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Fünfte Fahrt.
Hamburg – Rangoon – Hamburg.

6. Januar – 13. Oktober.

 

Es lohnt sich, Skadr, es lohnt sich!

C. d. B.-R.

 

I.
Von Hamburg nach Rangoon.

6. Januar-3. April.

6. Januar, Atlantischer Ozean. Zwei Tage waren wir bei ziemlich rauhem grauen Wetter in der Nordsee und als wir uns noch mitten darin glaubten, wurden wir abends durch ein englisches Küstenfeuer überrascht; gegen Morgen passierten wir glücklich East Goodwin und kamen am Abend an den Forelandfeuern, an Dover und Folkestone programmäßig vorbei. Es war nicht neblig, aber doch so wenig sichtig, daß wir das Feuer der gefährlichen Varne und das große Licht von Calais, das einen sonst stundenlang begleitet, überhaupt nicht gewahrten. Dungeness kam in Sicht, die Luft war aber so diesig, daß man das Funkenfeuer am Fuße des großen Feuers nicht in Blinken, sondern stetig sah. Plötzlich meldete Herr Pauly, das Feuer von Dungeness schiene rot. Mit dem Rufe »Ro'r dal!« war Jürgen oben, und während das Schiff drehte, verifizierte er das Licht – es scheint nämlich nur rot, wenn man zu weit nördlich kommt, wodurch die Schiffer vor den Sandbänken gewarnt werden. Das Schiff lief volle Fahrt und so war Gottlob die Gefahr vorüber, ehe sie einem zum Bewußtsein kam. Der Segelmacher ist von seinem Skorbut noch nicht ganz hergestellt; er geht aber wieder mit dem »Regulus«, weil er meint, da er sich seine Krankheit auf demselben geholt hätte, würde man hier wohl auf ihn Rücksicht nehmen, und darin hat er sich auch nicht getäuscht.

Am Weihnachtsabend hatten wir gutes Wetter, obwohl das Barometer so gesunken war, daß wir auf Sturm vorbereitet waren. Die Mannschaft aber steckte ihr frisches Tannenbäumchen an und ließ uns, als es brannte, hinüberbitten. Wir brachten ihnen Pfefferkuchen, sie sangen Weihnachtslieder und Jürgen braute ihnen einen Grog.

Erst jetzt fängt man an, in das alte Gleis zu kommen – wie greulich alles bei der Abreise herumstand und lag, habt Ihr ja gesehen, und in diesem Zustand blieb es noch lange; alle Kräfte mußten eingesetzt werden, um oben alles festzumachen und in Ordnung zu bringen, und so konnte man unten vor Kisten und Kasten nicht treten. Es regnete und nebelte, die Männer kamen mit nassen Stiefeln und triefenden Kleidern und trugen den Schmutz von Deck herunter; es war dumpfig und feucht überall. Auf meinen Koffern lagen Haufen von Sachen; noch ist nicht alles Nötige ausgepackt, denn dazu gehört vor allem, daß man Raum habe, die Dinge wieder fortzutun. Bis jetzt hängt noch eine Garnitur Würste über dem Kleiderkoffer in der Proviantstube und diese ist verschlossen und das Schloß schwer zu öffnen. Wie oft dachte ich: »Da sitzen sie nun alle in ihren reinlichen, warmen Häusern und sind noch unwirsch, wenn irgend etwas in dem Haushalt nicht ganz klappt!« –

Noch am Abend vor der Abfahrt von Hamburg hatten wir die Freude, Herrn König wiederzusehen, der jetzt dritter Steuermann auf einem großen Dampfer ist und zwischen Hamburg und Australien fährt. Seit drei Jahren hat er kein schlechtes Wetter gehabt, so günstig liegt die Fahrt.

Am 25. Dezember holten wir unseren Baum aus der Zinndose und die Schachtel mit den Lichtern und Lametta und feierten unser Weihnachtsfest. Das Jahr schloß mit einem furchtbaren Schreck und großem Glück; das »Vorgeschirr« wurde aufgesetzt, wobei eine Stange brach und Herr Pauly, der sie hielt, über Bord fiel. Im Fallen schrie er: »Ro'r dal!« was man hinten nicht hörte, aber Jürgen gab den Befehl bei dem ersten Ruf: »Mann über Bord!« – Herr Pauly war längsseite, er mußte auf das Schiff zuschwimmen, das nach Lee setzte; es hatte nicht viel Fahrt, aber das Wasser ist noch kalt und Herr Pauly hatte die schweren Seestiefel an und Talg an den Händen, so daß das zugeworfene Tau ihm immer wieder entglitt. Ich sah schon den Augenblick, wo Jürgen sich ihm nachwerfen würde; man machte endlich einen Knoten in das Tau und er kam an Bord. Das kalte Bad hat ihm nichts geschadet, aber es waren schlimme Minuten gewesen für uns alle und noch bei Tisch zitterten ihm die Hände. Am Neujahrsmorgen brach eine Kette und die Vormarsrahe fiel herunter, knickte aber nicht und tat keinen Schaden, nur daß die Leute den Feiertag über arbeiten mußten. Sie hatten am Sylvester musiziert und uns ein Hoch gebracht. Der kleine Leichtmatrose, der sich mir vorstellte: »Ich bin der kleine Brosse«, Sohn des Kapitäns der »Weser«, bläst die Querpfeife mit Ernst und Eifer, und auf meine Bitte um ein Solo trug er uns treuherzig vor: »Seht den kleinen Hampelmann!« – Der eine der neuen Schiffsjungen ist Alexander Schulte, der Sohn unseres alten Freundes, ein schlanker Knabe mit blühender Farbe, der mich zutraulich anlacht, der zweite ist der Sohn eines Bureau-Vorstehers in Osnabrück.

7. Januar. Nach einer Reihe von kurzen Strichen haben wir gestern einen langen von 190 Meilen in die Karte gezeichnet, die Azoren passiert und sind etwa auf der Breite von Gibraltar. Es ist auch mild und schön, doch kommt ziemlich viel Wasser über. Das neue Hündchen entwickelt sich täglich mehr und fängt an zu begreifen, daß meine Schuhe kein Spielzeug sind, so sehr sie sich auch dazu eignen. Daß man aber im Leben auch Brot essen muß und es nicht immer nur Käserinde und Fleisch gibt, sieht es noch nicht ein. Gefällig nimmt es einem das Brot aus der Hand, leckt die etwaige Butter ab, wirft es unter die Bank und erhebt ein klägliches Gewinsel nach mehr. Als wir es bekamen, war es ein kleiner schwarzer Muff auf vier Beinen, aber jetzt kommt das Spitzchen schon hervor. Wie gut ist es, wenn das Häkchen sich bei Zeiten krümmt! Kein Sehwanken, Stampfen oder Rollen macht ihm Eindruck; es läuft dann schief wie ein alter Seemann und springt etwas schwankend, während Mohr zitterte und vor Angst schwitzte.

23. Januar. Heute passierte ich die Linie zum fünfzehnten Male. Die drei Jungen wurden rite getauft, Puls gefühlt, Medizin gegeben, d. h. Seewasser in den Mund gegossen, mit Teer bestrichen, barbiert und endlich in die Waschbalje geduckt. Neptun und Amphitrite kamen mit einer Hofdame, dem Schreiber, Hartschieren usw. Eben, als der Spaß im besten Zuge war, biß ein Hai und wurde zerstückt.

1. Februar. Trinidad kam in Sicht, eine kleine Felseninsel von etwa 6-8 Meilen Umfang, 2020 Fuß hoch, mit zackigen Gipfeln, an den Seiten zwei erstaunliche Felsen, eine Pyramide wie der Zuckerhut in Rio und ein Kegel, der sich, einem riesigen Daumen gleich, 850 Fuß hoch aus der See streckt. Wenn man näher kommt, sieht man, daß die Berge zur Insel gehören, aber wenn sie frei und hoch aus dem Meere aufsteigen, ist es ein großartiger Anblick.

Auf der Ostseite liegt ein Felsentor, 200 Fuß hoch und 50 Fuß breit, durch welches man einen herrlichen Blick auf eine Bucht zwischen grünen Tälern und Bergen haben soll; wir gingen an der Westküste vorbei. Es war der heißeste Tag, den wir bis jetzt gehabt haben, und sehr schwül, denn wir hatten Stillte, was in dieser Gegend selten ist, dafür gestern tüchtige Brise mit Böen; wir fegten mit neun Meilen »längs«. Am Nachmittag sahen wir einen Entgegenkommer, der den Wind noch günstiger hatte als wir und wohl seine zehn Meilen machte. So rannten beide Schiffe einander entgegen in voller Fahrt, und selten habe ich etwas Schöneres gesehen, als das wuchtige Heranstürmen des großen Schiffes, das fast verschwand unter seinen vollen Segeln und an uns vorbeischoß wie ein Pfeil. Die Leute schwangen die Mützen, ich mein Taschentuch, sie winkten drüben, und fort waren sie.

4. Februar. Heute schon das vierte Ei. Der Koch bekommt einen Schnaps, wenn er eins bringt, denn es ist erstaunlich, wie ein rechtzeitiger Schluck das Legen befördert.

22. Februar. Es ist schon wieder kühl; ich trage mein wärmstes Kleid und Gummistiefel, denen nicht am Ladentisch gesungen wurde, daß sie auf dem 40. Grad südlicher Breite in Seewasser patschen würden. Wir sind bald wieder südlich vom Kap, das Wetter ist grau, kein Walfisch, noch sonst etwas zu sehen; von Vögeln nur ein paar Seeschwalben und einige spärliche Albatrosse. Abends durchqueren wir Patagonien mit Lady F. Dixie und Grönland mit Nansen. Dieser ist brennend interessant, und ich hoffe zu Gott, daß er auch von seiner jetzigen Reise glücklich wieder heimkommt mit dem Nordpol unter dem Arm.

28. Februar. Mondfinsternis, die wir nicht sehen, denn der Himmel war bezogen. Wir hatten vierundzwanzig Stunden Gegenstrom und schlimme See. Das Salz ist schlecht gestaut; trotz Jürgens immer wiederholter Anweisung liegt es festgeballt in der Mitte des Schiffs, wie ein stählernes Plätteisen so hart und schwer, und das Schiff rollt infolgedessen entsetzlich.

Gestern wurden die Segel etwas umgestellt, die Dünung war sehr hoch, aber Jürgen und ich gingen trotzdem etwas auf Deck. Ob das Schiff nun anders lag oder eine besonders hohe Welle kam – gleichviel – es rollte plötzlich so heftig von einer Seite zur andern, daß die Verschanzung fast mit dem Wasser gleich war und wir uns nur eben festhalten konnten. Der unglückliche Steward hatte zum Abendbrot gedeckt, und ohne mich rühren zu können, hörte ich, wie unten das ganze Geschirr mit jedem Rollen auf eine Seite fegte und über die Tischlehne fort im Schwung zerkrachte. Endlich arbeitete ich mich hinunter, aber »zu spät! Du rettest den Freund nicht mehr!« Nur die Zucker- und Butterdose schurrten noch auf dem Tisch, Teller, Schüsseln, Gabeln, Messer lagen zum Knäul geballt an den Seiten, die Sauce strömte vom Tisch auf die Bank, von der Bank auf die Erde, und auf den Scherben lagen links drei Heringe und rechts einer, die Scheiben Speck noch in Reihe unter dem Tisch, Zwiebelscheibchen mischten sich mit Brotstücken, und zwischen dem allen stand der Spitz, so erschrocken und verwirrt, daß er den Segen, der sich so unverhofft über ihn ergoß, noch gar nicht zu berühren wagte. Ich rettete vor allem den Speck, aber noch den ganzen Abend hörte man das Hündchen Zucker knurpsen, den es in den Ecken und unter dem Sofa finden mochte. Als der arme Steward wiederkam mit Tee und Pellkartoffeln, siehe! da war alles wüst, wenn auch nicht leer – er mußte ein neues Abendbrot improvisieren, während der dräuende Jupiter tonans wartend am Tische saß. Woher die nachher aufgetragenen Heringe kamen, habe ich nicht gefragt, aber wir dachten wie mittags bei der angebrannten Bohnensuppe: »Wie glücklich wäre Nansen gewesen, hätte er sie gehabt!«

Die Nacht war unbehaglich mit dem unregelmäßigen Hin- und Herfliegen; Jürgen kam erst um vier Uhr zu Bett.

3. März. Ein paar Tage guter Wind und hohe See. Es ist grausig-herrlich, wenn die Wasserhügel sich hoch neben dem Schiff türmen, die grün durchleuchtete Wasserwand einen Augenblick zu stehen scheint und dann in weißen Schaumwirbeln überschlägt. Der Himmel ist dunkelblau mit Wolken, die indigofarbene Streifen über das Meer werfen, darüber ziehen die Albatrosse ihre Kreise und schweben dem Sturm entgegen, ohne eine Feder zu rühren. Im Kielwasser spielen die niedlichen Seeschwalben, und Schwärme grauer Eisvögel, manchmal zu Hunderten, ziehen vorüber. Dieses ist die Gegend der veränderlichen Winde und Böen. Das Barometer steigt und sinkt, der Sturm nimmt ab und zu, die Segel werden abwechselnd geborgen und gesetzt. Gestern ein riesiger Walfisch.

Der zweite Steuermann höflich: »Entschuldigen Sie, gnädige Frau, daß ich meine Mütze nicht abnehme, meine Hände sind schwarz.« Ich: »Wenn's Herz nur schwarz ist!« Steuermann feurig: »Das ist es! – das ist es!« –

Der Nansen ist leider schon zu Ende. Ich kann indessen nicht verschweigen, daß neulich einem der Herren übel war und er gestand, er habe die Beschreibung der Eskimo-Leckerbissen nüchtern gelesen!!

