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Der Bekenntnisse viertes Stück.

Ich begann meine neue Laufbahn damit, zu St. Johann am Greveplatz das Advent zu predigen. Schon am folgenden Tage, am Feste Allerheiligen, machte ich den Anfang. Der Zulauf war außerordentlich, ja, es ist nicht zu viel, wenn ich sage, daß ich ganz Paris zu meinen Füßen sah. Das war nicht zu verwundern, denn ihren Erzbischof oder zukünftigen Erzbischof auf der Kanzel zu sehen, war ein Schauspiel, das die Pariser seit undenklichen Zeiten nicht mehr erlebt hatten.

Ich gewann mir alle Herzen und konnte daraus die Lehre ziehen, daß für einen, der eine bedeutende Laufbahn antritt, nichts wichtiger ist, als durch eine ungewöhnliche Handlung die allgemeine Aufmerksamkeit aus sich zu lenken.

Um mich auf meine Weihen vorzubereiten, zog ich mich, dem gemeinen Brauch und Herkommen folgend, in ein Kloster zurück. Ich wählte das vom heiligen Lazarus, das mein ehemaliger frommer Lehrer Vinzenz von Paul gegründet hatte, und hier erfüllte ich alle äußerlichen Vorschriften auf das peinlichste und gab jedermann das erbaulichste Beispiel.

In meinem Innern aber überließ ich mich einzig einem tiefen Nachdenken darüber, wie ich mein zukünftiges Betragen einzurichten hatte.

Meine Aufgabe war nicht leicht. Ich sah die Erzdiözese geschändet vor der Welt und vor Gott: vor Gott durch die Trägheit und Pflichtvergessenheit meines Onkels, vor der Welt durch sein unwürdiges und unstolzes Betragen gegenüber den Großen der Erde. Um hierin Ordnung zu schaffen, galt es ungeheuere Schwierigkeiten zu überwinden.

Und ich war hellsehend und ehrlich genug, um zu erkennen, daß die größten Schwierigkeiten in mir selber lagen.

Ich leugnete mir nicht, daß ein geordnetes und geregeltes Leben vor allem nötig sei, um einen guten Bischof abzugeben; ja, ich sah mich hierzu in höherem Grade verpflichtet als irgendein anderer, da ich meinen eigenen Onkel und Vorgänger fortwährend in seinen wahrhaft skandalösen Sitten als warnendes Beispiel vor Augen hatte. Zugleich fühlte ich nur zu deutlich, daß ich dessen, was meine Vernunft unumgänglich forderte, im Grunde niemals fähig sein würde.

Und nach sechs Tagen ernstlichen Nachdenkens faßte ich mit voller Seelenruhe den Entschluß, hinfort gar nicht erst mit dem Feind zu kämpfen, dem ich notwendig unterliegen mußte, sondern ohne Widerstand das Böse zu tun, aus eigenem Willen und Entschluß.

Vor Gott, das sehe ich wohl, kann es kein größeres Verbrechen geben, als ein solcher Vorsatz. In Anbetracht der Welt aber war meine Resolution eine hohe Weisheit. Mit diesem Grundsatz allein ist es möglich, den schlimmsten Folgen unserer Handlungen vorzubeugen und nicht Frömmigkeit und Laster fortwährend zu vermischen, wodurch sich so oft unser höherer Klerus zugleich lächerlich und verächtlich gemacht hat.

Das also war die heilige Frucht meiner vierzigtägigen Übungen in Gebet und Fasten. Meine Seelenverfassung war aber weit weniger tadelnswert als sie aussieht, denn ich fühlte mich durchaus bereit, die Pflichten meines Amtes gewissenhaft zu erfüllen und für das Seelenheil der andern um so mehr zu tun, je weniger mich mein eigenes in Anspruch nahm.

Den derzeitigen Erzbischof von Paris machte nichts so verächtlich, als seine Schwäche gegen die Großen.

Um so mehr liebte er es, wie das ja gemeinhin zu geschehen pflegt, gegen Geringere den Hochmütigen herauszuhängen. Er ließ in der Öffentlichkeit den geringsten Würdenträgern der Krone den Vortritt und gab im eigenen Hause niemand die Hand, mit wem er auch zu tun hatte. Ich beschloß, es umgekehrt zu machen und in meinem Hause jedermann herzlich zu behandeln, um mir so alle Welt zu verbinden und eine Stütze und einen Anhang zu schaffen, worauf ich mich bei entscheidender Gelegenheit verlassen konnte.

So lang ich dessen noch nicht sicher war, hielt ich mich von allen öffentlichen Feierlichkeiten fern, wo ich Personen von hohem Rang beteiligt wußte; dann eines Tages benützte ich die Gelegenheit der feierlichen Unterzeichnung eines fürstlichen Ehekontraktes im Palais Royal, um dem hochmütigen Guise den Rang streitig zu machen. Ich tat es mit dem besten Erfolg, denn ich hatte meine Rechte eifrig studiert und von andern studieren lassen, sie waren innerhalb der Ausdehnung meiner Diözese unanfechtbar. Ja, ich erwirkte einen Beschluß des Ministerrats bei dieser Gelegenheit, der mir den Vorrang feierlich bestätigte, und die große Zahl derer, die mir bei meinem Betragen applaudierten, bewies mir die Richtigkeit meines Grundsatzes: daß zu den Geringen herunterzusteigen das sicherste Mittel ist, sich den Großen gleichzustellen.

Ich habe Euch schon einmal bemerkt, schöne Freundin, wie mich das Glück, seitdem ich mich endlich rückhaltlos der Kirche ergeben, in auffallender Weise begünstigte. Jetzt aber gab mir die launische Göttin einen Beweis ihrer Gunst, der alle früheren übertraf.

Kurz nach meiner Konsekration – wobei mir, nebenbei bemerkt, der lächerliche Titel eines Bischofs von Korinth ( in partibus infidelium) verliehen wurde – trat zu Paris eine jener großen Versammlungen zusammen, die der französische Gesamtklerus in gewissen Zeiträumen abzuhalten pflegte und die ich weniger ein Konzilium als einen geistlichen Reichstag nennen möchte. Wie sehr ich mich in den Sitzungen dieser ebenso immensen als illustren Körperschaft bemerklich zu machen wußte, mögt Ihr aus dem Umstand schließen, daß ich nach Schluß der durch Wochen sich hinziehenden Beratungen zum Sprecher der Deputation ernannt wurde, die zum Abschied dem König die Huldigung der französischen Kirche darzubringen hatte.

