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19. Oktober – 2. November.
Navigare necesse est, vivere non.
Unsere Bestimmung ist wie voriges Mal: Singapore, »für Ordre«.
Zuerst geht es mit Ballast nach Milfordhaven, wo der »Regulus« eine Ladung Anthracit für die Schmelzwerke von Pulo Brani bei Singapore einnehmen soll. Milfordhaven liegt an der Südwestspitze von Wales; wir müssen daher zuvörderst Süd-England umschiffen und dann zwischen dem Kanal von Bristol und dem St. Georgskanal nordwärts gehen.
21. Oktober. Gewiß erwartet Ihr schon von Tag zu Tag unsere Ankunft in Milfordhaven, da Ihr hoffentlich einen Brief von Goodwin Sands bekommen habt, den wir mit einigen Flaschen Branntwein, etwas Tabak und 2 Sh. einem Fischerboot mitgaben. Wir quälten uns eine ganze Nacht und einen ganzen Tag, um in den Kanal zu kommen und kreuzten zwischen Dover und Calais hin und her; es fing aber an so hart zu wehen, daß Jürgen sich entschloß, in die Nordsee zurückzukehren. Wir hatten Sturm, aber durch die englische Küste geschützt, nicht viel See; heute sind mehr Wellen, das Schiff rollt und es ist sehr unbehaglich. Der arme Hund – wir haben einen schönen großen Pudel mit – weiß nicht, wie ihm geschieht und legt voll Angst seinen großen Kopf auf meinen Schoß, hat auch nicht viel Hunger. Gestern saßen Jürgen und ich in der Kajüte und lasen, als plötzlich der neue kleine Schiffsjunge Guido, Sohn eines Geheimen Rechnungsrats, eintrat und laut und deutlich sagte: »Gnädige Frau! Ich soll Sie bitten, mir die Maschine zu leihen zum Eierverfertigen.« – »Was?!!« – »Die Maschine zum Eierverfertigen,« wiederholte er. Ich denke, er hat eine Bestellung falsch ausgerichtet und frage: »Schickt dich der Koch?« »Nein, die Matrosen.« Es war also ein Spaß und die Leute stickten wahrscheinlich vor Lachen, als sie ihn so frei und gottesfürchtig in die Kajüte gehen sahen. Wir lachten so sehr, daß ich unfähig war, dem armen Jungen auch nur eine Silbe zu sagen; da begriff er und verschwand. Die Neulinge werden immer in dieser Art geneckt. Ferdinand haben sie in den ersten Tagen hingeschickt, einen Knüppel durch das Speigatt zu stecken, damit das Schiff während des Essens still läge, und er hat sich wirklich damit abgequält. Der neue zweite Junge hat schon ein Bärtchen und ist der einzige Sohn eines Brennereibesitzers, der ihm nur ungern erlaubt hat, zur See zu gehen.
Sonntag, 28. Oktober. Unbehaglicher Tag, kalt und böig. Man konnte nur wenig Segel führen, das Schiff rollt und stampft und treibt nach Ost. Der arme Mohr ist ein Bild der heftigsten Angst, der Kiefer hängt, das Herz schlägt wie ein Hammer, er zittert und drückt sich bald an mich, bald an Jürgen, geht an alle Türen und kommt verzweifelnd zurück, als wollte er sagen: ist denn gar kein Ausgang aus diesem infernalen Ort? Es muß ihm zu Mute sein, wie bei einem Erdbeben die Angst der Tiere geschildert wird. Die kleine Katze, die in der Kajüte war und zwanzigmal hintereinander mir unter den Rock kroch und den Steuerleuten auf den Schoß kletterte und wenn sie sie hinunter warfen, in zwei Minuten wieder oben war und ihnen mit gierigem Schrei die Bissen vom Teller nahm, bekam Krämpfe und ist tot. Noch leben die drei letzten Rosenknospen von Editha's Strauß, aber sie öffnen sich nicht mehr.
29. Oktober. Endlich sind wir im Kanal, gegenüber der Isle of Wight, aber es ist kalt; ich schreibe mit klammen Fingern. Jürgen blieb die Nacht über auf Deck. Das Schiff war von Fischerbooten umringt, wie von einem Kranz von Glühwürmern.
Atlantischer Ozean, 8. November. Wir erleben die zweite Auflage von vor zwei Jahren. Als wir mitten im Kanal waren, hübsch an der engsten Stelle, war der Ostwind zu Ende und es wehte sehr hart aus West, so daß wir uns drei Tage zwischen den Caskets im Süden und Portland im Norden auf und nieder quälen mußten. Endlich konnten wir heraus, und nun weht es wieder so steif aus Ost, daß wir nicht nach Milfordhaven hinauf können; doch haben wir wenigstens Platz.
Es ist kalt und greulich, am behaglichsten noch das Bett, aber das Aufstehen in der Kälte wird einem sauer. Jürgen wird jede Wache mit dem Rapport geweckt, wenn er nicht oben bleibt. Man ist innerlich unruhig und kann nichts Rechtes vornehmen; ein ordentliches Buch anzufangen lohnt nicht; dreht sich der Wind, so ist man in kurzer Zeit an Land. Man wühlt zwischen den Büchern und zieht heraus, was gut gedruckt und kurz ist. Eine Reihe von Harpers »Weekly« und ein illustriertes Ladies Pictorial sind gut zum Blättern, aber nicht einmal in die Zeitungen mag man sich vertiefen.
Dieses Mal werdet ihr euch hoffentlich nicht ängstigen; ich dagegen nehme es nicht so leicht wie damals, denn da ich jetzt mitgehe, bin ich ebenso ungeduldig fortzukommen, wie Jürgen. Mit diesem Winde wären wir in wenigen Tagen in blauer See und warmer Luft, statt dessen ich mich hier von oben bis unten in Wolle stecke, sogar lange blaue Strümpfe von Jürgen über die Stiefel ziehe. Rotwein mit Zucker und heißem Wasser muß von innen wärmen; bei Tisch ißt man mehrere Teller Erbsen- und Bohnensuppe, und heizt so viel man kann; zum wirklichen Heizen im Ofen ist es indessen noch nicht gekommen.
15. November. Es ist schrecklich, so umher getrieben zu werden; man kommt in Versuchung, die Dampfer zu beneiden; in zehn Tagen ist unsere Charter erloschen; am 25. müßten wir ladefertig sein, und hier sind wir und können nichts tun; bei flauerem Winde hätte man aufkreuzen können, aber es wehte zu hart, kaum konnte man Segel führen. Der Pudel zieht sich immer wieder Prügel zu, weil er die Steuerleute, die er doch endlich kennen müßte, anbellt und anknurrt. Neulich hat er Herrn Pauly nicht erlaubt, an sein eigenes Spind zu gehen, und wollte er nicht die ganze Kajüte wecken, mußte er auf den stärkenden Tropfen verzichten. Heute morgen aber rührte mich das arme Tier; er sprang vor Freude, als ich kam, und da er mich nicht anspringen darf, reicht er mir die Pfote. Er ist schon vier Jahre, also nicht mehr jung. Sobald ich esse, kommt er, legt seinen dicken Kopf auf meinen Schoß und blickt mich vertrauensvoll, aber nicht unverschämt an; dann bekommt er schließlich doch etwas, »sonst blot ihm dat Hart.«
16. November. Was zu arg ist, ist zu arg. Man verlangt gewiß nicht, daß das Schiff nicht schwanken soll, aber zwei Nächte und zwei Tage lang wie ein Federball herumgeschleudert zu werden, das ist zu toll – dazu Regen, die See brüllt und der Sturm heult und es ist ganz und gar schauderhaft. Zweimal waren wir schon in der Nähe des Hafens, dann kam wieder der Sturm auf und man mußte Gott danken, daß man wenigstens Raum hatte. Wo wir sind, wissen wir nicht, denn wir hatten vier Tage lang keine Sonne und keinen Stern. Gestern lag ich stundenlang auf dem Bett, weil ich nirgends bleiben konnte.
23. November. Gott weiß, wann Euch dies zukommt und ob es Euch überhaupt erreicht – jetzt gehen wir zum dritten Mal auf Milfordhaven zu und sind darauf gefaßt, nochmals umzukehren; es ist ganz trostlos. Unsere Charter ist verloren, sie läuft übermorgen ab, und Ihr werdet wieder in Angst und Sorge sein und fast – es hing an einem Haar – wären wir geblieben, wo Funk' und Klang und Wind und Welle bleibt. Ihr werdet sehen, daß ich in dem allgemeinen Brief leicht darüber fortgehe, laßt dieses daher ja nicht Mama zu Gesicht bekommen. Euch aber will ich doch sagen, wie schrecklich es war, welche furchtbaren Stürme wir hatten, und als wir dachten, es müßte sich ausgeweht haben, setzte der Orkan erst recht ein, daß einem alle Muskeln weh taten von der Anstrengung, sich zu halten. Drei Segel wurden fortgeweht, eins zerriß, und Strom, Sturm und See führten uns nach Süden, unaufhaltsam auf Land zu. Jürgen sagte, noch hätten wir Raum, aber nach seiner Berechnung nur noch dreizehn Stunden – das war bis 1 Uhr am nächsten Mittag – hoffentlich würde sich bis dahin der Wind ändern. Aber die Nacht verging und der Vormittag und es wehte in gleicher Stärke, und um zwei Uhr – ich hatte mich auf das Bett gelegt – ging Jürgen durch die Kammer und sagte: »Land in Lee.« Da wußte ich, daß es sich um Tod und Schiffbruch handelte und dachte nicht, daß wir davon kommen könnten. Der zweite Steuermann war gegen die Verschanzung geschleudert worden und lag mit verletzter Stirn in seiner Koje; Jürgen rief ihn im Vorbeigehen auf. Da wollte ich nicht unten ertrinken wie eine gefangene Maus, ging hinauf und stand oben auf der Treppe, an das Geländer geklammert; draußen hätte ich mich nicht halten können. Es war eine furchtbare See; sie stand zu beiden Seiten wie ein Berg und die Wellen überstürzten sich brüllend und schäumend, die Luft war voller Wasserstaub, der Sturm heulte, das Schiff zitterte und arbeitete, daß das Ende der großen Rahe ins Wasser tauchte, und links zwischen den Wellenkämmen stand die graue zackige Linie, die immer näher kam, immer höher, immer wilder und deutlicher wurde. Ich hörte: »Alle Mann auf Deck!« und wie Jürgen der herbeistürzenden Mannschaft zurief: »Es geht um den Hals!« Ein Segel nach dem andern wurde gesetzt und zerriß, ehe es aufkam, und immer näher trieb das Schiff, immer höher wurden die Felsen, die man fast nicht sah, so verhüllte sie die schreckliche Brandung. Ein hoher Leuchtturm auf einem Berg mit ein paar Häusern war keine Meile ab, man mußte schon zu ihm aufsehen und fühlte den Rückprall der See, die bis über die Häuser hinauf spritzte. Es sollen eine Menge Menschen dort gestanden und auf das kämpfende Schiff niedergeblickt haben. Ich habe sie nicht gesehen; ich stand und peilte den Leuchtturm durch den Raum zwischen Tür und Kajütswand. Von Zeit zu Zeit fragte mich Jürgen im Vorübergehen: »Machen wir Weg?« und immer mußte ich sagen: »Nein!« Ein paar Mal verschwand der Turm nach hinten, dann glitt man wieder zurück und er stand wieder da. Endlich wurde das Großsegel aufgezogen, an diesem armen Stück Leinen hing unser Leben. Man fühlte das Schiff in Rucken vorwärts springen, der Leuchtturm verschwand nochmals, und langsam, langsam rückten auch die übrigen Felsen nach hinten. Quer ab flammte ein Leuchtfeuer auf; ich ging hinunter, nachzuschlagen, welches es wäre, aber Jürgen hatte es schon erkannt, es war das Feuer von Bishop Rock, der südlichsten Insel der Scillys. Er kam mir nach und sagte leise: »Wir sind klar!« – Ich konnte es kaum fassen. Drei und eine halbe Stunde hatte der Kampf gedauert; ich hatte die Zeit nicht beachtet und es hätte für mich ebensogut eine Viertelstunde sein können. Mir waren die Felsen und furchtbaren Wellen tröstlich gewesen in dem Gedanken, wie schnell man in solchem Toben die Besinnung verlieren würde. Ich konnte mich nicht recht freuen, als die Gefahr vorüber war, die Erschütterung war zu groß und kam mir eigentlich erst am folgenden Tage ganz zum Bewußtsein; lange konnte ich den Eindruck nicht verwinden; immer sah ich die nahenden Felsen, das nasse schräge Deck, die Leute, die um ihr Leben kämpften, allen voran ruhig und stetig die Steuerleute, Jürgen, der mit zerzaustem Bart auf und nieder ging, und hörte seine kurzen dröhnenden Befehle durch das Getöse. Einmal, als ein Segel nicht schnell genug herunterkam, riß er einem der Leute das Scheidemesser aus dem Gürtel, rannte die Wanten hinauf und schnitt selbst die Zeisings durch. Ich sah den kleinen rotbäckigen Ferdinand, und dachte, wenn sein Schwesterchen, wie alle Abend, heute betet: »Lieber Gott, schütze den »Regulus!« – wo ist er dann? Ich dachte an die Bücher, die ich geborgt hatte und nicht wiedergeben könnte, – an die guten Dinge, die wir für die Reise angeschafft und nicht gegessen hatten, – an meine stille kleine Schlafstube zu Haus, – an Euch alle, – erinnerte mich an Menschen, an die ich seit Jahren nicht gedacht hatte, nur den Gedanken an Mama drängte ich mit aller Macht zurück und fühlte ihn doch die ganze Zeit im Hintergrunde und sah sie still die Hände ringen. Jürgen sagte, ein solches Erlebnis gehört, Gott sei Dank! zu den Seltenheiten; er selbst wäre in all diesen Jahren dem Tode so nahe noch nicht gewesen und daß dergleichen vorkommen kann, weiß man ja – Tausende fahren über die See und es geht glatt – ist es doch auch diesmal vorübergegangen. Ich habe lange mit mir geschwankt, ob ich diesen vertraulichen Brief hier einrücken solle oder nicht – indessen will ich die Dinge zeigen, wie sie sind, und so mag es stehen bleiben, wie es geschrieben wurde.
Ich habe einen Riemen an den Bettpfosten geschnallt, und halte mich daran fest, um nicht wie eine Plaidrolle auf und ab zu kugeln. Ein Dampfer, dem wir die Flagge zeigten, geht nach Westen, und so wird es sechs Tage dauern, bis wir reported sind, und Ihr werdet Euch sorgen und ängstigen. – – – –
Ich träumte in der Nacht nach dem schwersten Sturme, wir gingen am Waldsaume unter dem Moortale entlang, und Jürgen pflückte mir eine ganze Handvoll Kornblumen.
25. November. Milfordhaven. Endlich sind wir da, aber es war schwer genug, denn es stürmte weiter und wir kamen während der Nacht vor Milfordhaven an, sahen die Feuer und bekamen keinen Lotsen; ein Fischdampfer erbot sich, uns zu schleppen, verlangte aber 15 L., also 300 Mark. Jürgen bot acht, da drehte er uns den Rücken und verschwand höhnisch in die Nacht. Jürgen ließ beidrehen, bis es hell wurde, und ging dann in die Bucht. Es war eine Angstpartie, denn das Barometer fiel, es kam mehr Wind und wir waren in Angst, wieder umkehren zu müssen. Der Hafen liegt mitten in niedrigen steilen braunen Klippen, die oben die eingezäunten englischen Felder zeigen und mit kleinen starken Forts besetzt sind. Milford selbst sieht ganz stattlich aus, aber klein. Darin gewesen sind wir nicht, denn erstens war das Wetter schlecht, zweitens Sonntag und daher drittens die Douane noch nicht an Bord und viertens hatte ich Kopfschmerz. Doch kam noch am Sonnabend ein junger Herr von Kelway & Sons und brachte uns die Briefe.
26. November. Wir sind mit Ballast gekommen, sollten hier Anthracit für Singapore nehmen, und von dort mit Ballast in einen Reishafen gehen. Nun aber haben wir die Charter verloren, denn wir sollten gestern ladefertig sein; ob es sich doch noch macht, oder wie es sonst wird, wissen wir noch nicht. Jedenfalls muß hier allerhand besorgt werden; mit Kartoffeln, frischem Fleisch und frischem Gemüse waren wir zu Ende. Ihr ahnt aber nicht, wie herrlich es ist, ruhig zu liegen und nicht zu rollen. Inzwischen habe ich die Ehre, Euch Milfordhaven vorzustellen, denn gestern war Montag und gleich nach dem Frühstück kam das Boot, ich – oder vielmehr der Hund und ich, wurden hinuntergelassen; Mohrchen an einem Tau, ich auf einem Brett sitzend und mich festhaltend. Ich sagte schon, daß Milford ein gut geschützter Hafen ist zwischen niedrigen braunroten Felsen; als ich an Land kam, war ich wie in einem englischen Kinderbuch; die Häuser klimperklein; in den Fenstern weißgefalbelte Vorhänge, auf den Tischen zwischen Muscheln, künstlichen Blumen und Raritäten die Bibel mit dem Goldschnitt gegen das Fenster; vor einer Haustür eine alte Frau mit einem großen weißen Hut, die reine Mother Hubbard; die Läden alle ganz klein. Wir kauften wollene Strümpfe und Taschentücher in einem Laden von der gesprächigsten, dicksten alten Dame, der man anmerkte, daß sie gewohnt war, ihr Späßchen mit Seeleuten zu machen und ihnen im »schäkernden Stil« allerhand aufzuschwatzen. Erst besorgten wir das Geschäftliche beim Broker und beim Konsul, der in einer wahren Höhle haust, und gingen dann über die Felder, an einer Hecke entlang bis der Weg vor einem behaglichen kleinen Landhaus endigte; freuten uns, wieder einen Hahn krähen und Kühe brüllen zu hören, Heu zu riechen und des Lebens überhaupt. Zurückgekehrt, gingen wir zu Herrn Kelway, der alles zu sein scheint, was von Kelway & Sons hier ist, seine Mutter bat uns in ihr kleines Eßzimmer, wo das Feuer im Kamin brannte. Die alte Dame war sehr freundlich, trug eine Witwenhaube, ein schwarzes Kleid und eine große weiße Schürze; an den Wänden hingen Seebilder und Raritäten, da zwei Söhne zur See fahren. Im Hafen liegen viele Schiffe, aber meist kleine, unter denen der »Regulus« wie ein »Undeert« aussieht. Alles ist noch voll von der »Spree« (spr. Spri), die wegen Havarie hier eingelaufen ist und gedockt hat, – das scheint Milfords große Zeit gewesen zu sein. »All the public-houses went up«, »Alle Gasthäuser nahmen einen Aufschwung.« die Frau des Kapitäns hatte sogar hier ein Kleid gekauft und machen lassen. Wohin wir kamen und wen wir auch sprachen, immer hörten wir gleich von der Spri.
27. November. Heute früh gegen sechs Uhr wurden wir zur Ehre des Tages durch ein Hornsignal erweckt, zugleich hörten wir Herrn Pauly aus seiner Koje fahren und den Ovationierenden anlassen, was das für Unsinn wäre? Darauf abbrechendes Quieken, Erklärung und: »Ach so!« worauf die Feier ihren Fortgang nahm durch den Chorgesang: »An der Saale hellem Strande«, langsam und gefühlvoll. Bei jedem Aufschwung bellte und heulte Mohr und wir mußten ihn beschwichtigen, während wir vor Lachen kaum sprechen konnten. Darauf folgte ein Walzer, gesungen mit Harmonikabegleitung, und die Sache schloß mit einem Hoch auf mein »Wiegenfest«. Trotzdem es regnete und nebelte, gingen wir auf Deck spazieren. Mohr war außer sich vor Freude, als er mich die Handschuhe anziehen sah, lief gegen die Verschanzung und guckte immer wieder herunter, als ob er unten das Boot suchte, um an Land zu kommen.
Eben eine Depesche aus Bremen, daß wir hier laden.
29. November. Wir sind im Dock, was keine so einfache Sache war, denn die Schleuse ist eng, und sie brachten den »Regulus« so schnell hinein, daß es mir blau und grün vor Augen wurde; es ging aber alles gut ab und es hieß, das Schiff müßte soviel Fahrt haben, weil es sonst nicht zu regieren wäre. Noch ehe wir fest waren, schwebte der Eimer am Krahn, der den Ballast herausnimmt.
Wir liegen nun an Land, was sehr angenehm ist, und wir benutzen die Zeit, um spazieren zu gehen. Sehr klein und landstädtisch ist der Ort, trotz des schönen großen Hafens. Die Wiesen mit den Hecken, die Kühe, Schafe, Pferde und Schweine darin, sehen aus wie »over the hills and far away«. »Ueber die Berge und weit hinaus« – englisches Kinderlied. Wir haben ein Petroleumöfchen gekauft, ganz klein, mit Marienglasscheiben. Eben brennt es und strahlt aus, was es kann.