An den Regentagen las mir Jürgen vor, während ich eine Falbel an ein leichtes Kleid nähte,

»Car les vanités légères
Nous bercent en cheveux blancs« »Denn die kleinen Eitelkeiten
Wiegen uns in weißem Haar«.

sagte Voltaire, der es wußte.

5. März. Das Spitzchen ist krank, obwohl das Wetter so gesund ist, wie es sein kann, nicht zu kalt, nicht zu warm, nicht stürmisch und doch meistens Brise. Gestern schien es besser, lief wieder mit geringeltem Schwänzchen und bellte die Leute herzhaft an, aber heute ist es wieder kränker.

19. März. Leider hat sich Hamburg als Lieferant für Schiffsgut nicht mit Ruhm bedeckt; alle Augenblicke ist etwas nicht in Ordnung mit dem neuen Eisen- und Tauwerk. Gestern brach die neue Royal-Rahe mitten durch. Das Schiff schlingert allerdings stark. Jürgen und ich hörten beide wiederholt etwas klirren, als wir spazieren gingen, konnten aber nicht ausfindig machen, wo der Lärm herkam, bis es der zweite Steuermann plötzlich entdeckte. Die Rahe ist heute, während das Schiff heftig rollte, in zwei Stücken heruntergegeben, das eine mit dem Segel daran, in einer Höhe von 160 Fuß etwa. Es sah so graulich aus, die beiden Männer oben zwischen Mast und Wanten um das hin- und herschlagende Stück klettern zu sehen, um es zu leiten, daß ich den Anblick nicht lange ertrug. Das Holz der Rahe ist innen morsch, – es ist schlimmer, als wollte man schlechte Balken zu einem Hausbau liefern.

28. März. Unser armes Spitzchen starb. Ich möchte gar keinen Hund wieder haben, man gewöhnt sich so sehr an ein Tier an Bord. Es lag zuletzt meist oben im Kompaßhäuschen, ich habe gesehen, wie sich der Mann am Steuer die Jacke auszog, um es weicher zu betten. Kaum war das Tierchen fort, so erschien herzlos und indelikat die Katze und benahm sich, als wäre sie nun an seine Stelle gerückt, trank sein Näpfchen leer, setzte sich neben mich und purrte.

Der Passat ist böig und unruhig, die See ziemlich hoch, schlägt viel über und gibt dem Schiff Stöße in die Seite. Immerfort Regenschauer und Schwüle, in drei Tagen war ich aus dicker Wolle in die Waschkleider gejagt.

Einige fliegende Fische, kein Vogel mehr. Die gebrochene Rahe, der der Zimmermann ein neues Mittelstück kunstreich eingefügt hatte, wurde gestern aufgebracht; kaum war sie oben, so knickte sie an einer anderen Stelle; das Holz ist nichts wert; es ist eine wahre Schande, ein Schiff so schlecht zu bedienen. Nun liegt sie unten und kann nicht ersetzt werden.

»Frauchen! Schnell! Die Seeschlange ist längsseite!« – Eilig schlüpfe ich in den Morgenmantel, denn wenn auch nur ein Baumstamm zu sehen ist, will man es sich doch nicht entgehen lassen – da war es der erste April! – – –

Uns beschäftigt nämlich eben ein Buch Mystical Monsters Sagenhafte Ungeheuer. von Charles Gould, worin er zu beweisen sucht, daß die Seeschlange keineswegs die »Seeschlange« ist, sondern ein wirkliches, noch jetzt vorkommendes Tier, das besonders in Norwegen öfter gesehen werde. Hans Egede hat es auf seiner Reise nach Grönland getroffen und gezeichnet; die letzten »beglaubigten« Nachrichten sind von 1846-50-80, von ganzen Besatzungen bezeugt. »Glaubst Du denn«, sagte Jürgen, »wenn wir die Mannschaft zusammenriefen und den Leuten sagten: es gilt einen Spaß und nachher gibt es einen Schnaps, daß sie ihre Unterschrift verweigern würden?!« – »Nur Heini nicht, der nimmt es ernst mit seinem Wort«, sagte Herr Pauly. Der Verfasser behauptet, wenn man in Norwegen einen Fischer nach der Seeschlange frage, so mache er ein Gesicht, als bezweifelte man die Existenz des Herings, und es wäre beachtenswert, daß der Glaube an ein solches Meerungeheuer auch unter den Malaien herrsche. Diese Behauptung habe ich später geprüft, indem ich die Abbildungen der Seeschlange von Hans Egede und andern, die sie gesehen und aus dem Gedächtnis gezeichnet haben wollten, so hielt, daß der malaiische Lotse sie sehen mußte. Er kam auch gleich, besah die Zeichnungen lange und sagte: »Never see such a thing.« »Nie so etwas gesehen!« Wenn er auch nur von Hörensagen etwas davon gewußt hätte, würde er es sicher bemerkt haben, denn er war einer der sieben Brüder Ismael, die alle Lotsen sind, sehr intelligent und Seeleute von Kindesbeinen an.

Uebrigens erklärten Jürgen und beide Steuerleute einstimmig, wenn sie die Seeschlange auch noch so genau sähen, würden sie sich hüten, es zu sagen. Einem armen Kapitän, der versicherte, sie erblickt zu haben, gab der Reeder die freundliche Mahnung mit auf den Weg: er hoffe, auf der neuen Reise werde er die Seeschlange nicht wieder sehen!

Zufällig fanden wir selbst eines der ältesten beglaubigten Zeugnisse über ein unbekanntes Meeresungetüm in des Procopius von Cäsarea »Geschichte seiner Zeit«, 547 n. Chr., das uns ein theologischer Vetter freundlich mitgab: »Jetzt wurde auch das Seeungeheuer, welches die Byzantier Porphyrion nannten, gefangen. Dies Seeungeheuer hatte länger als fünfzig Jahre Byzanz und die Orte um dasselbe in Unruhe versetzt, jedoch nicht hintereinander fort, sondern, wann sich's so traf, eine lange Zeit dazwischen aussetzend. Es hatte viele Fahrzeuge versenkt, auf vielen andern die Schiffer bestürzt gemacht und durch gewaltiges Andringen in die weiteste Entfernung gejagt. Es hatte sich's daher Kaiser Justinianus angelegen sein lassen, dies Tier zu überwältigen, allein er konnte seinen Wunsch auf keine Weise ausführen. Wie es nun aber jetzt sich fügte, daß es gefangen wurde, will ich mitteilen.

»Es herrschte gerade eine große Windstille auf dem Meere, und eine gewaltige Menge von Delphinen strömte nahe an der Mündung des Schwarzen Meeres zusammen. Diese, plötzlich das Seeungeheuer erblickend, nahmen die Flucht, wie jeder etwa konnte, die meisten aber kamen in die Gegend der Mündung des Sangarius. Manche von ihnen erhaschte das Seeungeheuer und konnte sie sogleich verschlucken. Allein entweder von Hunger oder eigensinniger Hitze getrieben, setzte es das Verfolgen fort, bis es unvermerkt sich ganz nahe an das Land hinausstürzte. Dort geriet es in einen sehr tiefen Schlamm, brauchte seine Gewalt und rührte alles auf, um von da aufs schnellste wieder los zu kommen, konnte aber durchaus nicht dieser Untiefe entrinnen, sondern sank nur noch tiefer in den Morast ein. Als dies allen herumwohnenden Leuten zu Ohren kam, eilten sie sogleich schnellen Laufes zu demselben, hieben von allen Seiten unausgesetzt mit Aexten auf dasselbe ein, töteten es aber keineswegs, sondern schleppten es mit starken Seilen fort. Nachdem sie es auf Wagen gestellt hatten, fanden sie, daß es in der Länge dreißig Ellen betrug, zehn aber breit war. Da zertrennten sie es in gewisse Teile und manche aßen davon sogleich, andere aber beschlossen, den auf sie gefallenen Teil einzusalzen.« Gotische Denkwürdigkeiten. 4. Band. Drittes Buch. 29. Kapitel.

15. April. In der Badestube +29° R., das Seewasser +26° R. Dabei zum Teil Stillte und ein Scheuern, Malen, Streichen, Oelen, daß man seines Lebens nirgends froh werden kann. Ich bin wie ein Schießhund hinter den Jungen her, die immer ohne Hut laufen. Alex sagte mir, als ich ihn bat, ein Tuch über den Nacken zu binden: »O, ich bin schon so verbrannt!« Als ob ich um seine Schönheit besorgt wäre! Jürgen hat schon wieder »roten Hund«, der sehr quälend ist.

Inzwischen haben wir Barren Island passiert, und diesmal gegen alle Erwartung auf der Westseite, an der das Weltwunder liegt. »Aber wie's geht«, infolge der Gewohnheit der Sonne, im Osten aufzugehen, lag die Westseite der Insel im Schatten und man sah nur ihre Silhouette. Ein Berg von auffallend regelmäßiger Bildung war nicht zu entdecken. Da erschien, als wir weiterrückten, ein scharf gezeichneter zweispitziger Gipfel, und als die Sonne stieg, lag plötzlich die beschriebene Szenerie klar vor unseren Augen – die kleine Bucht mit schmalem Eingang, ein von Wald überkleideter Kranz von Bergen mit steilen Abstürzen nach innen und in deren Mitte der Vulkan, regelmäßig wie eine Pyramide; wir konnten auf einer Seite die Basis sehen, die sich schwarz und rund abhob von einem maigrünen Untergrund, der ihn umgab wie ein breiter heller Gürtel. Der Gipfel hatte sich wieder in eine Spitze zurecht geschoben und die Insel erzählte ihre geologische Geschichte dem blödesten Auge, denn der Dreiviertelkreis der Abstürze war offenbar ein in sich zusammengebrochener Vulkan, und Jahrhunderte müssen an den Schründen und Schroffen gewittert haben, ehe sich eine so dichte Vegetation bilden konnte; in diesem Kessel brach sich die Lava Bahn durch den alten Schlot und warf nun reinlich und ungestört den neuen Krater auf.

Leider war weder eine Rauchsäule noch abends ein Feuerschein zu sehen, wie es manchmal der Fall sein soll. Hoffentlich weiß Georg v. Liebig, daß seine begeisterte Schilderung wörtlich in der englischen Segelanweisung steht und der vorüberfahrende Schiffer mit seinen Augen sieht, was er sehen soll – denn wüßte man es nicht, so würde man es durch den blauen Nebel und das Flimmern der Sonne auf dem Wasser schwerlich bemerken. Ich habe lange nichts von dem alten Freunde gehört, sonst nähme ich in Rangoon eine Postkarte und schriebe ihm, daß ich seiner hier gedachte; es hätte ihn gemahnt

»Wohl an die alte Zeit
Und an das ferne Land.«

18. April. Wir machen neun Meilen, zu viel des Guten, denn wir haben das Feuerschiff von Krishna-Shoal passiert, und wenn wir in den Feuerkreis von China Bakeer kommen, müssen wir Anker auswerfen. Aber welche Luft! Der eigentümliche indische Sandelgeruch, stoßweise mit Orangenduft vermischt. Hättet Ihr doch etwas davon! Aber bei Euch ist es April, »Kalkulators ziehen in die Baumblüte«, auf den Wiesen stehen die Schlüsselblumen, die Wälder voll Anemonen, Kuckucksblumen und Veilchen. Ich habe Sehnsucht nach deutschem Frühling, denn hier ist es spät im Jahr, die heißeste Zeit, und wir leiden mehr von der Hitze als früher.

Am 19. April waren wir auf dem Strom. Der Lotse kam an Bord und gab uns die ersten Nachrichten aus der Welt, vom Buren-Einfall und dem Telegramm des Kaisers, daß Nansen den Nordpol wirklich entdeckt hätte, aber sicher wäre es noch nicht, und daß eine neue Photographie erfunden wäre, die durch Bretter ginge und vermittels welcher man den Leuten das Geld in der Tasche und Dinge in einem geschlossenen Raume photographieren könne. Wir konnten uns nicht enthalten zu fragen: Wohl in Amerika?! – Als wir hörten, die Entdeckung rühre von einem deutschen Professor her, schwiegen wir vorsichtig.

Während wir solchergestalt die nötigste Zivilisation einsogen, um uns anständigerweise sehen lassen zu können, wurden wir den Fluß hinaufgeschleppt und sahen all die bekannten Dinge wieder, die grünen Ufer, die sandigen Strecken, Elephant-Point mit den Palmen, endlich die große Pagode selbst im Nebel, die Reismühlen mit ihren Schornsteinen. Daß die Umgebungen der Stadt reizlos sind, muß ihnen ihr bester Freund lassen und dazu eine Glut – 28°+ R. Indessen fühlt man doch Freude und Dank, daß das Ziel erreicht ist und als ich den Elefanten wiedersah in dem mir noch erinnerlichen Schuppen, war mir, als sähe ich einen alten Bekannten. Es war Sonntag und keine Briefe zu bekommen, aber doch schon ein süßes Bewußtsein, sie in erreichbarer Nähe, sozusagen unter der Hand zu haben. Je weiter wir kamen, um so öfter kamen Sampans und Segelboote längsseite, denen dunkle Ehrenmänner in gestickten und goldenen Käppchen, rosa Jacken und bunten Sarongs entstiegen, die Jürgen mit ihren Karten und Zeugnissen umwarben. Darunter eins: »Hierdurch bescheinige ich, daß ich von Cassim Brothers nichts bezogen habe, obschon sie mich während der ganzen Dauer meines Aufenthaltes unausgesetzt belästigt haben.« Ich bedauerte ihn, als ich hinunterkam und ihn in den Schlingen all dieser schwarzen Circen erblickte. Ein junger Inder, wahrscheinlich im Dienst eines Chinesen, bot ihm »500 rupees down«, nur für den Vorzug, Dubasch zu sein und hatte noch nebenbei die niedrigsten Preise. Als Jürgen ihn höflich an die Luft setzte, kam er zu mir und flüsterte mir zu, der Kapitän dächte gewiß, er würde nicht zahlen. Ich sagte, der Kapitän kenne Rangoon und wüßte, was er täte – »but mama speak to captain! give mama present!« »Aber Mama mit Kapitän sprechen – Mama Geschenk bringen!« – (Ich habe eine Dame einen Diamantring tragen sehen, den sie auf diese Art erhalten hatte!)