Ihr könnt Euch denken, wie meine Seele jauchzte. Das war eine Rolle, wonach ich lange gelechzt.

Und ich nahm mir vor in meinem Herzen, vor dem König so zu sprechen, als nie ein französischer Bischof vor einem französischen Monarchen getan.

Der allgewaltige Richelieu, von dem die Kirche so manches Unrecht stillschweigend hinzunehmen sich gewöhnt hatte, war nicht mehr. Der neue Minister stand erst in den Anfängen seiner Laufbahn; der Moment konnte nicht günstiger sein, die Forderungen und Erwartungen der Kirche wieder einmal vor königlichen und ministeriellen Ohren mit allem Nachdruck auszusprechen.

Meine Rede, die ich an der Spitze unserer Deputation vor Seiner Majestät, dem damals siebenjährigen König, vor Ihrer Majestät der Königinmutter, vor Seiner Eminenz dem Kardinal Mazarin und dem versammelten Staatsrat vorzutragen die Ehre hatte, wurde damals im Druck verbreitet und steht wohl manchem noch heut' im Gedächtnis. Ich will darum nur wenige Stellen daraus hier anfügen.

»Sire,« so begann ich, »die Worte, die ich vor Eurer Majestät zu sprechen im Begriffe stehe, hat Hochdieselbe so zu achten, wie wenn sie von Gott selber kämen. Ja, es ist in Wahrheit Gott, der zu Dir spricht, König von Frankreich, aus dem Munde seines Dieners und Abgesandten, als welcher zugleich vor Dir erscheint im Namen der gesamten französischen Kirche. Sie ist es, die mich beauftragt hat, Dir ihren Segen aber auch Worte der Wahrheit und der Warnung zu überbringen. Gestatte darum, großer König, daß ich mit wahrhaft christlichem Freimut vor Dir rede, mit jenem Freimut, der, unbeschadet des schuldigen Respekts, jede Furcht aus meinem Herzen verbannen muß. Wohl fühle ich einige Bangigkeit in mir, so vor Dich hinzutreten, aber diese verschwindet, indem ich mir bewußt werde, daß ich, Dein Untertan, doch auch wieder zu Dir rede im Auftrag Deines Herrn, als dessen Sprecher ich hier stehe.«

Den stärksten Passus, die Steuerfreiheit der Kirche betreffend, brachte ich effektvoll am Schluß meiner Ansprache.

»Die heilige Kirche Gottes,« so führte ich aus, »kann niemals tributpflichtig sein. Nie darf der König mehr von ihr verlangen, als sie freiwillig schenken mag. Ihre Steuerfreiheit ist so alt als das Christentum selber. Durch alle Jahrhunderte haben Ihre Vorrechte bestanden, alle Jahrhunderte haben sie respektiert. Sie sind garantiert durch alle königlichen, kaiserlichen und kanonischen Gesetze. Ihre Verletzung ist von den Konzilien mit dem großen Banne bedroht. Seit dem Märtyrertod des heiligen Thomas von Canterbury, der für die Erhaltung der weltlichen Gerechtsame unserer Kirche gestorben und von Rom heilig gesprochen worden ist, kann niemand mehr an diese Gerechtsame rühren, ohne sich der verruchtesten Gottlosigkeit schuldig zu machen. Und wahrlich sind die irdischen Güter der Kirche nicht weniger heilig und unverletzlich wie die geistigen, denn sie sind ebenso nötig zu ihrem Bestand wie diese. Sie ermöglichen allein den äußeren Kultus, der zu den wesentlichen Aufgaben der Kirche gehört. Damit spreche ich nichts Geringeres aus, als einen wichtigen Artikel unseres Glaubens, bestätigt von mehreren Kirchenversammlungen. Wahrhaft unverbrüchlich ist für uns dieser Glaubensartikel, und alle Lehren und Meinungen, die auf seine Leugnung abzielen, entspringen aus Unwissenheit oder Eigennutz und führen notwendig zur Gottlosigkeit.«

Nein, schöne Freundin, ich habe vorhin nicht zu viel behauptet, wenn ich anzudeuten wagte, daß meine Rede in der Geschichte des französischen Episkopats kaum ihresgleichen haben dürfte. Die Steuerfreiheit der Kirche bei einer solchen solennen Gelegenheit vor dem König und seinem gesamten Staatsrat als einen Glaubensartikel zu proklamieren, das hat mir keiner vorgemacht.

Mein Auftreten tat auch ganz die Wirkung, die ich mir davon versprochen hatte. Der Enthusiasmus des Pariser Klerus für mich war seit diesem Tage grenzenlos.

Auch das Volk blieb nicht dahinter zurück. Es hatte seine guten Gründe, wovon alsobald die Rede sein wird.

Sogar der Kardinal schien außerordentlich mit mir zufrieden. Er sagte öffentlich aus, ich hätte mit nicht geringerem Erfolg die Würde des Königs wie die meines eigenen Standes verteidigt.

Er lud mich am Abend zu sich zum Essen, unter vier Augen. Doch daraus, was er mir hier Schönes und Schmeichelhaftes sagte, will ich keinen Wert legen. Ich mußte mich nur allzu bald von der Unaufrichtigkeit seines Betragens überzeugen.

Denn ich stand zu gut mit meinen Diözesanen, um nicht bei Hofe mit der Zeit Mißtrauen zu erregen. Meine ungewöhnliche Beliebtheit bei dem Volke von Paris galt in den Augen des emporgekommenen Italieners schon fast für ein Verbrechen.

Dazu kam als erschwerender Umstand meine keineswegs affektierte, aber immerhin sehr auffallende Freigebigkeit, die mir um so höher angerechnet wurde, je weniger ich selber ein Aufhebens davon zu machen schien. Man kann aber wohl bis zu einem gewissen Grad heimlich Wohltaten ausstreuen; wenn man dabei jedoch das Maß überschreitet, das die Menschen gewöhnt sind, so wird es mit der Heimlichkeit bald vorbei sein. Das war mein Fall.

Ich darf mir das Zeugnis ausstellen, daß meine verschwenderische Wohltätigkeit zum guten Teil aus einem eingeborenen natürlichen Hang entsprang. Doch zum andern Teil handelte ich auch, wie ich früher schon bekannte, aus rein politischer Absicht und Berechnung.

Ich wollte mir für alle Fälle im gemeinen Volk einen Rückhalt sichern.

Hatte man ein Recht, mir daraus ein Verbrechen zu machen? Durfte man folgern, daß ich den Krieg wollte, weil ich mir eine Festung baute?

