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Zum Vorlesen

Margaret.

Eine Kinderballade

»Margaret!
Nun versprich mir und reich' mir dein Händchen,
Daß ihr nicht aus der Stube geht!
Hier ist Brot und ein Rauchwurstendchen!
Wieg, wenn's dämmert, den Plumpsack ein!
Bist mein tapferes Mütterlein!«

Der so sprach, war ein sächsischer Reiter,
Kommandiert gegen Friedrichs Schar.
Margarete, die war nichts weiter
Als ein Kind, noch nicht ganz sechs Jahr.
Aber wenn ihr Händchen am Morgen
In des Reiters Reiterfaust lag,
Wußte der: ich brauch' nicht zu sorgen
Für die Würmer den langen Tag.

 

Februartag! – Eiswettergrausen!
Gegen den Lenz hin der Winter rast. – –
Alle Büsche und Bäume verglast
Und darüber Wildsturmesbrausen.
Alle Landwege tief verweht.
»Eia Popeia!« sang Margaret. – –
Doch der Plumpsack wollte nicht schlafen.
Von einer Weide mit goldenen Schafen,
Von einem Silberschlosse im Mond,
Drin das gestorbene Mütterlein wohnt,
Von dem Nix, der sein Goldhaar strählt,
Von dem Alb hat sie ihm erzählt.
Mit ihren Fingerlein spielte sie Spiele,
Baute ihm Städte auf holpriger Diele
Von Kastanien und Eicheln und Moos,
Band ihm sein Röckchen, nahm's auf den Schoß,
Fahrte den Stolper vom Fenster zur Türe,
Spielte mit ihm, daß die Mutter ihn führe,
Die gekommen in gleißendem Glast,
Himmelsschön, als ein hoher Gast.
Kochte ihm dann auf dem Herde sein Süppchen,
Machte den Holzscheit zum stattlichen Püppchen,
Saß, als die Dämmerung gruselig sank,
Singend bei ihm auf der Ofenbank.

Samtenes Dunkel floß in die Stube,
Nicht ins Bettchen wollte der Bube,
Zeigte draußen auf Mond und Stern.

»Feurio!« scholl es da laut von fern. – –

All die Dunkelheit rollte zusammen.
Winziges Mütterlein, sieh mal die Flammen!
Ueberm Nachbarhaus gegen das Dach
Der Kathedrale lodert es jach.
Lohende Flammen, Rauch, der sich ringelt!
Schwarz ist der Marktplatz von Menschen umzingelt.
Mit einem Grausen, das keiner nennt,
Sagte das Mütterlein: »Lutz, es brennt!«

Als sie die Flammen sah, wollte sie fliehen,
Rasch das Plumpsäcklein mit sich ziehen,
Aber, – – o Schreck! – Des Vaters Gebot!
Glutrot ist die Stube durchloht.
Alles rennt, was im Städtchen gehauset,
Glühender Atem das Mägdlein umgrauset.
Und des Fensterleins Scheibe zerspringt.
Margaretlein zittert und singt.

Leise sang sie: Eia Popeia,
Schlafe, Jungchen, was raschelt im Stroh?
Und der Sturm sang: Heia Juchheia!
Und das Feuer sang: Feurio!

*

Mitternacht. – Fast kein Bett mehr, kein Bettchen,
Und keine Glocke, die's sagen kann! –
In das veräscherte, qualmende Städtchen
Jagte spornstreichs ein Reitersmann.
Rasender Nachtsturm, – Rauchwolken schaukeln.
O die Bilder, die ihn umgaukeln,
O die grausige Angst und Pein –:
Margaret, – armes Mütterlein! – –
War zu stolz, um einen zu fragen. –
Erste Reiterfurcht hat ihn am Kragen.

