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Als dieser Befehl erscholl, erhob sich ein ungeheurer Lärm, nicht nur in den Reihen der Neugierigen, sondern auch bei den Soldaten.
Die Nachbarn fürchteten, daß ihre Häuser ebenfalls in die Luft gingen. Sie heulten laut, gebärdeten sich wie närrisch und versuchten schon, alle ihre Kostbarkeiten zusammenzuraffen. Alle trauten dem Mann mit dem kühlen Gesicht dort zu, daß er seine Drohung wahr machen würde.
Nur der Leutnant war mutig auf seinem Platz geblieben.
»Halt, Herr!« rief er. »Seid Ihr denn wahnsinnig! Ihr werdet euren traurigen Vorsatz nicht ausführen!«
»Wenn Ihr mich in Ruhe laßt, nein!«
»Gebt dem Grafen Lerma und den andern die Freiheit wieder, und ich verspreche, Euch nicht mehr zu belästigen!«
»Gut, wenn Ihr meine Bedingungen annehmt!«
»Und die wären?«
»Zuerst die Truppen zurückziehen und dann mir einen vom Gouverneur unterzeichneten Geleitbrief zu geben, damit ich und meine Gefährten unbehindert von den Soldaten Stadt und Land verlassen können!«
»Aber wer seid Ihr denn, daß Ihr dergleichen nötig habt?«
»Ein Edelmann von drüben ... jenseits des Meeres!«
»Dann ist doch kein Geleitbrief notwendig! Habt Ihr denn eine Schuld auf dem Gewissen? Sagt mir Euren Namen!«
In diesem Augenblick näherte sich dem Offizier ein Mann mit hinkenden Schritten und einem blutbefleckten Tuche.
»Potzblitz!« rief Carmaux, der noch hinter dem Kommandanten stand. »Jetzt sind wir verraten! Das ist ja einer der Biskayer, die uns angegriffen haben!«
»Ihr wollt wissen, Herr Leutnant, wer jener Edelmann mit dem schwarzen Filzhut dort oben ist?« rief er höhnisch. »Das ist einer der Leute, die mich so zugerichtet haben! Gebt acht, daß er nicht entflieht! Es ist ein Flibustier!«
Ein Wutgeheul ging jetzt durch die Menge.
Carmaux hatte, auf einen Wink des Kapitäns, rasch seine Büchse erhoben und mit einer gutgezielten Kugel den Biskayer getötet.
Hundert Büchsen richteten sich nun auf die Fenster. Das Volk schrie aus voller Kehle: »Erschlagt die Kanaillen!«
»Nein, hängt sie auf!«
»Röstet sie am lebendigen Leibe!«
Auf des Leutnants Befehl sanken die Gewehr nieder.
»Die Komödie ist nun aus! Ergebt Euch!« rief er dem Korsaren zu, der noch immer ruhig, unbeweglich am Fenster stand, als ob ihn der ganze Krawall nichts anginge.
»Habt Ihr mich verstanden?«
»Vollkommen, mein Herr!«
»Ergebt Euch, oder ich lasse die Tür einschlagen!«
»Tut es!« antwortete Ventimiglia kalt. »Aber ich künde euch an, daß das Pulverfaß bereitsteht!«
»Dann werdet auch Ihr mit untergehen!«
»Bah, sterben inmitten rauchender Ruinen ist besser als der schimpfliche Tod, den Ihr mir nach der Ergebung bereiten würdet!«
»Ich verspreche Euch das Leben!«
»Was Eure Versprechungen gelten, weiß ich! Jetzt ist es sechs Uhr nachmittags. Während Ihr überlegen könnt, was zu tun sei, werde ich mit dem Grafen Lerma und seinem Neffen ein Glas auf Euer Wohl leeren!«
Damit lüftete der Korsar seinen Hut und grüßte höflich die Untenstehenden.
»Kommt, ihr Braven!« sagte er zu Carmaux und Stiller, welche die Kühnheit und Kaltblütigkeit des Kommandanten bewunderten. »Laßt die da unten schreien, soviel sie wollen! Wir essen jetzt!«
»Vielleicht unsere Henkersmahlzeit, Kapitän.«
»Gott bewahre, unsere letzte Stunde hat noch lange nicht geschlagen. Warte die Dunkelheit ab, und du wirst sehen, was für Wunder ein Pulverfaß tun kann!«
Dann trat er ins Zimmer zu den Gefangenen, zerschnitt die Stricke, welche den Grafen Lerma und den Bräutigam banden, und lud beide ein, sich mit ihm zu Tisch zu setzen.