Ich weiß nicht, wie die Nachwelt diese Fragen beantworten wird. Aber so viel ist gewiß, daß der Hof schon zu einer Zeit meine Handlungen zu verdächtigen suchte, wo mich, damals ganz noch dankbaren Herzens gegen die Königin, nicht der leiseste Anflug einer feindlichen Gesinnung auch nur gestreift hatte.

So sehr ist es wahr, daß das Mißtrauen häufiger irrt als das Vertrauen.

Freilich entschlüpfte mir einmal ein Wort, das klugerweise lieber ungesprochen geblieben wäre. Ein gewisser Herr von Morangis machte mir eines Tages in der Zelle des Karthäuserpriors eine wohlgemeinte Bemerkung wegen meiner übertriebenen Ausgaben in der öffentlichen Wohltätigkeit. Der Mann hatte nicht unrecht, meine Verschwendung kannte damals keine Grenzen. Aber ich antwortete äußerst unüberlegt.

»Laßt Euch deswegen keine grauen Haare wachsen,« sagte ich, »Cäsar hatte in meinem Alter sechsmal so viel Schulden als meine Wenigkeit.«

Diese allzu kühne Rede wurde durch den genannten Herrn dem Kardinal überbracht. Er soll darüber gespottet haben. Dennoch hat er sie sich gemerkt und hat mir noch nach vielen Jahren einen Vorwurf daraus gemacht.

Mit der Behinderung an einer ganz und gar unzweifelhaften und rein geistlichen Pflichterfüllung begann Mazarin seine offenen Feindseligkeiten gegen mich. – Es gereicht mir zur Genugtuung, dies hier zu betonen und ausdrücklich festzustellen. Man braucht den Fall bloß zu erzählen, damit das Unrecht des Kardinals, und zwar handelte es sich nicht um eine politische, sondern wie gesagt um eine unbestritten geistliche und moralische Angelegenheit, jedermann in die Augen springe.

Mein Onkel pflegte jeden Sommer einige Monate in der ihm zugehörigen Abtei von Sankt Alban bei Angers zuzubringen. Für diese Zeit der Abwesenheit des Erzbischofs war der Koadjutor der berufene Verwalter der Diözese. Ich kannte die Eifersucht meines Onkels und legte mir in Führung der Geschäfte die größte Zurückhaltung auf. Nur den allerdringlichsten Mißständen abzuhelfen, durfte und mochte ich mich nicht enthalten. – Sehr schlimm stand es damals um den Pariser Klerus. Diese Verhältnisse waren allen Guten ein Ärgernis. Um hier Ordnung zu schaffen, errichtete ich drei geistliche Tribunale, die ich aus Kanonikern, Pfarrvorständen und Klostergeistlichen zusammensetzte und denen ich die Aufgabe zuwies, alle Geistlichen der Diözese auf ihre Brauchbarkeit und Würdigkeit zu prüfen. Auf diesem Wege ließ ich sämtliche Kleriker in drei Klassen einteilen. Die erste Klasse umfaßte diejenigen, die man als würdig befunden hatte, die zweite Klasse diejenigen, die es unter einer strengeren Aufsicht zu werden versprachen. Die dritte Klasse waren die ganz Unwürdigen. Diese wurden mit dem Interdikt belegt, bis sie in besonders dazu angelegten Korrektionshäusern ihre Brauchbarkeit dargetan hätten.

Diese Einrichtung kostete ungeheure Summen, fand aber auch so sehr den Beifall aller Wohlgesinnten, daß mir das Geld von allen Seiten zufloß und die Kosten durch freiwillige Spenden reichlich gedeckt wurden. Doch erregte die Sache zu viel Aufsehen zu meinen Gunsten, um den Minister nicht zu ärgern. Aus reiner Eifersucht wandte er sich an die Königin, die sich unter den leichtfertigsten Vorwänden bei meinem Onkel beschwerte, der daraufhin, unter ebenso leichtfertigen Ausflüchten, die Fortsetzung des begonnenen Werkes untersagte.

Und welches waren diese Vorwände und Ausflüchte? Es hieß, das ganze Unternehmen käme allein den Jansenisten zugute. Jansenisten seien es auch, die das Geld hergegeben hätten.

Das mochte zutreffen. Aber war es denn meine Schuld, daß gerade jene Leute, die man verächtlich Jansenisten nannte und wozu lange Zeit außer einem großen Teil des niedern Volkes fast das ganze Parlament gehörte, in Wahrheit die eifrigsten Christen waren, die mehr als die andern auf Glaubensstrenge und Reinheit der Sitten hielten, zum Teil Menschen eines heiligmäßigen Wandels, wie etwa die ehrwürdige Gesellschaft von Port-Royal? – Gewiß war es nicht meine Schuld, daß die Dinge so lagen. Auch wurden diese Frommen im Lande von der Kirche durchaus als gute Katholiken angesehen; sie waren in jenen Tagen noch weit entfernt, eine politische Partei zu bilden wie in den folgenden Jahren. Ich selber habe erst viel später daran gedacht, mich ihrer zu meinen politischen Zwecken zu bedienen. Religiöse Sympathien hatte ich nie für sie; denn wenn ich mir auch – aber wie gesagt viel später – ihren politischen Parteigeist öfter zunutze machte, so fand ich im übrigen die Herren Arnauld von Andilly oder wie sonst die Anführer heißen mochten, sehr wenig nach meinem Geschmack. Ich haßte sie eher, schon weil sie mich zeitweilig zu einer religiösen Heuchelei zwangen, die mir oft in hohem Grad unbequem fiel.

Nicht ganz so rein auf moralischem Gebiet bewegte sich mein zweiter Konflikt mit dem Kardinal. Diesmal war es ihm schon leichter (denn es handelte sich um einen verdammt schlüpfrigen Boden), zwar nicht das Recht, aber doch so etwas wie einen Schein davon aus seine Seite zu bringen.

Das Jahr nach jenem Sommer, wovon ich oben sprach, hatte sich der Erzbischof schon bald nach Lichtmeß in seine ferne Abtei bei Angers zurückgezogen, und da ereignete es sich nun, daß der Onkel des Königs, Gaston von Orleans, am Tage der Ostern zur Vesper in die Kathedrale kam. Noch vor seiner Ankunft in der Kirche ließ ein Hauptmann seiner Garde den Fußteppich entfernen, der vor meinem Sitz neben dem erzbischöflichen Throne lag, und den Teppich Seiner Königlichen Hoheit an dessen Stelle legen.