Wir waren noch nicht zur Stelle, als ich schon mit einem Schneider versehen war, der triumphierend zu Jürgen sagte: »Mem Sahib makee dress!« »Für Herr Mama Kleid machen!«, weil ich ihm einen Kleiderrock zu ändern anvertraute. Zuletzt wimmelte das ganze Deck wie ein Jahrmarkt von bekannten und unbekannten Gesichtern; Sampanmen, Händler aller Art machten mir Salaam und riefen: »Mama know me!« »Mama kennt mich!« Die beseligten Gesichter der drei Jungen, die zum ersten Male alle die schwarzen Leute, ihre Gebärden und ihre Zudringlichkeit sahen, machten mir noch besonders Spaß.

21. April. Endlich kam Jürgen mit den Briefen vom Konsulat. Die ganze Mannschaft scharte sich um ihn und nahm ihr Teil in Empfang. Unter Briefen und Zeitungen erhielten wir zwei Broschüren, die erste: »Röntgen'sche X-Strahlen von Müller.« Also ist doch etwas an der Entdeckung! – Zweite Broschüre: »X-Strahlen, faßlich dargestellt von Wunschmann.« Wir guckten neugierig hinein, sahen die beigegebenen Photographien, blickten uns schließlich an und sagten: »Herr Pastor, es sind doch Pferde drin« – wie der Bauer von der Eisenbahn, die ihm der Pfarrer umsonst zu erklären versuchte.

23. April. Die »Röntgen-Photographien« machten übrigens nicht nur bei uns Epoche; Jürgen nahm sie mit auf das Konsulat, wo die Herren noch keine gesehen hatten und der Doktor erbat sich eine der Broschüren.

Wir waren heute früh bei Mrs. Leith, und die Puppe, die ich für die kleine Dolly angezogen hatte, erwies sich als wohl angebracht, denn es traf sich, daß eben alle ihre Puppen zerbrochen waren, außer einer großen, die sie als »Preis« im Zirkus bekommen hatte, ein fürchterliches Ding, das nicht einmal schlafen kann und bei dieser Hitze in dicke weiße Wolle gekleidet ist. Und wofür war der Preis ausgesetzt? – Für den elegantesten Anzug! Mrs. Leith zeigte mir das betreffende Kleid aus weißer, mit bunten Streifen durchzogener Seide und Spitzen.

Sie behielten uns zum Frühstück, dann gingen wir zum Konsul, um eine Vollmacht ausstellen zu lassen; Herr Horst begleitete uns zu dem Notar, vor dem die Unterschriften gegeben werden mußten, um uns zu rekognoszieren. Der Notar, ein altes farbiges Männchen, machte Schwierigkeiten mit dem J in Herrn Horsts Unterschrift, ob es für James oder John stünde?

Gestern abend ist das Schiff mit Not, Angst und Mühe an die Pier gelegt. Heute morgen kam bereits der kleine Italiener, »Pipo«, mit einem Heer von Kulis, und bis drei Uhr nachmittags war alles Stückgut gelöscht, wir gingen auf den Strom zurück und können ohne Sampan nicht an Land.

II.
Rangoon.

25. April-23. Mai.

25. April. Nach dem Stein, der einem immer nach Abgang der Post von der Seele fällt, besonders der Mühlstein: »Brief an den Reeder« – stellt man das Tintenfaß meist befriedigt in den Tischkasten, wo es wohnt, um es nach einer halben Stunde wieder herauszunehmen und eiligst Nachträge und Vergessenes zu Papier zu bringen. – Nun also: noch ist kein Regen gewesen und es ist überwältigend heiß. Wir haben Eis natürlich, es ist sehr billig, wenn man sich ein Eisbuch für 1 R. mit Coupons für zwei und vier Pfund kauft. Man gibt dann abends dem Sampanmann einen Abschnitt mit und er bringt morgens das Eis. Wir fuhren deshalb an die Diamond-Iceworks, die großartig sind; durch die verschiedenen Türen sah man in lange Nebensäle mit Dampfbetrieb. Auch Soda- und Selterwasser, Limonade usw. wird hier gefertigt, und wir sahen auf drei großen Bütten eine Reihe Kulis hocken und langsam und stetig Flaschen spülen; plötzlich explodierte draußen eine Flasche, ich sah die Stücke fliegen und gleich darauf kam ein Kuli gestürzt, der mit Geistesgegenwart sein großes Auge offen hielt. Ein paar andere spritzten es in geschäftsmäßiger Weise aus, und es gelang nach einer Weile, einen ziemlich großen Glassplitter zu entfernen. Es schien kein seltenes Vorkommnis und hielt mich ab, die Eiswerke eingehender zu besichtigen. Am Abend erhielt der Sampanjunge seine zwei Abschnitte, und am Morgen brachte er statt acht Pfund Eis nur vier Pfund. Zu allem, was Jürgen sagte, grinste er und sagte: »yessee!«; als Jürgen fragte, ob er ein Papier verloren hätte? Lächeln und »yessee!« Nun bekam er es in einem geschlossenen Briefumschlag, konnte also schwerlich eins verloren haben. Die acht Pfund sollen bis zum Abend halten und Bierflaschen und Limonade in einer Kiste mit Eis und Sägespänen kühl gestellt werden, noch mit einem Reissack und einer Matte zugedeckt.

Jetzt haben wir die Freude, daß das Deck kalfatert wird; der Pechgeruch ist mir freilich angenehm und gegen Lärm bin ich nicht sehr empfindlich, aber erfreulicher ist es doch, wenn man sein eigenes Wort hören kann. Der Unternehmer ist ein Kuli mit schönem Munde, der mich gleich beim Kommen begrüßte. Ich fragte, wer er wäre, da ich ihn erkannte und mich nicht besinnen konnte. »Das ist ja der Mann, der voriges Mal das Deck kalfaterte,« sagte Herr Pauly. »Yes! yes! me kalfater! me kalfater!« Sie flechten gern deutsche Worte ein. »Who are you?« »Wer bist Du?« fragte ich ein schwarzes Gesicht, das sich bescheiden im Vorraum herumdrückt. »Me Sneider.« Dieser Schneider erweitert nun die Kragen an Jürgens Röcken, denn, ach, alle Dinge dehnen sich in der Hitze aus, und leider gehört Jürgen zu denen, die sich nicht wieder zusammenziehen. Jetzt wird Salz gelöscht, ein Leichter ist längsseite, und unser Dubasch, der kleine Italiener Giuseppe Martino, genannt Pipo, stellt eine Rotte Kulis, die auf dem weißen Haufen stehen wie auf frisch gefallenem Schnee. Heute machten sie ein furchtbares Geschrei; durch irgend eine Ungeschicklichkeit wäre das Boot, das sie übersetzte, beinahe beim Anlegen gekentert, und der braune Mistri (Vormann), der schon oben war, geriet in Wut, brüllte, ballte die Hände, und jeder, der heraufkam, bekam sein Teil und schrie zurück. Ich saß in der Morgenkühle auf Deck mit »Trilby« auf den Knien und hatte meine Freude, wie einer von den schönen malerischen Kerlen nach dem anderen heraufstieg, mit den feinen, langen, braunen Beinen, den schmalen beweglichen Händen und Füßen, die Leiber ein glänzendes Braun mit ausgearbeiteten, leicht spielenden Muskeln, bunten geschürzten Sarongs, Turbanen und Kopftüchern; junge geschmeidige Burschen und alte Grauköpfe mit ehrwürdigen Bärten; prachtvolle Zähne, manche haben affenartig vorgebaute Münder, aber viele gute Züge, reine ägyptische Profile, und wie nun im Verdruß ihre Augen wild wurden und sie im Vorüberschreiten sich zurückwandten, um zu drohen und zu schelten! ... Ich weiß jetzt auch, worin sich der braune Fuß von dem weißen unterscheidet. Abgesehen davon, daß sie nie einen Stiefel getragen haben und die Zehen lang und beweglich sind und fein geformt wie die Hände, ist der Raum zwischen Knöchel und Sohle bei ihnen bedeutend länger als bei uns.

Freilich, soviel ich bis jetzt sah, sind die Männer weitaus das schönere Geschlecht. Wie sich mein Schönheitsideal verändert hat, kam mir, ich erröte, es zu schreiben, und vor mir selbst, es zu denken, bei meinem letzten Aufenthalte in Berlin im Antikensaal zum Bewußtsein. Die so verehrten und geliebten Götter waren nicht mehr so schlank und fein von Proportion wie sonst, obgleich bei mir die »alten Griechen nie aus der Mode gekommen sind«. –

Gestern abend war das birmanische Fest des Vollmonds auf der Pagode, aber wir gingen nicht hin, wir saßen auf Deck, den Landwind zu genießen; er war aber heiß wie aus dem Backofen, ein wahrer Samum. Am Morgen, es war Sonntag, sind wir mit unseren drei Kleinen, den zwei Schiffsjungen und dem kleinen Leichtmatrosen Heini, der auch erst fünfzehn Jahre ist, auf die Pagode gefahren. Sie hatten sich so fein gemacht, wie sie konnten; die beiden Kapitänssöhne in weißen Anzügen, der kleine Osnabrücker in seinem Sonntagszeug. Wir fuhren in zwei Gherries hin. Der Weg ist schön, und je näher man der Pagode kommt, um so mehr Eingeborenen begegnet man mit Kränzen und Blumen. In der Pagode war das gewöhnliche Treiben; die Jungen erschreckten sich vor den Aussätzigen, die rechts und links auf den Treppen kauern. Die vielen bunten Tempel imponierten ihnen sehr und sie hielten die große Glocke für massiv, weil sie so dick ist, daß sie die Höhlung nicht gleich fassen konnten. Die große Pagode selbst wurde eben frisch vergoldet, und man sah die Leute auf den unteren Absätzen ohne Sicherheitsvorrichtung stehen, wodurch man auch plötzlich gewahr wurde, wie hoch sie ist, so klein erschienen die Menschen darauf. Auf der Pagode hörten wir sagen, einer der Arbeiter wäre abgestürzt. Dann ging es in den zoologisch-botanischen Garten; der weiße Elefant war noch da, dem wir Bananen gaben, wofür er Salaam machte. Er macht auch Salaam, d. h. berührt die Erde mit der Stirn, um zu bitten, und wenn man ihm Geld gibt, reicht er es dem Mann, der in der Nähe Bananen feil hat; gibt man ihm nichts, so schreit er hinter einem her, daß man sich schämt.

Unseren Freund, den Gibbon, fanden wir noch, aber leider an der Kette. Das arme Tier war ganz traurig und ging nur ein paar Mal aufrecht. Nun wir ihn in der Nähe besahen, fiel uns die wunderbare Menschenähnlichkeit noch viel mehr auf; er erinnerte mich lebhaft an die braunen Gliederpuppen – mannequins – zu 10 Mk., die in allen Kunstgeschäften zu haben sind. Gerade so groß und so gebaut muß sein Skelett sein; der kleine Kopf, der lange, schmale, nackte Hals, die proportionierten Beine und die Haltung geben ihm das Menschliche, auch das Ohr ist flach und klein, nur der lange Arm und der Bau der Hände und Füße und des Gesichts zeigen den Affen, obwohl der Fuß Hacken und Sohlen hat. Er ist weich, kurz und schwarz behaart. Gegen die Birmanen fauchte er, sie necken und quälen ihn, gegen uns aber war er zutraulich, untersuchte Jürgens Taschen, da er aber nur Uhr und Taschenbuch fand, ließ er es drin. Dann legte er seinen Arm freundlich den Jungen auf die Schulter und teilte ganz zart Jürgens Bart an verschiedenen Stellen, doch auch ohne den gehofften Erfolg, und wir schieden unter gegenseitigem Bedauern. An einem der Affenkäfige spielte sich inzwischen eine tragikomische Szene ab; ein Birmane war zu nahe hinzugetreten und ein Affe hatte ihm sein schönes, neues, hellrosa brochiertes Kopftuch genommen; umsonst stachen die Birmanen mit einer langen Stange durch das Gitter, die anderen Affen fletschten die Zähne, der Uebeltäter saß hoch beglückt auf der obersten Stange, schwang seine kostbare Beute und zerriß sie mit den Zähnen. Man hielt ihm eine Banane hin, aber »so dumm war er nicht«. Endlich kam ein Wärter mit Schlüssel, Stock und Amtsmiene und holte das Tuch, und der arme Birmane zeigte mit betrübtem Gesicht einen großen Riß in der Mitte.

