Joseph Roth
Panoptikum
Joseph Roth

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Einzug in Albanien

Das Meer ist still, die Wolken hängen festgenagelt am Himmel wie Bilder an der Wand, auf dem Wasser schwimmt ein Geisterboot ohne Schwanken, an einem unsichtbaren Seil, dem Schiff entgegen, um mich abzuholen. Es sind nur zwei an Bord, die nach Albanien gehen: ein Mann, der im Lande der Bärte Gilette-Apparate verkaufen will, und ich.

Dort, wo der feste Boden beginnt, steht eine kleine, hölzerne Hütte, mit einem idyllischen Schornstein, aus dem der Rauch an einem Lineal emporsteigt. Es ist sieben Uhr morgens, bewaldete, grüne und kahle, stahlblaue Berge umrahmen den Horizont, Lerchen schwirren verborgen im blauen Glanz des Himmels, in der Hütte liegt ein Gästebuch, wie in manchen Sehenswürdigkeiten, vor dem Buch sitzt ein Mann in schwarzer Uniform, dreht sich eine Zigarette und ist die albanische Grenzpolizei. Des Alphabets kundig, aber des Schreibens ungewohnt, sitzt er da und vertreibt den Ankommenden die Zeit mit der Lektüre der Pässe. Ein buckliger Levantiner wartet im Fordwagen, den er zu steuern gedenkt, bis der Polizist mit dem Studium fertig ist. Ich erlasse ihm den größten Teil der Prüfung und unterschreibe mich selbst.

In einer undurchsichtigen Wolke aus Staub, im Donner platzender Pneumatiks, empor- und zurückgeschleudert von echten Fordspiralen, fahre ich die Landstraße entlang, Tirana entgegen. Sooft ein Pneumatik ausgewechselt werden muß, steige ich aus, sehe zu, wie der Staub sich verzieht, wie die Kulissen der Landschaft sichtbar werden, Berge aus einem gespenstischen Violett, Wiesen aus doppelt übermaltem Grün, ein Himmel aus stabilem Blau, ein Himmel aus Stoff, ein Himmel ohne Fältchen, sauber gespannt, eine gebügelte Wölbung. Arbeiter bessern die Landstraße aus. Immer stehen ein paar Männer gebückt nebeneinander, wie spielende Knaben in einem Kindergarten am Vormittag sammeln sie auf winzigen Spaten oder in bloßen Händen kleine Sandhäufchen, schütten sie in Mulden und Gruben, streuen ein paar Steinchen darauf, benetzen das Ganze mit Wasser aus Gießkännchen und stampfen es fest mit nackten Füßen. Sobald der Fordwagen darübergehopst ist, dürfen sie ihr Spiel von neuem beginnen.

Bald kommen mir Soldaten entgegen. Wie sie marschieren! In khakigelben Doppelreihen, Stahlhelme auf den Köpfen. Rucksäcke auf den müden Rücken, von der Sonne gebraten, schwitzend und singend, marschieren sie für das neue Vaterland nach Durazzo, um zu exerzieren, begleitet von einem albanischen Mars in Ledergamaschen, Oberleutnant- und Extrauniform. Auf den fetten Weiden treibt ein Hirte Wolken aus Lämmern einher. Böcke mit ornamental geringelten Hörnern, schwarze Ochsen, eine Art Vieh der Unterwelt, Herden des Hades. Rechts und links sind Telegraphendrähte gespannt, nicht von Masten getragen, sondern von krummen und kahlen Bäumen, denen man nur Kronen und Laub genommen hat. So wie sie einmal am Straßenrand standen, von Vögeln bewohnt, Stationen abendlicher Winde, so wurden sie zu Telegraphenstangen ernannt, mit kleinen, weißen Töpfchen aus Porzellan ausgestattet und instand gesetzt, Berichte der Journalisten nach Europa zu übermitteln, das Zwitschern der politischen Spatzen. Links am Wegrand zieht sich ein Schienenstrang dahin, schmalspuriges Andenken an die Österreicher im Weltkrieg, heute dem Verderben anheimgelegt und dem Rost hinterlassenden Zahn der Zeit.

Endlich tritt aus einem weißen Häuschen ein schwarzer Polizist, der Deutsch sprechen kann, den Paß an sich nimmt und das Ehrenwort gibt, daß er sich morgen in der Polizei von Tirana vorfinden werde.

Da fängt also Tirana an, die Hauptstadt von Albanien. Rechts eine Moschee, links eine primitive Kaffeeterrasse, auf der Gäste gebraten werden und Feze diskutieren. Die Moschee ist eine Kaserne, Soldaten mit Gewehren bewachen sich selbst. Alle Hotels sind besetzt, Journalisten sind hierhergeeilt, Diplomaten und Abgeordnete, Offiziere aus England und Italien, es tagt das Parlament, Tirana ist eine Sensationsgrube, Verwicklungen liegen auf der Straße, das ganze Land ein Zankapfel. Brave Bürger wandeln in der Mitte der Straße, mit langen Gewehren gegen Sonnenstich ausgerüstet, schwere Trommelrevolver in breiten, oft geschlungenen, roten Gürteln. Die Maulesel, mit dichtgefüllten Körben an den Flanken, flanieren auf dem Bürgersteig und warten, wie Hunde, vor den Läden auf die einkaufenden Herren. Da reitet herrlich der kommandierende General der albanischen Armee, Herr Djemal Aranitas auf edlem Schimmel, kleine, schwarze Schuhputzer fliehen ihm aus dem Weg, ein Knappe folgt ihm, eben hat er die Armee inspiziert, deshalb marschierte er so traurig, kein Staat ohne General, kein General ohne Schimmel. Gold blitzt auf seinen Schultern, und mit lässiger Hand grüßt er Bekannte vom Stammtisch.

Es findet sich ein Mann namens Nikola, der vermietet mir ein Zimmer. Das Bett steht mit allen vier Füßen in Petroleum, um die Wanzen abzuschrecken, das Fenster ist unten zerbrochen und oben ein Moskitonetz, mein Nachbar bläst die Trompete. Er ist Mitglied des Orchesters, das jeden Nachmittag vor dem Schloß konzertiert.

Ein Polizist mit schneeweißen Baumwollhandschuhen wartet in der Straßenmitte auf den Verkehr.


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