Ich wurde sofort in der Sakristei davon benachrichtigt. Mein erster Gedanke war, die Sache auf sich beruhen zu lassen, ein Rangstreit mit einem königlichen Prinzen schien mir lächerlich. Aber der Theologal des Kapitels, ein nicht nur gelehrter, sondern auch ruhiger und verständiger Mann, nahm mich auf die Seite und machte mich auf gewisse Bestimmungen aufmerksam, die mir bis dahin unbekannt geblieben waren. Besonders wies er mich darauf hin, wie wichtig es sei, daß der Stuhl des Koadjutors und der Thron des Erzbischofs dem Volk als unzertrennlich schienen. Es sei das ein unantastbares Symbol, darauf möchte ich achten.

Ich schämte mich, eine so bedeutende Sache für geringfügig genommen zu haben und machte mich unverzüglich auf, um den Herzog unter dem Portal der Kirche zu erwarten. Und hier, nach Erteilung des bischöflichen Segens, sagte ich ihm meine Bedenken, wie sie eben erst der Theologal in mir erweckt. Seine Königliche Hoheit empfing meine Vorstellungen aufs Gnädigste und ließ die Verfügungen seines Adjutanten sofort rückgängig machen.

Ich behauptete also den Platz über Seiner Königlichen Hoheit und erhielt somit während des Magnifikat auch als erster die Weihrauchspende. Deposuit potentes de sede. »Er hat vom Stuhl gestoßen die Fürsten« sang gerade der Chor, als die Reihe der Räucherung an den Fürsten kam, und ich hatte alle Mühe, ein Lächeln zu unterdrücken.

Nach der Vesper zog mich der Herzog in ein fast freundschaftliches Gespräch, und ich bemühte mich noch einmal, dem Vorfall eine harmlose Wendung zu geben.

»Ich würde es nie gewagt haben,« sagte ich in scherzendem Ton, »vor Eurer Königlichen Hoheit irgendwelche Prätensionen zu erheben, wenn man mir nicht erst vorgestern hinterbracht hätte, daß Höchstdieselbe bei der Feier der Grablegung, im Kloster der Karmeliten, nicht anders als hinter dem letzten der Brüder zur Adoration des heiligen Kreuzes geschritten seien.«

In der Tat wußte ich, daß jene Mönche, die aus der Demut sozusagen ein Geschäft machen, beim Kuß der heiligen Wundmale am Karfreitag den Vortritt vor allen Mitgliedern des königlichen Hauses behaupten. Denn den andern die Demut beizubringen, war zu aller Zeit eine Hauptangelegenheit der professionsmäßig Demütigen.

Der hohe Herr machte zu allem die beste Miene; ich konnte mich beglückwünschen, die heikle Sache mit Takt und gutem Glück durchgeführt zu haben. In der Tat war mein Auftreten durchaus in der Ordnung.

Ich erstaunte darum nicht wenig, als drei Tage darauf ein Almosengeber der Königin vor mir erschien mit der Aufforderung, mich unverzüglich zu Ihrer Majestät zu begeben. – Anna von Österreich empfing mich mit jener bittersüßen Freundlichkeit, die man an ihr kannte, und was ich erfuhr, war folgendes: Seine Königliche Hoheit hatte den Vorfall vom Sonntag dem Abt von Larivière, diesem Erzhöfling und Erzschelm erzählt, der nichts besseres zu tun wußte, als mein Betragen in die gehässigste und ungünstigste Beleuchtung zu rücken. – »Der Herzog ist außer sich vor Wut, sagte die Königin mit einem Ton des Bedauerns, »er hält sich für beschimpft; das heißt vielleicht die Sache sehr übertreiben, aber er ist einmal der er ist, und es wird Euch nichts anderes übrigbleiben, als Seiner Königlichen Hoheit am nächsten Sonntag in Eurer Kathedrale auf unzweideutige Weise Genugtuung zu geben.«

Meine Antwort entsprach der Zumutung, und die Königin endigte die Audienz damit, daß sie mich, wie sie immer pflegte, wenn sie in Verlegenheit war, an ihren Kardinal verwies.

Der Minister begrüßte mich mit fast übertriebener Freundlichkeit. Er schalt den Abt von Larivière einen Hämling und dummen Esel, der auch etwas Gescheideres tun könnte, als die Leute gegeneinander aufzuhetzen.

Ich merkte schnell, daß all diese Liebenswürdigkeiten keinen andern Sinn hatten, als die nachfolgende bittere Pille zu versüßen und die mir zugedachte Demütigung annehmbar zu machen. Aber ich ging ihm nicht auf den Leim, und als der Kardinal dies merkte, schlug er einen andern Ton an. Er wurde jetzt boshaft und höhnisch.

»Man soll sich nicht herausnehmen,« rief er, »eine gewisse Handlung des heiligen Ambrosius nachzuahmen, solange man so wenig geneigt ist, das ganze Leben jenes Heiligen sich zum Vorbild zu nehmen.«

Ihr wißt, schöne Freundin, daß der heilige Ambrosius derjenige war, der zu Mailand dem Kaiser Theodosius mit Erfolg den Eintritt in seinen Dom verweigert hat.

Der Kardinal aber sprach seine letzten Worte mit erhöhter Stimme, damit auch die im Hintergrund sich haltenden Prälaten sie hören möchten, auf deren Beifall er rechnete. Da tat ich mir auch keinen Zwang mehr an.

»Wohlan,« rief ich, ebenfalls mit lauter Stimme, »ich werde den Fingerzeig nutzen, den Eure Eminenz mir zu geben geruht, und ich werde für jetzt den heiligen Ambrosius in derjenigen Handlung nachahmen, die hier in Frage kommt, damit er mir bei Gott die Gnade auswirke, ihm künftig auch in allem übrigen nachzufolgen.«

Nach diesen Worten verbeugte ich mich tief und schritt hinaus.

Dieser ärgerliche Streit, wobei ich jedoch meiner Würde auch nicht einen Augenblick das geringste vergab, wurde nachher durch die Vermittlung des Fürsten von Condé, der mir während seines ganzen Lebens die Ehre seiner Freundschaft erwiesen hat, in Güte beigelegt, worauf mir denn auch der Kardinal wieder eine lächelnde Miene machte. Ich hatte aber allen Grund, dem Frieden mit dem Kardinal zu mißtrauen.

Ja, ich gestehe offen, daß ich diesen Frieden schon nicht mehr suchte.

