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31. Dezember – 27. Oktober.
Sind nicht, sage, Suleimas
Holde Gebärden wunderbar?
Hafis.
31. Dezember-7. April.
Am 31. Dezember wurden wir aus London-Docks geschleppt und warfen Anker bei Gravesend, wo wir den Sylvesterabend feierten. Herr Pauly ist uns geblieben, auch einige der vorigen Mannschaft gehen wieder mit, aber Herr König hat uns verlassen, um die Schifferschule zu besuchen, und an seiner Stelle haben wir Herrn Juranitsch, der früher schon als Matrose mit Jürgen gefahren ist und immer sein besonderer Liebling war.
Am 1. Januar spannten wir den Dampfer wieder vor und gingen durch die Straße von Calais.
Einen Tag verloren wir mit ungünstigem Winde, dann aber ging es mit fliegender Fahrt durch den Kanal nach West und Südwest. 220-230-240 Meilen in 24 Stunden dünkten uns eine Kleinigkeit; es war eine Freude, wie der »Regulus« galoppierte. Er ist nur etwas über Ballast mit Zement, eisernen Eimern, Stückgut und dergl. beladen, frisch abgeschrappt und gemalt, da kann er wohl laufen. Jürgen ersehnte immer einen Dampfer, um rapportiert zu werden und mit dem guten Anfang der Reise Ehre einzulegen. Andern ist es nicht so gut gegangen. Kapitän Busch mit seinem dicken »Peter« ging von Bremerhaven aus und mußte nach zwei Tagen mit zerrissenen Segeln wieder dorthin zurück. So hatten wir den Meerbusen von Biscaya passiert und schaukelten gemächlicher Madeira zu; das Wetter war schön, die Luft mild, manchmal sechs bis neun Schiffe auf einmal in Sicht, als uns, wie bestellt, ein Dampfer entgegen kam, dem wir die Flaggen zeigen konnten. Jetzt sind wir auch an den Kanarien vorüber und machen Süd, um den Passat zu bekommen und nach Südosten zu laufen. Inzwischen haben wir viel häusliche Sorge; unser Mohr ist krank und wir werden ihn wohl verlieren.
Dagegen sind die schwarzen Schweinchen voller Leben und Feuer und jagen auf Deck herum, daß Ohren und Schwänze fliegen; auch die zehn Hühner sind Prachtstücke, besonders ein großes gelbes Huhn mit dichten krausen Federn vom Kamm bis zur Fußsohle. Der Hahn kräht sehr angenehm, als ob sich in kleiner Entfernung ein Bauernhof befände. Die weiße Katze wurde von allen mit Liebe betrachtet, da sie uns junge Kätzchen versprach, und Jürgen und ich hatten manchen Streit, weil ich alle behalten wollte und er nur einige – gestern endlich legte sie sich in die Koje eines Matrosen und bescherte ihm sieben Kätzchen; ich hörte draußen sagen: »ein witt! zwei bunt,« – gleich darauf kam Jürgen und erzählte, die Alte hätte sie alle aufgefressen, mit Mühe konnte man sie ihr in Stücken fortnehmen. – Die Mannschaft, deren Namen ich noch nicht weiß, macht einen sehr vorteilhaften Eindruck, besonders der alte Koch, der so reinlich und ordentlich aussieht, daß das Essen noch einmal so gut schmeckt, wie bisher. Das Sonnensegel ist auch wieder aufgespannt.
18. Januar. – Mohr war schon ganz schwach und elend, als uns einfiel, ihm Chinin zu geben; es war wie ein Wunder, so nahmen die Kräfte zu; indessen erwies sich die Hoffnung als trügerisch: er starb gestern Nacht.
»Es war nur ein Tier, das weiß ich schon, da soll man sich nicht so gebärden« – aber er war unser beständiger Gefährte, es war so jämmerlich, wie er zu uns kroch und seinen Kopf an uns lehnte; noch zuletzt gab er mir einen kleinen Stoß mit der Schnauze, nur um ein wenig Teilnahme bat er, das arme Tier. Damit Jürgen sie nicht mehr sähe, warf ich selbst seinen Teller und seinen Wassernapf über Bord – der Teller sank, aber es ging mir durch das Herz, als ich das leere Näpfchen davonschwimmen sah.
Es wird heiß, wir haben 21-22° R.; weil immer etwas Brise ist, fühlt man es nicht so sehr, aber die Feuchtigkeit der Luft macht sich geltend.
Mit großem Interesse haben wir die Selbstbiographie von Jürgens Onkel, dem Kapitän z. S. Hassenstein, gelesen. Was hat er für ein reiches Leben gehabt und was für ein tüchtiger Mensch und Charakter ist er bei all seiner Querköpfigkeit doch gewesen. Er war acht Jahre Seemann, ehe er zum ersten Male die Linie überschritt, und zwar als Kapitän. –
Ich passierte sie gestern, den 27. Januar, zum elften Male. Neptun und Amphitrite kamen an Bord und die zwei neuen Jungen wurden eingeteert und rasiert. Der Vater des einen ist Wachtmeister, der des anderen Gutsbesitzer. Jürgen schalt heute den einen, daß er so schmutzig wäre, und forderte ihn auf, sich umzusehen, ob er unter der Mannschaft wohl noch solch ein Ferkel fände, wie sich?! Es sind jetzt die herrlichen Tage der Seefahrt, immer blau mit frischer Brise. Fliegende Fische, sonst aber nichts; wir vermissen unsern armen Mohr, der unser Leben teilte, morgens kam und sich vor die Tür legte, bis ich aufstand, nachmittags aufpaßte, bis ich die Dose mit den Cakes holte und zufrieden fortging, wenn er zwei gehabt hatte; abends gab er mir kleine Stöße, damit ich zu Bett ginge, sah nach, ob ich auch wirklich mich auszöge, und dann erst legte er sich selbst nieder.
Nach einigen flauen Tagen lebhafter Passat; es ist doch ein ander Ding, so frisch und frei durch das Wasser zu schießen, als träge hinzuschaukeln wie auf einem Teich.
Das in den Docks in London entsetzlich eingeschmutzte Schiff ist gewaschen und frisch geölt und gestrichen; die Sonne brennt, daß der Teer aus den Fugen quillt. Ich male die Rettungsgürtel an den Booten nach, die Herr König mit schönen Arabesken geziert hatte, aber bei jeder neuen Uebermalung geht etwas mehr von der ursprünglichen Eleganz verloren.
18. Februar. Wir haben längst die heiße Zone hinter uns, hatten jenes Wetter, von dem man zu sagen pflegt: »Da will ich lieber gar keins«, wechselnd wie April mit Staupen, Wind und See. Jetzt kühler Wind aus Süd, mit gelegentlichen Güssen. Wenn der Wind Schaum und Spritzer überführt, glänzen nachher die Salzkristalle auf den benetzten Stellen. Dies ist die Region der Walfische, wir sahen aber noch keinen, überhaupt gar nichts. Gestern hätten wir ein furchtbares Unglück haben können; der kleine Gustav fiel von der obersten Rahe herunter in die Salung, eine kleine offene Plattform, die der Laie »Mastkorb« zu nennen pflegt.
Er tat sich nur am Kopf etwas weh, sonst war ihm nichts geschehen, aber er weinte vor Schreck. Ich fand ihn noch schluchzend zwischen den Besen und gab ihm eine Apfelsine und ein paar Keks zum Trost, die er aß, während ihm die Tränen darauf tropften. Auch der Steward hat sich einen Fuß verstaucht, den Jürgen fest gewickelt hat; nun liegt er in der Koje und wir sind sehr froh, den vorigen Steward, der jetzt als Matrose, Heinrich heißt, wieder zu haben, der genau Bescheid weiß und uns so angenehm ist.
24. Februar. Wir sind fast am Cap der guten Hoffnung vorbei, hatten gestern ein herrliches Etmal von 240 Meilen, wir stürmten förmlich durch das Wasser. Es ist kühl und grau, und eine Menge großer Albatrosse umspielen das Schiff, Seeschwalben und Eisvögel, aber die Kaptauben sind um diese Jahreszeit rühmlichst abwesend. Heute sah Juranitsch von oben einen Eisberg, Jürgen stieg auch hinauf, konnte ihn aber nicht erkennen. Wir füttern täglich die Hühner, die gelaufen kommen, wenn sich Jürgen blicken läßt und denen man eine Pütze voll Sand, und Reis, Erbsen oder Mais hinstreut.
Neulich brachte mir Jan ein Ei, das er gefunden hatte, was sehr nett von ihm war, denn er hätte es selbst essen können.
28. Februar. Das schönste Wetter, See blau, Himmel voller Zirruswolken, Sonne warm, Luft frisch, Seeschwalben zahlreich. Gestern abend stand das Kreuz in einem Riß zwischen den Wolken uns klar zu Häupten. Wir sind auf der Länge von Jerusalem und gehen auf dem 38. Grad südlicher Breite entlang. Jürgen hat das Logbook of the Challenger wieder vorgeholt und liest mir beständig Stellen daraus vor; es zeigt sich aufs neue der Reiz der Brief- und Tagebuchform, »though I say it, as shouldn't«. Obwohl ich es sage, die es nicht sollte.
2. März. Wir fegen förmlich entlang, der Wind ist nördlich und das Deck liegt stetig schief, wir gehen auf der hohen Seite spazieren, unterhalten uns, den Lärm übertönend, und freuen uns des guten Fortgangs. Es ist doch ein freies, stolzes Gefühl, so mit voller Fahrt durch den unendlichen Raum zu stürmen, daß die See zu beiden Seiten kocht und schäumt. Wir kamen überein, daß das Leben auf einem angeketteten Feuerschiff schrecklich sein müßte. Daß Stillte niederschlagend ist, auch bei dem wonnigsten Wetter, würde ich selbst empfinden, auch wenn Jürgen dann nicht brummte, – jetzt pfeift und singt er natürlich. Heute nacht sank das Barometer, und da mehr Wind kam und man schlechtes Wetter erwarten mußte, wurden die Segel festgemacht.
Wir saßen bei der Lampe und lasen, als plötzlich ein furchtbarer Stoß das ganze Schiff erschütterte. Jürgen sprang hinauf, er fürchtete Eis, aber es war nur eine See, die übergekommen war; wunderlich genug, war und blieb es die einzige.
Wir hatten viel Not mit der Lampe, die der Steward mit Sorgfalt zurecht gemacht zu haben versicherte. Jürgen doktorte ohne Erfolg an ihr herum, plötzlich kommt der Steward ganz beglückt zu mir: »Jetzt weiß ich, was der Lampe fehlt! Ich habe vergessen, Petroleum aufzugießen!!«
6. März. Guter Fortgang, der Wind fegt durch die See, daß sie in tiefe Täler zwischen langen Hügeln gefurcht ist und breite Wehre aufschäumen. Wie oft dachte ich bei solchem Anblick, wie er Mama entsetzen würde, könnte sie es sehen! – Der Mond steht im Norden, das Kreuz im Süden.
