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VI.

Die gerichtliche Obduktion hatte stattgefunden und ergeben, daß Frau Fallner kaum noch wenige Sekunden nach dem Streich lebte.

Vielleicht hatte sie rasch noch die Augen geöffnet, das Gesicht des Mörders gesehen, einen kurzen Schrei ausgestoßen und dann sofort das Bewußtsein verloren.

Unmittelbar darauf trat sodann der Tod ein.

Auch der wahrscheinlich noch ausgestoßene Schrei mußte kaum auf dem Flur draußen hörbar gewesen sein, denn Balthasar hatte keinen Laut vernommen.

In einem Wagen – der Empörung wegen, die sich der ganzen Einwohnerschaft Wilbergs seit Bekanntwerden des Mordes bemächtigte – wurde der Wald-Sepp nach dem Haus seines Opfers gebracht.

Bewacht von zwei Gendarmen saß er gefesselt in dem Wagen, hörte die Verwünschungen der Menge, die ihn begleitete, und hatte auf all dies denselben wild-trotzigen Blick, der ihn nicht mehr verließ, seit dem letzten Verhör, das der Untersuchungsrichter mit ihm anstellte.

In einem zweiten Wagen folgten die Beamten.

Am Tor des Fallnerschen Besitztums standen viele Personen, denn es war nicht verschwiegen geblieben, daß der Mörder hierher geführt wurde, um, angesichts seines blutigen Opfers, die Tat zu gestehen.

Als der Wald-Sepp ausstieg, trafen sein Ohr von allen Seiten derartige Verwünschungen, daß er versucht war, diese zu erwidern.

Erst als die Menge, gereizt durch seine trotzige Miene, auf ihn eindrang, um ihn mit Stöcken zu erschlagen, erbleichte der Wehrlose.

Die Gendarmen trieben die Wütenden zurück und schritten mit dem Gefangenen rasch durch den Garten, dem Haus zu.

Die Empörung des harmlosen Volkes war leicht erklärlich, wenn man bedachte, daß Frau Fallner weit und breit beliebt war, ja, geradezu verehrt wurde.

Ebenso rasch folgten die Gerichtsherren.

Anwesend waren noch, außer Balthasar, der Inspektor Brak und sein Bruder.

Gollwitz war dienstlich abgehalten.

Peter Brak betrachtete sich den Wald-Sepp bei dessen Erscheinen mit großem Interesse, ohne daß er selbst von dem Gefangenen bemerkt wurde.

»Ich bin neugierig, ob der Patron die Tat eingesteht!« sagte Peter Brak zu seinem Bruder, dem Inspektor.

»Ich halte ihn unbedingt für den Täter; es sind ja auch Beweise genug vorhanden, ihn zu überführen!« entgegnete dieser.

Während der Inspektor in das Zimmer trat, in dem Sepp bereits der Leiche gegenübergestellt wurde, entfernte sich Brak aus dem Hause.

Er war zu angegriffen, um an der schauerlichen Szene teilzunehmen.

Im Garten auf einer Bank sitzend, erwartete er das Resultat.

»Ist er der Mörder? Ist er es nicht?« murmelte er nachdenklich. »Mir deucht, es müßte ein anderer sein. Aber wer – wer?«

Peter Brak rieb sich die Stirn, schüttelte den Kopf und sah dann brütend vor sich nieder.

Offenbar war er zu keinem Resultat gekommen.

Zehn Minuten später wurde unfern von ihm der Wald-Sepp nach dem Wagen zurücktransportiert.

Durch die Büsche hindurch sah er das etwas fahle Gesicht des Burschen, der die Lippen fest aufeinanderpreßte und drohende Blicke um sich schickte.

Er stand auf und trat in das Haus.

Das Ergebnis dieser Vorführung war von keinem Wert. Sepp hatte auch der Leiche gegenüber auf das entschiedenste geleugnet, etwas von dem Mord zu wissen, hatte sich als unschuldig bekannt.

