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In allen Boudoirs wurde in den nächsten Tagen nur von der einen großen Neuigkeit geflüstert, welche den Hof in unbeschreibliche Aufregung versetzt hatte: Die Kaiserin war einer Liaison Korsakows mit der Gräfin Bruce auf die Spur gekommen, und der Platz eines erklärten Favoriten war frei geworden.

Allgemein staunte man über die Mäßigung, welche die Kaiserin bewies, und pries ihre Milde. Weder die Nebenbuhlerin noch der treulose Geliebte wurden bestraft, beide behielten ihren Rang und ihre Stellung am Hofe, nur die Gunst der Zarin hatte der Letztere für immer verwirkt, und dies traf ihn empfindlich genug. Nach Sibirien geschickt werden ist ein hartes Los, aber am Hofe zu bleiben, ohne Einfluß oder Bedeutung zu besitzen und von jenen, von denen man gefürchtet war, kaum beachtet werden, ist ein lächerliches Schicksal, und Korsakow war nicht der Mann, es mit Würde zu tragen. Aber wer fragt überhaupt noch nach ihm?

Am wenigsten Katharina II., welche mehr als alle anderen über die Nachsicht staunt, welche sie in diesem Falle gezeigt hat. Sie fragt sich immer wieder, was sie wohl so aller Rachsucht entkleidet, ja geradezu fröhlich gestimmt hat bei dem unerhörten Verrat? Sie faßt es nicht, daß sie sich weder als Monarchin noch als Weib beleidigt fühlt, und wie sie sinnt und forscht und grübelt, da fühlt sie mit einem Male, daß eigentlich sie die Treulose, die Verräterin ist, daß ihr Korsakow lästig war, seitdem sie Lanskoi das erste Mal sah, und sie weiß jetzt, daß sie Lanskoi liebt.

Sie schämt sich fast vor sich selbst, sich dieses Geständnis abzulegen, aber sie verschmäht es, sich zu täuschen; das ist nicht bloßes Wohlgefallen, kein Aufflammen der Leidenschaft, am wenigsten ein Rausch der Sinne, was sie mit süßer, nie gekannter Gewalt zu Lanskoi hinzieht, es ist Liebe, es kann nur Liebe sein, diese wunderbare Empfindung, welche ihr zugleich so viel Seligkeit und Schmerz bereitet und sie so furchtsam macht, daß sie, die allmächtige Despotin, nicht zu hoffen wagt auf Gegenliebe, und so selbstlos, daß sie nur den einen holden Gedanken hegt und nährt, das ganze Füllhorn des Glückes über den auszugießen, den sie liebt. Lanskoi wird an den Hof beschieden und erscheint zum ersten Male bei einer Theatervorstellung in der Eremitage. Noch nie hat Katharina sich mit so viel Sorgfalt gekleidet, sie sah ängstlich auf jede Schleife, jedes noch so winzige Schönheitspflästerchen, und wie sie sich zuletzt in dem Spiegel sieht, ist sie dennoch unzufrieden. Kaum hat man ihn unter den Herren im Parterre erblickt, wo er sich bescheiden im Hintergrunde hält, entsteht ein Neigen der Köpfe, ein Flüstern und Lorgnettieren, das sich bis zu der Loge der Monarchin fortpflanzt.

»Lanskoi ist soeben eingetreten,« sagte die Prinzessin Werongow leise zu dieser, »soll ich Befehl erteilen, daß er sich Eurer Majestät vorstellt?«

Katharina errötet wie ein junges verliebtes Mädchen und nimmt den Fächer vor das Gesicht.

»Ich weiß nicht« – stammelte sie, »raten Sie mir doch, Prinzessin.«

»Ich sende nach ihm,« erwiderte diese, »Lanskoi ist so reizend und so anspruchslos, er verdient, daß Sie gütig mit ihm sind, Majestät.«

Und wie er erst die Loge betreten hat und sich ehrerbietig vor ihr verneigt, da fühlt die Despotin ihr Herz heftig pochen, und ihr Auge, das dem seinen nicht zu begegnen wagt, folgt der Stickerei ihrer Robe, und ihre sonst so beredten Lippen, denen jederzeit Einfälle voll Geist und Bosheit wie tödliche Pfeile entschwirren, verstummen. Die Prinzessin kommt ihr zu Hilfe und unterhält sich mit Lanskoi, welcher indes seinen Blick unverwandt auf der Kaiserin haften läßt. Diese erinnert sich zu rechter Zeit, daß er sie schön findet, ja, der Liebesgöttin vergleicht, und dies giebt ihr Mut. Sie erhebt das große, helle Auge halb neugierig, halb zärtlich zu ihm und berührt seinen Arm mit dem Fächer.

»Sie scheinen mich garnicht zu bemerken, Lanskoi,« beginnt sie, »ist es wahr, daß Sie mich so sehr hassen?«

»Ich fühle für Eure Majestät, was mir geziemt,« entgegnete dieser.

»Und was geziemt Ihnen, wenn ich fragen darf?«

»Ehrfurcht.«

Katharina blickt auf die kleine Bühne, auf der eben die Aufführung eines kleinen Probewerkes vor ihr beginnt, und spricht den Abend kein Wort mehr.

