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Das Weib des Kosaken

Es war Nacht auf der wilden Steppe. Unter dem flimmernden Sternenhimmel, mitten im wogenden Ocean der Gräser und Blumen, stand eine kleine Strohhütte. Ein windschiefer Zaun umgab Hof und Bienengarten.

In der niederen Stube, deren rauchige Wände mit Heiligenbildern geschmückt waren, schlief Bascha allein auf dem harten Lager, mit ihrem Schafspelz zugedeckt. Ihr Mann, der Kosak Dorobenko, war davongeritten auf das erste Feuersignal, das einen Raubzug der benachbarten Tataren ankündigte.

Plötzlich fuhr das junge Weib aus dem Schlaf und horchte. Es hatte an die Thür gepocht, ja, und es pochte noch einmal. Sie stand auf und öffnete.

Draußen stand das Pferd des Kosaken ohne seinen Reiter und scharrte mit dem Huf. Bascha erschrak, sie kannte das treue Thier, den flüchtigen, muthigen Schecken. Sie sagte sich, daß Dorobenko gefallen war, denn niemals hätte das Pferd ihn verlassen, wenn er noch am Leben wäre. An die Pfosten der Thür gelehnt, die Hände vor das Gesicht gepreßt, begann die Arme zu schluchzen, und der Schecke legte ihr sanft den Kopf auf die Schulter und seufzte auf, als trauere er mit ihr um seinen tapferen Reiter.

Das Kosakenweib legte die Arme um den struppigen Kopf des treuen Freundes und küßte ihn, dann trocknete sie ihre Thränen.

Wenn er tot wäre, der Mann, der sie so sehr geliebt, dann hätte sie noch eine Pflicht zu erfüllen. Die Raben sollten ihn nicht haben. Er sollte in geweihter Erde ruhen, wie es einem frommen Christen geziemt. Bascha kehrte in die Stube zurück, zog ihren Pelz an, wand ein rothes Tuch um ihre schwarzen Flechten, nahm den Kantschuk vom Haken und steckte den Yatagan in den Gürtel. Nachdem sie sich überzeugt hatte, daß die beiden Pistolen in den Satteltaschen noch geladen waren, daß die Schlinge am Sattelknopf hing und die Branntweinflasche im Sattelsack gefüllt war, schwang sie sich nach Männerart auf das Pferd und schlug die Richtung ein, welche Dorobenko am Morgen genommen hatte.

Eine tiefe, heilige Stille herrschte auf der weiten Fläche. Nichts regte sich, nur ein leichter Wind strich durch die Halme. In der Ferne lag eine dunkle Masse, der Wald. Bascha flog wie ein Vogel durch die duftige Steppe, dem Dorfe zu. Hier fand sie, daß die Tataren sich zurückgezogen, aber reiche Beute und auch mehrere Gefangene mit sich genommen hatten. Sie begann wieder zu hoffen.

Im Osten zeigte sich das erste keusche, weiße Licht, als sie an einem Kosakenhof vorbeikam, den die Feinde eingeäschert hatten. Hier lag auch der erste Tote auf der Straße, ein Muselman.

Sie ließ dem Pferde die Zügel frei, und wirklich, es schlug den Weg ein, den sie nehmen wollte, es trug sie über Stock und Stein, bis an den Ort, wo das Gefecht stattgefunden hatte. Weithin war das Gras von den Hufen zerstampft, gefallene Pferde und Menschen deckten den Boden. Bascha hielt den Schecken an, stieg ab und ließ das kluge Thier laufen, sie war seiner vollkommen sicher. Jeden toten Kosaken, der auf seinem Gesichte lag, wendete sie um. Sie suchte unermüdlich ihren Mann, sie fand ihn nicht. Er ist gefangen, sagte sie sich; dieser Gedanke war ja ein Trost für sie. Indeß war es Tag geworden, und die großen Geier und Raben, welche die Gefallenen umkreisten und ihr schauerliches Mahl hielten, grüßten die Sonne mit lautem Geschrei.

Plötzlich wieherte der Schecke in der Ferne. Sollte er seinen Herrn entdeckt haben? Bascha lief auf das Gebüsch zu, vor dem das Pferd stand und mit dem Schweife schlug. Sie theilte die Zweige und schrie auf. Da lag ihr Mann auf dem Rücken, mit Blut übergossen, die Augen geschlossen.

War er tot? Sie warf sich über ihn und küßte ihn. Sie nahm ihn in die Arme und richtete ihn auf. »Dorobenko!« rief sie, »mein Einziger, mein Held, mein Täubchen!« Nein, er war nicht kalt, er athmete noch. Sie nahm die Branntweinflasche und flößte ihm einige Tropfen ein, sie rieb ihm die Schläfen und endlich seufzte er auf und öffnete die Augen.