Keine Ermahnung half.

Wohl war der Bursche stark ergriffen, bat auch mit dumpfer Stimme, man möge ihn von der blutigen Leiche fortführen, aber daß er an der Tat beteiligt, dies gab er unter keinen Umständen zu.

So wurde er wieder unverrichteter Sache zurückgeführt.

Es vergingen nun zwei Tage.

Frau Fallner wurde unter enormer Beteiligung zur Ruhe getragen, tieftrauernd schritten ihre nächsten Angehörigen hinter dem Sarge her, und als dieser in die Erde versenkt war, hörte man von mehr als einer Seite, daß man nicht ruhen wolle, als bis der elende Mörder seiner gerechten Strafe zugeführt sei.

In der Sache selbst waren noch vernommen worden: die Busch-Kathrin und Braks alte Magd.

Sonderbarerweise bestätigten sie die Angaben des Verhafteten, so daß er also hier die Wahrheit gesprochen hatte.

Dennoch konnte Sepp trotzdem der Mörder sein.

Vielleicht hatte er eben im Auftrag jenes nächtlichen Unbekannten gehandelt, den er nur gesehen, aber nicht gesprochen haben wollte.

Aber es ließ sich nicht leugnen, die Sache hatte für Sepp eine günstigere Wendung genommen, obwohl ihn der Untersuchungsrichter noch immer für schuldig hielt.

Es ergaben sich aber noch wichtigere Feststellungen.

Als das bedeutendste Moment galt die Tatsache, daß das Blut am Rock Sepps weder von ihm selbst, wie er behauptet, noch von der Ermordeten herrührte.

Es war, wie mehrere vereidigte Chemiker bekundeten, überhaupt kein Menschenblut, sondern rührte von einem Tier her.

Man brachte diese Tatsache mit dem Umstand in Verbindung, daß Sepp wilderte, obwohl man ihm dies nicht direkt beweisen konnte bis dahin.

Sodann paßte Sepps Fußgröße in keine der vom Staatsanwalt genau abgemessenen Spuren im Garten Peter Braks.

Daß er auch bei diesem eingestiegen war, um zu rauben, leugnete Sepp auf das entschiedenste, beteuerte seine Unschuld und verlangte, freigelassen zu werden.

Diesem Verlangen wurde jedoch fürs erste noch nicht stattgegeben, wohl aber stiegen jetzt selbst dem Untersuchungsrichter Zweifel darüber auf, ob man in Sepp wirklich den alleinigen Mörder habe.

Bis jetzt hatte dieser sich hartnäckig geweigert, anzugeben, wo er sich die Nacht über aufgehalten hatte.

Er merkte nämlich, daß man bereits etwas unsicher betreffs seiner Schuld wurde und hoffte, auch so freizukommen, ohne daß er angab, sich die Nacht in der Kugel-Wirtschaft aufgehalten zu haben, in welchem Fall auch an den Tag kommen mußte, daß er ein Reh verkaufte.

Der Wirt, wie auch die zwei Genossen, mit denen er die Nacht durchzechte, schwiegen aus guten Gründen, und Sepp wollte lieber die kurze Untersuchungshaft tragen, als die Zuchthausstrafe von einigen Monaten, die ihn wegen Wilddieberei erwartete.

Tatsächlich hatte sich die mit großer Energie geführte Untersuchung nach anderer Seite gewendet.

Der Untersuchungsrichter wurde von dem Oberamtsrichter wiederholt auf Heinrich Gollwitz hingewiesen. – Der junge, gänzlich unbescholtene Mann schien dem Oberamtsrichter überhaupt unsympathisch zu sein, und er wurde dem Untersuchungsrichter als eine Persönlichkeit geschildert, die am meisten Nutzen aus dem Tod der alten Dame zog, da diese ja mehrfach geäußert, daß Luise Brak und Heinrich Gollwitz ihre Erben sein sollten.

Diesen Wink hatte der Untersuchungsrichter nicht unbeachtet gelassen.