»Ach du mein Herrgott, mein Häuslein steht!« –
Alles verbrannt rings! – – Margaret
Lag wie ein Leichlein im wüsten Grauen,
Nein, wie ein Engelein anzuschauen,
Lebend, lieblich, nur still wie nie.
Der verängstigte Plumpsack schrie.
»Herzkind, sprich, wer hat euch gerettet?«
»Weiß nicht!« klang's. »Der die Sterne kettet
In die strenge, ewige Bahn!«
Dachte der Reiter, – – »der hat's getan!«

Frida Schanz

Der Betteljunge

Ein Betteljunge hungerte sehr,
Hatte es hart im Leben.
Heut war's, als wollte gar niemand mehr
Armen ein Bröckchen geben.
Da warf er sich, ganz wund und rauh
Und trotzig im Gemüte
In eine Wiese, die so blau
Wie droben der Himmel blühte.
Die blauen Augen sahn ihn an:
»Was soll der Trotz, der schlimme?
Wie heißen wir denn? Denk doch daran!«
Und es war, als sprach Gottes Stimme:
»Vergißmein nicht! – Ja, Vergiß MEIN nicht!
Ich will dein auch nicht vergessen!
Wer kleidet die Lilien wie lauter Licht,
Wer gibt den Vöglein Essen?
Poch jetzt mal nicht so trotzig an
An guter Leute Türen,
Und bitte bescheiden, kleiner Mann,
Ich will dich einmal führen.«
Der Junge stand auf. – Die Sonne lag
Hell auf den Bachesborden.
Er ist bis auf den heutigen Tag
Noch immer satt geworden.

Fr. Raimund

Hansei der Knappe

Der Knappe Hansei, zehn Jahr, nicht mehr,
Ritt hinter riesigem Reiter her,

Ritt auf kohlschwarzem, zottigen Fohlen,
Raufte mit seinem Herrn verstohlen.

War ihm dabei doch gut, wie wild, –
Trug des Ritters Gewaff und Schild,

Trug bis über die Kräfte schwer.
Ärgerte ihn sein Rapptier sehr.

Brauchte alle seine Gewalt.
Aber das ließ ihn alles kalt,

War' ihm alles herrlich und wert,
Hätt' sich sein Herr nur mal umgekehrt!

Aber der! – In drei ganzen Stunden
Hatte der dazu nicht Zeit gefunden.

Brummte nur in den strohgelben Bart
Manches von früherer Ritterfahrt,

Tat mit seinem Grauhengst bekannt,
Daß fast der Hansei vor Neid verbrannt,

Wetterte über die Heumondhitze,
Hob sich schwer aus dem Sattelsitze,

Brach einen Baumzweig mit Aprikosen
Aus einem Hof, einen herrenlosen,

Aß mit Behagen ohnegleichen.
Ohne dem Hans eine hinzureichen.

Nur mit der Ritterfaust lässiglich
Warf er drei Früchte stumm hinter sich.

Stand da Hanseis Gesicht in Brand!
Wollte sich bücken, doch widerstand. –

Zürnte: »Hast mich in Lehn und Leben.
Kannst mir die Früchte doch richtig geben!«

Ist dann ein Trotz bei ihm ausgebrochen!
Hat in Gedanken gehaun und gestochen.

Ja, auf den Herrn mit Pfeilen geschossen,
Aber dann – Frieden mit ihm geschlossen.

Dachte: »Mein Herr ist's, ich bin ihm treu!« –
Abends lag Hansei auf harter Streu,

Steht da an seiner Schlummerstatt
Plötzlich der Ritter, wie Goliath,

Sagte: »Knappe!« und nochmals laut:
»Knappe, ich hab' dich heut durchschaut!

Ich brauche mich nähmlich nicht umzudrehn.
Kann ohne Augen im Rücken sehn.

Hab' gesehn, wie tapfer du dich gewehrt,
Als du die Aprikosen begehrt,

Wie du mich mit Pfeilen beschossest,
Aber dann Frieden mit mir schlossest,

Weil ich dein Herr bin und du mein Knapp.
Hansei, wir reiten noch manchen Trapp,

Hansei, ich schlag' dich an diesem Tag
Heimlich vornweg mit dem Ritterschlag,

Hansei, Ritterherz fein und treu!«
Und er hob ihn von seiner Streu,

Gab ihm laut einen Backenstreich,
Einen schallenden Kuß zugleich.