Gestern ließ mir Frau Kelway sagen, ob ich sie nicht nach Haverfordwest begleiten wollte, das nächste Landstädtchen, wohin sie zum Markt führe. Um ein Uhr trafen wir uns und fuhren zwei Stationen durch hügeliges, grünes Land mit einzelnen Gehöften und kleinen Wässern. Haverfordwest ist ein englisches Freiburg an der Unstrut und so bergig, wie ein Thüringer Städtchen; alte Häuser, alte Stücke Stadtmauer, eine alte Brücke, mit Efeu überwachsene Ruinen einer uralten Abtei, von der nur noch die Eingangsbogen und ein paar Seitenwände stehen. Ueberall zweirädrige Karren, die zum Markt gekommen waren; Frau Kelway führte uns durch die Markthallen und zeigte uns die Spezialität des Shires, das Wollenzeug, die Wolle und die daraus gestrickten Strümpfe. Wir gingen in einen sehr stattlichen kleinen Gerson und suchten ihren Bruder, der Farmer ist, umsonst in einem Wirtshaus, vor dem eine elegante, aber unauffällige Kutsche stand. »That must be Lord Kensington's coach«, »Das muß Lord Kensingtons Wagen sein!« sagte Frau Kelway ganz imponiert, und vielleicht, wenn wir etwas warteten, würden wir Lord Kensington einsteigen sehen. Auf der Straße standen Leute, aus den Fenstern des Wirtshauses guckten Köpfe; ich ging auf den Spaß ein, sagte: »how delightful!« und stellte mich mit auf, zu Jürgens großer Entrüstung. Wir hatten denn auch das Glück, her Ladyship und Fräulein Tochter einsteigen zu sehen, und Frau Kelways unbefangene Freude, daß wir es so gut getroffen hätten, war rührend. Dann stiegen wir noch zu dem castle hinauf, das mich als englische Ruine oder vielmehr Burg interessierte; ein Schuljunge führte uns, und wir sahen enge Gänge und gewölbte Zellen. Ländliche Tracht sah man nirgends, und die Läden hätten alle auch bei uns sein können. Viele Wollenwaren und Puppen sollen aus Deutschland eingeführt werden.
1. Dezember. Wir heizen jetzt und es ist gräulich; der kleine Ofen pustet und glüht und man sitzt in der heißen eingeschlossenen Luft. Es gibt hier reizende Wege über die Felder und am Wasser entlang. Merkwürdig groß erscheinen die Dinge auf den Hügeln in der Entfernung. Einen Hund sahen wir beide für so riesig an, daß uns für Mohr bange war, und dann war er der kleinere. Gärten und Felder sind mit niedrigen Mauern aus dem roten Stein der Gegend eingefaßt, Efeu und Brombeeren überwuchern sie überall, klettern die Bäume hinauf, beziehen die Häuser bis zum Rauchfang und legen sich über Tor und Türbogen.
7. Dezember. Eine unverhoffte Freude! Unser verehrter Freund, der Seemannspastor O. aus Cardiff, meldet sich zu Donnerstag oder Montag an; ich saß und malte eben Neujahrsgrüße für die drei unbekannten Freundinnen von St. Helena, als Jürgen die Karte schwang und gierig auf das vorgestreute Futter fallend, augenblicklich telegraphierte: »then let it be tomorrow, Bob, I'll take your offer kind«, Kinderlied. d. h. er bat um den morgenden Tag und, Rückantwort bezahlt, um die Stunde. Antwort: »Morgen um 11.« Schön und gut – gleichzeitig erbleichten wir, und unsere Herzen fielen uns vor die Füße – wir hatten beide gedacht, es wäre heute Mittwoch, aber es war Dienstag und so lohnten wir dem überbürdeten Mann seine Güte damit, daß wir ihn an einem Tage, den er uns nicht angeboten hatte, aus seinen Geschäften sprengten – natürlich mußte er annehmen, es wäre Gefahr im Verzuge. Doch hört! Als die Heilige Elisabeth log, waren es Rosen – er kam und brachte eine dicke Tasche mit, wollte von uns nach Swansea, zwei und eine halbe Stunde von hier, wo er am morgenden Abend eine Konferenz hatte; zufällig hatte er sehr gut abkommen können, nahm freundlich an, zur Nacht zu bleiben, und schlug vor, am nächsten Tage nach Tenby zu fahren, in dessen Nähe am Ufer berühmte Höhlen wären, die er seit Jahren zu sehen wünschte. Wir waren natürlich gleich bei der Hand; und es war ein Spaß, als wir ihn abends in der Kajüte einrichteten. Früh, ehe die Hähne krähten, weckte Jürgen. Fünf Uhr. Aufgestanden, Kaffee getrunken und fort. Es war stockdunkel und schlüpfrig und die Docks beängstigend; Jürgen machte einen Umweg, da er eine schlimme Stelle nicht mit mir riskieren wollte. Als wir auf die Bahn kamen, war der Zug fort. – Ich, praktisch, schlug vor, nach Hause und wieder ins Bett zu gehen. Pastor O. aber sprach mit Wärme für den Sonnenaufgang. Lange Wanderung auf die Höhe, aber die Sonne kam nicht durch die Wolkenbank. Um zehn Uhr fuhren wir dann mit vereinfachtem Programm glücklich ab. In Milforddock mußten wir das Fährboot benutzen; um es zu erreichen, geht es eine lange, breite, überdachte, hölzerne Brücke hinunter, und eben hatten sie den Hahn aufgedreht, um sie abzuspülen. In diesem Schwall, den die praktischen Engländer in dem Augenblicke des Anschlusses von Dampffähre und Zug losließen, mußten wir hinunter. An der anderen Seite der Bucht stand der Omnibus, wir kletterten hinauf und fuhren nach dem Städtchen Pembroke, wo wir eine Stunde bis zum nächsten Zuge warten mußten, die wir benutzten, um nach Pembroke Castle hinauf zu eilen, eine herrliche Ruine, von Efeu überdeckt, so groß wie etwa das Freiburger Schloß, in der Mitte ein rasenbewachsener Platz, gegenüber ein mächtiger Belfried, und ringsum prachtvolle Mauerreste, Abteilungen und Gänge, Aus- und Einbaue und Kamine, und alles überwuchert und begrünt von uraltem Efeu, der mit arm- und beindicken Stämmen, wie ineinander gerollte Schlangen, aus den Mauern brach. Ich maß den Umfang eines dieser Stämme, 27 Zentimeter. Ein junges Mädchen führte uns. »Hier ist Heinrich VII. geboren, ma'am,« was mich sehr freute. Die Stube war niedrig, wie sich von selbst versteht, aber die Fenster größer als bei unseren alten Burgen. Die Mauern schätzte ich auf drei Meter Dicke, Jürgen auf neun Fuß, also muß es stimmen. Es machte mir Freude, eine hiesige Burg mit den unseren zu vergleichen; was bei uns der Dreißigjährige Krieg und Kaiser Rudolph, ist hier Cromwell gewesen, der übel gehaust und alle die Burgen und Abteien gebrochen hat. Die Letzteren waren nämlich sehr begütert, und die Geistlichkeit baute durch das ganze Land ihre festen Plätze. Nach der Reformation wurden die Abteien zu Edelsitzen umgewandelt, woselbst geraubrittert oder geseeräubert wurde, deshalb zerstörte Cromwell auch die Abteien. Nun bauten sich die Landleute in diese Ruinen hinein und daher steht urplötzlich ein einzelnes gotisches Portal vor ein paar ganz kleinen Hütten, die sich an ein Stück uralte Mauer lehnen oder um einen mächtigen Rauchfang gebaut sind; öfter sieht man mitten im Felde einen alten Turm oder Torbogen und über alles Gemäuer breitet sich der wundervolle Efeu. Es war eine Freude, durch diese Landschaft zu fahren. Zunächst ging es mit der Bahn nach Tenby, einem Seestädtchen, das als Sommerfrische beliebt ist und wo wir einen Wagen nach den Höhlen bestellten, obwohl man uns sagte, wir würden sie schwerlich sehen, es wäre Hochwasser. Gleichviel, wir wollten hin; inzwischen genossen wir den Blick über die weite herrliche Bucht; in langsamen Ringen kam die Flut herein, in der Ferne zogen Schiffe vorüber.
»And the stately ships go on, to their haven under the hill.«
Es war ganz wunderschön und fast zu schnell erschien der Wagen. Erst noch die entzückenden Häuser von Tenby und dann die kahlen grasbewachsenen Hügel, durchschnitten von Mauern und Hecken; Herden braungesichtiger Schafe und Kühe überall, kleine Gehöfte auf den Höhen und in den Senkungen, und von Zeit zu Zeit Dünen und Felsen und dazwischen immer das Meer. Endlich hielt der Wagen und der Kutscher wies uns in ein kleines Haus zu einer alten Frau, die uns »alles« sagen würde. Die alte Frau war ein junger Tischler, der eben einen dunkelgrünen Waschtisch mit Kacheln in dem bekannten englischen Distelmuster zusammensetzte. Er sagte uns, zu den Höhlen sollten wir nur gerade hinunter gehen. Der Wegweiser, der draußen stand, zeigte indessen erst aufwärts, dann kamen wir in eine Einsattelung zwischen zwei Felsen, von wo aus eine Schlucht mit Steinen und Blöcken zum Meere hinab führte; die Höhlen waren nicht zu sehen. Jürgen zeigte auf eine Vertiefung zur Seite; wir gingen dorthin und sahen einen furchtbaren Felstrichter mit einem schmalen Pfade an einer Seite, den der Pastor sogleich hinabzuklettern begann. Nach einer langen Weile schrie er von unten: »Kapitän, kommen Sie, es ist zu schön!« »Ich auch?« schrie ich. »Nein, Sie nicht!« sehr bestimmt. Jürgen kletterte also nach und ich blieb zwischen dem Ginster sitzen. Ich hatte Brandung genug gesehen von außen, hier sah ich sie einmal ankommen, sah wie die Flutwellen hereinströmten und immer weiter und weiter über die Blöcke schäumten. Später begriffen wir erst, daß der übliche Weg bei Ebbe die Schlucht hinunter an den Strand und um den Fuß des Felsens herum in die Höhle führte; Pastor O. und Jürgen waren nun durch den hinteren Ausgang in die Höhle geklettert und hatten den wundervollen Effekt, daß sich das Felsentor der überraschend großen Höhle nach der See zu öffnete, die wie flüssiges Gold vor ihnen lag, während die Flut brausend und dröhnend höher und höher hereinschoß. Jürgen sagte, er hätte den Pastor kaum fortbekommen, so viel Spaß hätte es ihm gemacht, sich von den Wellen zurückdrängen zu lassen. Er konnte nicht genug beschreiben, wie herrlich es gewesen wäre, aber daß ich nicht hinunter gekonnt hätte, darüber waren beide einig – »nicht um 50 Pfennig!« sagte Jürgen. Nun bestiegen wir den Wagen und es hieß, Manorbier wäre ganz gut erreichbar – also nach Manorbier. Ganz winziger Ort; wir halten vor einer kleinen Wirtschaft und bestellen etwas Tee und Sardinen – sie hatten nichts anderes; wir wollten uns inzwischen Manorbier Castle ansehen und gingen den bezeichneten Weg entlang, blieben aber wie elektrisiert stehen, als wir es liegen sahen, eine schöne, alte, ganz von Efeu überzogene Burg auf einem Rasenabhang, rechts dahinter ein aufsteigender Felsen, links ein sanfter grüner Hügel mit Kühen, in einer Senkung gegenüber eine alte kleine Kirche und als Hintergrund das Meer. Wir gingen über die Zugbrücke, klopften und mußten unsere Namen in das Fremdenbuch schreiben. Darauf zog sich der dienende Geist zurück und wir konnten uns nach Gefallen umsehen, und zwischen den Mauern, über Treppen und Altane hinklettern. Der Schloßhof war feiner grüner Rasen und alles von Efeu überwuchert, vortrefflich, aber nicht aufdringlich restauriert, ein alter tiefer Ziehbrunnen mit Eimern daneben, war in Gebrauch, zwischen den Mauern sproßten Spindelbäume, Nelken, Chrysanthemen und Löwenzahn, in einer Ecke versteckt lag ein kleiner blühender Garten; jedes Stück unmodern und mit allerliebstem Verständnis hineingesetzt. Das einzige Neue war ein Schieferdach über einem Gebäude, welches der alten Mauer so eingefügt war, daß man es weder von außen noch von innen bemerkte. Das Mädchen, das uns geöffnet hatte, kam wieder, als wir uns der Tür näherten. Der Platz gehört Mr. Stokes in London, »yes, m'm« und die Familie kommt alle Ostern auf sechs Wochen, und noch später im Sommer auf zwei Wochen, »yes m'm«. »J'ai vu les monts de l'Helvétie«, ein Stückchen Italien und Venedig, Thüringen, Rio und Singapore, den Schwarzwald, Tirol, die Mark und die Lüneburger Heide, viele Gegenden, die reicher, weicher, farbenprächtiger, gewaltiger, grotesker und herrlicher sind, aber dies Fleckchen Erde ist charakteristisch wie selten eines, und könnte nirgends liegen als eben hier. Es liegt etwas Einfaches und trotz der sanften Lämmer und milden Kühe etwas Herbes in der Landschaft, sie fordert sozusagen zum Aquarellieren förmlich heraus. Nicht übel muß sich Mr. Stokes von London befinden, wenn er aus seiner alten Burg hinaus sieht und aus jedem Fenster ein entzückendes eingerahmtes Landschaftsbild vor sich hat, während seine Kinder unten an dem sandigen Strande schwimmen und seine Enkel ihre Spielsachen über den Grasplatz verstreuen. Also denkend fuhren wir zurück nach dem Städtchen und fanden in einem kleinen behaglichen Zimmer mit Kamin einen gedeckten reinlichen Tisch mit vortrefflichem Tee, gestrichenen Butterbrötchen, gebackenen Sardinen und Kirschmarmelade, ließen es uns schmecken und amüsierten uns an der englischen Physiognomie des Zimmers. In Pembroke trennten wir uns von Pastor O. und nach vielem Umsteigen waren wir um 8 Uhr glücklich wieder zu Hause.
8. Dezember. Wieder schwerer Sturm, aber es weht sich nun wohl ab; Mittwoch hofft Jürgen fortzukommen, schickt also von jetzt ab die Briefe nach Singapore. Milfordhaven ist zwar ein sicherer Hafen, in dem die Schiffe wohl geborgen liegen, trotzdem stürmten die Wellen manchmal hoch den Strand hinauf. Selbst der »Regulus« wurde stärker befestigt, damit er sich nicht losreißen und beschädigen möchte.
9. Dezember. Am Morgen nach diesem Unwetter kam, wie gewöhnlich, Mr. Kelway und fragte nach einer Weile, ob Jürgen sich des alten Kapitäns erinnere, den er vor einigen Tagen in seinem Kontor gesehen hätte? Dieser arme Mann wäre vorgestern mit seinem Schiff nach Cardigan in See gegangen; sie hätten in dem Sturme keine Segel führen können und so wäre das Schiff auf eine Felseninsel getrieben und gescheitert. Drei Mann wären ertrunken, die übrigen hätten sich auf die Insel gerettet. Mr. Kelway ist der Agent der Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger; sobald es möglich gewesen war, hatte er einen Dampfer mit dem lifeboat nach der Insel geschickt und die Leute wären mit Mühe durch den Raketen-Apparat gerettet worden; sie mußten durch das Wasser gezogen werden. Als der letzte geborgen und die Verbindung gelöst war, sagten sie erst, daß der Kapitän zurückgeblieben wäre; sie hätten ihn erst nach 8 Stunden gefunden; er sei gelähmt und ohne Besinnung, nur um Wasser hätte er gebeten; über die Felsen hätten sie ihn doch nicht lebendig bringen können. Dort liegt er nun und stirbt ohne Schutz vor Regen, Sturm und Kälte, ohne Speise und Trank, verlassen und allein.– – Man konnte es nicht aus dem Gedächtnis bringen, bei jedem Schluck, bei jedem Bissen fiel einem der Jammer aufs Herz. Nachts hörte ich Jürgen im Traum sagen: »Allein – ganz allein.« – Der Dampfer war heute wieder hingeschickt, kam aber unverrichteter Sache zurück, die See war zu hoch gewesen, um anzukommen. Am nächsten Tage ging er nochmals hinaus; wir hörten ihn abends zurückkommen, er hatte noch nicht landen können. Heute ängstigt man sich nicht mehr; der Unglückliche hat jetzt ausgelitten ... Am dritten Tage erst gelang es, die Leiche abzuholen. Seine Familie lebt in Cardigan, wo auch die schändliche Mannschaft zum größten Teil herstammt. Mr. Kelway sagte, sie hätten gar kein Gefühl gezeigt; er habe viele schiffbrüchige Seeleute gesehen, aber nie eine solche Gleichgültigkeit gefunden, wie diese zur Schau getragen hätten. Als wir dann den Hafen verließen, begegneten wir einem hereinkommenden Schiff, das zu derselben Zeit, wie das verunglückte, nach Cardigan abgegangen und durch den Sturm zur Umkehr gezwungen worden war; nun muß es vier Wochen warten, weil Schiffe nur bei Springflut an dem seichten Strande landen können; das war wohl auch der Grund, weshalb der unglückliche Kapitän die Reise wagte. Es hatte seine letzte Fahrt sein sollen. –
16. Dezember. Wir gingen bei schönem Wetter hinaus, Frau Kelway winkte uns und wir sahen sie noch lange vor ihrer Türe stehen in ihrem schwarzen Kleid und der weißen Schürze.
Schon am nächsten Tage wurde es stürmisch und wir kreuzten auf und nieder, um die englische und irische Küste zu vermeiden und auch nicht in den Meerbusen von Biscaya getrieben zu werden. Der Sturm steigerte sich, als wir dachten, er müßte sich erschöpft haben, zum Orkan und hielt tage- und nächtelang an. Die Sturmsegel wurden zum Teil zerfetzt, die festgemachten Segel zwischen den Zeisings, d. h. den Tauen, mit denen das Segel festgemacht wird, herausgerissen, drei Wasserfässer über Bord gespült, ein Matrose über die Verschanzung gewaschen und durch eines der Fässer gegen das Schiff gedrückt. Da er ein kräftiger Mann war, gelang es ihm, die Reeling zu fassen, doch lag er mehrere Tage mit gequetschtem Bein.
Auch der Zimmermann hatte eine Quetschung zwischen Schulter und Schlüsselbein. Herr Pauly erlitt einen Fall und fürchtete schon, unter die Back gespült zu werden. Die schwere Schlepptrosse, die noch zum Trocknen auf dem Logis lag, wurde mittschiffs geworfen, wo kurz vorher die Leute bis an den Hals im Wasser gearbeitet hatten. Jürgen und der Steuermann fürchteten für den Großmast, der sich bog wie ein S, so daß die Farbe absprang. Eben war Jürgen einen Augenblick unten, als es über uns einen so furchtbaren Krach gab, daß ich dachte, eine Rahe fiele und schlüge die Kajüte ein. Jürgen stürzte nach oben mit dem Ruf: »Die Boote sind zertrümmert!« Eine Sturzsee hatte zwei der Boote zerschlagen, eins auf der Kajüte und eins auf dem Logis. Juranitsch, der zweite Steuermann, war unter eins der Boote geschleudert worden und schwankte mit blutendem Kopfe und ausgerenkter Schulter in die Kajüte. Jürgen ließ erst die Boote festmachen und renkte dann die Schulter wieder ein, was Gottlob! schnell und gut vonstatten ging. Jürgen sagte, so schweres Wetter und so anhaltendes habe er kaum je erlebt; ein Cyklon wäre nicht schlimmer. An einer Rahe zerriß eine Kette und sie flog auf, während zwei Mann darauf saßen. Beide flüchteten in die Wanten, ehe die Rahe ganz in die Höhe ging, sonst wären sie zerquetscht oder heruntergeschleudert worden. Jürgen sah es mit an; es wäre ihm gewesen, als ginge ihm ein Messer durch und durch. Eine See, die hinten überschlug, lief in den Proviantraum und weichte unseren Kaffee und Tabak ein. Drei Leute sind arbeitsunfähig und Jürgen nimmt nun die Wache des zweiten Steuermanns. Ich lag einen Tag mit Kopfschmerz und hörte beständig die Seen überkommen und gegen das Schiff schlagen wie mit einem Dampfhammer, und das Rasseln und Klirren überall.
Gekocht wurde nur das Nötigste; morgens gab mir Jürgen ein Stückchen Brot mit Wurst und zu Tisch eine Kartoffel mit etwas Salzfleisch; da schmeckte des Abends der Tee so gut wie noch nie. Es war aber schrecklich; die See raste und wollte sich nicht legen. Dabei haben wir so wenig Weg gemacht, wie bei gutem Winde in 24 Stunden. Wären wir nicht am 16. hinausgegangen, so säßen wir noch in Milfordhaven, denn der Wind war uns seitdem entgegen und in solchem Wetter wären wir im sicheren Hafen geblieben. Wir haben auch die Influenza mitgenommen, die in Milford schrecklich herumging; in den Läden hatten sie die Verkäufer, der deutsche Konsul sprach heiser, in einer Straße sollte Haus bei Haus infiziert sein. Der Befrachter und sein Agent kamen noch den letzten Tag, beide erkältet; wir behielten sie zu Tisch und ich ließ in Eile eine Dose Schoten aufmachen. Noch hatten wir nicht fertig gegessen, als die Herren mich höflich um Entschuldigung baten, mitten im Diner aufstehen zu müssen, aber ihr Zug ginge in acht Minuten. Mit welcher Freude entschuldigte ich sie, da es nichts anderes gab!! Auf englischen Schiffen haben sie immer noch Pudding und unser Koch versteht auch, ihn zu machen, aber ohne Eier, wenn auch mit Backpulver, ist er so grob und schwer, daß wir ihn alle nicht mögen.