Er ging jedoch mit großer Vorsicht zu Werke, um Gollwitz nicht stutzig zu machen.

Der einzige, schwerwiegende Punkt in der Anklage gegen den Wald-Sepp bestand in dem Umstand, daß man seinen Hammer am Tatort fand, sodann, daß er sich weigerte, den Aufenthalt in der Mordnacht anzugeben.

Er behauptete, eine Nacht vorher eine unbekannte Person vor der Hütte bemerkt zu haben, die ihm den Hammer gestohlen haben müsse.

So sonderbar es nun war, daß ein Mensch erst nach der entfernten Waldhütte lief, um sich dort das Werkzeug zu verschaffen, das er doch jedenfalls viel bequemer zur Hand hatte, so war andererseits auch anzunehmen, der Täter suchte sich mit Absicht den schlecht beleumundeten Sepp heraus, um den Verdacht sofort auf diesen zu lenken.

Dies war nicht unmöglich, so wenig Glauben der Wald-Sepp anfänglich mit seiner Behauptung fand.

Ganz im Geheimen stellte der Untersuchungsrichter Erkundigungen an.

Er begab sich selbst, zu einer Zeit, wo der Referendar Gollwitz im Amt war, zu dessen Logisfrau, einer alleinstehenden alten Witwe, und befragte sie über ihren Mieter.

Frau Ballin war nicht wenig erschrocken, als sie von dem Beamten erfuhr, daß sich Gollwitz wegen des Mordes an der Frau Fallner, seiner Tante, zu verantworten haben werde.

Der Untersuchungsrichter verlangte jedoch zugleich unbedingtes Stillschweigen ihrem Mieter gegenüber, gegen den ja auch nicht das geringste unternommen würde, sobald er sich auszuweisen vermöge.

Frau Ballin berichtete nun, daß Gollwitz seit dem Tod seines bejahrten Vaters bei ihr wohne und in Frau Fallner eine zweite Mutter besessen habe.

Er liebte die alte Dame sehr und gewiß nicht nur aus dem Grund, weil diese mütterlich für ihn sorgte und die Kosten seiner Ausbildung bestritt.

Daß Gollwitz, dem sie das allerbeste Zeugnis gab, imstande gewesen sein sollte, die Tante zu ermorden, oder auch nur solches zu wünschen, wies Frau Ballin weit von der Hand.

»Sagen Sie doch,« fragte der ruhigbleibende Richter, »ist Ihnen auch nicht bekannt, daß sich Gollwitz wenigstens den natürlichen Tod der alten Dame wünschte?«

»Das allein wäre ja schon ein Verbrechen, und Herr Gollwitz dachte nie daran,« lautete die Antwort.

»Hm – aber Gollwitz sprach doch hin und wieder davon, daß er nach dem Tod der Dame erben würde?«

»Er sprach davon, das ist wahr, doch nur in Gefühlen der Dankbarkeit.«

»Ist Ihnen bekannt, daß er mit Fräulein Luise Brak ein Liebesverhältnis unterhielt?«

»Nein,« versetzte die Frau rasch, »davon weiß ich absolut nichts. Vielleicht liebte Herr Gollwitz das Fräulein, ich glaube dies sogar, aber solange er arm war, durfte er nicht daran denken, sich dem alten Herrn Brak zu offenbaren, der sehr geizig ist.«

»Nun, sehen Sie,« rief schnell der Richter, »darum handelt es sich ja eben. Gollwitz liebte Luise –, man hat dafür bereits Beweise – und sein Bestreben ging dahin, sich bald in den Besitz des geliebten Gegenstandes zu setzen. Dies war aber erst möglich, wenn er das Erbe angetreten hatte, das ihm in Aussicht gestellt war. Die Leidenschaft, liebe Frau, hat schon Dinge zuwege gebracht, die unter normalen Verhältnissen gar nicht denkbar gewesen wären. Frau Fallner war noch sehr gesund, konnte noch lange leben, und dieser Gedanke mußte dem jungen Menschen durchaus ungelegen kommen.«

Die Witwe schüttelte ernst den grauen Kopf.