Stach sein Schnauzbart viel mehr als Stroh, –
Aber hei, war der Hansei froh!

Johannes und das Jesuskind

Jüngst war's an einem Sommertag,
Der glühend auf der Erde lag,
Da spielten froh, wie Kinder sind,
Johannes und das Jesuskind
Mit einem Lämmchen weiß wie Schnee
Am Bachesrand im grünen Klee.

Die weißen Füßchen waren bloß,
Die Lippen wie Korall und Ros',
Die lieben prallen Männelein,
Die saßen in dem Sonnenschein;
Sie tranken sich in guter Ruh
Mit Milch aus ihren Töpfen zu.

Der eine strich das Lämmchen klein,
Der andre kitzelte es am Bein.
Das Lämmchen lief vergnügt und sprang,
Und Klein-Johannes fröhlich sang.
Sie hüpften durch die grüne Weid'
Und tanzten lustig alle beid'.

Und als der Tanz zu Ende war,
Reicht' man dem Lamm sein Futter dar.
Klein Jesus gab ein Stücklein Brot,
Johannes Heu und Klee ihm bot.
Die Knäblein lachten fröhlich da;
Nie solche Lust die Erde sah.

Johannes nahm das Jesuskind
Und hob es auf das Lamm geschwind:
»Lieb Vetterchen, mach einen Ritt;
Ich führ das Lämmchen Schritt für Schritt.
Wir kehren heim zum Mütterlein,
Das wird gewiß schon ängstlich sein.«

So ritten sie denn über Land
Und rollten purzelnd in den Sand.
Und dieses drollig-lustige Spiel
Den Kindern allen wohlgefiel.
Sie schauten nach den beiden aus,
Die trollten ganz vergnügt nach Haus.

Die Mutter eilte schnell herbei
Und kochte einen süßen Brei.
Da saßen sie und plapperten,
Da aßen sie und schlabberten,
Und waren froh bei ihrem Mahl,
Als säßen sie im Königssaal.

Drauf knieten sie andächtig hin:
Maria macht mit frommem Sinn
Ein Kreuzlein auf die Stirnen rein,
Gab jedem noch ein Zückerlein
Und sang sie ein in süßen Schlaf, –
Und nach dem Stalle ging das Schaf.

Von Poirters (1605-75)
Aus dem Flämischen von Dr. Heinrich Brühl (Flämische Liederdichtung alter und neuer Zeit, M. Gladbach, 1917)

Jungfer Blütenstaub

Ein Märchen von Pauline Schanz

Es war eben um die Abenddämmerung, wo alle Türen und Tore geschlossen werden, die Blumen ihre Kelche zusammenfalten und die Vögel in ihren Nestern sich zum Schlafen anschicken, da kam ein kleiner, einsamer Wanderer übers Gebirg her und spähte nach einem Nachtquartier. Er trug ein rotes Mäntelchen und ein winziges schwarzes Hütchen. Plötzlich sah er von weitem ein großes, goldenes Haus, das leuchtete und schimmerte von allen Seiten. »Da will ich anpochen,« dachte der Wanderer, ging hin und pochte mit seinem Stöckchen ganz leise an die goldene Wand, denn eine Tür konnte er nicht sehen. Eine schmale Spalte öffnete sich sogleich, und ein Jungferchen schaute heraus, die hatte ein Goldnetz auf und ein goldenes Mieder an. »Pst, pst,« sagte die Kleine, »was gibt's denn? Meine Herrschaft schmückt sich eben zum Ball, und da darf niemand herein. Wer bist du denn eigentlich?«

Der Wanderer strich sich sein Mäntelchen glatt, nahm sein Hütchen ab und sagte: »Ich bin ein reisender Käfer und bitte um eine Nachtherberge.«