22. Dezember. Vollmond und erträgliches Wetter, doch ist die See noch furchtbar hoch und wild. –
Am 24. Dezember war es zwar nicht mehr stürmisch, aber das Schiff rollte noch so arg, daß an den Baum nicht zu denken war; indessen wollten wir doch das Fest feiern. Ich machte in aller Eile in dem Einsatz eines Koffers allerhand für die Leute zurecht, Pfefferkuchen, Aepfel und Nüsse usw. und wir schickten es hin; ich konnte nicht hinüber, wie ich gern getan hätte, denn die Treppen waren fortgerissen und das Deck schwamm von überspritzenden Wellen. Wir bescherten uns dann unsere Kleinigkeiten, knackten Nüsse und aßen Marzipan. Leider sind uns die Sau und der gute Eber Hannes während des schlechten Wetters gefallen und eines der Milforder Schweine hatte sich an den Beinen verletzt und mußte geschlachtet werden, so daß wir zarte Braten hatten. Das einzige überlebende Schwein entwickelt einen guten Appetit und große Munterkeit, ist aber natürlich ein Angstschwein.
Am Silvester suchten wir nun den in Hamburg besorgten künstlichen Baum vor, wickelten ihn auf und waren erstaunt, wie sehr er einem wirklichen glich. Herr Pauly war ganz überrascht, als er merkte, daß er nicht frisch war. Die Zweige sind Draht, so daß man sie auseinander und wieder zusammenlegen kann. Ich habe der Mannschaft das Bücherverzeichnis gegeben, und was waren die beiden ersten, die verlangt wurden?! – Goethe's Gedichte und Oldenberg's Bilder-Album.
Es dauerte lange, bis sich die See legte, wir hatten Möven in Menge, einige Walfische und Schweinfische (Delphine) zu Hunderten, Jürgen harpunierte zwei. Dann kam guter Wind, aber plötzlich wieder erschrecklich hohe See, so daß im Norden sehr schwerer Sturm gewesen sein mußte – heute, 6. Januar, der erste sonnige Tag; wir sind auf der Breite von Ferro, und wenn der Wind bleibt, erreichen wir wohl bald den Passat. Wir gehen von neuem spazieren, die Ofenkammer ist wieder geschlossen und die warme Kleidung wird bereits lästig. Unsere Messing-Kaffeekanne ist nicht verloren, wenigstens wissen wir, wo sie ist – wahrscheinlich sinkt sie noch immer langsam durch die zunehmende Dichtigkeit der Meerestiefe, denn sie wurde dem Steward aus der Hand geschleudert; vielleicht stach sie Amphitrite in die Augen. Gut, daß wir einen neuen emaillierten Wasserkessel mit hatten, der nun als Kanne dient. Gestern regnete es. Kleiner Steward: »Bitte, Kapitän, darf ich das Wasser aus der Deck-Balje in das leere Branntweinfäßchen tun, damit man mir's nicht in der Nacht stiehlt?« – Natürlich will jeder Regenwasser zum Waschen und zur Wäsche! – Jürgen hat den Pudel geschoren.
9. Januar. Stille Tage, kein Lüftchen regt sich, die See blau und silbern; beim Sonnenuntergang wieder die klaren schönen Färbungen, wieder das durchschimmernde Primrose und Heliotrop und darin die grünlich silberne Sichel des jungen Mondes und die leuchtende Venus. Ein Tintenfisch schwamm vorbei, Bonitos sprangen, einige Portuguese men of war. Quallen, die wie ein Schiffchen aussehen und auf der Oberfläche schwimmen. Das Schiff, das kein Wind stützt, rollt hin und her. Ich sitze auf Deck und stopfe meinen Strumpfbeutel leer; Jürgen raucht, liest und ärgert sich über die Stille und den Passat, der schon da sein könnte. »Erschein', erschein', o Morgen, der uns den Götterjüngling bringt!«
10. Januar. Es wird merklich heiß und Ihr lauft nun Schlittschuh! – Abends gibt es meistens »Sauerfleisch«, das heißt übriggebliebenes Fleisch mit saurer Tunke. Jürgen läßt dem Koch sagen, daß er eine Abwechselung möchte und fragt den Abend darauf, was es gäbe? – Kleiner Steward: »Der Koch hat Ragout gemacht.« Jürgen: »Das ist wohl wieder Sauerfleisch mit etwas anderer Sauce?« Steward ernsthaft: »Ja, Kapitän.«
Es gibt Kartoffelsalat. Jürgen: »Warum ist denn in diesem Salat keine Zwiebel?« Steward in strammer Haltung: »Die werde ich wohl vergessen haben.« Alle Morgen grüßt er mich, indem er zwei Finger militärisch an die Schläfe legt.
13. Januar. Der Passat ist da, wir machen neun Meilen die Stunde, die See ist blau und sehr bewegt. Wir essen morgens unser letztes Ei, das wir mit einem sehr großen Stück Schinken auf dem Oefchen spiegeln.
14. Januar. Dies sind die idealen Tage der Seefahrt mit dem frischen, kräftigen und doch linden Passat, den durchsichtigen blauen Wellen, die ihre zackigen Kronen und weißen Schleier in die Höhe werfen, die ihnen der Wind abhebt und in Regenbogen zerstäubt. Das Schiff rollt, daß man immerfort bergan und bergunter geht, das ist nicht angenehm, aber für 8, 9 oder 10 Meilen Fahrt kann man das schon hinnehmen.
15. Januar. Da das Wasser, vom Schiff zurückgedrängt, auf die heranrollenden Hügel trifft, schäumt es in dreiseitigen Wellen auf, und man sieht sich nicht satt, wenn sie so aus schierer Lust und Kraft extra noch einmal in die Höhe springen. Darwin sagt, auf ihn hätten die Wellen den Eindruck gemacht, als verrichteten sie ihre Arbeit mechanisch; ich kann das nicht finden, ich sehe immer die Anmut, die aus vollendeter Kraft hervorgeht.
17. Januar. Es regnet, und daher gibt es heute großen Waschtag. Die Leute haben frei, und überall sieht man waschende und aufhängende Gruppen. In einer Ecke saßen die Steuerleute vor einer Balje und wuschen, sogar seinen Panamahut hatte Herr Pauly eingeseift und trug ihn nachher trocken. Am Nachmittag Gewitter mit starken Güssen; es war ein lustiges Bild, wie alles mit Pützen (Eimer) lief, um das kostbare Wasser zu bergen: »rasch mit dem Naß in das Faß!« Dazwischen stand Jürgen als Patriarch in seinem gelben Oelrock, das Haar vom Regen fest angeklatscht, die Hosen aufgekrempelt; so erging er sich barfuß auf dem schwimmenden Deck. Vier Schiffe und ein Dampfer; wir sind auf befahrener Straße. Wir machen eine Kiste mit kleinen Kuchen auf, und ich stelle dem Steward einen kleinen Teller voll in die Pantry; nach einem Weilchen höre ich, daß Mohr, der reichlich gehabt hatte, etwas frißt, gehe ihm nach und wirklich steht er auf den Hinterbeinen und holt sich einen Kuchen nach dem andern; da ward ich aber zur erziehenden Hyäne, nahm ein spanisches Rohr und gab ihm einen Denkzettel, von dem Jürgen behauptet, er hätte ihn für Spaß genommen. Abends sah ich, denn wir lassen beide Türen offen, zu meinem Entsetzen eine kleine Ratte ganz geschäftsmäßig durch den Vorplatz in die Kammer der Steuerleute gehen, wie jemand, der seinen gewohnten Gang macht. Ich hoffte, sie würde sich damit begnügen, aber nachts glitt etwas, wie ein weiches Ei, quer über mich hin und zugleich wachte Jürgen davon auf, daß etwas über ihn fortlief. Wir stellten die Falle auf, aber bis jetzt umsonst.
19. Januar. Regenschauer. Ein Dampfer, dem wir die Flagge zeigen. See grau und nichts zu sehen als eine ferne Bark – kein Vogel, kein Fisch, nichts. Ich ordne und lese allerhand aus den Briefen vor. Jürgen bemerkt dazu, daß Dr. Jagor Indien gegen früher so heruntergestiegen finde, möge daher kommen, daß zur Zeit seiner ersten Reise der Abstand zwischen der Existenz in Europa, besonders Deutschland, indischem Leben gegenüber größer gewesen wäre als jetzt, wo die Begriffe über Behagen und Luxus sich auch bei uns geändert hätten. Von dem Haß gegen die Weißen haben auch wir allerlei gehört; der eine Birmane, mit dem sich Herr König angefreundet hatte, sagte ihm einmal bitter: »Es war leicht, uns zu unterwerfen, wir hatten keine Waffen.«
20. Januar. Sonntag, und eine leichte, frische Brise. Wir sprachen bei Tisch vom Lernen der Kinder und Juranitsch erzählte, daß ihm das ABC sehr schwer geworden wäre. Einmal hätte der Vater ihn gefragt, was das für ein Buchstabe wäre? – »B.« Ihn zu versuchen, sagt der Vater: »Ich denke es ist L?« »Ach, Papachen,« sagte der Kleine höflich, »es ist so lange her, seit Du das ABC gelernt hast, Du hast es gewiß schon wieder vergessen.«
Die Leute sonnen ihre Sachen, machen Musik und tanzen.
21. Januar. Heute nacht starker Regen; Jürgen stand auf und ich hörte das Getrappel, das Eimerfüllen und Fässerrollen. Abends Meerleuchten im Kielwasser in großen Flocken. Heute passierten wir die Linie, ich kreuze sie zum fünften Mal. Wir haben von Zeit zu Zeit leichte Schauer, sonst ist es still, der »Regulus« schaukelt träge hin und her. Abends kam Neptun an Bord und brachte seine Frau mit; sie hatte vorne kurze Stirnlocken aus Flachs, die ihr gut standen, trug meinen alten schwarzen Hut, einen Rock und ein Mäntelchen, sah sehr jung und rosig aus und erklärte, erst seit drei Wochen verheiratet zu sein – Amphitrite muß also wohl das Zeitliche gesegnet haben. Neptun unterhielt sich sehr ungezwungen und erbat sich die Erlaubnis, die vier Neulinge nach altem Brauch taufen zu dürfen. Eberhard mit einem Flachsbart, als Schreiber, verlas die Namen aus einem dicken Buch; der Kapitän erlaubte die Taufe unter der Bedingung, daß es »anständig«!! zuginge und kein zu schmutziges Wasser genommen würde, worauf der Barbier im Hintergrunde einfiel, er hätte das Wasser mit Seife zurecht gemacht und es wäre vortrefflich. Hierauf genehmigten die Majestäten ein Schnäpschen und Neptun trank das seine sogleich; er hätte doch seiner Gemahlin das erste Glas lassen müssen, sagte Jürgen und ich: »vielleicht wäre die Dame das gar nicht gewöhnt« – worauf die Neptunessa das ganze Glas zum Jubel der Mannschaft herunterkippte.
24. Januar. Der Koch war krank und hatte Chinin bekommen. Jürgen zum Steward: »Was macht der Koch?« Steward: »Der Koch hat Bohnensuppe gemacht.« Lachsalve aus der Steuermannskammer und von uns; der arme Junge ahnte nicht, weshalb.
25. Januar. Ein Hai gefangen, der Pudel hat ihn furchtbar angebellt, während er aufgezogen wurde, aber als er überkam und um sich schlug, lief Mohr eiligst davon. Regengüsse und Süßwasserbad.
30. Januar. Kühles Lüftchen, wonnige blaue See; ich sitze den ganzen Tag oben, lese und arbeite. Es wird heißer, die Sonne ist noch südlich vom Aequator und wir kommen ihr entgegen. Der Passat ist flau und, was schlimmer ist, wir hatten ziemlich starken Strom nach Westen, so daß wir der Küste von Brasilien zuliefen und froh waren, als wir Fernando Noronha im Norden hatten; wir sahen es nicht. Jetzt scheint uns der Strom nach Süden zu setzen. Gestern waren wir auf der Breite von Pernambuco. Man sitzt den ganzen Tag unter dem Sonnensegel, weil es unten heiß und oben luftig ist. – Mohr und das Schwein scheinen die Hitze schon sehr zu empfinden, liegen umher und sind faul; ich würde auch das Schwein scheren, es hat ganz langes, lockiges Haar, aber Jürgen will nicht.
7. Februar. Die Tage gehen unter wechselndem Winde blau und gleichmäßig fort. Es wird schon angenehm kühler, wir sind seit gestern aus der heißen Zone heraus. Ich holte neulich die Kugelgelenkpuppe vor, die ich für die kleine Cazibi anziehen will, und hielt sie zufällig im Arm, als Mohr plötzlich ganz wild an mir herauf sprang und das kleine Kind durchaus lecken wollte. In Milford begrüßte er die Kinder auf der Straße auf diese Weise, ehe man es hindern konnte, so daß ein kleiner Junge einem andern zurief: »Mind that dog, he'll lap you all over.« »Nimm dich in acht, der Hund leckt dich von oben bis unten.« Als er jedoch die Puppe berührte und merkte, daß sie nicht lebte, graute er sich so, daß er mit eingezogenem Schwanz unter den Tisch kroch, wenn ich sie ihm hinhielt.
11. Februar. Es geht schnell mit dem Kühlwerden, vorgestern deckte ich mich mit einem Laken zu, gestern mit der baumwollenen Decke, diese Nacht mit der wollenen, heute nehme ich zwei wollene Decken und morgen werde ich wohl das Daunenbett holen. Die ersten Albatrosse, kalter Südwind, Wellen. Nachts fiel die Marsrahe auf einer Seite, und am Tage brach ein Tau, doch ging beides ohne Unfall ab.
21. Februar. Wir gehen auf dem 37. bis 38. Grad entlang und haben von Tristan d'Acunha diesmal nur von weitem die Spitze über den Wolken gesehen. Es ist warm wie ein Märztag mit kühlem Winde, der nach Schnee riecht; das macht, weil er vom südlichen Eismeer kommt. Wir fahren über den ergiebigsten Walfischgrund, haben aber noch keinen gesehen, dagegen fliegen Albatrosse um das Schiff, und Mohr springt wütend am Heck hin und her und bellt sie an. Die Tage verstreichen so gleichmäßig, daß man immer wieder durch den Sonntag überrascht wird.
27. Februar. Wir haben den 15. Grad passiert und also gleiche Zeit mit Euch, denn der 15. Grad ist deutsche Einheitszeit. Südlich sind wir auf dem 40. Grad, fast einen Grad tiefer als voriges Mal, aber es muß weniger Eis im Polarmeer sein, es ist mild, das Wasser grün anstatt blau und +13° R. Wind mäßiger als man möchte und von »achter«, dabei Dünung und das Schiff rollt unablässig, alle fünf Sekunden eine Schwingung. Gestern lag es stetiger, heute ging es, aber wochenlang ist dieses Schaukeln unaufhörlich gewesen. Wenig Albatrosse und einige Seeschwalben, Hunderte von weißen Eisvögeln, leider zu entfernt, um sie persönlich kennen zu lernen. Jürgen liest mir Sibirien von Kennan vor, und wir entrüsten uns den ganzen Tag. Ueber das Kap der guten Hoffnung sind wir fort und passieren wohl morgen die Länge von Kap Agulhas.
6. März. Dichter Nebel, und obwohl hier kein Schiff zu erwarten ist, darf man doch nichts versäumen, und das Nebelhorn tutet in die weite Oede hinein. Eines Abends, als wir uns eben zum Tee gesetzt und unsern Labskaus auf dem Teller hatten, ertönte plötzlich ein Glockenschlag; es war also etwas an Steuerbord. Kapitän, erster und zweiter Steuermann, Steward, Frau und Hund stürzten sofort nach oben, aus dem Logis sah man die Leute auch schon nach vorn stürmen. Der Mann auf dem Ausguck glaubte ein fernes Nebelhorn gehört und auch Licht gesehen zu haben; später wollen noch zwei das Licht von einem Dampfer in Lee gesehen haben; das Tuten muß von einem Pinguin oder Albatros gewesen sein und mit dem Licht kann man sich leicht täuschen. Ich hatte mich auf einen Eisberg gefaßt gemacht, aber Gottlob, bis jetzt haben wir kein Eis gesehen.
8. März. Wir sahen eine Menge Eisvögel, einer verflog sich nachts in die Segel und fiel auf Deck; da wir noch auf waren, brachte ihn Juranitsch herunter, ein reizendes weißes Tierchen mit Schwimmfüßen, weiß mit schillernd grauen Federchen. Natürlich ließen wir ihn fort. Am hübschesten sind die Seeschwalben, die wirklich die schwalbenhaftesten Manieren haben, nur daß sie nicht in der Luft, sondern dicht über dem Wasser im Zickzack fliegen; von Zeit zu Zeit tunken sie ihr klein Schnäblein ein, meistens aber scheinen sie sich mit einem Füßchen vom Wasser abzuschnellen.
22. März. Während dieser ganzen Zeit ist nichts zu verzeichnen; wir kriechen sacht über die Karte. Für die sturmreiche Gegend, die wir durchmessen haben, ist es uns gut gegangen, wenn auch nicht so schnell, als man hätte erwarten dürfen. Wenig Vögel, die jetzt bald ganz fortbleiben; einen Delphin harpunierte Franz und Eberhard fing einen Albatros. Sonst nichts, nichts, nichts. Gut, daß wir so viel zu lesen mit haben; uns Bücher zu leihen, ist die größte Wohltat, die man uns erweisen kann. Mehrere Abende haben wir uns an Hauffs Märchen ergötzt, die auch »die Alten lesen mit Lust und die Jungen mit Andacht«. Wir gehen diesmal nicht durch die Straße von Malacca, sondern durch die Sunda-Straße, zwischen Sumatra und Java, also am Krakatoa vorbei, von dem man zur Zeit des großen Ausbruchs im Jahre 1884 soviel gehört hat.
30. März. Schöner frischer Passat; wir haben unseren Ost gemacht und gehen nun nach Norden. Zu sagen ist nichts, der Wendekreis ist überschritten, und so schnell geht der Wechsel von kühl zu warm vor sich, daß ich gestern noch das dickste Kleid trug und morgen in Kattun schlüpfen werde. Eine Unannehmlichkeit hatten wir: Jürgen wollte den Hund schlagen, der trotz aller Mahnungen und Drohungen bellte, während der Steuermann schlief, und als er ihn am Halsband faßte, biß ihn Mohr in seiner Angst in die rechte Hand; es blutete stark und das war gewiß gut. Der Hund ist sonst ganz gesund und umgänglich, nur Prügel liebt er nicht.
6. April. Wenn die schöne frische Brise anhält, sind wir morgen wohl an der Sundastraße. Jürgen liegt schon lange über den Spezialkarten, in die wir die Feuer eingezeichnet haben; Jürgen maß sie und ich machte den roten Punkt. Es ist heiß, +26 Grad R. und wir hatten einen Tag Stillte. Gleich waren zwei Haie da und umspielten das ausgehängte Stück Speck; wenn sie es fassen wollten, fühlten sie den Haken und schwammen fort und konnten doch nicht davon lassen; stundenlang lagen die Leute über der Brüstung und ließen den Speck tanzen. Endlich biß einer, Jürgen schickte ihm zum Ueberfluß ein Stück Blei in den Hals, zerschoß dabei den Strick der Angel, so daß der Hai zwar vernichtet ist, aber entkam. Den zweiten fingen die Matrosen und zerstückten ihn. Fünf bis sechs Fuß waren sie lang, mit breiten Köpfen und gräulichen Mäulern. Gestern abend roch ich deutlich wieder indischen Landgeruch. Wir sahen auch wieder Vögel, u. a. den »Bootsmann«, »weil er hinten den Marlspieker stecken hat«, wie es heißt, er hat nämlich eine dünne Schwanzfeder, wie einen langen spitzen Bolzen; auch kommen einige Nachtfalter und mehrere Libellen. Der Steward hat sich gerühmt, daß er nun wisse, wie Zigarre auf englisch heiße; erst hätte er es nicht gewußt; »und das kann doch der Kapitän nicht verlangen, daß ich verstehen soll, wenn er etwas auf Englisch fordert, aber jetzt weiß ich es.« Herr Pauly: »Nun, wie denn?« – »Giftnudel!«
8. April. Aufregender Tag; wir waren heute früh unter Land, sahen eine flache Insel vor uns, dicht mit Wald bedeckt, an ihrem Saum Palmen und brandende Riffe, dahinter von allen Seiten hohe, steile Berge, und wußten nicht, wo wir waren, denn es wollte auf keine Stelle der Karte recht passen, und ob wir uns zwischen Inseln befanden oder vor einer Bucht, war nicht zu erkennen. Wir mußten beidrehen und warten bis es zwölf Uhr war; dann fanden wir, daß wir um zwei Minuten – dreißig Meilen – weiter östlich standen als berechnet; die Insel war Klapper Island auf der Südseite von Java. Am Nachmittag passierten wir dann Java Head mit seinen Abstürzen und sahen den Leuchtturm und über dem niedrigen Gebirgszuge eine ferne graue Spitze; der Berg mußte geradezu riesig sein, denn an diesem Teile von Java befindet sich kein hoher Berg; wir peilten ihn und fanden, daß es der Krakatoa sein mußte; es war mir ganz graulich, ihn so über die ganze Insel fort zu sehen, als ob man in Rom einen Berg sähe, der in den Alpen stände.
