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Nun kam eine üppige Zeit. Fleisch gab's im selbigen Sommer.
Die braune Kalbin hatte sich gefunden. Im Dreisamschachen war sie gelegen mit durchschossenem Halse. Der Jäger hätte sie wahrscheinlich für eine Hirschkuh gehalten, meinte der Jakob.
»Halbnarr!« rief der Pechölnatz, »Hirschkühe schießen – ein Jäger! zu solcher Zeit!«
»Darum eben hat er meine braune Kalbin erschossen«, sagte der Jakob bitter, »wirst in keinem Jagdkalender lesen, daß des Bauern Kühe Schonzeit haben. Ist durch den Zaun gebrochen, hat Kampelherrisches Gras gefressen, oder gar ein Bäumel, das gottlose Vieh. Natürlich tut er seine Pflicht und Schuldigkeit, der Herr Förster, und pfeffert sie nieder. Wenn er streng sein will, muß ich ihm auch noch das Pulver zahlen, dem Herrn Förster.«
»Daß sie uns aber schon gar alles antun, etzund! »rief der Natz aus. So möcht' ich doch wissen, ob das recht ist vor Gott!«
»O Kind, was kümmert sie Gott!«
»Oder ob das dem Kaiser recht ist, daß sie den Bauernstand so mit Gewalt zugrund' richten!«
»Mein lieber Natz«, sagte der Jakob, der Kaiser ist weit weg!« –
Die Kalbin schroteten sie in kleine Teile, die sie dann in den Rauchfang hingen. Nach Wochen huben sie an und aßen an jedem Tage, wenn nicht Fasttag war, zum Mittagsmahl davon jedes ein Stückchen mit Mehlklößen und Grubenkraut. Das hätte er sich nicht träumen lassen, der Jakob, daß er dem Jäger je einmal soviel gute Bissen sollte zu verdanken haben. Wird ihm's nicht vergessen. –
Mitten im Sommer war's, als auf einmal nach Altenmoos der Befehl kam, die Leute sollten Stroh und Hafer liefern nach Krebsau, für durchmarschierendes Militär.
Die Leute in Altenmoos! Das war der Reuthofer. Die wenigen anderen hatten weder Stroh noch Hafer. Nun, der Jakob spannte Rinder ein und schleppte den verlangten Hafer und einen Bund Stroh hinaus. Das Stroh war den Herren zu wenig; der Jakob sagte, er habe nicht mehr, das andere stünde noch in Halmen auf dem Felde. Wenn sie darauf warten wollten!
Warten könnten sie nicht. Er habe das fehlende Stroh in Geld zu entrichten.
Der Jakob weigerte sich nicht.
Die Gegend war in Aufregung. Die Landstraßen voll Militär. Stundenlang waren die Züge der vorüberziehenden Reiterei, der Nahrungs-, Gewandungs- und Gerätewägen, der Geschosse mit Bedeckung in unabsehbaren Reihen. Mit funkelnden Waffen, wehenden Fahnen und lustigem Spiel ging's der Grenze zu. Krieg! Die Häuser waren beflaggt; Volk kam herbei aus allen Tälern, besonders solches, das sicher war, nicht mitziehen zu müssen. Aufrufe erschienen, vom Monarchen an seine Völker. Vaterlandslieder erklangen. In den Wirtshäusern versammelten sich die Leute, führten mutige Reden, schrien »Hurra« den Soldaten entgegen und veranstalteten muntere Gelage im Freien. Es war wie ein großes Volksfest im ganzen Lande. Natürlich, und zum Feste wird geschlachtet!
Den größten Spaß hatten die Weibsleute. Man weiß ja, wenn das Weibsbild einen jungen Kerl auf dem Pferde sieht! Und hier ritten ihrer hunderte und tausende solcher Kerle daher, die Schnurrbärte aufgespitzt, stachen sie mit ihren feurigen Augen auf die Dirndeln herab oder warfen ihnen die Küsse handvollweis zu. An Raststationen war's noch schöner. Die meisten der Reiter sprachen gar nicht Deutsch, aber schmunzeln und schäkern und herzen konnten sie sehr verständlich. Was soll das Schwatzen und leidige Anfragen?