Sie riß ihm die Jacke auf und das Hemd. Da war die Wunde, ein Lanzenstich in der linken Brust. Sie wusch ihm die Wunde mit Branntwein, dann zog sie den Pelz aus und schnitt mit dem Yatagan die Ärmel ihres Hemdes ab, um ihn verbinden zu können; zuerst gab sie Dorobenko zu trinken. Er that einen guten Zug aus der Flasche und athmete auf. Bascha hielt ihn in ihren Armen und betrachtete ihn einige Zeit, dann machte sie das Zeichen des Kreuzes und sprach ein Gebet.

 

»Fühlst Du Dich stark genug«, fragte sie nach einer Weile den Kosaken, »zu Pferde zu steigen mit meiner Hilfe?«

Dorobenko schüttelte den Kopf. »Nein, ich habe zu viel Blut verloren.«

»Dann heißt es hier bleiben«, sagte Bascha, »bis Du Dich stark genug fühlst.«

»Ich möchte jetzt schlafen«, murmelte der Verwundete. Bascha legte ihn sanft in das Gras nieder und schob ihm den Mantelsack unter den Kopf, dann band sie das Pferd neben ihm an eine kleine Birke und ging hinaus in die Steppe, um Nahrung und Wasser für den Verwundeten zu suchen.

Die Sonne brannte dem armen Weibe heiß auf Kopf und Nacken, aber sie fragte wenig danach, sie selbst quälte der Durst und der Hunger, aber sie wurde nicht müde, zu suchen. Umsonst. Weithin kein Quell, kein Tropfen Wasser, kein Baum, kein Schornstein. Schon begann sie jede Hoffnung zu verlieren, als sich plötzlich zu ihren Füßen eine kleine Schlucht öffnete, aus welcher der lieblichste Duft zu ihr emporstieg. Rasch kletterte sie hinab und befand sich jetzt mitten unter grünen Büschen, die mit großen rothen Himbeeren bedeckt waren. Sie band ihre Schürze zusammen, füllte sie mit den köstlichen Früchten, und obwohl sie totmüde war, lief sie dann zurück zu dem Orte, wo Dorobenko lag.

Er schlief noch. Sie setzte sich zu ihm, aber sie berührte die Beeren nicht, ehe er erwachte. Dann gab sie ihm zu essen und zu trinken, und erst als er satt war, stärkte sie sich auch ein wenig. Sie rastete einige Zeit und nun begann sie wieder zu suchen. Der Branntwein ging zu Ende, sie mußte Wasser haben. Es war Nacht, als sie zurückkehrte, wieder ohne Erfolg. Dafür hatte sie ein Kosakenpferd eingefangen, das sie in der Nähe grasend fand, und eine große Kürbisflasche am Sattel eines gefallenen Tataren entdeckt. Das war eine gute Beute. Sie band das Pferd an, so daß es neben dem Schecken grasen konnte, wechselte dem Verwundeten den Verband und blieb dann stumm und resigniert neben ihm sitzen.

»Wasser!« bat der Kosak.

Bascha gab keine Antwort.

»Wasser, meine Theure!«

»Ich habe keines.«

»Das Flüßchen kann doch nicht weit sein«, sagte Dorobenko.

»Wo liegt es, zeige mir die Richtung.«

»Gegen Süden.«

Bascha stand auf, hing die Kürbisflasche um und blickte um sich. Da sah sie plötzlich in der Ferne ein Licht. Was konnte es sein? Eine menschliche Wohnung? Vielleicht auch ein Lagerfeuer der Tataren! Mag sein, sie muß Wasser haben für ihren Mann; sie macht sich daher auf den Weg und folgt dem Schimmer, der sie vielleicht in das Verderben, in den Harem eines Khans führt. Das Licht richtet sich auf und scheint dann wieder zu schwinden, aber es führt sie sicher durch das hohe Gras bis zu einer Gruppe von Weiden. Hier – welch ein Ton – ein fernes Murmeln – ein Plätschern – Wasser.

Plötzlich ist sie bis über die Knie im Sumpf.

Es war ein Irrlicht, das ihr als Führer gedient hatte.

Sie ergreift noch zur rechten Zeit einen Zweig und fühlt bald wieder festen Boden unter den Füßen. Vorsichtig setzt sie ihren Weg fort. Das tanzende Feuer winkt ihr zur Linken, aber sie geht gerade aus und schon blitzt der Wasserspiegel vor ihr auf. Ihr Herz pocht, sie ist so glücklich, sie möchte lachen und weinen zugleich, und in ihrer Freude beginnt sie laut zu singen:

»Der Kosak tränkt sein Roß,
Wasser schöpft die Hanne,
Während er sein Liedchen sang,
Weint sie in die Kanne.«

Da war das Flüßchen, mit Schilf umstanden. Sie kniete nieder, neigte den Kopf und trank wie ein Thier, das seinen Durst löschen will, aus dem fließenden Wasser. Dann füllte sie rasch die Kürbisflasche und eilte zurück zu dem Verwundeten.