Denn schon wurde es mehr und mehr offenkundig, wie sehr der Kardinal seine Macht willkürlich mißbrauchte und in immer rascherem Tempo dem Ruin des Staates entgegentrieb; also daß ein jeder, der es mit seinem König und Vaterland ehrlich meinte, der Feind und Widersacher dieses Ministers werden mußte.

Während die Freundlichkeit des Kardinals gegen mich sich immer offenkundiger als falsch erwies, gab mir zugleich der heilige Ambrosius allen Grund, entweder an seinem guten Willen oder an der Wirksamkeit seiner Fürbitte ernstlich zu zweifeln. In einem Punkt hatte ich ihn auf fast eklatante Weise nachgeahmt, in allen andern Punkten und besonders aber am Punkt des Punktes wollte es mir jetzt so wenig wie je gelingen.

Soll ich weinen und wehklagen über meine Schwäche? Ihr erwartet das nicht von mir, schöne Frau. Auch habe ich Euch nicht eine reumütige Beichte, wie die Kirche vom Sünder verlangt, versprochen, sondern nur eine einfache und wahrheitsgetreue Erzählung meines Lebens.

Viel Unglück und Untreue habe ich in meiner politischen Laufbahn erfahren. Das Glück mit Frauen ist mir dafür allezeit und – Ihr wißt es sehr gut, verehrteste Freundin – bis auf den heutigen Tag treu geblieben. Und gerade in jener Epoche, wo sich die großen politischen Ereignisse vorbereitet, bei denen ich, wie ich ohne Rühmen sagen darf, lange Zeit die erste Rolle spielen sollte, begünstigte mich die holdeste aller Glücksgöttinnen noch einmal auf die unerwartetste Weise.

Ihr habt wohl von dem Hofskandal vernommen, der einst, noch zu Lebzeiten Ludwigs des Dreizehnten, lange die Öffentlichkeit beschäftigte und bei dem die Königin Anna von Österreich selber nicht wenig kompromittiert wurde. Es wurden damals am Hof sehr pikante Geschichten erzählt von gewissen Liebschaften der Königin, bald mit dem, bald mit jenem, in deren Zusammenhang sogar die legitime Abstammung Ludwigs des Vierzehnten stark in Zweifel gezogen wurde.

Die Wahrheit zu sagen, sind diese Zweifel später nie wieder ganz verstummt. Die Königin aber geriet damals außer sich über den skandalösen Hofklatsch. Eine Anzahl der ersten Damen vom Hof wurden plötzlich verbannt, darunter auch die schöne Herzogin von Chevreuse, die Brüssel zu ihrem Aufenthaltsort wählte, wohin auch ihr Kavalier, der Marquis von Laigues, ihr folgte.

Diesen sah ich nun eines Tages bei mir eintreten mit der Neuigkeit, daß die Herzogin nach Paris zurückgekehrt sei. Dringende Geschäfte verhinderten mich, in den nächsten Tagen der Herzogin, die ich von Kindheit auf als Freundin gekannt habe, meine Aufwartung zu machen. In der Woche darauf ließ der Herzog von Luynes eine Tochter taufen und bat mich dazu um meine Patenschaft. Als meine Mitpatin wurde mir Fräulein von Chevreuse genannt. So sah ich noch vor meiner alten Freundin ihre Tochter am dritten Orte und war ganz benommen von der außerordentlichen Schönheit der jungen Person, die ich zum letztenmal als kleines Mädchen gesehen hatte. Sie trug bei der heiligen Taufhandlung ein niederländisches Kostüm, das sie ganz unwiderstehlich machte.

Ich beeilte mich schon am andern Tag, ihrer Mutter meinen Besuch zu machen. Aber wie erstaunte ich, die beiden Damen, die ich bei ihrer Toilette traf, ganz in verzweiflungsvollen Tränen aufgelöst zu finden. Die Sache verhielt sich so:

Frau von Chevreuse war ohne Erlaubnis nach Paris gekommen und hatte an diesem Morgen von der Königin den Befehl erhalten, die Hauptstadt innerhalb vierundzwanzig Stunden zu verlassen und nach Brüssel zurückzukehren.

Die Bestürzung der beiden Frauen hierüber war unbeschreiblich. In ihrer Verzweiflung vergaßen sie jede Rücksicht, vergaßen sie vor allem, daß sie kaum halb bekleidet waren. Die Herzogin war noch immer schön, ich aber sah nur die Tochter. Nie glaubte ich verführerische Reize mit Augen wahrgenommen zu haben. Die Tränen in ihren schönen Augen taten auch das ihrige dazu, und ich fühlte mich zu allem fähig, den Unglücklichen beiden Schönen zu helfen.

»Herzogin,« sagte ich, »versprecht mir, in der Angelegenheit keinen weiteren Schritt zu tun, bis ich zurück bin.«

Sie gab mir das Versprechen unter Schluchzen, und mit einem Blick auf die Tochter, über den das bezaubernde Kind bis in die Haarwurzeln hinein errötete, sich jetzt der Mangelhaftigkeit ihrer Bekleidung bewußt werdend, eilte ich hinweg, um zum Kardinal zu fahren.

Ihr wundert Euch vielleicht über diesen Schritt in Anbetracht meines nicht weniger als freundlichen Verhältnisses zu Seiner Eminenz. Aber ich kannte den Mann und seine Politik besser. Ich durfte mit ziemlicher Sicherheit darauf rechnen, daß er eine solche Gelegenheit mit Freuden ergreifen werde, mir seine Dienstwilligkeit zu zeigen, wenn auch nur, um sich in Fällen, wo er mir in ernstern und öffentlicheren Dingen feindselig entgegenzutreten gedachte, darauf berufen zu können.

Noch ein anderes politisches Motiv trat dabei ins Spiel.

Mein Oheim, der Herr Erzbischof, hatte sich der regierenden Gewalt gegenüber immer als die Schwäche selbst gezeigt. Den Grund hievon sucht man in seinem ungeordneten, ausschweifenden Leben. In mir aber durfte der Kardinal nach allem, was er von mir wußte, einen ähnlichen Hang voraussetzen. Diesen Hang zu wollüstigen Verhältnissen zu begünstigen, mußte nach seiner Logik notwendig die Wirkung haben, auch mich unschädlich und zu jedem ernsten Widerstand unfähig zu machen. Er kannte mich so schlecht, daß er mich für einen Mann von dem Kaliber meines Oheims hielt, und er war so wenig Philosoph, um auch nur die alte Wahrheit zu erkennen, daß das gleiche Bedürfnis nach Wollust ebensosehr aus einem Überschuß von Kraft wie aus Schwäche entstehen kann. – Dies letztere war bei meinem Oheim der Fall, und Mazarin, zwei unendlich verschiedene Dinge miteinander verwechselnd, und geblendet von seinem Trugschluß falscher Analogie, sah mit Vergnügen, wie ich nach seiner Meinung im Begriffe stand, mir selber durch eine neue keimende Leidenschaft abermals hemmende Fesseln anzulegen. Denn, um sofort zu erkennen, daß meine Bitte für die Herzogin von Chevreuse nicht durchaus uneigennützig sei, dazu war er gerade schlau genug.