»Warte ein wenig,« sagte die Kleine, »meine Dame wird eben fortfliegen, dann bleibt sie die ganze Nacht auf dem Ball. Unterdessen kannst du dich hier ausruhen und erquicken.« Der Käfer setzte sich auf ein Sandkorn nieder, das am Eingang des goldenen Hauses lag, und wartete. Bald tat sich das Dach des Hauses, das aus lauter goldenen Zacken bestand, auseinander; der Käfer hörte ein leises Schwirren über sich und zugleich flog etwas wie ein feiner Sonnenstrahl in die
Luft. »Nun komm nur herein!« rief die Kleine, die die zackigen Wände des Daches wieder zusammenfaltete.

Der Käfer ging hinein, und da drinnen war alles Gold, auch die Kleine war in lauter Gold gekleidet.

Der Käfer mußte nun von seiner Reise erzählen, und das kleine Ding hörte ihm neugierig zu. Dabei bewunderte sie seinen glänzenden Mantel und die schönen schwarzen Punkte darauf.

»Ich möchte auch so gern eine Reise machen,« sagte die Kleine, »aber ich kann nicht fort. Meine Herrschaft ist eine Elfe und die fliegt alle Nächte zum Ball. Am Tage, wenn sie schläft, muß ich sie bewachen und Honig sammeln und Tau, und nachts muß ich das Haus hüten.«

Indem sie so sprach, trug sie ihrem Gaste ein Abendessen auf, aus Tau und Honig bereitet, rückte ein goldenes Stühlchen zurecht und hieß ihn essen.

»Wie heißt du denn eigentlich?« fragte der Käfer, indem er das süße Mahl kostete.

»Ich heiße Blütenstaub; und unser Haus heißt Gurkenblüte,« sagte die Kleine.

»Höre, Blütenstaub,« sagte der Käfer, »es ist schade, daß du immerfort in der Gurkenblüte eingeschlossen bist, während deine Herrschaft ein lustiges Leben führt. Es ist zwar hier alles prächtig und lauter Gold, aber da draußen ist es noch schöner. Und vielerlei ist da zu sehen!«

»Ja, aber ich habe keine Flügel,« sagte Blütenstaub traurig.

»Du kannst ja gehn,« meinte der Käfer, »ich reise auch öfter zu Fuß, nur manchmal fliege ich mit meinen dünnen Flügeln, die hier unter dem Mäntelchen versteckt sind, in die weite Welt hinaus.«

Sie sprachen noch vielerlei, und der Käfer hatte viel auf seinen weiten Reisen gesehn: Sterne und Sonne und Mond und Wolken und Tiere. Blütenstaub hatte nichts gesehn als das große Gurkenblatt, das wie ein grüner Himmel über dem goldnen Hause stand.

Da sagte der Käfer, indem er von seinem Stühlchen aufstand und ganz feierlich vor das winzige Fräulein trat:

»Wenn du mich heiraten willst, so wollen wir zusammen reisen, und du sollst die ganze Welt sehen.«

Blütenstaub war ganz erfreut über diesen Vorschlag, und sie machte sich auch gleich reisefertig.

Sie nahm einen kleinen Krug voll Honig mit auf den Weg und war gar stolz auf ihren Bräutigam, der einen purpurroten Mantel um hatte, wie ein König.

Sie gingen nun beide aus dem goldnen Hause fort, das goldne Dach blieb offen, so daß die Feuchtigkeit des Abends hineinträufelte und das goldne Ruhebettchen der Elfe naß wurde.

Der Abend lag kühl und still über den Fluren. Alle Blumen waren geschlossen, und im Westen war der Himmel noch rötlich von der untergehenden Sonne.

Der Käfer führte seine kleine Braut über die Gebirge des Gurkenbeets.

Aber Blütenstaub war an solche Wege nicht gewöhnt.

Ihre Füße waren Staubfäden, so fein wie ein Härchen, sie war bald müde und konnte nicht weiter. Das Gurkenbeet lag am Saum eines Wassers. Dort blieb das Paar stehen und überlegte, was zu tun sei.