Um den Weg zu finden, hielt sie von Zeit zu Zeit die Hände vor den Mund und rief: »Dorobenko!« Lange Zeit erhielt sie keine Antwort, endlich klang es voll durch die Nacht: »Bascha!« Sie rief noch einmal.

»Hier!« erwiderte der Kosak und jetzt hörte sie auch den Schecken wiehern. »Ich habe Wasser!« rief sie und begann wieder laut zu singen:

»Der Kosak tränkt sein Roß etc.«

Dorobenko antwortete:

»Weine nicht, du holdes Kind,
Lass' dich nicht betrüben,
Denn ich lieb' dich gar so sehr,
Werd' dich ewig lieben.«

Schon kam sie mit dem Wasser gelaufen, kniete nieder und gab ihm zu trinken. Er that einen vollen Zug, dann sah er sie an, strich ihr das Haar aus der Stirne, und zwei große Thränen stahlen sich ihm über die sonnenbraunen Wangen in den Schnurrbart herab.

Am fünften Tage sprach Dorobenko: »Ich fühle mich jetzt stark genug. Wir wollen nach Hause zurückkehren.«

Bascha half ihm auf das erbeutete Pferd und band ihn auf dem Sattel fest. Sie selbst bestieg den Schecken. Langsam setzten sie sich in Bewegung, im Schritt. Sie führte sein Pferd am Zügel und spähte nach allen Seiten hinaus, um nicht von irgend einer Gefahr überrascht zu werden.

Als sie sich dem verbrannten Kosakenhof näherten, tauchten drei Reiter aus dem hohen Grase auf und sprengten auf sie zu.

»Tataren!« murmelte Dorobenko.

»Bleib' nur ruhig«, sagte Bascha, »ich werde Dich retten oder mit Dir sterben.«

Schon waren die ersten beiden Reiter ganz nahe. Das Kosakenweib zog die Pistolen aus den Satteltaschen und machte sich fertig. Ein Schuß fiel, und der eine der Feinde stürzte aus dem Sattel. Das Gras verschlang ihn, während sein Pferd davonjagte. Ein zweiter Schuß. Der Rappe des zweiten Tataren bäumte sich auf und stürzte dann in die Knie. Blitzschnell zog Bascha den Yatagan und trieb den Schecken vorwärts. Im Vorbeireiten faßte sie den Muselman bei der Locke, die auf seinem kahlen Scheitel stand, und hieb ihm den Kopf ab, den sie stolz emporhielt.

Da war der Dritte. Er hielt sein schnaubendes Pferd an und musterte das hübsche, derbe Weib mit wohlgefälligen Blicken.

»Komm mit mir«, rief er, »wilde Rose der Steppe, Du sollst den Harem eines Fürsten schmücken! Von Pracht umgeben, in Hermelin geschmiegt, sollst Du als Sultanin auf weichen Kissen ruhen, von Sclaven bedient.«

Das Kosakenweib antwortete mit einem lauten Lachen, löste die Schlinge vom Sattelknopf, warf sie dem Muselman über den Kopf und riß ihn vom Pferde herab. »Ergieb Dich«, rief sie ihm zu, »oder ich töte Dich!«

Der Tatar warf sich vor ihr auf die Knie und kreuzte die Arme auf der Brust.

»Rühre Dich nicht«, fuhr Bascha fort, »eine Bewegung, und Dein Kopf fliegt vom Rumpfe herab!« Sie stieg ab, näherte sich dem Gefangenen vorsichtig von hinten, band ihm die Arme auf dem Rücken und befahl ihm dann, aufzustehen. Nachdem sie die Schlinge wieder am Sattel befestigt hatte, plünderte sie noch des gefallenen Tataren Pferd. Sie fand verschiedene Kostbarkeiten, einen türkischen Stoff, Silberzeug, ein goldenes Kreuz und ein Paar funkelnde Ohrgehänge, die sie jubelnd emporhielt. Nachdem sie ihre Beute in den Mantelsack geschnürt hatte, stieg sie wieder auf den Schecken.

»So!« rief sie dem Tataren zu, »jetzt bist Du mein Sclave und sollst mir den Acker bestellen, so lange mein Mann nicht arbeiten kann. Vorwärts!« Sie ließ den Kautschuk knallen. »Vorwärts!«


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