Peter Rosegger
Jakob der Letzte
Peter Rosegger

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Im Gottesfrieden

Jakob legte sich in derselben Nacht wohl zu Bette, aber die Lider sanken ihm nicht.

Am nächsten Morgen, als der Guldeisner im Hofe umherstolperte und knurrend nach dem Reuthofer fragte, um ihm noch einmal zu sagen, daß er ein dummer Bauer sei, war der Jakob nicht zu finden. Der alte Sauertopf, dem die Welt heute lange wieder nicht so drollig vorkam als gestern bei dem Apfelwein, mußte unverrichteter Sache weiter ziehen und den »dummen Bauern« in seinem eigenen Kopf verschimmeln lassen.

Der Jakob war auch nicht zu finden, als der Natz die Ochsen an den Pflug spannte, um damit auf die Herbstbrache zu fahren. Der Jakob tat, als wäre auch heute noch Feiertag, er strich an den Rainen hin, ging in den Schachen und auf die Au und wieder zurück am Rain, die Hände hatte er am Rücken und das Gesicht hielt er zu Boden gewendet. Voller Demut in Freud' wie in Kummer!

Um die Mittagszeit saß er auf dem Steinhaufen und schaute sinnend den tanzenden Mücken zu. Zwischen dem Ahorn und dem Sauerdorn quer durch fiel ein Sonnenstrahl und in ihm tummelte sich kreisrund ein Mückenschwarm. Ein kaum hörbares Summen war, sonst alles in tiefster Ruh'. Über der Gegend lag ein blauer wässeriger Sonnenäther, durch den die Bergzüge nur in blassen Umrissen schimmerten und der jeden Augenblick bereit schien, sich in Herbstnebel zu verdichten. Über einige Bergkämme wälzten sich jetzt bleigraue Nebelballen herein. – Kein Lufthauch, kein Vogelsang, kein Zirpen der Heimchen. Daß es gar so still sein mag in solchen verlorenen Herbsttagen! Gar so herzbeklemmend still!

Der Natz sah den Jakob sitzen und ging hinauf.

»Ist dir was, Bruder?« redete er ihn an.

Der Jakob überhörte die Frage.

»Ist's nicht, daß wir die Ochsen auf die Eicht (Futterweide) treiben sollen?« fragte der Natz.

»Die Ochsen verkaufe ich«, antwortete der Jakob.

»Und spannen wir zwei uns nachher selber an den Pflug?«

»Der Pflug kann stehenbleiben«, sagte der Jakob.

»Was soll denn das werden?« fragte der Natz.

»Ich reise nach Amerika«, antwortete der Jakob.

Der Natz blickte ihn erschrocken an und wußte lange nicht, was da zu sagen war.

»Bruder Jakob«, sagte er endlich ganz weich und zärtlich. »Du gefallst mir nicht die letzte Zeit her. Du sollst einen Arzt fragen.«

Da las ihm der Jakob den Brief vor und als dieser zu Ende war, saß der Natz mit gefalteten Händen da und war ganz starr.

»Ich reise hinüber«, sagte der Jakob.

Der Natz saß da mit gefalteten Händen. Eine lange Weile so, dann räusperte er sich und sagte: »Jakob! Wenn du ins Amerika gehst – dort wirst nit lang leben.«

»Ich will ja nicht dort bleiben. Ich will nur meine Leute herüberholen in das Altenmoos.«

»Herüberholen? Das müßte man wohl gut überlegen. Etwan geht es ihnen drüben besser als uns herüben. Dort geht's aufwärts, bei uns geht's abwärts.«

»Und ich hole sie doch herüber«, sagte der Jakob. »Es ist eine Sendung Gottes. Es kann nicht sein, daß das Altenmoos ganz sollt' zugrunde gehen müssen, es kann nicht sein.«

»Wenn ein Gott im Himmel ist, so kann er dein festes Glauben und Vertrauen auf Altenmoos nicht zuschanden werden lassen«, sprach der Natz.

»Es ist Einer im Himmel!« sagte der Jakob.

– Der Natz war still. Sein Auge richtete sich auf das Feld hinaus. Dort mitten im reifen Haferfeld graste ein Reh.