11. März. Gestern war Sonntag und ein herrlicher milder Tag, und nach dem langen Einerlei drängten sich plötzlich die Erlebnisse. Morgens legte das weiße Huhn ein Ei, dann überholten wir ein Schiff, einen großen Viermaster aus Dundee, der den ganzen Tag so nahe war, daß man seine Glocke hörte; mittags gab es das alte graue Huhn, dem das Leben schon lange abgesprochen war, nachmittags kam noch ein Schiff in Sicht und zwei Walfische, abends hatten wir schönen Kartoffelsalat, und bei dem allen lag ich mit Migräne und hatte nichts davon.
Heute esse ich die letzte Apfelsine von 700. Ich wollte einige mitnehmen, und der Shipchandler in London sagte uns freundlichst, er habe von einem einkommenden Kapitän eine Kiste erbeten; sie kostete 20 Mk., es würde uns wohl recht sein. Recht war es uns nun gar nicht, denn wir dachten, die Mehrzahl würde verderben und um das zu verhindern, haben wir darin gehaust und geschwelgt. Sie hielten sich aber vortrefflich, nur sieben waren schlecht, so daß wir sie bis Rangoon hätten haben können.
Juranitsch harpunierte einen Schweinfisch und fing mehrere Albatrosse; von zweien der Flügelknochen ließ sich Jürgen eine Pfeife machen, aus der er jetzt mit Eifer raucht. Die Schwimmhäute gaben Tabaksbeutel.
19. März. Der Passat ist da! Jedesmal, wenn er einsetzt, erinnere ich mich, wie Professor Romberg uns sagte, nur noch einmal im Leben möchte er wieder in einem frischen lustigen Passat segeln! Die See ist blau wie Kornblumen mit Schaumkrönchen und das Sonnchen fängt an zu brennen. Gestern war noch ein schmutziger Tag, die Wolken hingen rings umher in Fetzen und Fransen, als ob sie gekämmt und gemolken würden, und der Passat kam in einer Böe. Es war schwül, der Regen kühlte etwas, und als er nachließ, nahm ich meinen alten Gummimantel um und wir lustwandelten auf Deck. »Dieser Mantel ist eigentlich Deiner Frau nicht mehr würdig«, sagte ich – stracks nimmt ihn mir Jürgen vom Rücken und wirft ihn über Bord; freilich war ich ihn los, aber es ging ein bißchen schnell damit! Gestern sieben Eier! Noch nie habe ich Hühner so eingehend beobachtet. Der Koch fängt sie und läßt sie in seiner Bank legen; kommt nun die Henne wieder zum Vorschein und gackert, so läuft ihr der Hahn entgegen, erkundigt sich artig und angelegentlich, wie die Sache gegangen ist, fragt nach den guten Eigenschaften des Eies und geleitet sie höflich mit allen Ehren an den gemeinsamen Futterplatz.
21. März. Das Barometer fällt und fällt, es bläst hart und das Schiff rollt; man macht die Segel fest und erwartet Sturm, aber nach zwei Tagen erholt sich das Barometer, die See legt sich und der Wind weht von Backbord. Jürgen erklärt das für ein Zeichen, daß wir uns auf der äußeren Seite des Zyklons befinden und die Angst vorüber ist.
Heute, 24. März, schöner Sonntag mit frischer Brise aus West, und wir sind somit aus dem Passat in den Monsun gekommen. Es ist sehr heiß, 23° R. morgens, und die Luft so feucht, daß man immer wie in einem Dampfbad sitzt. – Zu sehen ist nichts, kein Vogel, kein Fisch, keine Qualle, nur die Meeresbläue und die Wolken, aber das könnt Ihr Euch nicht denken, wie angenehm es ist, nach Tagen, wo man immer die See wie einen großen Fächer hat auf- und niederschlagen sehen und bald zur Rechten, bald zur Linken einen Wasserberg gehabt hat, den Horizont wieder auf seiner natürlichen Höhe zu finden und die See in leichter Dünung ruhig atmend.
Wir sitzen an Deck unter dem Sonnensegel. Jürgen liest, ich nähe und Herr Pauly sitzt auf der Treppe und füttert seine Strohschuhe mit Segeltuch.
27. März. Nach der Berechnung müßten wir bereits im Feuerkreis von Atchin Head sein; wir eilen nach Osten, um das Land in Sicht zu bekommen und nun gießt es so, daß man keinen Ausblick hat. Schon heute Nacht stieg der Steuermann auf die oberste Rahe und suchte das Feuer, aber umsonst. Der Anker und die Ketten werden bereit gemacht.
28. März. Es regnete den ganzen Tag, wir mußten dem Lande nahe sein; nachmittags klarte es auf, Max, den Jürgen nach oben geschickt hatte, schrie herunter: »Land!« und die Matrosen beim Kettenaufziehen wiederholten: »Land! Land!« – Es regnete leise fort, aber wir saßen unterm Sonnensegel und sahen die Bergspitzen über dem Nebel und den Inseln auftauchen und nach und nach dunkler und zusammenhängender werden. Die Sonne ging in herrlichen Farben unter, ein rötlicher Regenbogen faßte die Sumatraberge ein, ein zweigipfliger Berg, der ein Krater zu sein schien, glänzte rosa im Abendlicht. Leider ist der Wind schlecht und der Strom entgegen und noch haben wir das Feuer nicht in Sicht.
3. April. Nichts als Stillte oder wenig und widrige Brise, – kurz, wir konnten nicht durch den Zehngradkanal und liefen mit verzweiflungsvoller Gemächlichkeit westlich an den Andamanen hinauf. Es ist heiß, 28° R. in der Badestube. Gestern kam ein furchtbares Wetter auf, ein schwarzer Halbkreis, umsäumt von graugelben Wolkenballen. Als er über uns stand, tief und schweflig, erwartete ich, daß das Feuer vom Himmel direkt auf uns fallen würde, aber schwer und stetig zog es über uns fort. Plötzlich hören wir fauchen und ein ganzer Zug weißbräunlicher Walfische kommt vorbei, die im Wasser springen und scherzen.
Gestern sagte Jürgen, er hätte Lust, in der See zu schwimmen; ich erinnerte an die Haifische; er sagte, man hätte ja keinen gesehen, es wären wohl keine da. Am Abend aber ließ Juranitsch die große Angel hinunter und ehe sie das Wasser berührte, saß ein großer Hai daran, mit greulich breitem Maul. Jürgen erschoß ihn, der Haken wurde ausgeschnitten, und er dann in das Meer zurückgeworfen, wo noch zwei andere sich herumtrieben. – Einen Habicht sahen wir und etwas Seetang.
Vorgestern, als wir die südlichste Insel der Andamanen in Sicht gehabt hatten, war den ganzen Abend über eine wonnige Luft, Muskat und Sandelholz gemischt mit Baumblüte, so herrlich, daß ich noch nachts aufstand und zum Fenster hinaus roch. Große schwarze Wespen mit stahlblauen Flügeln sind unangenehme Gäste von Land. Sie sehen giftig aus und haben einen langen Stachel.
7. April. Preparisstraße, zwischen Birma und den Andamanen. Eben haben wir eine geographische Entdeckung gemacht und etwas gesehen, das ich noch niemals sah und Jürgen selten – den Meeresboden. Das Wasser war so hell, daß man die weißen, runden und unregelmäßigen Flecke des Korallengrundes deutlich erkannte; das Lot brachte auch einige rote Spürchen mit herauf, und in dem klaren Wasser spielten eine Menge großer und kleiner Haifische. Das Lot zeigte 13 Faden, also auf 72 Fuß Tiefe sah man den Grund so deutlich. Von praktischer Bedeutung ist die Entdeckung nicht, doch ist es eine noch unbekannte Bank, die Karte gibt viel größere Tiefen an. Zugleich war hier und da die See gekräuselt, als ob es strichweise heftig darauf regnete, was von Zügen kleiner Fische herrührte, die wie auf Kommando von Zeit zu Zeit in die Höhe sprangen. In der Ferne überkugelten sich große Fische und es war so viel zu sehen, daß ich fast den ganzen Vormittag über der Reeling lag. See und Himmel blau, und ganz leicht am Horizont die Kette der Andamanen, die wir schon gestern und vorgestern sahen, denn wir machen wenig Weg, Gott sei's geklagt. Abends lesen wir mit Vergnügen und Interesse die Autobiographie von Sastrow. Wie kommt es, daß sie nicht bekannter ist? Sie steckt voll interessanter Dinge – z. B. erzählt er, wie Karl V. in Naumburg a. S. eine Truppenschau abhält, ein Hagelschauer ihn überrascht und er sein Mäntelein, so zwei Finger breit mit Pelz besetzt war, umkehrt und sein sammit Hütlein darunter steckt. So läßt er es sich auf den bloßen Kopf regnen, bis die Filzkappe, nach der er geschickt hat, gebracht wird. Und dann die »Mildigkeit« des Kaisers, wie er bei einem Kanonentransport, der ihm zu langsam geht, einen Fuhrmann schlägt und dieser, der ihn nicht kennt, es ihm wiedergibt, wofür er an den nächsten Baum geknüpft werden soll. Es wird indessen so lange mit der Hinrichtung gezögert, bis sich der Zorn des Kaisers etwas gelegt hat und man ihm vorstellen kann, daß der Mann so harte Strafe doch eigentlich nicht verdient habe. Der Kaiser sieht das auch ein, und friedlich, wie er war gesunnen, begnügt er sich damit, dem Manne die Nase abschneiden zu lassen ... Avec transport setzt sich der Delinquent hin, und man schneidet ihm die Nase so weit wie möglich ab, um den guten Willen zu zeigen. Sastrow hat nachmals den Mann noch öfter getroffen und mehrmals gehört, wie er die Geschichte selbst erzählt und des Kaisers Milde dankbar gerühmt hat.
Solcher feinen Stücklein sind viele darin.
Wir nähern uns der Südküste von Birma, ein übles Fahrwasser, denn sie ist so seicht, daß das Schiff verloren ist, wenn man sie erblickt. Es muß deshalb beständig gelotet werden. Noch schlimmer ist die See östlich von der Rangoon-Mündung des Irawadi, deren Ufer auf der Seekarte ganz weiß gelassen sind; es heißt, kein Schiff kommt zurück, das sich dorthin verirrt hat. Die See ist milchig grün, wie der Rhein bei Straßburg. Quallen und Schlangen, ein Eisvogel vom Lande und ein Schwälbchen.
Am Gründonnerstag sah man endlich mit Erleichterung das Feuer von Krishnashoal. Wir sind 101 Tage unterwegs und haben also doch noch eine gute Reise gemacht.
13. April-8. Mai.
Rangoon, 13. April. Die Ankunft in Rangoon ist nicht vielversprechend. Die Ufer sind flach mit niedriger Sumpfvegetation, nur bei Elephantpoint erheben sich einige Baumgruppen mit Palmen. Langsam windet sich das Schiff, von dem kleinen Schlepper gezogen, die weite Wasserstraße hinauf. Schon von ferne erblickt man auf dem einzigen Hügel der Gegend die goldene Spitze der Shway Dagone-Pagode, die größte der Welt, das Nationalheiligtum der Birmanen. Zu ihren Füßen, weit ins Land hinein, breitet sich, von schmalen Flußläufen und Kanälen durchschnitten, die Stadt aus, die auf mehr als 180 000 Einwohner geschätzt wird. Sie liegt indessen so tief, daß man den Eindruck einer so großen Stadt erst nach und nach bekommt. Am linken Ufer des Stromes, also dem Hereinsegelnden zur Rechten, sieht man nur die Hafengebäude, die zunächst liegenden, europäisch gebauten Straßen, Speicher, mächtige schwimmende Holzwerften, Zimmerplätze, auf denen Elefanten arbeiten, weiterhin zerstreut liegende Wohnungen in dichtem Gehölz.
