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Die Marquise von Sévigné: an ihren Vetter
Roger Graf von Bussy-Rabutin zu Schloß Bussy
in Burgund.
Paris, Palast Kernevenoy,
den 7. Oktober 1656.
Endlich wieder einmal ein Lebenszeichen von Euch, großer Mann. Wie dankbar ich Euch dafür bin. seht Ihr daran, daß ich Euch umgehend antworte. Also Ihr pflanzt zu Bussy nicht nur Euren Kohl, sondern beschäftigt auch ein gutes Dutzend italienischer Künstler, Euer Schloß neu herrichten und ausmalen zu lassen. Ich bin glücklich über diese Nachricht. So wird der Zorn des Königs über Eure boshafte Schriftstellerei Euch erträglicher werden. Nein, ich kann Euch gar nicht sagen, wie ich mich freue, daß einmal die Weisheit bei Euch Übermacht gewinnt. Im Ernst, ich finde es weise, sich damit zu trösten, ein Mäzenas der Provinz zu sein, wenn man doch einmal nicht Cäsar in der Hauptstadt sein kann.
Aber ich habe Euch doch noch erstaunlichere Dinge zu berichten. Denkt Euch, mein Vetter, der Kardinal von Retz, hat schon vor längerer Zeit Rom verlassen, ohne sich vom Papst zu beurlauben. Er scheint in der letzten Zeit sehr unzufrieden gewesen zu sein mit Alexander VII. Als dieser noch Kardinal Chigi hieß, hat er eine große Freundschaft für seinen Kollegen von Retz geheuchelt, dem er vielleicht einzig seine Erhebung verdankt. Aber ein Kardinal, der Papst wird, wird damit zugleich auch ein anderer Mensch. Persönliche Verpflichtungen gelten nun nichts mehr, einen Herrscher und Souverän binden höhere Rücksichten.
Kurz, der Kardinal von Retz, der seit seiner halsbrecherischen Flucht aus seinem Kerker zu Nantes von Mazarin verfolgt wird wie ein gehetztes Wild, scheint die Luft von Rom auf einmal ungesund und den Boden brenzelig gefunden zu haben unter seinen Füßen. Und ohne einer Seele seine Absichten zu verraten, hat er die Stadt des Papstes verlassen.
Über diese Nachricht geriet unser Hof in eine Aufregung, die man lächerlich finden könnte. Man muß im Staatsrat meinen armen Vetter für eine gewaltige Macht einschätzen, um eine solche Furcht vor ihm an den Tag zu legen. Du mein Gott, der gebeugte Mann würde Frankreich sicherlich nicht auf den Kopf gestellt haben, wenn man ihm die Rückkehr in seine Diözese erlaubt hätte. Aber Mazarin ist nicht der Mann, zu vergeben oder zu vergessen. Er hat unter dem Datum des 14. September im Namen des Königs ein Edikt erlassen, dessen Stil an die schlimmste Zeit der Liga erinnert. Hier eine Stelle daraus zu Eurer Ergötzung.
»Und also, und in Übereinstimmung mit Ihren »früheren Erlassen vom 20. August 1654 bei Gelegenheit der Flucht des genannten Kardinals aus der Festung zu Nantes:
verordnet Seine Majestät heute und läßt ausdrücklichen strengen Befehl ergehen an alle Ihre Statthalter in den Provinzen, alle Ihre Gouverneure in den festen Plätzen und sonstigen Städten oder deren Stellvertreter, an alle Stadtrichter und deren Schöffen, an alle Barone, Grafen und sonstige Schloßherrschaften mit eigener Gerichtsbarkeit, in deren Gebiet der genannte Kardinal sich allenfalls betreffen läßt:
denselben festzunehmen und in sichere Haft und Verwahrung zu bringen, bis Seine Majestät, von solcher Inhaftierung benachrichtigt, weiteres über die Person des genannten Kardinals verfügen wird.
Befiehlt solches Seine Majestät unter Androhung der Strafe des Hochverrats und öffentlicher Empörung für alle diejenigen:
die den Aufenthaltsort des genannten Kardinals wissen und ihn verheimlichen oder die in der Lage und Machtvollkommenheit sind, ihn zu verhaften und es unterlassen oder sich weigern, andern hiebei ihren Beistand zu leisten.
Insonderheit und mit allem Nachdruck untersagt und verbietet Seine Majestät allen ihren Beamten und Untertanen, welchen Grabes, Standes und Lebensunterhalts sie sein mögen: dem genannten Kardinal von Retz irgend Beistand, Hilfe und Unterkunft zu gewähren, aus welchen Gründen und Vorwänden dies auch geschehen möge;
untersagt und verbietet:
mit dem genannten Kardinal Beziehungen, welcher Art sie es seien, mittelbare oder unmittelbare, zu unterhalten, Briefe von ihm zu empfangen und weiter zu geben. Befehle von ihm anzunehmen oder auszuführen, bei Verlust, im Fall Zuwiderhandelns, von Amt, Würde, Grad, Namen, Einkommen und Besitztum für alle spätere Zeit im ganzen Umfang des Königreichs ...
Et caetera.