»Pst! Bruder, rühr' dich nicht!« flüsterte er mit gehobenem Finger.

Unten im Hofe mußte es auch schon bemerkt worden sein. Von dort herauf schlich hinter den Büschen mit gekrümmtem Rücken der Ferdinand und brachte das Schußgewehr.

»Ist es geladen?« fragte der Jakob, nach der Flinte langend.

»Scharf«, sagte der Ferdinand und hastete wieder hinter den Büschen davon.

Der Jakob schlich an. Am Feldrain ließ er sich auf ein Knie nieder, richtete das Rohr zwischen den Halmen durch auf das Tier, das ahnungslos im Hafer stand und die Rispen von den Halmen biß.

»Halt!« rief es vom Erlenstrauch her. »Bauer, jetzt hab' ich dich!«

Der Waldmeister Ladislaus kauerte dort und fuhr mit dem Schafte seines Doppelstutzens gegen die Wange. Der Jakob hielt seine Flinte fest und als er sah, daß gegen ihn gezielt wurde, wendete er sein Rohr.

»Das Gewehr weg!« schrie der Waldmeister.

»Tust du's, so tu ich's auch«, antwortete der Jakob und blieb in seiner Stellung.

»Das Gewehr weg oder ich brenne dich nieder.«

»Ich wehre mich«, sagte der Jakob und beide Feuerrohre waren gegeneinander gerichtet.

»Reuthofer, ergib dich!«

»Lieber sterben!« sagte der Jakob; hart an seiner Wange pfiff die Kugel vorüber – da drückte er los. Mit einem gellenden Schrei sprang der Waldmeister Ladislaus auf – und stürzte mitten im Gebüsche zu Boden...

»So. Jetzt bin ich fertig«, sagte der Jakob, warf die Flinte weg und faßte mit beiden Händen sein Haupt. – Eherne Stille, drei Augenblicke lang. Dann brach es los aus seinem Munde: »Mörder! Mörder! So muß es enden! So muß es enden!« – – –

Jetzt war auf bebenden Füßen der Natz herbeigeeilt, um den davonstürmenden Jakob zu halten. Der versetzte ihm mit der Faust einen Schlag und hub an zu springen – zu springen wie ein verfolgter Hirsch. Am Rain sprang er hin, am Feldhang sprang er hin, über die Matte sprang er abwärts gegen die Waldschlucht.

Der Natz eilte ihm nach und rief: »Jakob! Jakob! So bleib' doch stehen, ich bin ja der Natz.«

Jener blieb nicht stehen. An den Ufern der Sandach – einmal am rechten, einmal am linken, oder auch mitten im Bache – liefen sie dahin. Noch sah der Natz den Fliehenden zwischen Busch und Baum, bald entschwand er ihm und der Alte brach endlich vor Erregung und Erschöpfung zusammen.

Nach einer Weile kam er wieder zu sich. »Ist es?« fragte er sich, »oder ist es nicht? Der Jakob hat den Waldmeister erschossen.« – Er raffte sich auf, um dem Flüchtling neuerdings nachzueilen. Zwischen Haselnußgebüsche mußte er sich winden, zwischen Erlenstauden, zwischen Himbeer- und Brombeersträucher. Sand- und Steinhalden kamen und auf dem Sande die Spur eines Menschenfußes. Der Natz rief und rief nach dem Jakob, bis er nicht mehr rufen konnte. Und schritt weiter und wankte und schritt weiter. Große Felsblöcke, von den Bergen niedergebrochen, lagen in der Schlucht und waren von Wildfarn und Schierling umwuchert. Die Augen des Natz suchten, ob er nicht irgendwo sitze. Jetzt galt's den Steinwall zu überklettern, der Alte tat's, dann kam der stille Grund, wo das Wasser war. Senkrechte, finstergraue Felsen zu beiden Seiten. – Hier werde ich ihn einholen, dachte der Natz, denn hier kann er nicht weiter. Den Ladislaus soll er umgebracht haben? Wer sagt denn das? Ist ja gar nicht wahr. Der Jakob, der keinem Käfer was zuleide tun kann, wird den Förster umgebracht haben! – Geschossen! Aus Notwehr, es mag ja sein, aus Notwehr schießt jeder, wenn er das Rohr gegen seine Brust gerichtet sieht. Ich oder du. Natürlich! Aber getroffen hat er nichts. Der Ladislaus, dieser falsche Mensch, hat sich nur verstellt, ist nur gefallen, weil er den zweiten Schuß gefürchtet hat. Jetzt wird er aus sein und die Schergen holen. Das ginge gut, die Schergen! Die sollen lange suchen, der Wald ist groß, der Steinhöhlen sind genug und der Jakob ist unschuldig. Sind ihnen Rehe und Hirschen nimmer genug, müssen auch noch Leut' hetzen. Notwehr war's, es kann ihm nichts geschehen. – »Jakob! »schrie er noch einmal. »Jakob! So gehe doch herfür. Ich bin's! der Natz! Es ist nichts. Du triffst schandbar schlecht. Einen dummen Spaß hat er gemacht, der Waldmeister. Geh' her, wir lachen darüber, Jakob!«

