Emilio Salgari
Der schwarze Korsar
Emilio Salgari

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Die spanische Karavelle

Das Kanu mit van Gould war jetzt mindestens schon eintausend Schritt voraus. Trotzdem hatten die Korsaren den Mut, es zu verfolgen. Seine Insassen, der Gouverneur und die beiden Offiziere, konnten nur ihre Waffen gebrauchen; vom Rudern verstanden sie nichts. Desto mehr galt aber die Geschicklichkeit des Indianerruderers, der sie bediente.

Obgleich von den langen Märschen und dem Hunger sehr müde, bewegten Stiller und Carmaux doch den Baumkahn mit staunenswerter Schnelligkeit. Sie waren sicher, das feindliche Kanu einzuholen, fürchteten aber, daß irgendein unvorhergesehenes Ereignis die Verfolgung hemmen könnte.

Der Schwarze Korsar, der vorn saß, mit der Büchse zwischen den Händen, ermunterte sie ohne Unterlaß.

Als sie etwa fünf Minuten in voller Fahrt waren, bekam ihr Kanu einen Stoß.

»Himmel! Donnerwetter!« schrie Carmaux. »Eine Sandbank?«

Der Korsar beugte sich über Bord und bemerkte vor dem Boot eine dunkle Masse. Schnell griff er mit beiden Händen danach, bevor sie unter dem Schiffskiel verschwand.

»Eine Leiche!« rief er.

Mit einem Ruck hob er den Körper empor. Es war die Leiche eines spanischen Hauptmanns, dem der Kopf durch einen Gewehrschuß gespalten war.

»Es ist einer der Begleiter van Goulds«, sagte er und ließ die Leiche wieder ins Wasser fallen.

»Sie haben ihn in den See geworfen, damit ihr Boot leichter wird!« bemerkte Carmaux, indem er weiterruderte. »Munter, munter, Stiller! Die Schurken können nicht mehr weit sein.«

In demselben Augenblick schrie der Schwarze Korsar: »Da sind sie!«

Er bemerkte in einer Entfernung von sechs-, siebenhundert Metern eine glänzende Furche, welche von Minute zu Minute leuchtender wurde. Der Schein mußte von dem Boot ausgehen, das eine mit Fischeiern gesättigte Wasserstraße durchfuhr.

»Ob wir sie noch erreichen werden, Stiller?«

»Sicher!« »Mach größere Ruderschläge! Wir strengen uns dabei weniger an, und es geht schneller.«

»Ruhe!« sagte der Kapitän. »Vergeudet eure Kräfte nicht durch das viele Reden!« Er stand mit dem Gewehr in der Hand aufrecht und suchte seinen Feind.

Mit einem Male legte er an, beugte sich über Bord und schoß. Der Knall verbreitete sich über den ganzen See, aber es folgte kein Laut, der angekündigt hätte, daß jemand getroffen war.

»Fehlgegangen!« sagte Carmaux. »Ihr wißt, in einem Boot läßt sich schwer zielen!«

Da der Kapitän nicht antwortete, fuhr er fort: »Jetzt sind wir nur noch fünfhundert Schritt von ihnen entfernt! Gut ausholen, Stiller!«

»Meine Muskeln zerspringen schon!« erwiderte der Hamburger, der wie eine Robbe schnaufte.

Der Abstand zwischen beiden Fahrzeugen wurde immer kleiner, trotzdem sich der Indianer drüben ungeheuer anstrengte. Hätte er einen zweiten Ruderer seiner Rasse gehabt, würde er die Distanz leicht überwunden haben; denn die südamerikanischen Rothäute sind unübertreffliche Bootsleute. Jetzt konnte man das Boot genau ausmachen, weil es die phosphoreszierende Wasserstrecke durchquerte. Der Indianer war am Schiffsheck und ruderte mit aller Kraft, während der Gouverneur und seine Begleiter ihm so gut wie möglich halfen. Einer saß an Backbord, der andere an Steuerbord.

Der Korsar erhob zum zweiten Male sein Gewehr.

»Ergebt euch, oder ich schieße!«

Niemand antwortete. Im Gegenteil, das Schiff wendete plötzlich und schlug die Richtung nach der sumpfigen Küste ein, vielleicht um ein Versteck im nahen Flusse Rio Catatumbo zu finden.