Neulich hatte ich Besuch vom Dobi, dem Waschmann, der mir seine Frau, Schwester und zwei Kinder brachte, alle im höchsten Staat. Die Madame Dobi, ein sehr hübsches, scheues Frauchen, stand bescheiden an der Wand und war nicht zu bewegen, sich zu setzen; aber reizend lebendig war das acht Monate alte Baby, Mahamma mit Namen, schokoladefarbig, mit niedlichem Näschen und Mündchen, und die Augen noch größer, als sie von Natur waren, durch darunter gestrichene schwarze Farbe. Ein buntseidenes Hemdchen hatte es an, das die Tante sorglich hinten und vorn in die Höhe hielt, um das silberne Band zur Geltung zu bringen, das es mit vielen Zierraten und Glöckchen vorn um seine kleinen braunen Hüften trug. Arm- und Fußringe, Halsbänder und Amulette hatte es auch; mit zwei Jahren bekommt es eine goldene Rosette in sein Näschen. Hinten im Nacken war das Kleidchen mit einem grünseidenen Keil verziert. Die junge Frau hatte auch einen seidenen Sarong und unter ihrer weißen Jacke ein fest anschließendes grünseidenes Leibchen, so kurz, daß zwischen Leibchen und Rock eine Handbreit braune Haut zu sehen war. Die Schwester war zwar auch schön angezogen, aber erschrecklich häßlich, und die älteste kleine Nichte eiferte ihr nach.

29. April. Wir waren endlich gestern beim Konsul, nachdem wir noch Heinrich, den einen Matrosen, im Hospital besucht und ihn gut aussehend und zufrieden gefunden hatten. Alles wäre reinlich und die Pflege sorgfältig, sagte er, nur das Essen sehr knapp. Auf dem Konsulat hatten wir ziemlich lange zu warten bis der Konsul kam, ein älterer Herr, der mir eine kleine Figur aus Ton zeigte, die ein einheimischer Künstler in Delhi macht, und zwar immer dieselbe. Sie stellt eine junge, anmutige Frau dar, mit ihrem aussätzigen Mann auf den Schultern, der bettelnd die dürren Arme ausstreckt. Es ist, abgesehen von dem Vorwurf, ganz reizend und ergreifend, charakteristisch ist auch, daß sie sich den Mann fest angebunden hat, leichteren Tragens halber. Ich hätte es gern gehabt, und wenn ich es noch länger bewundert hätte, würde es mir der Konsul wahrscheinlich geschenkt haben; ich sah ihn schon mit sich selbst kämpfen, da lenkte ich ab.

Um an Bord zu kommen, muß uns der Sampanjunge eine gute halbe Stunde durch den Sonnenbrand stromaufwärts rudern, eine furchtbare Anstrengung, denn noch 100 Meilen weiter den Strom hinauf hat man mit Ebbe und Flut zu rechnen. Die Strömung ist so stark, daß der Sampan ganz am Ufer, wo man öfter gegen Steine stößt, bis weit über den Platz, wo das Schiff liegt, aufrudern muß, dann schießt man wieder hinunter, und mit bewundernswerter Sicherheit läßt er am Schiff den Sampan drehen und bringt ihn an die Treppe. Es ist ein schwacher Junge, der öfter hustet; er tat einen Freudensprung, als Jürgen ihn als Sampanmann nahm, aber es ist ein so saures Stück Arbeit, daß wir, als wir vorgestern abend bei Vollmond noch eine Fahrt in die Gartenanlagen an den Seen gemacht hatten, es nachher beide bereuten und uns vornahmen, nicht wieder ohne Not an Land zu gehen. Sonst macht mir die Fahrt durch die Stadt immer Vergnügen; man sieht sich nie satt an den bunten Bildern. Neulich saß im Schatten eines Portals eine wegmüde alte Frau, mit ernstem Ausdruck, gelbem Gesicht, grauem Haar und staubigen Füßen, ganz in ein langes Stück gelbes Zeug gehüllt, von dem sie einen Zipfel über den Kopf gezogen hatte; de la Roche hätte sie gemalt haben können und »harmony in yellow« hätte man es zu meiner Zeit genannt. Dann sah ich wieder in einer Gruppe ein ganz junges Mädchen, das mit niedergeschlagenen Augen an dem Pfosten einer Haustür lehnte. Durch die dunklen Flecken, die sie unter die Augen malen, bekommen die Gesichter einen solchen Reiz und solch eine Sanftmut, daß ich das Köpfchen noch immer vor mir sehe.

1. Mai. Depesche des Reeders: »Nach Hause!«, d. h. Europa, den Hafen wissen wir noch nicht.

Die Post kommt ein! Es werden bestimmte Flaggen aufgezogen, wenn der Dampfer avisiert ist; sobald er Elephant-Point passiert, fällt ein Schuß, und zwei Schüsse zeigen an, daß die Post im Postamt abgegeben ist. Dann zucken Hunderte von Herzen in Hoffnung und Sorge, der Kapitän läßt sich während der ärgsten Mittagsglut an Land setzen, kommt zurück, tritt an das Bett, wo die Frau leichten Gewandes mit einem großen Bambusfächer liegt und schwingt triumphierend den ersehnten Schatz.

Der arme Kapitän eines deutschen Schiffes, der durch allerhand Mißgeschick seit vier Monaten hier liegt und voraussichtlich bis August bleiben muß, bekommt gar keine Briefe, weil die Seinen immerfort denken, er müsse unterwegs sein und es lohne sich nicht mehr zu schreiben. Daher prägt es als goldene Regel tief in Eure Herzen: man schreibe, bis man hört, daß das Schiff gesegelt ist. Die letzten Briefe sind nicht verloren, sondern werden nachgeschickt.

2. Mai. Gestern abend Gewitter, schön, aber kurz; in der Badestube 30º R.; dabei geht der neue junge preventing officer gestern zum Ball und heute zum Fußballspielen. »O Traum der Jugend, o goldener Stern«; wer von uns würde jetzt tanzen und springen mögen!

3. Mai. Es bratet ruhig weiter, wir gehen kaum noch von Bord; selbst Jürgen nur in Geschäften; gestern aber kam der Steuermann vom »Phöbus« mit seinem Segelboot und holte ihn zur Jagd ab. In fünf Minuten war er fertig. Einige Flaschen Bier und zwei Flinten wurden ins Boot gelegt, und ohne Rock, ohne Schuh ging es fort. Mir war es gar nicht recht, ich ängstigte mich die ganze Zeit, doch kam er abends wohlbehalten mit zwei Enten zurück. Sie waren bis an eine Schlickbank hinuntergesegelt und hatten versucht, dort zu schießen, denn es wimmelte von Vögeln, aber sie sanken bis an die Hüften in den Schlick und waren froh, als sie wieder heraus waren. Ganz dicht am Ufer war es noch gegangen, da versanken sie nur bis an die Knie. Die Enten hatte Jürgen nur durch Zufall getroffen; sie saßen ein Stück auseinander, er zielte in die Mitte und beide fielen – Schrot natürlich.

Der Missionar, der die Schiffe besucht, hat uns eine Broschüre über die Pagode geliehen, die vor wenigen Wochen erschienen und schon vergriffen ist. Sehr interessant und ergreifend wird darin geschildert, wie verzweifelt sich die Birmanen gegen die Engländer gewehrt haben. 500 Erbsklaven sind zum Tempeldienst bestimmt, und der Machthaber, der sie zu anderen Zwecken braucht, muß zur Strafe fünf Zyklen lang als weiße Ameise auf dem Pagodahügel leben. Ueberhaupt rechnen sie beständig mit Trill- und Billionen. Als vor etwa 8000 Jahren der sechste, gegenwärtige Buddha geboren wurde, geschah es auf einstimmigen Beschluß der damaligen Brahmanen und Nats, und zwar durch eine bestimmte Königin, deren Name zu lang ist, um ihn zu behalten.

Gestern abend, 7. Mai, heftiges Gewitter, die Blitze fuhren in Garbenbündeln auseinander, es war manchmal taghell, aber Regen leider nur wenig. Wir wollten eben an Land fahren, als das Wetter losbrach.

Heute früh, ½7 Uhr, Besuch von dem Lotsen Kapt. Pond mit seinen Töchtern Lilly und Lena; gut, daß ich schon auf war, Jürgen schlief noch.

Heftiger Streit mit dem Doktor über Heine. »›Wenn der deutsche Michel einmal aufwacht, mögen sich die Völker in acht nehmen,‹ sagt er irgendwo« – ruft der Doktor. »In der Vorrede zu Atta Troll,« sagt der zweite Steuermann schlagfertig. Der Doktor kommt alle Morgen, streitet sich mit Jürgen, trinkt ein Glas und geht. »Keiner siegte, keiner wich,« kann man meistens sagen. Er ist jetzt erfüllt von der Philosophie des Unbewußten von Hartmann! – Unser preventing officer ist ein Halbblut und leidet an Weltschmerz. Gestern wollte er nicht zu Tisch kommen – es wäre gräßlich, sein Leben lang Tally von Reissäcken und Salzkörben zu nehmen, und eine Kugel wäre das beste. Abends schmeckte es ihm wieder, er nahm sein Banjo und bis spät abends hörte man ihn quinkelieren. Die Kulis im Leichter nebenan hatten ein kleines Fest, und ich beobachtete einen Jungen von etwa fünfzehn Jahren, der sehr geschickt den Koch machte. In einem großen Kessel kochte er eine braune Sauce aus Tamarinde; sie soll so sauer sein, daß sauer schon nicht mehr das Wort dafür ist. Dahinein kommt ein großer Haufen winziger Fische, einige Hände voll kleine Schoten spanischen Pfeffers, der viel schärfer als die großen sein und Blasen ziehen soll, wie spanische Fliege; – dazu etwa zwei Dutzend Mangos mit Schale und Kern, etwas Salz, – es war die reine Bouillabaisse, und jedesmal rührte der kleine Koch das Gericht mit der Hand um. Abends ging dann das Traktament vor sich. Alles kauerte rundum auf den Hacken, ein großer Kessel Reis war auch gekocht, und mit der Hand wurde erst Reis in Schüsseln gefüllt und dann zwei Hände voll von der Herrlichkeit aus dem kleineren Kessel darauf getan, und es war wirklich nett, wie sie ein Schüsselchen davon den Leuten auf dem anderen Leichter hinüberreichten und diese sich ehrlich darein teilten. Wie verschieden sind doch die Freuden der Menschen; dem einen dreht sich der Magen um, wenn er die Leckerbissen des anderen nur ansieht.

8. Mai. Um doch nicht immer an Bord zu bleiben, fuhr ich mit Jürgen an das Ufer der Dalla-Seite, wo er in der Eisengießerei zu tun hatte. Es guckt nämlich hinter der Gießerei die Spitze einer Pagode hervor, und ich hatte immer Lust gehabt, sie einmal anzusehen, ging deshalb, während Jürgen seine Aufträge gab, gemächlich über einen langen Hof und kam an eine Art Bureau, wo mich ein brauner Beamter ehrerbietig fragte, wo ich hin wollte? »An die Pagode draußen.« »Alone?!« »Allein?« Ich sagte: »The Captain is coming.« »Der Kapitän wird gleich folgen.« »Oh«, und eilfertig nahm er sein Schlüsselbund, öffnete einen Privatausgang, ich sagte zu einer braunen Ayah (Eia sprechen sie es aus), die dort, in ein weißes Gewand gehüllt, mit feinen goldenen Ketten um den Hals und Rosetten in der Nase, einige weiße Kinder hütete: wenn der Kapitän käme, möchte sie ihm Bescheid sagen. Dann folgte ich meinem Schließer, der mich über einen eingefriedigten weiten Hof führte, wo eine Menge Arbeiterhütten zwischen Bäumen standen, Kulis und Birmanen und Kinder wimmelten und vor den Häusern nach der Tagesarbeit sich badeten, indem sie sich mit einem Gefäß aus einem großen Wasserkübel übergossen. Dann schloß er wieder eine Tür auf und ich befand mich auf einem großen Tempelplatz, der, rings von einer Mauer umgeben, etwa 13-14 Morgen groß war, mit herrlichen Bäumen, weidenden Kühen und Ziegen. Mehrere lange Gebäude, u. a. ein neues, wundervoll geschnitztes, das mir eine Art Priesterseminar zu sein schien, denn ich sah Pongees in ihren gelben Gewändern, die singend lasen, an den Fenstern und in den Türen. – Ein alter Beter oder Bettler saß unter einem Baum, auf dessen Ummauerung er allerhand Kram ausgelegt hatte, und hob flehend die Hände, ob zu mir oder einer sonstigen Gottheit, konnte ich nicht unterscheiden. Die Pagode selbst war frisch getüncht und vergoldet und trug eine rote Glaskugel auf der Spitze; in dem Kapellchen davor saß ein Buddha auf einem Altar, ein alter Mann fegte das Tempelchen aus und eine alte Frau kniete im Vorraum und betete mit einer dicken Zigarre im Munde. Beide luden mich heftig ein, näher zu treten, sprachen aber kein Englisch, und ein Dutzend frischgewaschener hübscher Kinder, die mich hüpfend und jubelnd umgaben, wiederholten unter Lachen, was ich sagte: »yes! yes! beautiful!« Ich sagte: »Gaudama!« Volkstümlicher Name für Buddha. auf den Buddha zeigend, was mit Freudenrufen aufgenommen wurde. Der Altar war mit abgerissenen Blumen wie mit einem Teppich verziert, darunter Passionsblumen. Ich ging nun weiter, geführt von sämtlichen Kindern, die mir in einem Schrein einen schön eingelegten Buddha wiesen, und mir zeigten, wie ich beten, die Hände falten und die Schuhe ausziehen sollte, was ich aber freundlich lächelnd ablehnte, und ein älteres Kind belehrte die anderen offenbar, das täten Weiße nicht. Da Jürgen sich noch nicht zeigte, ging ich zurück, etwas in Angst vor den Pariahunden, die überall herumlungerten und bellten, aber ein vorübergehender Mann hob gefällig einen Stein auf und warf ihn dem nächsten Hund gütig an das Bein, so daß ich unbelästigt weiter konnte. Es muß sehr selten sein, daß Fremde hierher kommen; nirgends als hier ist es mir passiert, daß Leute hinter mir her lachten, und da ich nichts Außergewöhnliches an mir hatte, so muß es den chinesischen Schuhen gegolten haben, die die Europäerin wohl sonst nicht trägt. Jürgen traf ich an der Hauswartswohnung, wo noch die Ayah mit den weißen Kindern stand, die sie die Hand geben und »Tata« Kinderenglisch für Lebewohl. sagen hieß. Wir saßen noch eine Weile im Schatten des großen Baumes, bis der Sampan mit dem Zimmermann und den Eisenstücken ankam.