Kapitän Leverkus, mit dem Herr Pauly jahrelang gefahren ist, befand sich am 26. August 1883, dem Tage des großen Ausbruchs, 300 Seemeilen von dem Vulkan entfernt und hörte ein Getöse wie von Kanonendonner. Nachts darauf leuchteten Meer und Himmel plötzlich weiß und der Mond sah so sonderbar aus, daß er nicht wagte, weiterzugehen und beidrehen ließ. Der Schein rührte von der Asche her, die noch in dieser Entfernung so dicht fiel, daß man zu Mittag die Kajütslampe anstecken mußte. Als sie sich der Sundastraße näherten, war das Wasser so mit Leichen und Trümmern bedeckt, daß der Kapitän seiner Frau verbot, an Deck zu kommen. Dieser schreckliche Anblick dauerte fort, bis sie die Stelle erreichten, wo Anjer gestanden hatte; die Stadt und der Feuerturm auf Vierte Punt waren spurlos verschwunden. Der Lotse Avang beschrieb uns die Zerstörung von Anjer. Er wäre zufällig in seine Haustür getreten und hätte eine riesenhafte Welle von wenigstens 40 Fuß Höhe sich mit solcher Geschwindigkeit heranwälzen sehen, daß er und wenige andere sich nur mit Anstrengung den Hügel hinauf retten konnten, ehe die Flut hereinbrach und alles verschlang.
Auf dem ganzen Wege von der Sundastraße bis nach Kapstadt hat man sich noch nach Jahren mit Bimsstein versehen können und Jürgen brachte mir auch jetzt ein paar Stücke, die vorbeitrieben. Noch ein Jahr nach dem Erdbeben hing in den Konsulaten und Hotels in Hongkong eine Tafel aus, in der die Schiffe vor der Sundastraße gewarnt wurden, da sie noch nicht wieder aufgenommen wäre.
9. April. Es war grimmig heiß und flau, so daß es nur in dem Tempo der Schnecke vorwärts ging, die zur Hochzeit kroch und zur Kindtaufe ankam, und doch einer der idealen Tage, wie es im Leben nicht viele gibt. Wir sind in der Sundastraße, auf der Südseite sahen wir die Höhenzüge der Prinzeninsel und nach Norden zu, also seitlich voraus, hatten wir den ganzen Tag den Krakatoa vor Augen, 2750 Fuß hoch, links davon die niedrige Insel Verlaten und dahinter in blauem Duft einen zweiten Riesen von 2860 Fuß Höhe, den Sebesie. Klar von oben bis unten standen diese grimmen Kerle da und so mild Luft und Ferne sie verklärten, sah man doch die Felsschrunde von der Spitze bis in's Meer den ganzen Kegel durchfurchen. Und nun die Luft! Jeder Atemzug war wonnig, die Brise kam von Java mit Wohlgerüchen beladen. Leider trägt Jürgen seine Nase nur zum Schmuck und vermochte mein Entzücken nicht zu teilen.
9. April. Am Morgen wurden wir durch das Geschnatter eines Malaienbootes erweckt; einige der Insassen kamen an Bord und boten ihre Vorräte an. Nach langem Handeln erstand Jürgen den Inhalt des ganzen Bootes für sechzig Mark und es wurden zwanzig Trauben Bananen, die aber zum Teil noch unreif sind, heraufgezogen, sechzig Kokosnüsse, Säcke voll Yams und eine Menge Körbe mit süßen Kartoffeln, die aussehen, wie Georginenknollen, hundert Eier – es waren aber nur siebzig – und schließlich eine Menge Kürbisse. Jürgen gab der Mannschaft gleich einige der Bananenbüschel und Kokosnüsse, und nicht lange, so sah man sie mit Stücken Kokos in der Hand umhergehen. Die Sundastraße ist wunderschön, das Wasser klar und grün, an der Javaseite bewaldete Bergzüge mit grünen Wiesenstrecken bis an die weiße Strandlinie hinunter, im Hintergrunde eine grüne Kuppe hinter der anderen, bis die Spitzen in den Wolken verschwinden; voraus hat man die niedrigen Felsen der Insel Dwars in den Weg und andere kleine Eilande, und sieht man zurück, so steigen die Riesenpyramiden des Krakatoa und Sebesie in ihrer ganzen gewaltigen Größe aus der See. Von dem überwältigenden Eindruck dieser Kolosse gibt keine Beschreibung einen Begriff. Zuerst erschien die Form des Krakatoa vollkommen regelmäßig, weiterhin aber kam die abgestürzte Seite zum Vorschein, die ganz in sich zusammengesunken ist. Ueber Java lagerten dicke Wolkenballen, die sich gegen Abend verzogen; die Sonne ging prachtvoll unter zwischen Krakatoa und Sebesie.
Mit uns sind eine ganze Reihe Schiffe hier; ein Norweger, auf dem eine Frau in Weiß zu unterscheiden war, ein bunter Italiener, der zu Anker lag oder eine Menge malaiischer Fischerboote mit kleinen dreieckigen oder großen quadratischen Segeln. Es kam ein Lotse an Bord, der ein empfehlendes Zeugnis von einem Engländer vorwies und den Jürgen annahm, um einen guten Ankerplatz zu bekommen, doch schien er nicht recht Bescheid zu wissen und das Lot zeigte immer 26 bis 27 Faden – 162 Fuß – während der Lotse von zwölf Faden gesprochen hatte; schließlich mußte man den Anker in solcher Tiefe fallen lassen, was eine gräuliche Sache ist. Abgesehen von der Gefahr, ihn nicht wieder zu bekommen, hat der »Regulus« durch die Wunderlichkeit des alten Kapitäns, der den Bau überwachte, kein Patentspill und ist auf die Arbeit der Mannschaft angewiesen. Die Körbe, in denen die sweet potatoes waren und die ein bestimmtes Maß bezeichnen, sind aus frischen grünen Palmblättern gemacht; die Mittelrippe wird bis zu dem vierten Blatt abgeschnitten und die sehr langen Blätter ineinander geflochten; sie sind leicht und vergänglich, aber für den Augenblick fest und zweckentsprechend.
Mohr hatte einen glücklichen Tag; er ließ mich kaum in Frieden eine Banane essen, so wild war er darauf, auch Kokosnuß bekam er; süße Kartoffeln und Yams ließ er sich auch gefallen. Die braunen Leute waren ihm unheimlich, ohne Jürgen oder mich traute er sich nicht hinauf, bellte sie auch nicht an, dafür konnte er sie nicht genug beriechen – sie hatten Angst vor ihm, aber so oft man ihn auch fortrief, immer wieder stand er da und beschnüffelte sie.
11. April. Wir nahmen den Anker auf und kreuzten bei schlechtem Wind und einkommender Flut bis über Anjer, wo wir wieder den Anker fallen ließen, denn man kann nur mit der Flut weiter und treibt bei Ebbe zurück. Wir haben einen großen Viermaster und einige andere Schiffe zur Gesellschaft und verbrachten den warmen Abend auf Deck. Die Küste von Java ist ganz nahe, und ich erlabe mich an den Bergformen, den Wäldern mit den riesigen Bäumen, sah aber mit Staunen auf den Bergen große kahle Flecke; die Vegetation soll durch das Erdbeben so gelitten haben. Von der Stadt Anjer sahen wir nur ein einziges Dach. Auf der Karte steht: »totally destroyed« (gänzlich zerstört), und der erste Dampfer, der nach dem großen Erdbeben die Post dort abgeben wollte, suchte den wohlbekannten Ort vergebens. Zu uns kam indessen doch ein Boot heran, aus dem ein Kasten mit Briefen an Bord gebracht wurde. Jedes Schiff sucht sich selbst die seinen heraus; für uns waren keine da.
Die Leute haben schwere Tage bei der furchtbaren Hitze, aber sie verlieren den Humor nicht und amüsieren sich mit einem unglücklichen Affen, einem häßlichen, kahlen Tier, das sich Eduard gekauft hat; ich freue mich, daß ich nicht dieser Affe bin, denn die Mannschaft spielt beständig mit ihm und er hat Ketten um den Hals und um den Leib einen langen schweren Strick. Der Koch hat sich ein graues Eichhorn gekauft mit orange Leib und grau und orange Schwanz, Eberhard eine Muskatratte, die aber bereits von der Katze gefressen ist, auch ein paar Reisvögel hört man zirpen, und weiße und gelbe Kakadus und niedliche kleine Affen mit weißen Händen wurden angeboten.
Wir schwelgen in Enteneiern und Mandarinen.
11. April. Wir liegen noch hier. Der Tag war heiß und es blutet einem das Herz, die Leute in der furchtbaren Glut den Anker aufnehmen, dann wieder die Segel setzen zu sehen. Der Wind ist ganz unbeständig, es mußte fortwährend gewendet werden, trotzdem trieben wir zurück und schließlich wurde es flau und wir mußten den Anker nochmals fallen lassen; später kam dann ein heftiges Gewitter. Gegen Abend kamen einige Kanoes an mit outriggers, die aus zwei dicken, durch krumme Naturäste am Kanoe befestigten Bambus bestanden. In zwei Astgabeln lag das zusammengerollte Segel nebst Bambusrah und Bambusmast. In diesen leichten, schmalen Booten saßen 1-2 oder 3 Malaien; ihr Anker war ein Ast mit einer Gabel, mit einem faustgroßen Stein beschwert, und damit der Haken auf die richtige Seite fiele, war ein Stück Koralle daran befestigt. Stricke und Taue waren sehr hübsch gleichmäßig aus Kokosfaser gedreht. Mich interessierte eine lange, grüne Ranke, wenig dicker als ein Bleistift, die sie als Tau benutzten und am »Regulus« fest machten, während der eine an Bord kletterte. Es waren hübsche, intelligente, braune Gesichter.
Wir quälen uns langsam weiter. Es ist eine sonderbare Erscheinung, daß, trotzdem die Strömung durch die Straße von den Gezeiten bedingt wird, auf 24 Stunden immer 16 Stunden von Nord nach Süd und 6 bis 8 Stunden in umgekehrter Richtung Strom ist. Hat man nun nicht Wind genug, um den Strom zu überwinden, so muß man Anker werfen, um nicht zurückzutreiben. Auf diese Weise kann man ein Schiff unter vollen Segeln sehen, das nicht von der Stelle rückt. Morgens strömt die Ebbe heraus, mit zwei und einer halben Meile Strom, dagegen kann man nicht an. Um Mittag kommt die Flut ein, man nimmt den Anker auf und setzt Segel, und da wenig Brise ist, so kreuzt man mühselig ein paar Stunden und muß dann den Anker fallen lassen. Gestern trieben wir zwei Stunden lang unter beständigem Loten; auf den Karten waren 11, 18, 20, 28 Faden angegeben, und das Lot zeigte Tiefen von 30 bis 32; was das heißt, den 40 Zentner schweren Anker mit der Kette aus einer solchen Tiefe aufzuziehen, könnt Ihr Euch schwerlich denken;
schrecklich ist es, die armen Leute dabei zu sehen, gerade in der ärgsten Hitze, geändert kann es aber doch nicht werden.
Jede Mannschaft bevorzugt bestimmte Lieder bei der gemeinsamen Arbeit. Wenn Jürgen jetzt singt oder pfeift:
»There's plenty of gold,
As I am told,
On the banks of Sa-cra-men-to!«
steht mir immer das Aufnehmen des Ankers in der Sundastraße vor der Seele.
Die Berge zeigen kahle Stellen zwischen dem Wald, durch das Glas sieht man, daß sie über und über angebaut sind und man in den Feldern einzelne große Bäume hat stehen lassen, ebenso einige Baumklumpen auf den Spitzen, auf der höchsten, als eine Art Landmarke, einen einzigen riesig hohen Baum, gegen den die »dicke Emma« bei Elgersburg ein Kind ist. Gestern fischte mir Jürgen einen sehr hübschen Sepiaknochen; ich amüsierte mich, den Krakatoa und etwas Luft und Meer darauf zu malen und legte ihn zum Trocknen auf Deck. Bald darauf war er fort, offenbar hatte ihn der Lotse gestohlen. Das war mir zwar sehr ehrend, aber nicht erfreulich, ich tröstete mich indessen mit der Vorstellung, daß er ihn jedenfalls gegen eine alte Jacke oder Hose verkaufen würde und er zuletzt als Kunstwerk der Eingeborenen in einem Museum glänzen wird. Der Steward hat zwei reizende grüne javanische Täubchen mit roten Schnäbeln gekauft, sie girren ganz zart und sind kleiner als unsere Tauben.
15. April. Ein großes Boot kommt längsseit, dem ein braun gesottener Mann entsteigt und sich als Runner und Lotse für Batavia vorstellt. Tageweit gehen sie bei gutem Wetter hinaus, um sich bei den Schiffen den Rang abzulaufen. Dieser war ein einfacher, bescheidener Mann, den ich für farbig hielt, er ist aber Schwede, und Jürgen sagte gleich, solche Knochen und Hände hätte kein Farbiger. Sein Name war Thor, er hatte starke, lange, gelockte Augenbrauen und schöngeschwungene lange Wimpern. Wir behielten ihn zu Tisch und er erzählte, daß hauptsächlich Chinesen diese Küstenstriche besäßen. Die Eingeborenen bebauten sie, und was wir sähen, wären Zucker- und Kaffeepflanzungen. Er wollte Briefe mitnehmen, ich machte also in Eile einige fertig. Wir nahmen den Anker leider zu früh auf, nach Angabe unseres malaiischen Lotsen, und trieben zurück, so daß wir den gestrigen Tag gänzlich verloren haben.
Als abends der Strom zu Ende war, nahmen wir den Anker auf und gingen bei schwacher Brise langsam, aber stetig vorwärts, mit uns ein Viermaster und eine Bark »Lightshooter«. Um Mitternacht waren wir endlich bei Nicolaspoint und hatten somit die Sundastraße passiert. Hier entließ Jürgen den Lotsen zu meiner Freude, denn es war mir beängstigend, den leise tretenden, schwarzen Kerl um mich zu haben, dessen Boot mit drei Malaien hinten angebunden war, und der das, was ihm gefiel, nur in einem unbewachten Augenblick seinen Leuten zuzuwerfen brauchte. So lange wir braune Gesellschaft an Bord haben, lasse ich die Gucker nicht aus den Augen. Heute sind wir in der Java-See und an den tausend Inseln vorbeigekommen, von denen wir siebzehn sahen, darunter einen einzelnen Baum, scheinbar ohne Unterlage über dem Wasser schwebend.
In der Badestube haust eine Schabe von der Größe eines Hirschkäfers, so daß ich nur mit Angst hineingehe.
Luft herrlich und balsamisch. Die Eier hielten sich nicht, wir haben sie verbraucht.
18. April. Furchtbar heißer, schwüler Tag; wir gehen auf das Feuer am Eingange der Bankastraße, zwischen Sumatra und Banka, zu; hier herum sind erschrecklich viel Sandbänke unter Wasser; diese Stellen haben hellere Färbung, der eigentliche Weg ist kaum zwei Meilen breit.
Die Malaien sangen am letzten Abend stundenlang in ihrem Boot; es waren verschiedene Melodien zu unterscheiden; sie tremolierten mit Gefühl durch die Nase, und statt des Schlußtons, den man erwartete, ließen sie den Endton, sozusagen halbwegs, ausklingen.
Schade, daß es so umständlich ist, eine Kokosnuß aufzumachen, nichts ist so erfrischend bei dieser Glut als der wasserhelle prickelnde Saft einer jungen Nuß; manche enthalten über einen halben Liter. Jürgen legt sie vorher in das Bad, um sie zu kühlen. Mohr ist gierig auf das Fleisch, und macht jemand eine Nuß auf, so steht er daneben und verwendet kein Auge von dem Vorgang.
22. April. Sonntag. Gestern hatten wir ein heftiges Gewitter. Als es vorüber war und nur noch Luft und Land voll Dunst und Wolken hingen, sah ich ein mir ganz neues Phänomen, ein Bergzug im Nebel stand in Regenbogenfarben, nicht etwa in einem Stück Bogen, sondern senkrecht in der Farbenskala beleuchtet.
Wir haben heute mit frischem Wind ein schönes Ende gemacht und die Insel Banka vor Augen mit hohen, spitzen Häuptern über dem niedrigen Ufer; dort sind die berühmten Zinngruben, die von Chinesen bearbeitet werden. Vor den Eingeborenen warnt die Segelanweisung und sie stehen auch bei den Malaien in schlechtem Ruf: »Banka men, bad men, makee die« »Banka-Leute, schlechte Leute – machen sterben.«, sagte der Lotse Avang. »Makee poison« »Machen Gift.« – und zaubern die Leute krank, bis sie sterben. Ich hoffte, sie würden Kokosnüsse bringen, aber soweit zivilisiert sind sie noch nicht, scheint es. Heute abend sahen wir Schwärme schwarzer Vögel bei Sonnenuntergang von Banka nach Sumatra fliegen, sehr hoch über dem Schiffe fort, und denkt Euch, es waren Fledermäuse. Sie müssen wenigstens so groß wie Bussarde gewesen sein. Jürgen versuchte eine zu schießen, aber sie flogen zu hoch. Ob es Vampyre sind oder fliegende Hunde?! –
Aber die Luft! Als ob der Maiwind über einen blühenden Obstgarten striche oder über eine Fliederhecke, hinter der eine lange Reihe Leute umschichtig Muskatnuß reibt und Sandelholz raspelt. Heiß ist es freilich, aber doch nicht unerträglich.
23. April. Gewitter, das uns kühlt und vorwärts bringt. Wir sahen ein kurioses Ding wie ein umgestülptes Dach aus dem Wasser ragen, daneben einen dunklen geknickten Strich. Durch das Glas gesehen blieb kein Zweifel, es war das gestrandete Schiff, von dem der schwedische Lotse uns erzählt hatte. Das Dreieck war ein Stück vom Rumpf und das Geknickte ein gebrochener Mast.
Wir kamen an der Inselgruppe Nanka vorbei und sahen auf dem westlichen Eiland unerwartet einen Feuerturm. Die kleine Insel war hübsch bewaldet, Jürgen dachte es sich angenehm, da Feuerwärter zu sein, denn es gäbe dort gewiß Jagd. Entschuldigt, wenn ich nochmals die Luft erwähne, – wie grüne Muskathyazinthe mit Goldlack, und einmal roch es plötzlich wie in einem Thüringer Tannenwald.
Die Bäume am Ufer sollen hauptsächlich aus Tamarinden bestehen.
26. April. Im Chinesischen Meer; heiß und schwül, aber kein Regen, doch bildete sich eine große Wasserhose; deutlich sah man die Bewegung in der Röhre und das aufsteigende Wasser unten, aber nicht die Verbindung. Jürgen meinte, sie wäre nicht ganz zur Entwicklung gekommen. Gottlob ging sie weit von uns vorüber. Weder Jürgen noch die Steuerleute haben je persönlich mit einer Wasserhose zu tun gehabt, obwohl Jürgen einmal so nahe an einer vorbeigekommen ist, daß er das Brausen hörte; sie erzählten jedoch von einem Kapitän, über dessen Schiff eine Wasserhose bei vollkommener Stille fortgegangen war und das Ruderhaus, das Rad und den Mann am Steuer fortgerissen hatte.
27. April. Ich habe seit mehreren Tagen Kopfschmerz, wahrscheinlich von der Hitze, die drückend ist.
30. April. Alle Tage Hitze und Stille, abends Regenwetter mit oder ohne Gewitter, dabei rückt man nur mäßig vorwärts. Wir sind am Anfang von Rhio Strait zwischen den Inseln. Eine ist ein weithin sichtbares Seezeichen, denn auf der Spitze ihres höchsten Berges ragen zwei Hörner auf, die von vorn genau aussehen wie Eselsohren, woher sie auch Asses Ears heißen.
Jürgen hat eine Seeschlange mit Tabak ausgestopft. In ihrem Magen war ein Fisch von 20 cm Länge und dicker als die Schlange selbst, da wo sie nüchtern war. In einer der kleinen blauen Quallen, die aussehen, wie ein mit feinen weiß und blauen Glasfäden übersponnener Knopf, fanden wir einen ganz kleinen Fisch, etwa einen Zentimeter lang, den sie sich buchstäblich einverleibt, aber noch nicht verdaut hatte, denn er bewegte sich noch.