»Ich glaube trotzdem nicht, daß sich Herr Gollwitz soweit vergessen konnte; nein, nein, es ist nicht möglich. Er kann ja kein armseliges Tier leiden sehen. Wie könnte er dann so grausam sein, einen Mord zu begehen?«

»Vielleicht, daß er ihn nicht selbst ausführte, daß er den Wald-Sepp dazu dingte und außerhalb des Gartens wartete?«

»Auch dies vermag ich nicht zu glauben.«

»Nun, wir werden ja sehen. Sagen Sie mir noch, wann Gollwitz in der bewußten Nacht nach Hause kam?«

Die Witwe sann eine Weile nach und antwortete dann:

»Es war ein Viertel nach zwölf.«

Der Untersuchungsrichter notierte sich die Zeit.

»Sie irren sich nicht?« sagte er.

»Nein, ich weiß es ganz gewiß. Zufällig war ich noch auf, als Herr Gollwitz an meiner Tür vorbeischritt. Ich öffnete diese und rief ihm auf den Gang hinaus ein: ›Gute Nacht!‹ zu. Er antwortete mir nur kurz darauf, weil er nicht gut gelaunt zu sein schien, und trat in sein Zimmer. Ich schaute nach der Uhr, es war ein Viertel nach zwölf.«

»Liegt das Zimmer, das Gollwitz bewohnt, parterre?«

»Jawohl, gleich hier nebenan. Sie können es ansehen, mein Herr.«

Der Beamte ging nun mit der alten Frau in das nebenan liegende Zimmer.

Es war klein und einfach möbliert.

Nur zwei Fenster enthaltend, ging das eine davon auf die Straße.

Der Untersuchungsrichter betrachtete es sorgsam.

Es war durchaus kein Kunststück, von hier aus durch das Fenster auf die Straße zu gelangen.

Diesen Gedanken festhaltend, fragte der Richter die alte Frau: »Hielt sich Gollwitz in der Nacht vor dem Mord – besinnen Sie sich genau – zu Hause auf?«

»Ja, ich weiß es bestimmt. Herr Gollwitz lebt sehr solid. Er kam schon abends heim, zog sich in sein Zimmer zurück und zeigte sich nicht mehr.«

»Zeigte sich nicht mehr? So – so!«

Und der Untersuchungsrichter betrachtete sich nochmals das Fenster, ohne jedoch etwas Auffälliges zu finden.

»Irgendwelche Veränderung haben Sie an Gollwitz seit dem Mord wohl auch nicht bemerkt?« fragte er weiter.

»Herr Gollwitz ist freilich immer sehr erregt, aber das läßt sich doch begreifen,« antwortete die Frau.

»Blutige Wäsche oder dergleichen fanden Sie nicht?«

»O nein!«

Der Beamte empfahl sich, verlangte Gollwitz gegenüber vollkommenes Schweigen und entfernte sich.

Er sprach bei dem Oberamtsrichter vor, der ihn mit einer wichtigen Miene empfing.

»Ich habe Ihnen, den Mord betreffend, eine wertvolle Mitteilung zu machen!« sprach er sogleich.

»Sprechen Sie, bitte. Ich komme soeben von der Witwe Ballin.«

»Gollwitz wohnt bei ihr!« rief der Oberamtsrichter. »Sie haben sich selbst bemüht?«

»Der Vorsicht wegen, ja!«

»Und was haben Sie gefunden?«

»Offen gesagt, nicht viel. Der junge Mann besitzt den besten Leumund. Andererseits läßt sich aber auch wieder nicht leugnen, daß er von dem Tod der alten Dame fast allein Nutzen zu ziehen hoffte.«