13. Mai. Einige sanfte Morgenregen haben die Luft angenehm gekühlt und es ist so erträglich, daß wir heute den ganzen Vormittag in der Stadt waren. Zuerst machten wir unseren Besuch beim Doktor, von dem wir eine gedruckte Einladung zu Freitagabend um ½9 Uhr erhalten haben, »at home« und unten diskret »dancing«. »Es wird getanzt.« Dann machten wir Geschäftsgänge; die Stadt entzückte mich mehr als je, jetzt, wo nach dem Regen alle Bäume frisch und kräftig grün sind und die flame of the forest im herrlichsten Rot förmlich strahlt.

Jürgen sitzt bereits den Reislieferanten auf dem Nacken, die ihn mit den Leichtern sitzen lassen. Dann hat man die Kulis an Bord, das Salz, das unten mit Pickäxten losgebrochen wird, so fest sackt es zusammen, liegt auf Deck und man kann es nicht los werden, oder der Leichter mit Reis bleibt aus, den man nötig braucht, denn es muß soviel Ladung eingenommen werden, daß das Schiff stehen kann, so daß man Reis in das Schiff nimmt, ehe alles Salz heraus ist. Neulich streikten plötzlich die Kulis; sie hatten erfahren, daß die im Raum Arbeitenden voll ausgezahlt waren, während sie oben nicht alles bekommen hatten, was ihnen zukam. Der Stauer, der kleine Italiener Martino, hatte dem Mistri das Geld gegeben und dieser einen Teil zurückbehalten. Die armen Leute, die täglich ihren Leib der Arbeit hingeben, gerieten in begreifliche Wut, warfen ihre Salzkörbe hin, schrieen, schalten, drohten mit und ohne Faust, rollten die Augen und wiesen die blanken Zähne. Ein alter Kerl mit gelb und schwarz getupftem Kopftuch faßte seinen Blechtopf, in dem sie ihr bißchen Essen her und bißchen (gestohlenes) Salz forttragen, und wandte sich nach der Treppe mit lautem hindostanischen oder tamilischen: »Folgt mir, Kameraden!« C'était superbe, aber es folgte keiner, und mitten in den Tumult stürzte sich der kleine Italiener, stampfte und schrie, drohte und verhieß, packte den einen und den anderen bei der Schulter und stieß ihn an seinen Platz, und so, widerwillig, grollend und finster, nahmen sie die Arbeit wieder auf. Wir haben die Sache gar nicht genau verstanden, besonders nicht, weshalb der kleine Martino statt der Kulis nicht den Mistri anfuhr. Später hörten wir, dieser wäre unten im Raum ordentlich verprügelt worden; anzumerken war ihm nichts, er brüllte und trieb die Arbeiter nach wie vor. Martino, der nicht größer ist als ich, läßt es sich sauer werden; wenn die Arbeit stockt, verlangt er mit lautem Ruf einen Stock und schwingt ihn drohend unter furchtbarem Geschrei. Er ist ein gutmütiger, magerer, abgejagter kleiner Mann, der mir alle Morgen eine gefüllte, duftende Jasminblüte aus seinem Garten bringt. Sein Englisch ist mit Italienisch untermischt, und sein Stampfen und Drohen macht einen ganz geschäftsmäßigen Eindruck. Ich glaube, er liebt uns, weil er bei uns nur Mr. Martino genannt wird und niemals »Pipo«.

Sonntags war ich bei Miß Pond; sie und ihre Schwester holten mich in ihrem Gherrie von der Pier ab und schenkten mir zur Eröffnung der Freundseligkeiten einen herrlichen Rosenstrauß, der erst heute dem Zahn der Zeit und Hitze erliegt. Dann fuhren sie mich rund um den See spazieren, wir gingen auch etwas und saßen auf einer Bank am Wasser im Schatten, wohin uns einige chinesische Familien folgten, die Papa Chinesen mit Filzhüten führten die kleineren Kinder, eine chinesische Mama in schwarzem Wachstaft erklärten die Miß Ponds für eine Dame, obwohl sie keine verkrüppelten Füße hatte, was hier nicht geschehen und selbst in China abkommen soll. Sie trug ein kleines Baby in hellrosa Kleidchen; ich erlaubte mir, es bewundernd anzusehen und sein Füßchen zu streicheln, was die Mutter mit liebenswürdigem Stolze aufnahm.

Ponds wohnen jetzt in einer Pension, wo sie zwei große Stuben haben und natürlich ihren eigenen Boy, der auf einer Galerie neben des Vaters Stube sich aufhalten soll, wie sie sagten. Erst boten sie mir ein Bad an, das ich dankbar annahm und das hier überall darin besteht, daß man in einem Kämmerlein mit abgeschrägtem Fußboden sich aus einem großen Kübel mit einem Schöpftopf übergießt. Jürgen hatte in Singapore diese Einrichtung nicht ganz begriffen, und Kapitän Busch konnte damals nicht genug beschreiben, wie er sich in dem Kübel ausnahm, in den er sich in aller Unschuld gezwängt hatte. Nach dem Bade kam endlich das Frühstück, es war schon zehn Uhr. Im Speisezimmer hatte jede Familie oder Gruppe ihren eigenen Tisch und wurde von ihrem eigenen Boy bedient. Danach gingen wir wieder in ihre Zimmer hinauf, und nun wurde ich freundlich eingeladen, mich auszuziehen, was ich mit Freuden tat und mich mit Fächer und Tausend und einer Nacht auf einen langen Stuhl legte und Sindbads Reisen las, bis der Schlaf mich überfiel. Miß Pond lag mit Buch und Fächer ebenfalls auf ihrem Bett; dazwischen plauderten wir vertraulich; ich erfuhr ihre kleinen Herzensgeheimnisse und ihre Ansichten über die Frauenfrage, die Ehe im allgemeinen und schließlich noch im besonderen, und gab ihr nützliche Winke aus dem reichen Schatz meiner Erfahrung. Um zwei Uhr klopfte es, und Lena Pond, die angezogen war, ging und nahm dem Boy ein Teebrett mit Butterbrot, Tee, Marmelade, Ei, Milch und Früchten ab. Wir setzten uns an einen kleinen Tisch auf niedrige Stühle, ganz wie wir waren, und aßen und tranken nach Herzenslust. Um vier Uhr fuhr ich wieder davon, von beiden niedlichen Mädchen an die Werft begleitet. Mir war zu Mute, als sei ich verreist gewesen und es müßte währenddessen alles Mögliche an Bord vorgefallen sein, was zum Glück nicht der Fall gewesen war.

Es ist wirklich rührend von zwei jungen Mädchen, in dieser liebenswürdigen Art eine fremde, so viel ältere Frau bei sich aufzunehmen.

23. Mai. Freitag waren wir bei dem Doktor zum »at home«. Man war nach Tisch gebeten, um ½9 Uhr; im Nebenzimmer standen Limonade, Tee und kleine Kuchen, Soda und Whisky für die Herren, etwas Eis wurde herumgegeben. Es waren fast nur junge Leute, wenige Eltern und fast alle Gäste gemischten Bluts. Die Töchter, hübsch und niedlich angezogen, gaben sich große Mühe, ebenso die Söhne. Zwei Damen spielten ein sehr in die Ohren fallendes vierhändiges Stück, eine Dame sang etwas schrill durch die Nase, ein Herr trug in tiefstem Grabeston ein Lied von Katie oder Nancy vor – dann faßten die Herren die Stühle und Tische, die in der Mitte standen, rückten sie auf die Veranda, Lucie F. setzte sich an das Pianino und begann einen Walzer. Es wurden englische Walzer getanzt mit ungemeiner Ruhe und Grandezza; es sah sehr gut aus. Dann spielte ein Herr eine Quadrille à la cour – aber wie ward mir, als ich alle die bekannten Touren mit eingelegten Walzern und Galopps tanzen sah; mit dem größten Feuer und der größten Sicherheit fing jeder Herr seine Dame im gegebenen Augenblick, drehte sie drei- bis viermal rechts und links oder sie machten kleine Sprünge geradeaus und zwei Dreher, – ebenso tanzten sie die Française mit allerhand komplizierten Figuren und eingelegten Touren; bei uns wäre das ganz einfach unmöglich. – Die Damen, zum Teil sehr wenig hübsch, mit tiefausgeschnittenen Kleidern, kokettierten in der Art, wie es in Großmamas Jugend Sitte war und noch jetzt die Amerikanerinnen tun. Ein »älteres junges Mädchen«, Mischblut, »klein und mager, blaß und braun«, redete mich an und unterhielt mich sehr angenehm; sie erzählte, sie wäre vier Jahre in der Nähe von Madras gewesen, wo ihr Vater, früher Seekapitän und zur Polizei übergegangen, die Bewachung des Ex-Königs Theebaw (Tibaut) gehabt hätte. Der König wäre ein Vollblut-Birmane, liebenswürdig im Verkehr, hatte zwei Schwestern zu Frauen mit einer Menge Hofdamen. Ihr Vater habe ihm vorgestellt, daß es doch gut wäre, wenn seine Kinder englisch lernten, und so hätte ihre Schwester ihnen Unterricht gegeben. Wenn der König hätte ausgehen oder den Palast verlassen wollen, mußte er bei ihrem Vater anfragen, und drei- bis viermal in der Woche hätten sie mit ihnen ausfahren müssen. Unglaublich viel Diamanten, Rubine usw. hätten die Damen gehabt, prachtvoll gestickte Samtjacken und seidene Kleider, und die kleinen Kinder Diamantenkämmchen in den Haaren. Es war sehr amüsant, sie erzählen zu hören und mir auffallend, daß man diesen König von Polizei bewachen ließ und nicht von Militär, wie es bei uns geschehen wäre. Wir gingen gegen 12 Uhr fort, ohne Sir Roger de Coverley abzuwarten. Einen neuen Tanz sah ich, »Banjo«, der unserer Mazurka ähnelt. Ich war begierig, ihn zu sehen und fragte Maggie F., wann er an der Reihe wäre? – worauf sie ihre Schwester fragte: »Is the next dance the banyo? Mrs. Rosenberger is dying to see it danced!« »Ist der nächste Tanz der Banjo? Frau R. stirbt vor Verlangen, ihn zu sehen.«

25. Mai. Im Zoologischen Garten sind jetzt zwei ganz junge, neu eingefangene Elefanten, ganz schrecklich an einem Vorder- und Hinterbein festgebunden, so daß sie nur einen Schritt machen können. Die armen Tiere sind so wild und verzweifelt, daß sie den gefangenen Fuß blutig gescheuert haben, und der kehrende Kuli schlug den kleinen mit dem Besen, wofür Jürgen ihn schalt und drohte, er würde ihn anzeigen, worauf der Kuli geschmeidig wurde und wir die Elefanten mit Bananen fütterten.

Es war reizend, durch die Stadt zu schlendern. Ein birmanisch-chinesisches Elternpaar spielte auf der Straße mit einem reizenden braunen Kindchen, das schrie; als ich es ansah, lachte es und langte nach mir, ich nahm es und es krähte auf das niedlichste, krallte sich fest in mein Kleid und griff nach den Federn auf meinem Hut.

Das war meine letzte Ausfahrt in Rangoon.

III.
Von Rangoon nach Hamburg.

6. Juni-13. Oktober.

Indischer Ozean. Eben sind wir unter dem Drucke von Erkrankungen. Ich war selbst in letzter Zeit nicht wohl, der Doktor nannte es einen leichten Anfall von Influenza und dafür sprach auch – hinterher – die große Faulenzia, die gar nicht weichen wollte. Dann kam Herr Pauly an die Reihe, der schon die ganze Zeit in Rangoon nichts gegessen und sich geschleppt hatte – Fieber und Zerschlagenheit, keinen Appetit. Kaum ging es ihm besser, so legte sich der Steward mit Fieber, Gliederschmerzen und Uebelkeit. Er liegt noch, bei ihm soll es Rezidive sein, er hat ein schweres Klimafieber gehabt und neigt zu solchen Rückfällen. Aber warum legt sich der Matrose Hein mit Fieber und, nun er sich erholt, Fritz? Jürgen sagt, es sei noch Folge der Hitze und des Wechsels zwischen Glut und Nässe, da sie im Regen arbeiten müssen und die Kleider nicht wechseln können. Der Passat würde für uns alle das beste Heilmittel sein, aber wir haben noch vier bis fünf Grad bis dahin zu machen und der Südwestmonsun ist so flau und puffig, daß wir kreuzen müssen und noch nicht einmal von Sumatra frei sind. Die Fahrt bis Atchinhead war schon lang; das Wetter, das wir stürmisch erwarteten, war herrlich, aber leider nicht nützlich, und es dauerte fast vierzehn Tage, bis wir die Bergriesen von Sumatra, Pulo Brasse und Pulo Whey aus den Augen verloren und über Pulo Rondo hinaus waren. Der Wind kam von Land und zum Abschied roch ich noch einmal die würzige indische Luft. Die Hühner tun zuweilen, als hätten sie gelegt, in den letzten Tagen hatte ich wirklich ein paar Eier, die den Kranken zu gute kamen. Ihrethalben wünschte ich, es wären mehr. In der Pantry haben wir nun Heini, den kleinen Leichtmatrosen, der schon vorige Reise zwei Monate Steward gewesen ist, ein allerliebster kleiner Kerl, der alles nett und flink macht, so daß es ein Vergnügen ist, ihn um sich zu haben.