Gestern abend kam ein Boot mit einem malaiischen Lotsen, Jürgen war sehr froh und er machte auch auf mich Laienseele den Eindruck, etwas zu verstehen; der vorige gab auf Jürgen's Frage, ob er Segel setzen solle, zur Antwort: »yes, if you like« »Ja, wenn Sie wollen.«. Heute früh ließ ich beim Nähen meine Schere fallen, und sie blieb mit der Spitze stecken, also konnte man Besuch erwarten, und ich war gespannt, ob es eine Libelle, ein Vogel oder was es sonst sein würde, – bald darauf kam Jürgen mit der Meldung, da wäre der Besuch, denn von zwei Seiten kamen Lotsenboote an, jedes mit drei Mann Die Fahrt zwischen diesen Straßen und Inseln ist gefährlich; man nimmt daher gern die Leute, die mit ihren Booten herankommen und das Fahrwasser ihrer Gegend kennen, eine Strecke weit als Lotsen mit; deshalb diese Menge.. Der Lotse, der sich vorstellen will, wirft erst den runden Hut ab, setzt eine Mütze auf, bindet sich einen Sarong über die leinenen Hosen, steckt ein Päckchen, in ein Tuch gewickelt, in die Jackentasche und solchergestalt salonfähig, klettert er über die Brüstung, wickelt sein Päckchen auf und überreicht seine Kreditive. Darauf kann man aber nicht viel geben; so sagte der Lotse Avang ganz unschuldig von einem andern, dieser habe seine Zeugnisse von ihm; »me got many, he got none, give some«. »Mich viele, er keine, ihm einige geben.« Es gibt auch Kapitäne, die dem armen Schreibunkundigen bescheinigen, er wäre »the stupidest ass, he ever met«. »Der dümmste Esel, der ihm noch begegnet wäre.«
Der eine Lotse heute hatte seinen Sohn von etwa zwölf Jahren mit, einen schlanken, reinlichen Jungen in rosa Hosen, lila Jacke und scharlachrotem Fez. Er schenkte mir eine Popeia, und ich ihm Kakes und Rosinen. Gestern bekamen wir auch ein paar ganz frische, noch grüne Kokosnüsse; die Nuß innen war schon hart, aber noch weiß. Angezapft gab die eine drei Biergläser voll klaren Wassers, das etwas auf der Zunge prickelt, herrlich erquickend. In der Sundastraße sah ich Leute ihr Boot ausschöpfen mit einer Kokosschale und einem Stück Zinndose, heute benutzten sie einen Korb dazu, den sie ganz wunderhübsch aus einem Bananenblatt gemacht hatten; erst wollte der Mann ihn nicht verkaufen, er hätte es »hissep« (sich selbst) gemacht, als er aber eine große Konservendose erhielt, war er des guten Handels offenbar froh, und Jürgen gab ihm noch eine Rupie, worüber alle Malaien in Mitleidenschaft grinsten. Ich gönnte es ihm auch, denn sie kommen so weit heraus, drei bis vier Mann, und vigilieren auf Schiffe und wir konnten ihnen den Trost nicht geben, welche hinter uns gesehen zu haben.
1. Mai. Kein Wind und wir werfen den Anker aus; »Hanker« sagte der Lotse. Wir liegen in der Mitte von Inseln; mit dem Glase lassen sich die Bäume der Wälder erkennen, aber mit dem bloßen Auge unterscheidet man nur die Riesenstämme, die den Wald überragen; denkt Euch waldiges Vorland, dann waldige Hügelketten, dahinter einen blauen Bergzug und auf diesem erkennt man in dieser Entfernung einzelne Stämme, ebenso hoch aufsteigend wie die untere Höhe von der See bis zu den Gipfeln beträgt, über die sie hinaussehen. Einige solcher Bäume standen in einer Einsattelung und überragten die benachbarten Bergkuppen; sie müssen unbegreiflich hoch sein.
Wieder ein Lotsenboot, einer der vier Brüder Ismael, die besonders intelligente Leute sind. Dieser war sehr amüsant; er erzählte Jürgen, der ihn von früher kannte, sein Bruder hätte keine Frau mehr, er habe sie fortgeschickt, zu mir gewendet setzte er erklärend hinzu: »Malaya fashion«. »Malay-Sitte.« Ich lachend: »Malaya fashion not nice fashion.« »Malay-Sitte nicht hübsche Sitte!« Er mit großer Lebhaftigkeit: »Malaya fashion – proper fashion!« »Richtige Sitte!« Wenn ein Mann der Frau alles gäbe, Kleider, Essen, Geld und no good »nicht gut« – dann, mit lebhafter Handbewegung: »Father! mother! take back daughter, no good!« »Vater, Mutter, nimm Tochter, nicht gut.«
Dasselbe Recht hätten die Frauen; gefiele ihnen der Mann nicht, fort mit Schaden, – aber Chinamann und weißer Mann »go to head-man, makee contract. No good? – Keep!« »Aber Chinamann und weißer Mann geht zu Obermann, macht Kontrakt. – Tut nicht gut? – Behalten!«
Dabei war er voll Leben und Bewegung, ein schlanker, schon etwas ergrauender Mann. – Einer der kleinen Reisvögel starb; er war schon gestern krank und wurde für die Nacht in einer Zinndose auf einen wollenen Strumpf gelegt; heute früh wollte ihn der Steuermann tränken, wobei er in die Waschschüssel fiel, und trotzdem er noch mit einem wollenen Lappen bedeckt wurde, starb er.
Auch der Segelmacher war gestern nicht wohl, ihm war übel, er hatte Durchfall und andere Leiden, die sich infolge vielen Schwitzens in heißen Klimaten einstellen. Was tut der Mann? Zieht zwei Jacken und zwei Paar Beinkleider an, deckt sich warm zu und schwitzt – und wirklich geht es ihm besser. Vielleicht war es doch das Richtige, denn ihn hatte gefroren.
Der junge Malaie, der im Lotsenboot mitfährt und ab und zu an Bord kommt, hat einen metallenen Schneidezahn, genau geformt wie der andere. Da ein europäischer Zahnarzt ausgeschlossen war, interessierte es mich. Befragt, zeigte er auf meinen Ring und erklärte, er habe sich Gold für zwei Dollar vom Chinamann gekauft, es selbst zurecht gehämmert und eingerammt; er beschrieb das mit Bewegungen und wollte auch den Zahn höflich herausnehmen, um ihn mir zu zeigen, bekam ihn aber trotz Ziehens und Rüttelns nicht heraus und ließ es bewenden, da ich flehte, er solle es lassen. Ich fragte, ob das malaya fashion wäre, aber er spricht und versteht schlecht englisch und begriff die Frage nicht. Entweder haben sie herrliche Gebisse, oder durch Betelkauen ganz zerstörte gelbe Zähne und blutrote Mäuler.
Wir aßen die Popeia, die klein war, aber köstlich.
3. Mai. Große Begriffserweiterung; Jürgen kauft eine Schildkröte und wir haben Suppe. Ich wollte das Rezept im Audot nachlesen, aber es ist keines darin, obwohl doch Frankreich am Meer liegt und also Schildkrötensuppe essen muß. Herr Pauly hat selbst eine Schildkröte im Mittelmeer gefangen. Der Koch und Jürgen verständigten sich indessen auf Grund früherer Erfahrungen und die Suppe schmeckte sehr gut, obwohl etwas zu viel Gewürz daran war. Die ganze untere Schale wird zerschnitten, mitgekocht und wirkt gallertartig, aber ohne Geschmack. Es sättigt sehr. Schrecklich war mir das zähe Leben des Tieres, das durch Abschneiden des Kopfes getötet wurde, und in derselben Weise wie der Frosch noch lange nach dem Tode auf jeden Reiz reagierte.
Kein Wind am Vormittag; der Anker wird aufgenommen, um den schwachen Strom zu benutzen; am Nachmittag kommt ein Gewitter mit widrigem Wind, der Anker muß also wieder geworfen und die Segel festgemacht werden, denn wir liegen in einem Kranz von Inseln und Vorsicht ist die Mutter des Porzellankastens. Es ist wirklich schlimm, so zu liegen und nicht fortzukönnen, nur noch vierzig Meilen vom Ziel.
Ich trinke alle Tage die Milch einer Kokosnuß; der Saft ist immer verschieden, manchmal fast geschmacklos, manchmal prickelnd, dann wieder süß, als wäre Zucker darin, oder er schmeckt nach Nuß bis zur ausgesprochenen Ranzigkeit, doch immer kühl und erfrischend. Neulich hielten wir eine für schlecht, die aber nur nicht kluckern konnte, weil sie so voll Saft war.
Um die Kokosmilch zu schätzen, muß man sie hier trinken; der schale Saft einer Kokosnuß in Berlin oder Hamburg gibt keinen Begriff von der Wohltat, die er in heißem Klima ist.
6. Mai. Es ist elf Uhr abends, +25° R., ich bin müde, aber schlafen werde ich bei der Hitze nicht. Draußen brennt eine Fackel von Petroleum, die ein Kuli durch Lufteinpumpen und Stochern unterhält und die fast taghell Schiff und Takelwerk beleuchtet; phantastisch ziehen die Chinesen unter langhallendem Geschrei mit ihren leeren und vollen Kohlenkähnen hin und her, über uns steht das Kreuz und zur Seite der junge Mond. Es ist eine Szene für Menzel. Eigentlich wollte ich alles regelrecht erzählen, wie wir endlich Sonnabend spät auf der Reede von Singapore den Anker fallen ließen und am Morgen die bekannten Gesichter des Dubasch- und des Bumboatmannes sahen, den Schuhmacher, den Wäscher, wie ich leider Migräne hatte und wir trotz des Sonntags die Briefe bekamen, – aber was ich heute sah, quillt mir zur Feder hinaus. Wir liegen nämlich nicht in Singapore, sondern an einem Löschplatz in Pulo Brani, einer kleinen Insel, auf der die Schmelzwerke liegen, für die wir das Anthracit gebracht haben.
Der Lotse, ein Engländer, kam mit zwei kleinen Dampfern, die rechts und links angespannt wurden, und so ging es durch die schmalen, zum Teil stark strömenden Meeresarme zwischen den bewaldeten Hügeln entlang, eine wundervolle Landschaft, als führe man aus einem kleinen Landsee in den anderen. Malerische Bungalows und spitze Dächer sahen hier und da aus dem Grün hervor.
Dicht vor den Schmelzwerken, aus deren vier Schornsteinen abends rote Glut herausschlägt, wurde der »Regulus« festgemacht. Auf dem Kai lagen in Reihen kleine weiße Säcke, die fortgeschafft werden mußten, um für unseren Anthracit Platz zu machen. Diese unschuldigen flachgefüllten Säcke haben es aber in sich, sie enthalten Zinn, das in Malacca und Banka gefördert wird und jeder derselben wiegt einen Zentner; die chinesischen Kulis lassen sich zwei, manche auch drei und sogar vier auf den Nacken laden und traben damit fort. Die Chinesen, die wie Ameisen durcheinander laufen, mit spitzen Hüten und nackten Oberkörpern, mit stumpfen, grotesken, sanften oder schlauen Gesichtern, den Zopf aufgerollt, die Arme fleischlos, die Muskulatur stark ausgebildet, alle schwatzend, schreiend, jabbernd, haben wir direkt vor unserer Tür. Heute, als ich nachmittags, nur mit einem Fächer und dem untersten der Gewänder bekleidet, auf dem Bett lag, drückte plötzlich einer der Chinesen sein Gesicht in die Rundung des kleinen Fensters und ließ seine Blicke freundlich auf mir ruhen. »Go away directly!« »Mache, daß du fortkommst!« rief ich mit hoheitsvoller Gebärde und zeigte mit dem Fächer die Richtung, in der ich wünschte, daß er sich entfernen möchte, gleich darauf versuchte ein anderer durch das zweite Fenster zu sehen, prallte aber noch zur rechten Zeit zurück, ehe Jürgen's Faust hindurch fuhr. Wir gingen dann zum erstenmal an Land; es war wundervoll grün und frisch und die Blicke über das Wasser und die Hügel umher reizend. Plötzlich standen wir bei einer Krümmung des Weges vor einem Pfahlbaudorf, hundert Häuser vielleicht, jedes für sich, etwa zwanzig Fuß über dem Wasser, untereinander durch ganz schmale Stege verbunden. Einige der Hütten neu und schön, andere so windschief und zerzaust, daß man nicht begriff, wie sie überhaupt noch stehen konnten. Links zog sich grün und still die Bucht herum, rechts schloß ein hoher bewaldeter Hügel das Bild ab, den Hintergrund bildete der Ausgang nach der See mit einer Menge Barken und Boote, die in dem klaren Wasserspiegel wie in der Luft schwebten, uns zu Füßen lag das Dorf – wie es wahrscheinlich vor Jahrtausenden genau ebenso an den deutschen und Schweizer Seen ausgesehen hat. Ein magerer Junge in einem braunen Kittel, die schwarzsträhnigen Haare um das gelbe Gesicht, der uns mit scheuen schwarzen Augen betrachtete, könnte zur Pfahlbauzeit genau ebenso am Bodensee gestanden haben. Dann kamen indessen Farbenflecke in das Bild, wie sie dort nicht zu sehen gewesen sind, als Leute, grellrot oder grün angetan, in ihren Türen kauerten, hier und da ein dunkles Gesicht um die Ecke sah, dann und wann ein leuchtender Sarong über die Stege ging. In einem Boote wurden große Muscheln gewaschen und poliert, andere Boote, Lastkähne und bunte Sampons glitten vorbei, – ich kann nicht sagen, wie vollkommen phantastisch, merkwürdig, fremd und malerisch der Anblick war. Wir gingen hinunter an den ersten Hütten entlang. Unter einem Vordach kauerte ein schwarzes Hindumädchen mit leuchtenden Zähnen und Augen und schrie beständig: »Abdul! Abdul!« Wir hatten Mohr mit, er litt aber sehr von der Hitze und verhielt sich ganz passiv, trotzdem fuhr ein Haufen Kinder bei seinem Anblick mit Entsetzen zurück; ein alter Großvater stürzte heran, nahm eins auf den Arm und tröstete es. Jürgen behauptet, sie wären nicht vor Mohr, sondern vor uns gelaufen. Als wir zurückgingen, hatte sich der kleine Abdul eingefunden und bekam zu essen; sehr niedlich stand er da, in ein Korallenarmband und einige bunte Steine an einem Hüftbändchen gekleidet, rund und braun. Ein Hindumädchen ging an uns vorbei mit einem gelbbraunen Tuch über dem Kopf, genau wie Girolamo Savoldos Venezianerin, reizend von Form, Farbe und Ausdruck, die Lippen leicht gefärbt, lächelte sie, als ich sie bewundernd anblickte; sie war nicht dunkel und nicht gelb, sondern ein helles weiches Braun mit rötlichem Anflug auf den Wangen, wie ein reifer Pfirsich. Dagegen sah uns hinter einer Tür ein Mädchen nach, so schwarz von Auge und Haar, mit so drohendem finsteren Ausdruck, daß ich ihr nicht allein hätte begegnen mögen. Aus einer Hütte tönten Klänge, die in Melodie und Ton an einen Dudelsack erinnerten. Wir blickten im Vorübergehen hinein und sahen in dem gedämpften Licht zwei Frauenzimmer liegen, ein drittes kauerte daneben und blies auf einer Schalmei; der reine Alma Tadema. Ach, daß er seine englischen Modelle verließe und hierher käme, wo die Antike lebt!
Dann kamen wir an einen geebneten Platz, wo eine Menge Malaien zwischen 8 bis 25 Jahren Fußball spielten. Sie waren alle reinlich und frisch und bewegten sich mit einem Anstand und einer Lebhaftigkeit, daß wir lange mit Vergnügen zusahen; sie haben geschmeidige Glieder und die Hitze ficht sie nicht an.
12. Mai. Was es für liebenswürdige Leute gibt, ist wahrhaft erstaunlich. Wir saßen abends schreibend in der Kajüte, als uns zwei Karten gebracht wurden, Mr. Carrol und Mr. Duller. Der erste ist der Manager, Geschäftsführer der Zinnschmelze, der andere, der zur Zeit mit Mr. Carrol zusammenlebt, ist in einem Geschäft in Singapore. Man sieht vom Schiff aus den Aufgang und die Veranda ihres Bungalows, der auf einer kleinen Anhöhe steht. Die Herren wollten uns die Schmelze zeigen, was sich des Abends am besten mache. Wir gingen also mit ihnen und sie erklärten uns alles auf das eingehendste; es soll die größte Zinnschmelze der Welt sein. Der Anthracit ist nicht zum Speisen der Maschine bestimmt, sondern wird in die Masse geworfen, ebenso allerhand altes Eisen, Tonnenbänder, Töpfe u. dergl., was sie rascher in Fluß bringt. Von den Gruben in Malacca und Banka liefern die Chinesen das Zinn ein, das Gestein ist zerkleinert wie feiner Sand; der Chemiker der Gesellschaft, der auch in der Nähe wohnt, prüft jeden Sack auf seinen Zinngehalt und danach wird der Preis bestimmt. Das Zinn wird erst auf sechs Schüttelmaschinen gewaschen und dann in große Hochöfen gebracht, in denen eine solche Glut ist, daß man schwarze Brillen aufsetzen muß, um hineinzusehen; es wogte gräßlich darin, wie in einem Vulkan. Einer der Oefen wurde aufgestoßen – sie sind durch Lehm geschlossen, wie beim Glockengießen – die Lava stürzte heraus, die rotglühende Schlacke sammelte sich in Sandformen, um nochmals zerstückt und geschmolzen zu werden. Das reine Zinn lief tiefer unten in einen Kessel und sah aus wie rinnendes Wasser. Es wird dann mit Kellen in Formen geschöpft und so verschickt. Von jedem Guß wird ein Pröbchen genommen und in eine kleine Form gegossen; der Manager tat es vor unseren Augen. Das Zinn wölbte sich rund über der Form, kein Tröpfchen war zu viel, keins zu wenig; es sah aus wie Silber und wurde mir zum Andenken überreicht. Ueberall lagen heiße Schlacken und standen abkühlende Stufen, rannten Chinesen mit kleinen Wagen, und die roten Lichter spielten auf den dunklen halbnackten Gestalten, die mit glühenden Stangen die Glut schürten. Das Getriebe geht nachts ebenso wie am Tage weiter, nur Sonntags werden die Oefen gelöscht. Ich hatte vergessen, daß ich zum ersten Mal ein Paar weiße chinesische Hausschuhe trug; wie sie nachher aussahen, könnt Ihr denken. Am nächsten Morgen kam Herr Carrol und bat uns nicht nur zum Abend, d. h. zum Diner um 7 Uhr, sondern sagte, er und Herr Duller wären den Tag über aus, ob wir nicht kommen und während der Tageshitze seinen Bungalow bewohnen wollten. Wir nahmen es dankbar an; Jürgen war nicht imstande, zu Hause einen vernünftigen Brief zu schreiben, denn abgesehen von dem Lärm der Dampfmaschine und dem der Kulis, wird das Schiff abgeschrapt und man sitzt wie in einem eisernen Kessel, der ohne Unterlaß geklopft wird. Wir brachten also den heißen Tag oben auf der Veranda zu, wo uns ein kühles Windchen umfächelte und wir den schönsten Blick vor uns hatten, aßen Tiffin mit Herrn Carrol und lasen in seinen Büchern. Buddah by Hermann Oldenberg, Max Müller, Lectures in the Royal Institution, Emersons Werke, Heines Buch der Lieder, eine Menge Wörterbücher fanden wir da, sogar »Le Rêve« von Zola neben der göttlichen Komödie – Chemie, Mathematik, Mechanik waren mustergültig vertreten – »The Nature« lag herum. Wenn man von der Lektüre der Leute auf ihre geistigen Bedürfnisse schließen kann, so mußte unser freundlicher Wirt sehr in unserer Achtung steigen. Herr Duller ist deutscher Schweizer aus St. Gallen, seine Mutter aus Lausanne; er spricht sein Englisch fließend mit etwas Dialekt und ist ein kleiner, übersprudelnder Mann. Herrn Carrol hielt ich für einen Schotten; in Größe und Haltung gleicht er Sir Morrel Mackenzie, das Gesicht etwas grobschlächtig, aber von feinem angenehmen Ausdruck; seine Art zu sprechen hat etwas Schwerfälliges, aber was er sagt, ist verständig, gütig und wohlunterrichtet. Er gefiel uns beiden ausnehmend. Am Nachmittag bot er uns seinen Wagen an und brachte uns selbst über das Wasser an die Fähre, wo uns dieser erwartete. Schon lange hegte Jürgen einen Herzenswunsch, der ihm bis jetzt unerfüllt geblieben war, nämlich einen Orang Utan zu sehen, und da eben ein sehr großer hier sein soll, der mit dem kleinsten aller Affen den Käfig teilt, so sollte dieses Glück ihm nun zuteil werden. Herr Carrol unterrichtete den alten Syce genau, wie er zu fahren habe; als er fertig war, ließ er den Mann die Lektion wiederholen und fort ging es durch die wohlbekannten Straßen nach dem botanischen Garten. Der Syce fuhr den Hauptweg hinauf, und als wir das Haus, in dem allerhand Getier gehalten wird, erblickten, zupfte ihn Jürgen und machte ein Zeichen, zu halten, damit wir hinaufgehen könnten. Der Syce nickte, anhalten wollte er aber nicht und zeigte mit der Peitsche weiterhin; wahrscheinlich also war der Orang Utan wo anders. Indessen sahen wir, daß er den Garten verließ. Neues Zupfen mit gleichem Resultat. »Orang Utan, yes, yes!« nickte der Syce mit vollem Verständnis und im Trab ging es weiter. Sollte das Tier in der Stadt untergebracht sein? Der Syce hält vor dem Museum und deutet mit der Peitsche hinauf: »Orang Utan!« Es blieb uns also nichts übrig, als in das Museum zu gehen und dort – den ausgestopften Orang Utan anzusehen! »Orang Utan mati!« (tot), sagte Jürgen grimmig, als wir zurückkamen. »Mati! mati!« grinste der Syce voll Freude und fuhr zufrieden mit uns nach Hause, wo Herr Carrol und Herr Duller außer sich waren, als sie die Geschichte erfuhren. Der Syce hatte gedacht, das war das Unglück, und da er nicht begriffen hatte, daß im botanischen Garten ein lebender großer Affe wäre, war er zum Museum gefahren, wo es große und kleine gäbe. Das kommt davon, wenn die Bildung zu volkstümlich wird.