Der Käfer sagte: »Bleib einstweilen hier, ich werde einen Wagen für dich bauen; ein paar Fliegen mieten wir als Kutscher und Pferd, und dann setzen wir uns zusammen hinein und fliegen zusammen fort in die weite Welt.«

Blütenstaub war damit zufrieden. Sie setzte sich dicht am Ufer nieder, stellte ihr Honigkrüglein neben sich, und der Käfer ging fort.

Es war eben um die Zeit, wo die Feuchtigkeit aus den Gewässern emporsteigt, und über dem Teiche schwebte ein weißer Nebel wie ein wogender Schleier.

Zudem erhob sich ein leichter Wind, der die Wellen kräuselte und die Grashalme, die wie riesige Palmen über Blütenstaubs Köpfchen ragten, gegeneinander trieb.

Eine Luftwelle erfaßte plötzlich die kleine Braut, die so leicht war wie ein Sonnenstäubchen, hob sie empor und trug sie fort.

Blütenstaub war so erschrocken, daß sie gar nicht schreien konnte. Sie sah eine wirbelnde Masse glänzender Perlen um sich emporsteigen, und ehe sie sich's versah, saß sie plötzlich selbst in einem der kleinen glänzenden Luftballons und stieg mit ihm empor, höher und höher, in die blaue glänzende
Abendluft hinauf.

Sie dachte an den Käfer, der sie suchen würde, und daß sie ihr Honigkrüglein stehen gelassen, an den schönen Wagen, den ihr Bräutigam nun gewiß fertig haben würde.

Als der erste Schreck einigermaßen überstanden war, fand die kleine Luftschifferin, daß es eigentlich gar herrlich sei, in der feuchtglänzenden Kugel emporzufahren.

Sie stieg bis über die höchsten Gebirge in das Reich der Wolken.

Da blieben die Wasserdünste schweben, und es war so blau, so dunkelblau in den Wolken, wie es goldgelb in dem Eisenhause unterm Gurkenblatt gewesen war.

Man konnte durch das feuchte leuchtende Blau den Mond und die Sterne aufgehen sehen, und dabei schwammen die Wolken fort wie Schiffe mit aufgebauschten fliegenden Segeln.

Aber bei aller Schönheit war es einsam, so einsam und so feucht und kühl in den Wolken, und das tiefe endlose Blau mit den Sternen stand still und starr und kalt darüber.

Blütenstaub dachte, die Sterne seien lauter Elfenhäuser, wie das, aus dem sie mit dem Käfer geflohen war.

Und sie wünschte, bis zu den goldenen Blumen fliegen zu können.

Aber sie schwamm immer weiter und weiter in dem feuchten Kahn, und die Sterne blieben immer in der nämlichen Ferne über ihr.

Da wurde ihr goldenes Röckchen naß, und sie wurde traurig und bange und wäre tausendmal lieber wieder in den Dienst der Blumenelfe gegangen, als so mit den Wolken durch die Luft zu schiffen.

Sie dachte an den schönen Käfer mit dem roten Mantel, der sie heiraten wollte. Und nun fing sie vor Trauer und Leid zu weinen an.

Die Bläue wurde aber immer dunkler und dunkler um sie her. Endlich glitt ein leuchtendes Glühen durch die Finsternis, und ein Krachen folgte und wieder ein Glühen.

Und dem armen Dinge verging vor Angst die Besinnung.

Die Wolken barsten rauschend auseinander, und die Wassertropfen fielen nieder.

Blütenstaub stürzte hinab und blieb matt und wund und halb ohnmächtig liegen.

Die Nacht ging hin. Aber sie fühlte einen Stoß und hielt sich nur mühsam an einer glatten Wand fest, um nicht von neuem zu stürzen.

Endlich kam der helle Morgen wieder, sein rötliches Licht schimmerte glanzvoll durch hohe Kristallwände, hinter denen Blütenstaub erwachte.