Nun, wie findet Ihr das? Und da wollt Ihr Euch über Verfolgung beklagen, weil der König im Augenblick gerade nicht auf Eure geistreiche Gesellschaft erpicht ist.
Ich füge nur noch hinzu, daß das schauderhafte Edikt seine Wirkung nicht verfehlt hat. Um ein Haar wäre der Kardinal zu Lyon verhaftet worden. Er entkam mit knapper Not seinen Häschern und soll sich von Lyon aus in die Schweiz und von dort nach Deutschland geschlagen haben. Niemand weiß Sicheres über seinen Aufenthalt ...
(Folgen eine Reihe von persönlichen Mitteilungen.)
*
Franz von Praßburg, Fürst-Bischof von Konstanz
an die Fürstin Anna von Rohan-Guemené
zu Paris.
Schloß Meersburg bei Konstanz,
den 13. November 1656.
Hohe Fürstin!
Mit Gegenwärtigem beehre ich mich, dero Brief vom siebenten currentis zu beantworten.
Eure Hoheit erlaube mir historisch zu verfahren. Es war am 28. September, als sich ein französischer Edelmann, der sich Marquis von Clisson nannte, bei mir melden ließ. Derselbe überreichte mir ein Schreiben von dem Erzbischof von Lyon, worin erzbischöfliche Gnaden mich baten, dem Überbringer, einem von Kardinal Mazarin verfolgten politischen Flüchtling, gastliche Aufnahme und jede Art Vorschub zu gewähren, soviel in meiner Kraft stünde. Ich gab also dem Ankömmling Wohnung bei mir im Schloß und stellte ihm meine Dienste zur Verfügung. Selbstverständlich mied ich jede indiskrete Frage, es dem Freunde überlassend, was und wieviel er mir von seinen Umständen vertrauen wollte. Aber nie kam ein Wort über die eigenen Angelegenheiten über seine Lippen. Um so interessanter waren seine farbenreichen und lebhaften Erzählungen von Paris und dem französischen Hofe, seine Urteile über die Politik des Kardinal-Ministers, seine Schilderungen höchster Persönlichkeiten, des Kardinals Richelieu selig, den er noch gekannt hatte, der Königinmutter, Anna von Österreich, des verstorbenen Königs und andere: also daß ich mich im Herzen beglückwünschte, einen so wenig langweiligen Hausgenossen erhalten zu haben.
Noch nie war meine Tafel so reichlich mit Witz und Geist, ja Philosophie gewürzt worden, als es durch diesen von Gestalt so unansehnlichen Franzosen geschah, den man nach seiner gelblich braunen Hautfarbe und dem tief in die Schläfe und Stirn hineingewachsenen gekräuselten Schwarzhaar eher für einen Italiener gehalten hätte. Er erregte manchmal ein geheimes Lächeln bei meinen Kommensalen durch die Art, wie er infolge ungewöhnlicher Kurzsichtigkeit beim Zulangen oft neben die Schüssel tappte, wie auch dadurch, daß er bei jedem Schluck Wein unwillkürlich eine Grimasse schnitt, da das Gewächs unserer Hügel am See bei seinen sonst vortrefflichen Eigenschaften in manchen Jahrgängen etwas sauer ausfällt. Im übrigen entzückte unser Gast alle Welt durch die vollendete Höflichkeit und Höfischkeit seiner Manieren.
Und so weit war alles gut, bis eines Tages, der Fremde war noch keine ganze Woche bei uns, mein empörter Hausverwalter über das Betragen des sogenannten Herrn Marquis gegen seine erst sechzehnjährige Tochter heftige Klagen führte und dabei Dinge vorbrachte, die ich nicht anders als empörend finden konnte.
Was sollte ich tun? Nach reiflicher Überlegung entschloß ich mich, meinen Gast in aller Höflichkeit und Rücksichtnahme zur Rede zu stellen. Er wollte erst mit frivolen Scherzen ausweichen, und als ich darauf nicht einging, wurde seine Entgegnung hochmütig, respektwidrig, ja zynisch. Ich fühlte mich verletzt. Ich ließ ein Wort fallen von mißbrauchtem Gastrecht. Kurz, wir schienen uns einer den andern gründlich mißzuverstehen. Der Herr Marquis wollte sich wohl zuletzt entschuldigen, aber noch in seine Entschuldigung mischte sich so viel Hohn und Ironie, daß mir nichts übrigblieb, als ihm den Rücken zu kehren und ihn stehenzulassen. Er hat dann noch in derselben Stunde mein Schloß verlassen und in einem Gasthaus der Stadt Wohnung genommen. Am andern Morgen aber ist er mit Extrapost in der Richtung auf Ulm oder Augsburg abgereist.
Und nun möge Eure fürstliche Hoheit sich vorstellen, in welches Erstaunen mich dero Brief und dessen Anfrage versetzt hat. Verzeihen Eure Herrlichkeit, aber wirklich, wenn ich denken soll, wie dero Brief und Frage nahelegt, wenn ich denken soll, jener achttägige Tischgenosse mit seinen zwar unübertrefflich gewandten Manieren, doch ohne jedes Anzeichen von Würde (von seiner geringfügigen Gestalt und nach innen gewandten Knien nicht zu reden) sei ein Träger des Purpurs, sei ein Kardinal und Fürst der Kirche gewesen, so schwindelt mir der Kopf. Ich sage nicht mehr. Da Eure fürstliche Hoheit Seine Eminenz den Herrn Kardinal von Retz und Erzbischof von Paris ja von Angesicht zu Angesicht kennen, werden Hochdieselben am besten ermessen, wie das hier gegebene Konterfei mit der erhabenen Person genannter Eminenz (ich will es nicht hoffen) übereinstimmt. Ich habe die Ehre usw.