Am Tage darauf war ich zum ersten Male in der Stadt, und natürlich gingen wir vor allem zu dem alten Herrn v. H. Trotzdem wir wußten, daß er inzwischen in Deutschland gewesen und mit Glück operiert worden war, ergriff es uns lebhaft, ihn lesend in seinem Sanktum sitzen zu sehen. Es war mir so traurig gewesen, ihn in Nacht gehüllt zu wissen, hier, wo alles in Licht und Farbe getaucht ist. Er sprach von seiner Reise und erwähnte, er wäre eigens von Kiel nach Dresden gefahren, um die Sixtina wiederzusehen, die ihm in seiner Jugend einen der tiefsten Eindrücke seines Lebens hinterlassen hätte. Und dies erzählte er in dem trockenen kleinen Geschäftszimmer, wo die Bezopften lautlos ab und zu gleiten und Ketten, Kabel, Flaschen usw. an den Wänden und von der Decke hängen. Vier Jahrhunderte sind verstrichen, seit der junge Raphael die Kohle zur Hand nahm und den unsterblichen Umriß auf die weiße Leinwand zeichnete; Generation nach Generation ist ins Grab gesunken mit diesem Bilde in der Seele, und selbst dieser achtzigjährige Pilger aus dem fernen Osten wallfahrtet dahin und entzückt noch einmal das wieder erschlossene Auge an der alten, ewigjungen Herrlichkeit. Von welchem unserer modernen Künstler, die mit Lächeln Raphael als längst überholt bezeichnen, wird man wohl Aehnliches sagen können!
Im Adelphi-Hotel fanden wir Kapitän G. von der »Siam« und seine junge Frau mit einem blonden kleinen Jungen. Wir lagen auf den Stühlen in der Veranda, als wären wir nicht fortgewesen; wie vormals kamen die Verkäufer und zeigten, auf dem Boden kauernd, ihre Waren, und als der eine dem Töchterchen des Hauses, der kleinen Dolly, eine Mütze, die sie aus seinem Kram gezogen und auf ihre blonde Mähne gestülpt hatte, fortnahm, sagte die kleine Weiße entrüstet: »You are a rude man to touch my hand!« »Du bist ein unartiger Mann, meine Hand zu berühren«. Dann kamen indische Gaukler und machten den gewöhnlichen Hokuspokus mit dem Verschwinden von Rupien und Steinen unter Schüsselchen, und der kleine Gerhard lachte und jauchzte. Hierauf führte der Zauberer mit einer schlanken braunen Hindufrau eine Art Stück auf, stellte sich zornig, sie jammerte und bat, er aber band ihre Hände und Füße zusammen, steckte sie in ein Netz, das er zusammenschnürte und dann in einen Korb, der viel zu klein schien, drückte sie mit dem Deckel hinein und legte eine Decke darüber. Alsdann ging er dreimal herum, indem er murmelte und auf der oft abgebildeten indischen Pfeife blies; hob darauf Leinwand und Deckel ab, zog das Netz leer, aber noch zugeschnürt heraus und ebenso die Stricke mit den unberührten Knoten. Im Korbe war nichts zu sehen, er stach von oben bis unten und auf den Seiten mit einem Schwerte durch, verdeckte ihn wieder, blies und murmelte, und als er den Korb wieder öffnete, kam sie wohlbehalten, aber kochgar zum Vorschein und strich sich die feuchten Haare aus dem nassen Gesicht. Die ganze Zeit über hatten wir ein Nebenspiel, das vergnüglicher war als das Hauptstück. Die Leute hatten einen kleinen schwarzen Jungen von kaum zwei Jahren mit, ebenso schmächtig und dunkel, wie der gleichaltrige kleine Gerhard dick und blond war; solch einen Ausdruck von Schlauheit und Verschlagenheit, wie in dem Gesicht von diesem Hindukinde, hatten wir nie gesehen. Es zupfte den weißen Kleinen immer wieder, der sich dann umwandte wie ein kleiner Hüne und ihm langsam einen Klaps auf den schwarzen kleinen Schädel gab. Man hätte nicht glauben sollen, daß das schwerfällige Kind der herrschenden, das schlaue der unterworfenen Rasse angehörte, deren Typen sie waren. Dann kam die übliche Aufmerksamkeit der freundlichen Wirtin, die Einladung, auf ihrer Privat-Veranda Kaffee zu trinken; Kapitän Busch war auch dabei und es kam noch ein Kapitän Storm, der mir als »der Professor« vorgestellt wurde. Er fährt zwischen Singapore, Java und anderen Inseln einen kleinen Dampfer, den ihm seine Reederei mit der einfachen Weisung, Geld zu verdienen, übergeben hat, und ist als Jäger, Ausstopfer und Konservator bekannt. Von den Eingeborenen handelt er seltene Tiere ein und verkauft sie nach Europa an Museen und Händler. So hat er z. B. einen der ersten Orang Utans, die nach Deutschland kamen, für 10 Dollars gekauft und für 500 wieder fortgegeben. Wo andere Europäer sich allein nicht hinwagen, soll er ohne Furcht verkehren, u. a. mit den Atchinesen. Es ließ sich sehr gut mit ihm plaudern. Am nächsten Nachmittag fuhren wir zum zweiten Mal in den botanischen Garten; Herr Carrol und Herr Duller begleiteten uns diesmal in einem zweiräderigen Wagen mit dem lebhaften Pferde Beauty. Der Orang Utan erwies sich denn auch als ein furchtbarer Vetter, sah aus wie ein böser alter Mann und zeigte ein entsetzliches Gebiß und eine lange, gräulich rote Zunge. Eine junge hübsche Dame stand ziemlich dicht am Käfig; urplötzlich streckte er seine riesige haarige Pfote durch die Stäbe nach ihr aus. Sie sprang zurück und hatte sich weniger erschreckt als wir, die wir sahen, wie wenig daran fehlte, daß er den Hut mitsamt Flechten gepackt hätte.
Der Garten war so schön wie je; ich sah mehrere Ghinko Biloba, die für den ältesten Baum der Welt jung waren, etwa von der Größe eines mittleren Birnbaumes. Abends Diner bei Herrn Carrol. Nie habe ich Speisen zierlicher angerichtet gesehen, als durch den chinesischen Koch des Hauses. Es waren nach indischer Art sehr kleine Schüsseln, aber jede so reizend und elegant, daß es einem beinahe leid tat, sie anzubrechen. Kartoffelmus glich einem leicht auseinandergebogenen gotischen Kohlkopf, die süße Speise bestand aus Ananasscheiben von einem Netzwerk aus Teig überzogen, wie aus Wachs, so zart und hell. Das Stück Huhn, das ich bekam, war zart und schieres Fleisch; ich begriff nicht, wo es ein so großes Stück gehabt haben konnte. Außer uns waren noch einige junge Leute da; der eine, ein hübscher, klug aussehender Junge von etwa neunzehn Jahren, klagte bitter darüber, daß er in einen entfernten Distrikt geschickt werden sollte, um dort die Firma zu vertreten; er hatte zwar mehr Gehalt und es war eine Beförderung, aber da nur wenig Weiße dort sind, würde er weder Cricket noch Fußball spielen können!
Unser Wirt, Herr Carrol, interessierte Jürgen und mich sehr; er hat etwas absonderlich Schlichtes und Bestimmtes, ist voller Interessen und augenscheinlich wohl unterrichtet. Jürgen bemerkte, er mache den Eindruck, über seiner Stellung zu stehen. Gelegentlich hatte er uns gesagt, er hätte seinen Urlaub zu einer Reise nach Kalifornien mit Frau und Töchterchen benutzen wollen; das Kind war drei Jahre alt, »a beautiful child«. Ein schönes Kind. Zwei Tage vor der Abreise läuft es in den benachbarten, nicht fünf Minuten entfernten Bungalow, bekommt den Sonnenstich und am Abend ist es tot. Seine Frau wäre fast auch daran gestorben; er hätte sie bei seiner Schwester in Kalifornien gelassen, damit sie sich erst ganz erhole, ehe sie wiederkäme. Nachher erzählte mir Herr Duller, ein großer »ladies' man«, der mir auf die Veranda gefolgt war, daß dieser Mann ein John Halifax ist, ein self-made man, der hier Schmelzer war und sich durch eigene zähe Energie so heraufgearbeitet hat. Mathematik, Chemie und was in sein Fach schlägt, hat er in Privatstunden gelernt, die bedeutendsten Zinngruben in England und Amerika bereist, und in Chicago, was für seine technische Ausbildung von Interesse war, studiert. Aber das Wunderbarste kommt noch. Er heiratete die Tochter eines Arbeiters, die keine Erziehung hatte und »dropped her h's«, Fehlerhafte Aussprache der Ungebildeten. sonst »war sie seiner wert«. Jetzt nun, als sie das Kind verloren, hat er zu ihr gesagt: »Ich arbeite für Dich, Du mußt aber auch für mich arbeiten. Du kannst mich auf meinem Wege fördern oder hemmen, und Du mußt wünschen, mir zu helfen,« und hat sie in Kalifornien in die beste und teuerste Schule gebracht, wo sie anderthalb Jahre bleiben und sich das Nötige aneignen soll, um die ihr zukommende gesellschaftliche Stellung einnehmen zu können. In wenigen Monaten ist die Zeit um und dann wird sich zeigen, ob und wie das Experiment gelungen sein wird. Wir finden es sehr gewagt. Ist die Frau nicht einfach und verständig, hat sie keinen Takt, so ist Halbbildung schlimmer als keine. Sogar Klavier spielen hat sie gelernt, »weil hier alle Damen spielen!« Schade, daß sie mich nicht um Rat gefragt haben, dann wäre ihr das wenigstens erspart worden! Das Problem, wie man die Summe der Begriffe, Anschauungen und Kenntnisse, die wir unter »Bildung« verstehen, einem erwachsenen intelligenten Menschen übermitteln und was man dem Gedächtnis in einem solchen Falle zumuten könne, hat mich seitdem oft in Gedanken beschäftigt. – Aber was für Existenzen gibt es! – Daß mir Herr Duller einen dicken Blumentopf nach dem andern verehrte und mir bewies, daß sie gar keinen Platz fortnähmen, mir schließlich eine blühende weiße Lilie, einen großen Strauß anderer Blumen und ein Rosenbukett schickte, versteht sich von einem so galanten Manne wohl von selbst.
Höchst merkwürdig war mir, daß ein rotblühender Hibiskus, der hier sehr viel vorkommt, eine herrliche Stiefelwichse ist, die das Leder glänzend und geschmeidig macht; ich wichste den ganzen nächsten Morgen meine Schuhe; sie färbt aber leider auch die Hände wie mit Tinte. Im Garten fand ich ein reizendes Unkraut, eine kleine lila Dolde mit gefiederten Blättern, wie Mimosa, an die ich aber erst dachte, als ich eine pflückte und sie nicht allein die Blätter schloß, sondern sie auch am Zweige senkte; die gepflückten gingen nicht wieder auf.
15. Mai. Gestern verließen wir die abgelegene kleine Insel und gingen auf die Reede zurück. Ein junger Mann aus dem Geschäft, der noch Jürgen Lebewohl sagen wollte und zum Essen blieb, konnte, da sich der Dampfer währenddessen in Bewegung gesetzt hatte, nicht fort, bis wir wieder an der Kette lagen. Er erzählte, daß er hier in Pulo Pinang geboren wäre, wo sein Vater Zuckerrohr- und Tapiokapflanzungen gehabt hätte. Gefragt, von welchem Teil der Pflanze, die wir eben im botanischen Garten gesehen hatten, Tapioka gewonnen würde, sagte er, aus der Wurzel, die aber erst gekocht werden müßte, um ein Oel abzusondern, das sehr giftig wäre; die Malaien hätten es früher gebraucht, um ihre Kris damit zu vergiften. Sie schlichen ihrem Feinde nach und stachen von oben durch die Schulter ins Herz, indessen wäre diese Unliebenswürdigkeit sehr abgekommen. Jürgen fragte, ob es hier Jagd gäbe. Es wäre nicht viel, hier und da einen Tiger; wenn die Malaien einen merkten, zeigten sie es an und dann würde er geschossen. Auf den kleineren Eilanden gäbe es noch Tiger, hier nicht; sie schwimmen vom Festlande herüber – »Tiger schwimmen sehr gut,« wie auch Brehm, auf Dr. Jagors Autorität hin, angibt.
21. Mai. Singapore-Reede. Wir haben in Saus und Braus gelebt. Beinahe alle Morgen waren wir an Land; hier und da habe ich eine halbe Stunde bei Herrn v. H. gesessen, der in jeder Beziehung die beste Gesellschaft ist, die man haben kann, und der mir alles mögliche erzählt; z. B. sagte er, Neapel müßte ich sehen und den Berg hinter Messina hinaufsteigen. Dort habe sein Vater mit neunzehn Jahren das Fort gegen Napoleon kommandiert. Herrn v. H.'s Großvater nämlich hatte als Hannoveraner in englischen Diensten ein Regiment angeworben und seinen Sohn, Herrn v. H.'s Vater also, schon mit zwölf Jahren als Leutnant in dasselbe treten lassen. Auf einem großen Diner bei einem englischen Herzog wurde der Knabe ganz als Offizier behandelt, aber sobald das Dessert aufgesetzt war, stand er auf und sagte: »Now I had rather go into the garden and play with the girls.« »Nun möchte ich lieber in den Garten hinunter und mit den kleinen Mädchen spielen!«
Dann geht es gewöhnlich in das Hotel, wo die Kapitäne sich zusammenfinden und einige ihrer Frauen einquartiert sind. Dort verdämmert man die heißesten Stunden, fährt darauf an Bord und sitzt noch ein wenig in der Abendkühle. Das ist der Tag in Singapore. Vorgestern abend waren wir alle bei Kapitän Busch auf dem »Peter«, einem prachtvollen Viermaster. Um sieben Uhr versammelte man sich, Dr. de V. mit seiner hübschen Frau und Mutter, die »Siamesen«, wir »Reguleusen« und noch einige andere Herren und Damen. Essen in der Kajüte und dann Herumsitzen auf Deck mit der sehr guten Schiffsmusik, und der Koch hielt launige Vorträge mit Musikbegleitung, und wenn ein Tanz gespielt wurde, tanzte, wer wollte, die beiden dicken Kapitäne, Busch und Jürgen, schwebten miteinander daher, daß es eine Lust war.
Ein alter Kapitän, jetzt in einem Geschäft, war mit Frau und Töchtern da; die Frau, obschon ältlich und keine Schönheit, tanzte nach ihrer eigenen Angabe wie ein junges Mädchen, war klug und lebhaft und ich unterhielt mich sehr gut mit ihr. Drei Reisen hatte sie mit ihrem Manne gemacht; dann erschienen Kinder und sie blieb zu Hause. Währenddessen fuhr ihr Mann zwischen Singapore und Japan hin und her. Als das sieben Jahre gedauert hatte, riß ihr die Geduld, sie ging ihm nach und fuhr noch drei Jahre lang mit ihm.
Das Amüsanteste des Abends waren launige Toaste, die einer der jungen Kaufleute hielt, eigentlich nicht für die Damen bestimmt; er sprach im Kartenhäuschen, wo das Getränk stand, aber die ununterbrochenen Lachsalven zogen auch uns dorthin, und ich habe nie in meinem Leben Aehnliches gehört an sprudelndem Geist, Schlagfertigkeit und Phantasie. Er soll einmal eine so ergreifende Rede über zwei totgeborene Zicklein gehalten haben, daß schließlich alles in Tränen schwamm.
Vor einigen Tagen entstand während eines Gewitters eine Wasserhose. Wir hatten eben an Bord gewollt, als das Unwetter losbrach; die Steuerleute berichteten dann, wie sich die Wasserhose in der Mitte des Hafens gebildet habe, dem Lande zuwirbelte, und über Tanyong Paga, die Docks und Kohlenschuppen hinging; in einem Augenblick sei die Wassersäule von den aufwärts gerissenen Kohlen bis obenhin schwarz gewesen; sie hätten mächtige Stücke fliegen sehen, und in der Tat sind nicht nur Dächer abgedeckt, sondern zwei Masten aus einem dort liegenden Dampfer förmlich herausgedreht worden.
Gestern wurde unter amerikanischer Flagge ein großes Schiff eingeschleppt, ohne ein Stück Segel, ohne obere Rahen, überhaupt sonderbar aussehend; es war ein deutsches Fahrzeug, der »Friedrich«, mit Petroleum von New York für hier bestimmt gewesen. Dieses Schiff war hier in der Nähe in ein niedriges Atoll geraten, hatte nicht wieder heraus gekonnt und war aufgelaufen. Obwohl es nun da so sicher lag, wie in Abrahams Schoß, hatte es der Kapitän mit der ganzen Mannschaft verlassen, und als nach einigen Tagen keine Spur davon zu sehen war, rapportierte er das Schiff als gesunken und reiste nach Hause. Inzwischen war nämlich ein Dampfer gekommen, der vielleicht das Fahrwasser kannte, hatte das Schiff abgebracht und fortgeschleppt, es aber wieder treiben lassen, da das Wetter stürmisch wurde. Nun kam ein Amerikaner des Weges, nahm das Schiff in Beschlag und ließ es durch einen Dampfer nach Singapore bringen. In Aden bekam der unglückliche Kapitän die Nachricht von seiner Reederei, mit dem Befehl, umzukehren; er kam auch zurück, aber zu machen war nichts mehr, der Amerikaner hatte die Braut heimgeführt, ein großes gutes Schiff mit voller Ladung, 10 000 Kisten Petroleum sollen noch darin sein. Der Kapitän wird wohl sein Patent verlieren, und in der Tat ist es unbegreiflich, daß er so schnell das Schiff verloren gegeben hat. Indessen, heißt es, müsse man mit dem Urteil zurückhalten, denn er wäre ein tüchtiger und erprobter Seemann.