»Wenn man sich einen dabehalten kunnt!« war der Stoßseufzer einer Krebsauerin. »Zum Derschossenwerden ist es eh schad' um sie.«
Besonders wichtig gab sich um diese Zeit der Kampelherr, der unweit Krebsau ein Sommerschloß besaß. Es war mit großer Herrlichkeit ausgestattet und auf dem Turm wehte in schweren langsamen Schwingungen eine riesige Fahne. Alle seine Häuser, die an der Straße standen, ließ der Kampelherr mit Fahnen bestecken über und über, aus allen mußte man den vorüberziehenden Truppen mit weißen Tüchern zuwinken. Die Soldaten bewirtete er mit Wein, Brot und Zigarren. Den Offizieren stellte er seine Galawägen zu Diensten, lud sie zur Tafel, trank mit ihnen schäumenden Wein auf das Wohl der Armee und des obersten Kriegsherrn. Die zwei heranwachsenden Töchter des Hauses – Söhne waren keine – stickten den Offizieren Kronen und Blumen in die Sacktücher und überall zeigte sich der Patriotismus.
Etliche Bergbauern drückten einmal ihre Verwunderung darüber aus, daß der Kampelherr vierspännig fahre.
»Das macht nichts«, bemerkte darauf der Jakob, »mein Heu fährt auch vierspännig die steile Leiten herauf und ist doch nur Heu.«
»Geh', geh'«, rief ein anderer, »Reuthofer, du hast immer was gegen den Kampelherrn.«
»Weil er unser Unglück ist«, sagte der Jakob.
Zu Krebsau huben die Frauen an, Leinwand zu zupfen und Verbandzeug zu sammeln für die verwundeten Krieger. Mittlerweile kamen neue Soldatenaushebungen, auch der Florian vom Steinhäusel mußte fort. Die Abgaben an Naturalien und Geld steigerten sich von Tag zu Tag. Wer Wägen hatte, der mußte sie für den Transport hergeben, wer Pferde hatte, mußte sie stellen. Der Guldeisner war glückselig, daß jedes der Rösser, mit denen er handelte, krumm oder halbblind oder sonst zuschanden gerackert war, so blieb er verschont. In den Wäldern wurden alle Holzarbeiten eingestellt, in den Fabriken alle Arbeiter entlassen. Die sonst nicht pflichtig waren, ließen sich als Freiwillige anwerben, tranken sich Trotz und zogen mit Gesang und Gejohle davon. Manche Maid blickte ihnen nach mit rotgeweinten Augen. Den Männern aber waren die Herzen geschwellt. »Der Krieg ist jetzt lustiger als die Liebe!«
»Es gibt kein schöneres Leben auf dieser Welt zu finden«, schlug einer an, da sie fortzogen auf der Straße durch das Freisingtal. Alsbald stimmten auch die anderen im Marschtakte mit ein:
Es gibt kein schöneres Leben Auf dieser Welt zu finden, Als das Soldatenleben. Mit Säbeln und mit Flinten Wohl in das Feld marschieren, Ins Feindesland hinein, Frisch vorwärts in das Wettern Und in den Sonnenschein. Halb rechts, halb links, grad aus, kehrt euch! Ich hab' ein' kleine Hütten Dem Feind entgegeneilen, Bekommt man einen Schuß, Wann ich gestorben bin, Mein Mädel, das ich liebe, Dann schreibt man auf den Stein: |
In munterem Klange hatten sie das Lied gesungen und dabei die Beine flink ausgesetzt. Der Pfarrer von Sandeben, der seitwärts auf seinem Acker stand, hörte den Gesang und dachte bei sich: Ein Loblied auf die Menschenniedermetzelung! Dieses Geschlecht – wie unselig!