Bleistift-Anmerkung der Empfängerin unter diesem Brief: Oh, du plumper Esel von einem deutschen Bischof.
*
Der Kardinal von Retz an die Marquise von Sévigné.
Köln (ohne Datum).
Meine liebe Base und verehrte Freundin.
Nach langem Schweigen sehe ich mich heut' in der Lage, Euch durch eine sichere Gelegenheit dieses Paket zukommen zu lassen. Mein ehemaliger römischer Sekretär, der Priester Charier, hat mir von Seiner Heiligkeit dem Papst ein persönliches Schreiben überbracht und kehrt mit Briefen und Aufträgen von mir nach Rom zurück. Er wird den Weg über Paris nehmen und Euch Gegenwärtiges eigenhändig zustellen.
Die letzte sichere Nachricht, die Ihr über mich erhalten habt, war wohl die über meinen Aufenthalt in Lyon. Wie ich vernahm, ist damals in Paris bereits das Gerücht von meiner Verhaftung eingelaufen. Dasselbe war zum Glück falsch. Ich bin im letzten Augenblick und mit heiler Haut nach der Schweiz entkommen. Acht Tage genoß ich die Gastfreundschaft des Bischofs von Konstanz. Von dort wandte ich mich nach Augsburg, wo ich ein wenig zu meinem und der andern Vergnügen den skrupellosen französischen Abenteurer und Tausendsassa spielte, hierauf nach Ulm und bin endlich, kurz vor Ostern, hier gelandet. Ich besitze seit Jahren am hiesigen Domstift ein Kanonikat, das zweitausend Taler trägt, wovon ich in meiner Zurückgezogenheit zur Not leben könnte, wenn andere Hilfsmittel ausbleiben sollten.
Zu erkennen gegeben habe ich mich bis jetzt bloß dem Kanonikus Valraf, der mir auch in seinem Hause Wohnung gegeben, und dem Kurfürsten, der mir in einer geheimen Audienz auf seinem Schloß Brühel jede nur mögliche Diskretion zuzusagen geruhte.
Eine freudige Überraschung wurde mir hier zuteil. Vor vierzehn Tagen war's, als sich eine Dame aus Paris bei Herrn von Valraf meldete und den Herrn Marquis von Clisson zu sprechen begehrte. Das ist nämlich mein Name hier. Und die Dame? Ratet einmal. Aber nein, Ihr würdet doch nicht darauf kommen. Die Fürstin von Rohan-Guemené war's. Ich hatte ihr geschrieben, und unter dem Vorwand, den Brunnen von Spaa zu gebrauchen, hat sie es möglich gemacht, mich hier zu besuchen. Welche Freude mir dadurch wurde, brauche ich Euch nicht erst zu sagen. Sie hat auch dem Kurfürsten ihre Aufwartung gemacht, der sie wie eine Potentatin feierte.
Acht Tage hat ihr Aufenthalt hier gedauert. Welch eine Erquickung für einen armen Verbannten wie ich. Sie selber war von bester Laune und Gesundheit, und was mich über alles erfreute: sie hat ihren Vorsatz, sich in das Kloster von Port-Royal zurückzuziehen, endgültig aufgegeben. Der fürchterliche Abt von Cyran und der jansenistische Herr Arnauld von Andilly, die beide jetzt die seltsamen Nonnen von Port-Royal zusammen regieren, scheinen die gute Fürstin allzu rüde behandelt zu haben. Sie bedachten nicht, daß der willigste Bogen zerspringt, wenn man ihn allzu straff spannt. Und so ist meine Fürstin für die Welt zurückgewonnen, als welche, nämlich die Welt, im andern Fall wirklich allzuviel verloren hätte. Diese Nachricht wird Euch freuen, verehrte Base, die Ihr durch Euer Leben den Beweis führt, daß man auch ohne Haarabschneiden, Asche auf dem Haupt und ähnlichen äußerlichen Firlefanz eine Heilige sein kann.
Weiß man zu Paris, daß der vertriebene König von England sich hier aufhält? Ich sehe Seine Majestät öfter und war schon einigemal in der Lage, Ihr nützliche Ratschläge zu erteilen. Ja, ich darf wohl hoffen, in dem Monarchen einen Freund gewonnen zu haben, wenn auch auf die Dankbarkeit eines Königs kein allzu großer Verlaß ist.
Durch einen höchst seltsamen Zufall – wahrscheinlich steckt die Verräterei seines Sekretärs dahinter – ist mir die Kopie eines merkwürdigen Billetts von seiten des Königs an die Pfalzgräfin zu Heidelberg in die Hände gekommen, das ich hier der diskretesten Person der Welt gern mitteile, weil es den König intimer charakterisiert als noch so lange Reden. Es lautet:
Köln, den 20. Juli.