1. Juli. Vorgestern erst haben wir die Linie passiert (ich zum siebzehnten Male). Es geht langsam, als hätten wir eine Schnecke vorgespannt. Die Hitze hat etwas nachgelassen, aber die Erkrankungen dauern fort, immer mit denselben Symptomen, und die Leute erholen sich schwer. Ich muß mich jetzt mit Milch und Kakao einschränken, sonst ist es eines schönen Tages damit zu Ende, und man weiß nicht, was einem noch bevorsteht. Der Koch lag, der Segelmacher hat sich gestern gelegt, Fritz sieht noch aus wie der Kalk an der Wand. Der kleine Heini erkrankte, den wir zwei Tage in die Kajüte nahmen; jetzt ist er wieder im Dienst, aber mit dem einen Schweden, Karl, einem besonders netten Menschen, geht es schlecht, und wir haben ihn heute nach hinten genommen und in die Proviantstube gebettet. Er soll gestern nichts gegessen und abends über Hunger geklagt haben, und ich konnte die halbe Nacht vor Angst nicht schlafen, daß ihm das Schaden getan hätte, denn er phantasierte und hatte heftiges Fieber. Das »Nichts« erwies sich aber als echt seemännisch; er hatte einen großen Topf mit Milch und einen mit Haferschleim leer getrunken, und »davon kann man doch nicht bestehen«. Heute ist er besser und hat mit wehmütigem Gesicht zwei Becher Zwiebacksuppe mit Rotwein zu sich genommen; zum Glück verträgt er Chinin, das die Leute ungern nehmen und einige ausbrechen, wogegen Magentropfen mit Wein sehr beliebt sind. Wie oft haben wir die guten alten Hausmittel vermißt, die jetzt, wo die Medizinkiste nach neuesten, streng wissenschaftlichen Grundsätzen gefüllt wird, nicht mehr geführt werden. Sie taten keinen Schaden, und wenn sie nicht halfen, so hatten sie doch den großen Nutzen, die Kranken zu beruhigen und hinzuhalten, bis die Symptome des Leidens sich deutlicher zeigten. Der Mann klagt und verlangt vom Kapitän Medizin; umsonst erklärt man ihm, daß man ihm schaden könnte, wenn man ihm gäbe, was nicht für seinen Zustand paßt – mißmutig und enttäuscht geht er fort, während er mit einem unschädlichen Mittel getröstet und beruhigt wäre. Des Krankseins ungewohnt, ist der Matrose leicht niedergedrückt, und große kräftige Männer weinen, wenn man sie nach ihrem Befinden fragt. Im medizinischen Kursus der Schifferschule bemerkt der vortragende Arzt: »Ist der Mann intelligent, so kann er angeben, wo er Schmerzen hat. Oftmals aber gibt er auf die Frage, was ihm weh tut? kläglich zur Antwort: ›Alles!‹« Dazu hatten wir noch eines Tages den Schreck, daß Herrn Pauly ein Draht in das offene Auge schlug; das Auge war innen rot, doch schon nach vier Tagen nahm er das Tuch ab, ich wollte ihm ein schwarzes Schürzchen für das Auge machen, aber das wollte er nicht und jetzt ist es bis auf gelegentliches Doppelsehen wieder gut.

Wir haben in Rangoon gleich in den ersten Tagen Wasser eingenommen und dort die ganze Zeit davon gebraucht, so daß das Wasser wohl keine Schuld an diesem Fieber haben kann. Eine rechte Plage sind die Moskitos, die zu Tausenden aus den Wasserfässern steigen. Motten flogen herum wie Schnee, es war nicht zu ertragen; ich hatte dem einen Kranken ein Moskitonetz gemacht, unseres war ganz zerfleddert, und in Rangoon, wo es nicht nötig war, nicht ersetzt worden, ich stückte nun die alten zusammen, so gut es ging, setzte unten Verbandmull an und an den Seiten mein blaues Spitzenkleid. Als nun Herr Pauly das kranke Auge hatte, mußte ich für die Steuerleute auch ein Netz eruieren und nahm dazu einen grauen durchsichtigen Kleiderrock. Dann bat mich Herr Pauly, ihm die kleinen Vorhänge zu ändern, die seine Mutter für die Fensterchen der Kammer zu groß gemacht hatte, Jürgen hatte allerhand Wünsche, und ich mußte an diejenigen denken, die so gar nicht begreifen können, was ich eigentlich an Bord täte! Die ganze Zeit über hatten wir viel Spaß an einem ganz neuen Spielzeug. Ein dänisches Schiff, das von Mozambique kam, hatte ein dortiges Tierchen, eine Manguste, mitgebracht und unseren Leuten geschenkt. Sie nannten es Mango. Bei Tage lief es frei, und da es das unverschämteste kleine Tier war, das es je gegeben hat, so war es in der Kajüte ebenso zu Hause wie im Logis. Es war etwa so groß wie eine mäßige Ratte, mit grau und braun gestreiftem Fell, kleinen, runden, unbehaarten, anliegenden Ohren, spitzem, unbehaarten, schwarzen Kopf, das Auge braun mit geschlitzter Pupille; kein Nagetier, sondern Insektenfresser mit ganz kleinem, aber scharfem Gebiß. Hühnerknochen fraß es ganz und gar auf. Schwarze, kahle Grabefüßchen mit gewölbten langen Krallen hatte es, eine lange, bewegliche Zunge, wie der Ameisenbär, langen, behaarten Schwanz mit Puschel, rostrotes Schnäuzchen. Von Bewegung glich es einem kleinen Hunde; es war rein lächerlich, Jürgen ehrbar hin- und hergehen zu sehen und dieses kleine Tier immer hinter ihm her; ebenso lief es dem Steuermann nach und sah neugierig und verständnisvoll zu, wie er Taue festmachte oder sonst hantierte. Wir nannten es das Zirptier, weil es fast beständig ein Zirpen ausstieß, wie etwa zehn Grillen zusammen. War es zufrieden, fraß es, so knuckste es die ganze Zeit wohlgefällig, gab man ihm aber etwas, so stieß es ein markerschütterndes Geschrei aus, als würde es gespießt; wenn z. B. Jürgen ihm eine Fliege gefangen hatte, fuhr es mit einem so wilden: »Hojottehoh!« darauf los, daß ich ihm nie etwas gab, weil ich mich immer wieder davor fürchtete. Beißen tat es nur, wenn es gereizt wurde. Durch Jürgens Haut kam es nicht, Heini aber biß es blutig. Und tapfer war es; machte jemand Miene, ihm seinen Knochen zu nehmen, so fuhr es ohne Ansehen der Person auf ihn los; und sprang in die Höhe, als wollte es ihm an die Gurgel fahren. Bei Tisch mußte es eingesperrt werden, denn es raste über Schüssel und Teller und holte sich mit unglaublicher Schnelligkeit das beste Stück. Einmal saßen Jürgen und ich beim Frühstück und hatten zwei große Schinkenschnitten vor uns; das Zirptier auf den Tisch, faßte im Umsehen das größte und fort damit, und wenn man ihm etwas abjagen wollte, hielt es sein Stück unter wütendem Geschrei fest. Ein anderes Mal war es mit einem Satz in der Suppenterrine, in die Jürgen eben (es war Hühnersuppe mit Makkaroni) Spargel, Schoten und Extrakt getan hatte, um ihr aufzuhelfen, denn die Terrine ist so groß wie eine Kinderbadewanne und der Koch dehnt das Huhn, als etwas Gutes, nach Möglichkeit aus. Ich schrie vor Angst, es möchte sich verbrennen, und Jürgen schlug danach, aber es fischte nach Fleisch und als es glücklich heraus war, sprang es nochmals hinein! – – – Jürgen fragte ganz ängstlich, ob ich die Suppe essen würde?! Aber, wie Nansen so schön sagt, »wer Reinlichkeit nicht entbehren kann, taugt eben nicht zum arktischen Reisenden«, und Spargel, Schoten und Extrakt waren doch nun einmal daran! Wollte das Tierchen trinken, so sprang es auf unseren Krug, fand es da nichts, auf den Waschtisch, von da auf die Kommode, dann auf das Bort mit der Karaffe und den Gläsern, warf die Zahnbürsten heraus und tauchte nach ein paar Tropfen Wasser. Einmal hatte es glücklich den Stöpsel aus der Karaffe gestoßen und auf die Erde geworfen und hielt ihn wohl für Wasser, weil er kalt und durchsichtig war, und leckte daran. Als ich ihn aufnehmen wollte, fuhr es auf mich los und biß mich in die große Zehe, daß ich es durch den Schuh fühlte. Eines Tages stahl es meinen silbernen Fingerhut und lief damit davon; der Segelmacher fing es und nahm ihm die Beute ab, unter heftigem Protest und schrecklichem Geschrei – von Seiten des Zirptieres, denn der Segelmacher ist ein ernster, stiller und bedachtsamer Mann. Es war offenbar an Graben in Ritzen und Löchern gewöhnt, denn in jedes Loch mußte es hinein. Es versuchte, sich in die Trompete zu zwängen, es probierte das Tintenfaß, Jürgens Nase und Ohren, kroch in sein Hemd, untersuchte die dortigen Verhältnisse und schrie erbost und sträubte sich verzweiflungsvoll, wenn es in solchen Entdeckungsreisen gestört wurde. Den Bart krabbelte es ihm mit Sorgfalt, Geschick und Schnelligkeit auseinander und versuchte die Lippen aufzumachen, denn es hatte wohl dahinter eine lockende Höhle wahrgenommen, die ihm groß genug zum Hineinkriechen dünken mochte. Eine lange Weile konnte es warm und wohlig auf seinem Halse liegen, bis es plötzlich seinen Vorteil zu solchen Angriffen ersah. Eier, die es gern fraß, rollte es gegen die Wand, um sie zu zerbrechen. Es schlief vorn in einem kleinen Käfig, und wenn es dunkel wurde, zog es sich von selbst zurück. Genug, man gewöhnt sich an ein solches Tierchen, und alle hatten ihre Freude daran. Herr Pauly sagte eines Tages, man müßte eigentlich die Klüsen zumachen, damit es nicht zu Schaden käme. Länger als bis an das Kap dachten wir es nicht zu behalten, da es die Kälte schwerlich vertragen hätte, aber mitbringen wollten wir es lebend oder tot, um es wenigstens zoologisch bestimmen zu lassen. Wir überlegten mehrfach, wem wir es geben wollten, wenn es uns gelänge, es lebend mitzubringen, und wir schwankten zwischen einem zoologischen Garten, der es mit Freuden genommen hätte, und unserem alten Freunde, Dr. D. v. S., und sagten oft zueinander, das wäre so recht ein Haustier für ihn. Da kam eines Tages, als wir auf Deck saßen, der zweite Steuermann mit der Meldung: »Der Mango ist über Bord!« Eine Reihe Leute stand schon am Heck; hätten sie es nur gleich gesagt, es wäre noch zu retten gewesen. Jürgen tat das Aeußerste und ließ beidrehen; man kam ihm näher, ich sah noch einmal sein Köpfchen und sein Schwänzchen, aber dann nicht mehr, und so mußte das arme Tierchen elend umkommen bei dem schönsten und ruhigsten Wetter. Ich freute mich nur, daß es den Tag vorher eine herrliche Mahlzeit von Hühnerknochen gehabt und ich ihm am Morgen noch Wasser gegeben hatte, als es danach suchte. – Das ist die Geschichte von unserem armen Zirptier, sein bewegtes Leben und sein klägliches Ende. Nachmals fanden wir seinen größeren indischen Vetter im Junglebook von Kipling beschrieben, auch im Brehm ist die größere Art als Mangusta oder Mungo aufgeführt, aber nicht der unsere, obwohl die Familienähnlichkeit zweifellos ist.

6. Juli. Wir haben noch nicht die Breite der Sundastraße erreicht und viel Regen, viel Fläue, viel Motten. Die Erkrankungen dauern fort; ich hoffte, sie würden bei dem kühleren Wetter aufhören, aber heute hat sich Franz mit Kopfschmerz und Fieber gelegt. Karl liegt noch hinten bei uns und erholt sich langsam mit Rückfällen. Ich kochte ihm Zwiebacksuppe und Arrowroot, das mit etwas Wein, Zitronensäure und Zucker schmackhaft gemacht wird. Sie sind wie die Kinder und nehmen nur, was süß schmeckt. Sollen sie z. B. Chinin einnehmen, so bleibt Jürgen dabei, bis sie es wirklich binnen haben. Heute abend verlangte Karl Kamillentee zum Schwitzen – auch da hinein mußte Zucker! Es mag aber auch Instinkt sein; so überraschte ich mich selbst dadurch, daß ich den Rest Arrowroot aus dem Kochtopf aß, was mir doch zu Hause nicht eingefallen wäre.