Es kam also, wie ich berechnet hatte. Er nahm mein Gesuch nicht nur aufs zuvorkommendste entgegen; ich fühlte auch deutlich, wie er innerlich triumphierte. Er sah mich offenbar auf dem besten Wege dazu, ihm die Mühe zu ersparen, mich unschädlich und schwach zu machen. Mit schlecht verhohlener Arglist erklärte er sich ohne weiteres bereit, mich zur Königin zu führen und mein Anliegen bei Ihrer Majestät zu unterstützen.

Wir fanden Anna von Österreich in ihrem kleinen sogenannten grauen Kabinett, dessen Fenster auf den Fluß gingen und wo der Kardinal später bei dem großen Feuer im Louvre drei Tage vor seinem Tode um ein Haar bei lebendigem Leibe verbrannt wäre.

Bei Ihrer Majestät befand sich außer dem spanischen Grafen von Brancas, damals Ehrenkavalier der Königin, nur noch der Bischof von Lisieux – wenige Wochen nachher fiel er in Ungnade und wurde verbannt – damit beschäftigt, wenn ich nicht irre, der Königin aus dem heiligen Augustinus vorzulesen. Die Gegenwart des Freundes nahm ich für ein gutes Omen. Ihre Majestät winkte mir aufs gnädigste, zu sprechen. Aber als ich nur den Namen der Herzogin über die Lippen brachte, geriet sie auch schon in so heftigen Zorn, daß sie, wie das immer bei ihr zu geschehen pflegte, hochrot wurde bis zu den blonden Ringellöckchen ihrer Stirne hinauf. Da ließ der Kardinal ein Wort fallen.

»Die Tochter der Herzogin hat gar so schöne Augen,« sagte er. – Aus seinen Worten klang ein leiser Hohn, aber auch noch etwas anderes. Die Königin sah ihren Minister verwundert an. Sie hatte wohl alles andere erwartet als eine solche Rede. Aber wie sie dem Blick des Kardinals begegnete, begriff sie, und nach einigen schwachen Einwendungen, die sie nur zum Schein noch vorbrachte, erlaubte sie mir, der Herzogin ihre Begnadigung anzukündigen, wenn auch unter der Bedingung, daß sie sich vom Hofe entfernt halte.

Ihr mögt Euch denken, angebetete Frau, in welchen Jubel ich Mutter und Tochter versetzte, als ich mit meiner Nachricht zu ihnen zurückkehrte. Die Tochter folgte dem Beispiel ihrer Mutter und beide umarmten mich unter Freudetränen. Das war von der einen wie von der andern Seite nicht nur eine Zeremonie, und ich erfuhr dabei mit voller Gewißheit, daß ich wenigstens in der schönen Tochter mehr als Dankbarkeit erweckt hatte. Zudem wollte es mein Glücksstern, daß ich dem Fräulein von Chevreuse noch in derselben Stunde einen nicht viel geringeren Dienst erweisen konnte.

Ich hatte die Damen diesmal nicht allein getroffen. Zwei der anwesenden Personen waren alte Bekannte: der schon genannte Marquis von Laigues, der offizielle Kavalier der Herzogin, und die Herzogin von Rohdes, eine natürliche Tochter des Kardinals von Guise, beide gleich intim, wenn auch in verschiedener Weise, mit den Damen des Hauses befreundet. Der dritte war ein kleiner deutscher Fürst, der Herzog von Braunschweig-Zell, der zu Brüssel die Bekanntschaft dieser Damen gemacht hatte und der Tochter, wiewohl gegen ihren Willen, so gut wie versprochen galt. Dieser Herzog war, seiner Souveränität ungeachtet, ein ungeschlachter, plumper Geselle, und ich brauchte nicht lange, um mich von der tiefen Abneigung des Fräuleins von Chevreuse gegen ihn zu überzeugen.

Ich machte mir also eine Lust daraus, den jungen Welfenfürsten, der aber bei Gott mehr von der Natur des Schafes als des Wolfes an sich hatte, so in die Enge zu treiben und der Lächerlichkeit zu überantworten, daß die Herzogin die Unmöglichkeit bald einsah, dieses Heiratsprojekt bei ihrer Tochter durchzusetzen.

Der Marquis, der aus naheliegenden Gründen das Fräulein von Chevreuse gern versorgt gesehen hätte, wollte mir deswegen zürnen. Auch fiel es ihm nicht schwer, meine eigentlichen letzten Absichten zu erraten, und er war pedantisch genug, sich darüber zu entrüsten. Ich wußte ihn jedoch für mich zu gewinnen – die Mutter bildete von vornherein kein ernstliches Hindernis – und die Herzogin von Rohdes bot mir von selber ihren Beistand an. Sie bewerkstelligte es, daß ich in ihrem Hause mit dem Fräulein von Chevreuse in vollster Freiheit zusammentreffen konnte, und wir machten beide davon durch Monate hindurch den ausgiebigsten Gebrauch.

In dieser Zeit komplizierten sich die Dinge über mein Erwarten.

Die Fürstin Rohan-Guemené hatte sich, ich weiß schon bald nicht mehr zum wievielten Mal, zu dem Teufelsbeschwörer Arnauld von Andilly nach Port-Royal zurückgezogen. Dort hörte sie von meinen Beziehungen zum Palast Chevreuse, und in höchster Aufregung erschien sie vor mir und stellte mich mit einer Heftigkeit zur Rede, die ich ihr gerade jetzt, wo sie eine Heilige werden wollte, am wenigsten zugetraut hätte und die mich deshalb um so mehr außer Fassung brachte.

So weit vergaß ich mich, daß ich die Fürstin an der Gurgel packte und sie anschrie, was sie denn für ein Recht an mich habe, da sie mich so feig verlassen. Sie schrie nicht weniger laut dagegen: Nur meine fortgesetzte Untreue an ihr habe sie soweit gebracht und gar mein jetziges Verhältnis zu Fräulein von Chevreuse sei der Greuel aller Greuel.