Auch auf einen dritten Anruf wurde keine Antwort erteilt.

»Dann stirb, Verräter!« schrie Ventimiglia.

Er legte sein Gewehr nochmals auf van Gould an, der nur noch dreihundertundfünfzig Schritt von ihm entfernt war. Das Boot schwankte aber durch die schnellen Ruderschläge gewaltig, was ihm das Zielen sehr erschwerte.

Dreimal mußte er zielen. Beim viertenmal feuerte er los.

Dem Schuß folgte Geschrei. Man sah eine Gestalt ins Wasser fallen.

»Getroffen!« riefen Carmaux und Stiller zugleich.

Der Mann, der ins Wasser fiel, war aber nicht der Gouverneur. Es war der Indianer.

Der Kapitän stieß einen Fluch aus.

»Beschützt ihn denn die Hölle? Gut, fangen wir ihn lebend!«

Das feindliche Boot war davongeeilt, ohne den Indianer konnte es aber nicht weit kommen.

Es handelte sich nur noch um wenige Minuten. Carmaux und Stiller hofften, es gleich zu erreichen. Noch hatten sie Kraft!

Als der Gouverneur und seine Begleiter einsahen, daß sie gegen die Flibustier nicht ankämpfen konnten, nahmen sie die Richtung nach einer kleinen, etwa fünf-, sechshundert Meter entfernt liegenden Insel.

»Wenn sie dort landen, entwischen sie uns nicht mehr!« rief Carmaux.

»Um Gottes willen!« rief Stiller erschrocken aus. »Wir sind verloren!«

In diesem Moment hörte man eine Stimme: »Wer da?«

»Spanier!« antworteten der Gouverneur und seine Begleiter.

Hinter einem Vorgebirge der Insel erschien plötzlich ein Schiff, das mit vollen Segeln auf beide Boote zusteuerte.

»Nanu, sollte das schon einer unserer Segler sein?« fragte Carmaux.

Der Kapitän neigte sich wütend über den Rand des Kanus. Seine Augen blitzten wie die eines Tigers.

»Es ist eine spanische Karavelle!« rief er plötzlich. »Verdammt, daß er uns wieder entwischt!... Rudert nach der Insel, noch ehe das Fahrzeug uns fangen kann!«

Das Kanu bewegte sich unter dem Schutz der Felsen weiter.

Inzwischen hatte die Karavelle das Boot, in dem der Gouverneur saß, an Bord genommen.

Mit einem Male sah man die Matrosen eiligst die Segel brassen.

»Schnell!« rief der Korsar, dem nichts entgangen war. »Die Spanier wollen Jagd auf uns machen. Wir sind ja nur einhundert Schritt vom Ufer entfernt!«

In diesem Augenblick blitzte es an Bord des Schiffes hell auf, man hörte Kanonen donnern, deren Kugeln krachend in einen Baumgipfel schlugen.

Die Karavelle hatte die Landzunge passiert und wendete jetzt. Sie ließ mehrere Boote ins Wasser, um das Kanu zu verfolgen.

Carmaux und Stiller verdoppelten ihre Kräfte. Kurz vor dem Ufer fuhren sie auf eine Sandbank. Der Korsar stürzte sofort ins Wasser, lief zu den ersten Bäumen am Strand und versteckte sich dahinter. Die beiden Bootsleute ließen sich über Bord gleiten und duckten sich unter Wasser, da sie wieder eine Lunte auf dem feindlichen Schiff bemerkt hatten. Dies Manöver rettete sie. Gleich darauf prasselte ein zweiter Kugelregen auf die Sträucher und Palmenblätter des Gestades, während einige schwere Geschosse ins Boot schlugen. Die beiden auf so wunderbare Weise geretteten Flibustier kletterten eiligst ans Ufer und verbargen sich im Gesträuch.

»Seid ihr verwundet?« fragte der Kapitän besorgt.

»Flibustier werden nicht getroffen«, entgegnete Carmaux.

Die drei Seeleute suchten nun zwischen den dichtstehenden Pflanzen eine sichere Zuflucht und kümmerten sich nicht um die aus verschiedenen Schaluppen gezielten Gewehrschüsse.