Sie sah sich neugierig um. Der Regen hatte sie in eine weiße Lilie geschleudert, die in der Nacht vom Sturm geknickt worden war.

Die Lilie, die in ihrer kristallenen Herrlichkeit ihr tausendmal schöner erschien als ihre frühere Heimat, lag vom Stengel abgebrochen am Boden.

Tief in ihrem Kelche lag auf seidenem Bettchen die Elfe der Lilie und war tot.

Blütenstaub stand vor ihr, sie sah die herabhängenden Silberflügel und das Silberkrönchen, und sie dachte an ihre schöne Herrin, die vielleicht, jetzt auch tot in dem goldenen Häuschen lag, weil sie niemand hatte, der sie bewachte und die Zacken des Daches schloß, wenn sie schlief.

Weinend ging Blütenstaub fort und setzte sich an den Silberrand des Lilienblattes nieder.

Da kamen bald die Elfen des Gartens geflogen, um ihre tote Schwester zu sehen.

Es waren aber lauter schöne und fremde Blumen, die in dem Garten standen.

Die Elfen wußten nicht, was das für ein kleines, nasses, gelbes Ding war, das da nicht weit von der toten Lilienelfe saß und weinte.

Blütenstaub verstand auch gar nicht die Sprache der vornehmen Elfen, denn die Gurkenblütenelfen hatten eine ganz andere Sprache gehabt.

Die Elfen flogen wieder fort, und Blütenstaub blieb immer noch traurig sitzen, denn sie hatte keine Flügel, um zu fliegen.

Sie blieb bei der toten Elfe im Lilienhaus, und die kristallenen Wände fingen an und wurden welk; sie krümmten sich einwärts zusammen, und Blütenstaub hatte keinen Honig mehr zur Nahrung. Sie trank bloß Tautröpfchen, die auf die welke Lilie fielen.

Einstmals, als die Elfen ein Ballfest hielten, sagte die Elfenkönigin zu einer Freundin:

»Es ist heute ein gelehrter Käfer von einer weiten Reise wiedergekehrt. Der hat einen schönen Wagen mitgebracht, aus Grashalmen, mit Fliegen bespannt. Den wollen wir doch fragen, ob er nicht die Sprache des fremden Mädchens versteht, die in der welken Lilie wohnt.«

Die Elfenkönigin sandte einen Boten zu dem weitgereisten Käfer und ließ ihn holen. Er kam auch bald vor die schöne Königin, strich sein rotes Mäntelchen glatt und hielt sein Hütchen in der Hand. Als er von dem kleinen gelben Jüngferchen hörte, wollte er sie gleich sehen und wurde ganz ungeduldig.

Da führten ihn die Elfen zu der welken Lilie, wo Blütenstaub ein trauriges, einsames Leben führte. Kaum erblickte sie aber den gelehrten Käfer mit dem schönen roten Mantel, so erkannte sie ihren Bräutigam wieder und fiel beinahe vor Freuden um, denn sie war vom Fasten ganz matt geworden. Sie erzählte nun all ihr Leid, und wie schlecht es ihr gegangen war. Er erzählte auch –: daß er sie überall gesucht und daß er einen schönen Wagen mitgebracht habe und auch ihren kleinen Honigkrug, den er gefunden hatte. Er sagte, nun wolle er sie erst recht heiraten. In dem schönen Wagen wollte er mit ihr in die weite Welt fahren.

Da war Blütenstaub guter Dinge. Sie vergaß ihre Not. Und die Elfen wurden alle zur Hochzeit geladen.

Aus »Der flammende Baum«. Neue Deutsche Märchen. Verlag Ullstein & Co.

Die Myrte

Von Elsa Backelmann

Im guten Zimmer stand inmitten gepflegter Pflanzen eine verkümmerte Myrte. Die kleine wilde Hilde hatte den Topf neulich zur Erde geworfen, das Stämmchen war geknickt und sein Leben schien erstorben.

