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Landry geriet in große Angst; er rieb ihr die Hände, um sie zum Bewußtsein zurückzubringen. Ihre Hände waren eiskalt und so starr, als ob sie von Holz gewesen wären. Er versuchte sie zu erwärmen und hielt ihre Hände lange zwischen den seinigen; als sie dann endlich wieder eines Wortes fähig war, sagte sie zu ihm:
»Ich glaube du treibst dein Spiel mit mir, Landry; aber es giebt Dinge, mit denen man nicht spielen sollte. Ich bitte dich also, laß mich in Ruhe und rede nicht mehr mit mir; wenigstens nicht anders, als wenn ich dir in irgend etwas helfen kann; in diesem Falle wirst du mich stets zu deinem Dienste bereit finden.«
»Fadette, Fadette,« sagte er, »was du da redest ist nicht gut. Du bist es, die ihr Spiel mit mir getrieben hat. Du kannst mich nicht leiden, und doch ließest du mich etwas anderes hoffen.«
»Ich?!« sagte sie ganz betrübt; »was ist es denn, was ich dich hoffen ließ? Ich habe dir eine aufrichtige Zuneigung entgegengebracht, wie dein Zwillingsbruder sie für dich hat; vielleicht ist sie auch noch selbstloser, denn ich weiß nichts von Eifersucht, und statt dir bei deiner Liebe zur Madelon entgegen zu sein, habe ich mich bemüht dir dienlich zu sein.«
»Das ist alles wahr,« sagte Landry. »Du bist so gut gewesen, wie nur der liebe Gott es sein kann, und es ist unrecht von mir dir Vorwürfe zu machen. Verzeihe mir, Fränzchen, und laß mich dich lieben, so gut ich es vermag. Vielleicht wird meine Liebe zu dir keine so ruhige sein, wie ich sie für meinen Zwillingsbruder oder für meine Schwester Nanette empfinde; aber ich verspreche dir, dich nicht mehr küssen zu wollen, wenn dir das zuwider ist.«
Als Landry sich wieder etwas beruhigt hatte, bildete er sich wirklich ein, die Fadette empfinde für ihn nichts mehr, als eine ganz besonnene Freundschaft, und da er weder eitel noch eingebildet war, verhielt er sich ihr gegenüber ebenso schüchtern und zurückhaltend, als ob er mit seinen beiden Ohren nichts von alledem gehört hätte, was sie der schönen Madelon in Bezug auf ihn gesagt hatte.
Was nun die kleine Fadette selbst betrifft, so war sie klug genug, um schließlich dahinter zu kommen, daß Landry bis über die Ohren verliebt in sie war. Die übergroße Freude darüber hatte sie auf einen Augenblick in den einer Ohnmacht ähnlichen Zustand versetzt. Aber sie fürchtete, daß ein so rasch gewonnenes Glück, ebenso rasch wieder verloren sein könnte. Diese Furcht war es auch, weshalb sie Landry etwas hinhalten wollte, bis das heiße Verlangen nach Erwiderung seiner Gefühle in ihm erwacht sein würde.
Er verweilte bei ihr bis in die Nacht hinein; wenn er sich auch nicht mehr traute ihr Schmeicheleien zu sagen, so war er doch so verliebt in sie und fand eine so große Freude daran sie anzusehen und sie reden zu hören, daß er sich nicht entschließen konnte, ihr auch nur auf einen Augenblick von der Seite zu weichen. Er spielte mit dem Grashüpfer, der niemals lange von seiner Schwester getrennt blieb, und der auch bald erschienen war, sie aufzusuchen. Er war freundlich mit ihm und bemerkte bald, daß dieser arme Knabe, der von aller Welt so schlecht behandelt wurde, weder dumm noch böse war, wenn man nur gut mit ihm umging. Nach Verlauf einer Stunde war der kleine Bursche sogar so zutraulich und erkenntlich geworden, daß er dem Zwilling die Hände küßte, und ihn seinen Landry nannte, wie er seine Schwester »mein Fränzchen« zu nennen pflegte. Dies rührte Landry, und es erhöhte seine Teilnahme und sein Mitleiden, als er die Überzeugung gewann, daß er selbst so gut wie alle anderen Leute, sich bisher an diesen beiden armen Kindern der Mutter Fadet wirklich versündigt hatte. Man brauchte sie ja nur wie andere Kinder ein wenig liebevoll zu behandeln und sie waren die besten von allen.
Am anderen Tage, ebenso wie auch an den nächstfolgenden Tagen, gelang es Landry die kleine Fadette wiederzusehen. Bald geschah's am Abend, und dann konnte er ein wenig mit ihr plaudern, oder sie waren sich einander am Tage auf dem Felde begegnet. Und, wenn sie sich dann auch nicht lange bei ihm aufhalten konnte, weil sie in ihren Pflichten nichts versäumen mochte, so war er doch schon zufrieden, ihr aus vollem Herzen ein paar Worte zurufen zu können, und seine Augen an ihrem Anblick erquickt zu haben. Sie fuhr fort sich in ihren Reden, sowie in ihrem Anzuge und in ihrem Verkehr mit den Leuten stets fein und sittsam zu zeigen. Dies wurde bald von allen bemerkt, und man nahm auch gegen sie einen anderen Ton und eine andere Art des Benehmens an. Da sie nichts mehr that, was nicht schicklich gewesen wäre, beleidigte man sie auch nicht mehr; und da sie sah, daß man sie in Ruhe ließ, geriet sie auch nicht mehr in Versuchung die Leute durch schmähende und spöttische Reden gegen sich aufzubringen.