Die Insel mochte einen Kilometer Umfang haben und mußte sich vor der Mündung des Rio Catatumbo befinden, eines sich in den See unterhalb Suanas ergießenden Stroms. Sie erhob sich in Kegelform in eine Höhe von drei- bis vierhundert Metern und war mit reicher Vegetation bedeckt, zumeist Zedern, Baumwollbäumen, stacheligen Euphorbien und Palmen verschiedene Art.

Als die Korsaren zu den Abhängen des Gipfels gelangt waren, ohne einem lebenden Wesen begegnet zu sein, machten sie eine kleine Ruhepause, da sie völlig erschöpft waren.

Beim Weitergehen mußten sie sich durch Säbelhiebe durch die dichte Vegetation Bahn schaffen. Nach zwei Stunden erreichten sie endlich den fast nackten, nur von wenigem Gesträuch und Felsen umgebenen Gipfel. Da der Mond schien, konnten sie die Karavelle gut unterscheiden. Sie war dreihundert Schritt vom Ufer entfernt verankert, während drei Schaluppen sich an der Stelle befanden, wo die Indianerpiroge zertrümmert lag.

Die Matrosen waren schon ausgeschifft, hatten jedoch nicht vorzudringen gewagt, da sie wohl fürchteten, in dem dichten Pflanzenwuchs leicht in eine Falle zu geraten. So hatten sie sich an der Küste um ein Feuer gelagert, wahrscheinlich um die zahllosen Schwärme wilder Mücken zu verscheuchen.

»Sie werden den Sonnenaufgang abwarten und uns dann verfolgen«, meinte Carmaux. »Ein Dämon muß den Gouverneur schützen. Jetzt ist er uns schon zum zweiten Male entschlüpft!«

»Was sollen wir tun, wenn die Karavellenbesatzung zum Angriff auf diesen Kegel vorgeht?« fragte Stiller.

»Ach, mach dir keine Sorge, in Maracaibo haben die Spanier das Haus des Notars angegriffen, und doch sind wir glücklich entkommen!«

»Ja«, warf der Korsar ein, »dies ist aber nicht das Haus des Notars! Auch haben wir keinen Grafen Lerma hier, der uns helfen könnte!«

»Also glaubt Ihr wirklich, Kapitän, daß wir unsere Tage am Galgen beschließen müssen? Ach, wenn der Olonese doch käme!«

»Der wird noch in Maracaibo plündern. Sonst müßte er schon hier sein!«

»Wo wolltet Ihr ihn treffen, Herr?«

»An der Mündung des Catatumbo.« »Dann haben wir ja die Hoffnung, ihn eines Tages hier zu sehen. Er wird sich ja nicht ewig in Maracaibo aufhalten!«

»Werden wir aber dann noch leben? Glaubst du, daß van Gould uns ruhig hier auf dem Kegel sitzen läßt? Nein, mein Lieber! Er wird das möglichste versuchen, uns in seine Hand zu bekommen noch vor Ankunft der Flibustier! Vielleicht hängt er den Strick schon an die Rahe für uns!«

Über den Gipfel des Hügels waren große Steine verstreut. Die beiden Seeleute wälzten sie heran und errichteten damit eine Art Schanze. Sie war kreisrund, zwar niedrig, aber doch genügend, um die Flüchtlinge in liegender oder kniender Stellung zu schützen. Diese anstrengende Arbeit dauerte zwei Stunden. Dann schleppten sie noch Massen stacheliger Pflanzen herbei und bauten damit einen Heckenzaun, der den Händen und Beinen der Gegner gefährlich werden konnte.

»Nun haben wir eine kleine Festung!« sagte Carmaux, sich vergnügt die Hände reibend.

»Eins aber fehlt noch«, bemerkte der Hamburger. »Die Speisekammer der Garnison!«

»Donnerwetter, ja! Wir haben auch nicht ein einziges Biskuit mehr zum Knabbern!«

»Und können diese Steine nicht in Brot verwandeln. Also plündern wir den Wald, Freund Stiller!«

Carmaux sah nach oben, wo der Kommandant einen Beobachtungsposten eingenommen hatte.