Mit diesen Worten riß sie sich von mir los, und wie außer sich ergriff sie einen silbernen Leuchter und warf ihn mir an den Kopf. Als sie aber meine blutende Schläfe sah, besänftigte sie sich schnell und wir trennten uns in vollkommener Aussöhnung.

Auch die Herzogin von Rohdes fuhr fort, meine Zusammenkünfte mit Fräulein Chevreuse aufs eifrigste zu begünstigen.

Ich war lange der Meinung, sie tue das aus Freundschaft für ihre Freundin, bis ein Zufall mir die Entdeckung brachte, daß sie selber mich liebte. Diese Entdeckung setzte mich in Erstaunen und gab mir von der Seelengröße dieser Frau den höchsten Begriff. Daß eine Frau aus Liebe einer solchen Selbstverleugnung fähig sei, der Liebe des Geliebten zu einer andern Frau, zu einer Freundin, auf eigene Kosten jede Art Vorschub zu leisten, hatte ich bis dahin nicht für möglich gehalten.

Und Ihr werdet zugeben, teure Frau, daß sich mir hier ein weiblicher Heroismus offenbarte, der nicht alltäglich ist.

Ich wurde davon überwältigt, und die Herzogin von Rohdes hatte in der Folge wahrlich keinen Grund, ihre anfängliche Selbstaufopferung zu bereuen. – Ich tat alles, um ihr in Taten zu beweisen, wie sehr ihre Großmut mich besiegt habe, und von diesem Augenblick an fand ich in ihrem Hause in der unverhofftesten Weise ein doppeltes Glück, von dem ich bald nicht mehr zu sagen gewußt hätte, welche seiner beiden Hälften die schönere und begehrenswertere sei.

Lange gingen diese beiden Beziehungen ungestört und in süßer Abwechslung nebeneinander her. Eines Tages aber waren wir ungeschickt oder sorglos genug, die Herzogin von Rohdes und ich, daß das Fräulein von Chevreuse uns in einem Beisammensein überraschen konnte, das ihr über die Natur unserer beiderseitigen Beziehungen kein Zweifel möglich blieb. – über diese Entdeckung verfiel sie in einen solchen Schmerz, daß wir mehrere Tage um ihr Leben besorgt waren. Aber sie überwand, und zu ruhiger Besinnung zurückgekehrt, zeigte sie sich nicht weniger tapfer als ihre Freundin. So wurde ein Verhältnis zwischen drei Personen möglich, wie es selten vorkommen dürfte.

Die beiden Freundinnen überzeugten sich bald, daß keine durch die andere benachteiligt werde, und oft geschah es von da an, daß beide ...

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Sehr verehrte Freundin, Ihr werdet Euch verwundern über diese unangenehme Veränderung der Schrift. Statt der saubern Kaligraphie des guten Pater Hilar dies Krickelkrakel eines Kurzsichtigen, eines, der nie in seinem Leben ein Schreibfertiger war. Denn des Menschen Talente sind ihm durch die Geburt vorbestimmt, ich aber war geboren, das Schwert zu führen und nicht die Federspule. Nur die allmächtige Familienwillkür hat diesen unwürdigen Umtausch zweier so ungleicher Werkzeuge bewirkt. Ihr werdet mich nicht verstehen. Also kurz: Mein guter, frommer, mein folgsamer Pater Hilar hat sich inmitten des letzten Satzes, den ich ihm diktiert, mir verzweiflungsvoll zu Füßen geworfen und mich angefleht, ich möchte ihn doch nicht zwingen, noch ferner dergleichen Dinge niederzuschreiben, die mit solchem Zynismus von sich selber auszusagen schon einem Weltmann wenig Ehre machen, einen Priester aber für ewige Zeiten mit dem Brandmal der Ruchlosigkeit belasten, den ganzen priesterlichen Stand herunterwürdigen und allen Gläubigen ein unerhörtes Ärgernis sein würde ...

Er hat seinem Flehen noch eindringlichere Worte verliehen, ich erspare Euch den Rest, schöne Frau.

Aber einer Reflexion kann ich mich hier nicht enthalten. Nicht ein armseliger Bettelmönch war's, der so sprechen konnte, sondern ein Pater Benediktiner, ein Mitglied jenes Ordens, den man besonders rühmt um seiner Arbeit willen im Feld der Wissenschaften. Mein Pater selber hat ein gelehrtes Werk über Pythagoras geschrieben. Was bedeutet nun eigentlich die Wissenschaft im Gehirn dieser Männer? Antwort: Gelehrsamkeit. Tote Gelehrsamkeit. Nicht die Erforschung und Richtigstellung ewig gültiger Wahrheiten. Denn sobald ihnen solche Wahrheiten (und diejenigen über die Natur des Menschen sind die wichtigsten) entgegentreten, erschrecken sie und rufen »Skandal«. Die Wahrheit ist ihnen ein Skandal.

Nun ja, wie sollte ich von Mönchen verlangen, daß ihnen die Wahrheit etwas anderes sei als ein Vorwand kindischer Entrüstung, und darf man diesen verstaubten Gehirnen, darf man diesen verhockten Gelehrten zumuten, die Wahrheit an den Hörnern zu fassen und mit ihr in kühnem Kampf zu ringen, da sie doch einmal der böse Feind sein soll.

Gewiß, das wäre ihnen zu viel zugemutet, die keine andere Wahrheit kennen als die Übereinstimmung einer gedruckten Albernheit mit einer andern. Sogar bis zum Erkennen und Ausfindigmachen physikalisch mechanischer Gesetze mögen sie sich erheben; aber die Gesetze des moralischen Mechanismus, die Gesetze, unter denen lebendiges menschliches Handeln sich vollzieht, diese ahnen sie nicht einmal, davon verstehen sie um kein Haar breit mehr als ein mittelmäßiger Katechismusschüler. Und die gelahrten Herrn der Universitäten, sind sie etwa besser? Genug.

Ich wollte es zuerst mit einem andern meiner Herren Patres versuchen, aber ich kam von diesem Gedanken schnell zurück. Ich würde mich damit nur einer Wiederholung genannter Szene ausgesetzt haben. Denn meine politischen Bekenntnisse, die mir noch bevorstehen, würden von einem derartigen Gelehrteningenium nicht weniger skandalös empfunden werden als die andern.