Indessen, da die Meinung der Leute sich nicht so schnell mit unseren Entschlüssen und Vorsätzen zu ändern pflegt, so kostete es noch einige Zeit, bis die allgemein gewohnte Geringschätzung gegen die Fadette sich in Achtung, und der Widerwille gegen sie sich in Wohlwollen verwandelt hatten. Im Laufe der Erzählung werden wir sehen, auf welche Art diese Verwandlung vor sich ging. Daß man nicht auf der Stelle der plötzlich erwachten Ordnungsliebe der Fadette eine so große Aufmerksamkeit schenkte, wird sich jedermann denken können.
Vier oder fünf gute alte Männer und Weiber, von der Sorte, welche die heranwachsende Jugend mit nachsichtigen Blicken betrachten, und die in ihrem Ort, sozusagen, für alle Welt als Väter und Mütter gelten, berieten sich manchmal miteinander unter den großen Nußbäumen von la Cosse. Sie sahen dabei die junge Generation, die einen Kegel schiebend, die anderen tanzend, um sich herumwimmeln. Diese ehrwürdigen Alten pflegten dann über die einzelnen ihre Bemerkungen zu machen: – »Der da,« sagten sie, »wird ein prächtiger Soldat, wenn er es so fort macht, denn um frei zu kommen, hat er einen zu richtigen Körper; dieser hier wird noch einmal so schlau und klug sein, wie sein Vater; jener scheint die Bedachtsamkeit und Ruhe seiner Mutter geerbt zu haben. Seht dort die junge Lucette! Sie verspricht einmal eine hübsche Magd für die Meierei zu werden; und da die dicke Louise wird mit der Zeit schon mehr als einem gefallen; und was die kleine Marion betrifft, so laßt sie nur erst heranwachsen, dann wird sie schon verständig werden, wie die anderen auch.«
Wenn bei diesen Unterhaltungen schließlich die Reihe an die kleine Fadette kam, um geprüft und beurteilt zu werden, so hieß es wohl:
»Seht! wie rasch sie vorübergeht; sie will weder singen noch tanzen; seit dem Fest des heiligen Andoche läßt sie sich überhaupt fast gar nicht mehr sehen. Sie muß sich wohl schrecklich darüber geärgert haben, daß die Kinder hier aus dem Ort ihr beim Tanz die Haube heruntergerissen haben; sie hat ihren großen Deckel von Mütze auch verändert, und man sollte fast meinen, daß sie jetzt nicht häßlicher ist als eine andere.«
»Habt ihr schon darauf geachtet, wie ihre Haut seit einiger Zeit so hell geworden ist?« fragte die Mutter Couturière. »Ihr Gesicht sah ja aus wie ein Wachtelei, so sehr war es mit Sommersprossen bedeckt; und das letzte Mal, als ich sie in der Nähe gesehen habe, war ich ganz erstaunt, wie weiß sie geworden war; ja, sogar so bleich, daß ich sie fragte, ob sie das Fieber gehabt habe. Wie man sie da jetzt vor Augen hat, sollte man sagen, sie könne sich noch ganz umgestalten, und wer weiß, was noch aus ihr wird? Es hat schon Häßliche gegeben, die sich mit siebzehn oder achtzehn Jahren als Schönheiten entpuppten.«
»Ja, wenn der Verstand kommt,« sagte der Vater Naubin, »und wenn ein Mädchen anfängt auf sich zu achten, dann weiß sie auch, wie sie sich hübsch und angenehm machen kann. Es ist freilich Zeit, daß die Grille endlich begreift, daß sie kein Bube ist. Du lieber Gott! man dachte sie würde sich so häßlich auswachsen, daß es eine Schande für den Ort wäre. Aber, sie hat sich gemacht, und wird den anderen noch gleichkommen. Sie wird's wohl wissen, daß sie etwas gut zu machen hat, weil sie eine Mutter von so schlechtem Rufe hatte, und ihr werdet sehen, bald wird sie nichts mehr von sich zu reden geben.«
»Das wolle Gott!« sagte die Mutter Courtillet, »denn es ist schlimm, wenn ein Mädchen aussieht, wie ein scheu gewordenes Pferd. Aber, bei dieser Fadette gebe ich die Hoffnung noch nicht auf; denn vorgestern bin ich ihr begegnet, und statt, daß sie wie sonst gleich hinter mir her war, um mir mein Hinken nachzumachen, wünschte sie mir einen guten Tag und fragte mich sehr höflich nach meinem Befinden.«
»Die Kleine, von der ihr da redet, ist eher närrisch als boshaft,« fiel hier der Vater Henri ein. »Sie hat durchaus kein böses Herz, das laßt Euch von mir gesagt sein. Als Beweis dafür, brauche ich nur zu sagen, daß sie oft, wenn meine Tochter krank war, aus reiner Gefälligkeit meine Enkelkinder auf dem Felde unter ihre Aufsicht genommen hat; und sie bewahrte sie so freundlich und gut, daß sie gar nicht mehr von ihr lassen wollten.«
»Ist es denn wahr, was ich mir erzählen ließ,« sagte die Mutter Couturière, »daß auf dem letzten Feste des heiligen Andoche, einer von den Zwillingen des Vaters Barbeau sich in sie vergafft hat?«
»Warum nicht gar!« erwiderte der Vater Aubin; »das muß man nicht im Ernst nehmen. Das ist nur eine Kinderei gewesen; die Barbeaus sind nicht dumm, die Kinder so wenig wie die Eltern, versteht Ihr?«
In dieser Weise urteilte man über die Fadette, an die man aber überhaupt nicht viel mehr dachte, da sie fast gar nicht mehr zu sehen war.