Meine teure Base! Mit großer Genugtuung erfuhr ich aus Eurem Brief, daß Ihr die Güte haben wollt, mir künftig öfter hierher zu schreiben. Wahrlich, Eure Briefe werden mir ein großer Trost sein und Ihr werdet mich damit zu ewiger Dankbarkeit verpflichten. Ich werde auch nicht verfehlen, Euch fleißig zu antworten. Aber da es unmöglich ist, zu schreiben, ohne hie und da Namen zu nennen und von Dingen zu sprechen, die nicht jedermann erfahren soll, so bitte ich Euch, mir eine Chiffre zu schicken, von der ich dann im gegebenen Fall Gebrauch machen werde.
Für heute gibt es nichts neues. Dieses Köln ist eine triste Stadt. Sie hat augenblicklich an Ödigkeit wohl nicht ihresgleichen in der Welt, und ich bin überzeugt, daß die Königin Maria Medici, die hier vor zwanzig Jahren ihr Leben in der Verbannung geendet hat, an keiner andern Krankheit als der Langeweile gestorben ist. Ich habe den ganzen verflossenen Winter hier nicht zweimal getanzt. Die Wahrheit zu sagen, sind die Damen und die Musik gleich weit entfernt von der Vollkommenheit und recht geeignet, einem den Tanz auf ewig zu verleiden. Ihr könnt Euch also vorstellen, wie ich mein Leben hinbringe in dieser gottverfluchten Stadt, wo Trinken und nichts als Trinken jedes andere Vergnügen ersetzen muß. Genug. Ich will Euch nicht weiter belästigen, als Euch meiner tiefsten Ergebenheit zu versichern, womit ich mein Leben lang verbleibe
Euer
allerdemütigster und allergehorsamster Diener
Carolus Rex.«
Was sagt Ihr dazu, teuerste Freundin? Ein König, den man aus seinem Reich verjagt hat und der in der Verbannung nichts so sehr beklagt als seine gewohnten Tanzvergnügen entbehren zu müssen! Welch kleine Seele doch oft in Männern steckt, die das Schicksal für Königsthrone bestimmt hat.
Und nun den weitern Inhalt meines Pakets betreffend. Das sind zwei Briefe, einer an Seine Majestät, der andere an die Königinmutter. Ihr habt wohl die Güte, beide eigenhändig dem Herzog von Montausier zu übermachen, der sie an die hohen Adressaten weitergeben wird.
Wie heiß mich verlangt, von Euch zu vernehmen, will ich nicht erst versichern. Adressiert Euren Brief an den Marquis von Clisson, zu bestellen durch den Herrn Kanonikus von Valraf, Köln. Ich hoffe, Ihr erquickt auf diesem Wege recht bald
Euren ewig ergebenen Diener
Kardinal von Retz
Erzbischof von Paris.
P. P.
Durch den Priester Charier, den Überbringer dieses, hat mich der Kardinal Mazarin abermals wissen lassen, daß der König nur unter der Bedingung meiner Verzichtleistung auf den erzbischöflichen Stuhl von Paris in meine Rückkehr nach Frankreich willigen wolle. Diesem Willen Seiner Majestät kann ich persönlich auf die Dauer wohl nicht entgegen sein; aber ich hoffe sicher, daß der Papst meine Verzichtleistung niemals annehmen wird.
*
Der Kardinal von Retz an die Marquise von Sévigné.
Commercy, 19. Juni 1662.
Liebe Base und verehrte Freundin! Seit meiner freiwilligen Verzichtleistung auf den Stuhl von Paris (daß ich als Ersatz dafür die altehrwürdige Abtei von St. Denis erhalten habe, werdet Ihr gehört haben) hoffte ich von Tag zu Tag auf das Glück Eurer Umarmung; aber meine Reise nach Paris scheint sich ins Unabsehbare verzögern zu wollen. Der König will nicht, daß ich eher nach Paris komme, um mich ihm zu Füßen zu werfen, als bis mein Nachfolger, der seitherige Erzbischof von Toulouse, von der Kirche zu Paris in aller Form Besitz ergriffen hat. Dies kann er nicht vor Eintreffen der päpstlichen Bullen, und in Rom scheint man damit keine Eile zu haben, wie es schon den Papst nicht wenig gekostet hat, meinen Verzicht überhaupt zu genehmigen.
Und so muß ich schon Gott danken, daß Seine Majestät mir einstweilen den freien Aufenthalt in meinem Fürstentum Commercy zu gestatten die Gnade hat. Von dem Kummer abgesehen. Euch nicht früher sehen zu dürfen, langweile ich mich hier nicht. Die Ordnung meiner weltlichen Geschäfte nimmt einen großen Teil meiner Zeit in Anspruch. Täglich gehe ich auf die Jagd. Und außerdem baue ich mein Schloß hier fast neu. Es wird schön, Ihr müßt es sehen. Was meint Ihr? Wahrlich, das wäre ein genialer Einfall, die kleine Reise zu unternehmen und mich plötzlich hier zu überfallen. Geht es nicht?