Und wieder fand sich Lanskoi ein anderes Mal auf ihren Befehl beim Spiele ein. Nur die Vertrauten der Monarchin wurden demselben beigezogen. Der kleine erwählte Kreis versammelte sich in den kleinen Apartements der Eremitage, wo jede Etikette verbannt war und man sich mit heiterer Ungezwungenheit unterhielt. Lanskoi wurde von der Kaiserin eingeladen, mit ihr, abseits von den Übrigen, eine Partie Domino zu spielen. Die schöne mächtige Frau hatte es längst aufgegeben, mit ihm zu kokettieren, sie zeigte sich einsilbig, begnügte sich, ihn immerfort anzusehen, schmachtete, seufzte und zerdrückte endlich sogar ein paar Thränen in ihren sonst so gebieterischen und gefürchteten Augen.

Lanskoi schien dies Alles nicht zu bemerken, er zeigte sich ehrerbietig und voll Aufmerksamkeit, aber kalt wie ein Eisblock.

»Welchen Rang bekleiden Sie in meiner Armee?« fragte plötzlich Katharina.

»Ich bin Lieutenant, Majestät, und schätze es mir zur Ehre.«

»Sie sind allzu bescheiden,« lächelte die schöne Despotin, »ich habe es mir in den Kopf gesetzt, Sie avancieren zu lassen, und zwar recht schnell. Sie sind General, Lanskoi.«

Der arme Junge wurde totenbleich. »Majestät scherzen wohl?«

»Es ist mein Ernst.«

»Dann beschwöre ich Eure Majestät, diese Auszeichnung, welche mein Verdienst weit übersteigt, zurückzunehmen«, flehte Lanskoi. »Senden Sie mich gegen die Schweden, Polen oder Türken, befehlen Sie wir auf der Stelle, mein Leben für Sie hinzugeben, ich werde es mit Freude, ja mit Begeisterung opfern, aber eine Erhöhung, die mir in keiner Weise zukommt, beschämt, erdrückt mich.«

»Sie sind brav, Lanskoi, brav und treuherzig,« entgegnete Katharina II. gerührt, »ich danke Ihnen, aber ich bin nicht gewohnt, ein Wort zurückzunehmen, Sie sind General und bleiben es.«

Lanskoi wollte sprechen.

»Widersetzen Sie sich nicht,« rief sie im Tone des Befehls, einen Augenblick erwachte die Despotin in ihr, aber sofort war sie wieder nur das liebende Weib, »ich bitte Sie darum,« fügte sie sanft, beinahe ängstlich hinzu.

Lanskoi neigte sich stumm vor ihr und schwieg.

Fortan mußte er zu jeder Tageszeit der Mächtigen Gesellschaft leisten, mehr als einmal trat die Versuchung an ihn heran, seinem Vorsatz untreu zu werden, sich vor ihr niederzuwerfen, ihr zu gestehen, daß er sie liebe, sie anbete, wie noch nie ein Weib angebetet worden sei, aber die Kraft seines Willens siegte immer wieder, und er verharrte in seiner achtungsvollen Zurückhaltung, seiner beispiellosen Kälte. Katharina, diese Frau, die gewohnt war, Sklaven um sich zu sehen, wenn sie nur winkte, Götzendiener, wenn sie befahl, wagte es nicht, dem ernsten Manne gegenüber, den sie wahrhaft liebte, nur ihre Neigung anzudeuten, aber sie verriet sich bei jedem Anlaß und machte dadurch dem bis zum Wahnsinn in sie verliebten Lanskoi den Kampf um so schwerer. Sie schien endlich auf das Glück der Liebe an seiner Seite ganz zu verzichten, sie war nur noch darauf bedacht, von aller Selbstsucht frei, ihm das Leben zu verschönern, seine geliebte Gestalt mit Glanz und Herrlichkeit zu umgeben. Vor allem beschäftigte sie sich angelegentlichst mit der Erziehung des schönen Lanskoi, sie ließ ihn in den Wissenschaften und Künsten von den hervorragendsten Geistern unterrichten, während sie es selbst unternahm, ihm seine Sitten zu lehren. Als er einige Fortschritte im Klavierspiel gemacht hatte, ließ sie sich von ihm begleiten, wenn sie sang. In allen den kleinen Komödien, welche sie für das Bijoutheater der Eremitage schrieb, mußte Lanskoi den Liebhaber spielen, während ihr ebenso gewiß jedesmal die Rolle der Liebhaberin zufiel. Sie beschenkte ihn wie man ein Kind beschenkt oder eine Geliebte, und es waren ihre seligsten Augenblicke, wenn er sich von ihrer Sorgfalt erfreut zeigte. Es gab Nächte, wo sie nicht schlief, wo sie auf ihrem üppigen Lager saß und Thränen vergoß, dann stand sie am Morgen mit rotgeweinten Augen auf und verschmähte es, Speise zu sich zu nehmen. Sobald er aber da war, erhellte sich ihr schönes Antlitz, und sie konnte wieder lächeln und mit ihm scherzen und plaudern, sich und die Welt vergessen. Und wieder einmal in einer Nacht voll Unruhe, voll Qual und Schweigen faßte sie einen heroischen Entschluß.

»Er hat Recht,« sagte sie zu sich selbst, »ich habe kein Herz, ich putze ihn auf wie meine Puppe und thue ihm schön, aber dies alles nur um mir Freude zu machen. Ich habe mich noch nie ernstlich mit seinen Wünschen beschäftigt. Fortan soll von mir garnicht mehr die Rede sein, ich will ihn glücklich machen, vollkommen glücklich.«


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