die Tiere so armselig, daß sie kaum hinsteigen konnten an den Lehnen, daß manches Stück abrutschte und die Beine brach.
Und doch hieß ein neues Schlagwort zu Altenmoos: Viehzucht auf, Feldbau nieder! Der Jakob konnte sich nicht entschließen, in seiner Bewirtschaftung eine Änderung einzuführen, er liebte seine Felder, an ihnen hing sein Herz und ihre Bearbeitung war ihm ein Gottesdienst.
Wenn er als Säemann über die Schollen schritt und die Körner ausstreute in das Erdreich, da geschah es in ernster, fast feierlicher Weise, als begehe er eine heilige Handlung. Und dann begann sich vor seinen Augen allmählich das Wunder der göttlichen Liebe zu vollziehen. Dieser Mensch mit seinem Kummer, mit seiner Hoffnung, mit seinem stillen Weh wußte sich nichts Besseres, als die Auferstehung des Samenkorns zu sehen. In friedlicher Feierabendstunde, wenn er allein, mutterseelenallein auf dem Steinhaufen saß, erging er sich in heiligen Betrachtungen.
In braunem Schimmer liegt das weite Feld, die Lerchen blasen Posaunen und in zarten rötlichen Lanzen stehen die Toten auf und schauen gegen Himmel. Dann hebt es an zu grünen und die schmalen Blättchen winden und biegen sich noch einmal bodenwärts, als neigten sie ihr Ohr der Mutter Erde, auf daß diese ihnen gute Lehr' mitgebe für das Leben. Dann streben sie empor, schweifen sich in Rinnchen, rollen sich in Scheiden, aus welchen sachte der Halm und das innere Wesen des Kornes hervorsteigt. Am Feste der Himmelfahrt des Herrn gucken auch im Gebirge schon die Ähren himmelwärts, als wollten sie dankbar liebend nachblicken dem, der sie wachrief und der einst kommen wird, um auch die Menschensaat aufzuwecken auf dem Kirchhof.
Das Kornfeld wallt im Frühsommerwinde wie ein bläulichgrüner See und die leichten Schatten der Wolken gleiten anmutig darüber hin. Und der einzelne Halm, jetzt ist er am schönsten. Die vierreihige Ähre, in welcher die noch zarten Körner schuppenartig nach aufwärts übereinander ruhen, steckt überall, wo ein Körnchen in der Wiege liegt, ein Fähnlein heraus, die Blüten, die ohne Unterlaß zittern und schaukeln, während der hochgewachsene Halm bedächtig hin und her wiegt. Zu dieser süßen Zeit bewahre uns der Himmel vor Stürmen! Und auch vor Regen, durch den die Sonne scheint, solcher züchtet den Mehltau. Nasse Zeiten erzeugen an den Ähren Auswüchse, für die der Name »Mutterkorn« viel zu schön ist. Die himmelanstürmende Jugend hat bald ein Ende, das Leben des Kornes steht im heißen Sommer, es bleichen seine Haare; zwar fühlt es seine Kraft und seinen Wert und senkt dennoch in Demut sein Haupt vor dem, der Kraft und Wert ihm gegeben hat.
Tiefer im Halmwald wuchert das distelige Donnerkraut, die schmarotzende Quecke, der scheinheilige Lolch und allerlei struppiges Gesindel und loses Volk, das in seinem Schatten erstarkt und an seinen Wurzeln zehren möchte. Da ist auch die buhlerische Kornrade, deren Samen später das Kornmehl wenn schon nicht schamrot, so doch schmutzig blau macht. Da ist das Irrlicht der Mohnblume und die holde, patriarchalische Kornblume, in der viele Krönlein eine einzige Krone bilden.
Manchmal, wenn ein schweres Gewitter Altenmoos durchtobte, stand der Jakob unter dem Dachvorsprunge seiner Haustür und schaute ruhig und ergeben hinaus. Der Mensch kann nichts ändern, Gott ist der Starke, wozu das Zittern und Klagen! – Es lichtet sich, das ganze schon fast reife Kornfeld ist niedergeworfen. Der Jakob sagt: Gott Lob und Dank! denn es ist kein Eis gekommen, alle Halme liegen in gleicher ebener Schichte auf der Erde, keiner reckt ein Knie auf. Der schwere Regen hat das Korn niedergelegt, der nächste Luftzug lockert und hebt es wieder empor. – Es sind aber Jahre, wo es sich nicht hebt, wo immer wieder Regen und Regen das Korn zu Boden drückt, da gewinnt das fremde Gesindel darin die Oberhand, es steigt zwischen den liegenden Halmen hervor, flicht ein Gitter obenhin und hebt ein gottloses Blühen und Flunkern an über dem gefangenen Korn.