»Hoffte! Ja, das ist es; er glaubte bestimmt, daß er ihr Erbe sein würde und hatte dazu auch alle Veranlassung. Die Ermordete bestärkte ihn selbst in diesem Glauben. Unterdessen ist der Nachlaß von seiten des Gerichts einer Prüfung unterzogen worden, und ist es nicht geradezu eine Fügung des Schicksals zu nennen, eine Tatsache ausgleichender Gerechtigkeit, daß ein Testament gar nicht gefunden, also von Frau Fallner ein solches noch gar nicht aufgesetzt wurde. Heinrich Gollwitz erbt gar nichts.«

»Er hätte also die alte Dame um ein Nichts ermordet?«

»Um nichts, ganz recht. Aber er konnte natürlich nicht wissen, daß die Ermordete das erwähnte Testament noch nicht aufgesetzt hatte, sondern vermutete eben das Gegenteil.«

»Wenn man ihm beweisen könnte, daß er tatsächlich auf dieses Erbe wartete?« –

»Dies hoffe ich ihm beweisen zu können. Lesen Sie nur einmal hier diese Zeilen!«

Mit einer triumphierenden Miene reichte der Oberamtsrichter dem anderen ein offenes Blatt Papier. Dieser las:

 

»Mein lieber Heinrich!

Nach reiflichem Überlegen bin ich zu der Erkenntnis gelangt, daß Ihr beide, Du und Luise, noch zu jung zum Heiraten seid. Wartet also noch ruhig ein paar Jährchen. Dann meinetwegen will ich – falls ich nicht schon früher sterbe und Du in den Besitz meines Vermögens gelangst, wie Du weißt – ein Auge zudrücken und bei meinem Bruder ein gewichtiges Wort für Dich einlegen, denn Du weißt, Peter Brak darf vorläufig noch nichts von Eurem Bund erfahren, den er durchaus nicht gutheißen wird, solange ich ihm nicht sage, daß Du und Luise meine Erben werdet.

Also, nur Geduld bis dahin, mein lieber Sohn; es bleibt Dir nichts anderes übrig, als zu warten, und Tante Fallner meint es ja nur gut. Bestürme mich also nicht mehr mit Deinen Bitten, bei Brak Eure Verbindung durchzusetzen. Ich bleibe hart.

Da ich Dich erst nächsten Donnerstag bei mir erwarte, so sende ich Dir heute schon diese Zeilen.«

Gebhard

Der Untersuchungsrichter ließ den Arm mit dem Blatt sinken.

»Das ist in der Tat ein wichtiges Dokument,« sagte er. »Wie kommt es in Ihre Hände?«

»Durch die einfachste Art der Welt. Ich hatte gleich von Anfang an vermutet, daß sich irgendwelche Zeilen im Besitz des Referendars befänden, die das Verhältnis zwischen ihm und Frau Fallner klarstellten, wußte jedoch nicht, wie dazukommen, da eine direkte Durchsuchung seiner Wohnung noch nicht gerechtfertigt erschien.

Ich gab deshalb dem Diener, der das Amtszimmer aufzuräumen hat, in dem der Referendar beschäftigt ist, einen deutlichen Wink, nachzusehen, ob Gollwitz nicht dort unter der Schreibunterlage oder im Papierkorb usw. ein beschriebenes Blatt liegen ließ und vergaß. Dabei hatte ich Glück, wie Sie sehen. Der Diener brachte mir vorhin diesen Brief, den Frau Fallner an Gollwitz etwa zwei Tags vor dem Mord schrieb.«

Der Untersuchungsrichter drehte das wichtige Dokument in den Fingern.

»Die Verdachtsmomente mehren sich tatsächlich gegen den jungen Mann. Diesen Brief werde ich zu den Akten legen und das weitere veranlassen. Mit dem heutigen Tag erschien auch die Bekanntmachung, daß auf die Entdeckung des wahren Mörders eine Belohnung von fünfhundert Mark ausgesetzt wird. Wir gestehen damit allerdings, daß wir den Wald-Sepp nicht mehr recht sicher für den Alleinschuldigen halten, aber was tut das? Vielleicht erfährt man wirklich etwas Genaueres.«

»Möglich, daß irgendwer Gollwitz um eine gewisse Stunde in der Nähe des Fallnerschen Hauses bemerkte,« versetzte der Oberamtsrichter, hartnäckig daran festhaltend, daß eben nur Gollwitz und kaum ein anderer direkt der Urheber des Mordes sein könne.