Eine große Merkwürdigkeit sitzt jetzt im Adelphi-Hotel im Pferdestall und frißt Reis mit der Hand aus einer Schüssel, nämlich ein Nasenaffe, den Kapitän Storm aus Borneo mitgebracht hat und hier an einen Kapitän verkaufen möchte, der an den Versuch, ihn lebend nach Europa zu bringen, hundert Mark wenden will. Sollte es gelingen, so ist es ein brillantes Geschäft, denn es hat noch kein Nasenaffe die Reise überlebt. Dieses ist schon ein altes Tier; die Nase ist groß aber nicht gekrümmt, wie sie dargestellt wird, sondern hängt ihm schlaff, wie bei einem Truthahn, über den Mund, der verhältnismäßig klein ist und ihm bei mangelnden Zähnen das Aussehen eines nicht sehr ehrwürdigen Greises gibt. Er ist etwa zwei Fuß hoch im Sitzen, der Kopf klein mit grauem Vollbart wie mit einer Halskrause umgeben, sonst ist das Fell rötlichbraun, der Pelz dicht über der Stirn hat das Aussehen einer zu hellen Perücke. Die Abbildungen des Nasenaffen, wie z. B. auf der Tafel in Häckels Schöpfungsgeschichte, sind wahrscheinlich nach Exemplaren in den Museen gemacht, bei denen die Nasen steif nach vorn gestopft sind. Kapitän Storm ist wieder da und hat diesmal auch einen kleinen, etwa zweijährigen Orang Utan mitgebracht, der im Adelphi-Hotel von der Dienerin Stine verpflegt wird und ganz wie ein kleines Kind auf uns zukriecht, nach uns langt und genommen sein möchte. Er trinkt schon ganz verständig aus einer Tasse. Das arme Tierchen tut mir leid, denn Stine gibt ihm Klapse und stopft ihm Kuchen mit Mandeln und Zitronat in sein kleines Maul, und er ist noch so klein und hilflos, etwa so groß wie ein Kind von anderthalb Jahren. Ich hätte ihn gern mitgenommen; in Europa würde er sich vortrefflich verkaufen, aber er müßte fürs erste freilich gehalten werden wie ein kleines Kind und ertrüge schwerlich den Klimawechsel auf einem Segelschiff. Ich fragte Kapitän Storm, wie die Orang Utans gefangen würden; er sagte, er habe es nie gesehen, doch liefen alle Berichte darüber auf Betäubung hinaus. Die einen sagten, sie hieben alle kleineren Bäume um den großen, auf dem sich der Orang Utan befände, nieder und ließen ihn zwei bis drei Tage hungern. Dann hängten sie eine mit Opium bestrichene Durian oder andere Frucht auf, und wenn der Affe betäubt herunterfiele, brächten sie ihn in den Käfig und begössen ihn mit Wasser, um ihn zu sich zu bringen. Nach anderen isolierten sie den Baum, hieben ihn in dunkler Nacht um und hielten dem Orang Utan eine Blendlaterne vor, so daß er nichts erkennen könne; zugleich bliesen sie ihm feinen spanischen Pfeffer in die Augen, und wenn er ganz blind und von Schmerz betäubt wäre, fesselten sie ihn mit Rattan und fingen ihn so. Wieder andere sagten, sie schössen ihn mit nur leicht vergifteten Pfeilen; das Pfeilgift betäube ihn und sie begössen ihn dann mit Wasser, um ihn wieder zu sich zu bringen. Er hielte alle drei Arten für möglich und wahrscheinlich, denn wenn Wilde etwas auf eine Art täten, wichen sie nicht davon ab, und einen ausgewachsenen Orang Utan bei Bewußtsein zu fangen, halte er für unmöglich. Derselbe sei ein weit gefährlicheres Tier als ein Tiger, denn dieser habe nur sein Gebiß und der Orang Utan außerdem die ungeheure Länge und Stärke seiner Arme. Wenn er ein solches Tier habe, lasse er immer zwei Soldaten vor dem Käfig mit geladenem Gewehr stehen und gäbe Befehl, es auf der Stelle zu erschießen, wenn es Miene machen sollte, auszubrechen. Er habe die ersten lebenden nach Europa geschickt; damals habe er sie mit zehn bis zwölf Dollars bezahlt, jetzt aber müsse er selbst hundertundzwanzig geben. In der Wildnis fielen sie den Menschen nicht an und es sei schade, sie auszurotten. Kapitän Storm fährt immer zwischen Singapore und Borneo hin und her und ist alle acht bis zehn Tage wieder hier, bleibt aber nur zwei bis drei Tage. Wir besuchten ihn auch auf seinem Schiff, obwohl die See so unruhig war, daß der Sampan auf- und niederflog und es lange dauerte, ehe wir seinen kleinen Dampfer, die »Lübeck«, erreichten. Er empfing uns sehr freundlich, und aus allen Ecken und Enden kramte er merkwürdige Dinge heraus. Da war eine anderthalb Meter lange, dünne, grasgrüne Schlange, die noch lebte und sich um Jürgens Arm ringelte, einige wunderbare Käfer und Schmetterlinge, die simulierten, Grillen, die daumesdick und ebenso lang waren, eine Gespensterheuschrecke von fünfzehn Zentimeter Länge, mehrere sehr seltene Uebergangs- oder Zwischenarten, wie eine weiße Ratte mit weißgelbem, borstigen Haar, einer Schnauze und einem Gebiß wie ein Schwein – kein Nagetier – und Bälge von allerhand Vögeln. Daß Marabus sehr geschätzte Putzfedern hätten, hörte er erst von mir, ließ einen Marabubalg bringen und wir suchten und fanden die weißen schmutzigen Federn ganz tief unter dem Schwanz versteckt, aber in feinen Wedeln, und er ärgerte sich, verschiedene Marabus über Bord geworfen zu haben. Er schenkte mir ein lebendes stinkendes Eichhörnchen und ein wildes Huhn, das sich nicht wesentlich von den zahmen Hühnern unterscheidet, Jürgen erhielt die grüne Schlange und Krokodileier, die sehr selten sind, etwa von der Größe der Schwaneneier. Dann mußte Jürgen noch die Büchse sehen, mit der Kapitän Storm seit Jahren seine Streifzüge macht, und es war rührend, wie der alte stumpfe Jagdhund, der bisher teilnahmlos dagelegen hatte, plötzlich aufsprang und lebendig wurde.
Nachdem wir noch einen Alligator und einen Leguan, eine Art großer Eidechse, in Augenschein genommen hatten, fuhren wir mit unseren Gastgeschenken davon.
27. Mai. Wir laden Rattan und Sagomehl in Säcken, das zur Stärkefabrikation dient.
Jürgen bei Tisch zum Steward: »Wo sind denn die vielen Schoten von gestern geblieben?« Steward knapp und laut: »Die haben ich und Herr Pauly gegessen!«
29. Mai. Endlich haben wir gestern den Ausflug nach Johore gemacht, auf den ich schon lange Lust hatte.
»Bekanntlich« wurde, wie ich bei dieser Gelegenheit erfuhr, die Insel Singapore den Engländern von dem Sultan von Johore abgetreten, dem noch jetzt, trotzdem er persönlich ein sehr reicher Herr sein soll, viele seiner früheren Untertanen die gewohnte Steuer entrichten, wohl einer der überraschendsten Beweise von Anhänglichkeit, die man seinem angestammten Herrscher geben kann.
Da die kleine Residenz Johore so nahe war und der dortige Palast gezeigt wird, hätte ich ihn natürlich schon längst gern gesehen und das indische Festland betreten. Auf unsere Erkundigungen stellte uns der Dubasch sogleich seinen eigenen Wagen zur Verfügung und erbot sich artig, uns selbst zu führen. Als wir indessen der Verabredung gemäß ihn morgens um 7 Uhr abholen wollten, war er in der Nacht erkrankt und statt seiner stieg sein Bruder zu uns ein, kein erfreulicher Tausch, da er bei weitem nicht so wohl unterrichtet und sein Englisch »man swak« ist.
Die Fahrt in frischem Trabe auf vortrefflicher Landstraße, quer durch die Insel, war herrlich; wir hatten einen vorzüglichen Tag getroffen, meist bedeckten Himmel, so daß wir nicht einmal die Schirme aufzuspannen brauchten. Der Weg führt durch üppigen Wald, an Pflanzungen, malaiischen Dörfern, europäischen Ansiedelungen vorüber mit entzückenden Ausblicken auf Tal und Hügel. Hier im Jungle soll es noch ziemlich häufig Tiger geben und nach der niedrigen Schußprämie von vierzig Dollars zu urteilen, muß es wohl wahr sein. Ich würde gern einen aus sicherer Entfernung gesehen haben, sie hätten aber in Reihen unter dem dichten Farrengestrüpp liegen und uns mit mordgierigen Blicken folgen können, unmöglich hätte man sie zwischen dem verrotteten gelben und braunen Laub, den schwarzen Schatten und den Flecken des rotgelben Bodens bemerkt.
Nach anderthalb Stunden mit einmaligem Pferdewechsel hatten wir den Meeresarm vor uns, der die Insel vom Festlande trennt, und der Weg begann sich nach dem Ufer zu senken. Man glaubte einen stillen Landsee vor sich zu haben, von waldigen Hügeln und fernen blauen Gipfeln anmutig umschlossen. Die kleine Stadt gegenüber zieht sich die Anhöhe hinauf, links davon stehen, von Rasenflächen und Baumgruppen umgeben, die kaiserlichen Paläste, die eigentlich nur den Eindruck eleganter Villen machen, etwas entfernter sieht man ein schmuckes Pfahlbaudorf. Im Vordergrunde schaukelten sich einige reichbewimpelte kleine Dampfer, von den Palästen wehten Fahnen, denn, wie wir erfuhren, verheiratete der Sultan seinen Sohn, und die Festlichkeiten, die wochenlang dauern, waren in vollem Gange.
Von einem weit ins Wasser gebauten Stege ließen wir uns nach Johore übersetzen. Unser erstes Verlangen nach der langen Fahrt ging begreiflicherweise auf ein gutes Frühstück, nun aber zeigte sich, daß unser Führer, der uns die ganze Zeit mit der Würde eines Konsistorialrates gegenüber gesessen hatte, des Ortes ebenso unkundig war wie wir selbst. Auf alle seine Fragen erhielt er immer den nämlichen Bescheid, ein Gasthaus, in dem Europäer essen könnten, gäbe es nicht, wir müßten uns an den englischen Klub wenden, und man wies uns ein weitläufiges, einstöckiges Gebäude, das wie die übrigen Häuser der unteren Stadt, des sumpfigen Bodens wegen, auf Pfählen ruht. Die halbgeöffnete Türe ließ innen einen kühlen, geräumigen Saal mit behaglichen Stühlen und einem mit Büchern bedeckten Mitteltisch sehen, allein der bezopfte Wächter dieses Paradieses verweigerte uns ebenso ehrerbietig als bestimmt den Eintritt ohne Erlaubnis des Vorsitzenden, und so blieb uns nichts übrig, als diesen Herrn aufzusuchen, den wir nach allerhand Schwierigkeiten noch glücklich genug zu Hause fanden. Er war sichtlich verstimmt über unsere Bitte und fragte ziemlich barsch, wie die Herren Behn, Meyer & Co. dazu kämen, uns ohne Empfehlung nach Johore gehen zu lassen?! Auf unsere Erklärung, daß wir uns auf unseren Dubasch verlassen hätten, wurde er menschlicher, schrieb einige Worte auf seine Karte und entließ uns in Gnaden. Da uns der Weg am Palast des Sultans vorüberführte, benutzten wir gleich unsere Karte als Passe-partout und wurden alsbald durch einen braunen Bediensteten in die Säle geführt; der Dubaschbruder ließ seine Schuhe ehrerbietig vor der Schwelle des Eingangs stehen.
In meiner Erwartung orientalischer Pracht wurde ich enttäuscht; es war ein von Veranden umgebener Sommersitz mit weitem Treppenhaus, hohen kühlen Zimmern und englisch-indischer Einrichtung, wie man es etwa bei einem dort lebenden reichen Handelsherrn erwarten würde. Schön machten sich auf den Treppenabsätzen und in den Gemächern große Kristallvasen in Form gewaltiger Champagnergläser. Wenn abends die Kronen brennen, diese riesigen Kelche mit Blumen gefüllt sind und die breiten Spiegelwände den Glanz der Lichter, des Marmors und der Vergoldung zurückstrahlen, mögen diese Säle wohl einen prachtvollen Eindruck machen. In der oberen Halle hingen die lebensgroßen, schon sehr nachgedunkelten Bilder der englischen Königsfamilie und Lord Palmerstons, sonst war von Kunstwerken nicht viel zu sehen, nur in einem Saale standen rings an den Wänden Marmorfiguren, die aber sorglich in weiße Tücher gehüllt waren; man hob den Schleier von der einen; es war eine kniende Sklavin von großer Schönheit.
Die Privatzimmer des Sultans, der glücklicherweise für uns eben mit seinen Gästen beim Tiffin saß, waren für einen indischen Selbstherrscher einfach und in europäischem Geschmack; wie in den meisten indischen Häusern führte eine Treppe in das Badezimmer hinunter; ich konnte es nicht über mich gewinnen, auch dort einzudringen, hätte es aber eigentlich gern mit dem des Königs Ludwig in Hohenschwangau verglichen.
Von Zeit zu Zeit hatten wir ein eigentümliches Klirren gehört und sahen nun, als wir in das Erdgeschoß zurückkehrten, eine Anzahl Gefangener, je eine Hand und einen Fuß durch eine Kette verbunden, mit Fegen und Aufwaschen der Fußböden beschäftigt; zwar leichte Arbeit, aber wir hätten uns das Behagen eines solchen Landsitzes lieber nicht durch diese Musik verkümmern lassen, wenn wir Sultan von Johore gewesen wären. Ganz entzückend ist der Blick von der Eingangshalle über das Meer und die Parkanlagen. Graue Tauben hüpfen zutraulich in den Zweigen und durch das Gras; sie werden geschont, denn sie bringen Glück.
Heiß, müde, hungrig und sehr durstig erreichten wir endlich wieder unseren englischen Klub, wo uns die schwer erworbene Karte ein feines kleines Diner verschaffte. Unser Dubaschbruder verschwand bescheiden, um irgendwo landesüblich zu speisen, und als er wiederkam, war es ziemlich klar, daß er die Vorschriften seines Korans in bezug auf geistige Getränke nicht streng innegehalten hatte; wir aber wurden lautlos und im besten Stil bedient von weißgekleideten Söhnen des Himmels, und der gleichfalls chinesische Butler trug das Zeichen seiner Würde, das blauseidene Hosenband.
Schon lange war ferne Musik, Geschrei und Rufen zu uns gedrungen, jetzt sammelten sich eine Menge Leute auf einer Brücke mit Standarten in Form riesiger Lampenschirme. Die Einwohner prangten offenbar alle in Festgewändern, und ein Trupp bunt gekleideter Kinder kam jauchzend gesprungen, konnte aber einer verlockenden Pfütze nicht widerstehen, hoben ihre funkelnagelneuen kleinen Sarongs in die Höhe und patschten mit der Wonne der Kindheit aller Zonen, Rassen und Stände glückselig ins Wasser. Allein die Freuden, die man übertreibt, verwandeln sich in Schmerzen; ein älterer Chinese, der des Weges kam, ergriff einen der kleinen Uebeltäter beim Zopf und bearbeitete ihn unbarmherzig mit der anderen Hand, worauf die Uebrigen, gleichfalls ernüchtert, eiligst auf den staubigen Pfad der Pflicht zurückkletterten. Wir machten uns nun auch auf den Weg, um die Stadt in Augenschein zu nehmen, obwohl die Sonne herausgekommen und es noch sehr heiß war.
Auf einem weiten schlammigen Platze fanden wir einen wahren Jahrmarkt etabliert, Verkäufer neben ihrem Kram auf der Erde hockend, Buden, »fliegende« Garköche, mehrere chinesische Theater, auf denen ununterbrochen gespielt wurde, die Schauspieler mehlweiß und kirschrot geschminkt, Könige mit hohen Kronen und langen Bärten, Damen in phantastischem Kopfputz, Karikaturen, u. a. eine lustige Person in Froschmaske, dazu als Musik ohrenzerreißendes Gerassel und erschreckliches Gekreisch. Mitten unter den Zuschauern stand eine Schar Aussätziger, die ersten, die mir zu Gesicht kamen; die von der Krankheit befallenen Glieder waren geschwollen und braunrot, die Haut hart und rissig, hier und da weißlich, doch habe ich die abschreckenderen Formen des Leidens zum Glück nicht gesehen. Der Dubasch warf ihnen, der Sitte gemäß, sein Almosen in den Staub vor die Füße; es ist wunderlich, daß man sich scheut, es ihnen zu reichen, da sie es doch weitergeben und der Anna seinen Lauf unbeanstandet fortsetzt.
Musik und Umzüge lockten uns nun den Hügel hinauf in die Nähe eines mit Flaggen lustig besteckten Schlößchens, wo die Vorbereitungen zu einer großen Illumination in vollem Gange waren. Auf dem Wege genossen wir noch ein Glockenspiel, das zwischen all dem Getöse und Gelärm den Namen Musik noch am ersten verdiente. Etwa zwanzig Mann kauerten vor je einer auf einen gewissen Ton gestimmten Glocke und jeder gab mit großer Genauigkeit seine Note an, wie weiland die russische Kapelle, die Friedrich Wilhelm III. vom Zaren zum Geschenk erhielt.
Unterdessen kam unter lautem Geschrei und dem Lärm von Trommeln und anderen Instrumenten ein geschlossener Zug heran, dem wir mit dem übrigen Volk entgegeneilten. Es war der Mühe wert, denn es war ein Trupp malaiischer Krieger, die mit blanken Messern in den Händen, den Kris, ihr kurzes geflammtes Schwert, im Sarong, mit wehenden Standarten und dem Getöse von Geigen, langen Trommeln, Pauken, Trompeten und rauhem Gesang einherzogen. Sie gingen nicht im Schritt, aber es waren große kräftige Gestalten von gerader Haltung und energischen Zügen, die einen kriegerischen, fast wilden Eindruck machten, wozu das schwarze Kopftuch beitrug, dessen einer Zipfel steif und drohend an einer Seite in die Höhe stand. Ebenso trugen sie alle einen dunklen Sarong und die landesübliche weiße Jacke, aber kein Schuhzeug.
Jürgen hatte große Lust, einen Kris näher anzusehen; ich dachte als Dame mir etwas Neugier gestatten zu dürfen und bat einen der Krieger durch Zeichen, mir die Waffe zu zeigen; er lächelte artig, schüttelte aber den Kopf und ging seines Weges; wir hörten später, sie zögen den Kris nie aus der Scheide, ohne zu töten. Es ist die nationale Waffe, die früher jeder trug, und noch jetzt soll sie trotz des Verbotes, viel öfter als man ahnt, in den Falten des Sarongs verborgen sein. Plötzlich fuhr mitten in die lärmende Menge ein leichter Jagdwagen mit einem feurigen Braunen bespannt, den ein trotz des Sarongs sehr eleganter junger Mann lenkte. Das lebhafte Pferd scheute und ließ sich schwer im Zügel halten, der Syce sprang von seinem Sitz, ergriff das unruhige Tier beim Kopf, führte es einige Schritte und sprang dann in voller Fahrt wieder auf, keine kleine Leistung und ein schönes Bild. Der junge Herr, der selbst fuhr, war der zweite Sohn des Sultans.
So waren wir in die Nähe eines kaiserlichen Gartenhäuschens gekommen; Jürgen wurde bedeutet, zurückzubleiben, ich ging unbehindert näher und fand in einer offenen Vorhalle eine Menge geputzter Kinder mit ihren Ayas; eine ganz schwarze Wärterin mit einem hellen Baby auf dem Schoß lugte hinter einer vergoldeten Säule vor. In der Mitte standen zwei kleine Jungen von sieben und fünf Jahren, in schwere gelbe und rote Seide weit reicher als die übrigen gekleidet, sie trugen kostbar gestickte Käppchen, und die goldenen Ketten, die Brust, Arme und Füße umwanden, glänzten von Edelsteinen. Ich hielt ihnen die Hand hin, sie regten sich nicht, sondern sahen mich vornehm abweisend mit ihren dunklen Augen an, und eine gelbe, weißhaarige alte Dame im Hintergrunde warf mir giftige Blicke zu. Es waren alle Kinder der beiden Brüder des Sultans; sie haben den Rang ihrer Mütter, daher die Verschiedenheit in Anzug, Aussehen und Typus; nur die beiden kleinen Jungen waren »echte« Prinzen. Mir fiel besonders ein etwa dreijähriges kleines Mädchen von ungewöhnlicher Schönheit auf; es begann bei meinem Herantreten zu weinen und versteckte das Gesichtchen an der Schulter seiner Aya, die es aufnahm und forttrug: das Kind hatte wunderbar große dunkle Augen und den ganzen Kopf voll dicker brauner Locken. Ein weißes Kind war nicht darunter.
Vom Sultan weiß man, daß eine seiner Frauen eine deutsche Gouvernante gewesen ist, man soll sie öfter in Singapore fahren sehen, wo der Sultan auch einen Palast hat, der indischer und kostbarer sein soll als der in Johore, aber das gehört zu den Dingen, die ich nicht gesehen habe, wie z. B. auch die großen Teepflanzungen in Johore, von deren Existenz ich erst nachträglich erfuhr. Der Nebel lag schwer und weiß in den Niederungen, als wir zurückkamen. Bei Einbruch der Dunkelheit waren wir wieder in der Stadt und fuhren durch das abendliche Gewühl des chinesischen Stadtteils.
Abends nämlich fängt für den Chinesen erst der Tag an, Handel und Wandel untereinander beginnt. Dann legen sie nach der heißen Tagesarbeit reine Kleidung an, der Familienvater kauert sich mit den Seinen zu Tisch unter dem Vordach seines Hauses, an der Straße siedet der Koch, unzählige Lampen erhellen die Läden, und alles, was flimmert und glänzt und blitzt wird ausgelegt, in den Straßen drängt sich die bunteste Menge und kreuzen sich unzählige Rickschahs, deren sich dann auch die Europäer, sogar die Damen bedienen, bei Tage gilt es für unschicklich bis zur Unmöglichkeit, worüber ich manche Klage gehört habe. Jetzt scheint sich indessen in dieser Beziehung eine Aenderung vorzubereiten; es heißt, die Gemahlin des Gouverneurs habe sich in Japan eine eigene kostbare Rickschah bestellt, und man hofft, dieses glänzende Beispiel werde sich Bahn brechen. Die Gherries sind zwar nicht teuer, aber bei der Gewohnheit, selbst kürzere Strecken zu fahren, ist die Ausgabe nichts weniger als unbeträchtlich.
Wenn sich doch unsere heimische Droschke, diese ungefüge klapprige Maschine, ein Beispiel am Gherry nehmen wollte, das von ihr fast so verschieden ist, wie unser dicker rotnasiger Droschkenkutscher in seinem vertragenen blauen Mantel und abgegriffenen Glanzhut von dem schmächtigen braunen Syce, der hinter seinem Pferdchen auf der Deichsel kauert, in roter Jacke und weißem Turban, ein goldenes Knöpfchen in der Nase.