Wenn jedoch Gott Regen und Sonnenschein gibt zu rechter Zeit, wie es die Bittgänge erflehen, dann ist es herrlich. Kräftig und schlank stehen die Schäfte von Knie zu Knie empor; die lanzenförmigen, dunkelgrünen Blätter, die anfangs geherrscht, sind fast verschwunden, in hohen Bogen senken die Halme ihre schweren Ähren, die das Samenkorn dreißig- und vierzigfach wiedergeben, und der eine legt sein goldiges Haupt auf die Achsel des anderen. Zur Tageszeit in der Sonnenglut, zur Nacht an den Strahlen des Mondes, der Sterne, der glimmenden Johanniswürmchen, so reifen sie dem Tage der Garben entgegen.
Endlich kommen die Schnitter. Jedes Korn ist bewaffnet mit einem scharfen Speer zu Schutz und Trutz, aber der Schnitter weicht nicht vor den feinzähnigen Gräten, welche des Arbeiters Hand an der Ähre nicht von oben hinab, doch wohl von unten hinauf gleiten lassen – immer aus Niedrigem dem Hohen zu.
Wenn dann der Jakob, der bei dem heißen Tagewerk der erste und letzte ist, spät abends unter einem der Kornschöber auf dem Felde ruht, kommt wieder das Träumen. Der Duft der Blumen und Gräser ist sein Schlaftrunk; noch sieht er das Hüpfen eines munteren Heuschreckleins, hört das fortwährende Rieseln des Grillengezirpes – dann ist nichts mehr. Jakob sieht in Gegenden, wo kein blauer Wald ist und keine grüne Wiese, und keine Felswand und kein klares Wasser mit Forellen. Da ist nichts, als ein gelbes Meer, soweit das Auge fliegt ein unabsehbares Kornfeld. Darüber ein wolkenloser Himmel, der schwer und lodernd ist und dem Jakob aufs Herz drückt. Da kommt es ihm zu Sinne: Bete das Tischgebet, solche Gegend ist der Tisch eines großen Volkes. Jene, die im Gebirge wohnen, sollen Holzbau und Viehzucht treiben und das Brot des Kornes an diesem Tische holen.
Jakob erwacht, richtet sich auf an den Garben und sagt vor sich in die Nacht hinein: »Es wird ja so sein müssen. Aber schön und am allerschönsten ist das Kornfeld doch, wenn es zwischen Wäldern und Wiesen liegt, und ein Daheim, wenn es ein rechtes Daheim ist, sollte seinen Kindern alles geben, alles, was sie brauchen, Korn und Gras und Wasser und Kraut und Flachs und Holz.«
Und die Erde ist zu Altenmoos nicht weniger mächtig als anderswo. Ist im Herbste die letzte Garbenfuhr der Scheune zugewankt, so kommt ein armes Weib und sammelt auf dem Stoppelfeld die zerstreuten Halme. Dann werden noch die Rinder darauf geweidet, es sproßt feines Gras, aber die Tiere müssen sich mit jedem Mundvoll einen Stoppelstich gefallen lassen in die Schnauze. Endlich kommt vielleicht noch einmal der Pflug, der dem Acker immer noch nicht Feierabend gönnen will, aber der Winter sagt: es ist genug, und senkt seine weiße Decke über das müde Feld.
Auch unter der Decke ist noch kein Rasten. Es war beim Ernten ein Körnlein aus der Garbe gefallen, die Scholle nimmt es auf, läßt es still verwesen und gibt es im nächsten Lenze neu verjüngt wieder zurück ans Sonnenlicht. –
In solchen Betrachtungen, in denen er wie auf einer Jakobsleiter zwischen Erde und Himmel auf und nieder stieg, ergötzte und erbaute sich der einsame Mann auf dem Reuthofe. Dann zog ein Schatten über sein Gemüt und da sagte er einmal zu sich selber: »In Gottes Namen, Jakob, wenn es sein muß, willig magst du dich anvertrauen der treuen Erde. Vielleicht stehst auch du wieder auf und findest in Altenmoos eine bessere Zeit.«