Einstweilen umarmt Euch aus der Ferne
Euer allerergebenster Diener
der Kardinal von Retz.
*
Die Marquise von Sévigné an die Gräfin von Grignan ihre Tochter.
Paris, in meinem Hause Kernevenoy,
9. März 1675.
Ich habe Dir, geliebte Tochter, bereits vor einiger Zeit mitgeteilt, daß unsere gute Eminenz dero Residenz in ihrer Abtei von St. Denis verlassen und hier im Palast Lesdiguières bei ihren Verwandten Wohnung genommen hat, wo ich sie meistens zweimal in der Woche besuche. Leider steht es nicht zum Besten mit der Gesundheit des verehrten Kardinals. Man sucht ihn aufzuheitern, so gut es gehen mag. Am verflossenen Samstag hat ihm Meister Poquelin seine neuste Komödie vorgelesen, »die gelehrten Frauen« betitelt, welches eine sehr lustige Sache war. Vorher las Despréaux ein Kapitel aus seiner Poetik und erhielt dafür von Seiner Eminenz die schmeichelhaftesten Komplimente.
Derartige weltliche Lektüre gönnt sich der Kardinal in neuerer Zeit jedoch nur selten. Häufiger als unsere Poeten und Komödienschreiber findet man die Herren von Port-Royal bei ihm. Herr Nicole, der Intimus unseres großen Pascal, ist fast sein täglicher Gesellschafter. Herr Arnauld scheint ihn überhaupt nicht zu verlassen, er ist jetzt der ständige Gewissensrat des Kardinals.
Die Politik der Jansenisten hat Seine Eminenz ja immer vertreten, und nun, da er allen weltlichen Ehrgeiz in sich abgetötet, vertraut er ihnen auch sein Seelenheil, mit dem er es mehr und mehr ernst nimmt seit seiner Rückkehr aus dem Exil und seiner Verzichtleistung auf den erzbischöflichen Stuhl von Paris. Die Herren von Port-Royal sind auch nicht wenig stolz auf seine Bekehrung. Nur scheint mir, daß sie etwas allzuviel Aufsehen davon machen. Solche intime religiöse Angelegenheiten sollte man bescheidener behandeln. Aber Bescheidenheit in religiösen Dingen war freilich zu aller Zeit – wie der närrische Lafontaine sagen würde – der geringste Fehler der Herren Jansenisten und Bewohner jenes neuen Jerusalem, das sich Port-Royal nennt.
Wie ernst es dem Kardinal selber mit seiner religiösen Umwandlung ist, hat er dadurch vor aller Welt an den Tag gelegt, daß er sich sogar des Purpurs begeben wollte. In diesem Sinn hat er vor etlichen Monaten an den Papst geschrieben. Clemens X. hat jedoch die Verzichtleistung nicht angenommen. Seine Heiligkeit hat dem Kardinal in einem eigenhändigen Breve mit wahrhaft väterlicher Güte vorgehalten, daß Sie den Kardinalshut unmöglich als ein Hindernis zur wahren Frömmigkeit anzusehen vermöge, und also sich nicht in der Lage sehe, der demütigen Bitte des geliebten Sohnes diesmal willfahren zu können.
Über all dem vergaß der Kardinal nicht, seine weltlichen Angelegenheiten zu ordnen. Er hat im Verlauf der letzten Monate nicht viel weniger als vier Millionen Schulden bezahlt, denke, vier Millionen, das ist ein Wort. Denn wer außer ihm war auch je imstande gewesen, über einen solchen Riesenkredit so leichthin zu verfügen.
Und wie peinlich es der Kardinal nahm mit seinen Verpflichtungen. Er konnte sich leider nur dadurch aus den ungeheuren Schwierigkeiten herauswirren, daß er nicht nur seine souveränen Herrschaften von Dun-sür-Menuse, von Commercy und Eurville, also sein ganzes Erbteil der Familienapanage verkaufte, sondern auch auf Jahre hinaus die Einkünfte der Abtei von Saint-Denis verpfändete, die ihm der König erst kürzlich als Entschädigung für seine Verzichtleistung auf den erzbischöflichen Stuhl von Paris verliehen hatte. Nur eine elende kleine Stadt an der Maas, das alte St. Mihiel hat er sozusagen als Altersteil zurückbehalten, – eine Besitzung, die ihm kaum eine Rente von zwanzigtausend Livres abwirft. Da wird er sich in Zukunft sehr einschränken müssen, besonders wenn man seinen geradezu königlichen Hang zur Freigebigkeit in Betracht zieht, worauf er am wenigsten verzichten mag.