In der Welt ging es heiß zu. »Die Trompeten hört man blasen wohl draußen auf freiem Feld...!«
Anfangs kamen laute Siegesnachrichten, dann vergingen stillere, bange Wochen.
In der Pfarrkirche zu Sandeben wurden Betstunden gehalten für Kaiser und Reich. Gott ward angerufen als Herr der Heerscharen. Zu solchem Gebete war auch der Jakob einmal herausgekommen aus seinen Wäldern. Mit der ganzen Innigkeit des Vaterherzens flehte er um Schutz für seinen Friedel.
Nach dem Gottesdienste wurde er in das Gemeindeamt beschieden.
Der Vorsteher lud ihn sehr freundlich ein, Platz zu nehmen und kramte eine Weile unter den Papieren herum. Dann hielt er einen zusammengefalteten Bogen in der Hand und sagte:
»Mein lieber Reuthofer.« Blieb stecken und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Der Jakob schaute ihn an.
»Ich hab' dir heut' halt keine gute Botschaft zu bringen«, fuhr der Vorstand fort.
»– – Der Friedel?« fragte der Jakob leise.
»Mußt dir denken, es hätte ihn auch daheim was treffen können«, sagte der Vorstand, »eine böse Krankheit, oder so was. Der Hirschersohn ist unter die Mühlräder gekommen und hat ein schreckbares Ableiden gehabt. Von dem Schögel im Tal seinem Buben weißt eh. Zur ewigen Schand' und Schmach für den ganzen Stamm. – Dein Sohn ist als Held gefallen. Für Kaiser und Vaterland!«
Der Jakob knickte in sich zusammen und sagte: »Ich hab' mir's gedacht, ich hab' mir's gedacht...« Dann verdeckte er sein Gesicht mit den Händen. So kauerte er da und ein heftiges Schluchzen schütterte seinen Körper. Der Gemeindevorsteher schaute lange auf ihn hin, endlich legte er ihm die Hand auf die Achsel und sagte: »Jakob!«
Zu den offenen Fenstern klangen die Glocken heran.
»Jakob«, sagte der Vorsteher, »sie läuten. Das ganze Dorf gedenkt seiner zu dieser Stunde und betet für ihn. Das ganze Dorf teilt jetzt mit dir das Leid, sie haben ihn alle gern gehabt. Und können stolz sein auf ihn.«
»Ich hab' mir's gedacht«, stöhnte der Jakob.
Nach einer Weile, als die Glocken abgesetzt hatten, sagte der Vorstand: »Hier ist ein Brief, der schreibt, wie er gefallen ist. Eine weißgrüne Korpsfahne war in Gefahr, haben hart um sie gerungen. Da stürzt sich der Friedrich Steinreuter in den Kampf, die Fahne ist gerettet, aber der Steinreuter hat Blei in der Brust und sinkt zu Boden. – Da steht's, lies es selber.«
»Weißgrüne Fahne! Heimatland!« sagte der Jakob. Es war wie ein Aufjauchzen, ein emporspringender Herzblutquell, in den die Sonne strahlt.
Dann wurde er allmählich ruhiger, tat einen schweren Atemzug und sagte: »In Gottes Namen!«
Hernach stand er auf, ging still und gebeugt davon.
Der Gemeindevorsteher blickte ihm nach und dachte: Armer Mann! Alles zu opfern fürs Vaterland, alles! Und so schutzlos und verlassen dastehen in diesem Vaterlande! An Heimatsliebe untergehen in der Heimat! –
Im Reuthofe hatte sich ein großes Klagen erhoben. Und als der alte blödsinnig gewordene Luschelpeterl auf seiner Ofenbank dadurch beunruhigt sich erkundigte, warum die Leute so närrisch hin und her liefen und weinten, und als er es erfuhr: Der Friedel sei erstochen worden! da tat er vor Überraschung einen hellen Pfiff und lallte: »Na, ist recht, ist recht, so ist er glücklich drüben!« Und versank wieder in seinen Halbschlummer.