Joseph Roth
Panoptikum
Joseph Roth

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Bei der Betrachtung von Schlachtenbildern

Die alten Schlachtenbilder sind nicht schrecklich, sondern eher rührend. Das blutige Rot, das einmal auf ihnen vorgeherrscht haben mag, ist ziegelrot geworden, ein bißchen Karotten-Rot, die friedlichste Nuance dieser Farbe, der Pazifismus des Rot. Die zerfetzten Fahnen wehen der Schlacht voran. Zwar sind sie von Säbeln zerschnitten, von Lanzen zerrissen, von Kugeln durchlöchert. Aber schon die Tatsache, daß sie, zarte Gebilde aus Stoff und Seide, den üblichen Waffen begegnen können und viele Schlachten überleben, bestätigt den Eindruck, daß vor alten Zeiten die Kriege in der Wirklichkeit harmloser waren, als sie in den Büchern der Geschichte dargestellt werden. Die Anwesenheit zahlreicher Gefallener ist unleugbar. Ihr Tod aber scheint kein endgültiger zu sein. Sie haben noch Zeit, mit einem Fluch auf den Lippen zu sterben oder mit einem Segen für die Sache, für die sie gekämpft haben. Offenbar ist ihnen in der Sekunde des Todes ganz klar, daß sie entweder durch ein Wunder wieder zum fröhlichen Kriegsleben erwachen, oder sie sehen schon die militärische Abteilung des Himmels, in die sie kommen werden.

Kein Wunder! Die Feinde sind gewöhnlich ungläubig; Türken, Janitscharen, Tataren, im Grunde vielleicht Monotheisten, aber nur mit einem gründlichen Mißverständnis. Das beweisen schon ihre krummen Schwerter. Die auf unserer – der christlichen – Seite kämpfen, haben gerade Schwerter (für den Charakter der Kämpfer symbolisch) mit einem Griff, aus dem jederzeit ein Kreuz herzustellen ist. Während die Janitscharen, die Tataren, die Sarazenen kleine, flinke und rötliche Pferde bevorzugen, reiten die okzidentalen Helden auf Schimmeln, die an Gralstauben erinnern. Die prominenten Helden werden im letzten Augenblick von der gewöhnlichen Mannschaft gerettet. Der Retter wird zumeist tödlich verwundet. Aber man ahnt bereits, daß seine Nachkommen ein Lehen erhalten werden, sobald der Prominente geheilt sein wird.

Die Schlacht spielt sich gewöhnlich in der Ebene ab, deren Charakter durch umliegende Hügel bestätigt wird. Auf diesen Hügeln stehen die ganz Großen, diejenigen, in deren Namen gekämpft wird. Unsichtbar, hinter den Hügeln, stehen wahrscheinlich ihre weißen Zelte, in denen die schwarzhaarigen Kurtisanen lagern und den Daumen halten. Geht die Schlacht ungünstig aus, so sind diejenigen, in deren Namen sie geführt wurde, die ersten, umzukehren und in die Zelte zu gehen. Diese müssen dann zwar in aller Eile abgebrochen werden. Aber immerhin hat der Besiegte noch Zeit, seine Geliebte flüchtig zu umarmen. Manchmal nur geschieht es, daß der Hügel – und was hinter ihm liegt – nicht rechtzeitig geräumt wird. Dann stürmen die Sieger aus der bequemen Ebene hinan, und die ersten, die oben stehen, winken jenen, die noch unten sind. Das Winken spielt überhaupt im Krieg eine große Rolle. Immer winkt einer dem andern: zum Sieg, zum Ruhm, zum Tod. Und den Winkenden ist deutlich anzusehen, daß sie wissen, daß sie ganz genau wissen: sie seien Beispiele und würden als solche auf die Nachwelt kommen. Die Sache, für die sie kämpfen und winken, ist eine gute. Die Nachfolgenden ahnen es bereits und zögern nicht.

Der Himmel ist blau, die Sonne heiß und gelb, der Staub weiß. Die Kehlen der Kämpfer sind trocken, der Zuschauer verdurstet schon beim Anblick der Schlacht. Diverse Wunden dürften Fieber verursachen und den Durst verstärken. Man möchte einen Eimer frischen Wassers hintragen und den Leuten helfen, die da im Sonnenbrand ihre schwere Pflicht erfüllen. Man möchte die Streiter laben. Es geht nicht! Kein Quell ist in der Nähe und vor allem kein Eimer zur Hand! Man tröstet sich! Nach der Schlacht werden sie trinken.

Die Schlacht ist zu Ende, wenn der Abend kommt. Man weiß, daß der besonnte Teil des Tages ungefähr zwölf Stunden zählt. Sobald die Sonne hinter einem der ihr zur Verfügung stehenden Hügel untergeht, blasen die Trompeten den Rückzug, selbst wenn die Schlacht noch nicht entschieden ist. Die Mondsichel klimmt langsam den Horizont hinan und erinnert an die krummen Schwerter der Feinde. Die Unverletzten legen sich schlafen. Und die Verwundeten beginnen zu stöhnen.

 

Nichts Schrecklicheres als die Tatsache, daß der letzte Krieg schon anfängt, ein Gegenstand dieser idyllischen Kriegsmaler zu werden. Knappe zehn Jahre, nachdem er aufgehört hat! Besonders in den Siegerländern, die sich einbilden, ungefähr in der Art über uns gesiegt zu haben, wie die Ritter der Christenwelt dereinst über die Heiden. Die Giftgase sehen aus wie niedliche Wölkchen einer die Auferstehung garantierenden Vernichtung. Die Kanönchen speien ein liebliches Feuerchen. Die Aeroplänchen surren eilig durch die Lüftchen. Rührende Feldpostkärtchen schreiben die Heldchen an die Liebchen daheim. Besonders beliebt sind die Sturmangriffe. Genau so wie bei den Sarazenen! Man stürmt mit Bajonetten gegen besetzte Hügel. Man verhakt sich mit den Eingeweiden im Drahtverhau. Und man winkt! Man winkt! Zum Sieg, zum Ruhm, zum Tod!

Und wir leben noch. Wir, die Sarazenen und die Christen. Und wir sehen zu, wie sie uns malen, unsere Väter, unsere jüngeren Brüder. Sie machen Filme von uns und Kriegsbilder, an die Wändchen zu hängen. Auf daß die Enkel wieder Lust bekommen. Vor unsern eigenen lebendigen Augen porträtieren sie unsre Eingeweide. Schon verniedlichen sie unsren eigenen Tod. Schon machen sie Feldherrnhügel aus unseren Leichenhügeln. Kaum zehn Jahre. Zehn Jährchen! Sie bauen auf – schon wieder! – und sie malen! ...

Aber das Rot, das sie jetzt verwenden – und das ist unser einziger, armseliger Trost! – wird niemals die pazifistische Ziegel-Nuance bekommen. Es wird rot sein, rot wie Blut und Feuer. Unser Blut, unser Feuer. Die Farben von heute haben eine andere Substanz. Wirkliches Blut ist ihnen beigemischt. Und unser Tod war der letzte Tod, der noch idyllisch umzulügen ist. Der Tod unserer Maler wird ein anderer sein, nicht mehr zu malen. Ersticken werden sie, zu Hause, im Atelier – die Palette in der Linken und den Pinsel in der lügenden Rechten! ...


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