Einen sehr ärgerlichen Eindruck macht eine kleine Schrift des Herrn von Rochefouquauld, die man zwar nicht gedruckt hat, die aber in verschiedenen Abschriften hier zirkuliert. Der berühmte Verfasser und Feinschleifer der moralischen, in Wahrheit recht unmoralischen »Maximen«, der allerdings nie zu den Freunden des Kardinals gehörte, will in dieser Schrift das Porträt unserer Eminenz gezeichnet haben. Sein Libell ist aber weniger ein Porträt als ein Pamphlet. Folgendermaßen fängt es an:
»Paul von Gondy, Kardinal von Retz, hat unleugbar einen hohen und ausgebreiteten Geist; aber seinem Anspruch auf Größe entspricht nicht ein wirklich großer Charakter. Er verfügt über keine gemeine Beredsamkeit: doch verrät sein Stil mehr natürliche Kraft als die Feinheit einer höheren Schulung. Er ist im Verkehr mit den Menschen von großer Freiheit und Leichtigkeit. Von der Religion achtet er nur den Schein; wahre Frömmigkeit ist ihm ein unbekanntes Ding. Die Welt hält ihn für sehr ehrgeizig, er ist es aber viel weniger als man glaubt. Einzig seine Eitelkeit trieb ihn zu jenen großen und gefährlichen Unternehmungen, die so wenig zu seinem geistlichen Stand paßten und womit er das Feuer eines langjährigen und furchtbaren Bürgerkriegs entzündet hat, in dessen Verlauf er die Monarchie und den Staat auf ein Haar dem Untergang nahegebracht hat, ohne nur zu wissen, was er eigentlich wollte. Er hatte nie die ernstliche Absicht, den Kardinal Mazarin zu stürzen und sich an seine Stelle zu setzen; er gefiel sich bloß darin, durch Jahre hindurch den furchtbaren Gegner eines Mächtigen zu spielen ...«
Genug davon für heute. Sobald ich eine Abschrift des gehässigen Machwerks erhalten kann, werde ich sie Dir mitteilen. Es stehn immerhin kuriose Sachen darin.
Leider wird uns der Kardinal bald verlassen. Er ist fest entschlossen, sich nach seinem St. Mihiel zurückzuziehen, wo er seinen Lebensabend mit stiller literarischer Tätigkeit auszufüllen gedenkt. Seine Gegenwart entbehren zu müssen, wird mir ein großer Schmerz sein. Es waren immer wahrhaft religiöse und erbauliche Stunden, die ich bei ihm zugebracht habe. Dich läßt unser Freund seiner tiefsten Ergebenheit versichern. Adieu, Liebste, hoffentlich hör' ich recht bald von Dir.
*
Die Marquise von Sévigné an ihre Tochter,
die Gräfin von Grignan.
Paris, Palast Kernevenoy, 19. Juni 1675.
... Zuletzt noch ein Wort von unserm armen Kardinal. Er hat uns also endgültig verlassen. Diesen Schmerz zu überwinden, wird mir nicht leicht fallen.
Und unvergeßlich wird mir die Stunde seines Abschieds bleiben. Am letzten Montag riß er sich von uns los. Da er sich hier der Menge so vieler Zudringlichen und Überlästigen nicht erwehren konnte, beschied er uns, die Fürstin Rohan-Guemené und mich, nach Schloß Caumartin, wo wir seine intimsten Freunde beisammenfanden, außer dem Marquis von Caumartin, den Herzog von Brissac und den Grafen von Haqueville. Auch die Heilsvertreter und Schulmeister Gottes von Port-Royal, Herr Arnauld und Herr Nicole, waren gegenwärtig. Sie schienen mir alle sehr betrübt. Ich selber hatte große Mühe, die Tränen zurückzuhalten, während mich Seine Eminenz mit großer Güte und Zärtlichkeit umarmte, ohne jedoch einen Augenblick die Selbstbeherrschung zu verlieren. Nach Tisch machte ich mit dem Kardinal einen Gang durch den Park. Ich vermag es gar nicht auszudrücken, wie mich seine Güte rührte. Eine zartsinnige Frömmigkeit war die Seele unserer Unterhaltung.
Fast zwei Stunden blieben wir allein, dann stieß die Fürstin zu uns, die, eben aus Paris angekommen, in den Park geeilt war, uns zu suchen. Der Kardinal nennt sie seine älteste und mich seine jüngste Freundin. Meine Absicht war, am Abend nach Paris zurückzukehren, aber man redete mir zu, die Nacht zu bleiben. Ich fand kaum Schlaf vor großer Betrübnis. Am Morgen umarmte ich den Kardinal unter heftigen Tränen, ohne eines Wortes mächtig zu sein, und traurig kehrte ich nach Paris zurück, wo es noch eine lange Zeit kosten wird, mich meiner Niedergeschlagenheit zu entreißen.
Er hat mir übrigens nicht alle Hoffnung genommen, ihn wiederzusehen, und Dir soll ich alles Schöne und Liebe von ihm sagen. Du brauchst Dir auch, wenn Du ihm schreibst, keinen Zwang anzutun. Laß dich's nicht anfechten, wenn Dir von Zeit zu Zeit eine Tollheit aus der Feder fließt. Die spaßhaften Dinge gefallen ihm immer noch ein wenig. Er ist der Ansicht, daß nichts langweilig sein darf, auch nicht die Frömmigkeit.
*
Die Marquise von Sévigné an die Gräfin von Grignan.
Zu Schloß Livry, Samstag, den 3. Juli 1675.
Liebste Tochter! Diese Freude. Ich habe einen langen Brief von unserem Kardinal erhalten. Tausend Jahre der fürchterlichsten Einsamkeit, so schreibt er, könnten ihn nicht dahin bringen, die Freundschaft zu vergessen, die er uns zugeschworen hat.