11. Juli. Passat, und so frisch, daß das Schiff in der hohen Dünung stampft und rollt, als wehte halber Sturm. Es ist merklich kühler, anstatt aber besser zu werden, geht das Fieber seinen Weg. Vorgestern legte sich Guido, abends der kleine Georg, gestern noch einer, heute abend Jan, der schon die vierte Reise mit uns macht, und der nette Heinrich, der früher hier Steward war, klagt auch schon über Kopfschmerz. Man begreift nicht, was es sein kann – man möchte an Sumpffieber denken, obwohl es bei keinem mit den Symptomen desselben im Medizinbuch ganz übereinstimmt. Jetzt sind nur vier bis fünf Mann auf jeder Wache und es liegen acht. Verschont geblieben sind bis jetzt Jürgen, der zweite Steuermann, der kleine Alex und der Zimmermann, aber sie werden wohl auch noch daran glauben müssen. Da es Karl besser ging, wurde er entlassen, und wir nahmen Christian nach hinten, weil er behauptete, Influenza zu haben, und wir ihn der Ansteckung wegen von den andern trennen wollten. Heute nacht hörte ich plötzlich ein wimmerndes Schreien; ich wecke Jürgen, der hingeht; das greuliche Geschrei geht aber weiter, untermischt mit Schimpfen und Schelten. Kein Zweifel, der Mann delirierte. Unter Gemurmel und Schreien von Christian geht Jürgen hin und her, endlich kommt er zurück; es war keine Idee von Delirium, Christian wollte nur Wasser und hatte heftig räsoniert, wir hätten ihn nach hinten genommen, um ihn verrotten zu lassen, er hätte nicht einmal Licht – das haben sie vorn auch nicht – und nichts zu trinken. Dabei hatte er Milch, Arrowroot und Tee gehabt und alles ausgetrunken – und niemand hätte sein Schreien gehört. Der zweite Steuermann hatte es aber wohl gehört und ihn gefragt, was er wolle. Schrie der Unhold: »Wasser!« Frug der Steuermann, wo sein Krüglein wäre, daß er's füllen könne? Aber diese Umständlichkeit stieß Christian den Boden aus und nun begann er das Gebrüll. Ich hatte Angst, daß er etwa gar in unsere Kammer tappen möchte, allein nach einer Weile erscholl in der Tür die Meldung: »Kapitän! Krischan ist nach vorn gegangen. Er sagt, er will achtern nicht bleiben.« Wir waren es sehr zufrieden. – Vorgestern kam eine Bark in Signalnähe; es war der »Wappäus«, mit dessen Kapitän, damals Steuermann, Jürgen in Rangoon auf die Jagd gefahren war. Sie sind zehn Tage nach uns ausgegangen.

4. August. Ich rieche Land; die ganze Nacht weht von Nord ein warmer, steifer Wind, und der Geruch war ganz auffallend, selbst Pauly hatte es bemerkt. Gewöhnlich rieche ich den Duft allein, und dann soll es immer Jürgens Zigarre gewesen sein. Sehr hohe See, die beständig überkommt. Die Wellentäler sind so tief, daß mich manchmal Grauen erfaßt, in der Erwartung, da hinunter zu gleiten, und ich denke oft an den Rückertschen Vogel: »So mit einem Mal – aus der Höh' ins Tal! Ei, was ist das ein herrliches Leben!« Das ist es auch, trotz allem. Wir laufen auf der Breite von Natal auf Afrika zu, waren vorgestern auf dem 30. Grad und haben also unsere Kapumsegelung begonnen. Wir lesen jetzt Sybels »Gründung des Deutschen Reichs« mit solchem Interesse, daß Jürgen es vormittags, nachmittags und abends verlangt, obwohl wir uns sonst nur nach dem Abendbrot vorlesen. Herr Pauly ist ein steifnackiger Bremer, und das Zusammenleben mit uns breitherzigen, vorurteilslosen, national gesinnten, rechtlich denkenden und persönlich so liebenswürdigen Preußen hat noch wenig gefruchtet. So gibt es politische Parteien selbst auf dem »Regulus«, nach deutscher Art und Unart, wie Sybel sagt.

11. August. Das Käplein zeigt uns etwas die Zähne; ohne zu steifen Wind kam eine furchtbare See auf. Abends, als ich meiner Gewohnheit nach noch einmal hinaussah, graulte ich mich beinahe. Der Himmel war sternhell, die See dunkel und oben auf der Dunkelheit hier und da große selbstleuchtende Kämme in solcher Höhe und Nähe, daß ich zu ihnen aufsehen mußte. Auch ließ Jürgen wenden und nach Norden gehen. Am nächsten Abend waren wir aus der schweren See heraus und sahen Land zwischen Nebel und Wolkenbänken. Gestern klares Wetter, guter Wind, Schwärme von Vögeln, darunter einige Albatrosse und Massen der reizenden Kaptauben. Eine weite Strecke felsige Küste, landeinwärts Bergkuppen. Der Flögel wird heruntergenommen, der schon lange sehr zerfleddert ist, und ich nähe in Hast einen neuen, es kommt aber mehr Wind auf und er kann heute nicht mehr aufgebracht werden.

Alex, der hübsche, bräunliche Schiffsjunge kommt: »Bitte, Kapitän, schneiden Sie mir die Haare ab.« Gegenfrage: was ihm einfiele? Erklärung: »Ick hew en Loch in Kopp kregen.« Man hatte Kohlen herauf geholt und es war ihm ein Stück auf den Kopf gefallen. Wir wuschen ihn, schnitten ihm eine kleine Tonsur und ließen ihn befriedigt laufen. – – Abends läßt Fritz um ein Morphiumpulver bitten, weil er Zahnweh hätte, – sonst ist jetzt endlich alles wieder gesund, nur Herr Pauly ist noch nicht recht imstande und tut dem Schweinchen, das wir geschlachtet, die Ehre nicht an, die es verdient.

15. August. Doch mit des Geschickes Mächten ist kein ew'ger Bund zu flechten; der zweite Steuermann schreitet schnell über das Deck, gleitet und schlägt mit dem Hüftknochen auf den eisernen Poller, indessen hat er weder den Knochen noch den Poller gebrochen und hinkt nur an einem Stock, den er gegen das Gleiten mit ausgefranstem Segeltuch umwickelt hat, was etwas an einen Tambour-Major erinnert. Und nun haben wir noch den Verlust unserer vortrefflichen Katze zu beklagen, die wir seit fünf Jahren hatten, eine echte See- und sehr gute Schaben-Katze, die sich vor nassen Füßen nicht scheute. Wir hielten als die einzigen weiblichen Wesen sehr zusammen, und nun ist sie über Bord gegangen, wahrscheinlich bei einem plötzlichen Ueberholen des Schiffes, denn sie saß gern auf der Reling und sah den Vögeln zu. Bei den Kaptauben denke ich immer an Esther und Hildchen, wie entzückt sie sein würden, wenn sie die niedlichen weichen Tierchen mit geschubberten Flügeln, schwarzen Köpfchen und glänzenden Augen so nahe um sich sähen. Inzwischen sind wir erstaunlich glatt um Südafrika herumgekommen. Wir passierten heute das Kap Agulhas und sahen sein Feuer, eben jetzt haben wir Hangclip vor uns, voraus sah man das Kap höchstselbst und weit dahinter den Tafelberg in eigener flacher Gestalt. Gestern abend solch ein Meerleuchten, wie ich noch keines sah. Milliarden von Sternchen im Wasser und jeder Fisch glich einer leuchtenden Schlange.

Am 17. August sahen wir den ganzen Tag die hohen Bergzüge der afrikanischen Südspitze und den Tafelberg dahinter, im Vordergrunde Kap Hoffnung. Dieses ist der letzte Ausläufer der Halbinsel, die den Tafelberg von Falsebay scheidet, ein Sporn, der sich nach Südosten biegt und einen dicken weißen Leuchtturm trägt, den wir durch das Glas sahen. Die wirklich südlichste Spitze Afrikas ist Kap Agulhas, und wir sind also wieder im Atlantischen Ozean und gehen auf St. Helena zu. Die stürmische Region liegt hinter uns, und wir haben es so gut getroffen, wie wir nicht zu hoffen wagten, denn hier ist es Winter. Merkwürdig, wie eigentümlich der Landgeruch ist. Der Wind stand von Norden auf unser Fenster, und ich lag lange wach und roch; es erinnert an Goldlack – ganz anders als Indien und England.

Es ist Erwähnung zu tun, daß vorgestern ein großer Zug Butzköpfe uns überholte; es war prachtvoll. Als ich die ersten mächtigen Tiere sah, dachte ich, es wären Walfische; sie sind ja auch Wale ihres Zeichens und haben ein weites Kopfloch und einen starken Strahl; von Bewegung aber sind sie Schweinsfische und schwimmen, als wenn sie sich überkugeln; glänzend schwarz tauchen ihre mächtigen Rücken und massigen dicken Köpfe auf, und weithin sah man sie schon unter dem Wasser bernsteinfarben schimmern und immer zu zweien; es war offenbar ein enormer Hochzeitszug, der mit einzelnen Nachzüglern endete; einige kleine waren dabei, noch ganz hellbraun, die dicht unter ihren Müttern schwammen. Wohl an zwei Stunden standen wir oben und sahen ihnen zu.

Ferner ist zu melden, daß der Passat, der hier schon wehen sollte und bereits einen Anlauf nahm, sehr matt ist und wir nur langsam Weg machen. Jürgen ist so desperat, daß er den Wind, der nicht da ist, gar nicht sehen mag und sich hinunter setzt. Das Wetter ist einfach wonnig, blau, mild und ein leichtes Lüftchen umspielt uns. Eine Menge Quallen, die wie Ammonshörner aussahen, weiß und gerollt; im Kätscher waren es lange Würmer, oben hatten sie weiße Luftblasen, der eigentliche Leib darunter irisierte rötlich und bläulich und der Kopf steckte unbegreiflicherweise in einer viel zu kleinen Muschel, aus der er von Zeit zu Zeit schwarz mit weißen unangenehmen Freßwerkzeugen hervorsah. Das merkwürdigste war, daß das Tier, wenn es gereizt wurde, einen nelkenroten Tropfen fallen ließ, der das Wasser färbte. Sonst waren hauptsächlich eine kleine Sorte Portuguese men of war zu sehen, die in Mengen vorbeisegelten, darunter machte ein graues Ding sonderbare Bewegungen. Jürgen zog es auf und fand, daß es eine Schnecke war mit lila Gehäuse, an der ein kleiner blauer Krebs sich offenbar nicht sehr liebenswürdig machte. Bei der Berührung sonderte die Schnecke einen dunkellila Saft in Menge ab und ehe ich es aussprach, nahm es Jürgen mir von den Lippen, daß es der echte antike Purpur wäre. Wir holten Watte und wischten sie ab und ließen sie in den Spiritus beißen, wo sie fortfuhr, Ströme Purpurs von sich zu geben. Jürgen hatte an der mexikanischen Küste gesehen, daß die Einwohner ihre Tücher violett und rot mit Purpurschnecken färbten und sagte, wenn wir unsere Watte nicht so hastig, sondern mit Wasser vermischt gefärbt hätten, wäre sie auch rötlich geworden, ging und tauchte sie noch nachträglich ins Waschbecken. Da ging es jedoch wie mit den schwarzseidenen Strümpfen, die grün aus der Wäsche kamen – die Watte ergrünte im Seifenwasser und da sie obendrein noch karbolisiert war, so war das Experiment in keinem Sinne rein. Eine zweite solche Schnecke fingen wir natürlich nicht. Indessen schwammen kleine Stücke weißen Mooses vorbei – wir fischten einiges, und es waren die entzückendsten kleinen Geschöpfe, wie die zierlichsten Posamentier-Ornamente, mit einem Leibchen gleich geschmolzenem Silber mit zwei blauen Streifen und einem schwarzen Kopfstück; von jeder Seite gingen hellblaue spitze Fransen strahlenförmig flach aus, ebenso vom Schwanz; Ihr könnt Euch nichts so Reizendes denken, wie dieses Tierchen – unten war es ganz weiß, und wenn man es berührte, schlug es seine sämtlichen kleinen Fühler zusammen und krempelte sich gänzlich um.

28. August. Frischer Passat und schöne Sonne. Ich trage dem Steward auf, die Betten zu sonnen, und er schafft Matratzen und Untersatz nach oben und benutzt die Gelegenheit zu einem tüchtigen Reinemachen – ich ärgerte mich noch, daß er mir nicht half, die Sachen aus dem Koffer zu sonnen – gut, daß ich nichts sagte, denn in einer Ecke, wo sich Staub und Spinngewebe angehäuft hatten, fand er meine kleine, seit Rangoon als verloren beweinte Brosche, die mir Jürgen in Singapore einmal mitbrachte. Der Verlust war mir so empfindlich, daß ich es Euch nicht schrieb und mich also eben in der Lage jenes Mannes befinde, der seinen Freund schriftlich fragte, ob er seinen Hausschlüssel nicht bei ihm gelassen hätte und schloß: »ich mache den Brief noch einmal auf, um Dir zu sagen, daß ich ihn eben in meiner Rocktasche glücklich gefunden habe« – und es durch Eilboten noch selbigen Abend bestellen ließ.

28. August. Goethes Geburtstag; wir aßen ihm zu Ehren eine Ananas und ich dachte dabei an unsere alten Freunde Reils, die zu Schillers Geburtstag Schokolade tranken und Maria Stuart lasen. Da sage man noch, die Deutschen hätten keine Pietät für ihre großen Männer!