»Ich vertraue Eurem Wort, nichts gegen mich zu unternehmen«, sagte er.
»Das ist selbstverständlich, Cavaliere«, entgegnete der Graf lächelnd. »Mein Neffe ist unbewaffnet, und ich weiß, wie gefährlich es ist, sich mit Eurem Schwerte einzulassen. Aber was schreien denn meine Landsleute da unten?«
»Sie belagern uns.«
»Früher oder später werden sie Euch aber doch zur Übergabe zwingen. Es würde mir wirklich leid tun«, sagte der Graf, »wenn solch ein tapfrer und liebenswürdiger Mann, wie Ihr es seid, in die Hände des Gouverneurs fiele! Er gibt den Flibustiern keinen Pardon.«
»Van Gould wird mich nicht bekommen. Ich muß leben bleiben, um eine alte Rechnung mit ihm zu begleichen.«
»Ihr kennt ihn?«
»Zu meinem Unglück!« seufzte Ventimiglia. »Er ist für meine ganze Familie verhängnisvoll gewesen. Daß ich ein Flibustier geworden bin, ist ihm allein zu verdanken. Aber sprechen wir nicht weiter davon! Jedesmal, wenn ich daran denke, lodert der Haß in mir auf, und ich werde traurig wie ein Leichenbitter! ... Trinkt, Graf! ... Carmaux, was machen die Spanier unten?«
»Sie fabeln alles mögliche über Euch, scheinen aber noch nicht einig zu sein, ob sie uns angreifen sollen oder nicht!«
»Das werden sie schon tun, aber vielleicht erst, wenn wir fort sind! Wo ist der Neger?«
»Noch auf dem Boden!«
»Stiller, bring ihm ein Glas Wein!«
Die Mahlzeit wurde schweigend beendet. Auch draußen war jetzt Ruhe eingetreten. Die Soldaten schienen den Angriff hinauszuschieben, da sie für das Leben des Grafen Lerma und seines Neffen fürchteten, die beide höchst angesehene Persönlichkeiten der Stadt waren und die man wohl gern retten wollte.
Die Dunkelheit war schon eingetreten, als Carmaux den Kapitän benachrichtigte, daß ein Schützentrupp und ein Dutzend Hellebardiere eingetroffen seien und den Ausgang der Gasse versperrten.
»Dann will man irgend etwas unternehmen«, meinte der Kommandant. »Rufe den Neger!«
Nach wenigen Minuten stand Mokko vor ihm.
»Hast du den Boden genau durchsucht? Gibt es ein Dachfenster?«
»Nein, aber ich habe einen Teil des Dachs durchgebrochen. So können wir hindurch und über die andern Dächer fliehen.«
In diesem Augenblick hörte man ein schreckliches Getöse, das alle Fensterscheiben erzittern ließ. Einige Kugeln, die durch die Jalousien ins Haus gedrungen waren, hatten Wände und Decken der Zimmer durchbohrt.
Der Korsar war aufgesprungen. Er war plötzlich wie verwandelt. Seine Augen blitzten, und seine bleichen Wangen färbten sich rot.
»Ah, sie fangen an«, spöttelte er.
Dann wandte er sich zum Grafen und seinem Neffen um: »Ich habe euch mein Wort gegeben, daß Ihr leben bleibt. Ihr müßt Euch jedoch fügen und schwören, daß Ihr Euch nicht auflehnt gegen meine Anordnungen!«
»Sprecht, Cavaliere«, sagte Graf Lerma. »Ich bedaure, daß die Angreifer meine Landsleute sind. Ich würde an Eurer Seite kämpfen, wenn das nicht wäre!«
»Ihr müßt mir folgen – wenn Ihr nicht in die Luft fliegen wollt! In wenigen Minuten wird keine Mauer vom Hause mehr geradestehen!«
»Wollt Ihr mich verderben?« kreischte der Notar.
»Still, alter Geizhals!« rief Carmaux, der ihn losband. »Du wirst gerettet und bist noch unzufrieden?«
»Aber ich will doch mein Haus nicht verlieren!«
»Ihr müßt Euch vom Gouverneur entschädigen lassen!«
Eine zweite Salve entlud sich draußen. Die Kugeln drangen ins Zimmer und schlugen die von der Decke herabhängende Lampe entzwei.