Auf dem rechten Ufer, der Dalla-Seite, ziehen sich Reismühlen mit rauchenden Schloten und godowns weit den Fluß hinauf, tiefer im Lande ragt hier und da zwischen staubigen Feldern und verdorrten Wiesen eine kleine Pagode aus schattigem Grün hervor.
Der Verkehr auf dem Strome ist lebhaft; in Reihen ankern Schiffe, von Leichtern umgeben, in denen Kulis, lärmend und schreiend, mit dem Löschen oder Einbringen der Ladung beschäftigt sind. Schwer beladen gleiten die pittoresken, schön geschnitzten Reisboote den Fluß zur Stadt herab, der hohe Flußdampfer, seine drei offenen Galerien besetzt mit braunem Volk in farbiger Tracht, tritt seine Fahrt durch die verschlungenen Wasserstraßen des Deltas an; zwischen den Ufern und den Schiffen schießen kleine Dampfboote und Sampans hin und her.
Der Rangoon-Arm des Irawadi ist so breit, daß man voraus keine Uferlinie wahrnimmt. Er kommt von Westen, die Sonne versinkt daher im Strom, Wasser und Himmel verschwimmen dann in goldener Glut, in der die Fahrzeuge sich wiegen, die Ufer leuchten im Abendschein, braunrot glänzen Segel und Tauwerk, und wenn die einbrechende Dunkelheit schon alles in violette Schatten getaucht hat, blitzt noch ein letzter Strahl auf der Spitze der großen Pagode.
Das war der Eindruck unseres ersten Abends in Rangoon, so sah ich es seitdem mit immer neuem Entzücken viele, viele Male.
14. April. Heute haben wir schon den Dobi, Waschmann, da gehabt, der mir mit glänzenden Zähnen Jürgens eigene frühere Empfehlung vorwies, dann den Schuster und den Schneider. Die Schlacht, die sich vier Dubasche um Jürgens Kundschaft lieferten, war sehenswert – zwei greuliche Kerle, die Deutsch radebrechten, und immer in die Pantry liefen, um sich heimlich zu beraten, ein brauner »runner« »Einfänger«. für den Stevedor Madouray Stevedor, der die Stauerarbeiten und größere Lieferungen für das Schiff übernimmt. und ein Grieche für einen anderen, den Jürgen von vornherein nicht wollte, weil er vor Jahren mit dieser Firma schlechte Erfahrungen gemacht hatte. Ich bewunderte, wie er den Bitten des Griechen widerstehen konnte, der immer wieder mit erhobenen Händen flehte: »try me, captain! – give me a chance! – it's life and bread to me! – take my hand, captain!« »Versucht es mit mir, Kapitän! – gebt mir eine Chance! – es ist Leben und Brot für mich! – nehmt meine Hand!« Schließlich mußte ihm Jürgen eine Bescheinigung geben, daß er zuerst auf dem Platz gewesen wäre, Jürgen ihn aber wegen früherer Mißhelligkeiten nicht nähme – da endlich ging er, und der Braune behauptete das Feld. Dann kamen die bumboatmen und fochten ebenso erbittert um den Vorzug, die Mannschaft zu übervorteilen; hierauf erschien der Arzt, ein Deutscher, ferner ein Beamter des Hafenmeisters, der an Bord blieb und in der Kajüte schlief – und die Türen unserer Kammer sind nicht etwa geschlossen!! – Dann ist noch ein dicker Engländer an Bord, der preventing officer Der »Verhütungsbeamte«, der aufpassen soll, daß wir nicht schmuggeln!, der auf Deck sitzt, im Proviantraum schläft und mit uns ißt. Er hat einen Schlaganfall gehabt, geht und spricht schwer, und zeigt uns, bis wohin seine Beine geschwollen gewesen wären. –
Jetzt ist alles fort, Jürgen an Land. Die Hitze ist sehr schlimm, alles klagt.
15. April. Die Sonne brennt uns auf den Scheitel, daß wir durch Hut und Sonnensegel hindurchfühlen, wo sie steht. Heute früh wurde ein zweites großes Sonnensegel über die ganze Kajüte und das Hinterdeck gespannt, eine große Annehmlichkeit, da man nun das Oberlicht immer offen haben kann, auch bei Regen. Eben kommt ein Schauer und wird durch eine gelbe Staubwolke eingeleitet, die Strom und Stadt verhüllt.
Der gestrige Tag war voll wie ein Ei. Um fünf Uhr standen wir auf und fuhren zu der großen Pagode, denn es war birmanisches Neujahr, und wir wollten sie im Festschmuck sehen. Es lohnte sich. Herrlich war schon die Fahrt in der Morgenkühle unter den mächtigen Bäumen der Hauptstraße, die nach der Pagode führt und die bereits belebt war mit hineilenden und zurückkehrenden Festgenossen, Händlern mit Gemüsen und Früchten, ungefügen kleinen Wagen mit Zugochsen bespannt, unter deren schützender Plane eine Menge hübscher, junger Gesichter hervorsahen.
Die Pagode steht auf einem großen, zum Teil mit Steinfliesen belegten Platze auf einem Hügel, der von unten auf wie eine Festung mit weiten Gräben und starken Mauern umgeben ist. Vier breite Aufgänge in den Himmelsrichtungen führen hinauf, von denen zwei nicht mehr gangbar sind. Der Nordaufgang, durch den wir kamen, ist der schönste und am meisten benutzte. Man hat hier die Kunst der Bogengänge und gewölbten Dächer nicht erreicht, daher führen breite, tief ausgetretene Marmortreppen in Absätzen aufwärts unter reich geschnitzten Holzdächern, die sich siebenfach übereinander erheben und auf roten Holzsäulen ruhen. Treppe nach Treppe zieht sich unter solchen Dächern den Hügel hinauf, zwischen jeder ein schmaler, offener Raum. Steht man nun oben, so erblickt man zwischen dem Dämmerlicht der Treppen die sonnenhellen Uebergangsstreifen, und die bunte Menge in Festkleidern, Blumen im Haar, blühende Zweige in den Händen, wogt bald in scharfen hellen, bald dunkleren Flecken auf und ab. Bei uns erinnert ein Menschengewimmel meist an schwarze Ameisen, hier ist es ein Durcheinander von leuchtenden Farben.
Zu beiden Seiten der Stufen – den Mittelweg dürfen sie nicht betreten – kauern Aussätzige und Krüppel, strecken flehend die verstümmelten Glieder aus, und wenige gehen vorüber, ohne ihren Anna in die hingehaltene Bettlerschale zu werfen.
Oben ist es herrlich. Die vergoldete große Pagode nimmt den Mittelpunkt ein. Den weiten Platz bedecken im Schatten der prachtvollsten Bäume zahllose offene Hallen, Tempel, Kapellen, Schreine, kleine Pagoden. Ueberall und in allen Größen Buddhastatuen, liegende und sitzende, alte und neue, aus Zement oder Alabaster, manche im frischen Glanze bunter Zinnfolie, edler Steine und Perlen; davor stehen Blumen, hängen Kränze, sind bunte Sonnenschirme aufgesteckt. Neben niedrig hängenden Glocken liegen Geweihe, um sie anzuschlagen; kauernde Priester lassen Gongs ertönen; überall liegen Beter; einige unter freiem Himmel auf den Höfen, andere vor den Altären in den Kapellen. Zahllose Lichtchen brannten im Hintergrunde der Tempel. Ich sah Frauen Päckchen Lichte halten, die ihnen ein Mann abnahm, um sie aufzustecken und anzuzünden; Kinder liefen fröhlich dazwischen; ein ganz kleines schrie; die Mutter, die auf den Knieen lag, knöpfte ruhig ihre Jacke auf und gab ihm die Brust. Als sie dabei den Kopf drehte, sah ich, daß sie selbst ein ganz junges Geschöpf war; sie konnte kaum zwölf Jahre zählen, und ihr rundes Gesicht hatte den kindlichsten Ausdruck. Ein Kind hatte das ganze Gesicht mit kleinen gelben Blumen beklebt, und ein anderes kam und drückte ihm ein paar abgefallene eifrig wieder an. Einem kleinen Jungen, der mir Rosen gebracht hatte, gab Jürgen eine Rupie. Gleich darauf forderte er Schwefelhölzer. Der Kleine sprang mit lautem »Mama! matches!« zu seiner Mutter, die allerhand feil hatte, und brachte Jürgen eine Schachtel, sichtlich, um für das fürstliche Geschenk zu danken.
Ein junger Birmane führte uns und zeigte uns die berühmte große alte Glocke. Sie soll silbern sein, ist gut einen halben Fuß dick, etwa 15 Fuß hoch und 5 Fuß im Durchmesser. Ich schlug sie natürlich auch an. Dann zeigte uns der Birmane den chinesischen Tempel und »Berg«, den Mandaley-Berg, den Berg der japanischen Buddhisten usw. Diese »Berge« waren in Seitenkapellen, etwa sechs Fuß hoch, voll kleiner, kaum spannelanger Figuren, die offenbar Legenden des betreffenden Volksstammes darstellten, z. B. einen Zweikampf auf Elefanten, wobei der eine Elefant auch ein Schwert mit dem Rüssel schwang. Auf einem anderen »Berge« war ein indisches Dornröschen zu sehen – zwei schön gekleidete Damen lagen schlafend vor einer gleichfalls auf einem Ruhebett schlummernden Schönheit, und ein junger Held mit einem Schwerte unter dem Arm schlug einen Vorhang aus weißem Mull zurück und erblickte die Prinzessin mit Staunen und Wohlgefallen.
Jürgen machte mich darauf aufmerksam, wie frei und fröhlich der Verkehr war, Beten, Verkaufen, Lagern und Essen im Schatten, Kinder überall, ohne daß man ein rohes Wort, Schelten, Zank oder auch nur störenden Lärm gehört hätte. Ich konnte mich kaum losreißen, doch vertrieb uns endlich die zunehmende Hitze.
Kaum hatte ich mich jedoch nach Tisch hingelegt, als ich durch die Pfeife eines Gauklers und lautes Lachen auf Deck gelockt wurde.
Als ich hinauf kam, stand ein großes Publikum um den Mann, auf der einen Seite die Mannschaft, auf der andern eine Menge Kulis, die übergeklettert waren, Jürgen, die Steuerleute und unser »preventing officer«. Es war ein Spaß, die Leute zu beobachten, besonders Gustav und Otto, die beiden Jungen, denen das etwas ganz Neues und Wundervolles war.