Wie leicht diese Gherries gebaut sind, wurde uns einmal durch ein Tischgespräch im Adelphi-Hotel recht anschaulich. Unser Gegenüber war ein junger, von Lebhaftigkeit und liebenswürdigem Humor übersprudelnder englischer Tabakpflanzer aus Java. Die Herren machten sich bekannt, und der Engländer bemerkte, er habe sie gleich für deutsche Kapitäne gehalten, die bekanntlich alle große und kräftige Gestalten wären. Das ist nun keineswegs der Fall, die gegenwärtigen waren jedoch in der Tat wohlausgewachsene Exemplare ihrer Gattung und andere wurden genannt. »Captain Tom Pouce!« hieß es von allen Seiten, gegen den wäre der sogenannte »baby-captain«, der bisher für den größten und beleibtesten gegolten, noch ein Wickelkind. »Als ich das erstemal hinter ihm die schmale Treppe bei Emmerson hinaufstieg,« sagte der junge Pflanzer, »und seinen breiten Rücken sah, und die dicken kurzen Beine, die langsam von Stufe zu Stufe stapften, war mir wirklich zu Mute, als hätte ich einen Elefanten vor mir.« Uebrigens eine Seele von Mann, nur schade, daß er so oft des Guten zu viel täte. Täglich hätte man ihn vor dem Hotel Ypsilon in einer Verfassung sitzen sehen, die dem Wirt höchst fatal gewesen wäre. Einmal hätte er denn auch versucht, ihn los zu werden, und ihm eingeredet, er habe an Bord seines Schiffes gewollt und das bestellte Gherry warte. Willig stand der Kapitän auf und ließ sich in das Gherry setzen, das eilig mit ihm davon fuhr. Nach einer Weile fragte jedoch der Syce, wohin er denn wolle, das wußte der arme Mann aber selbst nicht und nun fuhr das Gherry von einem Hotel und einer Wirtschaft zur andern, aber nirgends gehörte er hin, so daß der Syce endlich in Verzweiflung vor dem Polizeibureau Halt machte. Dort war man sehr entrüstet, daß man einen Mann in diesem Zustande in die Welt fahren lasse, und da man wußte, daß er im Hotel Ypsilon verkehrte, so schickte man ihn dorthin und gab ihm noch zur Sicherheit einen Polizisten mit. Als nun Herr Ypsilon und seine Boys dem ankommenden Fahrgast entgegeneilten, siehe! da blickten sie in das freundliche Gesicht des Kapitäns Tom Pouce und der Policeman entledigte sich der ihm aufgetragenen Standrede. Zerknirscht bat Herr Ypsilon den Kapitän, auszusteigen und dieser verlangte nichts sehnlicher, aber trotz des besten Willens und aller Hilfe, war es nicht möglich, ihn herauszuschälen; umsonst war alles Ziehen, Heben, Schieben und Stoßen, er saß im Gherry und blieb im Gherry. Endlich schickte Herr Ypsilon in seiner Angst auf die Polizei und erbat sich zwei der handfestesten Policemen, die auch alsobald gelaufen kamen. Nun, unter allseitiger Assistenz, machte Kapitän Tom Pouce eine gewaltige Anstrengung; ein Ruck und Krach, und er stand, mitten in dem durchgebrochenen Gherry und lächelte entschuldigend um sich her. Jetzt war guter Rat abermals teuer, und es blieb schließlich nichts übrig, als das Gherry an der Seite aufzubrechen und den Kapitän zu befreien, der nun, erschöpft von der langen Irrfahrt und Mühsal, zufrieden auf seinen gewohnten Sitz niedersank.
7. Juni. Heute machte ich im Hotel die leider nur flüchtige Bekanntschaft einer deutschen Dame, auf welcher ein schweres Geschick lastet. Sie ist die Frau eines Arztes, den zunehmende Taubheit an der Ausübung seines Berufes hinderte und der deshalb nach Borneo und den umgebenden Inseln ging, Paradiesvögel und andere seltene Tiere schoß und naturhistorische Sammlungen machte, die er sehr gut nach Europa verkaufte. Aber das Unglück verfolgte sie, den Mann befiel ein Augenleiden, und diese Frau, eine ältliche Dame von einfachem, etwas altjüngferlichem Aussehen, hat nun seit drei Jahren die Jagd und das Geschäft allein betrieben; sie soll ein vortrefflicher Schütze sein und ist tagelang mit Malaien im Boot fort gewesen. Man muß diese Boote und diese Leute gesehen haben, um zu wissen, was das sagen will. Der Mann, der jetzt erblindet ist, ist in seinem Leiden sehr reizbar und gedrückt; gestern sind sie nach Deutschland abgereist, um zu versuchen, ob eine Operation ihm Hilfe bringen kann. Gern hätte ich diese interessante Frau etwas näher kennen gelernt. Wie traurig geht es manchen Leuten und andern schüttet das Glück seine Gaben verschwenderisch in den Schoß. Der amerikanische Kapitän, der den »Friedrich« treibend fand, hat nicht allein das gute Schiff mit seinem ganzen Inhalt für 8000 Dollars gekauft und die Summe gleich durch den Verkauf von Petroleum gedeckt, sondern es sind noch weitere 164 000 Kisten im Schiff, die wenigstens einen Dollar das Stück wert sind, und obendrein brannten vor einigen Abenden die Petroleumlager der Stadt nieder, was ebenfalls eine günstige Konjunktur für ihn ist.
Wer doch auch solch ein verlassenes Fahrzeug fände! Indessen bemerkt Jürgen, daß der Amerikaner sein eigenes Schiff fuhr, mit einem anvertrauten Fahrzeug könne man sich auf solche Abenteuer nicht einlassen; so ist also nicht einmal das Finden etwas für den Mittelstand! Es kommt freilich darauf an. Die Kauri-Muschel dient bekanntlich in vielen Teilen Indiens als Scheidemünze. Auf dem Strande einer kleinen unbewohnten Insel, die ein Schiff anlief, um Wasser einzunehmen, bemerkte der Steuermann – so wurde mir erzählt – Kauris in großer Menge. Auf der Weiterreise erlitten sie Schiffbruch, der Steuermann befand sich unter den Geretteten und erreichte vollständig mittellos New York. Da erinnerte er sich der Kauris, die er hatte liegen sehen, suchte einen reichen Mann auf, von dem er wußte, daß er auch einst kein anderes Kapital besessen hatte, als seine Hände, und schlug ihm vor, den Schatz zu heben und den Gewinn mit ihm zu teilen. Der Amerikaner entgegnete, er wolle das Geschäft nicht machen, wohl aber das Geld dazu vorstrecken. Der Steuermann charterte nun einen kleinen Dampfer, und nachdem er die Kauris geholt und ein Vermögen gemacht hatte, kehrte er zurück und bot dem Amerikaner die Hälfte. Er habe schon gesagt, er handle nicht mit Muscheln, war die Antwort; die vorgestreckte Summe wolle er nehmen und die fünf Prozent, die ihm zukämen, weiter nichts und so war der Steuermann reich und hoffentlich glücklich für sein Lebtag.
8. Juni. Gestern waren wir in einem Klingtempel; Klings sind eine indische schwarzbraune Rassenmischung, und diese Tempelchen, die in einem mittelgroßen Saale Platz hätten, sind alte aus bunten Kacheln aufgeführte Gebäude mit grotesken Holzdächern. In dem verwilderten Vorgärtchen stand ein tönerner Ochse, mit einem Schüsselchen Reis vor sich. Im Dämmerlicht des Tempels brannte eine kleine Flamme und zeigte in Goldblitzen und buntem Farbenspiel den bescheidenen kleinen Altar im Hintergrunde. Ein junger Priester kam uns entgegen und bat uns, einzutreten: »Our god is supposed to be always sitting on a bull«, »Es wird angenommen, daß unser Gott immer auf einem Stier sitzt.« erklärte er uns in gutem Englisch, und auf das Zeichen auf seiner Stirn deutend: »We wear this sign, because our God is supposed to have three eyes.« »Wir tragen dieses Zeichen, weil unser Gott drei Augen haben soll.« Seine Kleidung bestand nur aus einem Sarong, er machte aber so sehr den Eindruck eines Mannes von Erziehung, daß wir nicht wagten, ihm etwas anzubieten; er half uns indessen, indem er auf einen anderen Priester zeigte: »This is the officiating priest«, »Dies ist der amtierende Priester.« der denn auch mit ausgestreckter Hand herzutrat.
9. Juni. Wir haben unsere Ordre: es geht nach London.
15. Juni-2. November.
Chinesisches Meer. Am 15. Juni verließen wir morgens Singapore. Die »Siam« hatte ihre Flagge gehißt und grüßte, die Stadt lag im Nebel und wir glitten mit gutem Winde hinaus. Seitdem aber plagen wir uns mit Böen und widrigen Winden herum. Gestern überschritt ich die Linie zum siebenten und achten Male, denn wir gehen oder schwanken vielmehr auf derselben nach Osten.
26. Juni. Wir sind noch immer im südchinesischen Meer und Ihr glaubt uns natürlich längst gut unterwegs. Hier weht nämlich der Südostmonsun und ein ziemlich starker Strom setzt das Schiff nach Nord. Mit Mühe und Not kreuzt man in 24 Stunden ein Stückchen Südost auf, kaum der Rede wert. Der Himmel ist meist bewölkt und zeigt ein auffallend helles Blau, ebenso ist die See von einer grünlichblauen, milchigen Färbung und die Luft unsichtig; es ist der sogenannte weiße Monsun, der über die Entfernungen täuscht und den Seemann zur Vorsicht nötigt. Wir können bei diesem Winde nicht durch die Karimatastraße (zwischen Borneo und Billiton), Jürgen will daher durch die Gasparstraße zwischen Billiton und Banka gehen, ein gefährliches Wasser mit erschrecklich vielen Riffen, Inseln und Bänken.
Am 30. Juni sahen wir den Leuchtturm auf Billiton; die See ist hellblau, und der Wind bringt solche Wohlgerüche heran, daß ich stundenlang auf Deck liege und sie genieße – die andern rochen nichts! Jürgen will nicht in der Nacht durch die Inseln, wir ankern deshalb heute, Dienstag, den 3. Juli, in Sicht des Leuchtturms, der auf einer waldigen Insel steht; ringsherum sieht man andere und dazwischen liegt ein Riff unter Wasser, ein kleiner Felsen, der nur achtzehn Fuß Wasser über sich hat; der »Regulus« geht 18½ Fuß tief, also muß man die Stelle vorsichtig meiden.
Wir haben viel Spaß an den drei kleinen Affen, die den Leuten gehören, und an den zwei kleinen chinesischen Schweinchen, die so häßlich sind, wie eingedrücktes Kreuz und hängender Bauch ein kleines Schwein nur machen können; sie sind sehr lustig und peitschen mit den Schwänzen, nehmen aber gar nicht zu. Ich habe Mohr einen Cake mit Ananas-Gelée versprochen, wenn wir glücklich durch die Straße wären, und Jürgen mir eine Dose Muskattrauben, deren wir viele haben.
6. Juli. Drei Wochen in See und glücklich aus der Straße heraus; ein Blick auf die Karte zeigt, wie greulich die Gegend ist, denn die Riffe, Felsen und Bänke sind nach den Schiffen genannt, die sie mit dem Kiel entdeckt haben. Gesegnet sei jede Hand, die an einem Leuchtturm baut! Was das heißt, wenn ein Feuer eingegangen ist, auf das man rechnet, oder, wenn man eins findet, das nach dem Feuerbuch erst Projekt war, kann sich die Landratte nicht denken. Gestern waren wir alle auf Deck und sahen das Feuer von Watershoal »wässern«, eben nur in der Kimm blinken, und Jürgen kam nicht eher herunter, bis wir die letzte schlimme Stelle im Rücken hatten. Abends vorher hatte der Anker nicht gleich gefaßt, es war glatter Korallenboden, und man hörte ihn über den Grund schurren, bis er hielt. Ein paar glänzend weiße, in der Mitte bewaldete Koralleninseln passierten wir; sie sahen wirklich aus, wie ein Gericht Salat auf weißer Schüssel. Die See ist grünlich-hellblau mit langen braunen Streifen, die ich für Samen oder Blütenteilchen halte und Jürgen für fein verriebenen und schlickig gewordenen Bimsstein. Ich sah zwei ungeheure Quallen, anderthalb bis zwei Fuß in jeder Dimension. Den ganzen Tag saß ich auf Deck, stickte Taschentücher und las Zeitungen, es ist mild und ein kühles Windchen; man schaukelt entlang wie zum Vergnügen.
7. August. Südlich von Madagaskar. Unsere Rückreise durch die Sundastraße ging schnell; von Anjer schickte ich Euch den letzten Brief. Wieder standen Krakatoa und Sebezee in voller Schönheit, aber den zweiten Tag regnete es und ich sah sie nicht wieder; die See war unruhig, grau und dann dunkelblau, ganz verschieden von dem hellen grünlichen Blau der Java-See, die schön wäre, ohne die beständige Sorge und Angst vor den Untiefen und Felsen mit dem P. D. (Position Doubtful). Lage ungewiß. Wir hatten erst einen steifen Passat, aber leider ließ er bald nach und wir machten nur kleine Etmals, wie der Fortschritt der 24 Stunden heißt. Es ist nun schon so kühl, daß die kleinen Affen vor Kälte zittern und an Jürgen heraufklettern, um ihre klammen Händchen an seinem Halse zu wärmen. Dem einen machte sein Herr einen Anzug, indem er ihm ein Stück Zeug um den Leib und um die Beine festnähte; da mußte ich ihnen wohl kleine Hemdhöschen machen, was nicht ganz leicht war, denn sie ließen sich schlecht Maß nehmen und einen Probeanzug aus altem Kattun nur widerstrebend anziehen. Ich opferte eine Taille aus schokoladenfarbigem Wollstoff, dem es Frau Törpsch nicht am Ladentisch gesungen hatte, daß ihn drei kleine Affen im Indischen Ozean auftragen würden. Mit roter Litze benäht und mit Knöpfen versehen, sitzen die Anzüge nun sehr nett, aber die Wut und Verzweiflung, mit der sich die Tierchen gegen die Wohltat wehrten, das Zähnefletschen und Beißen war das Lächerlichste, was man sehen konnte; sobald man eine kleine Klaue durch den Aermel hatte, zogen sie sie wieder zurück – der Koch, Jürgen und ich hatten zu tun, bis der Monsieur in der Montur steckte. Jetzt sitzen sie zufrieden in ihren Röckchen nebeneinander, der letzte Knopf schließt über dem Schwanz, der seine Freiheit haben muß. Gestern sah ich, wie der eine unten aus seinem Höschen ein dort verborgenes Stück Brot herausholte, das für seine Backentasche wohl zu groß gewesen war. Wir hatten auch großes Vergnügen an dem dunkeln Eichhorn mit orange Schwanz, das dem Steward gehörte; es kletterte mit der größten Furchtlosigkeit oben zwischen dem Tauwerk und war so zahm, daß es kam und bettelte und Stücke Brot und Kokosnuß aus der Hand nahm; vor einigen Tagen fiel es über Bord und Jürgen bemühte sich umsonst, es mit dem Kätscher zu fassen. Es versuchte immer, am Schiff aufzuklettern, und wollte von dem rettenden Netz nichts wissen.
15. August. Gestern mittag bekamen wir die Küste von Natal in Sicht und abends auf den Bergen die Feuer der Kaffern, die ihre Felder abbrennen. Wir hatten Vollmond und starken Strom, aber gegen Morgen ging der Wind herum und blies aus der Gegend, in die wir wollen; die See ist hoch, doch saßen wir lange auf dem Hinterdeck und sahen den Vögeln zu. Gestern war eine große Pastorenkonferenz, heute sind Kaptauben als Damen mit dabei und Albatrosse als Regierungs- und vortragende Räte; aber wochenlang haben wir nichts gesehen, außer einem riesenhaften Hai, der den Kopf kerzengerade aus dem Wasser steckte. Wir fingen einen Schweinfisch, ein Bonito riß sich wieder von der Angel los und der Draht schnitt einem Matrosen drei Finger bis an die Knochen durch.
17. August. Sehr hohe See mit hohen Hügeln und weiten Tälern. Am Nachmittag hatten wir ein merkwürdiges Schauspiel; es kam plötzlich ein wahrer Völkerzug von Butzköpfen, einer kleinen Walfischart. Sie sind mannsdick, fünfzehn bis zwanzig Fuß lang, mit stumpfen Köpfen, schwarz und glänzend; zu Dutzenden kamen sie durch und über die Wellen gestürzt, sprangen und überschlugen sich; es sah prächtig aus, wie die großen kräftigen Tiere von allen Seiten hinter und neben uns herkamen und über ihnen Hunderte von Kaptauben und Albatrossen kreisten und flatterten. Nach einer Stunde war der Zug vorbei. – Heute ein kühler, heller Tag, wie ein Märztag bei uns, am Morgen ein eigentümlicher Landgeruch und die sägenartige Küste der Bai von Plettenberg; wir machen wenig Fortschritt, abends herrlicher Sonnenuntergang in den reinsten, leuchtendsten Farben und großer Schlachttag; die große Sau wurde geschlachtet; sie wiegt 280 Pfund. Es war ganz rührend, sie zu sehen, als sie sich unbefangen zum letzten Mal im Sonnenschein erging und die Leute ihr noch Gutes antaten; einer rieb ihr den Bauch, ein anderer kraute ihr die Ohren, Jürgen brachte ihr ein Stück Kokosnuß.
23. August. Sehr hohe See und Wind von vorn; wir mußten also kreuzen und tags nach Süden, nachts nach Norden gehen; es war kalt und böig und man sitzt unten mit bedecktem Oberlicht. Der arme Mohr war sehr unglücklich, rutschte durch die ganze Kajüte, war über und über in Schweiß, stieß uns mit seiner heißen Schnauze und sah uns beweglich an, als ob er bäte, wir sollten doch das greuliche Schaukeln abstellen. Gestern sprang der Wind herum, aber nun ging es gegen die See an und war fast noch schlimmer. Ich glaube, ich sah kaum je solche Wellen; wie breite Hügel stiegen sie vor und hinter dem Schiff auf, die Täler dazwischen groß wie unsere Wiese – Gottlob kam kein Sturm und heute ist der Wind gut, überall Kaptauben, Albatrosse und Gänse, die Albatrossen gleichen, aber weiß sind mit schwarzen Flügelspitzen; sie werfen sich von oben plötzlich senkrecht in die See, daß das Wasser aufspritzt und kommen nach einigen Sekunden erst wieder zum Vorschein, wie auch die Pinguine fischen, sagte Jürgen, der sie auf einem Guano-Eiland beobachtet hat. Als wir heute morgen die Küste sahen, war es Kap Agulhas, die südlichste Spitze von Afrika, und den ganzen Tag waren wir auf Deck und sahen die Berge an. Um mir in den trüben Tagen ein Vergnügen zu machen, zeichnete und stickte ich ein Kleidchen für Esther.
24. August. Das Kap der guten Hoffnung ist passiert, ein tüchtiger Südwind mit Strom nach Norden peitscht uns mit neun Meilen die Stunde vorwärts. Ich habe ein lebhaftes Gefühl, nach Hause zu kommen, nun wir wieder im Atlantischen Ozean sind und so frisch und emsig nordwärts laufen. Vögel sind bis auf zwei bis drei Kaptauben und ein paar Albatrosse verschwunden. Von 30 bis 30 Grad rechnet man das Herumgehen um das Kap, wir sind schon auf 32 Grad und 80 Meilen vom Lande entfernt.
4. September. Nun sind wir wieder in der heißen Zone, es ist aber wenig davon zu merken. Der Passat ist stetig, aber mäßig von achter, und so gehen wir mit kleinen Schritten auf St. Helena zu, das wir morgen zu sehen hoffen.
Wißt Ihr, worauf ich mich freue? – sobald ich Deutschland betrete, laufe ich in eine Konditorei und esse, was mir gefällt. Es muß in der Einförmigkeit der Kost liegen, daß man plötzlich solch ein lebhaftes Verlangen nach irgend einer Leckerei verspürt. –
Hier brechen meine Aufzeichnungen über diese Reise ab, die Briefe scheinen verloren.
Ich erinnere mich dunkel, daß wir in Regen und stürmischem Wetter ohne Aufenthalt an St. Helena vorüberfuhren, daß trotz der hohen See ein Boot herauskam und der einhändige Bootsmann mir ein Briefchen der Dame überbrachte, die mir das Jahr vorher die Blumen schickte und der ich durch eine Neujahrskarte gedankt hatte. Das Briefchen trug der Bootsmann seit Wochen bei sich, für den Fall, daß der »Regulus« herankäme, und ich erfuhr daraus den Namen der unbekannten Freundin – ihre Schwestern hatten sich seitdem verheiratet – Lena George.
Die weitere Reise verlief ohne besonderen Zwischenfall, wir erreichten London in gutem Wohlsein. Der erste Brief, den wir erhielten, brachte uns die Nachricht von dem Tode meiner Mutter und alle andere Erinnerung an diese Zeit ist dadurch in mir ausgelöscht.