»Also los!« rief der Korsar. »Carmaux, zünde die Lunte an! Sieh dich aber vor, daß das Faß nicht explodiert, ehe wir das Haus verlassen haben!«
»Die Lunte ist lang, Herr!« antwortete der Seemann, der schnell die Treppe hinuntereilte.
Der Kapitän stieg nun, gefolgt von den andern, zum Boden hinauf, während die Schüsse durch die Fenster krachten.
Überallhin zischten die Kugeln, prallten auf die Mauersteine und durchschlugen die Wände. Den armen Notar durchschauerte es. Die Flibustier jedoch und Graf Lerma, ein Kriegsmann wie sie, kümmerten sich nicht darum.
Vom Boden aus hatte der Neger mit einem aus dem Fachwerk gerissenen Balken einen Weg zum Dach geschaffen.
»Vorwärts!« rief der Korsar, nachdem er mit dem Degen die Festigkeit der Brücke untersucht hatte. Er schwang sich aufs Dach und überprüfte die Lage: mehrere Dächer schlossen sich an, am Ende derselben sah man einen hohen Palmenstamm mit seinen Riesenblättern über eine Mauer emporragen.
»Können wir uns von dort hinablassen?« fragte er den Neger. »Jenseits scheint ein Garten zu sein!«
Mokko bejahte es.
Die Gefangenen wurden von Stillers kräftigem Arm aufs Dach gehoben, als Carmaux rief: »Schnell, schnell, in zwei Minuten wird das Haus einstürzen!«
»O Gott, ich bin verloren! Mein Besitz ...«, jammerte wieder der Notar. Er konnte aber nicht mehr zurückschauen, denn Stiller hatte ihn bereits vorwärts geschoben.
Inzwischen sprang der Korsar von einem Dach zum andern, gefolgt vom Grafen und dessen Neffen.
Von der Gasse aus schoß man immer weiter aufs Haus. Pulverdampf und Rauch breiteten sich über die Dächer aus.
Die Fliehenden gelangten nun an das Dach des letzten Hauses, wo die Palme stand. Unten dehnte sich in der Tat ein großer, von hohen Mauern umschlossener Garten aus, der sich ins freie Land hinein erstreckte.
»Ich kenne diesen Garten«, sagte der Graf, »er gehört meinem Freunde Morales!«
»Hoffentlich werdet Ihr uns nicht verraten!« erwiderte Ventimiglia.
»Im Gegenteil, Cavaliere! Ich schulde Euch ja mein Leben!«
»Rasch hinab«, rief Carmaux. »Die Explosion kann uns in die Hölle befördern.«
Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, als ein mächtiger Blitz in die Höhe emporstieg, dem ein entsetzliches Krachen folgte.
Die Fliehenden fühlten das Dach unter ihren Füßen erbeben; dann fiel einer über den andern, während es ringsum Steine, Holzstücke und Zunder regnete.
Eine Rauchwolke schwebte über den Dächern, die minutenlang alles verdunkelte. Und während die Mauern einfielen, hörte man Schreckensgeheul auf der Gasse.
»Potzblitz!« rief Carmaux, der von der Explosion bis zur Dachrinne geschleudert worden war. »Noch einen Meter weiter, und ich wäre wie ein Lumpensack in den Garten gefallen!«
Der Korsar hatte sich schnell wieder erhoben, taumelte aber noch inmitten des ihn umhüllenden Rauches.
»Sind alle noch am Leben?« fragte er sofort.
»Einer liegt hier, ohne sich zu rühren«, sagte der Graf. »Vielleicht ist er von einem Stein getroffen worden!«
»Das ist ja der Notar!« rief Stiller. »Keine Angst, der ist nur vor Schreck ohnmächtig geworden!«
»Lassen wir ihn hier!« meinte Carmaux. »Er wird sich schon zu helfen wissen, wenn er nicht gar vor Schmerz um den Verlust seiner Bude stirbt!«
»Nein!« erwiderte der Kapitän. »Er würde ja geröstet werden, der Ärmste! Die umliegenden Häuser brennen jetzt auch! Mokko soll ihn tragen!«
Er näherte sich dem Rand des Daches, ergriff die Palme und ließ sich an ihrem Stamm in den Garten hinuntergleiten. Die andern taten es ihm nach.
Sie wollten soeben in eine Allee einbiegen, die zu der Einfriedung führte, als ihnen einige mit Büchsen bewaffnete Männer aus einem Gebüsch entgegenstürzten.
»Halt, oder wir schießen!«
Der Korsar hatte schon den Degen gezogen und mit der Linken eine Pistole ergriffen, um sich Bahn zu brechen.