Um ¾6 Uhr fuhren wir zu den künstlichen Seen, den Wasserwerken von Rangoon, die in großartiger Umgebung liegen, mit wundervollem Rasen – hier eine Seltenheit –, schönen Baumgruppen, spazieren fahrenden Menschen, dann fuhren wir zu Eversheds Hotel zum Essen; es schmeckte des Wechsels wegen, war aber nicht besonders. Ein Kapitän aus Elsfleth schloß sich uns an, ein angenehmer Mensch. Jürgen erzählte, er habe heute bei dem Stevedor einen Kapitän getroffen, der eine große Schneckenmuschel in der Hand gehabt habe und 1500 Stück davon zum Verkauf bot. Er hatte sie von den Kokosinseln gebracht, von wo er Kokosnüsse holte. Die Firma, deren Chef der kohlschwarze Inder Madourey ist, hat diese Inseln von der Regierung gepachtet. Da seht Ihr, in welchem Maßstab die Geschäfte hier gehen. Aus diesen Muscheln werden Perlmutterknöpfe und dergleichen gefertigt, der Markt dafür ist London. Wir liegen am Pier und haben das Vergnügen, daß das Schiff geschrappt und die Ladung von Kulis gelöscht wird, die die Ballen und Kisten unter beständigem »Halaala jo! – Halaala jo!« aufwinden.
Während ich schreibe, entsteht oben ein fürchterlicher Zank; der eine schwarze Kuli zeigt wütend die Zähne, alle andern jabbern und der kleine italienische Stevedor Pipo droht und schimpft. Den ganzen Tag lang drehen sie das Gangspill. Einer singt und die andern fallen mit dem Rundreim ein, es sind etwa fünf bis sechs verschiedene Rufe, der eine klingt wie: Eia–Marie!, der andere: la–la–Jäm–mer–lich! etc.; so stundenlang: la–la–Jämmerlich! in die Ohren geschrieen bekommen, ist nicht sehr erfreulich, da ziehe ich ein anderes: ma–ma–buddeldi–bob–! noch vor.
Sonntag früh um sechs waren wir nochmals auf der großen Pagode; Herr Pauly wollte hinauf und der Impuls teilte sich uns mit. Alle Tage könnte ich auf die Pagode gehen, während mir heute eine Dame sagte: »Wenn man sie einmal gesehen hat, ist man befriedigt.« Wir finden sie unerschöpflich, es ist dort alles, Uraltes und Neues, Schönheit, Kunst, Ungeschmack durcheinander. Der Kultus hat viel Aehnlichkeit mit dem katholischen, die bunten Schreine, die Beter, der Rosenkranz, die brennenden Lichter, der Ausputz, aber eigenartig ist natürlich die Form der Pagode, die wundervollen Bäume, das Bewachsen und Begrünen von frisch vergoldeten Dächern und Spitzen, die Flut von Licht und Farbe, das Fremdartige und Malerische der braunen Menschheit. Es ist schwer, sich vorzustellen, daß man selbst nur eine Zufallserscheinung ist, daß die Pagode ihre feine, glänzende Goldkrone, die in der Höhe der Paulskirche mit Diamanten und Rubinen geschmückt ist, vor vielleicht 2000 Jahren ebenso wie heute trug, daß sie Hunderte von Malen frisch vergoldet ist, daß die Beter ebenso ihre Blumen in die Höhe gehalten haben, lange, ehe ein Europäer den Fuß auf diesen Strand setzte. Es ist deshalb schwer, sich das zu denken, weil das Volk einen so zivilisierten und wohlerzogenen Eindruck macht. Wir hörten Musik und fanden einen Blinden, der mit unbegreiflicher Präzision mit Stäbchen aus hartem Holz auf einer Art Harmonika mit gewölbtem Resonanzboden spielte, dazu sang er und es war wirklich Melodie und Takt darin, ebenso ein anderer Blinder, der sich auf einem Streichinstrument begleitete; er riß seinen großen Mund auf und sang nach den Mienen der Hörer zu urteilen mit viel Ausdruck und Humor. An einer stillen abgelegenen Stelle der Mauer fanden wir die eingefriedigten Gräber der englischen Offiziere, die auf der Stelle, wo sie beim Sturm dieser Pagode fielen, begraben worden sind. Es muß ein entsetzliches Gemetzel gewesen sein, ich versuchte mir das Bild vorzustellen, die Wut und Verzweiflung, mit der die Birmanen ihr Heiligtum und zugleich ihre Freiheit und ihr Vaterland verteidigten, wie die Kugeln in die alten Heiligtümer schlugen und die weiten Höfe voll Toter und Verwundeter lagen. Und dann dachte ich des Jammers in den stillen traulichen Heimstätten im fernen England, deren Stolz und Freude hier im Schatten dieser Brotfruchtbäume gebettet ist.
Von der Mauer dort oben hat man einen herrlichen Rundblick, meilenweit erstreckt sich der Wald und wechselt mit Anpflanzungen, Gärten und künstlichen Seen.
Gestern morgen sah ich im Vorüberfahren einen Birmanen mit erhobenen Händen auf den Knien liegen und beten, an einer Stelle, wo man gerade gegenüber die große Pagode in der Morgensonne glänzen sah; so heilig ist der Boden, daß viele schon auf dem Wege dorthin die Schuhe in den Händen tragen. Eine vornehme Familie beobachteten wir. Die Mama hatte Diamantringe von unglaublicher Größe an Ohren und Fingern, abgesehen von so vielen goldenen Ketten, als überhaupt anzubringen waren; Töchter und Söhne, schön geputzt in Gold und Seide, mit Blumen im Haar, begleiteten sie, ein kleines Mädchen schritt mit der eigentümlichen Grandezza und der etwas schnörkligen Anmut, die das Kostüm mit sich bringt, über den Platz, es ist ein erfreulich zu beobachtendes Volk, das etwas Edles, Stolzes und Wohlerzogenes hat.
Herr Pauly sagte, wie schön müßte es gewesen sein, als es alles frisch und fertig war, aber das ist es nie gewesen. Diese Sonne, der Staub und die sechs Monate tropischer Regen machen beständige Ausbesserungen nötig. Wir sahen einen Maler bei seiner Hantierung und eine ganze Schnitzwerkstatt, die Arbeit war von den alten Mustern nicht zu unterscheiden. Diese Marmorfliesen und Granitstufen jedoch können nur in Jahrhunderten so ausgetreten sein. Es ist ein Gefühl, wie es mich am Handeck-Fall überkam: so tost das Wasser über die Felsen, so spielen die Regenbogen ineinander, immerfort, ob ein menschliches Auge es sieht oder nicht. Die Bettler erheben die verstümmelten Hände, die Leute halten betend ihre Blumen empor und die goldene Krone der Pagode funkelt im blauen Himmel wie jetzt, wenn wir längst verweht und vergessen sind.
Nachher fuhren wir noch in den botanischen Garten. Der schwarze Tiger, der neulich mit so gräßlichem Gebrüll an seinen Stäben aufsprang, daß Jürgen behauptete, ich wäre blaß geworden, lag und schlief, die Marabus hüpften nicht mehr so lächerlich auf zwei Beinen, dagegen sahen wir einen Gibbon, etwa zwei Fuß hoch, schwarz mit weißem Schnurrbart, den man frei herumlaufen läßt, und stellt Euch vor, er ging aufrecht und hielt sich ganz gerade; wenn er saß oder kroch, sah er aus, wie andere Affen, sobald er sich aber beeilte, ging er aufrecht und sehr schnell. Jürgen sagte, etwas Menschenähnlicheres hätte er nie gesehen. Der Kopf war klein und wohlgeformt mit kleinen, hübschen, hellen menschlichen Ohren, die Arme waren lang, reichten aber nicht ganz auf den Boden, er stützte sich nicht darauf.
20. April. Es regnete die Nacht über und goß noch heute früh in Strömen. Der Zyklonball war geheißt. Die Kulis weigern sich, im Regen zu arbeiten, tun es schließlich doch. Gestern abend kam ein Kuli noch ganz spät, nur mit einem Lappen bekleidet und holte – seinen vergessenen Regenschirm! Vormittags kommt ein Neger und verlangt: »Me speakee Captain! private!« »Kapitän allein sprechen.« In die Kajüte geführt, flüstert er Jürgen geheimnisvoll zu, er wüßte eine Farm, wo Schweine billig zu haben wären, und Jürgen macht schließlich eine Expedition von einigen Stunden mit ihm, und sie kommen mit zwei kleinen Schweinen in einem Sack zurück. Es wäre eine große birmanische Farm gewesen mit einer Menge von Schweinen, Büffelkühen und Federvieh, so gut gehalten, sagte Jürgen, daß er fast bedauert hätte, mich nicht mitgenommen zu haben, und der Neger trug die quiekenden, strampelnden Schweine fast eine halbe Stunde weit. Er wurde denn auch gut bezahlt und da er um Salzfleisch bat, zu dem zweiten Steuermann geschickt. Nach einer Weile kommt dieser und erzählt, der schwarze Biedermann hätte ihm Zigarren versprochen, wenn er ihm Kaffee geben wollte. Tags darauf erscheint der Neger wieder mit einer Durian, die er zu besorgen übernommen hatte. Jürgen bezahlt sie und der Kerl preist noch ihre guten Eigenschaften, da plötzlich, nach beendigtem Geschäft donnert ihn Jürgen an: »You be gone now and don't show your face here any more, or I'll kick you overboard! you wanted second mate steal coffee for you –« »Nun machst du, daß du fortkommst und zeigst dein Gesicht hier nicht wieder oder du fliegst über Bord, Du wolltest zweiter Steuermann für dich Kaffee stehlen!« mehr wartete er nicht ab, ich hörte noch ein dröhnendes »Clear out!« »Hinaus!« und weg war er. Wie er es gemacht hat, weiß ich nicht, aber Jürgen versichert, er wäre blaß geworden. Als ich nach Tisch auf dem Bett lag, kam Jürgen mit der Durian, ob wir sie nicht essen wollten? Warum nicht! Ihr wißt, Durian ist die Frucht, die so nach altem Käse und faulem Fleische stinkt, daß die Schmeißfliegen ihr folgen, von Aussehen groß, grün und stachlig. Jürgen brach sie auf und ich glaube, etwas Herrlicheres an Geschmack gibt es nicht; in weißen, ledrigen Abteilungen liegen hellgelbe Kerne wie große Puffbohnen, umgeben von einer gelben Creme, Sahne mit Nuß und einem Tröpfchen Kaffee, so schmeckt sie; wir aßen sie ganz auf. Die erste Durian, die ich kostete, war nicht besonders; bei Mrs. Leith aß ich eine Mango, die an Aroma einer Aprikose gleich kam, unsere an Bord schmeckten holzig nach Mohrrüben, so sehr kommt es darauf an, daß man gute Früchte trifft, und es ist nicht zu verwundern, daß die Urteile über tropisches Obst verschieden ausfallen.
25. April. Durch einen allerliebsten Besuch wurde ich heute erfreut. Der Lotse, Herr Pond, brachte mir sein niedliches achtzehnjähriges Töchterchen, das vier Jahre in England und zwei Jahre in Zürich in Pension war und darauf brannte, ihr Deutsch aufzufrischen, das sie hübsch mit ein wenig Schweizer Akzent spricht; sie hat ein rundes blühendes Gesichtchen und blonde Zöpfe. Wir verabredeten eine Morgenfahrt nach den »lakes« (Seen).