»Ich habe hier bereits eine Art Schlinge für den Referendar,« sagte rasch der Untersuchungsrichter, »da ich von seiner Wirtin auf das Bestimmteste erfuhr, daß Gollwitz in der bewußten Nacht erst gegen ein Viertel nach zwölf heimkam. Ich werde nun Gollwitz vorladen und ihn befragen, was er die Nacht über trieb. Kann er sich ausweisen, so ist es gut, wo nicht, verfüge ich seine Verhaftung.«

»Darüber kann ich Ihnen ganz genaue Auskunft geben,« antwortete der Oberamtsrichter. »Gollwitz hat auf mein Befragen mit aller Bestimmtheit erklärt, daß er an dem Abend des Mordes schon nach eingebrochener Dunkelheit heimkehrte.«

»Herrscht hier kein Irrtum?«

»Durchaus nicht. Sie können übrigens Gollwitz noch einmal fragen, und er wird dasselbe antworten.«

»Ach, dann hätten wir ihn ja bereits!« rief im Eifer der Untersuchungsrichter.

Der andere nickte, und der die Untersuchung führende Beamte empfahl sich.

In seinem Bureau angekommen, gab er Auftrag, den Referendar Gollwitz, zwecks einer amtlichen Vernehmung, vorzuführen.

Kaum war dies geschehen, so wurde ihm ein Arbeiter gemeldet, der über den Mord Angaben zu machen sich bereit erklärte.

Er wurde sofort vorgelassen.

»Was wissen Sie über die Sache?« fragte der Untersuchungsrichter.

Der Mann, der erst mit großer Zuversicht hierherging, kratzte sich nun doch etwas verlegen hinter dem Ohr.

»Ich weiß zwar nicht, Herr Richter, ob es was richtiges ist, was ich angeben kann,« sagte er, »aber die anderen ließen mir keine Ruhe, und meine Barbara meinte, fünfhundert Märker wären nicht alle Tags zu verdienen und da höre jede Rücksicht auf bekannte Personen auf.«

»Ganz recht. Was wißt Ihr also?«

Getreu der Wahrheit berichtete der Mann nun, wie er in der verhängnisvollen Nacht mit Heinrich Gollwitz zusammentraf.

»Ihr könnt das beschwören?« rief der Untersuchungsrichter hastig, als der Arbeiter geendet hatte.

»Jawohl, jederzeit. Ich kenne ja den jungen Herrn sehr gut.«

»Wie spät war es, als Ihr Gollwitz in der Nähe des Brakschen Hauses auf dem Wege stehen saht?«

»Es schlug unmittelbar vorher Mitternacht auf dem Martinsturm.«

»War es nicht etwa elf, statt zwölf? Ihr könnt Euch ja verzählt haben!«

»Nein, ich bin meiner Sache gewiß. Als Herr Gollwitz in die I…straße, wo er wohnt, trat, schlug es ein Viertel.«

»Das stimmt genau mit den Aussagen der Witwe Ballin überein,« sagte sich der Untersuchungsrichter.

Er ließ den Arbeiter das Protokoll unterschreiben und dieser war entlassen.

Am Nachmittag erschien Heinrich Gollwitz vor dem Untersuchungsrichter.

Sein Gesicht war bleich und zeigte den Ausdruck des Kummers und der Sorge.

Gollwitz wußte ja nun, daß er nichts mehr zu erhoffen hatte von dem Erbe, das ihm die gute Tante Fallner so bestimmt versprach, wissend, daß Peter Brak nur in diesem Fall sein Kind dem Referendar geben würde.