Der Graf hinderte ihn jedoch: »Laßt mich nur machen, Cavaliere!«
Dann wandte er sich an die Leute: »Kennt ihr den Freund eures Herrn nicht wieder?«
»Ah, Graf Lerma?« riefen die Diener erstaunt.
»Nieder mit den Waffen, oder ich beschwere mich bei eurem Herrn!«
»Verzeiht«, sagte der eine, »wir wußten nicht, wen wir vor uns hatten, wir wollten nur die Flucht des greulichen Banditen verhindern!«
»Die sind schon geflohen! Gibt es eine Tür in der Mauer?«
»Ja, Herr Graf!«
»Öffnet sie für mich und meine Freunde, und kümmert euch nicht weiter um uns!«
Die drei Flibustier und der Neger traten aus der eisernen Tür hinaus ins Freie. Der Graf und sein Neffe folgten ihnen. Nur der Diener des Bräutigams blieb mit dem ohnmächtigen Notar im Garten zurück.
»Cavaliere«, sagte Graf Lerma, nachdem er die Flibustier noch einige hundert Schritte begleitet hatte. »Ihr habt mir das Leben geschenkt, daher bin ich glücklich, Euch diesen kleinen Dienst erwiesen zu haben. Helden wie Ihr dürfen nicht am Galgen sterben, den Euch der Gouverneur nicht erspart hätte. Geht auf diesem Wege weiter, dann werdet Ihr zum Ufer kommen und Euer Schiff erreichen können!«
»Ich danke Euch, Graf«, sagte der Korsar. Und beide Edelleute schüttelten sich zum Abschied die Hand.
»Ein braver Mann«, murmelte Carmaux. »Wenn wir wieder nach Maracaibo kommen, werden wir ihn aufsuchen.«
Nach zehn Minuten waren sie ohne Hindernisse an den Rand des Waldes gelangt, in dem sich die Hütte des Schlangenbeschwörers befand. Beim Zurückschauen sahen sie noch eine große Rauchwolke, untermischt mit Funkenregen, aufsteigen, die der Wind über den See von Maracaibo wehte.
»Armer Teufel!« sagte Carmaux. »Der wird den Verlust seines Hauses und Weinkellers nicht überleben, für einen solchen Geizhals ist der Schlag zu groß.«
Man rastete einige Minuten im Schatten eines Bitterholzbaumes, um zu erforschen, ob auch kein Späher in der Nähe sei. Schweigen herrschte im Haine. Nach einer Viertelstunde Eilmarsch durch den Tropenwald erreichte man die Hütte, aus der lautes Klagen kam.
»Donnerwetter!« rief Carmaux. »Das ist ja unser Gefangener, den wir an den Baumstamm gebunden haben. Ich hatte ihn ganz vergessen!«
»Wollt ihr mich denn Hungers sterben lassen?« rief der Soldat. »Dann hängt mich doch lieber auf!«
»Ist jemand hier gewesen?« fragte der Korsar.
»Nein, nur Vampire!«
Nachdem er dem Neger befohlen hatte, die Leiche seines Bruders unter dem Blätterwerk aufzunehmen, befreite er den Soldaten, der schon fürchtete, sein letztes Stündlein hätte geschlagen, und sagte: »Ich könnte vor allem den Tod meines Bruders an dir rächen, auch den seiner unglücklichen Gefährten, die noch auf dem Platz dieser vermaledeiten Stadt hängen, aber ich versprach, dich zu begnadigen, und der Schwarze Korsar hält sein Wort. Du bist frei, doch du mußt mir schwören, zum Gouverneur zu gehen, ihm meinen Namen zu nennen und daß ich diese Nacht, in Gegenwart der auf der Brücke meines Schiffs versammelten Seeleute und angesichts der Leiche des Roten Korsaren, einen Eid schwöre werde, vor dem er zittern soll. Dafür, daß er meine beiden Brüder getötet hat, werde ich alle zugrunde richten, die den Namen van Gould tragen. Sage ihm, daß ich es Gott, dem Meere und der Hölle geschworen habe und daß wir uns bald wiedersehen werden!«
Dann löste er die Fesseln des Gefangenen, der ihn ganz verdutzt ansah, drehte ihn an den Schultern herum und fuhr fort: »Wende dich nicht mehr um, damit ich nicht bereue, dir das Leben geschenkt zu haben!«
»Ich danke Euch«, sagte der Spanier, »und verspreche, Euren Willen zu erfüllen!«
Der Korsar sah ihn im Dickicht verschwinden.