»Schaffe mir die Myrte hinaus,« hatte die gnädige Frau der alten Magd befohlen, »sie verunziert meinen ganzen Blumentisch. Meinetwegen kann sie auf den Müllhaufen kommen.«

»Armes Kleines,« sagte die alte Christine, »aber nein, ich nehme dich in meine Kammer. Sollst es gut haben.«

Da stand nun das verkümmerte Pflänzchen oben am Dachfenster – hu – wie es fror! – Unten war es immer so prächtig warm. Es wurde aber, so gut es ging, treu behütet, und täglich sahen ein paar alte gute Augen mütterlich sorgend auf die spärlichen Blätter. – Klein Hilde kam einmal nach oben gesprungen; unruhig flogen die munteren Kinderaugen umher.

»Aber Christine, nein, so was! Da ist ja die alte, häßliche Myrte – wirf sie fort!«

»Bewahre, Kind, die habe ich lieber als alle schönen Blumen unten im guten Zimmer; so ein Krüppelchen zu pflegen, das macht Freude!«

»Bist du aber komisch!« und damit war Hilde hinausgewirbelt.

Der kranken kleinen Myrte ging's wohlig durch den winzigen Körper bei den herzigen Worten der Alten.

Wochen gingen dahin. Die Myrte seufzte laut.

»Miau – na, was ist dir denn?« fragte Christinens Katze, die graue Mizi, »wer so laut seufzt, bei dem stimmt was nicht!«

»Ach, ich möchte so gern gesund werden, möchte groß und stark sein!«

»Möchtest wohl gar Blüten tragen, schneeige Brautblüten – was Miau-au?« sagte etwas boshaft die Mizi.

»Ach, das wäre wohl zu viel des Glücks,« meinte die Myrte.

»Ist auch gar kein Gedanke daran,« brummte Mizi, »du bist, was man so eine alte Jungfer nennt.«

»Alte Jungfer?«

»Na ja, so nennt man die alten Mädchen, die nicht geheiratet haben, die sitzen geblieben sind – so eine wie die Christine.«

»Du hast wohl viel Umgang mit Menschen gehabt?« fragte die Myrte.

»Es geht. Manche Menschen sind wohl klug, aber die meisten machen vor lauter Klugheit die größten Dummheiten. Unseren feinen Katzenverstand haben sie eben nicht! Ich gehe lieber mit meinesgleichen um, da bin ich immer in gebildeter Gesellschaft.«

»Ja, du kommst weit herum – aber ich hab's auch gut bei der Christine!«

Die Katze strich mit der Pfote über die Nase, rollte den Schwanz zusammen – sie wünschte nicht, das Gespräch weiterzuführen. – In der Nacht konnte die Myrte nicht recht schlafen, weil der Mond so hell schien. Da sah sie zu ihrem großen Erstaunen, daß Eisblumen auf der Fensterscheibe erblüht waren. Wie herrlich!

»Wie schön ihr seid! – Wo kommt ihr her?« stammelte die Myrte.

»Wir kommen aus einer anderen Welt,« sagte eine Eisblume. »Aus Wassertropfen sind wir geboren, und ehe uns der eisige Frost zum Leben weckte, schwebten wir als winzige Wassergeisterchen in der Luft!«

»Ach, wie sonderbar,« meinte die Myrte.

»Ja, wir sind so wunderfein, daß wir bei einer Berührung von Menschenhand sterben! – Wir hören gern Geschichten, erzähl uns etwas!«

»Ich bin schon lange kränklich und kann mich nicht vom Platze rühren, das heißt, früher einmal war ich gesund und hübsch, aber als die Krankheit kam, haben die stolzen Blumen unten über mich gelacht und gemeint, ich passe in keine feine Gesellschaft, höchstens in ein Hospital oder auf den Müllhaufen – ja – – –!«

»Ach, jeder erlebt etwas, vielleicht bist du bloß ein bißchen dumm,« meinte eine Eisblume. »Man muß sich immer in ein gutes Licht stellen, sich immer durchstrahlen lassen, dann ist man etwas! Wir haben's wohl besser als du; unser Leben ist kurz, aber glänzend. Wir haben keine Erinnerung an Vergangenes, und darum dürfen wir uns niemals grämen. Wir sind gleich fix und fertig da in wunderbarer Schönheit!«

»Ja, du bist schön!« sagte bewundernd die Myrte.