Der Jakob ist nicht mehr gekommen.

Der ist gelegen mitten auf dem tiefen grünen See und hat sich langsam um sich selbst gedreht.

Dahier im Gottesfrieden, auf der stillen Wasserfläche ist der Jakob Steinreuter auf der Bahre gelegen einen ganzen Tag – das Antlitz gegen Himmel gerichtet, weit offen das gebrochene Auge.

Dann kamen die Amtspersonen aus Sandeben und aus Krebsau und von weiter her. Jetzt kümmerte sich alles um den Jakob Steinreuter. Protokoll um Protokoll wurde aufgenommen, der alte Natz saß stundenlang vor dem Verhör und sagte aus, was er gesehen und gehört hatte.

Die Leiche des Oberförsters und Oberjägers Ladislaus wurde mit Gepränge hinausgetragen auf den Kirchhof des Pfarrortes. Der Mörder und Selbstmörder wurde verscharrt in der Hochschlucht, genannt: Im Gottesfrieden. Die erste Nacht, da der Jakob ruhte in seinem Sandgrabe unter dem Felsen, war der treue Natz bei ihm und wachte. Hoch im Gewände schimmerte das Mondlicht und von fern her donnerte der Wasserfall. Der Alte saß auf einem Stein und redete halblaut auf den Grabhügel hin:

»Feierabend gemacht, Reuthofbauer! Hast recht. Auf dieser Welt ist nichts zu machen. Für uns schon gar nicht. Aber warte nur, bis wir auferstehen am Jüngsten Tag! Da wollen wir es ihnen schon zeigen, denen jenigen! Da wird's schon aufkommen, wer recht hat. Vielleicht noch früher. – Der große Säemann hat dich in die Erden gelegt, so sollst jetzt schlafen, Jakob. Schlafen in der Altenmooser Erden, die dir das Liebste ist gewesen auf der Welt. Ein schönerer Friedhof ist nimmer zu finden. Wollt' mich zu dir legen, aber ich habe mir was anderes vorgenommen. Der alte Reuthofer hat mir so viele Guttaten erwiesen, daß ich mich beim jungen dafür bedanken will, und Vaters Segen überbringen. Ich bettle mich um die halbe Weltkugel hinüber. Der Jackerl kriegt Kinder. Ich bettle mich hinüber. – Gute Nacht, Jakob!«

Am nächsten Morgen ging der Natz hinaus zum Reuthof. Hier wirtschafteten wieder die Amtmänner mit ihren Schriften. Sie schrieben den Reuthof auf die Gant. Der Alte kehrte sich nicht dran, nahm ein Stück Lärchenholz, nahm Säge und Axt und zimmerte ein Kreuz. – Das Kreuz steht heute noch in der öden Hochschlucht hart an der Felswand, nahe am See. Und auf dem Querbalken sind die Worte:

 

»Hier rastet im Gottesfrieden
 
Jakob Steinreuter,
insgemein Reuthofer, der letzte Bauer zu
Altenmoos.«


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