26. April. Eben habe ich sechs große Elefanten bei der Arbeit gesehen und noch mehrere in der Entfernung. Kapitän Calderoni, ein Italiener, der hier Teakholz ladet für Grenade in Schottland, kam heute früh um sechs Uhr und holte uns ab. Es war ein weiter Weg durch endlose Straßen, bis wir die bezeichnete Stelle am Ufer erreichten, wo Sägemühlen, weite Schuppen, Beamtenhäuser liegen und weithin Teakstämme den Boden bedecken. Die Elefanten trugen die Stämme von einem Platz auf den andern oder zogen sie an Ketten an den Fluß hinunter. Teakholz ist eines der schwersten Hölzer, obwohl es noch schwimmt. Diese Stämme sind schon vierkantig besägt, sehr lang und ungefähr anderthalb bis zwei Fuß dick. Nun denkt Euch einen ungeheuren Elefanten, etwa zehn Fuß hoch, mit großen schlappenden Ohren, den der Mahout, der ihm oben auf dem Nacken sitzt, mit dem Fuß und einem Stachel leitet, der langsam und stetig seine Arbeit tut, den ungeheuren Stamm mit Rüssel und Fuß zurecht rückt, dann in der Mitte erst einen, dann beide Hauer unterschiebt und den Rüssel von oben darum wickelt, wenn es nötig ist, mehr Kraft anzuwenden, hinkniet und mit dem Fuße nachhilft. Endlich richtet er sich auf und trägt den Balken fest und ruhig zwischen Rüssel und Zähnen und legt ihn auf seinen Platz, wie man Latten aufeinanderlegen würde. Die Kraft, der Gehorsam und die Klugheit der riesigen Tiere ist wunderbar zu sehen. Kapitän Calderoni, der etwas weniger unbeholfen französisch als englisch spricht, sagte wiederholt: »c'est marvailloux! c'est marvailloux!«
Der deutsche Beamte, der das Klima je länger, je weniger erträglich findet, führte uns mit ermüdetem Gesicht herum und sagte: »Schön sind sie nicht!« Er erklärte übrigens, daß der »weiße Elefant« nur einen weißen Fleck auf der Stirn zu haben braucht, um heilig zu sein.
Der Elefant ist ein teures Haustier, er tut zwar die Arbeit von 20-30 Kulis, ist aber auch 3000-4000 Rupien wert. Das Abrichten dauert etwa drei Monate. Frau Helfer schreibt, der Elefant pflanze sich in der Gefangenschaft nicht fort, uns wurde das Gegenteil gesagt.
Versprochenermaßen machte ich heute mit Miß Pond um sechs Uhr früh eine allerliebste Morgenfahrt durch die Parkanlagen um die Seen. Sie zeigte mir auf zwei kleinen Hügeln einige offene Aussichtstempel, in einem wird getanzt, in dem andern ist an Gesellschafts-Abenden das Büfett aufgeschlagen, und auf dem Hügel gegenüber sitzt die Kapelle und spielt, es muß wunderhübsch sein; wenn man schon im feurigen Ofen tanzen will und muß, ist dies noch die beste Art. Der Rasen wird zweimal täglich gesprengt und geschoren und ist frisch und grün. In vierzehn Tagen etwa fängt die Regenzeit an und dann regnet der Regen jeglichen Tag, sechs Monate lang, und der Mensch geht gar nicht aus. Das Notwendigste wird im Gherry besorgt.
Ich begleitete dann Lilly Pond nach Hause, und da es erst halb zehn war, so bat ich, ein Bad nehmen zu dürfen; während ich mich nach Herzenslust kühlte, erschollen holde Klänge und sie spielte mit Gefühl und Pedal »les cloches du monastère«. Dann erschien ich wieder und Mrs. Leith, die Dame, bei der sie wohnt, zeigte mir freundlicher Weise all' ihre Verwandten in der Photographie. Darauf hatten wir Frühstück, leicht und pikant, dann empfahl ich mich dankbar und dachte: »to Hus is best«, als ich wieder an Bord kam. Jürgen war an Land, aber Herr Pauly erzählte, eben wäre unser Doktor auf dem »Coriolan« in die Luke gefallen, man hätte ihn in seinem Boot an den »Regulus« gebracht und sie, Pauly und Jürgen, hätten ihn an Land geschafft. Er war nicht sehr hoch gefallen, zum Glück auf einen Haufen Segel, so daß er zwar einen Arm und ein Bein arg gequetscht, aber doch nichts gebrochen hatte. Gegen Abend fuhren wir hin, uns zu erkundigen. Wir wurden von einem niedlichen, halberwachsenen Mädchen mit schwarzen Augen empfangen, dann erschien ein älteres, dann noch eins mit lockigem, goldroten, langen Haar und grauen Augen. Es kam ein kleiner blonder Junge und ein etwa achtzehnjähriger mit liebenswürdigem, etwas schlaffem Ausdruck. Der Vater hätte viel Schmerzen, sagten sie. Jürgen ging zu ihm, dann kamen noch zwei Kapitäne, die auch von dem Unfall gehört hatten.
Währenddessen unterhielt ich mich mit den Kindern; es sind acht und die Mutter schon vor Jahren gestorben. Sie sprechen nur Englisch, verstehen aber Deutsch. Man sieht ihnen das Mischblut an und ich kann mir denken, wie stolz die Blondgeratenen auf ihre Farbe sind. Lebhaft rieten sie mir, in das »Museum« zu gehen, das eben jetzt hier zu sehen und ganz herrlich wäre. Der alte Kaiser »in his agony« Im Todeskampf., man sähe, wie die Brust sich höbe, und Kaiser Friedrich, wie ihm die Aerzte die Kanüle einsetzten, schrecklich sähe es aus, und ein Panorama, der Untergang der »Viktoria« in einem Zyklon. Ich sagte, das wäre ja eine wahre Schreckenskammer! Oh nein, es wären auch schöne Dinge da, z. B. eine Jungfrau, die einen Löwen so geliebt hätte und an ihrem Hochzeitstage hätte sie der Löwe aus Eifersucht zerrissen. Da läge sie wunderschön, tot und blutig in ihrem Kranz und Schleier und ihr Bräutigam schösse eben den Löwen tot. Und dann noch ein Jüngling zum Aufmachen, so daß man sein Herz und seine Lunge und alles sehen könne! –
27. April. Eine Menge buntes Volk treibt sich unten an dem Pier umher; gestern lief ein nacktes braunes Kindchen seiner Wärterin fort, lachte und wollte sich nicht fangen lassen. Ich warf ihm eine Handvoll Keks in einem Papier zu; gleich war ein ganzer Haufe ringsherum, und alles redete dem Kinde zu, es solle »Salaam« machen; ein alter Kerl zeigte ihm immer wieder, wie es sein Händchen an die Stirn halten und sich verneigen müßte, aber das Kleine hatte keine Lust.
Neulich kam uns eine Prozession entgegen; wir hörten die Trommel schon von weitem, und ehe wir es uns versahen, waren wir mitten darin. Es war ein Begräbnis, der Sarg in dunkles Gelb gehüllt, war über und über mit einzelnen Rosen besteckt, sehr einfach und schön. Gewiß war es ein junges Mädchen, das man begrub.
28. April. Vorgefallen ist nicht viel, außer, daß die Post einkam und hatte keinen Brief für mich!
Wir sind die Ladung zum Teil los, wobei 2½ Kisten mit Dosen kondensierter Milch aufgebrochen und gestohlen sind, ob von den Stauern in London oder von den Kulis hier, kann man nicht wissen; aber Jürgen muß sie bezahlen. Ich weiß nicht, wieviel Hunderte solcher Kisten wir mit haben, gut, daß nicht noch mehr fehlen. Wir haben das Bremer Telegramm: »Occurring Dieckmann ginger.« Das heißt aber nicht, daß wir uns gelegentlich von Dieckmann & Barkhausen, unseren Befrachtern, Ingwer schenken lassen sollen, sondern: »Inquire at Dieckmanns; Falmouth or Cork for Orders.« Also nach England geht es, aber wohin von da? Hamburg, Bremen, Antwerpen, London, Liverpool, Havre, es steht uns ziemlich alles »da herum« offen.
Wir waren noch einen Abend an Land, saßen erst mit einigen Kapitänen bei Evershed, schlenderten dann noch etwas herum und gerieten in eine enge Straße, wo Laternen und ein furchtbares Geschnarr von Instrumenten eine Menge heranlockte, die von allen Seiten gelaufen kam. Die Gasse war fast gesperrt durch ein kleines Theater oder vielmehr eine Plattform, auf der ein vermummter Kerl tanzte in weiß und roter Maske, vier Fähnchen wie Flügel auf dem Rücken; er warf seine schwarz behosten Beine in die Luft, wie in einem Ballett, und eine Maske mit dreieckiger Fahne tanzte ihm nach und hielt die Fahne beständig als Heiligenschein hinter seinen Kopf. Das Interessante war das Publikum, meist Chinesen, die Kopf an Kopf die Straße füllten, ebenso in Haufen aus jedem Fenster sahen, alle mit dem Ausdruck vollster Bewunderung. Dicht neben uns guckte unter einem Dutzend anderer Köpfe ein ganz kleines Kind mit runden schwarzen Augen unverwandt auf das springende Ungeheuer. Es war nur bekleidet mit dem schwarzen Zöpfchen auf seinem rasierten kleinen Schädel.
Vier unserer Leute liegen, besonders der Koch macht uns Sorge. Alle hatten plötzlich Durchfall, Uebelkeit usw. Der Doktor schob es auf das schwere Gewitter mit der vorhergehenden Hitze und dem Schlafen auf Deck, allerdings unter Sonnensegel. Jürgen hatte angeordnet, daß sie hier noch das Londoner Wasser trinken sollten; es ist aber aus Versehen der Tank mit etwas Rangoonwasser aufgefüllt und davon genommen worden. Es kann indessen auch irgend eine andere Ursache zu Grunde liegen, da man nicht weiß, was für einen Unsinn sie gemacht haben mögen.