4. September. Auf der Linie. Ihr brennt gewiß darauf, zu hören, wie unser Besuch auf St. Helena abgelaufen ist. »Ach, es wär' so schön gewesen, doch es hat nicht sollen sein« – wir liefen St. Helena programmäßig um 8 Uhr morgens an, und das Wetter war ganz genügend, aber ich wachte mit Kopfschmerz auf; gut, daß ich meine kleinen Geschenke für Lena vorher zurecht gelegt hatte, denn die Migräne war sehr schlimm. Nur einmal schleppte ich mich hinauf und warf einen Blick auf Jamestown. Der Agent der Herren Salomon Hogg & Co. erschien pflichtgemäß und ging mit den Aufträgen an Land, und am Nachmittag kam das Boot zurück und brachte Lena und ihren Bruder mit. Sie saß an meinem Bett, und ich unterhielt mich mit ihr, so gut es ging. Sie sah sehr gut aus und vertraute mir nach einigen Augenblicken, daß sie sich über den Tod ihres Bräutigams nun ganz beruhigt hätte. »Ach so«, dachte ich, und richtig schlüpfte ihr nach einer Weile ein junger Mann über die Lippen, Freund des Verstorbenen, der auf die Nachricht von dessen Tode aus Neuseeland zurückkehrte und in seines Vaters Geschäft in St. Helena eintrat. Da ihre Schwester vor zwei Monaten geheiratet hat, so warten sie noch ein Weilchen, um den alten Vater nicht auf einmal ganz allein zu lassen. Alles ist demnach gut und schön. Dann legte sie mir allerhand Schönes auf das Bett; Farrenkraut, das bei ihnen angepflanzt ist und sich sehr vermehren soll, das bei uns alle Gärtner haben und ich in Rio de Janeiro wild wachsen sah, zwei Gläser mit selbstgemachtem Jam, einen großen ausgestopften Fasan, wie sie auf der Insel wild, aber selten vorkommen. Da dort die meisten Pflanzen eingeführt sind, u. a. der englische Ginster weite Strecken überzieht, so schließe ich daraus, daß man den Fasan und den Ginster zusammenhängend importiert hat. Dann brachte sie noch Eier und einen ganzen Korb voll Blumen, Heliotrop, Fuchsien, Levkoien und Kamillen, hatte mir auch einen Kuchen gebacken, ihn aber leider, da das Schiff länger ausblieb, als sie dachten, selber aufgegessen. Jürgen verehrte dem Bruder Zigarren und Lena einen Pott Ingwer, nebst dem feinen Kompliment, daß sie sehr wohl aussähe und er bedauere, schon verheiratet zu sein, was ihr hoffentlich gefiel. Nach fünf Tagen erreichten wir Ascension ebenfalls bei guter Zeit und es war so wild und schön wie immer. Auch der zweite Steuermann war ganz überrascht und unter dem Eindruck der landschaftlichen Größe. Die einsame Palme war noch da und sah im Winde aus wie ein umgekehrter Regenschirm. Wenn ich nur begriffe, wie sie in diese meilenweite Einöde zwischen die Klippen gekommen ist. Gewöhnlich sind die Vögel so rücksichtsvoll, unzugängliche Kuppen und Türme freundlich mit Vegetationskeimen zu bedenken, das ist aber bei einer Kokosnuß ein ausgeschlossener Weg. Ich sitze oben auf Deck und schreibe, wie ihr leider seht, auf den Knien mit dem Stylus; es ist zu schön, um unten zu sitzen, denn oben weht ein kühles Lüftchen und die Sonne scheint; im Zenit steht sie jetzt und es wird warm, obwohl noch nicht so, wie man es auf dem Aequator erwarten sollte. Einen wunderschönen Albicour haben wir gefangen und es waren noch mehrere zu sehen, die ganze Schwärme fliegender Fische aufjagten. Auch Quallen segelten vorbei. Ich passierte die Linie zum achtzehnten Male, was stolz klingt.

Das Schiffchen, das Jürgen aus einem Block zurecht hieb, wird jetzt vom Segelmacher aufgefixt, Jürgen dreht selbst die kleinen Taue und es scheint sehr gut zu segeln und sitzt nicht zu tief im Wasser. Es steht steif und wird nicht zierlich, aber tüchtig, und wir wollen es nicht verschenken, sondern selbst damit spielen, wenn wir zu Hause sitzen und unsere seefahrenden Tage vorüber sind. Es ist eben furchtbares Reinemachen, das ganze Schiff wird tagelang mit Korallenstein abgeschrappt, das Deck und alles Holzwerk abgekratzt; unten wirtschaftet der Steward in allen Räumen und malt, meine Sachen liegen aufgeschichtet in der Kajüte, auf den Kartenkisten und auf dem Boden. Ihr bemerkt, daß sie auf dem Boden liegen; wenn ich sage auf der Erde, berichtigt Jürgen jedesmal, diese sei hundert und so und so viel Faden entfernt unter uns.

Wir hatten vorgestern Spargel, und da ich noch ein Ei besaß, machte ich eine holländische Sauce und heute, zu Ehren der Milchdosen, die mir Jürgen in St. Helena gekauft hat, Schokoladen-Crême zu Mittag.

18. September. Es ist weniger heiß, als erschrecklich schwül. Jürgen war tagelang ganz unruhig und kam endlich damit heraus, daß wir Regen haben müßten, um die Fässer zu füllen; wir wären in der Regenregion. Es kam dann auch mit Macht, und es war keine Freude, unten unter zugedecktem Oberlicht zu sitzen, während Jürgen oben mit bloßen Füßen in wollenem Hemd und weißen Hosen spazieren ging; er kam des Tages drei- bis viermal gänzlich durchnäßt herunter, den schönen Regen preisend. Ist es da ein Wunder, wenn er Rheumatismus in den Füßen hat und schrecklich hustet? Jetzt sind die Fässer und auch das Bad gefüllt, und nun der Mohr seine Pflicht getan hat, könnte er gehen.

Jürgen seufzt wieder. »Hast Du noch nicht genug Regen?« »Ja, aber nun möchte ich, daß der Passat käme!«

3. Oktober. Er kam und war ganz herrlich blau und frisch. Leider geht die – Reinlichkeit ihren Gang im Wettgesang weiter; jetzt ist die Kammer der Steuerleute gemalt und sie kampieren in der Proviantstube neben uns, so daß wir weder abends noch bei Tage vorlesen können, da sie umschichtig alle vier Stunden schlafen und nur morgens 1-1/2 Stunden beide Wachen auf Deck sind.

Vorgestern zog Jürgen mit der Angel den Kopf eines großen Tintenfisches auf. Der Leib war knapp abgebissen, die Fangarme mit den greulichen Saugwarzen saßen noch daran, der schwarze Schnabel lag ziemlich verdeckt, aber die beiden enormen Augen, groß wie Ochsenaugen, mit bläulichgrauer Iris und glänzender Pupille standen gräßlich heraus. Wir haben ihn in Spiritus gesteckt. Unsere Hühner legen wieder; des Reinemachens und Malens wegen sind sie in einem Verschlage, zu dem Jürgen den Schlüssel hat, und beinahe täglich bringt er mir ein oder zwei Eier, die wir sonst nicht bekommen würden. Der schöne Passat ist fort und die gemäßigte Zone hat uns Böen und unruhige See gebracht. Man ist es gar nicht mehr gewöhnt, so geschüttelt zu werden. In wenigen Wochen können wir nun in Falmouth sein.

Das Schiffchen ist reizend geworden und sieht doch ganz zierlich aus, nun es gemalt ist und die kleinen Segel stehen. Die Taue laufen über wirkliche kleine »Jungfern«, kleine Blocks, und Jürgen schnitzt noch zwei kleine Rettungsringe und ein kleines Boot.

10. Oktober. Jürgen und ich lagen lange über der Reling, denn die See war herrlich, dunkel, da der Himmel bewölkt war; der Wind jagte hohe Wellen seitwärts heran, von vorn kam hohe Dünung, über die der »Regulus« steigen mußte. Wo sich die Kämme schnitten, warfen sie Schaumwolken in die Luft und der »Regulus« schlug mit dem Kopf, daß der Gischt zu beiden Seiten aufwirbelte. Wir konnten uns nicht satt sehen an diesem Schaumspritzen der Freiheit – aber während ich dann ruhig unten saß, hätten wir ein furchtbares Unglück haben können; es kam mehr See auf, und der »Regulus« tauchte plötzlich das ganze Bugspriet unter Wasser, während zwei Mann darauf saßen, wovon der eine nur dadurch gehalten wurde, daß ihm der Arm zwischen eine Kette und den Baum geriet; ein anderer hatte eine verbundene Backe und Watte im Ohr wegen heftiger Zahnschmerzen; für ihn war das Bad also auch kein Balsam.

Der Wind stand auf unserer Seite und ich roch nachts deutlich Veilchenduft. Ich kann mir kaum denken, daß er so weit fortgeführt werden kann, unser nächstes Land ist Flores, eine der kanarischen Inseln. Ich habe übrigens mehrmals auf offener See diesen Geruch wahrgenommen.

13. Oktober. Das Barometer fällt und fällt; es steht so tief wie selten und es stürmt schon seit 36 Stunden. Wo und wie soll es enden? Die See ist furchtbar, »eine barbarische See«, sagt Jürgen. Ich habe sie wilder gesehen; wie ein Rudel Leoparden überstürzten sich die Wellen damals bei den Scillys. Jetzt sieht sie wie eine Landschaft aus, eine Ebene mit wechselnden Bergen und Klippen, so großmächtig wogt es, und das arme Schiff liegt darin wie eine Nußschale. Die Seen kommen von Süden und setzen uns nach Nord, sie schlagen mit der Wucht von Dampfhämmern gegen die Seiten, man fühlt förmlich, wie sich der Tiger zum Sprung kauert und dann bricht das Wasser über das Deck. Der Sturm führt Dampfwolken auf, die die Luft mit Salznebel füllen. Wenn ich eine Weile auf die See gesehen habe, muß ich hinunter, weil ich mich graule; aber man entgeht ihr nicht, selbst unten am Tisch sehe ich den Rand der grausigen See am unteren Fenster des Oberlichts, so legt sich das Schiff über. Auf dem Oberlicht liegt die Decke, der Seen und des Regens wegen, und doch tröpfelt es durch. Nach vorn bleibt die Tür geschlossen, alle Fenster sind zu, nur die hintere Tür ist offen. Man kann schlecht sitzen, schlecht lesen, nichts anderes tun, nicht einmal Schach spielen, trotzdem die Figuren mit Heftzwecken versehen sind. Bei jedem Schritt riskiert man, gegen die Wand geschleudert zu werden, aber der Diskomfort ist das Wenigste; nach soviel guten Tagen kann man ein paar schlechte in den Kauf nehmen, wenn man nicht in Angst sein müßte vor dem, was noch kommen kann. Mir tut der arme Steward leid, der das Essen durch das Wasser von der Kombüse herholen und gewärtig sein muß, daß ihm eine See die Schüsseln aus der Hand schlägt. »Gott besser's!« pflegte unser alter Onkel zu seufzen. Jürgen droht, mich nicht wieder mitzunehmen, weil mir das Leben schlecht bekäme, denn er schiebt meine Kopfschmerzen auf die trotz aller Sorgfalt zu schwere Diät; das ist eine schreckliche Vorstellung.

15. Oktober. Das Barometer steigt, die Sonne kommt vor und die See ist wieder ein wenig ruhiger. Vorhin trieb ein langer Mast vorbei. Jürgen erkannte ihn dann aber für den Balken einer Deckladung, auch einige Planken trieben vorüber. Hoffentlich ist das arme Schiff noch am Leben. Hätte uns dieses Wetter im Kanal überfallen, so hätten wir durch den Südweststurm an die Küste getrieben werden können, sagt Jürgen. Dieses letzte Ende durch Kanal und Nordsee ist das schlimmste von allem.

Eben sagt Jürgen zu dem kleinen Alex: »Nun, homo silvestris, wie geht's?« Der Junge bedenkt sich und antwortet forsch: »Homo silvestris necesse est!« Da es Latein war, so mußte es wohl »navigare necesse est« sein!

28. Oktober. Hier sind wir im Kanal, in den wir vorgestern mit fliegendem Sturm und haushohen Wellen einjagten, und wir kreuzen nun mit widrigem Winde nach Falmouth auf. (Es gibt notabene sehr kleine Häuser und sehr große Wellen.) Es ist eine Geduldsprobe, der Ordre so nahe zu sein, ohne sie erreichen zu können. Jedenfalls setze ich, sobald wir ihn wissen, den Bestimmungsort hierunter:

Hamburg!

Die Fahrt durch die Nordsee war noch unruhig genug, und fast wären wir so nah am Ziel noch gescheitert. Wir sahen eines Abends bei hoher See und unsichtigem Wetter ein festes Feuer, das wir für das Licht eines Fischerfahrzeuges hielten, als wir plötzlich eine Heultonne passierten und mit Schrecken gewahrten, daß wir uns in gefährlicher Nähe von Helgoland befanden. Es ist unbegreiflich, daß ein so wichtiges Feuer wie dieses, in diesem Klima und in diesem Fahrwasser, nicht ausreichend gekennzeichnet ist, um ein unverkennbares und sicheres Seezeichen zu sein, sondern so kümmerlich, daß es mit der Laterne eines Fischers verwechselt werden kann.

Ein kleiner Dampfer, der uns seit Stunden umtanzte und umwarb, wurde nun angenommen und so erreichten wir ohne Unfall glücklich den Hafen.


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