Er ist übrigens sehr zufrieden von dem Empfang, der ihm zu St. Mihiel zuteil geworden. Das ganze Volk lag bei seinem Einzug auf den Knien; in den Kirchen sang man das Tedeum, von allen Türmen läuteten die Glocken. Wie einen Heilsbringer von Gott gesandt, begrüßte ihn die arme Bevölkerung. Das Regiment Grammont stand gerade in der Stadt; sein Oberst, der junge Herzog von Luynes ließ Seiner Eminenz sagen, daß er ihr zu Ehren den Ort freigebe und sich anderwärts Quartier suche.
Du mußt Dir aber nun den Kardinal nicht in einem pompösen Schlosse wohnend vorstellen. Pompös war das Schloß von St. Mihiel wohl nie, und heut' ist es längst unbewohnbar. Der Kardinal wohnt in der Propstei der dortigen Benediktiner, die zu seiner Abtei von St. Denis gehören. Er residiere, schreibt er, geringer wie der geringste Chorherr, und nur seine Pferde und seine Karosse habe er mit Rücksicht auf den Purpur beibehalten. In alledem befürchte ich nur, daß er bei seinem Hang zur Faulheit ohne richtige Beschäftigung bleiben wird und daß darunter seine Gesundheit leidet, da seine Vollblütigkeit bei dem etwas kurz geratenen Körper ihn ohnedies zu apoplektischen Zuständen disponiert ...
*
Die Marquise von Sévigné an die Gräfin von Grignan.
In den Bädern von Vichy, am Dienstag,
den 7. August 1675.
Nachdem ich gestern abend gesund und wohl hier angekommen bin, muß ich Dir ohne Umschweife heute zu allererst melden, daß ich meine Hierherreise dazu benützt habe, den Kardinal unterwegs zu besuchen, von dessen fortdauernder Freundschaft ich Dich versichern soll. Meine Befürchtungen wegen seiner Gesundheit sind nun gänzlich zerstreut. Ich fand ihn frisch und rührig. Er führt den erbaulichsten Lebenswandel, wohnt täglich den Metten bei und speist alle Fasttage mit den Mönchen im großen Refektorium. Im übrigen ist er mit zwei gelehrten Benediktinern zusammen beschäftigt, die Genealogie seines Hauses aufzustellen. Wie lang ihn wohl die trockene Arbeit interessieren wird? Befriedigen kann sie ihn unmöglich, und ich habe ihm nahegelegt, die Geschichte seines Lebens zu schreiben, die er der Nachwelt schuldig sei. Nimm auch Du gelegentlich in Deinen Briefen Veranlassung, ihn darauf hinzuweisen.
Hast Du ihm schon über den verhängnisvollen Tod des großen Turennes ein Wort geschrieben? Diesen und den Kardinal habe ich immer als die zwei Männer betrachtet, die, ohne Rücksicht auf ihre äußerliche Stellung, allein durch Seelengröße alle ihre Zeitgenossen überragt haben, und so steht nun, seit dem plumpen Werk jener Kanonenkugel von Sasbach, der Kardinal allein auf der seltenen und einsamen Höhe. Hoffen wir. daß der gottbegnadete Mann auch seine Weltrolle noch nicht ausgespielt habe.
*
Der Kardinal von Retz an eine ungenannte hohe Dame am Hof.
St. Mihiel, 24. Juni 1675.
Schöne Frau! In tiefster Seele geliebte Freundin!
Sollte Euch vielleicht irgendein Schulmeister einmal erklärt haben, was das lateinische Wort plaudite bedeutet? » Plaudite«, »klatscht Beifall«, rief in der römischen Komödie der abtretende Schauspieler dem Volk entgegen.
Ihr lächelt, schöne Freundin? Ihr versteht mich?
Plaudite! Ich habe es hundertmal im Herzen ausgerufen seit meinem Weggang von Paris, der die Hauptstadt des allerchristlichsten Königs in so frommes Erstaunen versetzt hat.
Wie doch die Welt leicht zu betrügen ist! Allerdings, ich rechne mich nicht zu den mittelmäßigen Schauspielern. Nur fand ich die Komödie manchmal etwas langweilig.
Aber der Mensch gewöhnt sich an alles, und zuletzt hatte ich sogar meinen Spaß daran.
Ob ich zwar die Herren Jansenisten wirklich getäuscht habe? Zur Gattung der Einfältigen gehören diese Leute ganz und gar nicht. Ich hatte Zeit genug, sie kennen zu lernen. Eine herrschsüchtige Politik ist doch zuletzt der wahre Untergrund ihrer gleißnerischen Religiosität. Sie gaben sich den Anschein, an meine Bekehrung zu glauben, und sie machten davon ein lautes Geschrei vor dem Volke, weil es ihren Parteiinteressen so paßte: aber sie sind noch viel geriebenere Schauspieler als meine Wenigkeit, Verzeihung, meine Eminenz wollte ich sagen. Denn der Papst hat ja meinen Verzicht auf den wunderbaren Titel nicht angenommen. Er hat mir aus der Logik und aus der Geschichte bewiesen, daß man auch unter dem Kardinalshut ein Heiliger werden könne.