8. Mai-27. Oktober.
Bay von Bengalen, 17. Mai. Hier liegen wir wie in einem Hexenkessel und können nicht heraus; wir müssen durch den Kanal bei Atchin Head, nach Südwesten, und der Südwestmonsun hat eingesetzt, es steht uns also eine hohe schwere See entgegen, so daß wir gar keinen Weg machen können; dazu treibt uns Strom und Wind dem Osten zu, wo Inselgruppen vorgelagert sind. Am 8. Mai gingen wir fort, jetzt haben wir den 18. und es ist kein Ende abzusehen. Erst ließ es sich gut an, wir ankerten nur einmal und kamen mit bedecktem Himmel und leichtem Wind einige Tage vorwärts, dann fing es aber an, hart zu wehen in plötzlichen, unregelmäßigen Böen, und die See wurde wild. »Einst saß ich mit Björn, dem Treuen, an dem Schachspiel mich zu freuen«, als es plötzlich anfing zu pfeifen und zu heulen. Jürgen stürzte nach oben, und ich stand in der Tür. Herrn Paulys Stimme übertönte den Sturm mit »hi – ha – hip!« und »o – lo – lup!« Naturlaute, mit denen das Segelaufziehen vor sich geht; es dauerte keine Viertelstunde, so war es vorbei, und Herr Pauly erzählte, es wäre eine Wasserhose gewesen, die wohl hinten herumgegangen wäre; er hätte dicht neben dem Schiff das Wasser steigen und die wirbelnde Bewegung gesehen, aber dann nicht weiter verfolgen können. Fliegende Fische, das Schnaufen einiger Walfische und ein Schiff, wohl die »Josepha«, die zwei Tage vor uns ausging, ist alles, was wir an Lebendem bemerkt haben, es sei denn, daß man eine fortgewehte Mütze dazu rechnen wolle. Die in Rangoon gekauften Hennen sind ein abscheuliches Gehühn, sie haben meine schöne gelbe Henne so zerhackt, daß sie hat geschlachtet werden müssen. Nicht nur tut es mir leid um das schöne Tier, unser Prachtstück, aber 28 Eier barg sie noch in sich. Der Steward hat Blutdurchfall, der gar nicht weichen will, und ißt, was er nicht soll. Es ist freilich viel verlangt, von einem hungrigen jungen Menschen, der alles unter sich hat, sich mit Haferschleim und Zwieback zu begnügen. Noch von Rangoon nachzuholen, so wurden wir durch den Dampfer von Mr. Pond herausgebracht, der mir zu meinem Schrecken das Zeug ungenäht wiederbrachte, das ich dem Schneider gegeben hatte; trotz aller Ermahnung von Miß Pond war es nicht einmal zugeschnitten. Ebenso wenig bekam Jürgen sechs bestellte weiße Röcke und ich das Holzpferd, das mir an Bord gebracht werden sollte. Doch war noch ein Schuster gekommen, mit einem Knoten in seinem langen dünnen Bart; er verlangte 1 Rupie Vorschuß und einen Probeschuh! Der brachte die Schuhe noch pünktlich am letzten Morgen, nicht hübsch, aber ganz gut sitzend. Als Lotsen hatten wir einen alten Engländer, John Brown, der sehr wenig umgänglich aussah; als wir aber abends vor Anker lagen und ins Plaudern kamen, taute er auf und war sehr amüsant. Jürgen fragte, ob Kapitän Calderoni schon fort wäre; das wäre ein so liebenswürdiger Mensch. »O yes, for an Italian he is nice enough!« »O ja, für einen Italiener ist er ganz nett!« Die Italiener wären alle »queer«. »Sonderbar«. Er hätte einmal bei Elephant Point ein italienisches Schiff auf den Strom gebracht und dabei an einer kritischen Stelle ein Manöver machen lassen, das der Kapitän nicht begriff und er ihm nicht erklären konnte, da der Italiener kein Englisch und er kein Italienisch verstand. Er hätte innerlich gelacht, wie sich der italienische Kapitän platt aufs Deck geworfen und mit Händen und Füßen verzweiflungsvoll um sich schlagend, weinend geschrieen hätte: »rompi bastimento!« – »rompi bastimento!« »Du schlägst das Schiff ein!« – »Du zerbrichst das Schiff!«, bis er plötzlich sah, wo es hinaus sollte, aufsprang und guter Dinge war.
Als der Dampfer kam, erschien auch Kapitän G. zum letzten Handschütteln, seine »Arethusa« grüßte, und auf der »Eta« stand Schulte und winkte ins Blaue, denn er ist kurzsichtig; und so glitten wir den Strom hinunter und sahen bald nichts mehr von der Stadt, als die große Pagode in ihrer grünen Umgebung, dann wurden die Ufer flach und abends ankerten wir wieder draußen.
Endlich, endlich sahen wir nach endlosem Hin und Her Land, die riesige Gebirgskette von Nord-Sumatra, und wandten uns wieder nordwärts, bis wir nach zwei Tagen die Südseite der Nikobaren in Sicht bekamen. Heute ist nun der zweite Tag, daß wir wirklich »draußen« sind. Die beständige Angst vor den heftigen Böen ist auch vorbei, die See wieder blau und leichte Brise. Eine arge Plage sind die Fliegen, die so ausdauernd sind, wie unsere Herbstfliegen und gar nicht abnehmen, denn sie kommen von den Kartoffeln, die immer nachfaulen; auch Mücken steigen beständig in Schwärmen aus den Wasserfässern, und das Schlimmste sind Myriaden kleiner Motten, die zwischen den Reissäcken brüten, abends in weißen Wolken auffliegen, zu Hunderten in der Waschschüssel ertrinken, überall sitzen, in alles kriechen, einem in Augen, Mund und Nase krabbeln. Eines unserer englischen Hühner nach dem andern geht den Weg des Currys; totgerupft und -gepickt von dem schändlichen indischen Gezücht.
9. Juni, Sonntag. Gestern passierten wir die Linie, ich zum dreizehnten Mal; wir haben nach heißen, stillen Tagen Regen und Brise, und also wieder frisches Wasser zum Waschen und Baden. Juranitsch fing ein krebsartiges, ganz durchsichtiges Insekt, dessen kleine grüne Augen die zwei einzigen dunkeln Punkte an dem ganzen Geschöpfchen waren, auch harpunierte er einen Delphin. Herr Pauly hat einmal als Junge die Milch eines solchen gekostet; der Steuermann, erzählte er, habe einige Tropfen aus der Warze eines frischgefangenen Fisches gedrückt und ihm gesagt, er solle es nur versuchen, er würde schwerlich zum zweiten Male Gelegenheit dazu haben.
16. Juni. Der Passat ist da; er kam mit Regen und sehr hoher See, so daß die ersten Tage sehr unbehaglich waren, jetzt ist es besser und schon so kühl, daß wir nachts Decken nehmen.
29. Juni. Wir hatten einen heftigen Schreck; wir saßen im Sonnenschein auf dem Hinterdeck, als es plötzlich hieß: »Mann über Bord!« Die Leute stürmten nach hinten und warfen die Taue von der Nagelbank über Bord, der Mann am Ruder ließ das Rad fahren, sprang auf das obere Deck und riß die Rettungsboje los. Jürgen eilte an das Ruder, um das Schiff anzuhalten, als er den Mann wohlbehalten wieder über die Reeling steigen sah. Es war Juranitsch, der mit Guido vorn auf dem Bugspriet eine Ausbesserung vorgenommen hatte; eben lehnten sie sich nach hinten und zogen aus Leibeskräften, als das Schiff überholte, und beide fielen, Guido hielt sich noch, aber Juranitsch nahm das Bad. Zum Glück war die See fast glatt, das Schiff machte kaum anderthalb Meilen, es war heller lichter Tag, und er kann gut schwimmen. Die allgemeine Bestürzung und Jürgens heftiger Schreck schien mir fast außer Verhältnis, als ich es nachher bedachte. Jürgen sagte jedoch, man könne nie wissen, wie so etwas ausliefe; der Mann könne beim Stürzen sich verletzt haben, oder es hätte einer der Jungen sein können. Schwimmen können die Leute aus dem Binnenlande meistens, die von den Küsten nur selten.
15. Juli. Wir haben den 30. Grad passiert und fangen also an, um das Kap zu gehen, haben entweder Böen und heftigen Wind oder es ist flau, dabei die See sehr hoch; gestern lief sie in solchen Hügeln auf, daß man zu ihnen aufsehen mußte – eine Sekunde Stillstand, und solch ein Berg mußte über das Schiff brechen. Für etwa so groß wie die Wiese vor unseren Fenstern daheim und halb so hoch wie unser Haus halte ich solch einen Wasserberg, ebenso tief die Depression zwischen den Hügeln, und auf See unterschätzt man meist Entfernung und Größe.
21. Juli. Sonntag und gestern wie schöne Herbsttage bei uns. Die See hat sich gelegt und atmet nur noch leise, Albatrosse, Pastoren, Kaptauben und eine Walfischfamilie scherzt friedlich um uns her. Eine Mutter mit Baby, kaum 10 Fuß lang, ein großer Vater und ein Backfischchen von vielleicht 15 Fuß Länge, spitze Schnauzen, weiße Unterkörper. Vorgestern sahen wir Land, aber es war bei der hohen Dünung nicht zu erkennen. Heute sehen wir eine hohe Kette und höhere Gipfel, ob es Kap Recife ist oder schon Kap Francis, wissen wir noch nicht. Ein Schweinchen ist geschlachtet, noch nie haben wir so gute Braten gehabt und so vortreffliche Sauce; an Bord ist sie sonst meistens lauter Fett, aber dieser Koch würde jedem Familientisch Ehre machen. Abend herrlich, jede lange Welle mit leuchtendem Saum, frischer kräftiger Wind von Land, das nachts an den weiten Moorbränden kenntlich ist. Die Sterne funkeln im hellsten Schein, gerade über uns steht das Kreuz und die Venus so groß und hell, daß sie das Meer erglänzen macht. Ein Leuchtturm zeigt alle 20 Sekunden sein helles Licht, es ist also Kap Francis. Gesegnet seien, die einen Leuchtturm bauen, und das sind meistens die Engländer. Binnenlands ahnt man nicht, was für ein Trost ein Leuchtfeuer ist. Nirgends ist mir das so zum Bewußtsein gekommen, als im Indischen Archipel, der so voll von Sandbänken, Inseln und Korallenfelsen ist; da fährt man getrost, wenn man von weitem das Lichtchen blinken sieht.
24. Juli. Das Barometer fiel, die See ging auf und die Segel wurden festgemacht. Gestern nachmittag kam urplötzlich der Sturm und eine schreckliche See, hohe Hügel, ganz besetzt mit Wellen, die der Sturm in Nebel zerpeitschte. Dreimal kam eine See über das Oberlicht fort, so daß das Wasser auf den Tisch und mich durchregnete. Jürgen stand in der hinteren Tür, als die See überbrach, etwas Schwarzes an ihm vorbeischoß und das Rad herumlief; er stürzte an das Rad und hielt den Mann für verloren, als er glücklich wieder herankroch und sich nichts getan hatte. See und Wind haben sich nun gelegt, der letztere zu sehr, denn das Schiff hat keine Stütze und rollt entsetzlich. Die ganze Nacht lag ich mit dem Riemen in der Hand, der für solche Fälle am Bettpfosten hängt, um nicht beständig mich festklammern zu müssen. Ich bin froh, daß es wieder vorbei ist, aber auf wie lange?