Tage, Wochen, Monate vergingen. Die Eisblumen blühten nicht mehr am Fenster.

»Gewiß haben sie sich eine vornehmere Gesellschaft ausgesucht,« dachte Krüppelchen.

Die Sonne schien wärmer, und wohlig ging's durch den Körper der kleinen Pflanze. Christine öffnete schon am Morgen das Fenster und stellte die Myrte auf das Dach. Nun sah sie über sich den Himmel, die Vögel, die Wolken – war das schön! Sie reckte und streckte sich, ließ den köstlichen Frühlingsregen über ihre Blätter rieseln, und etwas war in ihr, das zum Licht drängte. – Bescheidene Blätterknospen sproßten, und die Sonne entfaltete sie zum Leben. Die Myrte erschauerte vor Wonne.

»Pip, pip! Hast du auch Frühlingsgedanken?« fragte die flinke Schwalbe, die ihr Nest dicht am Dachfenster hatte.

»Die Welt ist schön!« sagte die Myrte.

»Freilich, freilich, – aber ich möchte nicht mit dir tauschen. Immer auf demselben Fleck stehen und warten, warten bis irgend etwas kommt, – wie langweilig!«

»Das mußt du nicht denken!«

»Christine, Christine!« jubelte Hilde. »Ein Schwalbennest und eine Schwalbe! Ach, und die Myrte ist beinahe hübsch geworden. Nun komme ich oft zu dir herauf.

Ja, sie kam oft, die Hilde, die nun schon ein großes Mädchen geworden war. – Die Jahre gingen. – Die Myrte wuchs; freilich ein Krüppelchen mit gebogenem Rücken blieb sie.

»Solch einen Knax hält auch keiner aus,« hatte Christine gesagt. Sie bog die grünen Zweige zu einem Kranz zusammen, so daß man den krummen Stamm kaum sah. – Und immer im Spätherbst geschah ein holdes Wunder, die Myrte blühte – blühte. Ganz still und verschämt trug sie ihr hohes Glück. Das Kränzlein zitterte vor Wonne, und dann geschah etwas, daß das höchste Erdenglück einer Myrte ist. –

Christine kam still lächelnd mit einer Schere, löste das blühende Kränzlein vom Stamm und befestigte es unter tausend Segenswünschen als Brautkrone der glücklichen Hilde auf den Brautschleier.

Quellenangabe der Bilder von Rudolf Schäfer:

Einschaltbilder: »Kerzenlicht«, »Die Haustür der Großeltern«, »Es war einmal« aus » Bildermappen fürs deutsche Haus«, Stiftungsverlag in Potsdam.

Bilder Seite 43: »Dort hoch auf dem Berge« und Seite 139: »Trübe Tage« aus » Rosen und Rosmarin«, Auswahl deutscher Volkslieder mit Bildern von Rudolf Schäfer.

Bilder Seite 29: »Wiegenlied«, Seite 59: »Schlaf, holder Knabe« und Seite 87: »Im Mutterarm« aus » Vom Wandsbecker Boten«, Bilder Matthias Claudius von Rudolf Schäfer.

Beide Werke erschienen in Gustav Schloeßmanns Verlagsbuchhandlung (Gustav Fick) in Leipzig.

 

*

 

Zum Ausfüllen von Elternhand

Wie klug ist der, der auf der Lebensfahrt
Des Glückes schöne rasch verwehte Spenden
Erinnernd sich zusammenspart! –
Denn auch Vergessen ist Verschwenden.

... Denn auch Vergessen ist Verschwenden


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