»Ist schon Bewegung da unten in die Truppe gekommen?«

»Noch nicht!«

»Dann können wir noch auf die Jagd gehen! Bei Gefahr ruft uns durch einen Flintenschuß, Kapitän!«

Die beiden Flibustier fanden zu ihrer Freude auf dem Abhang ein Stück urbar gemachter Erde. Wahrscheinlich hatte ein Indianer die Fruchtbäume einst dort gepflanzt. Sie ernteten Kokosnüsse, Orangen und Palmkraut, was ihnen das Brot ersetzen sollte. Außerdem fanden sie eine große Sumpfschildkröte. Wenn sie sich einrichteten, konnten sie wenigstens vier Tage von den Vorräten leben.

Außer den Früchten und dem Reptil hatten sie noch etwas Wichtiges entdeckt, das ihnen dazu nützen konnte, die Feinde eine Zeitlang vom Leibe zu halten. Es war eine von den Eingeborenen »Niku« genannte Pflanze.

Carmaux überließ sich einer unbändigen Heiterkeit.

»Mein lieber Stiller, wir werden den Matrosen etwas zu kosten geben, sollten sie Angriffslust zeigen! In diesem Klima gibt es Durst, und auf der Karavelle werden sie nichts zu trinken kriegen! Paß auf, der Niku wird Wunder wirken!«

»Ich habe nicht viel Vertrauen in die Sache.«

»Donnerwetter! Ich habe es doch früher einmal probiert und wäre beinahe krepiert vor Schmerzen.«

»Kommen die Spanier denn hierher, um zu trinken?«

»Na, hast du noch andere Seen in der Umgebung gesehen?«

»Nein!«

»Dann sind sie doch gezwungen, ihren Durst in dem Teich zu stillen, den wir entdeckt haben!«

»Ich bin doch neugierig auf die Wirkungen deiner Pflanze!«

»Ich werde sie dir zeigen, wenn die Bande von fürchterlichem Leibkneifen gequält wird!«

»Und wann vergiften wir das Wasser mit dem Niku?«

»Sobald wir sicher sind, daß unsere Feinde den Hügel angreifen!«

»Wißt Ihr, daß die ganze Insel schon von Schaluppen umgeben ist?«

»Hinter diesen Felsstücken und Dornenhecken können wir die Blockade bis zur Ankunft des Olonesen aushalten!« rief Carmaux.

»Aber vierzig Mann sind schon ausgeschifft!«

»Das sind schon eine ganze Menge, aber ich rechne auf meinen Niku. Wollt Ihr mit mir kommen, Kapitän? Die Spanier brauchen mindestens drei Stunden, ehe sie oben sind. Stiller hält inzwischen hier Wache.«

Sie stiegen inzwischen den bewaldeten Hügel bis zu einhundertundfünfzig Metern hinab, wobei sie Scharen von schwatzenden Papageien aufscheuchten, bis zu einem kleinen Teich mit unzähligen, lianenähnlichen Schlingpflanzen. Carmaux schnitt mit seinem Entersäbel Massen von diesen bräunlichen, von den Indianern Venezuelas und Guanayas »Niku« (botanisch: Robinien) genannten Halmen ab und band sie zu Bündeln zusammen. Dann legte er sie auf einen Stein am Ufer und schlug mit einem langen Baumzweig kräftig auf dieselben ein, so daß der Saft in den Teich tropfte. Erst färbte sich das Wasser weiß wie Milch, worauf es eine schöne Perlmutterfarbe annahm, die sich aber auch bald verflüchtigte. Zuletzt war das Becken wieder klar, und niemand konnte ahnen, daß es einen wenn auch nicht gefährlichen, so doch wenig angenehmen, berauschenden Stoff barg.

Plötzlich schlugen die Fische wild um sich, wanden sich vor Schmerzen und wollten aus dem Wasser heraus. Carmaux benutzte gleich die Gelegenheit, seine Vorräte für die Belagerung zu ergänzen. Er erklärte dem Kapitän, daß die Kariben auf diese Weise ihre Fische fangen. Es gelang ihm mit wenigen Schlägen, große Stachelrochen zu erwischen. Der Korsar war inzwischen schon vorausgegangen.

Mit einem Male krachte ein Schuß. Carmaux fiel um und blieb unbeweglich liegen.


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