Herr Pauly erzählte noch von Rangoon, daß er sich viel mit dem Beamten unterhalten hätte, der für die Lieferanten Tally Tally nehmen – die Ladung zählen; je nachdem ist das fünfte, zehnte, hundertste Stück Tally. nahm, während Herr Pauly die Säcke, die vorbeikamen, für das Schiff kontrollierte. Ich erinnerte mich des jungen Mannes, der hübsch und sehr dunkel war. Sie hatten einmal von Wahrsagern gesprochen und der junge Mann ihm erzählt, bei ihm wäre auch solch ein Kerl gewesen und hätte seiner jungen Frau gesagt, sie würde achtzig Jahre alt werden, und nach vier Wochen wäre sie tot gewesen, – aber der sollte sich nur wieder zeigen, er würde ihn so zurichten, daß er das Wiederkommen vergäße. Erst achtzehn Jahre hätte die Frau gezählt, aber solch eine bekäme er nicht wieder. Jetzt sähe niemand nach ihm, wenn er krank wäre; »but she used to make custard for me.« »Aber sie machte mir Eiercrême.« Der arme junge Witwer, der nicht viel hat, kauft von seinem Wenigen »stinky water« Stinkendes, d. h. (wohl)riechendes Wasser., trägt es abends zu dem Grabe und gießt es darauf aus, erzählten die anderen Beamten und setzten verächtlich hinzu: »Die Frau war viel zu gut für ihn, sie war beinahe ganz weiß.«
23. Juli. Großer Schrecken, die obere Marsrahe brach, d. h. die Kette, in der sie hing, und die schwere Rahe fiel in ihre Taue, die sie zum Glück hielten, doch knickte sie von ihrer eigenen Wucht. Es war die Marsrahe vom Fockmast, eine der wichtigsten, und hier in diesem unsicheren Wetter. Herunter mußte sie, so arg das Schiff auch rollte; den ganzen Vormittag wurden die Vorbereitungen dazu getroffen. Die Rahe mußte in der Mitte ausgehoben, aufgerichtet und niedergelassen werden, es waren bange Minuten, als die Mannschaft von unten und von oben hielt und der schwere Balken hin und her schwankte, wenn das Schiff überholte. Er brach nochmals, als er niedergelegt wurde, es ging indessen glücklich ab und niemand wurde verletzt. Mir schien es ein Meisterstück, die Herren sagten, es wäre nicht schlimm, wenn das Schiff ruhig läge. Zum Glück haben wir eine Reserve-Rahe, an der der Zimmermann arbeitet. Diese Rahe ist die mittelste von fünfen, 63 Fuß 4 Zoll lang, englische, das ist 3 Fuß 4 Zoll länger als unser Haus auf der Gartenseite hoch ist. – Sonntag still und blau. Steuermann: »Hast du meine Stiefel wieder heruntergebracht?« Leichtmatrose Heinrich: »Ja, nur die von Judenleder noch nicht« (Juchten). – Neulich wird er gefragt, ob er nicht wüßte, was Blücher immer gesagt hätte? »Ach, der hat immer so viel gesagt, wie zum Beispiel: Varus, Varus, gib mir meine Kanonen wieder.« Juranitsch nennt er immer: »Herr Urany« und verlangte Rhinozerosöl zum Einnehmen.
1. August, und wir sind noch vor der Mitte der Südspitze ungefähr, haben Brise, haben Stillte, haben es blau, haben es grau, und ist noch kein Absehen. Die neue Rahe ist glücklich aufgebracht, nur der Matrose Georg hat sich dabei den Finger gequetscht. Er ist ein Pastorssohn aus der Nähe von Nordenham. Fast alle unsere Leute sind fils de famille und wollen wie ein Mann bei der Rückkehr auf die Steuermannsschule, ausgenommen natürlich Koch, Zimmermann und Segelmacher.
Noch ist Erwähnung zu tun, daß wir einen Pinguin in der Nähe hatten, mit dem Jürgen sich unterhielt, indem er den eigentümlichen Trompetenton des Vogels nachmachte, auf den der Pinguin nie verfehlte zu antworten. Ihr wißt, daß der Pinguin ein Vogel ist wie ein Fisch, denn fliegen kann er nicht, gehen schlecht. Monatelang lebt er im Meer, steckt nur den Hals heraus und schwimmt außerordentlich schnell unter Wasser. Wir sahen ihn deutlich ein langes Stück unter dem Bug hinschießen, er bewegt seine Flapper wie Flossen und sein schwarzer, glatter, aaliger Körper sah auch mehr aus wie ein beweglicher Fisch. Unglaublich fettgetränkt muß er sein, daß das Gefieder so wasserdicht ist, auch zieht man bekanntlich einen Docht durch den Pinguin und brennt ihn als Lampe – probatum est.
Wir sind nach stürmischen Tagen endlich um die afrikanische Südspitze gekommen und wieder im Atlantischen Ozean, aber erst auf dem 33. Grade. Vorgestern bei schönem, etwas diesigen Wetter sah man den Tafelberg und das Kap der guten Hoffnung, aber so leicht im Blau, daß man es immer von neuem suchen mußte, und so entfernt, daß man das Leuchtfeuer, das 38 Meilen weit scheint, nicht wahrnahm.
Man weiß doch nie, aus welcher Ecke eine Unannehmlichkeit auftauchen kann; stellt Euch vor, daß gestern der Steuermann die unerfreuliche Meldung machte, das Petroleum ginge zu Ende. In Rangoon hatten wir noch ein volles Faß. Was damit eigentlich vorgegangen ist, wird der, der es weiß, wohl nicht sagen, genug, wir müssen nun auf das äußerste sparen, was jetzt, wo die langen Abende beginnen, doppelt unbehaglich ist.
Ich ziehe für Esther ein Püppchen an, und da ich keine so kleinen Knöpfe habe, werden auf Juranitschs Rat Schrotkörner glatt geschlagen und überzogen.
Den 30. Grad haben wir glücklich passiert, und die guten Segel werden gegen die schlechteren vertauscht, was mir ein tröstliches Bewußtsein ist, denn in stürmischen Gegenden führt man immer die besten Segel. Die Schachfiguren sind aber noch fest eingebunden und mit einem Stift versehen; als Brett dient ein Stück bemaltes Segeltuch, in das sie eingedrückt werden.
22. August. Wir sind in der heißen Zone. Wie der Mensch schwach wird, wenn er nur ein Tier hat! Was würdet Ihr sagen, wenn Ihr sähet, wie die Katze Mimi bei Tisch zwischen uns sitzt und mir immer in die Tasse guckt, ob ich noch nicht bald fertig bin, weil sie das Letzte bekommt. Wenn ich ihr die Neige in das Näpfchen gieße, rührt sie es nicht an, aber aus dem Löffel nimmt sie Tee und Kaffee mit Gier, und als ich neulich ein Ei schlug und es mit Portwein nahm, glaubte sie steif und fest, es wäre Milch; umsonst war alle Vorstellung, es wäre »Baba« für kleine Katzen; endlich hielt ich ihr einen Löffel voll hin, damit sie sich selbst überzeugte, aber sie leckte ihn aus, so schlecht es schmeckte und dachte:
»Laß deiner Liebe nichts entgehn,
Entschlüpfen deinem Munde nichts.«
Wir gehen jetzt nach stürmischen Tagen mit leichtem Passat fröhlich auf St. Helena zu.
27. August. Nördlich von St. Helena. Geranien, Levkoien, Kalla, Reseda, Mandarinen und Bananen duften vor mir, verschiedene in einen Kasten gepflanzte Blumen stehen auf der Ingwerkiste und auf meinem Bort ein Pappkasten mit frischen, in Watte verpackten Eiern – alles Geschenke meiner neuen Freundin Lena George. Als wir – Ihr erinnert Euch – St. Helena das erste Mal passierten, schickten mir drei Damen, Töchter des Arztes in Jamestown, einen Korb mit Blumen durch das Boot, das uns Gemüse herausbrachte, »wie sie dies immer täten«; ich erwiderte die Freundlichkeit durch Neujahrskarten von Bremen aus, die ich, da mir die Namen nicht bekannt waren, adressierte: »To the three ladies, who are in the habit of sending flowers to the ships by the one-handed boatman.« An die drei Damen, die den Schiffen Blumen durch den einhändigen Bootsmann zu schicken pflegen.
Hierauf erhielt ich voriges Jahr einen schriftlichen Gruß, und auch ich hatte jetzt ein kleines Billett in Bereitschaft. Sobald wir Jamestown gegenüber waren, sahen wir zwei Boote ankommen und unterschieden in dem einen einige weibliche Gestalten, in denen ich zu meinem Schrecken drei dicke garstige Mulattinnen in Matrosenhüten erkannte und fürchten mußte, daß diese meine unbekannten Freundinnen seien. Indessen bemerkte ich bald, daß es nur Händlerinnen mit Früchten und Gemüse waren und die dazu gehörigen Neger und Mulatten konnten auch nichts Feineres sein. Nach einer Weile meldete der erste Steuermann: »Ihre Freunde kommen«, und richtig näherte sich ein Boot mit zwei wohlgekleideten Herren und einer hübschen jungen Dame, offenbar Octoroons. Die Herren hatten ihre licence (Erlaubnisschein) und kamen an Bord, die junge Dame mußte unten bleiben, (wenn sie weiß gewesen wäre, hätte man wohl durch die Finger gesehen!). Ich stieg natürlich die Schiffsleiter hinunter in ihr Boot, blieb die ganze Zeit des Aufenthaltes bei ihr, und wir freundeten uns miteinander an. Sie hatten, sobald der »Regulus« von der Station gemeldet war, alle diese netten Dinge für mich zurecht gemacht, und der Bruder brachte noch Zeitungen für Jürgen. Der andere Herr war von der Firma, an die der »Regulus« gegebenenfalls gewiesen ist. Lena George ist in St. Helena geboren und hat es nie verlassen. Sie sagte, es sei wunderschön dort zu leben, sie besäßen ein kleines Landhaus auf dem Berge, und wenn es unten zu heiß würde, wäre es oben immer kühl und herrlich; Blumen hätten sie in Fülle, ebenso Früchte und Gemüse, vortreffliches Wasser (sie brachte mir auch Farrenkraut von dem Quell in ihrem Garten), wenig schwere Regen und so gut wie keinen Nebel. Die Landschaft wäre wundervoll, die Fahrt das Hochtal entlang nach Napoleons Grabstätte unvergleichbar und nie zu vergessen. Von Vögeln hätten sie eine Menge der reizenden kleinen Javasperlinge mit rosa Schnäbeln, und was sie red-birds nannte, kleine, ganz rote Vögel, die allerliebst zwitscherten, ebenso Kanarienvögel – genug, man begreift nicht, was Napoleon eigentlich gegen das Klima und die Gegend hatte – vollends als Korse. Der Aufenthalt war noch viel zu gut für ihn, und hat er etwa gefragt, wie anderen das russische Klima gefiele?!
