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Ausgang

Das Ende des Menschen ist im Rätsel.

Elli befand sich im Freien, aber es war nicht die Straße, sondern ein Weg zwischen freien Plätzen durch einen Wald, und sie hörte die wohlbekannten Geräusche der Berliner Stadtbahn ganz in der Nähe. Doch war, als sie danach sah, nichts davon, sondern nun die Straße, die sie hinuntertrieb, selber leicht, aber an etwas unendlich Schwerem schleppend, ihrem Körper, der ein kleines, schweres Kind war, und sie schleifte es nach sich an der Hand, so lange bis es plötzlich abriß. Nun sah sie aber den Stadtbahnhof nah in der Nacht und wußte, auch die Brücke war in der Nähe. Doch war es nun ein hoher Damm, auf dem sie ging, ringsum die Ebene war schwarz, aber besät mit großen Leuchten, den Sternen. Es war das Firmament, das jetzt unten war, – nein, die Ebene war schwarzes Wasser, die Sterne kleine leuchtende Inseln, es war schön, sie konnte über das Wasser gehn, und die Sterne waren nicht Lampen oder Inseln, sondern seltsame Wesen, die dort hin und her gingen auf dem Wasser. Sie hörte auch eine rauschende, leise Musik von solcher Süße, daß ihr der Atem stand, und indem kam eines jener Wesen vorübergewandelt. Es sah selig aus, hatte einen langen goldenen Bart, aus den Augen liefen unzählige Tränen, so klar wie aus Glas, und vor der Brust wagrecht trug das Wesen eine Zither, auf und durch deren Saiten die gläsernen Tränen fielen und diese himmlische Musik erzeugten. »Ja, so ist das bei uns!« sang das Wesen und war vorüber. Da war wieder der Bahndamm hoch in der Nacht, die rote Signallampe, Elli eilte, denn auf der Brücke wartete ja Ludwig. Nun saßen aber auf Bänken da und dort im Wald dunkle Gestalten, vor denen sie sich namenlos fürchtete; sie saßen entfernt, und doch war immer eine ganz nahe, wenn Elli vorbei wollte; sie mußte immer neue Wege einschlagen, und nun konnte sie auch deutlich sehn, daß es Philipp war, der überall saß, tot, und ihr den Weg versperrte. Plötzlich war sie in einer langen Allee, eine einzelne Gestalt kam ihr entgegen und sang; sie hatte einen leise glänzenden Fleck nicht ganz in der Mitte der Brust, und nun war sie schon nahe; Elli ging schnell auf sie zu und sagte: »Kommt man denn hier nirgends hin?« Die Fremde war aber nun bekannt, Cordelia Severin hieß sie; ihr Mund war so süß, als wäre er nur aus Blut und Küssen gemacht; sie lächelte so triumphierend, daß Elli es kaum zu ertragen meinte, und fragte: »Was suchst du denn?«

Elli wußte nun, daß sie etwas zu suchen hatte, daß ihr etwas fehlte, und sie sagte: »Ach, es hat ja immer etwas an mir gefehlt, ich weiß nur nicht was!«

»Das weißt du nicht?« fragte die Andre und sah zornig aus. »Doch!« antwortete Elli, der es nun einfiel, »ich glaube! Ich glaube – ich habe kein Geheimnis.«

Plötzlich umarmte die Fremde sie und flüsterte ganz nah: »Dann will ich es dir zeigen, willst du?« »Ja, hast du es denn?« fragte Elli erstaunt. – Die Andre lächelte unendlich geheimnisvoll, schlug von ihrer linken Brust, wo es schon glänzte, das Kleid zurück und zeigte unter der sanften Rundung eine Schrift aus Flammen, so durcheinanderlaufend, daß Elli nichts lesen konnte. Auf einmal aber standen fünf leuchtende Buchstaben da, klar und leserlich: Opfer

Aber das verstand Elli nicht. Es war auch nun alles verschwunden; wieder rauschte ein Zug über den Bahndamm, und da war endlich die Brücke und das Wehr, aber wo war Ludwig?

Nein, kein Wehr, eine Brücke wohl mit schwarzen Trägern, unten ein stilles schwarzblankes Wasser. Elli sah hinunter und wußte nicht, was das zu bedeuten hatte. Endlich erfuhr sie die letzte Angst. Jetzt würde er kommen und wieder schlagen! Da kam eine Gestalt gelaufen, das war er, und sie trat auf das Holzgeländer und packte den obersten Balken.

»Und wenn ich dich jetzt hier hinunterfallen ließe,« fragte eine Stimme hinter Elli, »so würdest du dich nicht wehren?«

» Nein!« antwortete sie inbrunstvoll und blickte empor. Das Siebengestirn ihrer Schmerzen in goldener Wagenform stand groß und schön in der Nacht. Elli fiel.

Wohltat unendlicher Dunkelheit, nimm sie auf!


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