Dieser römische Augur, ich hätte sein Lächeln sehen mögen, womit er seine Worte, triefend von väterlicher Milde, er nennt sich nicht umsonst Klemens, niedergeschrieben hat.
Ich wußte ja zum voraus, daß man meine Verzichtleistung nicht annehmen werde. Der Fall war ja noch nicht da. Welch ein Verdienst darum, sie anzubieten?
Aber, verehrungswürdige Frau, wenn nach all dem mein Geruch der Heiligkeit ein wenig verdächtig scheint, mein Ruf eines ehrlichen Mannes ist dafür um so begründeter. Ich habe wirklich alle meine Schulden bezahlt. Dafür bleiben mir auch von meinen Einkünften kaum zwanzigtausend Livres Renten. Sie sind zwar mehr als genug für mich, dagegen für meine Freunde, Gott erbarm's.
Gewünscht hätte ich nur, daß Eure Schönheit gestern bei meinem Einzug hier zugegen gewesen wären.
Es geschehen also noch Zeichen und Wunder. Auf den Knien liegend, wie einen wahrhaftigen Heiligen, hat mich die ganze Stadt empfangen. Vergeblich würde ich nach Worten suchen, diesen Jubel des Volkes zu beschreiben. Wie den göttlichen Heiland empfingen sie mich. Daß sie nicht ihre Kleider vor mir her auf den Weg breiteten, daß sie nicht Palmenwedel schwangen und mir das biblische Hosianna entgegenriefen, war alles.
Ich kam dennoch nicht auf einer Eselin geritten, sondern bequem in meiner Staatskarosse mit dem Sechsgespann. Denn, notabene, ich muß doch dem Purpur Ehre machen, dessen man mich nicht entledigen wollte; auch wurde es mir wirklich zu langweilig, die Rolle des Büßers auch hier noch fortzusetzen.
Ihr möchtet vielleicht wissen, wie ich mich von meinen Freunden getrennt habe. Auf dem Landhaus des Herrn Marquis von Caumartin, dem Schauplatz so mancher jansenistischen Kabale, wovon aber jetzt keine Rede war, haben wir den Abschied gefeiert. Die Fürstin von Rohan-Guemenée und die Marquise von Sévigné haben mir die Ehre ihrer Gegenwart erwiesen. Nicht ohne schmerzliche Wehmut sah ich mich beiden zum erstenmal gleichzeitig gegenüber, der Geliebten meiner jungen Jahre und der frommen Trösterin meines Alters, beide tief erschüttert, als sie mich zum Abschied umarmten.
Aber da merke ich, wie ich selber weichmütig werde. Lebt wohl, schöne Frau.
*
Der Kardinal von Retz an die Ungenannte.
St. Mihiel, 17. April 1676.
Ihr seid wohl sehr sicher, schönste der Frauen, daß man Euch keine Bitte, welche es sei, versagen kann. Die Eurige hat mich diesmal wirklich erschreckt. Ihr wünscht, daß ich Euch die Geschichte meiner Jugend erzähle. Wißt Ihr auch, was Ihr von mir verlangt?
Ich soll selber meinen guten Ruf vernichten, ich soll selber den Schleier hinwegziehen und die ungeheuren Fehler aufdecken, die ein launischer Glücksstern mich begehen ließ und die der Welt bis jetzt nur zum geringsten Teil bekannt sind ...
Denn wenn ich schreiben soll, muß ich aufrichtig sein dürfen. Der Beschöniger meiner selbst mag ich nicht sein. Ich werde also, da ich doch nicht anders kann als Euch zu gehorchen, meinen Namen über die Schrift setzen, um mich vor mir selber zu verpflichten, in allem und jedem, bis in die geringste Kleinigkeit hinein, nur die ungeschminkte Wahrheit zu sagen, nichts auszulassen und nichts hinzuzufügen. Vielleicht werdet Ihr dabei das seltsame Schauspiel erleben, daß ein Mann häßlichere und bösere Dinge von sich berichtet, als ihm seine schlimmsten Feinde je nachgesagt haben.
Ein ganz falscher Ehrbegriff und eine noch falschere Bescheidenheit sind die beiden Klippen, an denen bis jetzt so viel wie alle gescheitert sind, die es unternommen haben, ihr eigenes Leben zu beschreiben. Fast nur Cäsar macht eine Ausnahme. Und verwundert Euch nicht, schöne Frau, daß ich mein Unternehmen mit dem Unternehmen eines so Großen vergleiche: diese Unbescheidenheit, wie die Einfältigen so etwas nennen, ist durchaus ein notwendiger Bestandteil der Aufrichtigkeit, die, wie ich hoffe, meine Bekenntnisse vor vielen andern auszeichnen soll und die mich verpflichtet, meine Verdienste ebenso offen zu bekennen wie meine Fehler.
Unbescheiden von sich denken, aber bescheiden von sich reden ist die feigste von allen Heucheleien.
Und so hoffe ich, wenn mir Gott die Gesundheit erhält, schon in einigen Wochen ein erstes Heft meiner Jugendgeschichte in Eure schönen Hände gelangen zu lassen. Einstweilen, verehrte Frau, bewahrt mir Eure Gewogenheit und Liebe.