Inzwischen handelten die Matrosen mit den Bootsleuten und bezahlten in alten Röcken und entbehrlichen Gegenständen, Jürgen kaufte große Kohlköpfe, Bananen und Makrelen, Birnen, die groß, grün und hart sind, und eine Menge pelziger Fruchttrauben, die sie plums nannten, mit Pflaumen aber nur Form und Größe gemein hatten. Die großen Einkäufe beglich Jürgen in Gold, die kleinen in Zigarren – auch Mr. George ließ sich zu meiner Freude ein Kistchen Rangoon-Zigarren gefallen – und als ich den Frauen, die mir allerhand anboten, zurief, ich hätte kein kleines Geld, schrieen sie aus einem Munde: »but trade, m'm!« »Aber handeln Sie doch!« d. h. tauschen. – Miß George wurde auch bald zutraulich, und als die Erinnerung an ihre verstorbene Mutter, nach der ich gefragt hatte, ihr das Herz aufschloß, erzählte sie mir ihr trauriges Schicksal. Vor zwei Jahren hätte sie Hochzeit machen sollen und alles wäre bereit, der Tag bestimmt gewesen, da bekam ihr Bräutigam den Typhus und starb. »Such a brave, good fellow!« und er wäre erst einundzwanzig Jahre gewesen, sie zwei Jahre jünger. Wirklich sah man ihr an, daß sie schon Schweres durchgemacht hatte, und es tut mir so leid um das arme Kind. Eine ältere Schwester hat sich eben nach Kapstadt verheiratet, eine jüngere ist Braut. Als sie fort waren, Lena mit Kuß und wehendem Tuch, und ich nun erst in Ruhe alle meine Schätze ansah und plums aß, hatte ich das Gefühl, aus einem Strudel rauschender Vergnügungen aufzutauchen, und wir waren so müde, daß wir nach Tisch ein paar Stunden schliefen. Nach dem Kaffee ließen wir uns aus reinem Vergnügen ein paar Eier kochen!
Es hat doch einen besonderen Reiz, eine Gegend wieder zu sehen. Der Tag war bedeckt, mit Sonnenblicken von Zeit zu Zeit; die Felsen sahen öder, starrer und zerklüfteter aus als je, dazwischen leuchteten die Fleckchen Grün im Innern und auf den Abhängen und Kuppen. Wieder sah ich den eingestürzten Krater, die weißen Vögel um die grauen Felsen flattern, die Landhäuschen in ihrer grünen Umgebung auf den Höhen, die kleine Stadt mit dem grauen Kirchturm in der Schlucht, die Zickzackwege und unten die tief ausgewaschenen Höhlen und hörte das dumpfe Brausen der Brandung. Das Meer war indigoblau und trotz der Landnähe so hell, daß man die Boote klar bis zum Kiel sehen konnte.
Hoffentlich bekommt Ihr unsere Briefe. Frankieren konnten wir sie nicht; Ihr müßt schon die 40 Pfg. an mich wenden.
7. September. Eine Minute nördlich von der Linie, die ich somit zum vierzehnten Male gekreuzt habe, und wir sind glücklich wieder auf unserer heimatlichen Halbkugel. Das Kreuz steht auch schon tief am Horizont. Vorgestern weckte uns der erste Steuermann um vier Uhr mit der Meldung einer totalen Mondfinsternis. Sie war um so totaler, als einige Wolken ihr noch sehr wirksam nachhalfen. Die Luft war mild. Noch haben wir Wind und bis jetzt von der Hitze nicht viel gespürt. Mein kleiner Garten steht nicht besonders; eine Gänseblume und das Unbekannte sind eingegangen, dagegen hält sich ein kleines Schiefblatt und ein Nelkenstöckchen. Wie indessen alles auf der Welt, so hat auch dieser kleine Garten seine Schattenseite, denn er braucht Wasser, und damit sind wir knapp gekommen. Der Koch soll es verschwendet haben; genug, plötzlich hieß es, das Wasser müsse auf das äußerste zu Rat gehalten werden. Nie hätte ich geglaubt, mit so wenig auskommen zu können. Natürlich haben wir Seewasser in der Wanne, aber für mein Gesicht brauche ich doch ein paar süße Tropfen und ich bin es allein, die sich das gestattet, und davon spare ich mir noch einen Fingerhut voll für die Blumen ab. Neulich zog eine dicke Wolke über uns hin; ich setzte den Garten auf Deck; es fiel ein Tröpfchen oder zwei, dann ging die Wolke vorüber. Nun getrösten wir uns der tropischen Güsse.
Wir lesen jetzt ein interessantes Buch: »Voyages of Great Navigators« »Die Reisen der großen Seefahrer.«, das uns der Zimmermann geliehen hat. Leider fehlt Anfang und Ende, da es aber die Entdeckungsfahrten von Columbus an beschreibt, schadet es nicht so viel. Mit Ueberraschung ersah ich daraus, daß die Abweichungen des Kompasses schon um die Mitte des 16. Jahrhunderts bekannt waren. Ich fragte, wie sich die Nadel denn am Pol – dem magnetischen natürlich – verhielte, denn da sie fest wäre, könnte sie doch nicht auf dem Kopfe stehen, wie sie von Rechts wegen müßte?! – Jürgen sagte, sie würde ganz wild, schwanke auf und nieder und flöge herum und wäre natürlich nichts mehr nütze.
10. September. Jürgen schießt einen Fregattvogel, ein herrliches Tier. Er maß drei Fuß von Flügel- zu Flügelspitze. Oben ist er braun gezeichnet, sonst weiß und schwarz. Einige der großen schwarzen Schwungfedern zogen wir aus. Er fiel mir fast auf den Kopf; ich sah ihn gerade noch zur Zeit stürzen.
12. September. O wie verschieden sind doch die Freuden der Menschen! – Jürgen und ich stehlen uns von Zeit zu Zeit in die Kammer und waschen uns, nur um zu »schlampampen«, wie Seidels Freund »Hühnchen« sagen würde, denn es hat geregnet, und sogar die Wanne ist mit frischem Wasser gefüllt. Schon einmal vor einigen Tagen sah es verheißungsvoll aus, und die Vorbereitungen, die daraufhin gemacht wurden, waren großartig: Segel gekürzt, Fässer aufgestellt, Decks sorgfältig abgekehrt, Wache auf Deck geblieben, Oelzeug zur Hand – es fielen ein paar Tropfen. »Regen! Regen!« hörte ich vorn jauchzen, und einige Matrosen tanzten; aber dann fielen »etwa vier Tropfen auf den Mann«, und mehr werden meine Blumen, die ich heraufgestellt hatte, auch nicht bekommen haben. Seitdem hat es zweimal geregnet und heute wieder und wir haben Wasser genug.
Eine Menge Walfische sahen wir gestern. Gegen Abend roch ich Rauch. Da ich mich nun immer vor Feuer ängstige und es aus der Kombüse nicht mehr kommen konnte, ging ich riechend umher; der zweite Steuermann roch nichts, stand auch zu luvat. Von luvwärts. Zehn Minuten später passierte uns ein Dampfer.
12. Oktober. Solch ein unausstehliches Wetter, wie dieses, gibt es nicht leicht wieder! Wir schlachteten gestern den kleinen Eber, da ist ja ein Schweinesturm unvermeidlich, aber so arg brauchte er doch nicht zu sein. Das Schiff liegt dermaßen über, daß ich in der Koje die See beständig vor den Fensterluken auf- und abtauchen sehe und ohne mich anzustemmen überhaupt nicht liegen kann. Weder Jürgen noch ich brachten es heute nacht zum Schlaf. Es kommt so viel Wasser über, wie selten, erst immer ein Stoß, wie von einem Sturmbock, dann die See; das Wasser fließt über das Kajütsdeck und regnet durch das Oberlicht. Der Segelmacher liegt mit Gelenkschmerzen und geschwollenen braunroten Flecken; Salicylpulver schlägt nicht an. Wir haben ihn zu uns in die Proviantkammer genommen. Auch der Koch hat sich gelegt und um Kamillentee gebeten zum Schwitzen.
Es ist kaltfeucht und unbehaglich überall; man sitzt im Halbdunkel, denn das Oberlicht ist der überkommenden Seen wegen verhängt.
15. Oktober. Der vortreffliche Koch hat sich schlimm entpuppt und hat wieder von dem guten Wasser so viel verbraucht, daß wir den rostigen Rest nehmen müssen. Juranitsch zitterte vor Aerger, als er den Befund des Wassertanks meldete. Auf dem »Dr. Sigel« hätte es dieser Koch auch schon so gemacht, die Vorräte verbraucht und sich dann krank in das Bett gelegt. Bei einem Matrosen zeigen sich Anfänge von Skorbut.
Nie haben wir das Ende der Reise so ersehnt, wie diesmal.
16. Oktober. Hohe See, die vorn in weißem Schaum über das Schiff bricht, das bockt und stößt, wie ein störrischer Gaul. Den Segelmacher kann man nur mit Mühe bewegen, etwas zu sich zu nehmen. Der Skorbut verbreitet sich; vier der Leute klagen; einer verliert einen Zahn. Wir tun, was wir können, und geben den Kranken Himbeeressig, Sauerkraut, Obst, aber es ist nicht viel, und Milch, Kakao, Keks gehen zu Ende. Jürgen sagte zum Segelmacher, er solle doch um guten Wind bitten, er habe ja die Zeit dazu. »Ach«, sagte der gute Mann, »das heww ich all daun, aber es hilft ja nicht!«
20. Oktober. Endlich besserer Wind; als mir Jürgen sagte, wenn er anhielte, könnten wir in drei Tagen in Falmouth sein, fiel mir das Herz vor die Füße. Noch drei Tage! Und der Segelmacher hat Blutdurchfall, nimmt kaum noch etwas zu sich und sieht sehr, sehr schlecht aus.
26. Oktober. Gott sei Dank, das Feuer von Bishop Rock. Der Wind schralte weg, brachte uns aber doch glücklich bis Falmouth, und fast unmittelbar nach dem Einlaufen kam der Doktor an Bord, besichtigte die Kranken und erklärte das Leiden des Segelmachers beim ersten Blick ebenfalls für Skorbut. Wie oft hatten wir das Medizinbuch zu Rat gezogen! Darin sind die Symptome immer so klar und einfach angegeben, ist aber jemand krank, so paßt das Krankheitsbild selten in die Beschreibung.
Ein Boot brachte Gemüse und Obst; Jürgen schickte gleich der Mannschaft einen Korb Aepfel und schälte einen für den Segelmacher, und der todkranke Mann, der seit Tagen nichts mehr gemocht hatte, aß den ganzen Apfel auf. Jürgen traf sogleich Anstalten, den Segelmacher an Land zu schaffen; es war schrecklich, wie sie den Kranken, dem jede Berührung empfindlich war, auf Deck brachten und auf einer Tragbahre in das Boot hinunterließen; er bebte vor Frost und mußte im offenen Boote liegen, da die Trage nicht durch die enge Kajütstür zu bringen war. Die Kameraden und ich sahen ihm traurig über die Verschanzung nach; man glaubte kaum, daß er das Hospital lebend erreichen würde. Jürgen brachte ihn fort, und da er unbequem zu liegen schien, wollte er ihm den Kopf anders betten. »Lat sin, Kaptein«, sagte der arme Mensch, »ich will den ›Regulus‹ noch einmal sehen.«
Den Tag darauf besuchten wir ihn in dem kleinen Krankenhause, wo er wohlverpflegt in einem großen hellen Zimmer lag. Als er kam, hatte man ihn mit heißen Flaschen erwärmt und ihm Milch gegeben; er hatte noch wenig Hoffnung, aber Jürgen sagte ihm beim Abschied: er solle guten Mutes sein, in sechs Wochen würde er wieder auf dem »Regulus« sitzen und sein Marssegel zu Ende flicken – wie es dann auch wirklich geschah; ein gleichfalls am Skorbut erkrankter junger Mann aber, der in dem Bett neben ihm lag, war gestorben. Unsere übrigen Kranken erholten sich schnell und wir erreichten Hamburg im besten Wohlsein.