Die Hoffnung auf Luisens Hand durfte sich Heinrich nun aus dem Kopf schlagen, ja, niemand durfte auch nur eine Silbe davon erfahren, daß er es wagte, sich dem Mädchen zu nähern. Jetzt, da er niemals ihr Gatte werden konnte, hätte ein Bekanntwerden ihres, wenn auch unschuldigen Liebesverhältnisses Luise schwer kompromittiert und geschädigt.

Deshalb mußte er schweigen.

Gollwitz befand sich aber auch in gewisser Unruhe.

Er ahnte irgendeine noch nicht recht greifbare Gefahr für sich.

Weshalb rief ihn der Untersuchungsrichter?

Was konnte er denn noch von ihm wissen wollen?

Schon der Oberamtsrichter hatte ihn so eigentümlich befragt. Sollte sich dies hier noch einmal wiederholen?

Und wirklich war es so.

In sachgemäßer, kalter Weise stellte der Richter seine Fragen.

Er verlangte zunächst Auskunft darüber, was Gollwitz an dem bewußten Abend getan hatte.

Mit innerlichem Widerstreben antwortete Gollwitz dasselbe was er schon dem Oberamtsrichter sagte auf die gleiche Frage.

»Sie behaupten also, einen Spaziergang in der Dämmerung gemacht zu haben und dann – etwa eine halbe Stunde später – heimgekehrt zu sein?« erwiderte der Richter mit Nachdruck.

»Ja, so ist es,« sagte Gollwitz, konnte jedoch nicht verhindern, daß seine Stimme unsicher klang.

»Können Sie angeben, wie spät es beiläufig war, als Sie Ihr Zimmer betraten?«

»Vielleicht zehn Uhr. – Aber darf ich fragen, was dies alles bedeutet?«

»Sogleich! Vorläufig kann ich Ihnen erwidern, daß Ihre Aussagen erlogen sind!« rief der Beamte.

»Erlogen!?« fuhr Gollwitz auf, indem eine jähe Röte über sein Gesicht flog.

»Jawohl, erlogen!« sprach der Untersuchungsrichter kalt. »Frau Ballin, Ihre Wirtin, hat angegeben, daß Sie genau ein Viertel nach zwölf Ihr Zimmer betraten.«

Gollwitz schwieg; er atmete nur heftiger.

»Was sagen Sie darauf?« fragte der Beamte, ihn scharf fixierend.

»Ich mag mich also in meiner Angabe geirrt haben,« preßte Gollwitz hervor.

»Gut, daß Sie das zugeben. Wo hielten Sie sich bis zwölf Uhr auf?«

»Ich ging spazieren.«

»Das klingt sehr unwahrscheinlich!«

»Dennoch kann ich nichts anderes sagen.«

»Was taten Sie in der Nähe des Fallnerschen Hauses?«

»Ich kam gar nicht dorthin.«

»Nicht? Aber doch in die Nähe des Brakschen Besitztumes?«

»Nein, auch dort war ich nicht,« sagte Gollwitz etwas unbedacht, denn er hätte sich sagen müssen, daß ihn der Mann neulich ja erkannte.

»Durch derartige Unwahrheiten werfen Sie selbst ein schlechtes Licht auf Ihren Charakter,« versetzte der Richter kurz. »Auch hier kann ich Ihnen durch einen Zeugen das Gegenteil beweisen. Vielleicht waren Sie im Garten Braks selbst!«

»Nein, nein!« rief Gollwitz mit solcher Heftigkeit, daß er dadurch seine Lage nur noch verschlimmerte. »Was sollte ich denn zu solch später Stunde in dem abgeschlossenen Garten tun? Ich gebe es zu, es ist möglich, daß ich auf dem Weg dort vorüberkam, ich weiß es nicht mehr. Und das ist doch nicht etwa ein Verbrechen? Aber den Garten selbst habe ich nicht betreten.«

Der Richter ließ alles zu Protokoll nehmen, dann sagte er:

»Ich muß Sie bitten, mir eine klare Antwort, betreffend das Verhältnis Ihrer Person zu Frau Fallner, zu geben. Die Dame war mit Ihnen verwandt und Sie hatten Gründe, anzunehmen, daß nach ihrem Tod ein Teil des Vermögens an Sie fiel?«

»Frau Fallner war meine Tante, meine zweite Mutter,« erwiderte Gollwitz und man sah es ihm an, wieviel Mühe es ihn kostete, die oberflächliche Ruhe zu bewahren. »Wenn ich auch Gründe hatte, zu hoffen, von Frau Fallner gütig bedacht zu werden, so ist diese Hoffnung doch völlig zerstört worden, da sich kein Testament vorfand.«

»Das erwarteten Sie wohl nicht, und es traf Sie sehr hart?«

»Wenn auch, ich zürne der Toten nicht, die nur zu schnell aus dem Leben gerissen wurde, um noch vorher ein Testament aufsetzen zu können.«

»Hm! Sie nahmen aber vielleicht an, daß sich ein solches Vermächtnis nach dem Tod der Dame unbedingt vorfinden würde?«

»Ich nahm es an, ja, wenngleich dieser Gedanke erst dann kam, als sich tatsächlich keins vorfand.«

»Natürlich! Sie wollten heiraten?«

Diese Frage kam so unerwartet, so bestimmt, daß Gollwitz heftig zusammenzuckte.

»Wer – sagt dies?« stotterte er.

»Ich frage Sie ja nur!«

»Davon weiß ich nichts; ich bitte, verschonen Sie mich mit solchen Fragen!«

»Ich muß bedauern!« erwiderte kalt der Richter. »Sie bedrängten Frau Fallner sogar kurz vor dem Tag des Mordes, für Sie zu werben, das heißt wohl besser, Ihnen schon jetzt einen Teil des Erbes zuzusichern?«

Betroffen, verwirrt blickte Heinrich den Beamten an.

»Es war nicht so,« stammelte er, »ich bedrängte Frau Fallner nicht, ich bat nur –«

»Und wurden abgewiesen!« ergänzte der Richter. »Dieser Brief hier sagt das nähere darüber.«

Jetzt verstand Gollwitz. Die Röte der Empörung färbte seine Wangen.

»Dieser Brief! Er ist mir listigerweise entwendet worden! Das ist Diebstahl!«

Der Verhörende ging jedoch gar nicht näher darauf ein, sondern fuhr fort:

»Sie lieben Fräulein Luise Brak?«

Keine Antwort.

»Werden Sie von ihr wiedergeliebt?«

Diesmal versetzte Gollwitz mit bleichem Antlitz:

»Nein, meine Base weiß nichts davon, daß ich sie liebe und heiraten wollte. Ich hätte sie erst damit bekanntgemacht –«

»Wenn Frau Fallner das Geld dazu hergegeben hätte, nicht wahr?«

»Wenn Sie in diesem Ton fortfahren, mein Herr,« antwortete Gollwitz, den Kopf zurückwerfend, »so antworte ich gar nichts mehr.«

Der Untersuchungsrichter hatte ein gefährliches Lächeln. Er drückte auf eine Glocke.

»Vorläufig genügen mir diese ersten Feststellungen, Herr Gollwitz,« sagte er. »Das weitere findet sich. Ich erkläre Sie hiermit für verhaftet.«

Der junge Mann prallte mit todblassem Gesicht zurück.

»Verhaftet!« rief er. »Ich? Weshalb? Wessen beschuldigt man mich denn?«

»Des Mordes an Frau Fallner!«

Gollwitz stieß einen lauten Schrei aus und, die Hände vor das Gesicht schlagend, taumelte er zurück, direkten Weges in die Arme des eintretenden Polizisten, der ihn auf einen Wink des Richters erfaßte.

»Der Mann wird in Untersuchungshaft abgeführt; ich folge sogleich nach!« sprach kalt der Richter.

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