Suchen wir also selber zu kritzeln, so gut es gehen mag. Mich soll die Mühe nicht verdrießen. Aber ob Euch, schöne Frau, meine Handschrift nicht verdrießt? Ich muß es darauf ankommen lassen.

Und so nehme ich den Faden auf, wo ich ihn, oder vielmehr wo Pater Hilar die Feder fallen ließ.

Leider fand das genannte lustige Triumvirat (wenn man dem Wörtchen »vir« die Bedeutung von Mensch beilegen darf) einen solchen Abschluß, den als das Selbstbekenntnis einer römischen Eminenz niederzuschreiben sich ein frommer Pater wahrscheinlich erst recht weigern würde.

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Ihr aber, schöne Freundin, werdet mir glauben, daß das, was ich vorhin scherzweise das lustige Triumvirat genannt habe, mich nicht einen Augenblick abgehalten hat, mit meiner Aufmerksamkeit zugleich unausgesetzt die Vorgänge einer ganz andern Bühne zu verfolgen, wo die ernsten Triumvirate, die Triumvirate im antik-römischen Sinn, ihr Ziel und ihrer Wirkung Preis finden, jener Bühne, wo Männer, statt um weibliche Leckerbissen, um die Freiheit, richtiger, um die Macht kämpfen, in Unternehmungen, von deren Ausgang die Geschicke von Millionen abhängen ...

Um Euch aber von nun an verständlich zu werden, ist hier eine kleine Abschweifung nötig, so wenig Verlockendes eine solche für Eure Gnaden haben mag und für die ich darum allerdemütigst um Entschuldigung bitte. Auch werde ich mich kurz fassen.

Seit mehr als zwölfhundert Jahren wird Frankreich von Königen regiert. Aber zu keiner Zeit verfügten diese über eine so absolute Macht wie heute. Zwar war die Einschränkung der königlichen Gewalt bei uns niemals so ins einzelne und so bestimmt geregelt wie etwa in England oder Arragonien. Es gab in Frankreich keine geschriebene Verfassung. Nur ungeschriebene nur sogenannte Rechte des Herkommens, wie sie sich in der Praxis des politischen Lebens von selber ausgebildet hatten, setzten der königlichen Autorität wohltätige Schranken.

Zwei Institutionen waren es insbesondere, mit denen die Könige, bald mehr, bald weniger, zu rechnen hatten: die Generalstaaten oder Ständeversammlungen und das Parlament von Paris. Von jenen braucht hier nicht die Rede zu sein, um so mehr vom Parlament.

Dieses, anfänglich nichts als ein hoher Gerichtshof, wie es deren ähnliche und mit ähnlichen Befugnissen in allen großen Städten des Königreichs gab, hat sich mit der Zeit immer mehr zu einer wichtigen politischen Instanz ausgewachsen. Insbesondere hat dieses Pariser Parlament allmählich das Recht erlangt, allen königlichen Erlassen und Gesetzen, vor allem aber den ministeriellen Steuerforderungen durch förmliche Eintragung in ihre Register erst Sanktion und Gültigkeit zu verleihen. Alle königlichen, das heißt ministeriellen Gesetze und Erlasse galten solange für null und nichtig, als das Parlament deren Einregistrierung verweigerte.

Gewiß hatte das Parlament damit eine ungeheure Macht in Händen. – Aber die wohlberatenen Könige waren dennoch mit diesem Zustand der Dinge nicht unzufrieden, ihre Unumschränktheit war durch das Parlament wohl einigermaßen vermindert, dafür aber hatten sie den Vorteil, daß sich so oft der Unwille des Volkes, statt auf den König und seine Minister, auf die Zwischeninstanz, nämlich auf das Parlament entlud.

Gerade die weisesten und vornehmsten Könige haben darum ihre Gebundenheit durch das Parlament als etwas Gegebenes und Unumstößliches betrachtet, wie ja sogar Gott selber sich für ewig an die Gesetze gebunden hält, die er einmal der Welt gegeben hat.

Nur gewisse herrschsüchtige Minister, denen es mehr um die Befriedigung ihrer eigenen Willkürneigung zu tun war als um das Interesse ihres Herrn, haben immer wieder auf die Schwächung, ja Vernichtung der Parlamentsgewalt hingearbeitet, und keiner ist hierin je so weit gegangen wie der große Richelieu.

Er konnte es. Seine großen Eigenschaften standen im richtigen Verhältnis zu seiner Herrschsucht. Auch waren seine Erfolge zugunsten des königlichen Absolutismus ungeheuer. Das waren rein persönliche Erfolge, und allein der Minister, keineswegs der König, hatte sich ihrer zu erfreuen.

Sein Schüler Mazarin, in den Staaten des Papstes geboren, und also an den unbeschränktesten Absolutismus gewohnt, den es auf der Erde gibt, gedachte seinen Meister noch zu übertrumpfen. Er glaubte auf dem Wege Richelieus rücksichtslos vorschreiten zu können, und da er als Ausländer die drohenden Gefahren auf Schritt und Tritt übersah, oder doch unterschätzte, erreichte er es denn glücklich, das Königreich in den fürchterlichsten Bürgerkrieg zu verwickeln, den Frankreich je gesehen hat.

Lange hatte das Parlament widerstandlos den wahnsinnigen Steuerforderungen der Regierung halb freiwillig, halb gezwungen zugestimmt. Man murrte wohl gelegentlich, aber man fügte sich. Indessen wurde das Gefäß des Unmuts voll bis zum Überlaufen, und die Verfügung über eine allgemeine Besteuerung des Getreides, im August 1647, stieß endlich dem Faß den Boden ein.

Einem direkten königlichen Verbot zum Trotz erklärte das Parlament in wiederholten Sitzungen – alle Sitzungen fanden jetzt gegen das ausdrückliche Verbot des Königs statt – die Erhebung einer jeden Steuer für unzulässig, die nicht zuvor die Sanktion des Parlaments erlangt hatte.

Es war nicht mehr wegzuleugnen: Das Parlament befand sich in offenbarer Revolte gegen den König und seine Regierung.

Auch in der Pariser Bevölkerung wuchs die Gärung von Tag zu Tag, und die mit ungeheurer Rapidität sich steigernde Erhitzung der Köpfe ließ mir schon keinen Zweifel mehr an dem nahen Ausbruch eines furchtbaren und verheerenden Fiebers. Während der bestellte Arzt (ich meine den Kardinal Mazarin) noch immer mit elenden Palliativmitteln auszukommen glaubte, erkannte ich längst die Unabwendbarkeit der fürchterlichen Krankheit.


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